05.06.2004 - Taubenschlag
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05.06.2004 - Taubenschlag
SEHEN STATT HÖREN ... 05. Juni 2004 1182. Sendung In dieser Sendung: STEUERN SPAREN SCHRIFTDOLMETSCHEN im Einsatz Birgit Hermann gibt Tipps für Gehörlose und Schwerhörige Neue Kommunikationsform für Schwerhörige und Ertaubte jetzt Präsentator Jürgen Stachlewitz im Servicezentrum des Finanzamtes: Hallo, willkommen bei Sehen statt Hören! Meine Steuererklärung habe ich jetzt abgegeben. Und wie ist das bei Ihnen? Wundern Sie sich manchmal, wie viel Ihnen vom Lohn abgezogen wird? Oder wie viel Steuern Sie nachzahlen müssen? Das erleben wir ja immer wieder. Hätten Sie gern ein paar Tipps, welche Möglichkeiten es gibt, Steuern zu sparen? Unsere Moderatorin Hanna Piringer hat erfahren, dass es eine gehörlose Steuerfachfrau gibt, und war bei ihr. Sie kennt sich wirklich sehr gut aus, welche speziellen Steuervorteile für Gehörlose und Schwerhörige es gibt. Davon hat sie wesentlich mehr Ahnung als so mancher hörende Steuerberater! Steuertipps Moderation Hanna Piringer in Nürnberg: Ich bin jetzt auf dem Weg zu einer echten Finanzexpertin. Sie ist gehörlos und wohnt in Nürnberg. Ihr Name ist Birgit Hermann, sie arbeitet in einem Lohnsteuerhilfeverein. Und da werde ich jetzt hingehen! Lohnsteuerhilfeverein (Treppe), Innen Lohnsteuerhilfeverein , Foto Birgit Hermann Beratungsgespräch mit Jan Mezej Birgit Hermann: Wie kann ich helfen? Jan Mezej: Ich war schon mehrmals bei hörenden Beratern und habe sämtliche Unterlagen und Belege vergangener Jahre abgegeben. Dort ging es zum Beispiel um Internatskosten und Unterhaltskosten. Der Berater meinte immer nur „Dies und jenes ist nicht möglich!“. Schließlich hatten wir auch Schwierigkeiten uns zu verständigen. Ich war irgendwie nicht zufrieden. Und die Beratung hat gerade einmal 10 Minuten gedauert. Hanna: Hallo, ich sehe, du hast gerade eine Beratung. Störe ich? Birgit: Moment mal. Als Beraterin habe ich Schweigepflicht. Ich muss ihn erst um sein Einverständnis bitten. Jan: Ja, ich bin einverstanden. - Dann, bitte schön! Birgit: Und wo gibt es da Probleme wegen der Belege und Unterlagen? Jan: Ich bin allein erziehender Vater. Meine Tochter ist auch gehörlos. Sie geht zur Zeit auf die Realschule in München und ist dort im Internat untergebracht. Ich muss für Unterbringung regelmäßig hohe Kosten zahlen. Kann ich die Kosten in meiner Steuererklärung nicht mit angeben? Das weiß ich nicht. Birgit: Moment, da muss ich nachfragen. Ist das Internat in München? Ja, ja. Die Tochter pendelt also regelmäßig zwischen Nürnberg und München? Jan: Ja, die Fahrtkosten habe ich auch bezahlt. Birgit: Dann sind die Kosten auf jeden Fall mit anzusetzen. Das können wir also absetzen. Hierfür brauche ich noch die Unterlagen, also Quittungen oder Rechnungen, die Sie bekommen haben. Jan: Wie sieht es mit meiner Rechtsschutzversicherung aus? Kann ich diese Ausgaben auch absetzen? Bekomme ich da vielleicht etwas zurück? Birgit: Ja, natürlich. Das hängt damit zusammen, dass eine Rechtsschutzversicherung nicht nur für private Zwecke gedacht ist, sondern auch für den beruflichen Bereich gebraucht wird. Sollte es zum Beispiel zu einem Streitfall mit dem Arbeitgeber kommen, wonach Ihnen die fristlose Kündigung ausgesprochen wird, brauchen Sie ja genau für diesen Fall eine Rechtsschutzversicherung. Allerdings werden 40 Prozent der Kosten für den beruflichen Bereich angesetzt. Gleichzeitig können die Kosten für die Unfallversiche- rung, wie bei der Rechtsschutzversicherung, abgesetzt werden. Das ist also auch möglich. Es handelt sich nicht nur um abzugsfähige Sonderausgaben, sondern auch um Werbungskosten, die mit dem Beruf zusammenhängen. Übergabe der Papiere / Jan: Ich habe einige Unterlagen mitgebracht. Birgit / Jan: Ich gebe erst einmal alles in den Computer ein. - Okay. Hanna: Welche Erfahrungen hast du vorher mit anderen, hörenden Steuerberatern gemacht? Jan: Ja, da hatte ich ständig das Gefühl, auf Barrieren zu stoßen. Hier ist alles viel leichter. Ich kann alles fragen. Frau Hermann ist viel geduldiger. Bei den Hörenden war das ganz anders und umständlicher. Zudem war die Beratung schwierig, weil die Berater gesprochen haben und keinen schriftlichen Austausch wollten. Fragen waren da auch nicht möglich. Ich hatte da ständig ein komisches Gefühl und war mit der Beratung nicht zufrieden. Deshalb bin ich hierher gekommen. Hier findet richtige Beratung statt. Das macht mich froh, weil mir alles klarer wird. Das war vorher nicht so. Wie gesagt, ich hatte das Gefühl auf Barrieren zu stoßen. Hanna: Hast du durch Birgits Beratung mehr Geld zurückbekommen? Jan: Ja, auf jeden Fall, viel mehr als vorher. Deshalb bin ich mit der Beratung so zufrieden. Empfang, Begrüßung einer Kollegin Hallo! – Grüß dich! Hanna: Wie lange arbeitest du hier schon im Lohnsteuerhilfeverein? Birgit: Ich habe vorher schon privat Gehörlose beraten, das war bis 1999. Ab dem 1.Januar 2000 habe ich hier im Lohnsteuerhilfeverein nebenberuflich gearbeitet. Und seit dem 1.September 2001 bin ich fest angestellt, um eben Beratung für Gehörlose anzubieten. Hanna: Woher hast du so gute Kenntnisse über das Steuersystem? Birgit: Das hängt mit meinen Eltern zusammen. Mein Vater hat als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater gearbeitet; ebenso war meine Mutter Steuerberaterin. Ich bin dadurch mit viel Fachkenntnis aufgewachsen. Zusätzlich habe ich in Begleitung meiner Mutter 15 Jahre lang Gehörlosen bei Steuerfragen geholfen. Dann wurde meine Mutter Rentnerin. Das heißt, ich habe schon sehr lange Gehörlosen geholfen. Sie haben oft Rat bei mir gesucht. Gleichzeitig war und ist das Internet eine wichtige Informationsquelle. Dann kam die Arbeit hier im Lohnsteuerhilfeverein hinzu. Aber hauptsächlich kamen die Fachkenntnisse durch meine Eltern. Hanna: Wer kann zu dir kommen und bei dir Rat suchen? Birgit: Zu mir können gehörlose Arbeitnehmer kommen. Für Selbstständige kann hier keine Beratung angeboten werden. Wer also im Angestelltenverhältnis ist und bei uns Mitglied wird, kann sich beraten lassen. Wir vom Lohnsteuerhilfeverein arbeiten grundsätzlich wie Steuerberater. Es können aber neben Gehörlosen, auch Schwerhörige, CI Träger und gebärdensprach-kompetente Hörende hier Beratung anfordern. Hanna: Hier wohnt Frau Weyand. Sie ist gehörlos und lässt sich auch von Birgit Hermann steuerlich beraten. Ihr Mann ist auch gehörlos und ihre beiden Kinder besuchen die Gehörlosenschule. Begrüßung: Hallo! – Hallo! Gespräch (Hanna und Frau Weyand schauen Fotos an) Hanna: Wer ist das? Frau Weyand: Unser Sohn geht auf die Realschule in München. Hanna: Das ist dein Mann? Frau Weyand: Ja! Das ist mein Mann! Hanna: Und was macht dein Mann? Frau Weyand: Er ist im Werkzeugbau tätig. Hanna: Wie bist du auf Birgit Hermann gekommen? Hat sie dir helfen können, Geld vom Finanzamt zurück zu bekommen? Welche Erfahrungen hast du gemacht? Frau Weyand: Ich kannte Birgit vorher schon gut. Seitdem sie die Beratung beim Lohnsteuerhilfeverein macht, gehe ich zu ihr – mit großem Erfolg. Gleich bei der ersten Steuererklärung wollte mir das Finanzamt weniger als den errechneten Betrag zurückzahlen. Birgit hat Einspruch eingelegt. Hanna: Wie kam das? Frau Weyand: Birgit errechnete eine bestimmte Summe, die sich durch gewisse Ausgaben und andere Kosten ergab. Allerdings wollte das Finanzamt weniger rückerstatten, weil es sich auf die Berechnung meines vorherigen Beraters bezog. Das war weniger. So hat mir das Finanzamt zuerst weniger rückerstatten wollen. Hanna: Du hast also durch Birgits Hilfe Geld zurückbekommen. Wofür zum Beispiel? Frau Weyand: Zum Beispiel ging es um die Fahrtkosten und Verpflegung für die Unterbringung im Internat. Davon wussten hörende Berater nichts. Dann konnten wir auch die Kosten für das Bildtelefon geltend machen. Zusätzlich hatte ich Ausgaben für Seminare für Gebärdensprachdozenten. Das alles wurde vorher nicht berücksichtigt. Hanna: Jetzt bin ich beim Stadtverband der Gehörlosen in Nürnberg. Vor 4 Jahren ist hier die Idee entstanden, Steuerberatung für Gehörlose anzubieten in Zusammenarbeit mit dem Lohnsteuerhilfeverein. Ich bin jetzt mit dem Mann verabredet, der diese Idee hatte. Hallo! Hallo! Das ist Herr Kuglmeier. Er ist Koordinator des Stadtverbandes. Warum hatten Sie diese Initiative ins Leben gerufen? Rupert Kuglmeier: Damals sind viele Gehörlose zu uns gekommen, weil sie eine Steuerberatung mit Dolmetscherbegleitung brauchten. Für uns war das ein sehr großer Zeitaufwand. Deshalb haben wir versucht, so schnell wie möglich mit dem Lohnsteuerhilfeverein Kontakt aufzunehmen. Zu der Zeit war Birgit Hermann, unsere Vorsitzende vom Stadtverband Nürnberg, arbeitslos. Sie hat viele Gehörlose privat unterstützt, indem sie ihnen bei den Steuererklärungen geholfen hat. Da haben wir uns gedacht: Warum nicht beides verbinden? Wir haben uns für eine direkte Beratung ohne Dolmetscher entschieden, und so wurde diese Idee geboren. Gespräch Ich habe nur eine Frage? – Ja, was gibt es denn Schönes? – Schauen wir mal! Ohne Nachweis! Fahrten wegen einer Behinderung? – Ein Auto ist da! – Schauen wir mal. Hanna: Das ist Herr Feicht. Er ist der Chef von Birgit Hermann vom Lohnsteuerhilfeverein Bayern. Frau Hermann arbeitet bei Ihnen. Wie schätzen Sie ihre Arbeit ein? Wo liegen ihre Stärken? Thomas Feicht, Betriebswirt: Ihre Stärken haben wir jetzt seit dem Jahr 2000 kennen gelernt. Die Frau Hermann wurde im Rahmen eines Projekts bei uns eingestellt. Ihre Stärken sind sicherlich die, dass sie speziell in Gebärdensprache die Steuererklärung für unsere Mitglieder erstellen kann, speziell natürlich für die gehörlosen Mitglieder, und hier bestimmte steuerlich relevante Sachverhalte viel, viel besser aufklären kann als es vielleicht ein hörender Mitarbeiter von uns machen könnte. Hanna: Hatten Sie anfangs Bedenken, als Sie Frau Hermann eingestellt haben? Thomas: Die Bedenken gab es sicherlich, weil man natürlich überhaupt nicht wusste, wie sich das ganze Projekt auch rechnet, letztendlich. Wir begannen das Ganze mit Null Umsatz. Aber wie gesagt, wenn ich heute Bilanz ziehen muss, ist es auf jeden Fall eine rentable Sache gewesen. Und wir werden die Zusammenarbeit mit der Frau Hermann auch sicherlich noch viele weitere Jahre fortsetzen. Web-Adresse: Lohnsteuerhilfe Bayern, www.lohi.de/202 Birgit: Ich bin in ganz Bayern unterwegs, z.B. auch in München. Wenn mich Gehörlose nicht aufsuchen können, dann klären wir das per Bildtelefon und sie schicken mir die Unterlagen zu. Voraussetzung ist nur, dass sie Mitglied im Lohnsteuerhilfe-Verein sind. Dann geht es auch über Bildtelefon. Das läuft super. Hanna: Welche Steuervorteile gibt es insbesondere für Gehörlose und Schwerhörige? Birgit: In erster Linie sind die Anschaffungskosten für ein Bildtelefon oder entsprechende Telefongebühren absetzbar. Vor allem sollten Eltern, deren gehörlose Kinder in einem Internat außerhalb untergebracht sind, daran denken, dass anfallende Heimkosten auch geltend gemacht werden können. Ferner sollten auch Rechnungen von Dolmetschern aufbewahrt werden. Hanna: Welche Tipps zum Steuersparen können Sie geben? Worauf sollte man achten? Birgit: Es gibt ja zum einen die Werbungskosten, die mit dem beruflichen Bereich zusammenhängen. Zum anderen gibt es die so genannten Sonderausgaben, wo Kosten für eine Unfall – oder Rechtsschutzversicherung angesetzt werden können. Oder auch die Steuerberatungskosten. Werbungskosten und Sonderausgaben können nicht nur für sich betrachtet werden, weil es eben auch Kosten gibt, die den beruflichen Bereich betreffen. Zum Schluss empfehle ich allen, die Steuererklärung nicht selbst zu machen, sondern einen Fachmann oder eine Beratung aufzusuchen. Hanna: (Stadtansicht) Sie sehen, wir haben ganz gute Tipps bekommen. Es ist natürlich klar, dass nicht alle Gehörlosen und Schwerhörigen aus ganz Deutschland zu Birgit Hermann kommen können. Aber vielleicht haben Sie einige Informationen erhalten, die Sie bei Ihrem Steuerberater ansprechen können, damit Sie mehr von der Steuer absetzen können. Schließlich sollten Sie Ihr Geld nicht ans Finanzamt verschenken, sondern in Ihr Portemonnaie stecken! Tschüß. Bericht: Moderation: Kamera: Schnitt: Dolmetscher: Elke Marquardt Hannelore Piringer Frank Jessenberger Brigitte Teifel Marion Rexin Holger Ruppert Moderation Jürgen Stachlewitz: So viel zum Thema Steuern. In den letzten Jahren sind bei uns durch Gesetze wie das Sozialgesetzbuch IX und die Gleichstellungsgesetze wichtige Grundlagen geschaffen worden, um die Kommunikationssituation für Gehörlose und Schwerhörige zu verbessern. Gehörlose können Gebärdensprachdolmetscher in Anspruch nehmen. Aber welche Möglichkeiten haben Schwerhörige und Ertaubte, die keine Gebärdensprache beherrschen? Für sie können jetzt Schriftdolmetscher eingesetzt werden. Sie schreiben aber nicht auf einer normalen Schreibmaschinentastatur, sondern nach einem speziellen Verfahren: Der „Real-Time“-Maschinenstenographie. Sie kommt aus den USA und kann jetzt auch auf die deutsche Sprache übertragen werden – zum schnellen Mitschreiben bei Gericht oder im Parlament, aber eben auch für Schwerhörige und Ertaubte! Sie, wie bei allen Veranstaltungen, selten Schriftdolmetscher Redner haben, die ein Tempo sprechen, dass Haus außen Sächsische Landeszentrale für dem Stenograph als angenehm vorkommt, so politische Bildung, Dresden dass man die meiste Zeit am Leistungslimit Tagung der LAGH Sachsen zur Arbeitsmarktschreiben muss, was sehr stark auf die Konpolitik: Man hat sich in den letzten Jahren anzentration sich legt und dann auch ein häufigewöhnt von Arbeitsmärkten zu sprechen. ges Abwechseln erforderlich macht. Andere Man diskutiert über den regulären ArbeitsProbleme sind zum Beispiel, dass manche markt. Man diskutiert über einen zweiten und Redner ein sehr unterschiedliches Tempo dritten Arbeitsmarkt oder Teilarbeitsmärkte für haben. Sie fangen sehr langsam an. Man Akademiker oder Teilfacharbeiter. stellt sich darauf ein und plötzlich stellen sie Moderation Thomas Zander: Ganz schön fest, dass die Zeit für sie knapp wird. Und schnell geht das, nicht wahr? Die Schrift erdann wird alles, was sie sagen wollen, in die scheint gleichzeitig mit dem gesprochenen letzten zwei Minuten gelegt, was dann kaum Wort. Das ist vor allem für Schwerhörige und noch ohne Informationsverluste zu leisten ist. Spätertaubte interessant, die keine GebärDolmetscher: Die Vier haben vor einem Jahr densprache beherrschen. Durch die Mitschrift ihre Ausbildung beendet und arbeiten seitdem können sie alles verstehen, was gesprochen als Schriftdolmetscher für Hörgeschädigte. wird. Schriftdolmetscher können die LautThomas: Unter den Teilnehmern der Veransprache mit Hilfe eines speziellen computerstaltung ist auch die Vorsitzende des Ortsvegesteuerten Stenografie-Programms in Schrift reins der Schwerhörigen Dresdens, Renate umsetzen. Witte. Meine Frage: Wie nutzen Sie das AnThomas: Wie ist die Veranstaltung für euch gebot der Schriftdolmetscher? gelaufen? Renate Witte, Schwerhörigenverein DresKatja: Ich habe ja heute als Editor gearbeitet. den: Bevor die Schriftdolmetscher so weit Und ich fand es sehr angenehm, dass wir zu waren, musste ich in Versammlungen gerade viert waren auf der Veranstaltung. Und dass als Ortsvereinsvorsitzende mit hingehen und wir uns pro Redner immer im Team ab verstand ein Viertel davon, wenn´s hoch kam. wechseln konnten. Und es war unwahrscheinlich schwierig und Dolmetscher: Und welche Schwierigkeiten auch anstrengend. Mir reicht zum Beispiel hatten Sie? eine Funkanlage schon nicht mehr, über inJan Jawinski: Das Schwierigste war, dass duktiv hören – reicht nicht mehr mein Gehör. Und da ist das eine sehr große Unterstützung für mich, denn ich muss auch oft in Versamm- lungen mit anderen Vereinen. Das ist absolut schwer gewesen. Und jetzt gehe ich viel beruhigter, viel lockerer dahin und kann auch mit diskutieren ohne mich zu blamieren, dass das Thema vielleicht schon drei mal behandelt ist. Aber ich denke doch, ich könnte es mir schon gar nicht mehr vorstellen ohne Schriftdolmetscher. Thomas: Der Beruf des Schriftdolmetschers ist neu. Vor zwei Jahren begann die erste Ausbildung an der Akademie für Betriebswirtschaftslehre in Dresden. Inzwischen läuft hier schon der zweite Kurs, den 14 Teilnehmer besuchen. Im September werden sie mit ihrer einjährigen Ausbildung fertig sein. Ausbildung, Diktatübung: „Als Dienstleistungen werden stichpunktartig erwähnt: Notruf, Auskunft ... Teilnehmerverzeichnisse sicherzustellen bzw. für Hörgeräteträger geeignete Telefone und Notrufanlagen anzubieten.“ Thomas: Mir gegenüber steht der Leiter der Einrichtung, Herr Mielke. Meine Frage an ihn: Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit den Kursen gemacht? Dr. Dietmar Mielke, Geschäftsführer der Akademie: Wir haben gegenwärtig Vollzeitausbildungen, die für arbeitslose Menschen realisiert werden, und wir planen für dieses Jahr eine weitere Vollzeitmaßnahme. Aus den Erfahrungen des bisherigen Kurses wissen wir aber, dass eine einjährige Ausbildung nicht ausreicht, weil die Qualität des Schriftbildes und das Tempo noch nicht genügend sind. Für das kommende Jahr planen wir eine berufsbegleitende Ausbildung, die für jedermann offen steht. Diese Vollzeitausbildung wird vom Arbeitsamt gefördert und soll schwerbehinderten Menschen einen neuen Berufsstart ermöglichen. Lehrerin: Ein Wort, nehmen wir zum Beispiel „Baum“. Mit der linken Hand schlage ich das „B“ an. Das ist der Anlaut der Silbe. Der Inlaut der Silbe entspricht hier dem „au“. Und der rechte Bereich ist dann „m“. Das heißt: Ich habe mit einem Anschlag das Wort „Baum“ geschrieben. Bei der Schreibmaschinentastatur müsste ich 4 Anschläge statt einem machen. Tafel, Leseübung: „Eine Körperfläche von 35 qm, gegen die selbst die riesigen Walhaie (12m) zierlich erscheinen.“ Thomas: Die Teilnehmer haben jetzt Pause. Für mich Gelegenheit zu erfahren, warum sie diese Ausbildung zum Schriftdolmetscher machen? Was interessiert sie daran? Hagen: Ich habe 1997 meine Lehre als Bürokaufmann abgeschlossen, habe dann in einer Steuerberatungsgruppe gearbeitet und durch andere Maßnahmen im juristischen Bereich gearbeitet. Aber die waren leider nur kurzfristig. Und nach 200 erfolglosen Bewerbungen habe ich mich entschlossen auf neue Dinge umzuschulen, um vielleicht doch langfristig eine Arbeit zu finden. Thomas: Und was reizt dich an diesem Beruf? Hagen: Der Umgang mit Menschen und der Zusammenhang mit Technik – also zeigen können, dass man anderen helfen kann und dabei noch eine sinnvolle Tätigkeit tut. Sandra Stranz: Es sind hohe Ansprüche an einen gestellt. Und es macht auch sehr viel Spaß für andere Menschen zu arbeiten. Thomas: Wer einen Schriftdolmetscher bestellen will, muss sich hier her wenden. In Dresden gibt es die bislang einzige Vermittlungsagentur Deutschlands. Sie wurde im September letzten Jahres gegründet. Information: Schriftdolmetscheragentur Dresden, www.schriftdolmetscher.de Thomas: Es kommt nur Wortsalat bei mir heraus, wenn ich die Tasten drücke. Es ist mir nicht klar, wie das System funktioniert. Hier arbeiten 10 Dolmetscher, die echte Profis sind. Aber trotzdem müssen sie diese Art des Schreibens immer noch täglich üben. Denn nur so können sie es schaffen, 260 Silben pro Minute zu schreiben. Einer von ihnen ist Herr Jawinski. Wie funktioniert das System, können Sie mir das erklären? Jan Jawinski: Der Hintergrund dieses Systems ist, gesprochene Sprache eins zu eins, das heißt möglichst synchron am Bildschirm darstellen zu können – am normalen Computerbildschirm. Macht man das mit einer herkömmlichen PC-Tastatur, bei der man jeden einzelnen Buchstaben eines Wortes mit einem Anschlag drücken müsste, würde man, um gesprochene Sprache synchron darzustellen, ca. 1000 bis 1500 Anschläge pro Minute machen müssen. Dies ist von Menschen, auch von den besten Sekretärinnen, nicht leistbar zur Zeit und auch später nicht. Bei diesem System werden nicht die einzelnen Buchstaben angeschlagen, sondern immer gleich ganze Silben, ganze Worte oder ganze Wortgruppen. Und dadurch erreichen Sie eine 1:1- Darstellung. Beispielsatz: Herzlich Willkommen bei „Sehen statt Hören“ Satz erläutert Für diesen Satz waren auf der Tastatur 11 Anschläge erforderlich. Auf einer normalen PC-Tastatur wären es ca. 50 gewesen. Thomas: Hier tagt gerade die Projektgruppe für die Schriftdolmetscher. Mit dabei ist auch Herr Becker vom Deutschen Schwerhörigenbund. Er leitet das Projekt und ist bereit, meine Frage zu beantworten. Welches Ziel verfolgt der Deutsche Schwerhörigenbund mit diesem Projekt? Adolf Becker, Projektleiter: Der Deutsche Schwerhörigenbund hat sich als Ziel gesetzt, eben entsprechend der Kommunikationshilfeverordnung flächendeckend bedarfsgerecht in Deutschland Strukturen zu entwickeln, um ein Angebot an Schriftdolmetschern haben zu können, damit den Hörgeschädigten ein Angebot vorenthalten werden kann. Das ist das Interesse des DSB. Und nutzt dazu alle Gelegenheiten, alle Partner, die dabei mithelfen wollen, indem wir Kooperationen abgeschlossen haben, um hier die Wege zu ebnen. Damit dieses Projekt deutschlandweit implementiert werden kann. Thomas: Die Einsatzmöglichkeiten von Schriftdolmetschern sind recht vielseitig. In anderen Ländern, wie zum Beispiel Großbritannien, werden mit dem gleichen Stenografie-System im Fernsehen Untertitel produziert. So können auch aktuelle Sendungen live untertitelt werden – also simultan. Man darf also gespannt sein, wie sich das hier weiterentwickeln wird. Bericht: Elke Marquardt Moderation: Thomas Zander Kamera: Hartmut Gatzsche Schnitt: Stephanie Doll Dolmetscher: Peter Eichler Redaktion: Christa Streiber Ein Bericht des MDR, Moderation Jürgen Stachlewitz: In ganz Deutschland werden an die 1.100 Schriftdolmetscher gebraucht, so hat es der Deutsche Schwerhörigenbund errechnet. Sie können als Arbeitsassistenten eingesetzt werden, bei Fort- und Weiterbildungen oder Ausbildungen, ebenso bei Gerichtsterminen, Arztbesuchen, Betriebsversammlungen und vielen anderen Anlässen. In Leipzig hat bereits eine weitere Ausbildung für Schriftdolmetscher begonnen, und im Herbst soll dort auch eine zweite Dolmetscher-Agentur eröffnet werden. Nächstes Wochenende ist unsere Sendung ganz dem Sport gewidmet. Wir berichten vom Deutschen Gehörlosen-Sportfest in Hamburg! Marco arbeitet schon fieberhaft daran, alles fertig zu stellen, und das Ergebnis wird er Ihnen dann präsentieren. Bis dahin – tschüß! Fax-Abruf-Service „Sehen statt Hören“: 0190 / 150 74 107 (EUR 0,62 / Min.) Impressum: Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Redaktion Geisteswissenschaften und Sprachen / SEHEN STATT HÖREN Tel.: 089 / 3806 – 5808, Fax: 089 / 3806 – 7691, E-MAIL: [email protected], Internet-Homepage: www.br-online.de/sehenstatthoer Redaktion: Francine Gaudray, Bayer. Rundfunk, © BR 2004 in Co-Produktion mit WDR Herausgeber: Deutsche Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen und Schwerhörigen e. V. Paradeplatz 3, 24768 Rendsburg, Tel./S-Tel.: 04331/589722, Fax: 04331-589751 Einzel-Exemplar: 1,46 Euro