Jugend – Politik – Partizipation
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Jugend – Politik – Partizipation
Jugend und Politik Jugend – Politik – Partizipation Ergebnisse einer quantitativen und einer qualitativen Untersuchung Ingrid Burdewick Ausgehend von der Behauptung der Politikverdrossenheit werden hier Ergebnisse einer eigenen Untersuchung präsentiert, die Auskunft geben über die Einstellung von Jugendlichen zu etablierten Politikformen. Die hier gelieferten Ergebnisse werden mit denen der neuesten Shell-Studie kritisch abgeglichen. „Ein Gespenst geht um in Deutschland, und es heißt Politikverdrossenheit“ (Schweda 2000, 18). Die zunehmende Distanzierung der BürgerInnen vom „Geschäft“ der Politik wird allgemein beklagt. Besonders bei jungen Leuten ist in diesem Kontext eine ausgeprägte Skepsis zu verzeichnen (vgl. Deutsche Shell 2000). Schaut man sich allerdings die Ergebnisse der zahlreichen Untersuchungen zum politischen Interesse der jungen Generation genauer an, wird deutlich, dass von einem generellen Desinteresse an politischen Themen keinesfalls die Rede sein kann. Ein Institut der Universität Hannover führt in unregelmäßigen Abständen Befragungen mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch, die dann im so genannten „Jugendkompass“ veröffentlicht werden. Eine Umfrage, an der sich 1994 insgesamt mehr als 3000 junge Menschen aus verschiedenen Regionen Niedersachsens beteiligt haben, kommt zu dem Ergebnis, dass sich Jugendliche sehr wohl für politische Themenbereiche, wie etwa Umweltschutz, Friedenssicherung oder Entwicklungspolitik interessieren. Werden Jugendliche aber gefragt, ob sie sich mit der Politik im Bundestag, in den Länderparlamenten oder dem Gemeinde-/Stadtrat befassen, erhält man meist negative Antworten (vgl. Borchers 1995, 4f). Dem entspricht auch die Tatsache, dass der Anteil der Jugendlichen, die keine Partei bevorzugen, deutlich über dem Anteil der Erwachsenen liegt. Außerdem halten knapp zwei Drittel der jungen Menschen unsere Politiker und Politikerinnen für unglaubwürdig. Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter erstaunlich, wenn die Wahlbeteiligung der 18- bis 25Jährigen unter dem Niveau der Gesamtbevölkerung liegt und gleichzeitig sogar noch rückläufig ist (vgl. Institut für Demoskopie Allensbach 1993, 5f). Die genannten Fakten verdeutlichen, dass Jugendliche und auch junge Erwachsene zwar die traditionelle parlamentarische Politik meist „ätzend“ und „öde“ finden, aber keineswegs allgemein politikverdrossen, sondern eher parteien- und staatsverdrossen sind. Speziell bei Mädchen und jungen Frauen lässt sich eine große Distanz zur parlamentarischen Politik nachweisen. So gaben beispielsweise bei einer Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie lediglich 8 Prozent der befragten westdeutschen Mädchen im Alter von 14 und 15 Jahren an, sie würden sich für Politik interessieren, während es bei den Jungen 20 Prozent waren. Auch die Wahlbeteiligung junger Frauen liegt deutlich unter der gleichaltriger Männer. Bei der Gruppe der 18- bis 5 UJ 1/ 01 Jugend und Politik 25-jährigen Wählerinnen ist zum Beispiel durchweg die niedrigste Wahlbeteiligung überhaupt festzustellen (vgl. Institut für Demoskopie Allensbach 1993). Offenbar klafft die Schere zwischen der Ablehnung der institutionalisierten Politik einerseits und dem Interesse an politischen Themen andererseits bei Mädchen und jungen Frauen besonders weit auseinander: Mit der Politik im Bundestag, in den Länderparlamenten oder im Gemeinde-/ Stadtrat beschäftigen sie sich laut „Jugendkompass“ noch weniger als männliche Jugendliche. Ihr Interesse an politischen Themenstellungen, wie Umweltschutz, Friedenssicherung, Entwicklungspolitik oder Frauenpolitik ist dagegen größer als bei der männlichen Jugend. Aber nicht nur das Verhältnis junger Leute zur Politik, sondern auch die Lebensphase Jugend hat sich in den letzten drei Jahrzehnten stark verändert. Die Krisen im Bereich der Erwerbsarbeit sind keinesfalls mehr ausschließlich Belastungen des Erwachsenenlebens, von denen befreit Jugendliche quasi noch in einem Schonraum leben. Im Gegenteil: Probleme, wie drohende Arbeitslosigkeit oder Lehrstellenmangel, haben einer Studie des Jugendwerks der deutschen Shell zufolge „inzwischen … das Zentrum der Jugendphase erreicht“ (Fischer/Münchmeier 1997, 13). Nahezu jeder zweite Jugendliche hat Angst davor, keinen Ausbildungs- und Arbeitsplatz zu bekommen. Und selbst diejenigen, die einen Job haben, befürchten, die sichere Seite des Ufers wieder verlassen zu müssen (vgl. Münchmeier 1997, 280). Doch gerade in Bezug auf diese Hauptprobleme scheint die Politik in den Augen vieler Jugendlicher kaum Antworten zu haben. Vielfach wird über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten unter dem Vorzeichen von „Sachzwängen“ diskutiert. Und darin drückt sich indirekt die Botschaft aus, dass man sowieso nichts verändern kann. Re6 UJ 1/ 01 präsentative Einstellungserhebungen belegen, dass junge Menschen der Politik nicht zutrauen, „die großen Probleme in der Gesellschaft“ lösen zu können. So sind nur ein Prozent der 12- bis 24-Jährigen der Ansicht, dass es in der Zukunft sicher für alle einen adäquaten Arbeitsplatz geben wird (vgl. Fischer/Münchmeier 1997, 15). Entsprechend fühlt sich – wie in den Shell-Studien 1997 und 2000 ermittelt wurde – die Mehrzahl der Jugendlichen von der Politik und den Erwachsenen mit ihren Problemen im Stich gelassen. Daraus wird gefolgert, dass nicht etwa die Jugend politikverdrossen, sondern – ganz im Gegenteil – die Politik nach Ansicht der jungen Generation „jugendverdrossen“ sei (vgl. Fischer/Münchmeier 1997, 17 und Fischer 2000, 269). „Die Politiker kümmern sich sowieso nicht um uns!“, ist in diesem Kontext eine symptomatische Aussage vieler junger Leute. Jugendliche zeigen also keinesfalls ein generelles Desinteresse an politischen Themen, sondern sie haben den Eindruck, dass ihre Probleme von der Politik nicht wahrgenommen werden. In der Shell-Studie wird dieser Umstand folgendermaßen beschrieben: „Nicht die Jugendlichen sind an Politik desinteressiert, sondern sie unterstellen im Gegenteil, dass die Politik an ihnen nicht interessiert ist. Nicht die Politikverdrossenheit der Jugend, sondern die Jugendverdrossenheit der Politik wird hier zum Thema“ (Fischer/Münchmeier 1997, 17). Vor dem Hintergrund der hier skizzierten Situation stoßen Überlegungen, wie das politische Engagement junger Menschen intensiviert werden kann, auf ein zunehmend größeres öffentliches Interesse. Durch das Angebot verschiedener Partizipationsmöglichkeiten erhofft man sich zum einen, die Distanz der jungen Generation gegenüber der etablierten Politik verringern zu können. Zum anderen sollen die Wünsche und Vorstellungen junger Leute bei politischen Entscheidungen stärker berücksich- Jugend und Politik tigt werden. Mittlerweile gibt es in vielen Gemeinden bereits Gremien und Projekte, die Kindern und Jugendlichen ein Mitspracherecht einräumen. Herausgebildet haben sich sehr unterschiedliche Formen der Beteiligung. Bei genauerem Hinsehen lassen sich jedoch grundsätzlich drei Modelle unterscheiden:1 1. Die offenen Beteiligungsformen: Hier werden die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen nicht wie in Jugendparlamenten bzw. Jugendgemeinderäten gewählt, sondern es wird allen Interessierten die Gelegenheit gegeben, mitzureden und ihre Meinung zu äußern. 2. Die projektorientierten Formen: Kinder und Jugendliche treffen sich für einen begrenzten Zeitraum, um ein bestimmtes Projekt, z. B. eine Spielplatzneugestaltung, durchzuführen. 3. Und schließlich die parlamentarischen bzw. repräsentativen Partizipationsformen: Hier werden Kinder und Jugendliche in ein Gremium gewählt, um stellvertretend für die Interessen ihrer jungen WählerInnen einzutreten. Die Einrichtung von Jugendparlamenten erfolgt meist durch die Initiative Erwachsener. Sowohl inhaltlich als auch formal weisen die Parlamente eine ausgeprägte Orientierung an herkömmlichen Politikformen auf (ausführlicher Burdewick 1998). Forschungsprojekt zur politischen Partizipation Der These von der „Jugendverdrossenheit der Politik“ werde ich im Folgenden zunächst auf Grundlage der Ergebnisse einer quantitativen Befragung zum Thema Partizipation in Jugendparlamenten nachgehen, die ich im Rahmen eines von Prof. Dr. Karl Neumann geleiteten Forschungsprojektes der Technischen Universität Braunschweig zur politischen Partizipation von Mädchen und Jungen durchgeführt habe. Adressiert war die Befragung an 11- bis 18-jährige Kinder und Jugendliche, die 1995 berechtigt waren, das Jugendparlament in der Stadt Wittingen zu wählen. Das Jugendparlament wurde im Herbst 1995 für eine „Legislaturperiode“ von zwei Jahren durch geheime Stimmabgabe in den Schulen gewählt.2 Durchgeführt wurde die Befragung im Dezember 1996 – zu einem Zeitpunkt, als das Parlament bereits seit gut einem Jahr aktiv war. Die Ergebnisse basieren auf der Auswertung von 305 Fragebögen. Methodisch verfolgte das Projekt einen mehrperspektivischen Ansatz. So wurden parallel zur quantitativen Erhebung auch qualitative Interviews mit den Abgeordneten des Jugendparlamentes durchgeführt. Neben der Einstellung der jungen Abgeordneten zu ihrer Arbeit im Parlament im Besonderen kam hier auch ihr Verhältnis zur Politik im Allgemeinen zur Sprache. Ausgewählte Befunde der Interviews werden im Anschluss an die Darstellung der quantitativen Untersuchungsergebnisse vorgestellt. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes sind bisher unter anderem in dem Sammelband „,Ein bisschen mehr Macht …‘ Politische Partizipation von Mädchen und Jungen“ (vgl. Neumann/Burdewick 1998) und einer gleichnamigen Sonderausstellung im Schulmuseum Steinhorst veröffentlicht worden. 1 2 Zu den verschiedenen Beteiligungsformen in der Kommunalpolitik vgl. auch Lehwald/Madlmeyer 1997, Knauer/Brandt 1998, Bartscher 1998 und Bruner/Winklhofer/Zinser 1999. Zur Partizipation in der Schule vgl. z. B. Kiper 1998, S. 76ff. Aktives und passives Wahlrecht besaßen insgesamt 967 Wittinger Kinder und Jugendliche im Alter von 10 bis 17 Jahren. Die Wahlbeteiligung betrug 65,9 %. Der Verwaltungsausschuss der Stadt hat sich verpflichtet, über die Parlamentsbeschlüsse zu beraten und sie – wenn möglich – umzusetzen. Nach Ablauf der zweijährigen Amtszeit ist im Dezember 1997 in Wittingen ein neues Jugendparlament gewählt worden. 7 UJ 1/ 01 Jugend und Politik Ein Jugendparlament aus der Sicht seiner Wähler und Wählerinnen Wie beurteilen die Jugendlichen, die berechtigt waren, das Jugendparlament zu wählen, ihre Interessenvertretung? Sind sie zum Beispiel der Ansicht, dass das Parlament in der Kommunalpolitik ernst genommen wird oder eher nicht? Zunächst lässt sich feststellen, dass die wahlberechtigten SchülerInnen sehr große Hoffnungen in das junge Gremium setzen. Die überwiegende Mehrheit, nämlich 84 % der Befragten, ist der Meinung, dass sich die Situation von Kindern und Jugendlichen in Wittingen und Umgebung durch die Einrichtung des Jugendparlamentes verbessern wird. Besonders zuversichtlich äußern sich in diesem Punkt Mädchen und Jungen der sechsten bis achten Klassen. In dieser Altersgruppe geben 90,5 % der Befragten an, dass sie vom Jugendparlament eine positive Veränderung ihrer Situation erwarten. Die SchülerInnen der neunten bis dreizehnten Jahrgangsstufe sind zwar folglich etwas weniger optimistisch als die jüngeren, aber auch in dieser Befragungsgruppe befinden sich diejenigen Jugendlichen, die mit einer Verbesserung durch die Einrichtung des Parlamentes rechnen, mit 77,6 % noch deutlich in der Mehrheit. Sowohl in der jüngeren als auch in der älteren Befragungsgruppe gibt es aber Zweifel daran, ob die Beschlüsse des Jugendparlamentes kommunalpolitische Entscheidungen tatsächlich beeinflussen können; denn nur noch 59 % der Wahlberechtigten sind der Meinung, dass Kinder und Jugendliche durch die Einrichtung des Jugendparlamentes großen Einfluss darauf haben, was in der Wittinger Politik geschieht. Das Alter der Befragten beeinflusst offensichtlich ihre Beurteilung des Jugendparlamentes in erheblichem Maße: So hält die überwiegende Mehrheit, nämlich 70,3 % der SchülerInnen der sechsten bis achten 8 UJ 1/ 01 Klassen, das Jugendparlament für politisch wirksam, während nur knapp die Hälfte der älteren Jugendlichen (48,3 %) dem Parlament einen großen kommunalpolitischen Einfluss zubilligt. Noch weitaus kritischer als bei der Frage nach der kommunalpolitischen Wirksamkeit fallen die Antworten aus, wenn die Jugendlichen mit der Aussage: „Die Politiker und Politikerinnen hier in der Gegend hören sowieso nicht auf die Jugendlichen. Daran wird auch das Jugendparlament nichts ändern“ konfrontiert werden. Dieses Statement hält knapp die Hälfte der Befragten – nämlich 47,9 % – für richtig bzw. für zum Teil richtig. Die Zustimmung liegt bei den älteren Jugendlichen etwas höher (51 %) als bei den jüngeren (44,7 %). Aus welchen Gründen zweifeln die älteren Wahlberechtigten stärker an der politischen Wirksamkeit des Wittinger Jugendparlamentes als die jüngeren? Nehmen sie die jungen Parlamentarier nicht ernst oder misstrauen sie den Politikern und Politikerinnen? Aufschluss geben in diesem Kontext zwei weitere Ergebnisse unserer Befragung: Die SchülerInnen ab der neunten Klasse erhielten einen erweiterten Fragebogen. Hier sollte unter anderem eruiert werden, inwieweit Jugendliche das Parlament lediglich für eine „Spielwiese“ zur Einübung von Demokratie halten. Die Auswertung brachte folgendes Ergebnis: Knapp die Hälfte der älteren Befragten, nämlich 44,7%, betrachtet das Jugendparlament als Beteiligungsspielwiese. Dieses Ergebnis legt die Interpretation nahe, dass einerseits ein nicht unerheblicher Anteil der älteren SchülerInnen die Arbeit des Parlamentes nicht ernst nimmt und sich von daher auch nicht vorstellen kann, dass Forderungen und Beschlüsse des jungen Gremiums von den Politikern und Politikerinnen mit der erforderlichen Ernsthaftigkeit behandelt werden. Die Skepsis gegenüber der kommunal- Jugend und Politik politischen Wirksamkeit des Parlamentes dürfte aber andererseits auch auf einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber der kommunalpolitischen Vertretung basieren. Dies würde bedeuten, dass die wahlberechtigten Jugendlichen nicht an der Arbeit der jungen Abgeordneten zweifeln, sondern daran, dass die PolitikerInnen sich ernsthaft für die aus dem Jugendparlament vorgebrachten Interessen und Forderungen einsetzen. Immerhin sind etwas mehr als die Hälfte – nämlich 52 % – der befragten älteren Jugendlichen der Ansicht, das Jugendparlament sei nur eingerichtet worden, um das öffentliche Ansehen der PolitikerInnen, die dieses Gremium unterstützen, zu erhöhen. Demnach hat das Jugendparlament in den Augen eines großen Teils der Wittinger Jugendlichen für die KommunalpolitikerInnen lediglich Alibifunktion.3 Hoffnung und Skepsis Werden Jugendliche also ganz allgemein danach gefragt, ob die Interessenvertretung Jugendparlament eine Verbesserung ihrer Situation bringt, stimmen sie mehrheitlich zu, sollen sie sich konkreter zum möglichen Einfluss des Gremiums auf kommunalpolitische Entscheidungen äußern, sind sie schon deutlich skeptischer, und konfrontiert man sie mit dem Vorurteil, dass Kommunalpolitiker sowieso nicht auf Jugendliche und deshalb auch nicht auf ein Jugendparlament hören würden, werden die Zweifel am Einfluss des Parlamentes noch größer. Diese Befunde geben einerseits eine gewisse Skepsis gegenüber der politischen Effektivität des Jugendparlamentes wieder, andererseits wird auch deutlich, dass ein großer Teil der Wittinger Jugendlichen der Kommunalpolitik und den Repräsentanten dieser Politik misstraut. Diese Hypothesen werden sowohl durch die Tatsache gestützt, dass knapp die Hälfte der älteren Befragten das Jugendparlament eher für eine Beteiligungsspielwiese als für ein ernst zu nehmendes politisches Gremium hält und von daher wohl auch schwer von seiner politischen Effektivität zu überzeugen ist als auch dadurch, dass mehr als 50 % der älteren Wahlberechtigten der Ansicht sind, das Jugendparlament habe für die KommunalpolitikerInnen lediglich Alibifunktion. In diesem Zusammenhang kommt sicherlich auch die generelle skeptische Distanz Jugendlicher gegenüber politischen Organisationen und deren Repräsentanten und Repräsentantinnen, den Politikern und Politikerinnen, zum Ausdruck. Mit Blick auf unsere bisherigen Befunde lässt sich vor dem Hintergrund der Ergebnisse der ShellStudie zur „Jugendverdrossenheit der Politik“ sagen: Die Mehrheit der Befragten hält zwar die Einrichtung eines Jugendparlamentes für richtig, aber etwa die Hälfte der Wittinger Kinder und Jugendlichen ist von der „Jugendverdrossenheit der Politik“ so überzeugt, dass sie sich nicht recht vorstellen kann, dass die Forderungen des Jugendparlamentes bei kommunalpolitischen Entscheidungen tatsächlich berücksichtigt werden. Diese Hypothese wird durch ein weiteres Ergebnis unserer Befragung gestützt: 79 % der befragten Wahlberechtigten sind der Ansicht, dass PolitikerInnen sich im Allgemeinen nicht um die Wünsche und Meinungen von Kindern und Jugendlichen kümmern würden. Diese Meinung ist bei den jüngeren Befragten (84,4 %) noch aus- 3 Eine detaillierte Darstellung und Interpretation der Ergebnisse der quantitativen Befragung zum Jugendparlament Wittingen ist dem Beitrag „… in die Politik hineingerissen“ (Burdewick 1998) zu entnehmen. Hier wird unter anderem erläutert, welchen Einfluss die soziodemographischen Faktoren „Alter“, „Bildung“ und „Geschlecht“ sowohl auf die Beurteilung des Jugendparlamentes als auch auf das allgemeine politische Interesse der befragten SchülerInnen haben. Vgl. dazu auch Burdewick 2000. 9 UJ 1/ 01 Jugend und Politik geprägter als bei den älteren (73,5 %). Besonders deutlich zeichnet sich diese Einstellung bei den Hauptschülern und -schülerinnen (94,1 % Zustimmung) und in der Realschule (100 % Zustimmung) ab. Dies sind genau diejenigen Befragten, die im Hinblick auf den allgemeinen und den kommunalpolitischen Einfluss des Jugendparlamentes die größten Hoffnungen zum Ausdruck bringen. Wenn die Bejahung dieser Aussage als Indikator für die unterstellte „Jugendverdrossenheit der Politik“ genommen wird, liegt die Interpretation nahe, dass die jüngeren Befragten der traditionellen Politik distanzierter gegenüberstehen als die älteren. Die Einrichtung des Jugendparlamentes betrachten sie jedoch positiver als die SchülerInnen ab Klasse neun. Möglicherweise setzen sie größere Hoffnungen in das junge Gremium, weil sie ihre Wünsche und Interessen sonst kaum durch die Politik berücksichtigt sehen. und Jugendlichen. Dieses mangelnde Interesse hat nach Ansicht der Interviewten verschiedene Ursachen: Zum einen sind die meisten PolitikerInnen zu alt, um die junge Generation verstehen zu können, und zum anderen zu egoistisch, um sich überhaupt auf andere Interessen als die eigenen einlassen zu können. In den Interviews kommt in diesem Kontext auch deutlich zum Ausdruck, dass die Befragten ein überwiegend moralisch-idealistisches Politikverständnis haben und politische Fragestellungen häufig sehr emotional betrachten (vgl. Palentien/Hurrelmann 1997, 22). Auf Basis dieser Haltung stoßen sie auf große Defizite im Bereich der Politik. Die Interviews wurden übrigens zwischen September 1996 und Juni 1997 geführt, also zu einem Zeitpunkt, als die Parteispendenaffäre der CDU noch nicht in Sicht war. Linda (15/16) 6 hat mit ihrer Schulklasse eine Bundestagssitzung besucht. Sie schildert ihren Eindruck: „Die (PolitikerInnen) brasseln ganz schön viel und schmeißen mit Fremdwörtern um sich. Und wir sitzen alle nur da ,Bahnhof! Abfahrt‘. Es ist nicht so jugendverständlich …“ Politik aus der Perspektive von 11- bis 18-Jährigen Wie bereits erwähnt habe ich parallel zu der quantitativen Befragung auch 16 qualitative Interviews mit 11- bis 18-jährigen Jugendparlamentariern und -parlamentarierinnen durchgeführt und ausgewertet.4 Dabei wurde auch die Einstellung der Interviewten zur traditionellen Politik thematisiert. Die InterviewpartnerInnen beschreiben ihr Verhältnis zur Politik als ein sehr ambivalentes. Einerseits äußern sie eine große Distanz gegenüber den Institutionen und Repräsentanten der etablierten Politik, andererseits sind sie durchaus an politischen Themenbereichen interessiert. Die Sphäre des Politischen als solche erhält bei den Befragten eine große Wertschätzung,5 kritisiert wird dagegen der Missbrauch politischer Macht und das mangelnde Interesse der Politik an den Problemen von Kindern 10 UJ 1/ 01 Linda kritisiert, dass die PolitikerInnen inhaltlich nicht zu verstehen waren, weil sie so viele Fremdworte benutzt haben. Die Sprache der Politik ist für sie fremd und un- 4 5 6 Ausgewertet wurden und werden die Interviews mit der Methode der Grounded Theory (vgl. Strauss/Corbin 1996). Weitere Ergebnisse der qualitativen Interviews: Burdewick 1999. Hier sollte berücksichtigt werden, dass sich die Befragten bereits im Jugendparlament politisch engagieren und bei ihnen von daher ein größeres politisches Interesse und evtl. auch eine größere Wertschätzung des Politischen zu erwarten ist als bei weniger engagierten Kindern und Jugendlichen. Die Namen wurden geändert, um die Anonymität der Interviewten zu wahren. Ebenfalls aus diesem Grunde wird nicht das exakte Alter der Befragten angegeben, sondern es werden stets zwei Altersstufen zusammengefasst. Jugend und Politik verständlich. Die PolitikerInnen „brasseln“: Sie reden vor sich hin, ohne Rücksicht darauf, ob sie verstanden werden oder nicht. Sie stellen sich nicht auf die jugendlichen Gäste ein bzw. sie ignorieren deren Anwesenheit. Politik ist eine Erwachsenendomäne. Dies drückt sich bereits in der Sprache aus. Die SchülerInnen fühlen sich wie Fremde im politischen System. Linda und ihre MitschülerInnen verstehen nur „Bahnhof!“. Der Zug fährt ohne sie ab. Mit Bezug auf eine anschließende Informationsveranstaltung des Referats für Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Bundestages kritisiert Linda die mangelnde Bereitschaft der dortigen MitarbeiterInnen, sich auf Jugendliche einzulassen: „… zeigen einen Film und erzählen was. Und wenn wir was fragen, dann schweifen sie vom Thema ab, weil sie darauf wohl nicht programmiert waren. Dann ist es wieder vorbei“. Linda kritisiert, dass die MitarbeiterInnen des Referats für Öffentlichkeit versuchen, über ihre Unwissenheit oder Irritation hinwegzutäuschen, indem sie bei unerwarteten Fragen das Thema wechseln. Die Interviewpartnerin gebraucht in diesem Zusammenhang den Begriff „programmiert“. Die MitarbeiterInnen waren auf bestimmte Fragen nicht „programmiert“. Sie funktionieren aus Lindas Perspektive ähnlich wie ein Computer, der nur Probleme lösen kann, deren Lösung im Programm gespeichert ist. Sie agieren demnach in gewissem Sinne wie Maschinen. Diese von ihr erlebte Haltung setzt Linda mit dem Verhalten vieler PolitikerInnen gleich. An anderer Stelle antwortet sie auf meine Frage, inwieweit sie die Einschätzung vieler junger Menschen teilt, dass die Wünsche und Interessen von Kindern und Jugendlichen in der Politik nicht ernst genommen werden: „Ich denke halb, halb. Ich meine, wenn es Fragen oder Wünsche sind, die sie (die PolitikerInnen) beantworten können und auf die sie vorbereitet sind, dann würde ich das nicht so sagen. Aber wenn ihnen mal jemand irgend eine Frage stellt von den Kindern oder so, die den Politikern nicht passt oder sie bloßstellt, dann schweifen sie ab.“ Ein Großteil der PolitikerInnen lässt sich demzufolge lediglich innerhalb eines vorgegebenen Rahmens bzw. Programms auf die Interessen von Kindern und Jugendlichen ein. Wird dieser Rahmen zum Beispiel durch eine Frage gesprengt, wechseln die PolitikerInnen laut Linda das Thema und vertuschen so ihre Unsicherheit oder Irritation. Damit würden sie versuchen, Kinder und Jugendliche über eigene Unzulänglichkeiten hinwegzutäuschen. Die nach Ansicht der Interviewten im Bereich der Politik verbreitete Unehrlichkeit wird in den Interviews vielfach thematisiert. Britta (13/14) bemängelt zum Beispiel, dass PolitikerInnen häufig bluffen würden, um mangelndes Wissen zu vertuschen: „Die meisten Politiker tun immer so, als ob sie eine Ahnung hätten, aber meistens wissen die gar nicht, was irgendwie abläuft.“ Auch Nora (15/16) zweifelt an der Ehrlichkeit mancher PolitikerInnen: „…wie sie (die PolitikerInnen) schon reden … Dann denk ich schon immer: ,Na so was, das kann gar nicht ernst sein, was der da sagt.‘ Und so ist das halt, dass dich das nicht so begeistert“. Diesen Aussagen zufolge mangelt es Politikern und Politikerinnen in vielen Punkten an Wissen. Sie seien oft nicht darüber informiert, „was irgendwie abläuft“. Dieses Defizit würden sie vertuschen, indem sie Wissen vortäuschten. Außerdem stehen sie nach Meinung der Interviewten häufig nicht hinter den Inhalten, die sie öffentlich vertreten, und täuschen damit ihre WählerInnen. Auffällig ist, dass nicht in erster 11 UJ 1/ 01 Jugend und Politik Linie das Informationsdefizit von PolitikerInnen, sondern vor allem der Versuch, diesen Mangel zu verstecken, kritisiert wird. Indirekt bringen die Befragten also einen hohen Anspruch an die moralische Integrität der PolitikerInnen zum Ausdruck. Letztere sollten ehrlich sein und nicht versuchen, die BürgerInnen zu täuschen. Dass viele politische Repräsentanten und Repräsentantinnen diesen Anspruch nicht zu erfüllen scheinen, wird als Grund für die Distanz zur traditionellen Politik genannt. Marco (17/18) kritisiert, dass die PolitikerInnen die Wünsche von Jugendlichen oft nicht ernst nehmen würden. Dies mache sich daran bemerkbar, dass bei politischen Entscheidungen besonders in Bezug auf die Umweltpolitik und die Sicherung der Renten nicht an die Zukunft gedacht würde. „Manchmal denken die Politiker einfach zu kurzsichtig. … Die erhalten die Rohstoffe nicht für die Nachkommen … Weil ich weiß jetzt schon, dass ich, wenn ich fünfundsechzig bin, keine Rente mehr kriege. … Sie (die PolitikerInnen) denken bestimmt ,die Kinder, lass’ die reden‘ oder sie sagen ,die Kinder haben keine Ahnung davon‘.“ Marco ist der Ansicht, dass PolitikerInnen nicht ausreichend Verantwortung für die Zukunft übernehmen und Kinder mit ihren Anliegen häufig einfach übergehen bzw. bei Kindern von vornherein ein mangelndes Wissen voraussetzen, ihnen deshalb nicht zuhören und damit auch deren Probleme nicht ernst nehmen. Marco drückt hier gleichzeitig seine Angst vor der Zukunft aus, die Angst vor zunehmender, rücksichtsloser Ausbeutung der Umwelt und vor einer mangelnden finanziellen Absicherung im Alter. Diese Ängste sind gepaart mit der Vorstellung, dass die Politik und die PolitikerInnen hier keine adäquaten Lösungen anbieten können. Es fehlt ihm also das Zutrau12 UJ 1/ 01 en, dass die Politik in der Lage ist, die aktuellen Probleme zu lösen (vgl. Blanke 1997, 44). Als eine weitere Ursache für das distanzierte Verhältnis zur etablierten Politik geben die Interviewten die Zentriertheit der Politik auf ältere männliche Erwachsene an. Politiker werden in diesem Zusammenhang als ältere strenge Herren, die sich meilenweit von den Interessen und Problemen von Kindern und Jugendlichen entfernt haben, charakterisiert. „Politiker, so wie Kohl, die sind irgendwie so vornehm. Ich find’ die irgendwie nicht so toll … Viele Leute gucken auch immer so streng und ganz komisch … Das meiste sind ja so alte Herren.“ Jasmin (13/14) beschreibt die Politiker als „vornehm“ und damit auch als distanziert, aus einer „höheren“ Schicht stammend. Entsprechend wünscht sie sich, dass Politiker „fröhlicher“ sein und sich stärker für Jugendliche einsetzen sollen. Strukturen traditioneller Politik Die Interviewten bringen wiederholt zum Ausdruck, dass sie sich nicht oder nur wenig mit der etablierten Politik beschäftigen, weil sie das, was dort passiert, für langweilig halten. Als einen Grund für diese Langeweile geben sie an, Politik sei ihnen häufig nicht effektiv genug. Bestimmte Probleme würden beispielsweise immer wieder aufs Neue besprochen, aber letztlich nicht gelöst. Dazu gehört auch, dass ihnen die Zeit von der Formulierung politischer Beschlüsse bis zu deren Umsetzung häufig als unnötig lang erscheint. Julian (17/18) ist der Meinung, dass Jugendliche, wenn sie stärkere Mitspracherechte in der Politik erhalten würden, in vielen Fällen effektiver arbeiten könnten als erwachsene PolitikerInnen. Jugend und Politik „… weil in der Politik, in der Demokratie alles so lange dauert. Wenn ein Junger das machen würde, was Erwachsene da machen, der würde von heute auf morgen das erledigen, was im Bundestag zwei bis drei Jahre oder zehn Jahre dauert … Für die Jugendlichen dauert das viel zu lange“. Linda fühlt sich dagegen angesichts der Langwierigkeit politischer Verfahrensweisen eher ohnmächtig. Im Unterschied zu Julian räumt sie ein, dass dies ein Bestandteil sei, der politischen Entscheidungsprozessen notwendig anhaftet: „Finde ich schon, dass es (in der Politik) alles ziemlich lahmarschig ist. Aber kann man nichts gegen machen. Dass so viel Anträge rübergestellt werden und Beschlüsse und dann muss der das noch korrigieren und der muss sich das noch überlegen. Es dauert halt seine Zeit.“ Merle (13/14) antwortet auf meine Nachfrage, warum sie Politik für langweilig hält: „Na ja, weil man einfach nur zugebräst wird. Also, die reden einen voll mit Problemen, die schon seit Anfang des Jahres da sind, und die sie irgendwie immer noch nicht lösen konnten, warum auch immer. Weil die, weiss ich auch nicht, das nicht können. Und dann erzählen sie das irgendwie immer wieder von vorne und können es trotzdem nicht lösen.“ Carola (17/18) kritisiert die mangelnde Problemlösungskompetenz der politischen Parteien: „… die SPD oder auch andere Parteien sind ja teilweise wirklich so, dass die zu irgendwelchen Sitzungen aufrufen, wo eigentlich nur das wieder durchgekaut wird, was sie bei der letzten Sitzung halt durchgekaut haben. Und das find ich dann immer eher öde, wenn dann immer irgendwie so das Gleiche von den Leuten kommt“. Politik erscheint als „lahmarschig“, man wird „zugebräst“ und bestimmte Themen werden immer wieder „durchgekaut“. Politik ist demnach langweilig und die Beschäftigung mit Politik macht wenig Spaß. Spaß ist aber bei Jugendlichen ein hochbesetzter Wert, der mit Spontaneität, Humor, Lebendigkeit, Gefühl in Verbindung gebracht wird (vgl. Blanke 1997, 42). Demgegenüber charakterisieren Jugendliche Politik als zäh, ermüdend, steif und abstrakt. Außerdem wird die Politik als wenig effektiv beschrieben, da existenziell bedeutsame Probleme, wie Rentensicherung und Umweltschutz, nach Ansicht der Befragten nicht gelöst, sondern lediglich zerredet werden. Strategien und Zusammenfassung Den Interviewten mangelt es nicht an Ideen, wie die hier beschriebene Distanz zwischen Politik und Jugend verringert werden könnte. Britta schlägt den Politikern und Politikerinnen zum Beispiel die Strategie vor, vermehrt mit den Jugendlichen in Dialog bzw. persönlich in Kontakt zu treten. „Da (in der Politik) passiert ja fast gar nichts, was die Jugendlichen angeht. Und ich weiß nicht wieso. Ob die (PolitikerInnen) darüber keine Ahnung haben? … Also die sollten sich echt mehr darum kümmern. … Man müsste einfach nur mal einen Durchschnittsjugendlichen ausfragen, dann wüssten die schon viel mehr … oder eine Gruppe von Jugendlichen aus irgendwelchen verschiedenen Städten oder Dörfern rauspicken … Dann wüssten sie sicher schon viel mehr.“ Auch Niels (11/12) plädiert dafür, Jugendliche häufiger direkt nach ihrer Meinung zur Politik zu fragen. Auf meine abschließende Frage, wie er unser Interviewgespräch einschätzen würde, antwortet er: „Also, ich fand das sinnvoll. Ich glaub’, das bringt auch irgendwie was, dass man dann weiß, wie so Jugendliche denken.“ Vergessen sollte man in diesem Zusammenhang auch nicht die bereits zitierte Überzeugung Julians, dass Politik zum Teil effektiver wäre, wenn sich junge Leute stärker in das politische Geschehen einmischen würden. 13 UJ 1/ 01 Jugend und Politik Fassen wir die Aussagen meiner InterviewpartnerInnen zusammen: PolitikerInnen sprechen eine fremde Sprache, sie stellen sich zu wenig auf die Bedürfnisse von Jugendlichen ein, sie haben häufig ein Informationsdefizit, täuschen aber über diese Unzulänglichkeit hinweg und sie sind in der Regel zu alt, um Jugendliche verstehen zu können. Politische Entscheidungsprozesse sind langweilig und zäh. Den Akteuren der Politik mangelt es in der Regel an moralischer Integrität und an Kompetenz bzw. Durchsetzungsfähigkeit, wenn es um die Lösung existenziell bedeutsamer Probleme geht. Positiv formuliert lässt sich also sagen, nach Ansicht der interviewten Jugendlichen sollte die Politik sich stärker auf Probleme und Vorstellungen der jungen Generation einlassen und die PolitikerInnen müssten glaubwürdiger sein. Außerdem würden sich die jungen Leute besser durch jüngere PolitikerInnen vertreten fühlen. Darüber hinaus müssten aktuelle Probleme effektiver bewältigt werden. Politik sollte lebendiger sein. Zudem wäre es sinnvoll, die Jugendlichen häufiger direkt nach ihrer Meinung zu fragen, und nicht zuletzt sollte man ihnen insgesamt größere Mitsprachemöglichkeiten in der Politik einräumen. Resümee Sowohl in der quantitativen als auch in der qualitativen Untersuchung kommt deutlich zum Ausdruck, wie wenig sich Jugendliche mit ihren Wünschen und Interessen in der etablierten Politik aufgehoben fühlen. Die WählerInnen des Wittinger Jugendparlamentes zweifeln an der Effektivität ihrer Interessenvertretung, weil sie sich unter anderem nicht vorstellen können, dass die KommunalpolitikerInnen das Parlament ernst nehmen. Die Adressaten und Adressatinnen der qualitativen Inter14 UJ 1/ 01 views äußern ein großes Misstrauen gegenüber den Repräsentanten und Repräsentantinnen der Erwachsenenpolitik. Sie haben den Eindruck, häufig von den PolitikerInnen belogen zu werden, und sie sind der Meinung, dass ihre Probleme und Wünsche in der Politik kaum Berücksichtigung finden. Nicht zuletzt wegen der „zähen“ Strukturen etablierter Politik sehen sie für sich wenig Möglichkeiten, ihre Interessen hier wirksam einbringen zu können. Der Eindruck, keine ausreichende Anerkennung in der Politik zu finden, gepaart mit dem Gefühl der Ohnmacht gegenüber politischen Machtstrukturen führt – trotz des durchaus vorhandenen Interesses an politischen Themen – zu einer Distanzierung von der Politik. Will man dieser zunehmenden Distanzierung entgegenwirken, ist es einerseits sinnvoll, nach adäquaten, altersgerechten politischen Mitwirkungsmöglichkeiten zu suchen, in denen die Wünsche, Probleme und Vorstellungen von Jugendlichen eine Wertschätzung erhalten. Andererseits sollte die Kritik junger Menschen an den Inhalten und Formen etablierter Politik aber auch zum Anlass genommen werden, um sich mit entsprechenden Veränderungsmöglichkeiten im Bereich der Politik auseinander zu setzen. Es reicht also nicht aus, „lediglich den Versuch zu unternehmen, Politik besser zu verkaufen oder demokratische Regeln einzuüben. Etwas ernster sollte man die Probleme Jugendlicher schon nehmen“ (Fischer 2000, 282). Dies bedeutet im Übrigen nicht, dass die Politik sich nun stromlinienförmig den Bedürfnissen von Jugendlichen anzupassen hätte. Es geht vielmehr darum, Jugendliche nicht ausschließlich als Objekte politischer Erziehung und politischer Entscheidungen zu betrachten, sondern ihnen in der Politik als Subjekten mit spezifischen Vorstellungen und Problemen einen größeren Stellenwert einzuräumen. Jugend und Politik Literatur Bartscher, M., 1998: Partizipation von Kindern in der Kommunalpolitik. Freiburg im Breisgau Blank, R., 1997: „Ich habe andere Sorgen als Politik.“ Qualitative Studie „Jugend 97“. In: Jugendwerk der deutschen Shell (Hrsg.): Jugend 97. Zukunftsperspektiven, Gesellschaftliches Engagement, Politische Orientierungen. Opladen, S. 33 – 77 Borchers, A., 1995: Interessensgebiete junger Menschen. In: Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung an der Universität Hannover (Hrsg.): Jugend und gesellschaftliche Mitwirkung. Der Jugendkompass Niedersachsen. Hannover, S. 3 – 21. Bruner, C. F./Winklhofer, U./Zinser, C., 1999: Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in der Kommune. Ergebnisse einer bundesweiten Erhebung. München Burdewick, I., 1998: „… in die Politik hineingerissen“. Politische Partizipation von Mädchen und Jungen am Beispiel des Jugendparlamentes in Wittingen. In: Neumann, K./Burdewick, I. (Hrsg.): „Ein bisschen mehr Macht …“ Politische Partizipation von Mädchen und Jungen. Braunschweig, S. 113 – 155 Burdewick, I., 1999: Jugendparlamente gegen „Politikverdrossenheit“? Ein Beteiligungsmodell unter der Lupe. In: Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit, 50. Jg., H. 11, S. 415 – 420 Burdewick, I., 2000: Politische Partizipation von Mädchen und Jungen. Empirische Forschungsergebnisse zum Thema Jugendparlament. In: Neue Praxis, 30. Jg., H. 3, S. 322 – 330 Deutsche Shell (Hrsg.), 2000: Jugend 2000. Band 1. Opladen Fischer, A./Münchmeier, R., 1997: Die gesellschaftliche Krise hat die Jugend erreicht. Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse der 12. Shell Jugendstudie. In: Jugendwerk der deutschen Shell (Hrsg.): Jugend ’97. 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Neuwied/Kriftel/Berlin, S. 11 – 29 Schweda, B., 2000: Dynamisch und machtlos? Podiumsdiskussion mit jungen Abgeordneten. In: Das Parlament. Wochenzeitung vom 7. 7. 2000, S. 18 Strauss, A./Corbin, J., 1996: Grounded Theory. Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Weinheim Die Autorin Ingrid Burdewick M. A. Fachhochschule Braunschweig Fachbereich Sozialwesen Ludwig-Winter-Straße 2 38120 Braunschweig Jg. 1960, wiss. Mitarbeiterin, Philosophin und Literaturwissenschaftlerin 15 UJ 1/ 01