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Grundlagen der Kritik der Politischen Ökonomie der Medien Priv.-Doz. Christian Fuchs eTheory Research Group ICT&S Center University of Salzburg Sigmund Haffner Gasse 18 A-5020 Salzburg •http://fuchs.icts.sbg.ac.at •[email protected] Karl Marx: 5.5.2008 - 190. Geburtstag Warum Marx heute lesen? * Problemorientierung: Kritik sozioökonomischer Probleme (prekäre Arbeit, Reichtumsverteilung, etc) * Gesellschaftskritik: Radikale Kritik des Kapitalismus * Gesellschaftsanalyse: Prognose aktueller Entwicklungen (Globalisierung, Wissensarbeit, Informationskapitalismus, Mediatisierung) * Revolution: Ziel einer herrschaftsfreien Gesellschaft durch Revolution als Gegenperspektive zum kontemporären Kapitalismus Karl Marx: 5.5.2008 - 190. Geburtstag Funktion alternativer Presse: Es sei „die Pflicht der Presse, für die Unterdrückten in ihrer nächsten Umgebung aufzutreten. (…) Die erste Pflicht der Presse ist es nun, alle Grundlagen des bestehenden politischen Zustandes zu unterwühlen.“ (MEW 6: 234, Prozess gegen die Neue Rheinische Zeitung, 14.2.1849). Funktion kapitalistischer Massenmedien: Die Bedeutung der Ideologie, die Realität verzerrt, betont Marx in Bezug auf die deutsche Presse: „Die deutsche Tagespresse ist doch wirklich das schlaffste, schläfrigste und feigste Institut, das unter der Sonne besteht! Die größten Infamien können vor ihren Augen, gegen sie selbst geschehen, und sie schweigt, sie verheimlicht alles; wenn man es nicht durch einen Zufall erführe, durch die Presse würde man gewiß nicht erfahren, was die Gnade Gottes an einzelnen Orten für herrliche Märzveilchen zutage gefördert hat” (MEW 6: 351, Neue Rheinische Zeitung, 15.3.1849 - Zensur). Fuchs, Christian (2008) Internet and Society: Social Theory in the Information Age. New York: Routledge. Eine marxistische Theorie von Ökologie, Technik, Ökonmie, Politik und Kultur des transnationalen informationellen Kapitalismus 1. Typologie kritischer Medientheorien Produktionssphäre Repressionsthese Zirkulationssphäre Konsumtion Warenthese: Medien als Waren zur Kapitalakkumulation Repressionsthese Manipulations- und Ideologiethese: Medien als Manipulationsmittel zur ideologischen Durchsetzung von Klasseninteressen Emanzipationsthese Alternativmedienthese: Rezeptionsthese: Medien als Sphären der basisorientierten Produktion und Medienrezeption als Zirkulation alternativer Inhalte widersprüchlicher Prozess mit oppositioneller Praxis Integrative kritische Medientheorien Tabelle 1: Typisierung von kritischen Medientheorien 1. Typologie kritischer Medientheorien Repressionsthese 1: Medien als Waren Dallas Smythe Nicholas Garnham - Kritische Politische Ökonomie der Medien: Medien seien „economic entities with both a direct economic role as creators of surplus value through commodity production and exchange and an indirect role, through advertising, in the creation of surplus value within other sectors of commodity production“ (Garnham 1990: 30). Wolfgang Fritz Haug - Warenästhetik: Das Ästhetische der Waren wird „zum Zwecke der Realisierung ihres Wertes“ (Haug 1975: 120) in Dienst genommen. Ständige ästhetische Innovationen von Markenartikeln würden bestehende Warensorten veralten und die Menschen zum Kauf veranlassen (Haug 1975: 264). 1. Typologie kritischer Medientheorien Repressionsthese 2: Manipulations- und Ideologiethese Kulturindustriethese von Horkheimer und Adorno: „Wie das Kind die Worte seiner Mutter wiederholt und der Junge das brutale Verhalten der Älteren, unter deren Hände er leidet, so verdoppelt der gigantische Lautsprecher der Kulturindustrie endlos die Oberfläche der Realität, indem er in kommerzialisierter Unterhaltung und populärer Reklame erdröhnt, die immer ununterscheidbarer voneinander werden” (Horkheimer 1947: 136). Lee Artz: „Marxism (...) sees public relations, advertising, organizational and political communication, journalism, and other communication practices as attending to the reproduction of capitalist relations of production“ (Artz 2006: 35). 1. Typologie kritischer Medientheorien Alternativmedienthese: „Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen“ (Brecht 1967: 128). Walter Benjamin, Hans Magnus Enzensberger, Oskar Negt/Alexander Kluge, Armand Mattelart John Downing - Radikale Medien: „By radical media, I refer to media, generally small-scale and in many different forms, that express an alternative vision to hegemonic policies, priorities, and perspectives“ (Downing 2001, v). 1. Typologie kritischer Medientheorien Rezeptionsthese: Cultural Studies, z.B. John Fiske: „Die unter der Herrschaft des weißen, patriarchalen Kapitalismus stehenden Menschen sind nicht einfach wehrlose Gefangene ihrer Situation. (…) Die diskursiven und kulturellen Ressourcen, mit Hilfe derer wir unseren sozialen Beziehungen und unserer Erfahrung Sinn verleihen, sind mehrsprachig und nicht darauf angelegt, nur eine Geschichte zu erzählen oder nur ein Raster an ideologisch determinieren Bedeutungen zuzulassen. Es sind Ressourcen, von denen wir so Gebrauch machen wie sie von uns “ (Fiske 1989: 249, 261). 1. Typologie kritischer Medientheorien Integrative kritischer Medientheorien: Kombination mehrerer Elemente, z.B. bei: Wulf Hund, Horst Holzer, Manfred Knoche, Graham Murdock und Peter Golding, Robert McChesney, Edward Herman, Noam Chomsky, Stuart Hall, Douglas Kellner, Herbert Marcuse. Horst Holzer (1994: 202f, vgl. Knoche 2005b: 105-107) unterscheidet vier Funktionen der Medien: * eine kapitalökonomische Funktion (Herstellung und Verkauf medialer Produkte), * eine warenzirkulierende Funktion (Verbreitung von Konsumklima und Werbung für spezifische Produkte), * eine herrschaftslegitimierende Funktion (Propaganda) und * eine regenerative Funktion (Wiederherstellung der Arbeitskraft im Freizeitbereich). 2. Kritik der Politischen Ökonomie der Medien Rolle der Medien (Horst Holzer 1994, Manfred Knoche 2002): 1. Medien als Waren, mit denen Profit gemacht wird 2. Medien als Werbemittel für Kapitalisierungsprozesse im Rest der Ökonomie 3. Medien als ideologische Legitimationsinstanzen 4. Medienprodukte als Aspekte der Reproduktion der Arbeitskraft 5. Medien als Herrschaftsmittel 6. Medien als widersprüchliche Kräfte, in denen neben herrschaftsförmigen Potenzialen auch als Negation Emanzipationspotenziale heranreifen können (Alternativmedien, alternative Nutzungsformen und -inhalte, etc.) 2. Kritik der Politischen Ökonomie der Medien Medien reflektieren die Widersprüche des Kapitalismus und haben und daher selbst einen widersprüchlichen Charakter haben. Sie sind in einer gegebenen gesellschaftlichen Situation nicht gleichermaßen emanzipatorisch und repressiv, beide Aspekte sind als Ausgang von politischen Kämpfen ungleich verteilt, in der Regel überwiegen dabei heute stark die Ideologie- und Warenform der Medien. Der Einfluss der Medien ist auch abhängig von der Verteilung des Reichtums, da Geld ein Machtmittel ist, mit dem öffentliche Aufmerksamkeit erkauft werden kann. 2. Kritik der Politischen Ökonomie der Medien Gewinnwachstum in den USA und den EU15 Staaten (in Milliarden US$ bzw. Euro), Entwicklung der Lohnquote in den USA und den EU15 Staaten (Lohnsumme als Anteil des Volkseinkommens), Quelle: Annual Macroeconomic Database (AMECO), European Commission 2. Kritik der Politischen Ökonomie der Medien Politik der tendenziellen Enteignung und Wiederaneignung durch Kapitalbesteuerung => Alternative Medienprojekte fördern, bedingungsloses, existenzsicherndes Grundeinkommen, Förderung kritischer Bildungsprojekte, etc. Der Bezug auf Karl Marx in der deutschsprachigen Medien- und Kommunikationswissenschaft kaum gegeben. Horst Holzer sprach daher bereits 1994 zu Recht von an Marx orientierten Analysen als „vergessene Theorie gesellschaftlicher Kommunikation“ (Holzer 1994). 2. Kritik der Politischen Ökonomie der Medien „Critical political economy differs from mainstream economics in four main respects. First, it is holistic. Secondly, it is historical. Thirdly, it is centrally concerned with the balance between capitalist enterprise and public intervention. And, finally, and perhaps most importantly, it goes beyond techn ical issues of efficiency to engage with basic moral questions of justice, equity and the public good“ (Murdock/Golding 2005: 61). 2. Kritik der Politischen Ökonomie der Medien Kritik der politischen Ökonomie der Medien: Medien im Kontext der Gesellschaft betrachten: Dezentrierung der Medien, Vermeidung von Medienessenzialismus durch Situierung der Medien in Produktions- und Machtstrukturen (Mosco 1996: 71). Kommunikation: “embedded within the wider structures and processes of a given social formation“ (Garnham 2000: 4). Einfluss von Klasse, Eigentum, Macht, Kapital auf Medien (McChesney 1998) 3. Kritik der Politischen Ökonomie des Web 2.0 3.1. Web 2.0 als Ideologie: 3.1.1. Web 2.0 as Marketingideologie: The March 2008 issue of First Monday was dedicated to the topic “Critical Perspectives on Web 2.0”. “Like with any bubble, the suggestion of sudden newness is aimed at potential investors” (Trebor Scholz 2008) Web 2.0: “an overblown marketing attempt“ (Reips and Matzat 2007: 1) 3. Kritik der Politischen Ökonomie des Web 2.0 3.1.2. Web 2.0 als neoliberale Ideologie: Jarrett (2008) argumentiert, dass die dem Web 2.0 zu Grunde liegende Rhetorik Ausdruck neoliberaler Ideologie sei: The interactivity of Web 2.0 would be disciplining people “into a liberal ideal of subjectivity based around notions of freedom, choice and activity. (…) The Web 2.0 user thus is represented as both agential and endowed with freedom from externally derived controls. It would seem that the user being addressed in this interactive and participatory media is the ideal, active neoliberal citizen”. Die Betonung bei Web 2.0 ist auf individuellen Profilen, individuellen Nutzerbeiträgen und die Akkumulation von Freunden auf Social Networking Plattformen => Ideologie des Individualismus und der instrumentellen Vernunft 3. Kritik der Politischen Ökonomie des Web 2.0 3.1.3. Web 2.0 als politische Ideologie: Herbert Marcuse - Repressive Toleranz: Realität der Elitenkontrolle wird legitimiertals liberaler Pluralismus Web 2.0 kann durch Politiker, Parteien, Unternehmen, etc. genutzt werden, um Menschen eine Stimme zu geben, die nicht gehört und bei Entscheidungen nicht berücksichtigt wird. Sie können alternative Ziele kommunizieren, die aber keinerlei Wirkungen erzielen. Aufmerksamkeit wird dabei zu einer wichtigen Ressource. Das Web 2.0 wird unter diesen Bedingungen zu einer Ideologie und einem Ausdruck repressiver Toleranz (Marcuse 1969): “The result is a neutralization of opposites, a neutralization, however, which takes place on the firm grounds of the structural limitation of tolerance and within a preformed mentality. (...) If objectivity has anything to do with truth, and if truth is more than a matter of logic and science, then this kind of objectivity is false, and this kind of tolerance inhuman“. Repressive tolerance is constitutive for what Marcuse terms a “totalitarian democracy”. 3. Kritik der Politischen Ökonomie des Web 2.0 3.2. Web 2.0 as Prosumenten-Publikumsware Audience Commodity studiVZ: Studentische Vernetzungsplattform User März 2006: 3000 März 2007: 1,8 Mio. Sept. 2007: 3,2 Mio. Dialektik - Internet - Gesellschaft A Dialektik - Internet - Gesellschaft A Dialektik - Internet - Gesellschaft A Dialektik - Internet - Gesellschaft A 3. Kritik der Politischen Ökonomie des Web 2.0 Dallas Smythe - Audience Commodity: “Because audience power is produced, sold, purchased and consumed, it commands a price and is a commodity. (...) You audience members contribute your unpaid work time and in exchange you receive the program material and the explicit advertisements“ (Smythe 1981/2006: 233, 238). Das Publikum würde unbezahlt arbeiten, Medienkonsum sei Arbeit, die das Publikum zur Ware mache, die vom Kapital als Werbung an Werbekunden verkauft werde Internet: Prosumenten als Mehrwertproduzenten, die gratis arbeiten, globales Outsourcing von Arbeit an Publikum, das gratis Inhalte produziert (Reduzierung von v => Erhöhung von p, massive Steigerung der Mehrwertraten) 3. Kritik der Politischen Ökonomie des Web 2.0 Web 2.0: User, die “googeln”, Videos auf YouTube hochladen, Profile auf MySpace, Facebook, LinkedIn, StudiVZ etc. anledgen, usw. konstituieren eine Publikumsware, die an Werbekunden verkauft wird. Der Unterschied zwischen der Publikumsware in traditionellen Massenmedien und im Internet ist, dass die Rezipienten Prosumenten sind, es also nutzergenerierte Inhalte gibt (user-generated content), die Nutzer permanent selbst kreativ und aktiv sind, Gemeinschaften aufbauen und kommunizieren. Dies hat mit der Eigenschaft der Many-to-Many Kommunikation im Internet zu tun. Die InternetPublikumsware ist eine Prosumentenware. 3. Kritik der Politischen Ökonomie des Web 2.0 Je mehr Zeit die Nutzer online als Prosumenten verbringen und je mehr User es gibt, desto höher wird der Wert der Anzeigenware. “The price that corporations pay for advertising spots on particular programmes is determined by the size and social composition of the audience it attracts“ (Murdock and Golding 2005, 65). Im Internet werden die Konsumenten zu Produzenten und daher auch zu ausgebeuteten Mehrwertproduzenten. Tiziana Terranova (2000) spricht in diesem Zusammenhang von “freier Arbeit” (im Sinne von unbezahlt): “Simultaneously voluntarily given and unwaged, enjoyed and exploited, free labour on the Net includes the activity of building Web sites, modifying software packages, reading and participating in mailing lists, and building virtual spaces on MUDs and MOOs” (Terranova 2000: 74). 3. Kritik der Politischen Ökonomie des Web 2.0 Web 2.0: User, die “googeln”, Videos auf YouTube hochladen, Profile auf MySpace, Facebook, LinkedIn, StudiVZ etc. anledgen, usw. konstituieren eine Publikumsware, die an Werbekunden verkauft wird. Der Unterschied zwischen der Publikumsware in traditionellen Massenmedien und im Internet ist, dass die Rezipienten Prosumenten sind, es also nutzergenerierte Inhalte gibt (user-generated content), die Nutzer permanent selbst kreativ und aktiv sind, Gemeinschaften aufbauen und kommunizieren. Dies hat mit der Eigenschaft der Many-to-Many Kommunikation im Internet zu tun. Die InternetPublikumsware ist eine Prosumentenware. 3. Kritik der Politischen Ökonomie des Web 2.0 Es war ein Irrtum von Brecht, Benjamin und Enzensberger, dass der Prosument zu einer Mediendemokratie jenseits des Kapitalismus führe. Benjamin (1934, Der Autor als Produzent): Trete eine Entwicklung ein, in der „aus Lesern oder aus Zuschauern Mitwirkende“ (Benjamin, 2002a: 243) würden, so bedeute dies die „die Vergesellschaftung der geistigen Produktionsmittel“ (Benjamin, 2002a: 247) fördern. Literarische Befugnis als Gemeingut (236). Irrtum! Tendenz zum Prosumenten führt nicht automatisch zu Emanzipation vom Kapitalismus, sondern ist eingebettet in eine antagonistische Dialektik von Kooperation und Konkurrenz, also zugleich repressiv und Keimform.