El Niño: der teuflische Junge

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El Niño: der teuflische Junge
umwelt
Man muss den peruanischen Fischern, die eines Tages in ihren Netzen keine Fische fanden, gewiss e­ inen
­gesunden Sinn für Humor zusprechen. El Niño nannten sie das Phänomen, das sie zur Weihnachtszeit
­heimsuchte. Zu Deutsch: das Jesuskind. Oder einfach nur: der Junge. El Niño ist allerdings kein Überbringer
froher Botschaften, sondern ein wahrer Teufelsbraten.
Text und Fotos:
stefanie pfändler
Woher er kommt, weiss niemand, doch wenn
er auftaucht, bedeutet er für zwei Kontinente
eine Katastrophe. Normalerweise, also dann,
wenn El Niño nirgends sichtbar ist, befindet sich
im Herbst im östlichen Südpazifik ein grosses
Hochdruckgebiet. Es sorgt für starke Passat­
winde, welche westwärts dicht über die
­Meeresoberfläche fegen und so massenweise
warmes Wasser Richtung Asien tragen. Diese
Wassermassen bewirken, dass der Meeres­
spiegel vor Indonesien immerhin einen halben
Meter höher liegt als jener an der südamerika­
nischen Küste. In Asien drückt das warme
Oberflächenwasser das darunter liegende kalte
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Wasser auf eine Tiefe von 200 Metern. Die
Grenze der beiden Schichten, die Thermo­kline,
liegt dort somit deutlich tiefer als in Südame­
rika, wo das antarktische Tiefen­wasser bis 50
Meter unter die Oberfläche reicht. Doch nicht
nur die Wassermassen werden durch die
­Passatwinde beeinflusst. Die Winde nehmen
auf ihrer Reise viel ­Wasserdampf auf und brin­
gen dadurch viel Feuchtigkeit nach Südostasien.
Kombiniert mit der erhöhten Oberflächen­
temperatur ­bewirkt dies das tropisch-feuchte
Klima der südostasiatischen Inselwelt. Die Folge
ist eine stabile, bodennahe Tiefdrucklage mit
intensiven Gewittern. Der konstante Nach­
schub zwingt die feuchte Luft über Indonesien
aufzusteigen und in grosser Höhe nach Osten
auszuweichen. Viele Kilometer über den
­Passatwinden stellt sich so ein Luftstrom ein,
der in entgegengesetzter Richtung zurück nach
Südamerika fliesst. Dort sinkt er als ­trockene
Luftmasse ab – und sorgt zusammen mit dem
kühlen Meereswasser an den Küsten Perus und
Chiles für ein trockenes Klima. Dieses gross­
räumige System trägt den Namen «Walker­Zirkulation» und hält das Klima der beiden Kon­
tinente in ihrem ­gewohnten Gleichgewicht.
Fast jedes Jahr verlagert sich das südpazifische
Hochdruckgebiet im September etwas weiter
nach Süden und die Passatwinde werden
schwächer. Das im Westpazifik ­angestaute
Warmwasser schwappt nun als so genannte
Kelvinwelle zurück nach Osten und kommt
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marina.ch februar 10
e­ rstreckt sich seine Anwesenheit über ­mehrere
Jahre. Das Phänomen vorauszusagen, ist
­bisher nicht gelungen. Nur eines ist sicher: Es
ist ­uralt und wird auch so bald nicht
­verschwinden. Man vermutet sogar, dass sich
der Klimawandel und El Niño ganz hervorra­
gend vertragen: Durch die erhöhte Luft- und
Wassertemperatur könnte der kleine Junge
sogar gestärkt werden. Und so vielleicht zum
Dauerzustand werden.
Das Satellitenbild zeigt den zu
hohen Meeresspiegel (rot), und
den zu tiefen (blau) vor Asien.
NASA
El Niño: der
teuflische Junge
Das zurückschwappende Wasser kommt mit
viel grösserer Wucht in Südamerika an und da
sich die Passatwinde nicht nach wenigen
­Wochen wieder einstellen, kommt es zu einer
längerfristigen Umkehr des Klimas: Die
­südamerikanische Thermokline wird bis auf
eine Tiefe von 100 Metern ­gedrückt und das
Küstenwasser kann sich um über 5 Grad
­erwärmen. Das warme Wasser schwächt das
ohnehin schon flaue Hoch ­zusätzlich ab und
El Niño kommt nun un­gebremst zum Zug: Das
Tiefdruckgebiet, das normalerweise vor Asien
liegt, verlagert sich Richtung Südamerika.
Die gesamte Walker-Zirkulation dreht sich um.
Die Folgen einer solchen Klimaumkehr sind
verheerend: Südamerika hat nun plötzlich mit
dem eigentlich nach Asien gehörenden
­feuchten Klima zu kämpfen. Die gesamte
­Region wird von Überschwemmungen und
Erdrutschen heim­gesucht. Verkehrswege und
Ernten werden zerstört und das nährstoffarme
Warmwasser setzt der Fischpopulation zu.
Umgekehrt legt El Niño in Südostasien und
Nordaustralien ­alles trocken. Er vernichtet
grosse Teile der Ernten, dezimiert Viehbestände
und verursacht grossflächige Wald- und
Buschbrände.
Wie lange El Niño bleibt, und wie ausgeprägt
er sich zeigt, ist unterschiedlich. Manchmal
Ob Meer oder Landwirtschaft –
beide leiden unter El Niño.
­Bauern in Südostasien sind auf
das feuchte Klima angewiesen.
El Niño legt das Land trocken.
e­ inige Monate später, nämlich zur
­Weihnachtszeit, an der südamerikanischen
­Küste an. Diese Welle ist kaum sichtbar, doch
das Wasser an der südamerikanischen Küste
wärmt sich etwas auf. Normalerweise dauert
diese Umkehr nur wenige Wochen. Danach
stellt sich wieder die gewohnte, westwärts
­gerichtete Strömung ein.
Erdrutsche und Trockenheit
Durchschnittlich alle vier Jahre schwächt sich
das südpazifische Hoch allerdings ungleich
stärker ab als in normalen Jahren. Warum dies
geschieht, ist unklar, doch wenn es passiert, ist
El-Niño-Zeit. Die Passatwinde verschwinden,
da ihnen mit dem Hoch auch der Antrieb fehlt.
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