Infobrief August 2014
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Infobrief August 2014
Infobrief Biografiearbeit www.lebensmutig.de August 2014 Liebe Leserin, lieber Leser! Im Sommer schweifen wir gerne in die Ferne. Wieder zurück gibt es viel Stoff zum Erzählen. Oder um darüber zu schreiben: beim Gestalten von Reisetagebüchern sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Noch viel mehr Stoff bietet freilich die ganz große, die Lebensreise, auf der wir uns gerade befinden. Da wir jedoch mittendrin stecken, sehen wir die Besonderheiten oft erst im Nachhinein. Wie sind wir gestartet, wie kurvenreich war die Strecke und welche Weichen können wir noch stellen? Es lohnt sich, über die Stationen der eigenen Lebensreise zu schreiben – aber wie anfangen? Hier kann vielleicht die „Heldenreise“ weiterhelfen. Wer sich hinein vertieft, findet einen Satz von Bauelementen, die beim Niederschreiben eigener Lebensepisoden helfen können. Probieren Sie es, Sie werden staunen! Den Reiselustigen und den genussvoll zuhause Verharrenden wünsche ich eine schöne Sommerzeit. Gesine Hirtler-Rieger www.schreibwerkstatt-passau.de „Die Heldenreise“ oder: Was passiert da gerade? Um was geht es: Der amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell (1904-1987) hat festgestellt, dass allen Mythen, Sagen und Märchen ein Modell zugrunde liegt: die „Heldenreise“. Dieses Modell hat Strukturmerkmale, die wie ein Bausatz angewandt werden können. Der Held: der Begriff gilt für alle Lebewesen. Es ist die Prinzessin im Märchen genauso wie der Held des Alltags: die Putzfrau aus Bosnien, die sich und ihre Kinder durchbringen muss. Der Büromensch, der gegen Burnout kämpft. Die Seniorin, deren Mann stirbt. Die Stationen der Heldenreise: die Heldenreise ist immer ein Aufbruch ins Unbekannte. Der Held verlässt sein geLebensMutig e.V. – Gesellschaft für Biografiearbeit – www.lebensmutig.de 1 Infobrief Biografiearbeit August 2014 wohntes Leben und stellt sich neuen Herausforderungen. Am Ende kehrt er bereichert zurück. Zwölf Stationen gibt es: Der Held erfährt einen Mangel oder wird plötzlich vor eine neue Aufgabe gestellt. Er weigert sich zunächst, weil er seine sichere Umgebung nicht verlassen will, überwindet dann aber sein Zögern. Erste Probleme treten auf, die sich als Prüfungen erweisen. Mentoren erscheinen und stehen ihm zur Seite. Weiter geht es mit schweren Prüfungen bis hin zur entscheidenden Feuerprobe, im Märchen etwa der Kampf mit dem Drachen, der sich oft als Kampf gegen die eigenen Widerstände erweist. Schließlich gelingt es dem Helden, den Schatz/das Elixier zu rauben – das kann auch eine innere Erfahrung sein, symbolisiert durch einen Gegenstand. Doch erst wenn der Held die Rückkehr in die Welt des Alltags antritt und das Errungene in sein Leben integrieren kann, ist die Reise gelungen. In Wikipedia finden wir alle Stationen einzeln aufgeführt. Was hat das mit mir zu tun? Ich kann es auf fast jede Situation meines Lebens anwenden. Wer über Lebenserfahrungen schreiben will, findet hier einen differenzierten Handwerkskasten vor. Freilich muss nicht jede „Heldenreise“ so komplex aufgebaut sein – manche Stationen kann man auch zusammenfassen: Ein Beispiel: 1. Ruf: Über 50 Jahre hat das Ehepaar zusammengelebt. Mit 80 Jahren stirbt der Mann. Die Heldin trauert und weiß: hier in ihrem riesigen alten Haus will und kann sie nicht alleine zurückbleiben. Etwas muss sich ändern. 2. Weigerung: Soll sie wirklich aus ihrem Geburtsort wegziehen, in die Nähe ihrer Kinder, die hunderte Kilometer weit weg leben? Sie zögert. 3. Aufbruch: Sie beschließt, das Haus zu verkaufen, sucht sich eine betreute Wohnung in der Nähe ihrer Tochter und meldet den Umzug an. 4. Auftreten von Problemen: Sie muss das Haus ausräumen, ihre Kräfte schwinden, sie sieht einen Berg von Aufgaben vor sich, der unüberwindbar scheint. 5. Begegnung mit einem Mentor: Sie findet eine Haushaltshilfe, die sie unterstützt, sowie Verwandte, die ihr helfen. 6. Schwere Prüfungen: Der Tag des Abschieds und des Umzugs ist herangerückt und muss bewältigt werden. Der Umzug von einem Bundesland in das nächste nimmt seinen Lauf. 7. Fortschreitende Probleme und Prüfungen: Alles ist neu, sie muss ganz von vorne anfangen, sich einen neuen Hausarzt, einen Friseur, etc. suchen. Sie nimmt oft die Hilfe ihrer Kinder in Anspruch. 8. Transformation des Helden (Raub des Schatzes): Sie wagt erste selbstbestimmte Schritte, besucht einen Senioren-Gesprächskreis, öffnet sich anderen gegenüber. Sie erkennt, dass sie mit ihren Ängsten nicht alleine ist. 9./10./11.: Rückkehr mit Hindernissen: Die Wohnung ist endlich fertig eingerichtet, alles wird leichter. Doch nun überfällt sie die Trauer um ihren verstorbenen Mann, für die im Umzugstrubel kein Platz war, noch einmal. Sie leidet an depressiven Verstimmungen. 12. Das Ende der Reise mit neu erworbenem Wissen. Sie nimmt die Hilfe eines Therapeuten in Anspruch und lernt, ihr neues Leben anzunehmen. Wendet man dieses Modell an, dann merkt man: wir brechen immer wieder zu einer neuen, ganz persönlichen Heldenreise auf. Wer sich mit den einzelnen Elementen länger beschäftigt, wird seine Heldenreisen besser verstehen lernen – und er wird auch die positiven Veränderungen, die LebensMutig e.V. – Gesellschaft für Biografiearbeit – www.lebensmutig.de 2 Infobrief Biografiearbeit August 2014 damit einhergehen, registrieren. Denn es geht immer auch um eine Reise in unser Innerstes – und wie in jeder guten Geschichte wird der Held/die Heldin wachsen und sich verwandeln. Literaturtipps Christiane zu Salm: Dieser Mensch war ich. Nachrufe auf das eigene Leben. Goldmann Verlag, München 2013. Die erfolgreiche Managerin und Sterbebegleiterin Christiane zu Salm hat ein außergewöhnliches Buch geschrieben: 100 schwerkranke Menschen haben darin kurz vor ihrem Tod ihr Leben Revue passieren lassen. Die knappen Niederschriften, die sich durchweg durch eine kraftvolle, authentische und starke Sprache auszeichnen, beschönigen nichts und wirken lange nach. Das Buch verstört auf eine positive Weise und verändert etwas beim Lesen den Blick auf das eigene Leben. Nach den ersten Häppchen kann man sich dem Sog der nachdenklichen, melancholischen, manchmal auch hoffnungsvollen Geschichten kaum mehr entziehen und verschlingt sie. Und man wird unweigerlich überlegen: wie ist das denn bei mir? Und was könnte sein? Es setzt einen Anreiz, das Leben vom Ende her zu denken. „Das Buch ist ein Geschenk an alle, die leben“, sagte der (kürzlich überraschend verstorbene) Frank Schirrmacher. Recht hat er! Annelies Dietl: Nicht nachweinen. Eine Kindheitsgeschichte. Verlag Sankt Michaelsbund, München 2004. In skizzenartigen kleinen Geschichten erzählt Annelis Dietl von ihrer Kindheit in Regensburg. Die Jahre zwischen 1929 und 1938 werden lebendig, die kleinbürgerliche Enge und Not, die harte Moral, aber auch die Ratlosigkeit der Eltern. Der Stil ist schnörkellos, die Sätze sind kurz und eindringlich und wirken dadurch umso stärker. Die Autorin zieht keine Schlüsse und zwingt die Leser, selbst Stellung zu nehmen. Aus der Perspektive der kleinen Berta erwarten wir das Christkind und ängstigen uns mit ihr vor dem Wuwu, der die unartigen Kinder holt. Wir bekommen hautnah mit, wie sie am Klapperstorch zweifelt, denn die Freundin erzählt heimlich etwas ganz anderes über den Ursprung der kleinen Kinder, was Berta in tiefe Ängste stürzt. Am Ende des Buches legen sich die Schatten des Naziterrors immer stärker auf die kurzen Geschichten und machen die Bedrängnis der Menschen deutlich, die weghören wollen, aber doch lauschen müssen, was im Konzentrationslager passiert. Das schmale Büchlein ist eine tolle Fundgrube für die Nachgeborenen. Bei der Generation der Kriegskinder rufen die Geschichten dagegen sofort zahlreiche Erinnerungen wach: Ja, genau so war das! Die kleinen Skizzen lassen die Finger kribbeln. Gerne möchte man einen Stift in die Hand nehmen und eigene Assoziationen aufschreiben, denn – das vermittelt das Buch kunstvoll - so schwer ist das gar nicht. Annelies Dietls Erinnerungen, die zugleich ein literarisches Dokument sind, fungieren deshalb ganz wunderbar als Türöffner und Impulsgeber in Schreibrunden. Achtung, der Ladenpreis wurde bereits aufgehoben, aber noch gibt es genügend Restexemplare. LebensMutig e.V. – Gesellschaft für Biografiearbeit – www.lebensmutig.de 3 Infobrief Biografiearbeit August 2014 Veranstaltungshinweise 26.-28.9.2014 KREATIVE METHODEN ZUR BIOGRAFIEARBEIT…MIT MUT UND METHODE (Basisseminarreihe Biografiearbeit) Ort: Bildungshaus Neckarelz Referent: Andreas Barde Anmeldung: [email protected] 26.-27.9. 2014 DEN BODEN BEREITEN. DIDAKTIK DER BIOGRAFIEARBEIT (Basisseminarreihe Didaktik) Ort: Haus Marillac Innsbruck, Referentin: Sabine Sautter Anmeldung: [email protected] 26.-27.9.2014 UNTERWEGS IM LABYRINTH. WEGE – LEBENSWEGE - WEGE ZU MIR SELBST In diesem Seminar begegnen Sie Labyrinthen aus unterschiedlichen Kulturen und ihrer Deutung. Sie erhalten Anregung zur Gestaltung eines eigenen Labyrinths und befassen sich mit Aspekten des Labyrinths auf Ihrem eigenen Lebensweg. Ort: Kardinal-Döpfner-Haus Freising Referentin: Ingrid Brütting Anmeldung: www.bildungszentrum-freising.de. 5.10.2014. HERBSTLICHTER. WORKSHOP ZUM BIOGRAFISCHEN SCHREIBEN. Ort: Wien Referentin: Katja A. Fleischmann. Information und Anmeldung: [email protected] 10.-11.10.2014. ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT. (Basisseminarreihe Grundlagen der Biografiearbeit) Ort: Haus Birkach, Stuttgart Referent: Andreas Barde Anmeldung: [email protected] . 27.-29.10.2014. MENSCHEN AUF DEM LEBENSWEG BELEITEN. BIOGRAFISCHE KOMMUNIKATION. (Biografiearbeit und Seelsorge) Ort: Bildungszentrum St. Virgil Salzburg Referentin: Adelheid Widmann. Info und Anmeldung: www.virgil.at LebensMutige Seminare Ausführliche Informationen zur unseren Veranstaltungen finden Sie auf www.lebensmutig.de! LebensMutig: Infobrief Biografiearbeit August 2014, Aufl. 1200 Zusammengestellt von Gesine Hirtler-Rieger: [email protected]. Herausgeber: Kardinal-Döpfner-Haus und LebensMutig – Gesellschaft für Biografiearbeit e.V. Kontaktadresse: Domberg 27, 85354 Freising. Sie können den Infobrief bestellen bzw. abbestellen unter [email protected]. LebensMutig e.V. – Gesellschaft für Biografiearbeit – www.lebensmutig.de 4