Nuevos Campos-Bogotá 2013 - Max-Planck
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Nuevos Campos-Bogotá 2013 - Max-Planck
TAGUNGSBERICHT Seminar Neue Forschungsfelder zur Geschichte kirchlicher Institutionen und ihrer Normativität in Neu-Granada (16.-19. Jh.) Nuevos campos de investigación en la historia de las instituciones eclesiásticas y sus normatividades en el Nuevo Reino de Granada (siglos XVI-XIX) Zeit und Ort 20-22 de junio de 2013 Biblioteca Luis Angel Arango Calle 11 # 4-14, Bogotá Colombia Veranstalter Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte (MPIeR) Hansaallee 41, D-60323 Frankfurt am Main, Alemania <http://www.rg.mpg.de/seminario_normatividades> Organisation: Benedetta Albani, Otto Danwerth, Pilar Mejía Berichterstatter: Otto Danwerth 1 Das vom Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte (Frankfurt am Main) organisierte internationale Seminar über „Neue Forschungsfelder zur Geschichte kirchlicher Institutionen und ihrer Normativität in Neu-Granada (16.-19. Jahrhundert)“ fand vom 20. bis 22. Juni 2013 in der Biblioteca Luis Ángel Arango in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá statt. 17 jüngere Wissenschaftler/-innen – Promovierte, Doktoranden, Magistranden – aus sechs Ländern (Kolumbien, Venezuela, Mexiko, Spanien, England und Frankreich) stellten ihre aktuellen Forschungsvorhaben vor ca. 50 Zuhörern zur Diskussion. Sie vertraten folgende Disziplinen: Geschichtswissenschaften, Rechtsgeschichte, Theologie, Philosophie und Ethnohistorie. Tagungssprache war Spanisch. In ihrer Einführung erläuterten die Organisatoren des Symposiums – BENEDETTA ALBANI, PILAR MEJÍA und OTTO DANWERTH – die Beweggründe und Motive der Veranstaltung. Sie ist Teil eines Seminarzyklus, der sich der gleichen Thematik mit jeweils unterschiedlichen regionalen Schwerpunkten widmet. Während 2011 in Mexiko-Stadt das Vizekönigreich Neuspanien und 2012 in Lima das Vizekönigreich Peru im Mittelpunkt standen, ging es 2013 um das Nuevo Reino de Granada, das sich über die Gebiete der heutigen Staaten Kolumbien, Venezuela, Panama und Ekuador erstreckte. Programme und Berichte der Tagungen sind unter folgendem Link einzusehen: <http://www.rg.mpg.de/seminario_normatividades> Die erste Sektion, die sich mit theologischen Konzepten und rechtlichen Instituten beschäftigte, wurde von FABIO RAMÍREZ (Bogotá) moderiert. Der von CARLOS ARTURO ARIAS SANABRIA (Bogotá) gehaltene Vortrag behandelte die restitutio als moralisches und rechtliches Problem anhand eines Manuskripts aus dem 17. Jahrhundert: Controversia de restitutione necessaria pro injuriis et damnis in omnibus humanorum bonorum generibus (1668). Verfasst von Martín de Eussa S.J. (1631-1693), soll diese Quelle bald in einer kritischen Edition mitsamt einer spanischen Übersetzung 2 erscheinen. Die Interpretation stellte Zusammenhänge der Schrift mit zeitgenössischen Rechtstraktaten her, zeigte aber auch den Einfluss juristischer Lehren und probabilistischer Moraltheologie. JUAN SEBASTIÁN BALLÉN RODRÍGUEZ (Bogotá), näherte sich sodann dem thomistischen wissenschaftlichen Denken während des 17. und 18. Jahrhunderts. Er versuchte folgende These zu belegen: Ende des 17. Jahrhunderts ermöglichte es eine in der thomistischen Universität Neu-Granadas gepflegte praktische Philosophie, dass die Debatten um das Konzept der Freiheit sich in das Projekt der „Moderne“ einfügten. Er diskutierte diese Problematik an Hand des Werks von Fray Jacinto Antonio de Buenaventura O.P. (1730-1786), unter besonderer Berücksichtigung seines Tratado de los actos humanos (1759). MARÍA E. HERNÁNDEZ CARVAJAL und WILMAR ROLDÁN SOLANO (Bogotá) präsentierten die Untersuchung eines unveröffentlichten Werks von Fray Cristóbal de Torres O.P. (15731654). Der spanische Dominikanermönch kam 1636 als ernannter Erzbischof von Santafé de Bogotá nach Neu-Granada. Um 1630, noch in Kastilien, hatte er das Manuskript Cuna Mística verfasst, dessen kritische Edition von den Referenten vorbereitet wird. Sie interpretierten das Werk, das aus verschiedenen dem Rosenkranz gewidmeten Texten besteht, und charakterisierten es als eine „panegyrische Predigtsammlung“. Die zweite Sektion trug den Titel “Missionspolitik und Jurisdiktionskonflikte” und wurde von JORGE A. GAMBOA (Bogotá) geleitet. JUAN FERNANDO COBO BETANCOURT (Cambridge) verdeutlichte, dass die Vorstellung von “lenguas generales”, die den Kern des linguistischen Projekts der Krone in Hispanoamerika bildete, für Neu-Granada nicht umsetzbar war (1574-1625). Denn die aus dem „Zentrum“ kommenden politischen Maßnahmen wurden durch ihre Implementierung in der „Peripherie“ verändert. Luis Zapata de Cárdenas O.F.M. (1515-1590), Erzbischof 3 von Santafé, versuchte erfolglos, der linguistischen Vielfalt mittels der Ordination von kreolischen und mestizischen Priestern zu begegnen. Seine Nachfolger ordneten die Verwendung von in verschiedene indigene Sprachen übersetzten katechetischen Werken an; doch damit gerieten sie in Konflikt mit den von Uniformität geprägten Vorstellungen der tridentinischen Kirche. ANDRÉS CASTRO ROLDÁN (Rennes) behandelte jesuitische Aktivitäten im frühen 17. Jahrhundert. Der Protagonist seiner ersten Fallstudie, Martín de Funes S.J., kehrte 1606 nach Europa zurück, um an der VI. Generalkongregation in Rom teilzunehmen. Statt aber die dortigen Jesuiten zu informieren und den Weg über die spanische Diplomatie einzuhalten, präsentierte er dem Papst direkt seine Kritik der spanischen Kolonialherrschaft. Er wurde wegen Aufsässigkeit aus der Societas Iesu ausgeschlossen. Die zweite Fallstudie behandelte die „secularización“ der doctrina von Chita: Seit 1604 zogen die Erzbischöfe Mendikanten aus den Indianerpfarreien ab, von denen einige an Jesuiten vergeben wurden. Doch in den 1620er Jahren mussten diese, bedrängt von Weltklerus und Erzbischof, Chita wieder verlassen und wurden zu „Opfern“ der „secularización“. NEIDA JIMÉNEZ NAVARRO (Vitoria) untersuchte einen Prozess zwischen Bischof und Gobernador in der Provincia de Venezuela (1618). Gegenstand war der Konflikt um eine capellanía, die – obschon diese Materie der kirchlichen Gerichtsbarkeit zugehörte – mittels des Rechtsmittels „recurso de fuerza“ der weltlichen Gerichtsbarkeit übertragen werden sollte. Die Referentin beschrieb, wie die weltlichen Autoritäten die Ausübung der kirchlichen Gerichtsbarkeit zu behindern versuchten. Sie interpretierte die vorgebrachten Argumente und stellte sie in den Kontext der von Kasuistik geprägten Rechtsprechung des 17. Jahrhunderts. Das abschließende Urteil des Indienrats (1619) erkannte die Zuständigkeit der kirchlichen Gerichtsbarkeit an. 4 Die dritte Sektion – über religiöse Orden und das Erziehungswesen – wurde von JOSÉ FERNANDO RUBIO (Bogotá) moderiert. JUANA MARÍA MARÍN LEOZ (Bogotá) stellte ein Forschungsprojekt über die Zöglinge des Real Colegio Mayor y Seminario de San Bartolomé in Santafé (1742-1792) vor. Der gewählte Untersuchungszeitraum verdankt sich der pragmatischen Entscheidung, die “bartolinische Familie” jeweils 25 Jahre vor und nach der Vertreibung der Jesuiten (1767) zu untersuchen. Damit soll erklärt werden, auf welche Weise diese Zäsur das Schicksal der akademischen Institution und ihrer Schüler beeinflusste. Mit dem Ziel, eine „soziale Genealogie“ zu erarbeiten, konzentrierte sich die Referentin auf institutionelle, familiäre und relationale Aspekte. Neben den Jesuiten – und in Konkurrenz zu ihnen – spielte der Predigerorden die wichtigste Rolle, wenn es um höhere Studien im Nuevo Reino de Granada ging. CESAR AUGUSTO VÁSQUEZ GARCÍA (Bogotá) analysierte die Universidad Tomística von Santafé de Bogotá aus sozial- und bildungsgeschichtlicher Perspektive (1750-1810). Die rechtlichen Debatten um königliche und kirchliche Regelungen mit Bezug auf die Autonomie dieser Universität wurden in zwei Fallstudien behandelt: erstens zum Streit mit den Jesuiten, zweitens zur Reaktion der Dominikaner auf den Plan des Fiscal Moreno y Escandón, der eine staatliche Universität vorsah; der Plan wurde von 1774 bis 1779 umgesetzt. Vor dem Hintergrund der bourbonischen Bildungspolitik wurden ferner Debatten zwischen Anhängern einer „scholastischen“ und einer „aufgeklärten“ Philosophie in den Blick genommen. Bei der Diskussion der Unabhängigkeitskriege und der vom neuen politischen Regime gesetzten Normen wurden auch überregionale Sektoren berücksichtigt. Nach den Kampagnen von 1815 und 1821 sollten die Mönche zahlreiche verlassene Pfarreien übernehmen und wurden zu diesem Zweck in der Provinz von Cartagena zerstreut. 1833 hob man das Dominikanerkloster auf. WILLIAM ELVIS PLATA (Bucaramanga) untersuchte, wie die neugranadinischen Dominikaner den Bourbonischen Reformen begegneten. Den Ordensleuten gelang es zunächst, die Säkularisation der doctrinas zu verzögern (1749-1753); auch die königliche Visitation des Rosario-Konvents in Santafé (1777-1780) zeitigte keine langfristigen Konsequenzen. In Erziehungsfragen jedoch hatten die Reformen eine größere Wirkung. Die „aufgeklärte“ Kritik an scholastischen Methoden und Lehrinhalten zeigte sich am 1768 begonnenen Prozess um den (oben erwähnten) Plan, eine staatliche Universität zu gründen; er sollte fast 30 Jahre dauern. Obwohl die Mönche 1798 erreichten, dass der Universidad Santo Tomás wieder die für die Verleihung von Universitätsgraden notwendigen Privilegien gewährt wurden, hielten die lokalen Eliten ihr Misstrauen gegenüber dem intellektuellen Angebot der Dominikaner aufrecht. FABIÁN LEONARDO BENAVIDES SILVA (Bogotá) befasste sich mit dem ebenfalls dominikanischen Convento Universidad San José in Cartagena de Indias, das sich den Zielen der Evangelisierung und Erziehung verschrieben hatte. 1744 erhielt es die Lizenz, höhere Studien („studia generalia“) anzubieten. Im Vortrag kamen Themen der Alltagsgeschichte, aber auch administrative und ökonomische Aktivitäten aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zur Sprache. Im Anschluss an die dritte Sektion folgte ein intermezzo durch die anwesenden Wissenschaftler/innen des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte. BENEDETTA ALBANI, PILAR MEJÍA und OTTO DANWERTH präsentierten Geschichte und Profil des MPIeR, das vier Forschungsschwerpunkte verfolgt: Multinormativität, Translation, Rechtsräume und Konfliktregulierung. Sie erläuterten das Interesse an der Rechtsgeschichte Iberoamerikas, vor allem an der Geschichte kirchlicher Institutionen und ihrer Normativität, die sich besonders gut an Artikulationen des Kirchenrechts in lokalen Kontexten untersuchen lässt. In diesem Feld hat das Institut verschiedene Forschungsprojekte entwickelt, die vorgestellt wurden: zur Römischen Kurie und der Neuen Welt; zur Rechtsgeschichte der 5 6 Schule von Salamanca; sowie ein Historisches Wörterbuch zum kanonischen Recht in Hispanoamerika und auf den Philippinen (16.18. Jh.). Die vierte Sektion des Seminars, die unter der Leitung von DIANA BONNETT (Bogotá) stand, behandelte Themen kirchlicher Verwaltung und Gerichtsbarkeit. JULIÁN ANDREI VELASCO PEDRAZA (México) präsentierte einen wirtschaftshistorischen Ansatz zur Erforschung der Verwaltung von Pfarrgemeinden im Bistum Santafé um 1780. Die Rechnungsbücher der Dörfer San Gil und Socorro geben detailliert Auskunft über Einkünfte in sechs Gemeinden, zwei Städten und zwei Indio-Dörfern. Sie stellen eine zentrale Quelle für die Erforschung der lokalen kirchlichen Finanzen dar, enthalten zudem aber Informationen zur territorialen Organisation der Gemeinden und zum Alltagsleben des Weltklerus im 18. Jahrhundert. MARÍA VICTORIA MONTOYA GÓMEZ (México) untersuchte das Verhältnis zwischen kirchlicher und staatlicher Gerichtsbarkeit in Antioquia (1750-1809). In ihrer Auswertung von 125 wegen „verbotener Beziehungen“ (Ehebruch, Konkubinat) geführten Prozessen beobachtete sie, dass sich staatliche Richter zunehmend, besonders seit 1780, der Delikte des forum mixtum bemächtigten. Sie diskutierte zwei Hypothesen: Erstens war die diözesane Struktur in der Stadt eine prekäre. Bis 1804, als das Bistum geschaffen wurde, war die Stadt Antioquia dem Bistum von Popayán untergeordnet. Zweitens war das Verhältnis zwischen kirchlichen vicarios und staatlichen Richtern aufgrund von Jurisdiktionskonflikten gespannt. Die Referentin vertrat die These, dass sich die kirchlichen Autoritäten auf staatliche Richter stützten, um eine „sittliche Reform“ in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu erreichen. Audiencia von Santafé. Er interpretierte die Justiznutzung durch Indigene als eine Form von Widerstand und Anpassung. Obwohl die Denunziation von Misshandlungen ein ständiges Phänomen in der Kolonialzeit war, veränderten sich im Laufe des 18. Jahrhunderts – vor allem aufgrund von Reformen des Rechtssystems und einer anderen Repräsentation der Indigenen – die Bedingungen und Charakteristika dieser rechtlichen Beschwerde. Die indigenen Akteure bewiesen in ihren Klagen und rechtlichen Verteidigungsstrategien eine gute Kenntnis des kolonialen Rechtssystems; sie äußerten Gehorsam gegenüber der Kirche, widersetzten sich aber konkreten Missbräuchen. GILBERTO ENRIQUE PARADA GARCÍA (Ibagué) präsentierte eine sozialhistorische Studie von Kriminalfällen (1820-1830). Er versuchte zu zeigen, dass sich in der ersten Dekade nach der Unabhängigkeit ein „religiöses Schema“ in der Interpretation der Deliktskategorien erhalten habe und dass traditionelle juristische Begriffe weiterhin Anwendung fanden, die nicht mit republikanischen Ideen von Justiz und Strafrecht übereinstimmten. In den behandelten Kriminalfällen (Raub und Totschlag) stellte der Referent eine Mischung religiöser und liberaler semantischer Komponenten fest, die angewandt wurden, um Kriminelle in Bogotá zu lokalisieren. Die folgenden Deliktsorte wurden dabei herausgestellt: Straße, Marktplatz und vor allem kleine Läden. Im gleichen Untersuchungszeitraum beschäftigte sich NICOLÁS CEBALLOS BEDOLLA (Medellín) mit von „indios“ angestrengten Klagen gegen Missbrauch durch Kleriker im Gerichtsbezirk der Die fünfte Sektion des Seminars – zu “juristischen Kulturen und religiöser Legitimität” – wurde von FRANCISCO A. ORTEGA (Bogotá) moderiert. Das Referat von GUILLERMO AVELEDO COLL (Caracas) widmete sich zunächst der “religiösen Frage” in den politischen Diskursen Venezuelas (1810-1830). Er beobachtete, dass in dieser Zeit die Eliten ihre „monarchisch-katholischen“ Ansichten zunehmend zugunsten einer „säkular-republikanischen“ Perspektive aufgaben. Die Untersuchung von Büchern, Briefen und Flugblättern zeigte zudem, dass westliche moderne politische Ideen in Venezuela zirkulierten. Der Referent identifizierte fünf „politisch-religiöse 7 8 Sprachen“: “katholischer Absolutismus”, “katholischer pactismo”, „christlicher Republikanismus“, „kreolischer Republikanismus“ und „liberaler Republikanismus“. Die untersuchten Diskurse behandelten u. a. die Frage der Kultfreiheit, die religiöse Legitimation der politischen Ordnung, das Patronatsrecht und die moralischen Tugenden „guter Republikaner“. wurde klar, dass die – sowohl von der liberalen als auch von der konservativen Historiographie überbewerteten – „liberalen Reformen“ aus der Mitte des 19. Jahrhunderts die Trennung beschleunigten; andererseits ließen sie viele noch nicht gelöste Konflikte deutlich werden, die zwischen Staat und Kirche in den Jahrzehnten zuvor, ja seit spätkolonialer Zeit bestanden hatten. ANDRÉS BOTERO BERNAL (Medellín) konstatierte in seinem Vortrag eine Laisierung der gerichtlichen Eidespraxis im Laufe des 19. Jahrhunderts in Kolumbien. Er stützte sich dabei auf die Interpretation von Normen, Prozessakten und einigen causes célèbres. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts habe noch eine enge Beziehung zwischen Religion und Eidespraxis vor säkularen Gerichten in Zivil- und Strafsachen bestanden. Der Wert eines religiösen Schwurs als Garant der Wahrheit – begründet im kanonischen Recht, in der Moraltheologie und Katechismen – wurde im Prozess sichtbar, der sich der Zeugenaussage als des wichtigsten Beweismittels bediente. Noch Mitte des 19. Jahrhundert folgte der gerichtliche Eid religiösen Riten, indem Gott angerufen oder ein religiöses Objekt berührt wurde. Seither jedoch verlor die Eidesformel an Feierlichkeit. Richter schenkten anderen Beweismitteln größere Glaubwürdigkeit: Dokumenten und Sachverständigen. Nach jeder Sektion kommentierten die jeweiligen Moderatoren die Vorträge; die Diskussionen fanden in einem konstruktiven Ambiente statt. Obwohl nicht alle kritischen Meinungen und Anregungen widergegeben werden könnten, sollen in diesem letzten Teil des Berichts die von Kommentatoren, Referenten und anderen Teilnehmern geäußerten Wortmeldungen zusammengefasst werden. Die abschließende Debatte begann mit einem Resümee der in den Vorjahren veranstalteten Seminare dieser Reihe in Mexiko-Stadt (2011) und Lima (2012). Im Vergleich zu ihnen unterschied sich das Seminar über Neu-Granada – „eine periphere, aber keine marginale Region“ (in Worten eines Referenten) – prima vista in vierfacher Hinsicht: Es gingen mehr Themenvorschläge über das 18. und 19. Jahrhundert ein als über die früheren Jahrhunderte; Themen der höheren Bildung und der religiösen Orden (besonders S.J. und O.P.) waren stark vertreten; kirchliche Normativität im kulturellen Leben wurde hingegen kaum erwähnt; schließlich war ein verstärktes Interesse an der Untersuchung politischer und religiöser Sprache(n) zu registrieren. Über diese vergleichenden Beobachtungen hinaus lassen sich folgende Aspekte hervorheben. Im letzten Referat behandelte JOSÉ DAVID CORTÉS GUERRERO (Bogotá) das Staats-Kirchen-Verhältnis in Kolumbien zwischen 1824, als die junge Republik das Patronat übernahm, bis zur Trennung beider Gewalten (1853). Der Vortragende zeigte, dass die Spannungen zwischen Staat und Kirche in dieser Zeit zunahmen; er diskutierte den Vorschlag einer religiösen Toleranz in den 1820er Jahren oder die Kritik daran, dass der Staat sich nicht um die Religion kümmere. 1835 erkannte der Heilige Stuhl die Unabhängigkeit des Landes an. Wenig später initiierte die Katholische Kirche einen Prozess der „Wiederherstellung“, doch die „Restauration“ der Societas Iesu währte nur kurz (1844-1850). Es 9 Zahlreiche der vorgestellten Forschungsvorhaben basierten auf Quellen aus Archiven, von denen einige nur selten konsultiert werden. Obwohl in Kolumbien wie Venezuela der Zugang zu kirchlichen Archiven schwierig ist, sind einige dominikanische und jesuitische Archive für die Forschung geöffnet. Die Notwendigkeit, archivalische Quellen zu konsultieren, verdankt sich u.a. der Tatsache, dass vor dem letzten Drittel des 18. Jahrhundert keine (Buch-)Druckereien in Neugranada existierten; die imprenta real 10 wurde 1777 gegründet. Daher sind die erwähnten Transkriptions-, Editions- und Digitalisierungsprojekte verdienstvoll – von theologischen und rechtlichen Werken, aber auch von kolonialen Gemeindebüchern, die das AGN digitalisiert. Insgesamt hat es sich als vorteilhaft erwiesen, einen weiten Untersuchungszeitraum – vom 16. bis 19. Jahrhundert – zu wählen. In einigen Vorträgen wurden zeitliche Sprünge kritisiert und angemahnt, die Themen chronologisch genauer zu situieren. Bei anderen Referaten führten die mittel- und langfristigen Perspektiven zu innovativen Ergebnissen, weil das Studium von Kontinuitäten zeigte, dass für bestimmte Institutionen angenommene Zäsuren relativiert wurden (besonders vom 19. in das 18. Jahrhundert blickend). Arbeiten zum 18. Jahrhundert wiederum konnten von einer besseren Kenntnis der einschlägigen Historiographie zu früheren Jahrhunderten profitieren. Es wurde empfohlen, die jeweiligen Dynamiken kirchlicher Institutionen herauszuarbeiten. Einige vorgestellte Arbeiten wurden kritisiert, weil sie sich zu sehr auf lokale Einzelheiten beispielsweise einer Pfarrgemeinde konzentrierten, ohne eine darüber hinausgehende Forschungsfrage zu verfolgen. Es wurde angeregt, besser zu erklären, warum eine konkrete Fallstudie ausgewählt wurde, um ihre Relevanz jenseits der regionalen Bedeutung zu erkennen. In einigen Fällen regte man an, die verwendete Terminologie (z.B. „Feudalismus“) zu hinterfragen. Weitere lexikalische und methodologische Fragen bezogen sich auf Begriffe wie “transición” oder “reconstitución”, mit denen historische Prozesse bezeichnet wurden. Es bestand Konsens, dass die Wege von „zirkulierenden“ rechtlichen oder theologischen Ideen mitsamt ihren sozialen Kontexten untersucht werden müssten; hier besteht noch großer Bedarf nach Archivforschung. Der referierte Ansatz, politische oder religiöse Sprachen (vor allem des 19. Jahrhunderts) zu studieren, unterscheidet sich deutlich von der traditionellen Ideengeschichte. 11 Herausgestellt wurden die Notwendigkeit eines adäquaten Forschungsstandes für jedes Projekt und die kritische Lektüre der vorhandenen Literatur. Oft aber fehle es an einer besseren Kommunikation mit der internationalen Historiographie. Viele der vorgestellten Arbeiten blieben einer nationalen Historiographie verhaftet und nahmen Forschungsliteratur aus anderen lateinamerikanischen oder europäischen Ländern nicht oder kaum zur Kenntnis. Man rief zur internationalen Zusammenarbeit auf, um den historiographischen Austausch, aber auch die Zirkulation von Quellen (z.B. über Plattformen) zu ermöglichen. Ein weiteres Hindernis stellten ideologische Tendenzen in einigen Forschungsbereichen dar. So finden sich noch immer, besonders in Bezug auf kirchliche Institutionen, einseitige Darstellungen, die zwischen Positivismus, Apologie und Antiklerikalismus oszillieren. Dies war augenfällig bei der Literatur zur Scholastik (und der Schule von Salamanca) sowie bei Themen zur Epoche der Aufklärung (und den Bourbonischen Reformen). Eine komparatistische Perspektive wurde mehrfach als wünschenswert bezeichnet. Erstens bezog sich dies auf Vergleiche zwischen Kolumbien (Neu-Granada), Venezuela und Ecuador, um Unterschiede und Ähnlichkeiten in den drei Territorien Großkolumbiens (1821-30) herauszuarbeiten. Zweitens wurde eine hispanoamerikanische Sicht als sinnvoll erachtet. Drittens sollte die europäische Geschichte, vor allem die spanische, nicht vergessen werden, ohne die sich nicht sinnvoll Beziehungen und Spannungen zwischen „Zentrum“ und „Peripherien“ erklären ließen. Mit Bezug auf die indigene Bevölkerung verwendeten einige Referenten den Begriff “los indios” (und waren sich dabei des rechtlichen Hintergrunds und der mit dem Begriff evozierten Stereotypen bewusst); andere stellten die ethnische und linguistische Diversität heraus und wiesen beispielsweise darauf hin, dass die „Ethnie der Muisca“ eine koloniale Erfindung war. Obwohl der Begriff „indio“ auch ein juristischer Begriff war, sollte versucht 12 werden, die indigenen Akteure mit ihren sozialen und ethnischen Aspekten näher zu charakterisieren. Hinsichtlich der von Indigenen angestrengten Prozesse solle der lokale Kontext und mögliche Konflikte berücksichtigt werden. So hatten indigene Anklagen von Priestern vielleicht auch andere Ursachen als die vorgebrachten Missbräuche. Einige Vorträge sprachen von „colonizadores“ und „dominados“. Statt aber – wie noch in der Historiographie der 1970er Jahre – Dominanz und Widerstand allzu schematisch gegenüberzustellen, wurde angeregt, die individuellen und partikulären Aspekte der behandelten Fälle zu untersuchen. Einige der innovativsten Arbeiten lassen sich an den Grenzen der Disziplinen verorten. Ein gutes Beispiel fruchtbarer Interdisziplinarität im Seminar war die Zusammenarbeit zwischen Historikern und Theologen. Viele Teilnehmer – nicht nur Kleriker – beklagten eine Säkularisierung des Studiums und den Verlust fundamentaler Kenntnisse über kirchliche Institutionen. Andere Kommentare bemängelten das universitäre Angebot in Kolumbien: es fehlen rechtshistorische Kurse für Historiker ebenso wie anthropologische und methodisch reflektierte historische Seminare für Juristen. Ein venezolanischer Referent stellte die Bedeutung der Rechtsgeschichte für die universitäre Bildung von Historikern und Politikern seines Landes heraus. Verschiedene Stimmen äußerten die Notwendigkeit kirchenrechtlicher Einführungen für (Rechts)Historiker und moderner Nachschlagewerke, wie das erwähnte Diccionario Histórico de Derecho Canónico en Hispanoamérica y Filipinas (DCH). dass sich Recht nicht auf verschriftlichte Normen reduzieren lasse (“law in books”, nach der klassischen Formulierung von Roscoe Pound), sondern dass man auch die Praxis einbeziehen müsse (“law in action”). Daher sei die Erforschung der Normativität, normativer Diskurse und der rechtlichen Praxis – juristische Themen im eigentlichen Sinne – mit der Untersuchung von Religiosität, Religionspolitik und Sozialgeschichte zu verbinden. Von besonderem Interesse mit Blick auf kirchliche Institutionen im Nuevo Reino de Granada sei das Problem der Multinormativität, das sich aus dem Zusammenfluss von staatlichem Recht, kanonischem Recht und Moraltheologie ergebe. Wie schon bei den vorangegangenen Veranstaltungen beabsichtigt das MPIeR, die auf Spanisch verfassten Beiträge des in Bogotá abgehaltenen Seminars in einer Institutsreihe nach einer PeerReview-Begutachtung zu veröffentlichen. Das vierte Seminar dieser Reihe soll im November 2015 in São Paulo stattfinden und sich in regionaler Hinsicht Brasilien widmen. Ein entsprechender Call for Papers wird voraussichtlich im April 2015 veröffentlicht. Weitere Informationen finden sich unter folgender Adresse: <http://www.rg.mpg.de/seminario_normatividades> Otto Danwerth (Frankfurt am Main) Dieser Zustand hat unter anderem damit zu tun, dass die Rechtsgeschichte in Kolumbien nicht als eigene Disziplin mit langer Tradition existiert. Historiker, Juristen, Theologen oder andere Wissenschaftler, die sich diesem Forschungsgebiet widmen, bringen ganz unterschiedliche Vorkenntnisse und Erfahrungen mit. Viele Referenten unterstrichen die Bedeutung „des Rechtlichen“ für die Menschen des 16. bis 19. Jahrhunderts. Man war sich einig darin, 13 14 Seminarprogramm Nuevos campos de investigación en la historia de las instituciones eclesiásticas y sus normatividades en el Nuevo Reino de Granada (siglos XVI-XIX) Jueves, 20 de junio 2013 Saludos iniciales Primera Sesión: Elaboración de figuras jurídico-teológicas Carlos Arturo Arias Sanabria (Pontificia Universidad Javeriana, Bogotá) Restitutio como problema moral y jurídico en un manuscrito del siglo XVII de la Nueva Granada Juan Sebastián Ballén Rodríguez (Universidad Santo Tomás, Bogotá) Fundamentación histórica al surgimiento del pensamiento científico tomista en la Nueva Granada: el problema de la libertad en fray Jacinto de Buenaventura O.P. (1730-1786) Segunda Sesión: Políticas de misión y conflictos de jurisdicción Juan Fernando Cobo Betancourt (Universidad de Cambridge) El colonialismo en la periferia: la política lingüística de las autoridades eclesiásticas del Nuevo Reino de Granada, 15741625 Andrés Castro Roldán (Universidad de Rennes 2) Evangelización de indios y secularización del clero: una mirada crítica a las políticas jesuitas en el Nuevo Reino de Granada (1598-1700) Neida Jiménez Navarro (Universidad del País Vasco, Vitoria) Capellanía o auto de legos: Dos argumentos de un litigio entre el obispo y el gobernador en la Provincia de Venezuela de 1618 Jorge A. Gamboa (ICANH, Bogotá): Discusión María E. Hernández Carvajal / Wilmar Roldán Solano (Centro de Estudios Teológicos y de las Religiones, Universidad del Rosario, Bogotá) “El hablar temporal, puso en vuestro brazo las eternidades en tiempo”. Pensamiento y teología en Cuna mística, obra inédita de Fray Cristóbal de Torres O.P., siglo XVII Fabio Ramírez (Bogotá): Discusión 15 16 Viernes, 21 de junio 2013 Tercera Sesión: Ordenes religiosas y educación Cuarta Sesión: Administración de la justicia eclesiástica Juana María Marín Leoz (Pontificia Universidad Javeriana, Bogotá) La familia bartolina. Los colegiales del Real Seminario de San Bartolomé de Santafé, 1742-1792 Julián Andrei Velasco Pedraza (Universidad Nacional Autónoma de México) Administrar la fe: Consideraciones y propuestas de análisis en torno a la administración de curatos (villas de San Gil y Socorro, 1780) Cesar Augusto Vásquez García (Universidad Santo Tomás, Bogotá) Las políticas educativas de la Comunidad Dominicana: Nuevo Reino de Granada (siglos XVIII y XIX) Fabián Leonardo Benavides Silva (Universidad Santo Tomás, Bogotá) El Convento Universidad San José en Cartagena de Indias durante la independencia William Elvis Plata (Universidad Industrial de Santander, Bucaramanga) “Dios está muy alto y el Rey vive muy lejos”. O de cómo los dominicos neogranadinos afrontaron las reformas borbónicas (siglo XVIII) María Victoria Montoya Gómez (Universidad Nacional Autónoma de México) Algunas hipótesis respecto a la justicia eclesiástica en materia de relaciones ilícitas y reforma de las costumbres. La ciudad de Antioquia, 1750-1809 Nicolás Ceballos Bedolla (Universidad de Antioquia, Medellín) “Dando rejo con sus consagradas manos“. Quejas de indígenas contra abusos cometidos por miembros del clero en el Nuevo Reino de Granada, 1750-1810 José Fernando Rubio (Bogotá): Discusión Gilberto Enrique Parada García (Universidad del Tolima, Ibagué) El locus del crimen: la tienda. Un análisis histórico y social de las ideas de la justicia en la Nueva Granada, 1820-1830 Presentación de proyectos de investigación del MPIeR Diana Bonnett (Universidad de los Andes, Bogotá Bogotá): Discusión Benedetta Albani Otto Danwerth Pilar Mejía 17 18 Sábado, 22 de junio 2013 Quinta Sesión: Culturas jurídicas y legitimidad religiosa Guillermo Aveledo Coll (Universidad Metropolitana, Caracas) La cuestión religiosa en los lenguajes políticos durante la crisis de la sociedad colonial venezolana (1810-1830) Andrés Botero Bernal (Universidad de Medellín) Jurar, rezar y testificar: el fundamento religioso del juramento procesal en la primera mitad del siglo XIX en la Nueva Granada José David Cortés Guerrero (Universidad Nacional de Colombia, Bogotá) Las relaciones Estado-Iglesia en los primeros años republicanos. Colombia: Del Patronato republicano (1824) a la separación (1853) Francisco A. Ortega (Bogotá): Discusión Debate final _______________________________________________________ Ein weiterer Bericht ist auf folgendem Portal veröffentlicht: H-Soz-Kult (15.11.2014): http://www.hsozkult.de/hfn/conferencereport/id/tagungsberichte-5704 _______________________________________________________ 19