Die Bemessung des merkantilen Minderwertes im Licht neuerer

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Die Bemessung des merkantilen Minderwertes im Licht neuerer
Die Bemessung des merkantilen Minderwertes
im Licht neuerer Rechtssprechung
Dipl.-Ing. Klaus Kukuk, Overath.
1.1 Enttäuschung wenn es „kracht“
Schon immer war das Kraftfahrzeug nicht nur Transportmittel sondern eher Ausdruck
technischer Faszination für den Automobilisten, aber, zumindest seit der Ölkrise 1973, auch
notwendiges Übel in Zeiten der individuellen Mobilität und der zusätzlich drohenden
Klimakatastrophe.
Die Automobilwirtschaft ist heute in der Lage Fahrzeuge zu fertigen, die an Langlebigkeit
und Qualität Standards erreicht haben, die dem allfälligen Umdenken der Gesellschaft in
Richtung Nachhaltigkeit und Ressourcenschutz den Weg bereitet. Waren die
Standardfahrzeuge der 60er und 70er Jahre des letzten Jahrhunderts qualitätstechnisch eher
ein Spiegelbild der Wegwerfgesellschaft so hat sich der Anspruch an ein Automobil völlig
gewandelt und ist heute eher vergleichbar mit einem Anspruch an Qualität und Haltbarkeit,
der früher nur Besitzern von Fahrzeugen der Oberklasse wie z. B. von O.W. Bentley, Rolls
Royce und Aston Martin gefertigt zu eigen war.
Aber, mit der Faszination einher, geht, eine ungleich große Enttäuschung, wenn es „kracht“.
Es gilt diese, mit den Verkehrsunfallbeschädigungen zusammenhängende Minderung des
Verkehrswertes zu betrachten.
1.2 Rechtssprechung zur Wertminderung
In seiner Entscheidung vom 30.05.1961 VersR 61 1043,58,453 (1 zum merkantilen
Minderwert hat sich der BGH 1961 unter Aufgabe der bis zu diesem Zeitpunkt getätigten
Rechtssprechung dazu bekannt, dass der bei einem Verkehrsunfall an einem Kraftfahrzeug
(Kfz) eingetretene merkantile Minderwert ohne Rücksicht darauf, ob das Fahrzeug verkauft
wird oder nicht, durch einen Geldbetrag zu erstatten ist.
Im Urteil vom 03.10.1962 Z 35,396,399 (2 hat der Bundesgerichtshof die Zubelegung eines
merkantilen Minderwertes bei einem Fahrzeug mit einer Fahrleistung von über 100 000 Km
nicht beanstandet. In einer späteren Entscheidung vom 18.09.1979 VersR 1980 46,47 (3 hat
der Bundesgerichtshof erwogen bei Personenwagen könne im Allgemeinen eine Fahrleistung
von 100 000 Km als Obergrenze für den Ersatz eines merkantilen Minderwertes angesetzt
werden.
Die frühen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes der 60iger und 70iger Jahre, die dafür
sorgten, dass bis über den Jahrtausendwechsel hinaus einer Wertminderung in der Regel bis
100.000 km zugesprochen wurde, sind heute nicht mehr zeitgemäß.
Das Landgericht Oldenburg hat schon am 11.10.1989 Aktenzeichen 4 S 920/89 (4 erkannt,
das: „auch bei Fahrzeugen mit einem Alter von über 5 Jahren und einer Laufleistung von
mehr als 100 000 Km ist eine Wertminderung zu erstatten.“… Es ist nicht zu verkennen, das
die Fortentwicklung der modernen Produktionstechnik in den vergangenen Jahren dazu
geführt hat, das mittlerweile Fahrzeuge produziert werden, deren Lebensdauer sich in einem
Zeitraum von 5 Jahren bei weitem nicht erschöpft und deren Laufleistung oft mehr als
200 000 Km erreicht.“
Vergleiche Landgericht Scherden 01.06.1990 Aktenzeichen 6 S 243 89 (5 :„ Die
Berechungsmethode Ruhkopf-Sahm ist für die Ermittlung einer merkantilen Wertminderung
nur anzuwenden, wenn es an konkreten Feststellungen durch einen herangezogenen
Sachverständigen mangelt.“
Der Bundesgerichtshof hat dann am 23.11.2004 in seinem Urteil Nr.: VI ZR 357/03 (6 erkannt:
„Diese Bedeutung kann sich im Laufe der Zeit mit der technischen Entwicklung und der
zunehmenden Langlebigkeit der Fahrzeuge (z.B.: in Folge längerer Haltbarkeit von Motoren,
Vollverzinkter Karosserien etc.) ändern. Ein entsprechender Wandel auf dem
Gebrauchtwagenmarkt spiegelt sich insbesondere in der Bewertung von Gebrauchtfahrzeugen
durch Schätzorganisationen wie Schwacke und DAT wieder, die in Ihren Notierungen
inzwischen bis zu 12 Jahre zurück gehen und ausdrücklich darauf hinweisen, das sich
sämtliche Marktnotierungen auf unfallfreie Fahrzeuge beziehen.“
1.3 Langlebigkeit
Die Fortentwicklung der modernen Produktionstechnik hat in den vergangenen Jahren dazu
geführt, das Fahrzeuge mit sehr hoher Lebenserwartung und Laufleistungen von mehr als
200 000 km produziert werden, auch Laufleistungen von 500 000 km sind nicht mehr die
absolute Ausnahme.
In den 60er-Jahren war es z.B. laut Herstellervorschriften beim Mercedes Benz 200
erforderlich, alle 2.500 km das Motoröl zu wechseln. Heute sind Ölwechselintervalle bei einer
10-fachen Laufleistung die Regel.
Vollverzinkte Karosserien und Herstellungsverfahren mit geringen Toleranzen und hohem
Reinheitsgrad katapultieren die durchschnittliche Lebenserwartung der Fahrzeuge weit über
die 10-Jahres-Grenze hinaus.
Fast alle Hersteller haben Ihre Garantieleistungen auf drei/ fünf Jahre und/ oder 100.000 Km
ausgedehnt. Durchrostungsgarantien bis zu 12 Jahren sind heute die Regel.
In den Kulanzabteilungen werden Anträge bis zu 300.000 km im PKW Bereich bearbeitet
(LKW Bereich bis 1.000.000 km!).
Die Grenze, bis zu welcher nach heutigen Maßstäben eine Minderung des Fahrzeug in der
Regel durch den Markt diktiert wird, ist eher fließend. Sie hat direkt mit dem Fahrzeugwert
selbst zu tun und endet bei solchen Fahrzeugen, die einen derart geringen Handelswert haben,
dass ein messbarer Minderwert nach Beheben der Unfallschäden nicht mehr eintritt, und
beginnt in dem Bereich, wo die Beschädigung aufgrund eines Unfallschadens über die
Bagatellgrenze hinweg gehen.
Nach der ständigen Rechtssprechung handelt es sich beim merkantilen Minderwert um eine
Minderung des Verkehrswertes, die trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines
bei einem Unfall erheblich beschädigten Kraftfahrzeugs allein deshalb verbleibt, weil bei
einem großen Teil der Kaufaspiranten, vor allem wegen des Verdachts verborgen gebliebener
Schäden, eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb unfallbeschädigter
Fahrzeuge besteht. Diese Wertdifferenz stellt einen unmittelbaren Sachschaden dar:
Darüber hinaus ist bei Oldtimern zu prüfen, ob und in welchem Umfang Originalsubstanz
beschädigt/zerstört wurde:
Original – Lackierung
Original – Zier- und Anbauteile
Original – Blechteil
Original – Rahmen
Original – Fahrwerk
Original – Antrieb
Original – Innenausstattung
etc.
Der Verlust von Originalität, er ein wichtiges Kriterium / Bestandteil des Fahrzeugwertes
darstellt, ist unwiederbringlich und hat entsprechende Auswirkungen auf den Wert des
Fahrzeugs.
Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass ein Unfall das Alleinstellungsmerkmal der
Unversehrtheit eines Fahrzeuges zerstört.
1.4 Massenverfahren- Wertminderungsberechnung
Die Ermittlung des merkantilen Minderwertes nach einem Unfall bei sach- und fachgerechter
Reparatur ist ein Massenverfahren und daher auf Typisierung und Vereinfachung angewiesen.
1.5 Faktoren zur Wertminderungsberechnung
Die entscheidenden Faktoren für die Bemessung des Minderwertes sind weiterhin der
Schadensumfang und der Wert des beschädigten Fahrzeugs wie auch schon im Aufsatz des
Assessors Rolf Ruhkopf und Ingenieurs Karl Heinz Sahm „über die Bemessung des
merkantilen Minderwertes“. 01.07.1962 VersR 62/593 (7 erläutert. Die Reparaturkosten geben
Auskunft über den Umfang der Beschädigung und stehen im direkten Zusammenhang zum
merkantilen Minderwert. Der zweite wesentliche Faktor ist der Wert des Fahrzeugs. Bei Ihm
spielen auch und gerade der Pflegezustand, Verkauf aus erster Hand, Erstlackierung, Garantie,
Fabrikat und Kilometerleistung vor dem Unfall eine dominierende Rolle.
1.5.1 Der Wert des Fahrzeuges
Für die zusätzliche Betrachtung der Fahrzeuge über eine Laufleistung von 100 000 Km und
bei einem Alter von 5 Jahren hinaus ist es zum einen wichtig zu beurteilen, in wie weit sich
der Handelswert des Fahrzeugs über die Zeitachse unter Berücksichtigung des
Benutzungsgrades verhält. Erreicht ein Fahrzeug einen derart geringen Handelswert das ein
messbarer Minderwert nach Beheben der Unfallschäden nicht mehr eintritt, fällt ein solches
Fahrzeug aus dem Raster. Häufig fällt der Handelswert bei einem neuen Fahrzeug über der
Zeitachse beschrieben parabelförmig ab. Nach Erreichen seines Tiefpunktes gibt es bei
einigen Fahrzeugen jedoch den Fall, das der Handelswert über die Zeitachse wieder ansteigt.
Diese sind nachfolgend Sammlerfahrzeuge/Youngtimer die zukünftigen Oldtimer und sollten
bei der Betrachtung nicht unberücksichtigt bleiben.
Wenn sich ein 1911 kettenbetriebener Double Phaeton Mercedes in völligem Originalzustand
und unter Umständen noch in der ersten Lackierung des Herstellers befindet und der
Hersteller keinerlei Unterlagen mehr über das Fahrzeug hat, so ist dieses Fahrzeug als
Zeitzeuge sehr wertvoll. Anhand des Fahrzeuges kann geprüft werden, ob
Vergleichsfahrzeuge richtig bzw. nach zeitgenössischer Methode restauriert wurden.
Das ein solches Fahrzeug schnell den vielfachen Wert eines nicht original erhaltenen sondern
schon eventuell des Öfteren restaurierten Vergleichsfahrzeuges erreichen kann, ist erklärlich.
Der Wert eines Autos nimmt in der Anfangsphase in der Regel ab.
Es erlebt eine Talsohle des Wertes. Der Wert pflegt daraufhin bei gleichbleibend gutem
Erhaltungszustand wieder anzusteigen.
Der Wertanteil eines Sammlerfahrzeugs mit dem Alleinstellungmerkmal der Unversehrtheit,
nimmt mit Alter und Seltenheit des Fahrzeugs zu, und kann bei entsprechender Seltenheit
durchaus Zwei-Drittel des Wertes und mehr ausmachen.
Wertparabel
!
1.5.2 Reparaturkosten/Schadenumfang
Sobald die Unfallreparatur einer Totalrestaurierung nahe kommt, und alle Faktoren des
Alleinstellungsmerkmals durch den Unfall unwiederbringbar zerstört wurden, ist die größte
merkantile/technische Minderung des Wertes eingetreten.
Der zuständige Zivilrichter wird die Minderung des Wertes im Gesamtzusammenhang des
beschädigten Fahrzeuges im Verhältnis des Marktes unter Berücksichtigung des teilweise oder
vollständigen Verlustes des Alleinstellungsmerkmales zu würdigen wissen.
Klaus Kukuk
Anlage Dekra Bericht
(1 BGH vom 30.05.1961 VI ZR 139/60 VersR 61 1043,58,453,707,708
!
(2 BGH vom 03.10.1961 Z 35,396,399
(3 BGH vom 18.09.1979 VersR 1980 46,47
(4 LG Oldenburg vom 11.10.1989 4 S 920/89
(5 LG Scheiden vom 01.06.1990 6S 243 89
(6 BGH vom 23.11.2004 Vi ZR 357/03
(7 Aufsatz Ruhkopf- Sahm vom 01.07.1962 VersR 62/593

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