Vor knapp 80 jahren bringt das tschechische schuhimperium bata
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Vor knapp 80 jahren bringt das tschechische schuhimperium bata
Rubrik Das Erbe des Schuhkönigs Text: Tobias Ehrenbold / Bilder: Michael Grossmann, Archivbild: Bata-Archiv, Möhlin Vor knapp 80 Jahren bringt das tschechische Schuhimperium Bata den Fussball nach Möhlin. Was international beginnt, verdichtet sich im Fricktal zu einer lokalen Fussballgeschichte. In Nebenrollen: Ivan Rakitic und eine witzige Norwegerin. 54 Schweizerreise 55 schweizerreise: FC möhlin M it einer «Ustrinkete» endet jeweils eine Geschichte – auch an diesem Sommernachmittag in Möhlin. Das Klubhaus wird in den nächsten Monaten abgerissen. Die Nostalgie des Fests passt zum verschrobenen Charme der lottrigen, kleinen Holzbude. Die zahlreich gekommenen Weggefährten schwelgen in den alten Zeiten. Nebenbei trinken sie Freibier und schauen, wie sich Möhlins Fussballer und Handballer gegenübertreten. Am Fanggitter prangt eine Werbetafel: «Bata – das grösste Schuh-Fachgeschäft der Welt». Damit beginnt die Geschichte. Knallharte Anfänge «Bata war wichtig», erinnert sich ein älterer Zuschauer und nippt an seinem Bier, «die brachten Arbeit ins Tal.» Tatsächlich verheisst die Ankunft des tschechischen Schuhproduzenten eine Wende zum Guten. Das nur 20 Kilometer von Basel entfernt gelegene Möhlin ist Anfang der 1930er-Jahre ein armes Bauerndorf; die Arbeitslosigkeit liegt beängstigend hoch. Die letzten Strohdächer sind gerade aus dem Dorfbild verschwunden, als sich der umtriebige Firmengründer Thomas Bata dazu entscheidet, im Fricktal moderne Fabrikhallen mitsamt Arbeitersiedlung zu bauen. Der Gemeinderat verkündet der Bevölkerung im Frühjahr 1932 euphorisch, mit der Schuhfabrik seien nun «alle Zweifel und Schwierigkeiten mit einem Schlage endgültig aus der Welt geschafft». Doch der Start wird von einer Tragödie überschattet. Beim Flug in die Schweiz stürzt Thomas Bata im Juli 1932 ab. Der Unfall ist international eine Schlagzeile für die Frontseite: «Tödlicher Flugzeugabsturz des Schuhkönigs Bata». Nichtsdestotrotz beginnt im Fricktal einen Monat später die Massenproduktion von Schuhen. In ebendiesem Sommer 1932 besucht auch Reidun Kristiansen erstmals Möhlin. Sie reist aus dem fernen Norwegen an. Ihre Familie führt im Dorf ein Restaurant. Welche Bedeutung die 5-Jährige für den lokalen Fussball bekommen wird, zeigt sich an der «Ustrin- 56 kete». In der Halbzeitpause führt Thomas Metzger die mittlerweile 84-jährige Dame auf das Feld. Der Präsident des FC Möhlin überreicht ihr Blumen und ein gerahmtes Bild des alten Klubhauses. «Reidun ist der grösste Fan unseres FC», spricht Metzger zu den gebannt lauschenden Zuschauern, «sie hat alles miterlebt.» Nach der Ehrung nimmt Kristiansen Platz. Ihr ganzes Gesicht lacht. So traurig der Anlass, so schön ist das Fest, an dem sie nochmals machen kann, was sie seit Jahrzehnten am liebsten macht: gesellig sein und den Fussballern zuschauen. Die Frau, die hier alle beim Vornamen rufen, ist das Gedächtnis des Fussballs in Möhlin. Selbst an den Anfang erinnert sie sich. «Bei der Bata unten am Rhein hatte es den ersten Fussballplatz», erzählt sie, «sogar eine Holztribüne gab es dort.» Als es im Jahr 1933 mit dem Fussball in Möhlin anfängt, ist Kristiansen bereits 6 Jahre alt. Auf dem Bata-Platz trainieren nun die frisch gegründeten FC Riburg-Möhlin und FC Bata. Bald treffen sich die beiden Vereine zu einem denkwürdigen ersten Duell. Die Schuhmacher unterliegen im Derby dem Dorfklub mit 1:0. «Zwischenfälle» überschatten das erste Spiel, wie der «Möhliner Anzeiger» berichtet. Die Voraussetzungen seien freilich auch nicht ideal gewesen, denn «zu allem erschien der aufgebotene Schiedsrichter nicht, worunter natürlich das ganze Spiel litt». Das Fazit der Lokalzeitung: «Zu grob verdirbt das Spiel!» In einem Leserbrief äussert später auch ein «Zuschauer, der nur faire Spiele liebt», seinen Unmut über die brutale Premiere. Die Fouls und Rangeleien deuten den hohen Stellenwert des Derbys an. Der aufkommende Fussballsport ist in der ländlichen Gemeinde eine Attraktion. Teils verfolgen mehrere Hundert die Spiele des FC Riburg-Möhlin und des FC Bata. Während der Dorfklub in der regulären Meisterschaft antritt, organisiert der Firmenverein regelmässig Wettbewerbspartien. So spielen die Schuhmacher unter anderem gegen die Betriebsmannschaften von Sandoz oder Sauter, aber auch gegen die mit zwei Ex-Internationalen bestückte Reserve des FC Basel oder die Fussballer aus der Nachbarstadt Rheinfelden. Es geht um Ruhm und Ehre – und allenfalls um ein Paar Schuhe als Prämie. Einer der grössten Erfolge ist der Sieg in HellocourtBataville 1938. Die Fricktaler lassen den französischen Kollegen im nach dem neuen Firmenchef benannten Dr.-JanA.-Bata-Pokal nicht den Hauch einer Chance. Der 4:1-Sieg in der prestigeträchtigen Begegnung ist in den Fabrikhallen das Gesprächsthema Nummer 1. Reklame-Mannschaft In der tschechoslowakischen Heimatstadt Zlín unterhält der Firmengründer und Stadtpräsident Thomas Bata bereits Mitte der 1920er-Jahre den professionellen Sportklub SK-Bata Zlín. Der weltgrösste Schuhproduzent setzt erstaunlich früh auf Sportler als Repräsentanten. Sie sollen den Namen Bata in die Welt hinaustragen. Die Lichtgestalt des SK-Bata ist kein Geringerer als die «tschechische Lokomotive» Emil Zatopek; der Leichtathlet gilt heute in Tschechien als Sportler des Jahrhunderts. Auch die Fussballabteilung hat es in sich. In den 1920er- und 1930er-Jahren lockt der Grossindustrielle nationale und internationale Profis mit hohen Löhnen nach Zlín. Der Sparta-PragSpieler Jaroslav Innemann beschreibt Batas Fussballmannschaft zu dieser Zeit als «eine Reklame-Elfermannschaft». Deren Ziel sei es, «Wettspiele gegen erstklassige Klubs zu gewinnen, um so den Namen Bata berühmt zu machen». Bei Niederlagen müssen die Spieler in der Fabrik schuften, bei Siegen gibt es ein Paar Schuhe. Im Gegensatz zu Zlín bleibt der Fussball in Möhlin amateurhaft. Ein FC Bata, der die Nationalliga aufmischt, würde nicht zum Image passen, das sich der Schuhproduzent in der Schweiz zulegt. Unter der Federführung des langjährigen Branchenprimus Bally kämpfen die nationalen Schuhverbände mit Klagen und Boykotten gegen den 1935: Der FC Bata und der FC Ryburg-Möhlin vor der Bata-Kolonie. «schädlichen Eindringling». Aus den panischen Angriffen der Konkurrenz zieht Bata rasch seine Lehren. Der Betrieb achtet ab Mitte der 1930er-Jahre tunlichst darauf, nicht in die Schusslinie zu geraten. Bald gibt sich der «Schuhkönig» bescheiden als währschafter Konzern aus dem Fricktal. Spezialität: spottbillige Leinen- und Gummischuhe. Neben dem Fussball tragen auch eine Kegelbahn, ein Schwimmbad oder ein Tennisplatz zur rasch erfolgenden Verankerung des Hauptarbeitgebers in der Gemeinde bei. Ein beachtlicher Teil der zu Spitzenzeiten bis zu 750 Arbeiter wohnt zudem in der sogenannten BataKolonie – einem Baudenkmal der Moderne von nationaler Bedeutung. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fusioniert der FC Bata im Jahr 1945 mit dem FC Möhlin-Riburg. Kristiansen ist nun 18 Jahre alt. Sie arbeitet im Restaurant der Familie und besucht in der Freizeit gerne Fussballspiele des FC Möhlin. Dieser kickt nun auf jenem Platz, auf dem Kristiansen an der «Ustrinkete» als grösster Fan geehrt wird. Die gebürtige Norwegerin hat es nicht weit zu den Spielen: Ihr Haus steht direkt neben dem Fussballplatz. Zeitweise trägt auch ihr Sohn das blauweisse Trikot des FC Möhlin. Bis heute ist Kristiansen ein bedingungsloser Fan: «Ich schaue einfach lieber unserem FC zu als den Profis im Fernseher.» Technische Finesse oder taktische Raffinesse sieht sie in all den Jahren eher selten. Die kompetitive Heimat des FC Möhlin ist die 3. Liga. In diese ist er letzte Saison wieder aufgestiegen. Weit wichtiger als der Erfolg ist dem Fan denn auch die Geselligkeit. «Das Schöne und Seltsame ist ja», erklärt sie schulterzuckend: «Die Leute hier nehmen mich auch als alte Frau noch ernst.» Warum dem so ist, zeigt sich an der «Ustrinkete». Der treuste Fan ist auch der witzigste. Die Skandinavierin ist ganz in ihrem Element. Sie scherzt mit dem anwesenden Gemeindeammann, applaudiert den Spielern und stimmt schliesslich mit einigen Veteranen das FC-Lied an: «Wer hat die Welt so schön gemacht? Wer hat das Fussballspiel erdacht? Auf grünem 57 schweizerreise: FC möhlin Rasen spielen wir. Für unser Blau und Weiss stehen wir Spalier.» Weltklasse aus dem Fricktal So bescheiden die sportlichen Erfolge auch sind, das grösste Talent des Dorfes hat das Format eines internationalen Stars. Mitte der 1990er-Jahre schnürt nämlich Ivan Rakitić die Schuhe für den FC Möhlin. Mit falschen Federn will sich der Präsident Thomas Metzger deshalb nicht schmücken: «Ivan war damals erst ein E-Junior, ein junges Talent, das bald zum FC Basel weiterzog.» Der Rest ist bekannt. Der geniale kleine Ivan verzückt mit Kollege Mladen Petrić die Basler Muttenzerkurve – und entscheidet sich wie dieser für die kroatische Nationalmannschaft. In Möhlin stösst der Entscheid auf Unverständnis. Dennoch, auch seit er im Ausland bei Schalke oder Sevilla spielt, Rakitić kommt immer wieder nach Möhlin. Zurück zu seiner Familie an die Batastrasse. Der Strassenname erinnert heute wie das Schild am Fanggitter an eine vergangene Zeit. Bata 58 schweizerreise: FC möhlin stoppte 1990 die Produktion im Hochlohnland Schweiz. Eine «Ustrinkete» gab es damals nicht, nur Entlassungen. Zweifellos, Bata hat die jüngere Geschichte von Möhlin stark mitgeprägt. Beim Abschiedsfest für das Klubhaus erscheint der Schuhproduzent als kleinster gemeinsamer Nenner. Zahlreiche Teilnehmer haben in der Bata gearbeitet, verschiedene in der Bata-Kolonie gewohnt. Auch der FC-Präsident Thomas Metzger lebte als Kind zehn Jahre in der attraktiven Arbeitersiedlung nahe dem Rhein. An der «Ustrinkete» verfolgt er aufmerksam das Freundschaftsspiel gegen die Handballer. Er scheint zufrieden mit seinem Verein, der mittlerweile den Namen FC Möhlin-Riburg/Acli trägt. Das Niveau der ersten Mannschaft ist nun wieder akzeptabel, die Infrastruktur sogar formidabel. «Eine Anlage wie das Steinli ist für den Regionalfussball ausserordentlich», befindet er. Damit hat der engagierte Präsident gewiss recht. Ab Ende August ergänzt ein neues Klubhaus den grosszügigen Sportplatz. Dort finden die acht Mannschaften des FC Möhlin-Riburg/Acli eine der modernsten Fussballanlagen der Region vor. Sie liegt nur wenige Hundert Meter vom alten Klubhaus entfernt. Für Reidun Kristiansen ist der Weg dennoch zu weit. Das Laufen bereitet dem treusten Fan des FC Möhlin mittlerweile Mühe. Die «Ustrinkete» ist für sie der Abschluss eines langen Kapitels. Das Klubhaus ist bald weg, der Fussballplatz neben ihrem Haus ebenfalls. «Mir kommen fast die Tränen», sagt sie, «es war so schön hier.» Die Wirtin der Klubbeiz umarmt Kristiansen. Was soll man da auch sagen? Doch für Probleme gibt es meist Lösungen. Auch in diesem Fall. Kurzerhand schreiben die Veteranen ihre Telefonnummern auf die Rückseite des in der Halbzeitpause überreichten Bildes. Kristiansen soll sie anrufen, wenn sie nächste Saison an ein Spiel des FC Möhlin möchte. Sie werden sie dann mit dem Auto abholen. Nach fast 80 Jahren Liebe für den lokalen Fussball hat sie sich das verdient. geschenkabo Geschenkabo JA, ich bestelle ein Geschenkabo des Fussball-Magazins ZWÖLF, für ein Jahr. (CHF 36.–) JA, ich bestelle ein Geschenkabo des Fussball-Magazins ZWÖLF, inkl. des Spiels Anno Domini Fussball für ein Jahr. (CHF 58.–) Rechnungsadresse: Lieferadresse: Name Name Vorname Vorname Strasse/Nr. Strasse/Nr. 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