(SAED) in Santiago del Estero

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(SAED) in Santiago del Estero
Abschlussbericht – Praktikum in der SAED, Santiago del Estero, Argentinien
August 2010 – Februar 2011
„Um fliegen zu können, muss man nicht nur Flügel haben,
sondern sie auch schwingen.“ (Burmesisches Sprichwort)
Mal etwas anderes erleben. Eine völlig neue Kultur kennenlernen. Raus aus Deutschland und Europa
– rein in die Welt! So ähnlich sind wohl meine Gedanken gewesen vor über einem Jahr, als ich mitten
in meinem Hauptstudium steckte und ich mir wohl eher Gedanken über eine gute
Examensvorbereitung machen sollte, als über andere Länder und Sitten zu philosophieren. Aber die
Hirngespinste blieben standhaft und so begann ich konkreter über eine Auslandserfahrung
nachzudenken. Vor allem Südamerika hat mich ganz besonders interessiert, da ich in Deutschland
schon einige Südamerikaner oder Deutsche mit Südamerika-Erfahrungen kenne und immer gespannt
bei Geschichten über diesen so gigantischen Kontinent zugehört habe, aber nun wollte ich mich auch
persönlich davon überzeugen. Aber wie sollte das gehen? Was könnte ich in Südamerika machen?
Ein Auslandssemester, einen Freiwilligendienst, ein Praktikum? Viele Optionen standen zur Auswahl.
Doch eines Tages erhielt ich eine Email meines ehemaligen Gymnasiums, Studienkolleg
Obermarchtal, Baden- Württemberg. Träger dieses staatlich anerkannten Gymnasiums ist die
„Stiftung Katholische Freie Schule der Diözese Rottenburg-Stuttgart“. Die in Obermachtal jährlich
stattfindenden sogenannten „Interkulturellen Begegnungstage“ beschäftigen sich jedes Jahr mit
einem anderen Land und sollen somit den Schülern eine Reflexion des eigenen Standpunktes und
eine Sensibilität für andere Kulturen und Lebensformen ermöglichen. Passend zu diesen Tagen gibt
es auch eine Abendveranstaltung für Eltern, ehemalige Schüler und Interessierte. Hierzu bekam ich
per Mail eine Einladung und das Thema des damaligen Jahres (2009) war Argentinien. BINGO! Voller
Vorfreude ging ich zu diesem Abend und stellte schnell fest, dass es nicht nur einfach eine
Vorstellung des Landes Argentinien geboten wurde, sondern auch eine Info-Veranstaltung zu dem
Austauschprojekt der Partnerschaft zwischen der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der Diözese
Santiago del Estero in Argentinien. Hier ein kurzer Überblick über die Geschichte dieser
Partnerschaft:
Die Schulorganisationen der Diözesen Santiago del Estero und Rottenburg-Stuttgart pflegen seit fast zehn
Jahren eine immer intensivere Partnerschaft. Die erste Kontaktaufnahme geschah im Jahr 2000, als Bischof
Fürst zum ersten Mal die Partnerdiözese in Nordargentinien bereiste. Mit im Gefolge war die
Europaabgeordnete Elisabeth Jeggle in ihrer Funktion als Stiftungsratsmitglied der Stiftung Katholische Freie
Schule der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Die Delegation traf in Santiago auch den Pfarrer Sigmund Schänzle,
der von der Diözese Rottenburg-Stuttgart an die argentinische Partnerdiözese „ausgeliehen“ war. Schänzle,
heute Dekan in Biberach/Ochsenhausen, war damals unter anderem für die katholischen Schulen in Santiago
zuständig.
Nach zaghaften und letztlich erfolglosen Versuchen, über Brieffreundschaften zwischen den Schülern
Beziehungen aufzubauen, besuchten die Leiterinnen der neuen Zentrale der santiagenischen katholischen
Schulen, Silvia Carreras und Cecilia Rafael, 2003 die katholischen Schulen in der Diözese Rottenburg-Stuttgart.
Insbesondere deren Erziehungs- und Bildungskonzept, der Marchtaler Plan, stieß bei den Argentinierinnen auf
Interesse.
2005 erfolgte der Gegenbesuch des deutschen Stiftungsvorstands, Dr. Berthold Saup und Walter Swacek, in
Santiago del Estero, zusammen mit dem inzwischen zurückgekehrten Pfarrer Schänzle. Eine Erkenntnis dieses
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Besuchs war, dass die Begegnung von Mensch zu Mensch die tragfähigste Grundlage für eine Partnerschaft
zwischen den beiden Schulorganisationen sei.
Im Sommer 2007 startete deshalb der „Pionierjahrgang“ deutscher Praktikantinnen und Praktikanten für ein
halbes oder ein ganzes Jahr nach Santiago. Drei Abiturientinnen, eine Erzieherin, eine Diplom-Pädagogin und
ein Student arbeiteten an den katholischen Schulen in Santiago als Hilfslehrer mit. Zusammen mit den
argentinischen Projektverantwortlichen haben sie die Strukturen für das Praktikumsprogramm entwickelt. Im
Sommer 2009 geht schon der dritte Jahrgang nach Santiago und profitiert vom mutigen Einsatz der „Pioniere“.
Mit zum Aufgabenbereich gehört inzwischen die Arbeit in den Kirchengemeinden, v.a. in Armenküchen und
Katechesegruppen.
Die klimatisch benachteiligte Region Santiago del Estero gilt als das „Armenhaus Argentiniens“. Die
katholischen Schulen der Diözese bieten vielen Kindern die einzige Möglichkeit, der teilweise extremen Armut zu
entkommen, indem sie eine solide Ausbildung erhalten. In vielen Fällen bieten sie den Kindern durch die
Schulspeisung auch die einzige Nahrung für den Tag.1
Durch dieses Praktikum würde ich die Möglichkeit erhalten die kulturellen und sozialen
Besonderheiten der pädagogischen und sozialen Einrichtungen der Sede Administrativa de Escuelas
Diocesanas (SAED) kennenzulernen. Außerdem würde ich zusammen mit anderen Praktikanten
wichtige Netzwerke für den Austausch mit Deutschland knüpfen und berufliche Erfahrungen durch
die Mithilfe in verschiedenen pädagogischen Bereichen sammeln können. Ein weiteres wichtiges
Lernfeld des Programms ist das Kennenlernen und Sich- Einlassen auf eine fremde Kultur und das
Zusammenleben in der Gemeinschaft. Konkret würde ich an mehreren Einrichtungen der SAED tätig
sein, dies beinhaltet unter anderem die Mitarbeit im Unterricht, Übernahme von
Vertretungsstunden, AGs, Projektmanagement (Exkursionen, etc.) sowie die Mitarbeit in der
Verwaltung.
Nun war mein Interesse natürlich geweckt und nach persönlichen Gesprächen mit Ehemaligen und
dem betreuenden Projekt-Verantwortlichen der Stiftung, Herrn Jörg Stein (Vorstandsassistent der
Stiftung) an diesem Abend im November 2009 war eine Bewerbung (Motivationsschreiben,
Lebenslauf) schnell geschrieben und ich wartete voller Hoffnung auf einen positiven Bescheid. Dieser
ließ auch nicht lange auf sich warten und ich wurde zu einem Vorstellungsgespräch nach
Obermarchtal eingeladen. Auch dieses verlief positiv und nach nur wenigen Tagen bekam ich schon
einen Anruf von Herrn Stein, der mir mitteilte, dass ich mit in der Gruppe sei, die sich im August 2010
auf nach Santiago del Estero machen werde.
Bei einem dreitägigen Einführungswochenende (7. Bis 9. Mai 2010) an der Kirchlichen Akademie der
Lehrerfortbildung in Obermarchtal Mitte Mai 2010 lernte ich dann auch meine Mitstreiter kennen:
vier frisch gebackene Abiturienten, die sich nun ein Jahr lang in Argentinien über ihre Zukunft
Gedanken machen wollen, bevor es mit einem Studium oder einer Ausbildung losgeht. Dieses
Vorbereitungsseminar wurde neben Herrn Stein auch von zwei ehemaligen Santiago Praktikanten
(beide aus dem Pionierjahrgang 2007) geleitet. Programmpunkte dieses langen Wochenendes waren
unter anderem: Vorstellung der Partnerschaft, Ziele des Praktikums; Leben in Santiago; Das
Schulsystem in Santiago; Organisatorisches, Zusammenleben im „Casa Loca“; Interkulturelle
Rollenspiele und außerdem die Mitarbeit in den Kirchengemeinden Santiagos.
1
Zitiert nach der Homepage http://www.schulstiftung.de/index.php?id=302.
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Zu meiner weiteren Vorbereitung habe ich einen Spanisch Sprachkurs an der Ludwig Maximilian
Universität München (meinem Studienort) belegt, außerdem habe ich diverse Bücher zu Argentinien/
Südamerika gelesen, wie z.B. Goerdeler, Carl D.: Kulturschock Argentinien, Bielefeld 2010; Bauer,
Thomas: Die Gesichter Südamerikas. Eine Abenteuerreise durch Argentinien, Chile, Bolivien, Peru und
Kolumbien, Schweinfurt 2010.
Natürlich war ich zunächst einmal gespannt darauf, ein neues Land, seine Kultur und Leute aus erster
Hand kennenzulernen. Zum anderen habe ich mir vor allem Santiago del Estero mit seiner hohen
Armutsrate gar nicht so recht vorstellen können und habe eher gedacht, dass die dort lebenden
Menschen nur auf Hilfe von außen angewiesen seien. Gerne wollte ich hierzu in Form schulischer
Bildung einen Beitrag leisten und habe mir wohl eher eine Art „Hilfe zur Selbsthilfe“ vorgestellt. In
meinem Reisegepäck hatte ich somit auch einfachere Kleidung und wenig Wertvolles dabei.
Jetzt nach sechsmonatigem Aufenthalt sehe ich das viel differenzierter. Zum einen ist die Schere
zwischen Arm und Reich in Santiago dermaßen groß, dass ich natürlich auch "dicke" BMWs und
AUDIs gesehen habe, aber daneben auch Droschken, die von Eseln oder Pferden gezogen werden.
Auch die Tatsache, dass man beim Ausessen im Freien jedes Mal von Kindern um Geld angebettelt
wird, gehört zu meinen Erfahrungen in Santiago. Natürlich nehme ich an der Armut und an den
Problemen der lebenden Menschen in Santiago del Estero Anteil, aber ich habe auch sehr viel von
ihnen gelernt. Wie Thomas Bauer sagt, Argentinien ein „Land der Schmerzen und der
Lebensfreude“2, man sieht den Schmerz in Form von Armut und geringer Infrastruktur in Santiago,
doch die Lebensfreude der Menschen ist derart ansteckend, dass die Schmerzen zugleich gelindert
werden.
Indem wir andere kennen lernen, lernen wir auch uns besser kennen. Das gilt umso mehr, je
„fremder“ uns die Kultur des Anderen vorkommt. In Südamerika zu leben und zu arbeiten,
unterscheidet sich sehr stark von unserem Heimatalltag. Und deshalb hat mir mein Praktikum in
Santiago del Estero die große Möglichkeit gegeben, ganz andere Lebensbezüge kennen zu lernen,
andere Perspektiven einzunehmen, sich selbst und die eigene Lebensplanung zu reflektieren, sowie
von der Andersartigkeit des Anderen zu lernen.
Auf all diese Erkenntnisse sollte ich während meines Praktikums stoßen…
Im August 2010 ging es dann endlich für mich los - auf in das ferne Buenos Aires und von dort aus
mit dem Bus weiter nordwestlich ins Landesinnere nach Santiago del Estero, Capital. Dort wurde ich
zusammen mit meinen Praktikantenkollegen von unserer Mentorin, Silvia Carreras, sehr herzlich
begrüßt und somit begann mein halbjähriges Praktikum in Santiago del Estero, Argentinien.
Bedenken hatte ich vor allem bzgl. der Sprache, da ich mich nicht ausreichend vorbereitet fühlte.
Jedoch wurde mir dieser Umstand erst hier in Santiago del Estero so richtig bewusst und ich habe
mich deshalb auch in den ersten Monaten in Santiago selbst unter Druck gesetzt. Nach und nach
wurde die Verständigung besser und irgendwann kam ich an den Punkt, dass ich es jetzt einfach auf
mich zukommen lassen muss und alles Weitere sich dann schon ergeben wird.
2
Siehe Bauer, Thomas: Die Gesichter Südamerikas. Eine Abenteuerreise durch Argentinien, Chile, Bolivien, Peru und
Kolumbien, Schweinfurt 2010, S. 9-11.
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Mein erster Einsatzort war das Institut „Maria Auxiliadora“. Hierbei handelt es sich um eine
sogenannte „Secundario“, eine weiterführende Schule, die aus sechs Klassenstufen besteht und mit
einer ‚Gesamtschule‘ in Deutschland vergleichbar ist. Das Schulgebäude befindet sich mitten in
einem Wohnviertel namens „Los Inmigrantes“, eines der ärmeren Wohngebiete in Santiago del
Estero. Man kann sagen, dass es sich bei der Schule MARIA AUXILIADORA um eine Brennpunktschule
handelt. Neben der Schule steht die (Gemeinde-) Kirche Maria Auxiliadora. Das Schulgebäude
umfasst 10 Klassenzimmer, einen PC-Raum, das Rektorat, das Sekretariat, eine Bibliothek, das
Lehrerzimmer; außerdem gibt es einen kleinen Pausenhof.
Das Lehrerkollegium besteht aus ca. 30- 40 Lehrern und sogenannten „Preceptores“; Sozialarbeitern,
die keinen Unterricht halten, sondern ausschließlich für die Organisation, das Wohlbefinden, die
Disziplin und das Arbeitsverhalten der Schüler verantwortlich sind und somit den Lehrern
unterstützend zur Seite stehen. Da die Lehrer in Argentinien nur ein Fach studieren, arbeiten viele
von ihnen an bis zu fünf verschiedenen Schulen, um ihr Stundendeputat auszufüllen. Die
„Preceptores“ allerdings arbeiten nur an einer Schule und sind somit ständiger Ansprechpartner der
Schüler.
Meine Aufgaben innerhalb der Schule haben aus der Unterstützung der Lehrer in der Vorbereitung,
Nachbereitung und Durchführung des Unterrichts und der Betreuung einzelner Projekte bestanden.
Vor allem in den Fächern: Geographie, „Catequesis“ (Religionsunterricht), „Ciencias Sociales“
(Geschichte und Politik), „Orientación y Tutoría“ (Vermittlung von Sozialkompetenzen, Besprechung
von Problemen innerhalb der Klasse, …) und „Comunicación“ (Kommunikation) konnte ich mich am
meisten einsetzen.
Innerhalb meines halben Jahres an der Schule Maria Auxiliadora habe ich diverse Projekte (mit-)
betreut. Durch die Evaluation einer Klasse habe ich die Möglichkeit bekommen, mehr über die
Schüler selbst, ihr soziales Umfeld und ihre Wohnverhältnisse zu erfahren. Ein großes Projekt ist die
Mitorganisation eines dreitägigen Klassenausflugs in die benachbarte Provinz Tucumán gewesen. Die
Planung umfasste die Gestaltung der Reise und Unterkunft, Kalkulation des Essens, Vorbereitung von
Spielen/ Aufgaben für die Jugendlichen, … . Diese kleine Reise war eine sehr bereichernde Erfahrung
für mich, da ich hier nicht nur die Schüler in einer gelösteren Umgebung kennenlernen konnte,
sondern auch meine Kollegen und Kolleginnen.
Weitere Tätigkeiten am Institut Maria Auxiliadora während meines gesamten Praktikums umfassten:
Vorbereitung und Durchführung von Gottesdiensten (gemeinsam mit Schülern und Lehrern),
Vorstellung des Konzepts „Morgenkreis“ (nach dem „Marchtaler Plan“) sowie die Gestaltung von
mehreren Unterrichtseinheiten (in Religion und Geschichte).
Gleich zu Beginn meines Santiago-Aufenthalts habe ich überraschenderweise auch noch die
Gelegenheit bekommen, Kurse an dem Institut „La Sagrada Familia“, einem sogenannten
„Profesorado“ (universitäre Schule für die Ausbildung argentinischer Lehrkräfte), zu besuchen. Hier
belegte ich vor allem Seminare der südamerikanischen/ argentinischen Geschichte, welche mir noch
zusätzlich einen wissenschaftlicheren Blick auf Land und Leute ermöglicht haben.
Zusammen mit den anderen deutschen Praktikanten habe ich zweimal wöchentlich einen Spanisch
Sprachkurs besucht, der durch die SEAD organisiert wurde.
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Ab November 2010 habe ich neben den Instituten Maria Auxiliadora (Secundario) und La Sagrada
Familia (Profesorado) mein Praktikum auch an dem Institut „Colegio Nuestra Señora de Fatima“
absolviert. Bei diesem Institut handelt es sich um eine sogenannte „Primario“, vergleichbar mit einer
Grundschule in Deutschland. Die Lehrer einer Primario heißen in Argentinien Maestros, sie
unterrichten kein bestimmtes Fach, sondern unterweisen die Schüler ihrer eigenen Klasse in allen
Fächern (Lengua - Sprache, Matemática - Mathematik, Naturales - Naturwissenschaften, Sociales Sozialkunde, Plastica - Kunst, Catequesis - Religion). Nur für die Fächer Musica (Musik) und Educación
Fisica (Sport) gibt es spezielle Lehrer. Es hat mich sehr gefreut, während meines Aufenthaltes in
Argentinien auch die Möglichkeit zu erhalten, Einblicke in eine Primario zu gewinnen. Hier habe ich
vor allem den Maestros helfend zur Seite gestanden, einige Vertretungsstunden übernommen und
das Projekt „Brieffreundschaften zwischen Santiago del Estero und Bierlingen“ meines Vorgängers,
Fabian Teufel, weitergeführt. Schüler und Schülerinnen der Grundschule Bierlingen (Nähe
Rottenburg, Baden- Württemberg) haben Briefe an verschiedene Schüler in Santiago geschrieben,
zusammen mit den Schülern aus Fatima haben wir dann den deutschen Kindern Antworten geschickt.
Mein Tagesablauf hat somit darin bestanden morgens an den Einrichtungen tätig zu sein und abends,
nach der obligatorischen Siesta, entweder das Profesorado oder den Sprachkurs zu besuchen . Dazu
kamen die Arbeiten im Haushalt, Einkäufe,… teilnahmepflichtige Schulfeste haben sehr häufig
stattgefunden und nicht selten freitagabends. Oft wird man jedoch auch spontan eingeladen und so
sind (private) Pläne meistens doch eher flexibel auszurichten. Das Wochenende hat normalerweise
zu meiner freien Verfügung gestanden.
In meinen zwei letzten Monaten habe ich auch die Möglichkeit eines tieferen Einblicks in die
Organisation der Sede Administrativa de Escuelas Diocesanas (SAED) erhalten. Es gibt 46 schulische
Einrichtungen der SAED, die in der ganzen Provinz Santiago del Estero verteilt liegen. Alle 46
Einrichtungen unterstehen direkt dem Bischof von Santiago del Estero. Wir Praktikanten durften an
den wöchentlich stattfindenden Treffen der SAED teilnehmen und konnten somit noch mehr über
die Arbeit, die Projekte und deren Finanzierung erfahren. Darüber hinaus ist es auch unsere Aufgabe
gewesen, das Schulkonzept der Stiftung Katholische Freie Schule der Diözese Rottenburg- Stuttgart,
den sogenannten „Marchtaler Plan“, vorzustellen. Vor allem in den letzten Wochen meines
Aufenthalts habe ich mich verstärkt in der Verwaltung der SAED einbringen können, da die Schulen
Ferien hatten. Einmal einer mehr kaufmännischen Tätigkeit nachzugehen, hat mir auch großen Spaß
gemacht und mir zudem die Möglichkeit gegeben, noch ein tieferes Verständnis für die SAED und
ihre Organisation zu erhalten.
Meine abwechslungsreichen Arbeitsbereiche haben mich zumeist ausgelastet und das Gefühl einer
Langeweile ist in den sechs Monaten nicht aufgekommen.
Die Zusammenarbeit mit den Leuten vor Ort verlief sehr gut. Unsere Mentorin Silvia Carreras
kümmerte sich sehr gut um uns Praktikanten, so ist es zum Beispiel auch kein Problem, wenn ein
Praktikant eine Schule wechseln, eine neue Kirchengemeinde kennenlernen möchte etc., man wird
von ihr immer unterstützt. Auch alle anderen Mitarbeiter der SAED sind sehr offen und hilfsbereit
und stehen einem immer zur Seite.
Für meine pädagogische Arbeit an den Schulen konnte ich gerade bei Unterrichtsplanungen auf
meine bereits im Studium erworbenen Fähigkeiten und auf bisherige praktische Erfahrungen zurück
greifen und sie waren mir auch eine große Hilfe, da ich mich somit mehr auf die spanische Sprache
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für den Unterricht konzentrieren konnte. Gerade in Punkto Gelassenheit, Ruhe bewahren und
spontane Unterrichtsgestaltung habe ich in Santiago viel dazu gelernt und werde diese neuen
Fähigkeiten hoffentlich für meine spätere Arbeit mit deutschen Schülern beibehalten.
Auch dass nicht immer alles so durchstrukturiert und geplant sein muss wie in Deutschland, habe ich
hier des Öfteren miterlebt und nun habe ich mich auch schon etwas angepasst und bleibe zunächst
einmal bei Unvorhergesehenem ganz typisch santiagenisch tranquila (ruhig).
Mein Spanisch hat sich, so denke ich, im Laufe des halben Jahres deutlich gesteigert und ich habe
sogar schon die Eigenarten des argentinischen Spanisch angenommen und auch den
charakteristischen Dialekt von Santiago del Estero. Somit hoffe ich, durch meine hier gewonnen
Sprachkenntnisse, ein Auslandssemester in Valparaiso, Chile - welches ich im März 2011 beginnen
werde - sprachlich zu meistern und auch mein Studium der spanischen Sprache als Erweiterungsfach
an der LMU erfolgreich fortsetzen zu können.
In den SAED Einrichtungen sind mir gegenüber alle Mitarbeiter überwiegend sehr herzlich und offen
gewesen und haben es mir leicht gemacht, mich im Kollegium wohl zu fühlen. Zu einigen Lehrerinnen
habe ich während meines Praktikums auch freundschaftliche Kontakte aufbauen können und wurde
desöfteren von ihnen nach Hause und zu ihren Familien eingeladen. Auch, dass ich gleich als die
jeweilige hija (Tochter) oder hermana (Schwester) bezeichnet wurde, hat mir wieder einmal die
grenzenlose Herzlichkeit der Argentinier gezeigt. So wurde ich auch selbstverständlich zu
Abendaktivitäten eingeladen, konnte somit auch die Freundeskreise meiner Kollegen kennenlernen
und wurde auch hier sehr herzlich aufgenommen. Generell kann man sagen, dass an den
santiagenischen Schulen die Kollegen wie Freunde oder sogar wie Familienmitglieder gelten, so
werden runde Geburtstage oder wichtige Ereignisse auch mal an Wochenenden zusammen mit dem
ganzen Kollegium gefeiert. Auch der Umgang zwischen Schülern und Lehrern ist viel familiärer als in
Deutschland, so kommen die Schüler zur Planung von Projekten und Abschlussfeiern auch zu den
Lehrern nach Hause.
Durch die Schuluniformen kann man schwer erkennen, wie die ökonomischen Verhältnisse der
einzelnen Schüler aussehen. Daher habe ich Einladungen von Schülern, sie zu Hause zu besuchen,
gerne angenommen, um mir selbst ein Bild über ihr Umfeld machen zu können. Die Familie einer
Schülerin wohnt beispielsweise weiter außerhalb der Stadt, auf dem „campo“ (Land). Hier gibt es
eigentlich nichts außer ein paar vereinzelten Häuser, Kioske und eine lange große Straße, an der
gelegentlich ein Bus anhält, der ins Zentrum fährt. Viele der Schüler fahren mit dem Fahrrad zur
Schule oder haben einen Roller. Dort ist es ganz natürlich, dass sich zwei Kinder und ihre Eltern nur
EIN Zimmer teilen (denn die Hütte besteht meist nur aus einem Zimmer). Doch kann dann in diesem
einem Zimmer ein großer neuer Fernseher stehen! Die „Küche“ mit Tisch und Stühlen befinden sich
draußen und es gibt noch ein extra Toilettenhäuschen mit Wasser aus der Pumpe! Erschreckend für
mich war zu sehen, dass hier und da neben einer solchen Hütte eine Wochenend- Finca reicher
„Städter“ steht.
Während meines Praktikums hatte ich auch die Möglichkeit, eines der ärmsten Wohnviertel
Santiagos namens „General Paz“ kennenzulernen, dorthin bin ich von einer Art Stiftung eingeladen
worden. Diese „Fundación: Gente en Movimiento“ (Stiftung: Menschen im Aufschwung) ist von
einem Arzt namens Dr. Feraud Hugo ins Leben gerufen worden; er, seine Frau und weitere
ehrenamtliche Mitarbeiter versuchen den Jugendlichen einen Raum für Aktivitäten zu bieten. Hierbei
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handelt es sich um eine Art Jugendzentrum, in dem die Jugendlichen die Chance bekommen, einen
PC zu benutzen, Spiele zu spielen, billigere Tanzkurse zu besuchen und mit Erwachsenen über
Themen wie z.B. sexuelle Aufklärung zu reden. Ich wurde sehr freundlich und herzlich aufgenommen.
Die Jugendlichen (vor allem Jungs im Alter von 16/17 Jahren) gehen zumeist nicht mehr in die Schule
und haben auch keine feste Arbeit. Zu Beginn sind sie sehr schüchtern gewesen (sie konnten mir
nicht mal ihren Namen und ihr Alter nennen) aber nach und nach kamen sie dann auf mich zu und ich
konnte mich ein wenig mit ihnen unterhalten. Dieses Wohnviertel liegt zwar nur ein paar Kilometer
nördlich vom Stadtzentrum, aber dennoch betritt man eine ganz andere Welt: die „Häuser“ sind
eher Hütten, es gibt keine richtig gepflasterten Straßen und nachts sollen nicht einmal Einheimische
auf der Straße alleine herumlaufen können, da das Gewaltpotenzial zu hoch sei.
Diese Begegnungen mit der Armut in Santiago haben mir gezeigt, wie hoch doch unser deutscher
Lebensstandart ist und dass dieser keineswegs selbstverständlich ist. Auch aktuelle Diskussionen in
Deutschland über etwaige Plagiatsvorwürfe gegenüber Politiker lassen mich unberührt im Vergleich
zu den wirklichen Problemen bettelnder Straßenkinder in Santiago del Estero.
Die Teilnahme an Treffen Jugendlicher in der Kirchengemeinde „Laura Vicuña“ (La Inmaculada),
welche nach der Samstagabendmesse im Gemeindegebäude sattfinden, hat mir die Möglichkeit
gegeben, auch Kontakte zu Gleichaltrigen außerhalb der Arbeit zu knüpfen. Das Alter der
Jugendlichen liegt zwischen 16 und 25 Jahren, viele von ihnen arbeiten, studieren oder gehen noch
zur Schule. Diese Treffen werden zu meist von einer jungen Pastoralreferentin begleitet und
zusammen werden kirchliche Feierlichkeiten, z.B. Prozessionen organisiert und vorbereitet. Das
Wohnviertel „La Inmaculada“ liegt zwar relativ nah am Zentrum Santiagos, jedoch grenzt es auch an
eines der ärmsten und gefährlichsten Wohnviertel der Stadt. Somit kommen viele der Gleichaltrigen
auch aus Verhältnissen, die für uns Deutsche kaum vorstellbar sind und meist auch erst durch
längere Gespräche mit ihnen herauszufinden sind. Ich habe diese Treffen immer sehr genossen, da
mich die Gruppe stets willkommen hieß, ich mich dort sehr wohl fühlte und auch santiagnenische
Freunde gefunden habe.
Meine Wohnsituation sah wie folgt aus: Ich habe zusammen mit anderen deutschen Praktikanten die
für ein ganzes Jahr einen weltkirchlichen Freiwilligendienst „weltwärts“ (mit der Stiftung Katholische
Freie Schule der Diözese Rottenburg- Stuttgart als Träger) in Santiago machten, in einer
Wohngemeinschaft gelebt. Das Haus lag im Zentrum der Stadt und wir waren selbst für die
Instandhaltung des Hauses verantwortlich. Auch wenn ich vier Jahre älter bin als meine vier
Mitbewohner hat unsere Gruppe super funktioniert und es gab nie ernsthafte Probleme zwischen
uns. Geburtstage, Feiertage, wie vor allem das Weihnachtsfest 2010, haben wir gerne zusammen
gefeiert und für mich war es als ob ich mit meinen Geschwistern zusammen gewesen wäre. Diese
gute Gruppenzusammenstellung habe ich auch den deutschen Betreuer Jörg Stein und seinen
Mitarbeiter zu verdanken, die alle Bewerber für das Santiago del Estero Programm der Diözese
Rottenburg- Stuttgart persönlich auswählten. Unsere Wohnsituation in Santiago del Estero war für
das Erlernen einer neuen Sprache vielleicht nicht ganz so optimal, jedoch war ich sehr froh darüber,
da man somit ständig bei eventuellen Problemen einen Ansprechpartner im Haus hatte. Vor allem zu
Beginn meines Praktikums war dies für mich persönlich sehr wichtig, da die sprachliche
Verständigung mit den Einheimischen noch etwas schleppend funktionierte. Auch über
Beobachtungen oder bestimmte Eigenarten der neuen Kultur konnte man sich gleich austauschen.
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Gesundheitlich hatte ich keinerlei Probleme. Die medizinische Vorsorge ist meines Erachtens
gewährleistet, wobei die Bedingungen zum Beispiel im öffentlichen Krankenhaus eher bescheiden
sind.
Ich halte meine Praktikumsstelle für zukünftige Praktikanten geeignet. Die Arbeit an den
Einrichtungen der SAED hat mir großen Spaß gemacht, natürlich hängt es auch vom Praktikanten
selbst ab, wie viel er bereit ist zu leisten und in was für Projekte er sich selbst einbringen möchte.
Auf jeden Fall erhält ein Praktikant hier in Santiago del Estero die Chance eines kulturellen
Austausches mit der santiagenischen/ argentinischen Kultur und ihren Gebräuchen. Da auch die
Betreuung durch unsere Mentorin und allen Mitarbeiter der SAED sehr gut ist, kann ich diese Stelle
also nur empfehlen. Informationen für zukünftige Bewerber bietet die Internetseite der Stiftung
Katholische
Freie
Schule
der
Diözese
RottenburgStuttgart:
http://www.schulstiftung.de/index.php?id=302
Ich glaube, ich konnte sehr gut in die santiagenische Kultur "eintauchen". Im Kontakt mit
unterschiedlichen Personen (SAED- Mitarbeiter, Lehrerkollegen, Schülern, Gemeinde- Leuten,
Freundeskreis,...) kann man auch sehr verschiedene Eindrücke sammeln. Ob bei Diskussionen über
Gesellschaft, Politik oder Fußball in einer gemütlichen Mate-Runde oder auf einem Folklore-Festival
mit Tanz und Musik –man kann sich dieser Kultur gar nicht entziehen, ohne sie in sich aufzunehmen
und wertzuschätzen. Gerade durch die sehr offene und herzliche Art der Menschen hier vor Ort fällt
es einem sehr leicht, sich angenommen zu fühlen und sich zu integrieren.
Für meinen weiteren Studienverlauf möchte ich die in Santiago gewonnen Erfahrungen nicht missen,
denn sie haben mir einen anderen Blickwinkel auf das Leben im Allgemeinen ermöglicht. Vor allem
hat mir dieses Praktikum gezeigt, dass der Lehrberuf auch einen Beitrag leisten kann, jungen
Menschen eine Perspektive zu bieten, aus der Armut herauszukommen. Diese Erfahrungen möchte
ich auch gerne meinen zukünftigen Schülern in Deutschland nahe bringen.
Über die finanzielle Unterstützung durch „Student und Arbeitsmarkt“ der LMU und die effektive
Betreuung durch Herrn Johannes Hoch möchte ich mich an dieser Stelle auch herzlich bedanken,
denn ohne diese Stütze wäre dieses Praktikum für mich persönlich sicher nicht möglich gewesen.
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