Noch schärfer sehen

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Noch schärfer sehen
Noch schärfer sehen
Der HDTV-Showcase zu den Leichtathletik-Weltmeisterschaften
2009 in Berlin
Von Nawid Goudarzi
Die jüngsten Leichtathletik-Weltmeisterschaften waren
nicht nur ein internationales sportliches Großereignis,
das dem Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) und
seinen jungen Athleten einen Aufschwung bescherte,
sondern auch ein Meilenstein der technischen
Entwicklung des Fernsehens in der Bundesrepublik:
Erstmals wurde eine Veranstaltung dieser Größen­
ordnung von ARD und ZDF in hochauflösenden Bildern
produziert und in dem neuen Format HDTV (High
Definition Television) in ihren Hauptprogrammen und
in Einsfestival ausgestrahlt. Und nicht nur das: Die
Bilder, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Berlin
aufnahm, gingen in die ganze Welt und wurden von bis
zu sieben Milliarden Menschen gesehen. Für ARD und
ZDF eine rundum gelungene Generalprobe vor dem
Start des HDTV-Regelbetriebs im Februar 2010 mit den
Olympischen Winterspielen in Vancouver.
Leichtathletik-WM in HDTV
D
er Himmel war strahlend blau, die
Kulisse emotional aufgeladen. Das
Ereignis voller Dramatik. Im blau
ausgelegten Rund des Berliner Olympia-Stadions und auf dutzenden Kilometern in
Berlins Mitte wartete eine der größten Herausforderungen seit Einführung des Farbfernsehens
in Deutschland.
Die 12. Leichtathletik-Weltmeisterschaften
in Berlin vom 15. bis 23. 8. 2009 wurden zur
Bühne für den bislang größten HDTV-Probelauf (»Showcase«) von ARD und ZDF. Vor
dem Beginn der Regelausstrahlung des hochauflösenden Fernsehens zu den Olympischen
Winterspielen im Februar 2010 in Vancouver
war dies die Stunde der Wahrheit. »Probelauf«
ist allerdings etwas untertrieben, denn dies war
Live-Fernsehen, bei dem alles klappen musste.
Ohne eine zweite Chance. Zudem sah die Welt
nicht nur einfach zu, sondern 21 Sender in zehn
Nationen erwarteten die Bereitstellung eines
HDTV-Signals, technisch wie programmlich in
bester Qualität und ohne Pannen.
Die Leichtathletik-Weltmeisterschaften sind
nach den Olympischen Spielen und der Fußballweltmeisterschaft das drittgrößte sportliche
Ereignis. In Berlin nahmen rund 2 500 Athleten
teil. Etwas größer war die Anzahl der akkreditierten Berichterstatter der verschiedenen Medien: rund 3 500, darunter Kolleginnen und Kollegen von Fernseh- und Rundfunkanstalten aus
180 Ländern. Nach Einschätzung des Leichtathletik-Weltverbands verfolgten etwa sechs bis
sieben Milliarden Zuschauer weltweit die Wettkämpfe am heimischen Fernsehschirm.
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Das International Broadcasting
Center (IBC) befand sich in Containern
direkt neben dem Olympia-Stadion.
_ Die Vorgeschichte
Bereits in den 1970er Jahren prognostizierte der
Erfinder des elektronischen Fernsehens, Manfred von Ardenne, dass die wichtigste Aufgabe
nach der Einführung des Farbfernsehens die
Erhöhung der Bildqualität mit der Verdopplung
der Zeilenzahl sein werde. Aktuelle HDTVStandards kommen dieser Vorstellung sehr
nahe.
Das weltweit geschätzte, in Deutschland
entwickelte PAL-Farbfernsehen verwendet
576 sichtbare Bild-Zeilen, mit 50 Halbbildern
je Sekunde (Interlace-Verfahren). Der interKabel­brücken überspannten
die Wege im IBC (l.). Dort standen auch
die Satelliten­übertragungswagen
der Sender aus dem In- und
Ausland (r.).
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national auch eingesetzte HDTV-Standard
1080i/25 benutzt zwar deutlich mehr Bildpunkte
(1080 x 1920), allerdings mit nur 540 Zeilen und
50 Bildern je Sekunde im Halbbildverfahren.
Umfangreiche Tests der Europäischen Rundfunkunion (EBU) zeigten, dass die Übertragung
von 720 Zeilen mit 50 Bildern je Sekunde im
Vollbildmodus (720p/50) auf modernen Flachdisplays im Vergleich zum Format 1080i/25
das bessere Bild liefert (vgl. ARD-Jahrbuch 08,
S. 52).
Parallel gab es Versuche nach international
genormten Standards, die vom Münchner Ins­
titut für Rundfunktechnik (IRT) durchgeführt
wurden. In den Tests wurden Probanden Bild­
inhalte in beiden HDTV-Bildformaten gezeigt.
Anschließend wurde nach dem subjektiven
Eindruck zur Bildqualität gefragt. Aufgrund des
natürlichen Auflösungsvermögens des menschlichen Auges wird die hohe Auflösung erst ab
einer bestimmten Bildschirmgröße bzw. bei
einem bestimmten Betrachtungsabstand erkennbar. Die genannten Tests berücksichtig­ten
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daher Bildschirmgrößen bis 50 Zoll beim für
HDTV üblichen Betrachtungsabstand, der die
dreifache Bildhöhe beträgt.
Besonders bei schnellen Bildveränderungen
wie im Sport erweist sich die erhöhte Bildfrequenz als deutlicher Vorteil für die Bewegungsschärfe. Dadurch, dass doppelt so viele Bilder
für eine Bewegungsphase aufgezeichnet werden
und sich deshalb die »Verschlusszeit« verkürzt,
werden die Konturen des Abbildungsgegenstands schärfer.
Der EBU-Empfehlung folgend strahlen
nicht nur ARD und ZDF, sondern auch ORF
(Österreich), SRG (Schweiz) und ARTE HDTV
in diesem Format aus. Weitere europäische
Rundfunkanstalten wie SVT (Schweden), VRT
(Belgien), DR (Dänemark), NRK (Norwegen)
und TVP (Polen) verwenden bereits das Format
720p/50 oder denken darüber nach, dies zukünftig zu tun.
Um diesen Auftrag zu erfüllen, bildeten die
Landesrundfunkanstalten und das ZDF eine
Arbeitsgemeinschaft unter dem Namen BERTA
(Berlin Radio and Television Athletics), wobei
das ZDF diesmal die Gesamtfederführung inne
hatte. Federführer für die ARD und gegenüber
dem ZDF war der NDR in redaktioneller und
der RBB in produktioneller Hinsicht.
Aufgabe war es, für die internationale Berichterstattung ein so genanntes Weltbild in
HDTV zu erstellen. Der RBB kam in doppelter
Funktion zum Einsatz. Bei der nationalen Berichterstattung war er verantwortlich für die
Produktion der Sendungen im Ersten und bei
der Übertragung der Marathon- und der GeherWettbewerbe zusätzlich für das ZDF. Gemeinsam mit dem ZDF war er Kooperationspartner
für das IAAF-Organisationskomitee und das
Berliner Organisationskomitee.
Zum Zeitpunkt der WM-Vergabe gab
es erste Überlegungen bei ARD und ZDF,
2010 mit der HDTV-Regelausstrahlung ihrer
Hauptprogramme zu beginnen. Anders als die
kommerziellen Wettbewerber haben sich die
Die Reporterplätze im Stadion:
im Aufbau und im Einsatz
_
Die Vorbereitung
2004 erhielt Berlin vom Internationalen Leichtathletikverband IAAF den Zuschlag als Austragungsort für die Leichtathletik-Weltmeisterschaften. In der Bundesrepublik Deutschland
fanden sie zuletzt 1993 in Stuttgart statt. Der
Verband hatte auch diesmal ARD und ZDF als
gastgebende nationale Anstalten, als so genannter Host-Broadcaster, mit der Durchführung
der Produktion und Übertragung beauftragt.
Leichtathletik-WM in HDTV
öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nicht
durch eine HD-Euphorie und den allgemeinen
Erwartungsdruck treiben lassen, sondern ein realistisches Einführungsszenario entwickelt, das
vor allem unter Kosten­aspekten auch vor dem
Hintergrund der Rundfunkgebührendiskussion
Stand halten musste.
Vor den Weltmeisterschaften hatten ARD
und ZDF daher kaum Erfahrungen mit den
technischen Herausforderungen einer mehrtägigen HD-Produktion, und der RBB als
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kleinere ARD-Anstalt übernahm in dieser Situation eine besondere Verantwortung. Zwar hatte
er als Landesrundfunkanstalt von Berlin und
Brandenburg sportliche Großereignisse wie den
Berlin-Marathon bereits mehrfach mit großem
Erfolg übertragen, doch die Leichtathletik-Weltmeisterschaften stellten neben dem technischen
Neuland auch hinsichtlich Organisation und
Ablauf eine andere Größenordnung dar.
So war beispielsweise an der Südseite des
Olympiastadions ein IBC (International Broadcasting Center) einzurichten, in dem u. a. der
HDTV-Hauptschaltraum, das Booking Office
(internationales Dispositionsbüro), Büros und
Funktionsräume für alle Broadcaster sowie alle
Ü-Wagen und SNG-Einheiten (Satellite News
Gathering) untergebracht werden mussten.
Die neun Veranstaltungstage wurden wie
bei anderen ARD/ZDF-Gemeinschaftsproduktionen dieser Größenordnung aufgeteilt. So
übertrug die ARD an fünf Tagen und das ZDF
an vier.
Anders als sonst bei Weltmeis­terschaften
oder Olympischen Spielen fanden beispielsweise bei den Marathonläufen und Geherwettbewerben Start und Zieleinlauf nicht im
Stadion, sondern an einem zusätzlichen Übertragungsort, am Brandenburger Tor, statt. Für
die Produktion waren daher besondere Vorkehrungen zu treffen. So sollte das HD-Signal von
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Kabelbrücke zwischen IBC und Stadion (o.)
und zentraler Schaltraum (l. u.)
den Geher- und Marathonwettbewerben über
eine Glasfaserstrecke zum International Broadcasting Center am Olympiastadion geführt
werden. Als »Back-Up« war ein Signalweg über
einen Satelliten-HD-Transponder vorgesehen.
Für den Marathon waren zwei HD-Ü-Wagen,
die von SWR und SR beigestellt wurden, und
eine SNG mit insgesamt 27 Kameras entlang
der Strecke im Einsatz, beim Gehen waren es 20
Kameras. Um die Läufer auch aus ungewöhnlichen Perspektiven einfangen zu können, wurden jeweils drei Kameras auf Motorrädern und
im Hubschrauber genutzt. Dabei dienten die
Hubschrauber auch als Relaisstation, um die
HD-Signale der Motorradkameras zu empfangen und zum Ü-Wagen am Brandenburger Tor
zu übertragen.
Im Juni 2009 wurde an der Geherstrecke,
einem Zwei-Kilometer-Rundkurs, für zwei Tage
ein spezielles digital-terrestrisches HD-Übertragungssystem aufgebaut und unter Extrembedingungen getestet. Alle Tests waren erfolgreich,
alle Signale waren am Übertragungsort, Brandenburger Tor, störungsfrei verfügbar, so dass
mit dieser Technik Live-Bilder von der Strecke
geliefert werden konnten.
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HDTV-Ü-Wagen des SR (o.) und
Kameramann (u.) bei den Geher­wett­
bewerben am Brandenburger Tor
Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Vorbereitung betraf Fragen der HDTV-Kompatibilität
der verschiedenen zum Einsatz kommenden
technischen Komponenten. Was sich bei den
herkömmlichen SD-Großproduktionen zur
Selbstverständlichkeit entwickelt hat, dass die
Komponenten untereinander kompatibel sind,
stellte angesichts unterschiedlicher HDTVStandards und -Equipments eine zusätzliche
Herausforderung dar, die aber erfolgreich gemeistert werden konnte. So haben sich ARD
und ZDF bei der EB-Aufnahme und EB-Bearbeitung darauf verständigt, für die Berichterstattung einheitlich HPX 2100-Kameras von
Panasonic einschließlich der zugehörigen Speicherkartensysteme einzusetzen.
onrund ermöglicht, die auf Schienen flitzende
Railcam, Sportscams (fernbedienbare Kameras,
die u. a. bei den Wurfwettbewerben zum Einsatz kamen), Highspeed- und Superslowmotion-Kameras und Kameras auf Kränen, die den
Hochsprung beispielsweise in der Bewegung
jeweils auf Körperhöhe verfolgen können.
_ Auf Sendung
Der Countdown lief. Mit Erleichterung lässt
sich nachträglich konstatieren, es funktionierte
alles planmäßig und beherrschbar. 65 »normale«
HD-Kameras waren im Olympia-Stadion eingerichtet. Aber auch Spezialkameras gehören
heutzutage zum internationalen Produktionsstandard: die seilwindengesteuerte Spidercam,
die »fliegende« Aufnahmen über dem Stadi-
Leichtathletik-WM in HDTV
In sechs Regien liefen alle Kameraquellen
zusammen, unterteilt nach Sportarten und
Schauplätzen in sieben so genannten Feeds. Siegerehrungen bekamen genauso ein eigenes Feed
wie beispielsweise die Wurfdisziplinen Ham-
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mer, Diskus, Speer. Die nationale Regie von
ARD und ZDF wurde mit zusätzlichen acht
Kameras ergänzt, um die deutschen Teilnehmer
besonders gut ins Bild rücken zu können. Die
Containerstadt auf dem Parkplatz an der Südseite des Olympiastadios war also komplett vorbereitet: Schalträume, Ü-Wagen, Schnittplätze,
kurz die gesamte Technik betriebsbereit und alle
beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
aus Programm, Produktion und Technik in den
Startlöchern.
In der Stadt und auf den Bildschirmen
stimmten nun auch Plakate und Trailer Besucher und Zuschauer auf das Ereignis und auf
das hochauflösende Fernsehen ein: »Gutes
noch besser sehen«, »So scharf wie noch nie«,
»Höher, schneller, high definition«. Dann war
es soweit. Kugelstoßen der Männer, 100 Meter
Hürden und 3 000 Meter Hindernis der Frauen
– die ersten offiziellen HDTV-Bilder, die ersten
Disziplinen am ersten Wettkampftag bei Das
Erste HD.
Die Bilder waren, wie erhofft, von beste­
chender Schärfe und Klarheit. Sogar das Son­
nenlicht schien bei den hochauflösenden
Bildern besser zu wirken. Starke Helligkeitsunterschiede bedingt durch die Schattenbildung der Stadionarchitektur sind für Kameras
generell ein Problem. Die 100-Meter-Bahn an
diesem Samstagvormittag im Schatten, die
Wettbewerbe auf dem Rasen in gleißendem
Hochsommerlicht. In der Regie gelang das richtige elektronische Austarieren.
Für die HD-Kamerafrauen und -männer
lauert allerdings die Gefahr beim Einstellen
der Schärfe. Natürlich muss man auch in SDQualität sorgfältig arbeiten, doch HD, so hört
man von ihnen, verlangt viel mehr Konzentration und Voraussicht. Jeder kleine Schärfefehler
wird viel stärker sichtbar als normalerweise. Andererseits kann zuviel Schärfe auch abstoßend
wirken, wenn beispielsweise Schweiß, Hautporen bzw. -unreinheiten besonders detailreich
hervortreten, so dass Großaufnahmen nicht unkritisch sind (vgl. Susanne Hennings: Die Expertin
für Schärfe).
Seit der technischen Entwicklung von digitalen, hochauflösenden Bildern wird immer
wieder über die Veränderung der BildgestalSportler in Aktion:
Ralf Bartels im Kugelstoßen,
Anna Battke im Stabhochsprung,
Nadine Müller beim Diskuswerfen und
Ariane Friedrich beim Hochsprung.
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tung und Bildästhetik diskutiert. So würde es
beispielsweise weniger Schwenks, dafür mehr
Total­einstellungen geben, da sie ja künftig viel
mehr Einzelheiten preisgeben würden. HDTV
wird möglicherweise die Seh- und Sichtweise
Kameramann (o.) und Reporter (r.) bei der
Arbeit im Olympia-Stadion
der Kameraleute, Cutter, Szenenbildner und
Regisseure verändern. Bei der Umsetzung der
Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Berlin
haben diese Fragen jedoch keine nennenswerte
Rolle gespielt.
_
HDTV kann kommen . . .
Der HDTV-Showcase Leichtathletik-WM war
im wahrsten Wortsinn ein Bilderbuchstart in
ein neues Fernsehzeitalter. Trotz einer Reihe
von neuen technischen Anforderungen wurde
die Bewährungsprobe HDTV von ARD und
ZDF gemeistert. Die Zusammenarbeit aller
beteiligten Kolleginnen und Kollegen aus den
verschiedenen Landesrundfunkanstalten, dem
ZDF und mit den ausländischen Fernseh- und
Leichtathletik-WM in HDTV
Hörfunkstationen war perfekt und für viele ein
professioneller Höhepunkt. Insgesamt war es
auch ein neuerlicher beeindruckender Beleg für
die Eigenproduktionsfähigkeit des öffentlichrechtlichen Rundfunks.
Vom 15. bis 23. 8. 2009 sind im Ersten rund 30
Stunden und in Einsfestival rund 16 Stunden
Übertragungen und Sendungen in HDTV ausgestrahlt worden. Dabei kam der große Vorteil
von HDTV – die Größe und Schärfe des Bildes
– voll zum Tragen: Er ist selbsterklärend und
wird sich mit dem Sinken der Gerätepreise bald
auch auf breiter Front im Markt durchsetzen.
4,7 Mio externe und eingebaute HDTV-Empfänger bzw. 19 Millionen HDTV-fähige Empfangsgeräte (Prognose für Ende 2009) sprechen
schon jetzt eine deutliche Sprache.
Nawid Goudarzi,
Produktions- und Betriebsdirektor des RBB
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