magazin - Alice Salomon Hochschule Berlin
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magazin der Alice-SalomonFachhochschule Berlin alice 11/2005 Weiterbildung und Lebenslanges Lernen Editorial Liebe Leserinnen und Leser! Die wissenschaftliche Weiterbildung und das „lebenslange Lernen“ erhalten einen zentralen Stellenwert in der sich ausformenden Wissensgesellschaft. Die bildungspolitische Diskussion um das „lebenslange Lernen“ hat die deutschen Medien bisher wenig erreicht, obwohl durch die angeschobenen Prozesse der Bologna-Erklärung von 1999 und des Brügge/Kopenhagen-Prozesses von Ende 2002 die EU-Bürger ihre Bildungssozialisation zukünftig in eigener Verantwortung gestalten sollen. Die Welten hinter den Begriffen „lebenslanges Lernen“, Mobilität von Studierenden und Forschenden, Durchlässigkeit von beruflicher Bildung zu Hochschulbildung und Sprachenerwerb werden für die Hochschulen in Deutschland immer wichtiger, Weiterbildung wird zum zweiten Standbein neben Lehre und Forschung. Die ASFH kann auf eine lange Tradition der wissenschaftlichen Weiterbildungen zurückblicken, in der gezielt Praxisbereiche der Sozialen Arbeit und Gesundheit, später auch der Erziehung und Bildung im Kindesalter angesprochen werden. Die anwendungsorientierten Weiterbildungsangebote sind ein Resultat der Arbeit des Zentrums für Weiterbildung, Hochschuldidaktik und Berufsfeldforschung (ZWHB) für das Berthe Khayat verantwortlich ist. Die Bedarfs- und Marktanalysen münden in ein innovatives und modernes wissenschaftliches Weiterbildungsprogramm. Zu den Innovationen zählen auch eine Reihe weiterbildender und internationaler Masterstudiengänge, die die ASFH in eigener Regie sowie in Kooperation mit anderen Hochschulen erfolgreich durchführt. Wie die Umsetzung des Gedankens vom lebenslangen Lernen in der ASFH konkret gestaltet wird, beschreiben wir in einigen Beiträgen dieser alice-Ausgabe. Wir haben Expertinnen und Experten dazu eingeladen, zum Thema hochschulgebundene (wissenschaftliche) Weiterbildung und lebenslanges Lernen Stellung zu nehmen und von ihren Forschungsergebnissen bzw. Erfahrungen und Projekten in der Weiterbildungspraxis zu berichten. Zum „lebenslangen Lernen“ haben wir Martin Baethge interviewt. Er ist ein international anerkannter Experte auf dem Gebiet der Bildungs- und Arbeitsmarktforschung. Mit seinem Forschungsteam führte er eine breit angelegte empirische 2 Studie zum Weiterbildungsverhalten und zu den Kompetenzen für lebenslanges Lernen in der deutschen Bevölkerung in West und Ost durch. Der Weiterbildungsexperte Werner Fröhlich schreibt über die erfolgreiche Praxis der wissenschaftlichen Weiterbildung an Fachhochschulen. Die Bildungsexpertin Monika Oels erörtert die Frage, wie die europäische Kommission die Entwicklung des lebenslangen Lernens in Europa betrachtet. Ab 2007 ist ein integriertes Gesamtförderprogramm des lebenslangen Lernens der EU angekündigt, um die Entwicklung gemeinsamer Ziele im Bildungswesen und den Austausch guter Praxis voranzutreiben. Die vier sektoralen Programme des „lebenslangen Lernens“ sollen wie folgt zusammengefügt werden: Comenius (Schule), Erasmus (Hochschule), Leonardo da Vinci (Berufsbildung) und Grundvig (Erwachsenenbildung). Jutta Räbiger und Sieglinde Machocki verdeutlichen das Studienmodell „Duale Studiengänge“ (Kooperationen zwischen Fachschulen und Hochschulen), die weite Bereiche des deutschen Ausbildungssystems verändern werden. Wozu wir lernen wird Helga Stock verdeutlichen. Brigitte Geißler-Piltz zeigt im Rahmen einer Berufsfeldstudie auf, wie sich SozialarbeiterInnen im Gesundheitsbereich Kompetenzen aneignen. Last but not least finden Sie einen Artikel vor, der die Frage beantwortet, was Studierende über die Weiterbildung während des Studiums sagen und denken. Die Weiterbildung an der ASFH konzipiert heute und zukünftig berufsnahe Zertifikatskurse. Daneben sollen die Masterstudiengänge – ob weiterbildend oder konsekutiv- die Professionalität der Sozialen Arbeit und der Gesundheitsberufe weiter entwickeln - und dadurch die Chancen der Berufseinsteiger sowie der Berufstätigen verbessern. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim „weiterbildenden“ Lesen. Brigitte Geißler-Piltz Andreas Brüning Inhalt Editorial 2 Inhalt 3 Aktuelles Die ASFH bekommt neue Seminarräume Andreas Brüning Bachelor-Studiengang Physio-/Ergotherapie akkreditiert Jutta Räbiger 4 Impressum 4 Studium • Das neue Studierendencenter alice-redaktion • Interkulturelle Projektfahrt Nadin Tettschlag • Praktikum in New York Barbara Müller 4 5 6 7 Schwerpunktthema: Weiterbildung und lebenslanges Lernen • „Weiter?Bilden! Berthe Khayat 8 • Lebenslanges Lernen Martin Baethge 9 • Lernen für eine lebendige Gesellschaft Werner Fröhlich 12 • Lebenslanges Lernen in Europa Monika Oels 15 • Der „Wien-Prozess“ Berthe Khayat 20 • Facetten des Lernens in der Erwachsenenbildung Helga Stock 21 Berufsfeldforschung • Wie eignen sich SozialarbeiterInnen Kompetenzen an? Brigitte Geißler-Piltz 23 Hochschuldidaktik • Der Hochschuldidaktkverbund Berliner und Brandenburger Hochschulen Annette Jander 25 • Promovieren nach dem Fachhochschulabschluss? Susanne Gerull 26 • Forschungscolloquium ‚Klinischen Sozialarbeit‘ aus studentischer Initiative Silke Gahleitner 27 • Europäische Entwicklungen geben der Aus- und Weiterbildung im Gesundheitswesen Aufwind Jutta Räbiger, Sieglinde Machocki 28 • Das Angebotsspektrum im Weiterbildungsprogramm der ASFH Berthe Khayat, 31 • Biografiearbeit Hedwig-Rosa Griesehop / Birgit Griese 33 • Weiterbildung für ErzieherInnen Hilde von Balluseck 34 • Weiterbildungsstudium „Psychosoziale Arbeit“ Helmut Möller 35 • Studieren mit Weitblick Semit Wahi 36 • Karriereschritte planen Cornelia Wind 37 International • Make democracy work Regina Rätz-Heinisch Menschen • Reinhard Wolff - Bundesverdienstkreuzträger C.W. Müller • Neuberufene HochschullehrerInnen Frau Prof. Dr. Friederike Baeumer Frau Prof. Dr. Anette Dreier Frau Prof. Ulrike Hemberger Frau Prof. Dr. Elke Kraus Frau Prof. Dr. Elke Kruse Frau Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann • Abschied von HochschullehrerInnen Zwischen Person und Kontext - Prof. Britta Haye von Heiko Kleve • Martin Grieser emeritiert - kein Nachruf! von Frank Judis • Jens Schneider steht für „Produktives Lernen“ von Christine Labonté-Roset • Ein kreativer Senior Expert - Lutz von Werder Andreas Brüning • Juristin gefragt? Cathleen Lang 38 40 42 42 42 43 43 43 44 45 45 47 48 Praxis • Auswirkungen der Hartz IV - Gesetzgebung auf Ausbildung und Praxis der Sozialen Arbeit Nils Lehmann-Franßen 49 Leben • Im Dunkeln dippen Nadin Tettschlag, Daniel Pilgrim 52 Rückblick • Fünf Jahre Alice-Salomon-Archiv Adriane Feustel 53 Tagungen • Werkstatt «Demokratiegefährdende Phänomene» Levi Salomon, Katrin Becker • Fachbereichstag Soziale Arbeit 2006 alice-redaktion • Leib-Seele-Lebenswelt alice-redaktion 55 55 55 Rezensionen • Klinische Sozialarbeit. Brigitte Geißler-Piltz/Albert Mühlum/ Helmut Pauls Heiko Kleve 56 • Bildung als Chance. Horst Lazarus & Marianne Bosshard Wiebke Willms 57 • Helfen in der Moderne und Postmoderne. Jan Volker Wirth alice-redaktion 58 3 Aktuelles Die ASFH expandiert Neue komfortable Seminarräume ab Ende 2006 Ab Ende 2006 werden die räumlichen Bedingungen für Studierende, HochschullehrerInnen, Lehrbeauftragte sowie Hochschulverwaltungsangestellte sich nachhaltig verbessern. Der neue Anbau der Alice Salomon Fachhochschule Berlin wird in Teilen von der Knobelsdorff-Schule (Oberstufenzentrum Bautechnik I) ausgeführt. Die Rohbauerstellung und die Tischlereiarbeiten werden von Auszubildenden mit entsprechender Anleitung erledigt. Neben den Büroflächen entstehen fünf Seminarräume mit einer Größe von 73 bis 84 m2 und ein weiterer Seminarraum mit 46 m2. Alle Räume erhalten exzellente zeitgemäße Medienausstattung, dazu gehören u.a. ein fest installierter Beamer, ein Video/DVD-Player, EDV-Anschlüsse, eine Whiteboardtafel, ein OH-Projektor und ein Flipchart. Die Bibliothek der ASFH wächst um 229 m2, wobei hier ein neuer Lesesaalbereich im Zwischengeschoß mit 158 m2 das Kernstück ist. Die Auslagerung der Büroflächen der Bibliotheksverwaltung vom Bestandsgebäude in den neuen Anbau ermöglicht eine großzügige und bedarfsgerechte Umgestaltung des Eingangs- und Servicebereiches der Bibliothek. Daten und Fakten zum Anbau Baubeginn: März 2005 Ende der Bauarbeiten: Ende 2006 Bausumme 1,5 Mio. Euro Lage: Südostseite des Bestandsgebäudes Gesamtfläche: 1.120 m2 Hauptnutzfläche: 748 m2 Andreas Brüning alice-Redaktion Bachelor-Studiengang Physio-/Ergotherapie akkreditiert Am 29. November 2005 war es so weit: die Rektorin der ASFH erhielt die Akkreditierungsurkunde für den Studiengang Physio-/Ergotherpie mit dem Abschluß Bachelor of Science von der Agentur AQAS überreicht. Nun ist die Akkreditierung immer eine aufregende Sache. Bei diesem Studiengang aber war die Aufregung besonders groß. Es handelt sich nämlich um einen sog. dualen Studiengang, der die hochschulische mit der vorangehenden beruflichen Ausbildung verbindet und bei dem die Teile der berufl sfachschulischen Ausbildung, die dem akademischem Niveua entsprechen, auf das Studium angerechnet werden (können). Diese Konzept entspricht der Idee des lebenslangen Lernens, ist aber in Hochschulkreisen so wenig bekannt, dass fraglich war, wie die Gutachter der Akkreditierungsagentur darüber befinden werden. Die anfängliche Skepsis der Gutachter ist einer ausdrücklichen Zustimmung gewichen. Das Gutachten bescheinigt dem Studiengang eine Reihe von zukunftsweisenden Innovationen, u.a. Interdisziplinarität, neue Lernformen, internationale Vernetzung sowie Nachwuchsförderung in Form von Graduiertenkollegs, die insbesondere durch die enge Verknüpfung von berufsfachschulischer und hochschulischer Ausbildung gekennzeichnet sind. Darüber hinaus wird das Konzept der Evaluation und Qualitätssicherung hervorgehoben, das nicht nur den Studiengang an sich sondern auch die Ausbildungsprogramme an den fünf kooperierenden Berufsfachschulen betrifft. Die Akkreditierung erfolgt mit wenigen Auflagen für die Dauer von fünf Jahren bis zum 31.03.2011. Prof. Dr. Jutta Räbiger Leiterin des Studiengangs Impressum HerausgeberIn: Das Rektorat und der Kanzler der Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin Verantwortlich i.S. des Presserechts: Prof. Dr. Christine Labonté-Roset, Prorektorinnen: Prof. Dr. Brigitte Geißler-Piltz und Prof. Dr. Jutta Räbiger Chefredaktion: Prof. Dr. Brigitte Geißler-Piltz (Prorektorin) Redaktion: Andreas Brüning (Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) Berthe Khayat (Leiterin des Zentrum für Weiterbildung, Hochschuldidaktik und Berufsfeldforschung - ZWHB) Druck und Layout: Druckerei Eppler & Buntdruck Gestaltung: Günter Pirringer Cover: Antje Kirschning 4 Fotografie: Cover: Antje Kirschning, alice-Redaktion und die AutorInnen Anschrift der Redaktion: ASFH Pressestelle Alice-Salomon-Platz 5, 12627 Berlin Tel: 030/992 45 426, Fax: 030/992 45 444 Email: [email protected] Anzeigen: Bitte an die Redaktion. Nachdruck gegen Belegexemplar bei Quellen- und Autorenangabe frei. Redaktionsschluss der Ausgabe 12 des „alice-magazins“: 01. März 2006 Nächstes Schwerpunktthema: Forschung Erscheinungstermin: Mai 2006 Studium Neues Studierendencenter an der ASFH zum WS 2005/2006 Am 20.10.2005 wurde das „Studierendencenter der ASFH“ als Pilotprojekt gestartet. Anhand des Organigramms wird erkennbar, welche Arbeitsgruppen zukünftig zusammengefasst sind. Die Aufgabe des Studierendencenters ist es, die Arbeitsgruppen neu zu definieren, die Vernetzung und den Informationsfluss zwischen den Arbeitsgruppen herzustellen, Optimierungsprozesse zu erörtern und Kritik aktiv einzubringen. Die Bereitschaft zur Veränderung und das Ermöglichen flexibler Gestaltungsprozesse haben dabei eine maßgebliche Bedeutung. Die Arbeitsgruppen stehen nebeneinander als gleichberechtigte, selbständige, vernetzte Organisationseinheiten. Es gibt die folgenden Arbeitsgruppen: Servicestelle Internationale Angelegenheiten: Es erfolgt eine wesentliche Umstrukturierung durch die Einführung einer Stabstelle „Außenbeziehungen“, losgelöst vom Studierendencenter. Die Wahrnehmung der weiteren ursprünglichen Kernaufgaben mit Studierendenbezug erfolgt durch das Außenamt mit der nunmehr neuen Vernetzung zu den anderen Arbeitsgruppen. Servicestelle Immatrikulation: Das Ziel einer Gesamtimmatrikulation soll erreicht werden. Dies bedeutet eine Integration der Aufgaben in Bezug auf die konsekutive Masterbetreuung (nicht darunter fallen die bereits bestehenden Masterstudiengänge, da diese unter der Weiterbildung angesiedelt sind). Neu ist bereits die Betreuung der Physio/Ergo – Studierenden. Servicestelle Prüfung: Es erfolgt in dieser Phase eine Neugliederung der Arbeitsbereiche, nicht mehr ausschließlich nach Haupt- und Grundstudium, sondern nach Bachelor-Studiengängen, sowie nachfolgenden konsekutiven Masterstudiengängen, die erst zu entwickeln sind. liche Rolle, so dass es einer Vernetzung mit der Klagebearbeitung bei den Immatrikulationsangelegenheiten bedarf. Servicestelle Studiengangskoordination der Bachelor - Studiengänge: Die Gewährleistung einer transparenten Arbeitsweise wird bereits durch die Einführung von regelmäßigen Arbeitstreffen in einigen Studiengängen realisiert und kann weiter ausgebaut werden. Die Studierenden, die MitarbeiterInnen der Servicebereiche sowie die HochschullehrerInnen und DozentInnen der ASFH sind herzlich eingeladen, Vorschläge und Anregungen einzubringen und sich aktiv am Entwicklungsprozess der Studienreform zu beteiligen. Kontakt: Cathleen Lang Leiterin Studierendencenter E-Mail: [email protected] alice-redaktion Studierendencenter Ltr. Lang. (324) Internationale Angelegenheiten Miersch (304) Immatrikulation (Zi. 327) Hellerung (325) Oefler (325) Scholz (325) Lehrbetrieb Ltr. Rosenberg (316) Pult (316) Servicestelle Praxis: Ziel ist die Gesamtpraxisbetreuung durch systematische Eingliederung aller Studiengänge in diesen Bereich. Servicestelle Studienberatung: Die Integration der KoordinatorInnen auf Beratungsebene, die auf vielfältige Erfahrung in der Beratung von Studierenden zurückgreifen können, sowie der Bologna-Beratung, die sich in Ihrer Anfangsphase befindet. Praxis Drewes (328) Potalivo (326) Servicestelle Lehrbetrieb: Die Integration in den Servicebereich ist bedingt durch den ständigen und regelmäßigen Studierendenbezug im Rahmen des Tagesgeschäfts. Die Fragen rund um das Kapazitätsrecht und die Kapazitätsberechnung spielen im Hinblick auf die Einklägerproblematik eine erheb- Prüfung (Zi. 327) Bulisch (329) Gatzemeier (329) Keil (329) Lorenzen (329) Studienberatung Studienberatung Soziale Arbeit & SA/SP Wind (125) Studiengangskoordination (incl. Beratung) Ergo-/Physiotherapie Marhauer (314) Reichel (314) Erziehung im Kindesalter Liebenow (414) Gesundheits- und Pflegemanagement Weisgerber (334) Studiengangskoodination konsekutive Master N.N. 5 Interkulturelle Sozialarbeit in Europa Lichtpunkte einer Studienreise nach Amsterdam, Utrecht und Brüssel Wer schon einmal in den Niederlanden war, dem mag vielleicht auch aufgefallen sein, dass in den Straßen und Institutionen ein viel multikulturelleres Erscheinungsbild herrscht, als in Deutschland. Kein Wunder: die Niederlande haben eine lange Kolonialgeschichte hinter sich. Einwanderer aus Surinam und Indonesien bekamen als holländische Staatsbürger bei der Immigration sofort alle Bürgerrechte. Darüber hinaus wird Religionsfreiheit gelebt, so dass z.B. marokkanische Einwanderer in den Niederlanden vom Staat geförderte Islamschulen besuchen können. Ob die liberale Integrationspolitik der Niederlande erfolgreich ist, war eine Frage, die uns bereits vor unserer Reise beschäftigt hat und bis zu unserer Abreise begleiten wird. Denn besonders mit dem Aufkommen von Rechtspopulismus und der Ermordung des islamkritischen Filmemachers Theo van Gogh im November 2004 ist die multikulturelle Gesellschaft der Niederlande immer mehr in die Kritik geraten. Die Mitarbeiter des Amsterdamer Vereins „New Perspectives“ sind Streetworker, die sich um straffällige 12- bis 20-jährige Jungen kümmern. Voraussetzung für die Aufnahme eines „Falles“ ist die mindestens zweimalige Aktenkundigkeit des Jugendlichen bei der Polizei. Es sind Jugendliche mit multiplen Problemsituationen: sie gehen nicht zur Schule, haben keine Arbeit und Probleme in der Familie. Oft kommen die Familien der Betroffenen aus Marokko und anderen Ländern, aus diesen Gründen wird auf eine multikulturelle Zusammensetzung des Teams wert gelegt. Besonders gut verläuft hier das direkte Hilfeangebot für die „Gestrandeten“: nachdem ein Fall von der Polizei, dem Jugendamt oder dem Jungen selbst gemeldet wird, gehen sofort die Hilfemaßnahmen los, ohne Warteliste und bürokratische Hürden. Ausgenommen sind hierbei Drogensüchtige, Illegale oder Jugendliche mit psychischen Problemen. Das 1993 entwickelte Hilfekonzept von „New Perspectives“ gliedert sich in 4 Phasen: Am Anfang stehen das kennen lernen, die soziale Analyse und das Setzen von Zielen. Nach zwei bis drei Wochen beginnt die intensive Phase, in der erste Ziele erreicht werden und eine Bezugsperson, außerhalb von „New Perspectives“, für den Jugendlichen gefunden wird. Nach weiteren vier bis sechs Wochen beginnt die dritte Phase, in der der ständige Kontakt binnen 14 Tagen abgebrochen wird. Daran schließt sich die „After Care“-Phase an. Über 9 Monate hinweg steht noch ein Mitarbeiter bei Fragen und in Notsituationen zur Verfügung – im Ernstfall auch zu jeder Tages- und Nachtzeit über ein Mobiltelefon. Uns erschien die Arbeit des Vereins vor allem wegen des unbürokratischen Vorgehens sehr vorbildlich und effizient. Hinsichtlich der schnellen „Kur“ waren wir aber auch skeptisch, ob die Jugendlichen sich so schnell gesellschaftlich integrieren und von ihrem kriminellen Milieu wegkommen würden. Tatsächlich mussten die MitarbeiterInnen leider von hohen Rückfallquoten berichten, weshalb das Hilfekonzept – abhängig von den Finanzmitteln – weiter verbessert werden soll. MediatorInnen im belgischen Gesundheitswesen Health Mediators sind interkulturelle Sprach- und Kulturvermittler und arbeiten in 50 belgischen Krankenhäusern in 17 Sprachen. 1999 wurden vom Gesundheitsministerium hierfür knapp 1,3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Hans Verrept erläuterte das Konzept und die Arbeitsweise der Health Mediators in Belgien, die eine wichtige Rolle bei der Erreichbarkeit von MigrantInnen im belgischen Gesundheitswesen spielen. Warum Mediatoren in der Vermittlung zwischen einheimischem medizinischem Personal und MigrantInnen wichtig ist, zeigte auch der Vortrag von Theda Borde. Darin stellte sie eine Studie über türkische Migrantinnen in deutschen Krankenhäusern vor, die von 1996 bis 1999 an der Berliner Charité durchgeführt wurde. Nur etwa ein Drittel der Befragten sprach gut deutsch, die Patientenaufklärung wies deutliche Mängel auf. Weiterhin wurden unterschiedliche Gesundheitskonzepte bei den Frauen festgestellt, die bei der Behandlung beachtet werden müssten. Wer den ausführlichen Bericht sowie Informationen zu allen besuchten Einrichtungen und das Interview mit Cem Özdemir lesen möchte, kann sich auf www.asfh-berlin.de unter Studium&Praxis/Studienprojekte informieren. Nadin Tettschlag Studentin ASFH 6 The Gates of New York “Was bin ich froh, dass ich heute nicht nach New York fliegen muss”, sagt Edith selbstzufrieden grinsend und wuchtet meinen schwarzen Überseekoffer aus dem Beetle. Edith hasst New York, die Stadt, in der ich die nächsten drei Monate leben und arbeiten werde. Und ich hasse sie für diese Bemerkung, bin ich doch im Moment so gar nicht überzeugt von dem, was ich mache. Eine Investition in die Zukunft soll es sein, die Arbeit als Praktikantin in einem amerikanischen Verlag direkt am Times Square. Das alles sind für mich böhmische Dörfer und vielleicht sollte ich auch lieber dorthin fahren. Im Flieger lulle ich mich mit Toms Musik und amerikanischen Filmen ein und bereite mich vorsichtshalber nicht auf die Landung vor. Wenige Stunden später sitze ich in der Metro von NYC: sie ist dreckig und vergammelt, unbequem und laut. Die Hinweisschilder auf das Verhalten im Falle eines Rattenangriffs kann ich leider auch verstehen... Die ersten Tage irre ich durch die Straßen, werde nass von peitschendem Regen und staune: in New York kommen Regen und Schnee nicht von oben, sondern von der Seite. Wie konnte ich bloß denken, dass es nur ein kleiner Schritt sei von Berlin nach New York. Für die Menschheit mag das ja zutreffen, nicht aber für mich! An meinem ersten Tag im Verlag gibt mir Sheri, mein personal supervisor, ihre private Telefonnummer: „Just in case you´re getting lost.“ An den ersten Abenden besteht kein Anlass für getting lost, laufe ich doch jeden Tag einen Marathon. Dann stirbt auch noch Susan Sontag, ohne dass sie mich getroffen hat und Paul Auster lässt sich auch nicht blicken. Im Dezember ist Christmas Party. Ich lerne viele wichtige Menschen kennen, die mich auch kennen lernen wollen und nach drei Gläsern kalifornischen Weißweins fühle ich mich prächtig! Englische Sprache – no problem, fremde Menschen – never mind, New York – what a lovely place! Ich werde mich nie wieder so frei fühlen, denke ich und beschließe, von jetzt an jeden einzelnen Tag in dieser durchgeknallten Stadt zu genießen. Sie macht es mir leicht, sie und die Menschen, mit denen ich arbeite, die ich kennen lerne, einfach so, ohne Erwartungen, ohne Druck, ohne Zukunft. Nun ist mein Aufenthalt hier nicht in erster Linie eine Investition in die Zukunft, sondern in die Gegenwart. Ich fühle mich wie eine Schauspielerin in einem Film, erkenne ich doch die Plätze wieder, die auf der Kinoleinwand vorbeihuschen: Fifth Avenue, Wall Street, Central Park. Ich lebe in New York! Nun irre ich nicht mehr, ich suche, entdecke und finde. New York ist der Tradition treu geblieben, der melting pot der USA zu sein: die Menschen kommen und gehen, wandern ein und wandern aus. Das führt zu einer unübertroffenen Mischung an Kulturen, Hautfarben und Sprachen. New York ist ein Pulverfass, auch ohne Terrorangriffe von außen: die bei uns so verpönte, weil anscheinend oberflächliche Freundlichkeit ist notwendig zum Überleben. Sie wirkt auch im Verlag und bei aller Fremdheit der Stadt, hier sind es Vertrautheiten, auf die ich stoße: die Themenbereiche aus Central Park, NewYork Pflege und Sozialarbeit. Es ist nicht alles Gold, was amerikanisch glänzt: Die gesellschaftliche Kluft ist ausgeprägter, die staatliche Unterstützung auf ein Minimum reduziert, Gropiusstadt ein Naherholungsgebiet gegen die Bronx. Als Kontrastprogramm genieße ich „La Bohème“ in der Metropolitan Opera an der Seite von Herbert Grönemeyer, klettere für viel Geld auf das Empire State Building (zu Fuß ist es günstiger), besuche Chanel und Tiffany und gehe für 20 Dollar in das neue Museum of Modern Art. Who cares? In meiner letzten Woche kommen Marijke und Christo. Marijke holt mich nach Hause, Christo baut seine Gates im Central Park auf. In der frühlingshaften Sonne hinterlasse ich überall Spuren meiner Seele, damit diese Stadt mich wieder erkennt, wenn ich zurückkomme. Nicht nur die Wolken hängen schwer an meinem Abflugtag, und als ein Blizzard mich und British Airways für Stunden länger in New York hält als erwartet, bin ich wohl die einzige, die darüber glücklich ist. Barbara Müller Studentin ASFH 7 Schwerpunktthema: Weiterbildung und lebenslanges Lernen „Weiter?Bilden!“ – Zum Stellenwert der Wissenschaftlichen Weiterbildung an der ASFH Die Ansprüche an den Nutzen von Weiterbildung sind sehr hoch: Weiterbildung soll die Teilhabe aller am gesellschaftlichen Prozess gewährleisten. Sie soll die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmer sichern. Weiterbildung soll das wirtschaftliche Wachstum der Länder befördern. Die bundes- wie vor allem auch europaweiten Initiativen zur Weiterbildung sind daher vielfältig und umfangreich: Die Vereinten Nationen haben die kommenden 10 Jahre von 2005 bis 2014 zur „Dekade der Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ausgerufen. Im April diesen Jahres nahm die europäische Kommission die Mitteilung „Das intellektuelle Potential Europas wecken: So können die Universitäten ihren vollen Beitrag zur Lissabonner Strategie leisten“ an.1 In dieser Mitteilung wird die Stärkung des Wissensdreiecks - Bildung, Forschung, Innovation - gefordert. Die Europäische Kommission stockte im September dieses Jahres die Mittel für die Erwachsenenbildung auf. Der Zugang zu Bildungsangeboten der Erwachsenenbildung soll erleichtert und die europaweite Zusammenarbeit gefördert werden. Jan Figel, EU-Kommissar für Allgemeine und Berufliche Bildung, unterstrich die Bedeutung der Erwachsenenbildung für die Zukunft der Union: „Lernen endet nicht mit dem Schul- oder Universitätsabschluss. In unserem vom raschen Wandel geprägten Informationszeitalter bedarf es Arbeitskräfte, die sich die in einem anspruchsvollen globalisierten Umfeld geforderten allgemeinen Qualifikationen aneignen. Aufgrund der Alterung unserer Gesellschaft ist es überdies wichtiger denn je, dass die Erwachsenen ein Leben lang dazulernen oder ihre Kenntnisse auffrischen.“ Dass Lernen zukünftig immer weniger mit dem Schul- oder Universitätsabschluss endet, ist weitgehend unstrittig und im Bewusstsein eines Großteils der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union verankert. Neun von zehn europäischen Bürgern halten das lebenslange Lernen für wichtig, wobei länderspezifische Unterschiede bestehen. Deutsche und Isländer z.B. stufen das lebenslange Lernen nahezu einhellig als wichtig ein, während in Griechenland mehr als jeder fünfte Befragte der entgegengesetzten Auffassung ist. Die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger ist auch der Ansicht, dass lebenslanges Lernen Menschen aller Altersgruppen betrifft.2 8 Die Zahlen zur Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland sind uneinheitlich und können derzeit nur Tendenzen benennen. Deutlich ist aber, dass die Weiterbildungsbeteiligung mit dem Bildungsgrad steigt und bei AkademikerInnen überdurchschnittlich hoch ist. Weiterbildung an Hochschulen kommt in diesem Prozess eine zunehmend zentraler werdende Rolle zu und gehört deshalb heute zu den gesetzlich vorgeschriebenen, gleichberechtigt neben der Lehre und Forschung stehenden, Kernaufgaben der Hochschulen. Neben dieser formalrechtlichen Verankerung im Hochschulrahmengesetz liegt der Stellenwert der hochschulischen Weiterbildung insbesondere an Fachhochschulen darin begründet, dass diese eine lange Expertise in der Verbindung von Wissenschaft und Praxisbezug aufweisen können. Nach einer vom HIS (Hochschulinformations-System) veranlassten Untersuchung zur Rolle der Hochschulen bei der beruflichen Weiterbildung von Hochschulabsolventen erwarten insbesondere Absolventen aus dem Sozialwesen von ihren Hochschulen, dass diese sie wissenschaftlich auf dem Laufenden halten.3 Die Alice-Salomon-Fachhochschule stellt sich diesen Anforderungen und Erwartungen. Sie hat frühzeitig die Initiative ergriffen und im Bereich der wissenschaftlichen Weiterbildung ein Angebotsspektrum entwickelt, das in der Hochschullandschaft zu einem der anspruchsvollsten und vielfältigsten zählt. Hierzu gehören die weiterbildenden Masterstudiengänge ebenso wie die Weiterbildungsangebote des 2001 gegründeten Zentrums für Weiterbildung, Hochschuldidaktik und Berufsfeldforschung (ZWHB). 4 Unter dem Slogan „Weiter?Bilden!“ hat die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Konzertierte Aktion Weiterbildung (KAW) zusammen mit großen Bildungsverbänden eine Mobilisierungskampagne gestartet, um für die Idee des lebensbegleitenden Lernens zu werben. An der ASFH ist eine solche Weiterbildungsoffensive schon lange vorher gestartet und wird heute mit Erfolg umgesetzt. Die wissenschaftliche Weiterbildung ist in der ASFH angekommen, wurde als Kernaufgabe in das Hochschulprofil integriert und setzt dort deutlich ihre Akzente. Berthe Khayat Leiterin ZWHB 1 KOM(2005) 152 endgültig: Mitteilung der Kommission. Der Begriff „Universitäten“ umfasst hier sämtliche Einrichtungen im Hochschulbereich. 3 HIS-Hochulinformations-System-GmbH (HRSG.): Die Rolle der Hochschulen bei der beruflichen Weiterbildung von Hochschulabsolventen, Hannover 2004 2 Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Lebenslanges Lernen: die Einstellungen der Bürger, Luxemburg 2003 4 Das Angebotsspektrum des ZWHB wird in einem Artikel dieser alice-Ausgabe vorgestellt. Lebenslanges Lernen Prof. Dr. Martin Baethge, Direktor des Soziologischen Forschungsinstituts e.V. (SOFI) in Göttingen, ist einer der renommiertesten Experten Deutschlands auf dem Gebiet der Bildungs- und Arbeitsmarktforschung. Er ist seit 2004 Mitglied des Konsortiums für eine nationale Bildungsberichterstattung, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Kultusministerkonferenz eingerichtet wurde und dessen Aufgabe die Erstellung eines ersten Bildungsberichts für Deutschland ist. Mit seinem Forschungsteam führte Martin Baethge von 2001 bis 2004 eine breit angelegte empirische Studie zum Weiterbildungsverhalten, zum Bildungsbewusstsein und zu den Kompetenzen für lebenslanges Lernen in der deutschen Bevölkerung in West und Ost durch1. Ihr Titel lautet: „Der ungleiche Kampf um das lebenslange Lernen“. Im Zentrum der Studie steht die Frage nach dem Vorhandensein von Kompetenzen für lebenslanges Lernen: Was ist das Lernbewusstsein, was sind die Lernkontexte, in denen Erwachsene heute lernen? Was sagt das über die Qualität des Lernens aus und kann man etwas darüber sagen, ob die Lernkompetenzen tatsächlich etwas mit dem Lernkontext, in dem die Menschen lernen, zu tun haben? Dies sind auch für die Weiterbildung und Lehre an Hochschulen spannende Fragen, zu denen Martin Baethge und sein Forschungsteam teils überraschende Antworten gefunden haben. Alice: Herr Baethge, was haben Sie selbst gelernt durch Ihre Studie und was sind für Sie die wichtigsten Ergebnisse? Martin Baethge: Die in meinen Augen wichtigsten Ergebnisse beziehen sich auf die gegenwärtige Diskussion im ganzen Feld Weiterbildung und Arbeitsmarktpolitik, besonders soweit es um berufliches Lernen im Erwachsenenalter geht. Unsere Studie ist repräsentativ, so dass wir wirklich alle Gruppen ganz differenziert betrachten konnten. Wir haben die Untersuchung so angelegt, dass wir Areale informellen Lernens sowohl in der Arbeit als auch zu Hause, Internetlernen etc. erfasst haben. Das Bedeutsame daran ist, dass wir nicht nur gefragt haben, was sind ihre wichtigsten Lernkontexte, sondern dass wir das in Beziehung gesetzt haben zu den Kompetenzen, die die Leute haben. Und da zeigt sich das geht sozusagen gegen diese Überhöhung des informellen Lernens - dass gerade diejenigen, die ausschließlich oder auch an erster Stelle dieses informelle Lernen gesetzt hat- ten, bezogen auf Lernkompetenzen die niedrigsten Werte hatten. Während diejenigen, die Weiterbildungseinrichtungen, Hochschulen usw., also die institutionelle Form von Lernen, genannt haben, deutlich bessere Werte hinsichtlich der Selbststeuerung von Lernprozessen erreichen. Alice: Welche Folgen hat dies für den Stellenwert des informellen Lernens? Martin Baethge: Dieses Ergebnis ist, glaube ich, wirklich sehr wichtig gegen eine naive Euphorie hinsichtlich des informellen Lernens. Denn Sie müssen sich ja fragen, was lernen die Leute eigentlich in informellen Kontexten, und das ist schwer zu definieren und da muss man sagen, nur informelle Lernkontexte und ein Ausspielen von informellen und formalisierten Lernformen wäre eine ziemlich heikle Sache. Sie müssen sich ergänzen, dann bringt das sehr viel. Es geht nicht, allein auf informelles Lernen zu setzen und zu sagen, jetzt können wir doch Etats für Weiterbildung munter zusammenstreichen. Man kann nicht sagen, – das können wir auch wirklich sehr gut nachweisen – , dass institutionelle Formen des Lernens durch informelle ersetzt werden können. Auf der anderen Seite gibt es Zusammenhänge, die zeigen, dass gerade im Bereich der beruflichen Weiterbildung die institutionalisierten Lernformen unter Umständen auch ins Leere laufen, wenn sie nicht – und das ist die andere Seite der Medaille – dann doch ein Pendant in der Arbeit und in den unmittelbaren sozialen Kontexten finden. Alice: Was war für Sie das überraschendste Ergebnis Ihrer Studie? Martin Baethge: Also das für uns im Grunde genommen Überraschendste an dieser Untersuchung war, dass die Kompetenzen für lebenslanges Lernen zentral abhängig sind von den im Erwachsenenalter insbesondere am Arbeitsplatz erfahrenen Lernkontexten. Die Dispositionen für lebenslanges Lernen sind eben nicht im frühkindlichen Alter oder bis zum Alter von 12 oder 13 Jahren endgültig formiert, sondern entscheidend ist die Lernumgebung. Mittlerweile bestätigt ja die Hirnforschung, dass sich das Gehirn auch noch im Alter weiterentwickelt. Die multivariate Analyse hat uns sehr deutlich zeigt, dass die Lernförderlichkeit in der Arbeit einen überragenden Stellenwert für die Kompetenzen für lebenslanges Lernen hat. Das sind ja ganz ermutigende Ergebnisse und deswegen haben wir das entsprechende Kapitel auch 9 'Arbeit als zweite Chance' überschrieben. Der Sachverhalt selbst leuchtet ein und ist auch durch eine ganze Reihe von arbeitspsychologischen Studien bestätigt. Alice: Arbeit als zweite Chance klingt ermutigend, aber wo liegen die Risiken? Martin Baethge: Die ganze Sache hat eine eminent wichtige sozial-strukturelle Implikation. Es zeigt sich, dass die Verteilung lernförderlicher Arbeitsplätze nicht quer durch die Gesamtbeschäftigung geht, sondern dass es große Areale gibt, etwa ein Drittel der Arbeitsplätze, in denen kaum eine lernanregende Arbeitsumgebung vorhanden ist. Das heißt, dass diese Arbeitnehmer doppelt benachteiligt sind. In erster Linie handelt es sich um Personen, die vor allen Dingen in den nicht qualifizierten Tätigkeiten in der Industrie, in den gering qualifizierten Tätigkeiten im Dienstleistungssektor, im Reinigungsgewerbe und vor allem im Einzelhandel tätig sind. Da sind sehr viele doppelt benachteiligt, weil sie erstens – ganz krass gesagt – beschissene Arbeitsplätze haben und zweitens da nicht das entwickeln können, was nötig wäre, wenn sie sich selbst daraus befreien wollten. Alice: Da schließt sich dann der negative Kreis. Martin Baethge: Ganz genau und das heißt auch, dass die Qualifizierung von Arbeitslosen irgendwo an Grenzen stößt - nämlich sowohl an innere wie äußere Grenzen. Wir wissen, dass über 50 % der Arbeitslosen aus gering qualifizierten Tätigkeiten kommen, dass dort innere Barrieren im Sinne der versperrten Entwicklung von Kompetenzen zum Lernen überhaupt erst einmal aufgebrochen werden müssen und dass eben, wenn der Arbeit selbst ein so hoher Stellenwert zukommt, es zunehmend schwerer werden wird, Arbeitslose wieder in Beschäftigung zu bringen. Weil dafür Kompetenzen und Qualifikationen nötig sind. Alice: Es ist ja auch ein Verdienst Ihrer Studie, diese Zusammenhänge aufzuzeigen und deutlich zu machen, wo Menschen benachteiligt sind und am Prozess des lebenslangen Lernens überhaupt nicht partizipieren können und damit ihre Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit gefährden. Wo sehen sie den Ansatzpunkt da regulierend einzuwirken? Wie könnte man z.B. der Verkäuferin im Spar-Laden die Chancen eröffnen, auch an diesem Prozess teilzunehmen und ihre Lernfähigkeit aufrechtzuerhalten? Martin Baethge: Das ist eine sehr ernste und schwer zu beantwortende Frage. Es ist nicht in erster Linie eine Frage der Bildungspolitik, sondern es ist eine Kombination von systematischer Arbeitsmarkt- und Weiterbildungspolitik und Arbeitspolitik. Einer Reihe von Unternehmen ist sehr wohl bewusst, dass sie gerade für ihre gering qualifizierten Belegschaften im Grunde genommen etwas machen müssen. Und deswegen ist alle Politik, die darauf zielt, die Aufgabenzuschnitte in der Arbeit zu vergrößern, die Lernintensität der Arbeit zu verbessern, eine ganz wichtige Voraussetzung 10 dafür, dass lebenslanges Lernen sich auf der individuellen Kompetenzebene stabilisiert und stabilisieren kann. Also wenn Sie so wollen, die Verbindung von Lernen und Praxis. Ich hoffe das ist deutlich geworden, es gibt keinen Automatismus, gerade weil wir wissen, dass es zwischen 35 und 40 % gering qualifizierte Arbeitsplätze gibt. Daraus können Sie ersehen, wie groß die Gefährdungen sind und wie wichtig dieser Ansatzpunkt der Verbesserung der Lernfähigkeit in der Arbeit, aber man kann auch sagen, in den sozialen Kontexten ist. Ich glaube, dass es den Frauen im Lernen deshalb u.a. so viel besser geht, weil sie in der Regel mehr Selbstaktivität auch außerhalb der Arbeit entfalten müssen. Es gibt ja schon seit den 80er Jahren die These von den Alternativrollen, die besagt, dass Frauen besser mit Arbeitslosigkeit umgehen und nicht ins Bodenlose fallen, weil sie aktiv sind und Alternativrollen haben, die sie weiter verfolgen können. Der Hobbygärtner lernt auch, aber die Verbindlichkeit der Kindererziehung ist einfach größer und erfordert mehr Konzentration und das verbessert wiederum die Voraussetzungen für das Lernen. Alice: Kennen Sie die These aus der Forschung zur Weiterbildungsabstinenz, dass es in der Gruppe der sogenannten Weiterbildungsabstinenten auch gute Gründe geben könnte, nicht an Weiterbildung teilzunehmen? Gibt es neben der Forderung nach lebenslangem Lernen und nach dem Recht auf Bildung nicht auch ein Recht auf Widerstand, auf Nichtteilnahme? Martin Baethge: Wir haben auch die Frage gestellt, was den Leuten am ehesten einfällt zu dem Stichwort lebenslanges Lernen. Die Ergebnisse sind da schon sehr interessant. 80 % sehen eben eher den Zwangscharakter, wobei 50 % sagen: „Das muss man machen, um überhaupt noch einen Arbeitsplatz zu bekommen“. Der Rest sagt, das sei eine unerträgliche Zumutung. Und was auch sehr witzig ist: „Ich habe genug gelernt“. Nicht Zwangscharakter, sondern Zumutungscharakter. Und nur 20 % sagen: „Da tue ich endlich mal etwas für mich selbst“. Alice: Woran liegt das Ihrer Meinung nach? Martin Baethge: Wenn wir mehr lernförderliche soziale Kontexte von der Arbeit bis zur Familie hätten, würde das vielleicht auch von vielen gar nicht so negativ gesehen und wenn sie ein Bewusstsein davon hätten, was sie eigentlich alles lernen und gelernt haben. Die Widerständigkeit gegenüber Weiterbildung ist im Grunde genommen ein Hinweis auf die bürokratische Verfassung der Lernorganisation: dass nämlich die Leute auch ein Bewusstsein haben, muss ich lebenslang in irgendeiner Form zur Schule gehen, zur Hochschule gehen, zur Volkhochschule gehen, aber immer kommt dieser Inhalt Schule mit rein. Und das Bild einer Schule ist das von einer bürokratischen Organisation. Und dass das bis zu einem gewissen Grad abschreckend wirken kann, glaube ich, darüber müssen wir uns nicht lange streiten. Alice: Da würde sich wieder der negative Kreis schließen. Wenig Erfahrung mit positiven Lernkontexten. Martin Baethge: Dieses Wort Widerstand kann man glaube ich so akzeptieren und verstehen, dass man auch diejenigen ernst nimmt und denen auch Existenzmöglichkeiten gibt, die nicht mehr lernen - aus welchen Gründen auch immer. Ein Problem dieser hohen Betonung vom lebenslangen Lernen besteht auch darin, dass sie sehr schnell dazu führen kann, Arbeitsmarktrisiken usw. zu individualisieren: „Die wollen nicht mehr lernen“ heißt es dann. Aber es gibt genügend Leute, die es dann so verlernt haben, dass sie nicht mehr gut lernen können. Und dann zu sagen, dass sind die Fußkranken der Gesellschaft, die wollen auch nicht mehr usw. Das ist keine Frage des Willens, das möchte ich sehr ernst betonen. Aus dem Zusammenhang, den wir über Lernförderlichkeit und Lernkompetenz hergestellt haben, zeigt sich eben, wo dann die Verursachungsfaktoren für individuelle Sperren zum Lernen liegen. Auch Widerständigkeit. Alice: Vielleicht auch Widerständigkeit gegen den Verwertungscharakter, du musst dich weiterbilden? Martin Baethge: Ja, auch das. Und das generiert natürlich auch Angst, weil Anforderungen gesetzt werden, die so ungewohnt sind und die dann noch mit einem Typus von Lernen verbunden werden, gegen den man ohnehin eine Abwehr hat. Wobei interessant ist, das ist nicht durch die Schulen hervorgebracht worden. Die Einschätzung des schulischen Lernens ist überwiegend positiv. Die Leute erinnern sich gerne an ihre Schulzeit zurück und sagen, da haben wir doch eine Menge gelernt. Alice: Wollen wir den Bogen zur Fachhochschulen spannen. Wie können wir die Kompetenzen des lebenslangen Lernens vermitteln und fördern? Und gibt es Vorteile, Stärken, die die Fachhochschulen gegenüber den Universitäten haben? Martin Baethge: Also ich denke, dass im Vergleich mit den Universitäten die Fachhochschulen Vorteile haben. In den Universitäten steht wissenschaftliche Weiterentwicklung, wissenschaftliches Lernen, forschungsbezogenes Lernen im Vordergrund und das ist ja immer etwas Praxisenthobenes, von der Praxis Ausgegliedertes. Es ist daher nicht zufällig, dass die Universitäten im Bereich der Weiterbildung bislang wenig aktiv waren, wenige Angebote haben und nur von wenigen Hochschulen, die sich darin einen Wettbewerbsvorteil versprechen, etwas intensiver Weiterbildung angeboten wird. Ich denke, dass die Fachhochschulen, weil sie von vornherein von ihrem Widmungszweck einen stärkeren Praxisbezug haben, eine höhere Praxisnähe haben. Das ist ein Vorteil. Es ist ja eine recht kuriose Argumentationsfigur, dass sozusagen die Verweigerung der höheren Weihen der Wissenschaftlichkeit im Sinne von Forschung, von Promotion, was ja lange Zeit die Realität der Fachhochschulen war, dass die gerade im Bereich der Weiterbildung möglicherweise den Fachhochschulen heute einen Vorteil verschafft, wenn sie den Vorteil dann zu nutzen wissen. Ein weiterer Vorteil der Fachhochschulen könnte sein, dass sie u.U. unterschiedliche Fachdisziplinen, bezogen auf Praxis, besser integrieren und vereinigen können, als dies gegenwärtig an den Universitäten der Fall ist. Alice: Wie können die Universitäten ihren Studierenden während der universitären Ausbildung vermitteln, sich auf lebenslanges Lernen einzustellen? Martin Baethge: Also ich glaube, man darf das nicht zu eng sehen. Wissenschaftliche Ausbildung ist ja in ihrem Kern nicht Vermittlung von Faktenwissen, sondern von Methodenwissen, von kategorialem Wissen, von begrifflich denken können und so etwas. Und das sind natürlich alles Voraussetzungen für lebenslanges Lernen, weil sie damit lernen, methodisch auch an neue Probleme, die sich ihnen stellen, heranzugehen. Also, wenn man so will, ist es nicht in erster Linie das Fachwissenschaftliche, sondern es ist das die Fachwissenschaften übergreifende Prinzip der Wissenschaftlichkeit, das dann wirkt, oder wenn man es auf eine andere Ebene setzt, sind es die fachübergreifenden Kompetenzen, die unter so Stichworten wie Methodenkompetenz, wie Sozialkompetenz usw. gefasst werden, die die Grundlagen sind. Und darauf müssen auch die Universitäten, denke ich, in Zukunft mehr Aufmerksamkeit verwenden. Alice: Ist das das Stichwort für neue Lehr- und Lernmethoden in Studium und Weiterbildung? Martin Baethge: Ja, und da denke ich, hat die Alice-Salomon Fachhochschule wieder einen Vorteil, wenn Ihr Eure Stärken betont, nämlich die größere Nähe zu den Handlungsfeldern nutzt, in denen Eure Studentinnen und Studenten später einmal arbeiten. Alice: Herr Prof. Baethge, wir danken Ihnen für das Gespräch! Herr Baethge wurde von den ASFH-MitarbeiterInnen Berthe Khayat und Antje Kirschning interviewt. 1 Martin Baethge, Volker Baethge-Kinsky (2004): Der ungleiche Kampf um das lebenslange Lernen: eine Repräsentativ-Studie zum Lernbewusstsein und –verhalten der deutschen Bevölkerung. In: edition Quem, Studien zur beruflichen Weiterbildung im Transformationsprozess, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung e.V., Bd. 16, Münster: Waxmann. Die Studie wurde aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sowie aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördert. Sie wurde in Kooperation vom Soziologischen Forschungsinstitut (SOFI) Göttingen (federführend), dem Berlin-Brandenburgischen Institut für Sozialforschung (BISS), dem Lehrstuhl für Erwachsenenpädagogik der Universität Heidelberg sowie mit Unterstützung des Methodenzentrums der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen durchgeführt. 11 Lernen für eine lebendige Gesellschaft Erfolgreiche Praxis der Wissenschaftlichen Weiterbildung an Fachhochschulen „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr“, war lange Zeit ein beliebter Satz, um Kindern das Lernen in jungen Jahren schmackhaft zu machen. Die Zeiten haben sich geändert. Begriffe wie lebensbegleitendes oder lebenslanges Lernen sind feste Begriffe der aktuellen Bildungsdiskussion und haben auch in der Praxis zu einem Umdenken bei Unternehmen und Mitarbeitern, aber auch Bildungsanbietern geführt. „Wer rastet, der rostet“, gilt heute mehr denn je nicht nur für einen faulen Körper ohne Bewegung, sondern auch für einen matten Geist ohne entsprechende „Nahrung“. Die Inhalte des lebensbegleitenden Lernens sind vielfältig. So ist es notwendig, Wissen auf den neuesten Stand zu bringen, Fertigkeiten auszubauen und Kompetenzen zu entwiThesen zur Wissenschaftlichen Weiterbildung Wissenschaftliche Weiterbildung und Qualität Im Rahmen des lebensbegleitenden Lernens ist Wissenschaftliche Weiterbildung gesellschafts- und bildungspolitisches Programm. Akkreditierung, Evaluation und Qualitätsentwicklung sind notwendige Voraussetzungen für dauerhafte Exzellenz der wissenschaftlichen Weiterbildung. Qualität und Wirtschaftlichkeit Qualität und Wirtschaftlichkeit sind grundsätzlich konkurrierende Ziele der Wissenschaftlichen Weiterbildung. Bereits die kostendeckende Durchführung qualitätsgeleiteter und forschungsbasierter Wissenschaftlicher Weiterbildung stellt eine hohe ökonomische Herausforderung dar. Wirtschaftlichkeit und Bedarf Bedarf und Nachfrage nach Wissenschaftlicher Weiterbildung garantieren noch keine kostendeckenden Preise. Nur ein strategisch ausgerichtetes Produktportfolio mit fokussierter Kundenorientierung und Nutzung von Synergieeffekten kann nachhaltig ökonomisch erfolgreich sein. ckeln. Letztendlich ist es immer das Ziel, die anstehenden beruflichen Anforderungen heute und in Zukunft bestmöglich bewältigen zu können. Wissenschaftliche Weiterbildung - also Weiterbildung unter Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse - leistet hierbei wertvolle Dienste und Hochschulen nehmen sich dieser auch durch gesetzlichen Auftrag vorgegebenen Aufgabe immer stärker an.1 Im nachfolgenden Beitrag wird ein Zukunftsbild entworfen, wie insbesondere die Fachhochschulen in der Praxis der Wissenschaftlichen Weiterbildung erfolgreich sein können. 12 Wissenschaftliche Weiterbildung an Hochschulen Die Neugestaltung des europäischen Hochschulraumes, ausgelöst durch den Bologna-Prozess seit 1999, mit dem Ziel der Erhöhung der Studierendenmobilität und einer verbesserten Vergleichbarkeit der Studienabschlüsse sowie gleichzeitig zunehmender Hochschulautonomie in Deutschland wird dauerhaft deutliche Veränderungen im Leistungsangebot der Hochschulen bewirken. Das für Deutschland neue und weitgehend einheitliche dreistufige Studiensystem mit Bachelor-, Master- und Promotionsabschlüssen2 relativiert zum einen die bisherigen Unterschiede zwischen Fachhochschulen und Universitäten und berücksichtigt wesentlich stärker als bisher auch Weiterbildungsstudiengänge. Grundsätzlich ist das an einer Universität oder Fachhochschule angebotene Bachelor-Studium Regelvoraussetzung für die Aufnahme eines meist sich direkt daran anschließenden Masterstudiums oder eines Weiterbildungsstudiums ebenfalls mit Masterabschluss, das im Normalfall nach einigen Berufsjahren begonnen und meist berufsbegleitend durchgeführt wird. Der jeweilige Studienumfang wird zukünftig durch den Gesamtarbeitsaufwand der Studierenden bis zum Studienabschluss bestimmt und durch ECTS-Points3 europaeinheitlich beschrieben. Neben diesen Weiterbildungsstudiengängen, die je nach ECTS-Points eine Studiendauer zwischen zwei und vier Semestern erfordern, werden auch kurzfristige Maßnahmen der Wissenschaftlichen Weiterbildung angeboten. Insbesondere handelt es sich hierbei um Kongresse, Tagungen, Erfahrungsaustausche oder Seminare, die meist einen oder wenige Tage dauern. Längerfristige Veranstaltungen von einer bis mehrerenWochen ohne Studienabschluss werden häufig als Zertifikatskurse bezeichnet, mit Zeugnis, aber ohne formalen akademischen Wert. Das Ökonomische Missverständnis der Wissenschaftlichen Weiterbildung Die schwierige Finanzierungssituation der Hochschulen in Deutschland ist zweifelsohne bedingt durch deutlich beschränkte Möglichkeiten der öffentlichen Hochschulfinanzierung. Die Hochschulen versprechen sich durch die Wissenschaftliche Weiterbildung eine realistische Möglichkeit in ökonomisch schwierigen Zeiten die eigenen Einnahmen spürbar zu verbessern, insbesondere auch deshalb, weil meist diesbezügliche Aktivitäten und damit auch Weiterbildungsstudiengänge zu Marktpreisen angeboten werden können. Allzu häufig wird aber eine zu optimistische ökonomische Planung betrieben. Dabei werden nahezu immer die Einnahmen zu hoch und die Ausgaben zu niedrig angesetzt. Aus einer positiven Einnahmenentwicklung kann dadurch recht schnell eine Unterdeckung des Gesamtbudgets entstehen. 4 Zum besseren Verständnis seien hier einige Gründe für zu optimistische Einschätzungen angeführt: • Die Einnahmen werden überschätzt; die zur Erreichung des Break-Even-Punktes notwendigen Studierendenzahlen sind schwieriger zu erreichen als gedacht. nachhaltiger Auf- bzw. Ausbau der Wissenschaftlichen Weiterbildung als zusätzliches Geschäftsmodell ergänzend zu grundständigen Studiengängen angestrebt wird. • Um Maßnahmen zu füllen, werden Rabatte eingeräumt (und vielleicht sogar noch als Stipendien „verkauft“). Leistungsumfang und Marktfähigkeit der Fachhochschulen sind im bisherigen Ausbildungssegment anerkannt und unbestritten. Auch in der Wissenschaftlichen Weiterbildung haben die stark praxisorientierten Fachhochschulen eine nicht geringe Tradition, allerdings schwerpunktmäßig bei kürzerfristigen Maßnahmen. Weiterbildungsstudiengänge sind aufgrund des bisherigen einstufigen Studienmodells in Deutschland an Fachhochschulen noch kaum verbreitet. Es ist also eine Grundsatzentscheidung zu treffen, wie das Leistungs-Portfolio der Wissenschaftlichen Weiterbildung gestaltet werden soll. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass der Aufbau von Studiengängen der Wissenschaftlichen Weiterbildung zeit- und kostenintensiv ist und auch der Wettbewerb national und international stark zunimmt. Außerdem ist die Bereitschaft in längerfristige Maßnahmen zu investieren aufgrund der konjunkturellen Rahmendaten bei den potenziellen (zahlenden) Teilnehmern und Unternehmen derzeit eher begrenzt. Es sei hier die Prognose gestattet, dass die Angebotsseite der Wissenschaftlichen Weiterbildung in naher Zukunft stärker wachsen wird, als die Nachfrageseite. Diese Rahmenbedingungen machen deutlich, dass das Geschäftsrisiko der Wissenschaftlichen Weiterbildung nicht unbedeutend ist und damit die strategische Ausrichtung des Angebotes mit besonderem Blick auf die Marktfähigkeit eine ganz entscheidende Bedeutung erhält. Es wäre sicher auch ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil, wenn es als Anbieter gelänge, ein Alleinstellungsmerkmal (USP=Unique Selling Proposition) im Hinblick auf das Leistungs-Portfolio herauszuarbeiten. Hierbei ist auch die Frage der Zielgruppenfokussierung zu klären, ist doch die Konzentration auf die eigenen Absolventen nur in seltenen Fällen quantitativ auskömmlich • Erwartete Einnahmen aus private-public Partnerschaften fließen geringer und nicht so nachhaltig wie erwartet. • Die erwarteten Ausgaben für die Lehre sind höher als erwartet, weil freie Lehrdeputate kaum zur Verfügung stehen und somit Lehre mit Marktsätzen zu vergüten ist. • Das Vorhalten von Infrastruktur auch an Wochenenden und in den Abendstunden wird im Planungsstadium oft unterschätzt (Bereitschaft, EDV-Probleme, Bibliothek usw.). • Kunden, die sich für Maßnahmen zu Marktpreisen entscheiden, haben auch höhere kostenwirksame Ansprüche in Betreuung, Verpflegung, Abschlussfeier und Rahmenprogramm. Der Autor zeichnet hier bewusst ein kritisches Szenario der Möglichkeiten zur Budgetverbesserung der Hochschulen im Aufgabenbereich der Wissenschaftlichen Weiterbildung. Hierdurch wird bezweckt, dass die Verantwortlichen im Rahmen von Entscheidungsvorbereitungen zur Wissenschaftlichen Weiterbildung unabhängig von strategischen Überlegungen ökonomischer Realität einen höheren Stellenwert einräumen. Strategische Konzepte Soll wissenschaftliche Weiterbildung in der Praxis erfolgreich realisiert werden, erfordert dies eine Vielzahl von Vorüberlegungen und Entscheidungen, ein geschlossenes Konzept ist anzustreben und Nachhaltigkeit muss das Ziel sein. Wesentliche Aspekte sind hierbei die intensive Erhebung der aktuellen Bedarfssituation, aber auch das Angebot des Marktes und der direkten Konkurrenz. Die besonderen Stärken der eigenen Hochschule sind einzusetzen und auszubauen, aber auch andere wichtige Faktoren wie aktivierbare Teilnehmerpotenziale, Vorlaufkosten, notwendige Infrastruktur, Teilnehmerbetreuung usw. zu beachten.5 Es empfiehlt sich eine wohlüberlegte Balance zu finden zwischen einem oftmals angestrebten pragmatischen, möglichst schnellen Start der Wissenschaftlichen Weiterbildung und der Entwicklung eines längerfristigen und nachhaltig wirkenden strategischen Konzeptes.6 Nachfolgend werden die für den Umsetzungserfolg in die Praxis wichtigsten und jeder ernsthaften Planung zugrunde liegenden strategischen Überlegungen für die Etablierung einer Wissenschaftlichen Weiterbildung diskutiert. Hierbei wird davon ausgegangen, dass ein systematischer und Herausforderungen an die Wissenschaftliche Weiterbildung Zielgruppenspezifisches Studienangebot Systematisches didaktisches Konzept (Blended Learning) Qualitätsgeleitete und forschungsbasierte Lehre Weiterbildungserfahrene Lehrkräfte und regelmäßige Studienevaluation Weiterbildungsadäquate Infrastruktur an allen Studientagen Studierendenbetreuung und –beratung auch außerhalb der Präsenzphasen Marktfähiges Preis-/Leistungsverhältnis Alleinstellungsmerkmale des Studienangebotes (USP) Marketing und Öffentlichkeitsarbeit 13 (aufgrund geringerer Absolventenzahlen ergibt sich in diesem Punkt häufig ein Nachteil der Fachhochschulen gegenüber den Universitäten). Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob nicht in der relativ dicht besiedelten Fachhochschullandschaft in Deutschland bzw. im deutschsprachigen Raum durch Netzwerkpartnerschaften Erfolgspotenziale besser ausgeschöpft werden können. Dies kann z.B. geschehen durch regionale Partnerschaften oder durch überregionale fachliche Kooperationen. Die große Anzahl ständig neuer Angebote von MBA-Studiengängen mit selten wirklich spezifischem Profil bei höchstens moderat steigenden Teilnehmerzahlen ist Beispiel für eine ökonomisch und wohl auch qualitativ fragwürdige Entwicklung. Ressourcen sind auch an Fachhochschulen knapp, dies gilt gleichermaßen für personelle und finanzielle Mittel. Der Aufbau eines systematischen Konzeptes der Wissenschaftlichen Weiterbildung sowie die konkrete Umsetzungsplanung sind kaum als „Freizeitbeschäftigung“ nebenbei zu bewältigen. Sofern Gremienentscheidungen oder sonstige Genehmigungsverfahren kein gravierendes (und zeitliches) Hindernis darstellen, erscheint ein Zeitvorlauf für die Konzeptentwicklung bis zur ersten Maßnahmendurchführung eines Studienganges von einem Jahr durchaus anspruchsvoll. Weitgehend unterschätzt wird auch der Aufwand für die Erstellung von professionellem Werbematerial (Internet und Print) und die Beratung/Betreuung der Interessenten/potenziellen Teilnehmer. Qualitätsmanagement und Qualitätsentwicklung sind zukünftig unabdingbare Voraussetzungen für einen dauerhaften Markterfolg insbesondere der mit Teilnehmergebühren „belasteten“ Wissenschaftlichen Weiterbildung.7 Nicht akkreditierte Studiengänge oder zumindest regelmäßig und systematisch evaluierte Maßnahmen werden bei der Teilnehmerakquisition einen deutlichen Wettbewerbsnachteil unabhängig von der tatsächlichen Maßnahmenqualität zu verkraften haben.8 Es empfiehlt sich außerdem Qualitätsentwicklung auf die gesamte Organisation auszuweiten und nicht auf Produkte oder einzelne Maßnahmen zu beschränken. Da Qualitätsempfinden eine Frage der Mentalität der handelnden Personen und nicht eine Frage niedergeschriebener Papiere ist, kann glaubwürdiges und vertrauensbildendes Qualitätsverhalten nur auf die jeweilige Gesamtorganisation bezogen werden. Zukunftsperspektive Obwohl der Markt der Wissenschaftlichen Weiterbildung im deutschsprachigen Raum und in Europa absehbar dauerhaft umkämpft sein wird, eröffnen sich auch den Fachhochschulen durchaus Erfolg versprechende Perspektiven. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Wettbewerbsvorteile des starken Bezuges zur Praxis und die meist intensive regionale Verankerung konsequent ihren Niederschlag in der stra- 14 tegischen Ausrichtung finden. Eine fachliche Spezialisierung unter Berücksichtigung bereits vorhandener oder noch zu entwickelnder Alleinstellungsmerkmale erscheint notwendig und sinnvoll. Ziel muss es sein, hohe Marktaufmerksamkeit für einen nachhaltigen Maßnahmenerfolg zu erzielen. Hierfür ist das Angebotsportfolio so auszurichten, dass ein Maßnahmenmix aus kurz-, mittel- und langfristigen Aktivitäten mit ganzjährigem Planungszeitraum realisiert werden kann, um über Einzelaktivitäten hinaus, eine umfassendere (und absatzförderliche) Fachkompetenz aufzubauen. Die Vermarktung hat kontinuierlich zu erfolgen, die einzelnen Maßnahmen können als Maßnahmenbündel vermarktet werden. Zur besseren Ausschöpfung eigener Leistungspotenziale und überregionaler Maßnahmenvermarktung sind Netzwerkpartnerschaften zur fachlichen Exzellenzbildung oder zur Nutzung interessanter Standorte zur Maßnahmendurchführung von großer Bedeutung. Auch Marketingkooperationen zur Reduzierung von Media- und Akquisitionskosten sind in jedem Fall überlegenswert. Der Autor Prof. Dr. Werner Fröhlich Nachstehend zusammengefasst die wesentlichen Faktoren für zukünftigen Geschäftserfolg der Wissenschaftlichen Weiterbildung zur besonderen Beachtung im Strategiefindungsund Planungsprozess: • Zielgruppenspezifisches Angebotsportfolio unter Einsatz der eigenen Leistungsstärken • Kundenorientierung im gesamten Weiterbildungsprozess, beginnend mit der ersten Teilnehmerinformation bis hin zur Diplom- oder Zertifikatsübergabe. • Weiterbildungsteilnehmer an berufsbegleitend durchzuführenden Aktivitäten erwarten eine perfekte Infrastruktur und persönliche Betreuung an Präsenztagen und in Schwerpunkt: Hochschulen im Wandel: Bachelor und Master kommen. Phasen des Zuhause-Lernens. Hierzu zählt auch eine auf das Minimum beschränkte Bürokratie. • Ohne konsequente und kontinuierliche Qualitätsentwicklung der Gesamtorganisation ist ein nachhaltiger Geschäftserfolg kaum zu realisieren. • Innovation im Angebot, forschungsgeleitete Lehre und speziell für die Weiterbildung befähigte Dozenten sind jedoch die Fundamente, ohne die sich zukünftiger Erfolg der Wissenschaftlichen Weiterbildung kaum aufbauen lässt. Werner Fröhlich, Univ.-Prof. für Allgemeine Betriebswirtschaftlehre mit Schwerpunkt Personal und Organisation an der Universität Flensburg (derzeit beurlaubt), 1999 -2005 Präsident der Donau-Universität Krems 1 2 Exemplarisch hierfür der Wettbewerb des Stifterverbandes der deutschen Wissenschaft zu „Hochschulen im Weiterbildungsmarkt“: Fröhlich, W./Kastler, U.: Perspektiven der akademischen Weiterbildung, Erweiterter Sonderdruck aus Wirtschaft & Wissenschaft, 3. Quartal 2004, Essen 2004. Zur Beurteilung der neuen Studienstruktur aus Sicht der Wirtschaft s.a.: Personalführung 8/2005, Düsseldorf 2005 mit 3 Fröhlich, W./Holländer, C.: European Credit Transfer and Accumulation System (ECTS), Perspektiven für die einheitliche Anwendung des ECTS-Systems im deutschsprachigen Hochschulraum, Hochschulforschung Krems Band 1, Krems 2005 4 Wolter, A. u.a.: Lebenslanges Lernen und Weiterbildung im deutschen Hochschulsystem. Eine explorative Studie zu den Implementierungsstrategien deutscher Hochschulen. Dresden 2003 5 Ein ausführlicher Fragekatalog zur Entwicklung von Geschäftsmodellen der akademischen Weiterbildung findet sich in: Stifterverband der deutschen Wissenschaft (Hrsg.): Hochschulen im Weiterbildungsmarkt. Positionen. Essen 2003 6 S,.a.: Bernecker, M.: Bildungsmarketing, Köln o.J. (2005), Geißler, H.: Weiterbildungsmarketing, Neuwied 1997 7 Fröhlich W./Jütte, W. (Hrsg.): Qualitätsentwicklung in der postgradualen Weiterbildung. Internationale Entwicklungen und Perspektiven, Münster 2004 8 Beispielhaft zur Thematik Akkreditierung und Evaluation: HRK: Akkreditierung und Evaluation. Zwei Ziele, ein Verfahren, Beiträge zur Hochschulpolitik 3/2005, Bonn 2005 Lebenslanges Lernen in Europa der zudem nicht immer die Aufmerksamkeit der regionalen Medien findet. „Willst Du ein Jahr wirken, so säe Korn, Willst Du zehn Jahre wirken, so pflege einen Baum, Willst Du hundert Jahre wirken, so erziehe einen Menschen.“ Bildungspolitik gilt auch in den Augen der interessierten europapolitischen Öffentlichkeit traditionell als marginal, als ein „weicher“ Politikbereich, in dem es um Kooperation und Erfahrungsaustausch mit guter Praxis geht, bestenfalls auch um gemeinsam zu erarbeitende, aber stets unverbindliche Empfehlungen der Mitgliedsstaaten der EU. Das Bildungswesen wird als originäre Angelegenheit der Mitgliedsstaaten betrachtet. So ist es in den Europäischen Verträgen (§149, 150) festgelegt. Die Europäische Union darf nur zur Verbesserung von „Innovation“ und „Qualität“ des Bildungswesens beitragen, die transnationale Mobilität erleichtern und die „europäische Dimension“ für die Lernenden fördern. Die wichtigsten Politikinstrumente sind daher die allgemeinen, beruflichen und zielgruppenbezogenen Förderprogramme im Bildungswesen, der Erfahrungsaustausch zwischen den Ministerien und zunehmend auch die Erarbeitung von gemeinsamen Empfehlungen. Chinesisches Sprichwort, Guanzi, 645 v. Chr. Lebenslanges Lernen – ein „weicher“ Politik-Bereich in Europa… Viele bildungspolitisch engagierte Menschen in den Mitgliedsländern, seien es nun Eltern, Lehrerinnen und Lehrer oder Forscherinnen und Forscher, wissen bis heute nur wenig von der „Lissabonner Strategie“ der Europäischen Union für den Bildungsbereich. Dies gilt gerade auch für Deutschland, das in alle europäischen Gremien, in denen Bildungsund Kulturpolitik bearbeitet wird, jeweils eine/n Vertreter/in des Bildungsministeriums und eine/n Vertreter/in eines ausgewählten Bundeslandes schicken darf. Die Informationen über neue europäische Entwicklungen und Empfehlungen im Bildungsbereich sollten in der Regel nicht vom Bildungsministerium, sondern über die Vertreterinnen und Vertreter der Bundesländer in die anderen Bundesländer und von dort in deren zuständige Fachöffentlichkeiten fließen, ein nicht ganz einfach zu organisierender Kommunikationsprozess, Diese Linie wurde auch für den Entwurf einer europäischen Verfassung beibehalten, der die Mitgliedsstaaten nur „kooperieren“ lässt. Eine Garantie des Rechts auf Bildung (§14) ist zwar im vorliegenden Verfassungsentwurf vorgesehen, aber die Formulierung im Englischen wird bisher de facto eng ausgelegt auf Schule und Berufsbildung, die lebenslange Dimension wurde daher nicht gesichert. 15 ...aber eine tragende Säule der Strategie von Lissabon Im März 2000 wurde von der neuen europäischen Kommission in Lissabon eine innovative ressortübergreifende Strategie beschlossen. Europa sollte die weltweit wettbewerbsfähigste „Wissensökonomie“ aufbauen, um in Zeiten der Globalisierung eine Zukunft zu haben. Als eine notwendige Ergänzung dazu sollten eine „Wissensgesellschaft für alle“ geschaffen und ein besonderes „Europäisches soziales Modell“ entwickelt werden. Der Bildungsbereich wurde auf diese Weise zu einer tragenden Säule der europäischen Wirtschafts- und Sozialpolitik, zu einem Bereich, der konzertierte Entwicklung und verstärkte Investitionen erforderte. Um die Mitgliedsstaaten für diese neuen Ziele im Bildungsbereich zu gewinnen, nutzte die EU-Kommission von Anfang an auch ihr Initiativrecht. So veröffentlichte sie bereits am 30. Oktober 2000 ein „Memorandum“ über Lebenslanges Lernen (SEC (2000) 1832 endg.) (http://europa.eu.int/ comm/education/policies/lll/life/memode.pdf), um damit eine breite Konsultation zur Bildungsreform in den Mitgliedsstaaten und den Beitrittskandidatenländern anzustoßen. Ausgewertet wurden dafür insbesondere die Ergebnisse des Europäischen Jahrs des Lebenslangen Lernens 1996, der europäischen Bildungsprogramme Sokrates und Leonardo und die verstärkten Initiativen der internationalen Organisationen (UNESCO, OECD, Europa-Rat) in diesem Bereich in den letzten Jahren. Einen europäischen Raum des lebenslangen Lernens zu schaffen… Nach einer breiten Diskussions- und Feedback-Runde, an der sich nicht nur die Mitglieds- und Beitrittskandidatenstaaten beteiligten, sondern u.a. auch Sozialpartner, Nichtregierungsorganisationen, das Europäische Parlament, das Komitee der Regionen, der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss, zu dem über 12000 Einzelbeiträge eingesandt wurden, entstand aus dem schlichten „Memorandum“ im November 2001 eine offizielle „Mitteilung“ der Europäischen Kommission mit dem Titel „Einen europäischen Raum des Lebenslangen Lernens schaffen“ (Europa.eu.int/comm/education/policies/lll/life/index_ de.html). Lebenslanges Lernen wird darin bereits ganz breit definiert als: „alles Lernen während des gesamten Lebens, das der Verbesserung von Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen dient und im Rahmen einer persönlichen, bürgergesellschaftlichen, sozialen bzw. beschäftigungsbezogenen Perspektive erfolgt.“ In allen Mitglieds- und Beitrittskandidatenstaaten der Europäischen Union wurden in diesem Zuge auch nationale Koordinatorinnen und Koordinatoren für lebenslanges Ler- 16 nen ernannt, denn fast jedes Ministerium hatte Alters- und Zielgruppen zu entdecken, für die das lebenslange Lernen wichtig sein könnte. Einige dieser Koordinatorinnen und Koordinatoren schufen daher mit Zustimmung ihres federführenden Ministeriums noch interministerielle Arbeitsgruppen, um diesem neuen interdisziplinären Ansatz gerecht zu werden. Die Entschließung des Rates der Europäischen Union vom 27. Juni 2002 zum lebensbegleitenden Lernen (2002/C 163/01) bestätigte den in der Mitteilung vorgestellten wesentlich verbreiterten bildungspolitischen Ansatz: „Allgemeine und berufliche Bildung sind unentbehrlich für die Förderung des sozialen Zusammenhalts, ein aktives Staatsbürgertum, ein erfülltes Privat- und Berufsleben sowie für die Anpassungs- und Beschäftigungsfähigkeit. Lebensbegleitendes Lernen erleichtert die uneingeschränkte Mobilität der europäischen Bürger und ermöglicht die Verwirklichung der Ziele und Vorstellungen der Länder der Europäischen Union, nämlich wohlhabender, wettbewerbsfähiger, toleranter und demokratischer zu werden. Jeder sollte die Möglichkeit erhalten, sich durch lebensbegleitendes Lernen die Kenntnisse anzueignen, die er benötigt, um als aktiver Staatsbürger an der Wissensgesellschaft und am Arbeitsleben teilzunehmen.“ Im November 2003 wurden die Koordinatorinnen und Koordinatoren für Lebenslanges Lernen gebeten, einen Folge - Bericht über besonders interessierende Fragen zu machen. Hier wurde bereits bei der Auswahl der Fragen deutlich, dass wie in den Jahren zuvor benachteiligte Jugendliche, Schulen und Hochschulen, sowie das Lernen für die Arbeitswelt im Vordergrund standen, während das Interesse am Lernen für bürgerschaftliches Engagement und zur Entfaltung der Persönlichkeit, das Lernen in der frühen Kindheit und die Elternbildung sowie das nicht-formelle und informelle lebensbegleitende Lernen schon wieder nachließ. Die so vorstrukturierten Länderberichte wurden im Internet veröffentlicht (http://europa.eu.int/comm/ education/policies/2010/lll_en.html). …bleibt ein vernünftiges künftiges Ziel Ein Jahr zuvor wurde im Gefolge der Beschlüsse von Lissabon außerdem ein Bericht über „Die konkreten künftigen Ziele der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung“ bis 2010 vorlegt (Bericht des Rates Bildung an den Europäischen Rat vom 14. Februar 2001, 5980/01 EDUC23) (http://europa. eu.int/comm/education/policies/2010/doc/rep_fut_obj_ de.pdf). Obwohl der Bericht erstaunlich viele Potenziale für mehr Gemeinsamkeiten in der europäischen Bildungspolitik sichtbar machte, hielt sich die Begeisterung in den Mitgliedsstaaten in diesem Fall in Grenzen, denn ihre Zuständigkeiten und ihre Bereitschaft zur Kooperation wurden verbindlicher herausgefordert. Zwar kam man überein, - die Qualität und Effizienz der Bildungssysteme in Europa zu verbessern, - einen leichteren Zugang für alle zu den Bildungssystemen zu ermöglichen und - die Bildungssysteme gegenüber der Welt zu öffnen. Aber die Dimension des Lebenslangen Lernens wurde nur noch oberflächlich und stellenweise, nicht mehr durchgehend eingearbeitet. Neun verschiedene Arbeitsgruppen der Mitgliedsstaaten wurden auf dieser Basis gegründet. Sie legten 2003 und 2004 Berichte und Empfehlungen vor, die in etlichen Bereichen des formalen Lernens die Zusammenarbeit erleichtern würden, aber die neuen Konturen lebenslangen Lernens verblassten, denn „zuerst“ wollte man sich auf „das Wichtigste“, nämlich die Schulbildung konzentrieren. Die bis dahin einflussreichen Berufsbildungsexpert/inne/n in den Mitgliedsstaaten starteten sogleich eine gesonderte Initiative mit verschiedenen Europäischen Expertenforen, den so genannten „Kopenhagener Prozess“ im November 2002, der nicht zuletzt von Dänemark und Deutschland angeschoben wurde. Auch die Hochschulexperten in der Kommission fühlten sich von den neuen Schwerpunkten nicht schwerpunktmäßig betroffen und konzentrierten sich auf den „Bologna-Prozess“ mit dem Ziel, Hochschulabschlüsse in Europa vergleichbar zu machen. Unterwegs zu einer neuen „Kultur des Lernens“ in Europa Lebenslanges Lernen „von der Wiege bis zur Bahre“, wie es im Memorandum der EU-Kommission heißt, ist nur teilweise formal geordnet wie in Schulen oder Hochschulen, und findet ansonsten eher „nicht-formell“ statt, z.B. in thematischen Gesprächskreisen der Erwachsenenbildung, ohne festes Curriculum und ohne Prüfung, auch ganz „informell“ wie die Kindererziehung in der Familie, das Lernen von Freunden und Bekannten und das Lernen am Arbeitsplatz. Der oder die Lernende sollen im Zentrum stehen, nicht die Lehrenden, nicht die Institutionen. • Innovative Pädagogik fördern Die Lernenden sollten im Mittelpunkt stehen, und im Idealfall entscheiden können, was zu lernen für sie wirklich relevant ist, wann in ihrem Leben sie auf welche Weise etwas lernen wollen, mit Unterstützung welcher Technik, welcher Lehrkräfte oder Bildungseinrichtungen und – programme. Schließlich sollten sie auch selbst zu beurteilen lernen, ob der Lernprozess ihrer Meinung nach mit der nötigen Beratung und Förderung organisiert wurde, nicht nur, ob sie wirklich etwas gelernt hatten. Nicht der Wissensaufbau ist entscheidend, sondern die tatsächlich erworbenen Kompetenzen zu handeln. Alle Altersgruppen sollten als lernfähig betrachtet und Lernangebote daher neu organisiert werden: offen, flexibel und zugänglich für alle. Dies erforderte innovative pädagogische Ansätze. Eltern, Lehrer- und Professorenschaft sollten sich der Herausforderung stellen, sich nur noch als „Lernermöglicher/innen“ zu verstehen, als Berater/innen, Tutor/innen und Mentor/innen. So erlebten nicht nur die Lehrerfortbildung für alle Altersgruppen und die Elternbildung in Europa, sondern auch die Projektpädagogik und selbst organisierte Studienzirkel ihr bildungspolitisches Come-back in Empfehlungen und europäisch geförderten Projekten, in einigen Ländern mit lange autoritär geprägten Bildungssystemen auch ihre bildungspolitische Erstaufführung. Zahlreiche transnationale Kooperationsprojekte, Lernpartnerschaften und Netzwerke des Sokrates- und LeonardoProgramms haben seitdem europäische Pionierarbeit geleistet, ihre verschiedenen und gemeinsamen Erfahrungen ausgetauscht und an der Entwicklung von Lernformen mit neuen europäischen Qualitäten gearbeitet. Aus diesem Grund wurden im Sokrates – Grundtvig -Aktionsprogramm transnationale Kursleiter/innen - Fortbildungen zu einem neuen Förderschwerpunkt, im Sokrates-Erasmus-Programm die Öffnung der Universitäten für nicht-traditionelle Lerngruppen und der Ausbau der universitären Weiterbildung für Menschen mit und insbesondere ohne Hochschulabschluss. • Grundbildung erneuern Ohne sich auf eine endlose fachliche Debatte darüber einzulassen, was denn nun die „alte“ Grundbildung in welchem Land Europas gewesen sein könnte, empfahl schon das Memorandum zum Lebenslangen Lernen einfach, „neue“ Elemente hinzuzufügen. Hierzu gehörte in erster Linie, das Lernen zu lernen, denn auf selbständigeres und lebenslanges Lernen in allen Lebensphasen fühlten sich viele Menschen nicht vorbereitet mit ihren bisherigen relativ unselbständigen Lern - Erfahrungen im formalen Bildungssystem. Gefördert werden sollten auch das Erlernen von sozialen Kompetenzen, von einfachen Kompetenzen im Umgang mit Computern und anderen neuen Medien, von zusätzlichen kommunikativen Kompetenzen in mindestens zwei anderen Sprachen sowie Unternehmensgeist und Sinn für Eigeninitiative. Zu den sozialen Kompetenzen sollten auch solche für demokratische Partizipation und interkulturelle Kompetenzen gehören. Ein europäischer Referenzrahmen für die Grundbildung wurde erarbeitet und im Jahr 2004 der Öffentlichkeit vorgestellt (Key Competences for LLL – A European Reference Framework 2004, http://europa.eu.int/comm/education/policies/2010/ doc/basicframe.pdf). • Information, Beratung und Orientierung ausbauen Die verschiedenen Bildungssektoren, die zum Lebenslangen Lernen einen Beitrag leisten, sind in den Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich gewachsen. Eine Übersicht ist daher nur schwer zu gewinnen. Angesichts zunehmender Mobilität in Europa entsteht jedoch ein hoher Bedarf an zuverlässigen 17 transnationalen Beratungs- und Informationsangeboten. Sie sollten multilingual und zielgruppengerecht nutzbar und in der Qualität zuverlässig sein. Eine detaillierte Entschließung des Rates zur lebensbegleitenden Beratung in Europa wurde im Mai 2004 verabschiedet (http://europa.eu.int/comm/ education/policies/2010/doc/resolution2004-de.pdf). Wenige Monate später Anfang 2005 wurde auch ein Handbuch für politische Entscheidungsträger zum Ausbau und zur Gestaltung von Bildungs- und Karriereberatung in Europa von der Europäischen Kommission veröffentlicht. Die EU-Kommission erarbeitete als eigenen Beitrag gemeinsam mit den Bildungsministerien das europäische Bildungsinformationssystem „PLOTEUS“ (http://europa. eu.int/ploteus), das sich seitdem kontinuierlich zu einem herausragenden Instrument der Bildungsinformation in Europa entwickelte. Die nationalen Bildungsministerien sind für die Organisation der Datenlieferung und die Datenqualität sowie für die weitere Entwicklung nationaler, regionaler und lokaler Beratung verantwortlich. • Transparenz und Anerkennung für alles Gelernte Im Bereich der Hochschulen und der Beruflichen Bildung liefen seit Jahren Bemühungen, analytische Instrumente für eine Vergleichbarkeit von Bildungsniveaus und – abschlüssen in Europa zu erarbeiten, die auf formellem, aber auch auf nicht-formellen und informellen Wegen erreicht wurden. Hierzu gehören unter anderem das Europäische Leistungspunktesystem in der Hochschulbildung (ECTS) oder die Instrumente zum Ausbau des Europass zu einem universalen Kompetenznachweis wie das europäische Formular zur Selbstevaluation von Sprachkenntnissen oder das einheitliche europäische Lebenslaufmuster. Er wurde am 1.1.2005 in 31 europäischen Ländern eingeführt. (www.europass-info. de) Einen wesentlichen Schritt zur Anerkennung bereits erreichter Qualifikationen hat die EU-Kommission mit der öffentlichen Konsultation zur Arbeitsunterlage „Auf dem Weg zu einem europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen“ (SEK (2005)957) gemacht, die am 8.Juli 2005 publiziert wurde. • Lernpartnerschaften bilden, Lernangebote und Lernende zusammenbringen Um möglichst niemand von Lernchancen auszuschließen, sollten überall multifunktionale lokale Lernzentren als wohnortnahe Infrastruktur geschaffen werden, die sich auch auf individuelle Verschiedenheit der Lernbedürfnisse einlassen können. So wurden im Rahmen eines besonderen Förderprogramms „R3L“ von der Europäischen Kommission „Lernende Regionen“ und Städte gefördert. Gerade die lokalen Akteure in Städten ließen sich mit großer Begeisterung auf das Lebenslange Lernen ein, schufen Bündnisse und ungewöhnliche strategische Partnerschaften zwischen Wirtschaft, Zivilge- 18 sellschaft und Bildungseinrichtungen. Europäische Festivals der Lernenden Städte und Regionen zogen in den letzten Jahren bis zu 5000 Gäste aus ganz Europa an. Diese Kooperationsformen werden von der Europäischen Union auch durch den Europäischen Sozialfonds, das Sokrates-GrundtvigAktionsprogramm und das Town-Twinning Programm unterstützt. • In Bildung richtig investieren Der Bildungsbereich sollte von den Regierungen nicht mehr als Kostenfaktor betrachtet werden, sondern als Investitionsbereich. Ihnen wurde empfohlen, mehr Investitionen in „soziales“ und „humanes Kapital“ im Bildungsbereich zu tätigen. Eine Ausgabensteigerung wurde trotz weit verbreiteter Sparprogramme als unvermeidlich betrachtet. Die EU Kommission beobachtete allerdings sehr schnell, dass die Mitgliedsstaaten entgegen ihren eigenen Empfehlungen die Ausgaben für das Bildungswesen eher stagnieren ließen oder kürzten. Sie legte nach mit einer sehr kritischen Mitteilung zum Thema „Wirkungsvoll in die allgemeine und berufliche Bildung investieren“ (http://europa.eu.int/eurlex/de/com/cnc/2002/com2002_0779de01.pdf). Sie setzte inzwischen auch eine Arbeitsgruppe zum besten Gebrauch von Ressourcen mit Vertreterinnen und Vertretern der Mitgliedsstaaten ein, um die Effizienz und Effektivität der Ausgaben für das Lebenslange Lernen intensiv zu beobachten und präzisere Empfehlungen vorzubereiten. („Making the best use of resources“, http://europa.eu.int/comm/education/policies/2010/objectives_en.html#making) Die erziehungswissenschaftliche Fachwelt staunte nicht schlecht über die Ergebnisse. Die Logik betriebswirtschaftlichen Denkens, das von „Kosten“ im Bildungswesen sprach, wurde abgelöst vom Denken in notwendigen „Investitionen“ in „Humankapital“. Gleichzeitig wurden umfassendere vergleichbare Daten über den schon vorhandenen Anteil der privaten Finanzierung des Bildungswesens zusammengetragen, sowohl über den Beitrag der einzelnen Lernenden als auch über den Beitrag der Unternehmen. Begleitung durch Indikatoren, Benchmarks und Forschung Indikatoren und Benchmarks wurden gemeinsam in einer Arbeitsgruppe mit den Mitgliedsstaaten geplant zur Evaluation der Fortschritte. Die Statistischen Ämter selbst waren zumeist noch nicht gut vorbereitet. So wurden (und werden) Lernende in den zugrunde liegenden nationalen und internationalen Statistiken noch immer als „Inaktive“ geführt, weil sie keine bezahlten „Aktivitäten“ auf dem Arbeitsmarkt erbringen. Erst am 24. Mai 2005 beschloss der Rat „Schlussfolgerungen“ „zu neuen Indikatoren im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung“ (2005/C 141/04), die wieder an die Lissabonner Strategie von 2000 erinnerten. Zu den wichtigsten Neuerungen gehörte die Überlegung, eine Forschungsgruppe zum Thema lebensbegleitendes Lernen bei der gemeinsamen Forschungsstelle ISPRA einzurichten und sich um mehr „internationale Kohärenz von Daten“ zu kümmern. Zum ersten Mal wurden auch für die Politik des Lebenslangen Lernens innovative Bereiche wie die Erwachsenenbildung, die Förderung der Lernfähigkeit, der Erwerb von Fremdsprachenkenntnissen, das Lernen für soziale Integration und aktive Bürgerschaft, der soziale Hintergrund von Hochschulstudent/inne/n als Bereiche mit Entwicklungsbedarf anerkannt. Lebenslanges Lernen – Integration in alle Politikbereiche Nicht nur Bildungseinrichtungen, auch Bildungsministerien in Europa legen bisher vor allem auf Kompetenz im Schulbereich Wert, während sie die Zuständigkeit für das Lernen vor und nach und außerhalb der Schule auch gerne an andere Ministerien abtreten. Das Lernen an Hochschulen, auch deren offene extra-murale Angebote, wird in Wissenschaftsministerien verhandelt, das Lernen älterer oder behinderter Menschen wird gerne an die Sozial- oder Gesundheitsministerien abgegeben. Das Lernen von Migrantinnen und Migranten wird im Bereich Sprache und Politische Grundbildung neuerdings in den Innenministerien als Teil der europäischen Staatsbürgerschafts- und Sicherheitspolitik konzentriert, während besondere nicht formelle („außerschulische freiwillige“) Bildungsprogramme für Jugendliche in oftmals vom Bildungsministerium getrennten Jugendministerien, Umweltbildung in den Umweltministerien und Verbraucherbildung in den Wirtschafts- oder Sozialministerien ressortieren, das Lebenslange Lernen mit Strafgefangenen dagegen im Justizministerium, die politische Bildung der „Staatsbürger in Uniform“ in Zuständigkeit des Verteidigungsministeriums... Die Europäische Kommission selbst hat inzwischen in vorbildlicher Weise überall in ihren Verwaltungen das Lebenslange Lernen als kohärentes Politikziel integriert. Es ist längst auch integrativer Bestandteil der Europäischen Beschäftigungspolitik, der Politik für Kleine und Mittlere Unternehmen, der Jugendpolitik in Europa, der Sozialpolitischen Agenda mit ihren zweijährigen Nationalen Aktionsplänen, des Europäischen Behinderten-Aktionsplans (2003) und der Empfehlungen (2003) und jährlichen Berichte zur Migration in Europa, um nur einige Beispiele zu nennen. Lebenslanges Lernen – ein neues integriertes Förderprogramm Die Europäische Kommission hat für die neue Förderperiode ab 2007 ein integriertes Gesamt-Programm des Lebenslangen Lernens angekündigt, um die Entwicklung gemeinsamer Ziele im Bildungswesen und den Austausch guter Praxis voranzutreiben. Unter einem Dach „Lebenslanges Lernen“ sollen vier sektorale Programme zusammengelegt werden: Comenius (Schule), Erasmus (Hochschule), Leonardo da Vinci (Berufsbildung) und Grundtvig (Erwachsenenbildung). Daneben soll nach dem Vorschlag der EU-Kommission noch ein Schwerpunktprogramm die folgenden Aktivitäten fördern: Politische Zusammenarbeit, Sprachenlernen, Neue Informations- und Kommunikationstechnologien, Verbreitung und Nutzung der Ergebnisse. Besonders interessant ist auch die vorgeschlagene Öffnung der Projekte für die Beteiligung von Partnern aus außereuropäischen Ländern, die globales Lernen erleichtern soll. (http://europa.eu.int/comm/education/ programmes/newprog/index_de.html). Zwischen Zurückhaltung und Begeisterung für transnationale Bildungspolitik Alle aber, die in solchen europäischen Projekten schon einmal begeisterten Bildungsreformerinnen und – reformern aus anderen europäischen Ländern begegnet sind, wissen, wie inspirierend es sein kann, gemeinsame Ziele zu entdecken, sich über Landes- und Sprachgrenzen hinweg von der Richtigkeit eigener neuer Wege überzeugen zu lassen. Sie wundern sich manchmal über die Zurückhaltung der Bildungsminister/innen auf nationaler und regionaler Ebene gegenüber den Initiativen der EU-Kommission. Die neuen Perspektiven und Themen lebenslangen Lernens haben noch keine ausreichende Lobby mit langem Atem und vergleichsweise weniger einflussreiche Expert/inne/n in den Ministerien der Mitgliedsstaaten aufzubieten. Wollte die Europäische Kommission - wie in der Berufsbildungsoder Hochschulpolitik üblich – auch einmal die zuständigen „Generaldirektor/inn/en“ für Erwachsenenbildung einladen, könnte es leicht passieren, dass zuständigkeitshalber nur ein Mitarbeiter aus einem Referat geschickt werden könnte, weil für den Ausbau der Erwachsenenbildung im Kontext der Politik des Lebenslanges Lernen noch keine strategisch leitenden Positionen geschaffen worden sind. Es ist bisher nicht erforscht worden, in welchem Umfang eine europäische Bildungspolitik „von unten“ bereits unterwegs ist. Es gibt jedoch sehr wirksame persönliche Koalitionen und Netzwerke unter immer mehr Fachleuten in Europa. Sie berichten, dass es ihnen immer wieder einmal gelingt, ihre gemeinsam erarbeiteten „lebenslangen“ Konzepte und Ziele ihren „national“ und „regional“ orientierten Bildungs-Politikerinnen und - Politikern im richtigen Moment zu unterbreiten. Andere Länder Europas oder gar europäische Zusammenarbeit als Quelle politischer Inspiration zu erwähnen, ist noch nicht immer und noch nicht überall opportun. Allgemeine weiterführende Quellen : • 1. Politik der Lebenslangen Lernens in der EU http://europa.eu.int/comm/education/policies/lll/lll_de.html • 2. Europäische Bildungspolitik allgemein http://europa.eu.int/comm/education/policies/2010/ et_2010_en.html Monika Oels, Bildungsexpertin; 2001 – 2004 Abgeordnete Nationale Sachverständige bei der EU Kommission, Generaldirektion Bildung und Kultur. 19 Der „Wien-Prozess“ Der „Wien-Prozess“ - Wissenschaftliche Weiterbildung im Hochschulraum Europa und das zukünftige Aufgabenprofil der Weiterbildungseinrichtungen an Hochschulen Die ASFH ist seit 2002 Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Wissenschaftliche Weiterbildung und Fernstudien e.V. Die DGWF ist aus dem 1970 gegründeten Arbeitskreis Universitäre Erwachsenenbildung (AUE) hervorgegangen und kann auf eine lange Tradition und breite Erfahrung in der hochschulgebundenen Weiterbildung zurückblicken. Aufgabe der DGWF ist die Förderung, Koordinierung und Repräsentation der von den Hochschulen getragenen Weiterbildung. Dazu gehört auch die Förderung von Forschung und Lehre auf diesen Gebieten. Mitglieder sind ca. 270 Institutionen und Personen aus dem Hochschul- und Weiterbildungsbereich. Deutlich zugenommen hat dabei in den letzten Jahren insbesondere die Zahl der institutionellen Mitglieder. Dies ist sicherlich Ausdruck davon, dass die wissenschaftliche Weiterbildung zumindest proklamatorisch in das Zentrum der Hochschulen gerückt ist. Der Vorsitzende des DGWF, Prof. Dr. Faulstich, Universität Hamburg, ist Mitglied in der Arbeitsgruppe „Wissenschaftliche Weiterbildung“ des Akkreditierungsrates. Eine der wesentlichen Aufgaben dieser AG ist es, Qualitäts- und Anerkennungskriterien für weiterbildende Masterstudiengänge zu entwickeln. Die Vorschläge der Arbeitsgruppe sollen dann mit Hilfe des Bundesministeriums in die weiteren Debatten über den Bologna-Prozess eingehen und damit europaweit zum Thema werden. Auf internationaler Ebene gehört der DGWF dem „European Universities Continuing Education Network“ (EUCEN) an und unterhält darüber hinaus Kontakte zu Hochschullehrenden, Instituten und Partnerorganisationen mit weltweiten Netzwerken. Der „Wien-Prozess“ „Wissenschaftliche Weiterbildung im Hochschulraum Europa“, so lautete der Titel der Jahrestagung, die die DGWF mit ihrer Partnerorganisation AUCEN, Austrian Universities Continuing Education Network, im September 2005 in Wien veranstaltete. Diskussionsthemen waren u.a. die Chancen und Risiken des Bologna-Prozesses für die wissenschaftliche Weiterbildung. Einig waren sich alle Teilnehmenden darin, dass die Abstimmung zwischen Weiterbildung und Erststudium längst überfällig ist. Bedeutsame Elemente für die Schaffung eines europäischen Hochschulraumes sind die Förderung einer Kultur des lebenslangen Lernens, die Forderung nach stärkerer Berücksichtigung der Berufsbefähigung als Qualifikationsmerkmal von HochschulabsolventInnen sowie die Erhöhung der Durchläs- 20 sigkeit zwischen den Bildungssystemen und die Erleichterung des Zugangs zur Hochschule. Die Rückkehr an die Hochschulen nach oder auch während einer Phase der Berufstätigkeit wird bald zum normalen Biografieverlauf gehören. Die wissenschaftliche Weiterbildung mit ihrer langjährigen Erfahrung in der Angebotsgestaltung für Berufstätige kann sich in diesem Kontext als selbstverständliches Element in der akademischen Ausbildung etablieren. Eine der Forderungen auf der Tagung war daher, dass die Anerkennung von Vorwissen im Sinne des „recognition and accreditation of prior learning“ auch Eingang in die wissenschaftliche Weiterbildung finden muss. Im Communiqué der Bologna-Folgekonferenz in Berlin wurde nochmals gefordert, dass die Hochschulen sich verstärkt auch für Berufstätige öffnen und Berufserfahrungen Berücksichtigung und Anerkennung finden. Die SprecherInnen und Vorstände der Netzwerke für die wissenschaftliche Weiterbildung wollen sich daher an der Weiterentwicklung des nationalen Qualifikationsrahmens, der jüngst für die akademische Erstausbildung von der HRK vorgelegt wurde, im Interesse systematischer Anerkennungsmöglichkeiten aktiv beteiligen. Die ASFH auf gutem Weg - Das zukünftige Aufgabenprofil der Hochschuleinrichtungen für wissenschaftliche Weiterbildung Weitere Empfehlungen, die die DGWF auf der Wien-Tagung vor dem Hintergrund der aktuellen europaweiten Entwicklungen formulierte, betrafen das zukünftige Aufgabenprofil der Einrichtungen für die wissenschaftliche Weiterbildung. Dieses wurde unter dem Begriff „Makrodidaktik“ gefasst und bezieht sich auf die Organisation von Rahmenbedingungen für das Lernen bzw. auf das Bildungsmanagement. Es beinhaltet die Organisation, Planung, Curriculumsentwicklung, didaktische Konzepte, Methodenstrategien, Marketing, Evaluation und Transferstrategien. Dabei handelt es sich nicht nur um eine organisatorische, sondern um eine eigenständige wissenschaftliche Aufgabe, die auch Forschungsaktivitäten impliziert. Das Leistungsspektrum umfasst Aufgaben bei der Entwicklung, Planung, Beratung und Auswertung wie z.B: • • • • • • • • • • Bedarfsanalysen Programmplanung Medienbereitstellung Qualitätssicherung DozentInnenvermittlung Kursentwicklung Kontaktherstellung Lernberatung Personalberatung Finanzierungsberatung • Didaktische Beratung/Methodenberatung • Forschungsrecherchen Viele dieser Aufgabenpunkte - genannt seien hier beispielhaft die vom Zentrum für Weiterbildung, Hochschuldidaktik und Berufsfeldforschung (ZWHB) durchgeführten Bedarfsund Marktanalysen, die Forschungsrecherchen und die Qualitätsentwicklung im ZWHB - erfüllt die ASFH bereits seit Jahren. Von den namhaften ExpertInnen und ForscherInnen aus dem Weiterbildungssektor, die diese Empfehlungen erarbeitet haben, wird die ASFH darin bestätigt in den letzten Jahren eine ausgezeichnete Pionierarbeit geleistet zu haben. Auf diesem Pionierstatus wollen wir aber nicht stehen bleiben. Mit der Verzahnung der Aus- und Weiterbildung, den Fragen nach den Abschlüssen, den Zugängen, mit der Anerkennung non-formal und informell erworbener Kompetenzen, werden auch wir uns zukünftig beschäftigen und an der Umsetzung für die Angebote in der wissenschaftlichen Weiterbildung der Alice-Salomon-Fachhochschule mitarbeiten. Berthe Khayat Sprecherin der DGWF für die Wissenschaftliche Weiterbildung an den Fachhochschulen in Berlin/Brandenburg Zu einigen Facetten des Lernens in der Erwachsenenbildung • • • • Lernen um Wissen zu erwerben Lernen um zu handeln Lernen für das Leben Lernen zusammen zu leben Das sind die 4 Säulen, auf die Delors1 seinen Bericht zum lebenslangen Lernen stellt. Lebenslanges Lernen hat viele Dimensionen, die durch gesellschaftliche, politische, kulturelle, philosophische, ökonomische Ansprüche einer Gesellschaft, aufgewertet oder ins Abseits gedrängt werden. Alle Ausrichtungen legen die Grundfähigkeit und das Grundbedürfnis des Menschen zu lernen zu Grunde. F. Klix 2 beschreibt Lernen als Aufbau und Korrektur von Gedächtnisbesitz durch Informationsverarbeitung. In meinem Verständnis sind hier emotionale und affektive Prozesse mit eingeschlossen, die als Informationen im Gedächtnis zu bearbeiten sind. Der Mensch lernt vom ersten Tag seines Lebens an, er muss lernen, um zu überleben. Lernen ist eine Voraussetzung für jedes Individuum, um in der menschlichen Gesellschaft seinen Platz einnehmen und sie mitgestalten zu können. Zech beschreibt, dass „Lernen von Subjekten seinen Ausgangspunkt in den Widersprüchen, Dilemmata und Herausforderungen ihres individuellen Alltagshandelns [findet], und zwar dann, wenn diese Widerspruchskonstellationen zwischen vorhandenen individuellen Fähigkeiten und erlebten Handlungsnotwendigkeiten als subjektiv bedeutsame Lernproblematiken psychisch bewusst ausgegliedert werden können.“3 Er stellt die spezifischen Lerninteressen der Lernenden und den jeweiligen Lerninhalt in Beziehung zum Lernprozess und zum Lernergebnis und konstatiert, dass Lernen „nicht tech- nologisierbar und deshalb auch nicht unmittelbar von Organisationen steuerbar [ist]. Lernen ist letztlich nur das Werk jedes einzelnen Individuums“4. Lernen ist ein individueller Vorgang, den man nicht delegieren kann. „Damit keine Zweifel aufkommen: Lernen muss jeder selbst, man kann sich dabei nicht vertreten lassen. Arbeiten muss man nicht unbedingt selbst, man kann andere für sich arbeiten lassen. Denken muss man nicht nur selbst, man kann nutzen, was andere gedacht haben.“5 Das bedeutet aber nicht, dass man Lernen dem Selbstlauf überlassen kann, denn „Lernen ist nicht nur in die Verfügung des Subjekts selbst gestellt, es realisiert sich ... unter komplexen gesellschaftlichen, organisationalen, situationalen, interaktiven und personalen Bedingungen.“6 Diese führen zu konkreten Lernarten, Lernformen, Lernzielen und Lernabsichten sowie Nutzungsvorstellungen des Gelernten, die sich im Laufe des Lebens verändern. Jeder Mensch geht seinen eigenen Weg, der durch persönliche, familiäre, soziale, kulturelle und gesellschaftliche Rahmenbedingungen geprägt wird, die sich kulturhistorisch entwickelt haben. In diesem Kontext beschreibt R. Alt7 die frühen Phasen der Menschheitsgeschichte, in denen Lernen noch nicht institutionalisiert ist, aber als Vorgang, der die nachfolgende Generation auf das Leben in der Gemeinschaft vorbereitet, unabdingbar ist. Die Kinder lernen, indem sie in der Gemeinschaft leben, sich nützliche Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnisse spielerisch erwerben und von den Erwachsenen „abgucken“ bzw. deren Tätigkeiten nachahmen. 21 Systematisches Lernen in institutionalisierter Form wird erst möglich, wenn die Gemeinschaft in der Lage ist, Überfluss zu produzieren, d. h. wenn sie fähig ist, Personen für die Übernahme von Lehraufgaben im weitesten Sinne von den primären Aufgaben (Beitrag zum Nahrungserwerb, Schutz usw.) freizustellen. Dem so entstandenen „Lehrmeister“ fällt die Aufgabe zu, „die junge Generation einem vorausgeschauten Status, einem vorgestellten Ziel ein Stück näher zubringen, erfordert wie jede Arbeit einen gewissen Vorausblick auf das, was werden soll, eine Vorstellung von dem Ziele der Tätigkeit und den Mitteln, dieses Ziel zu erreichen.“ Diese Erkenntnis ist sicherlich nicht neu, scheint mir mitunter aber verloren zu gehen, wenn Mitbestimmung mit Konzeptionslosigkeit verwechselt wird und der Lehrende, der durch seine Ausbildung und Professionalität vorausschauend Bedarfe, Schwerpunktsetzungen und einen Wissensfundus einbringt oder einbringen sollte, genötigt wird oder sich genötigt sieht, ausschließlich den aktuellen Wünschen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gerecht zu werden. Außerdem wird deutlich, dass Bildung einem gesellschaftlichen Interesse entspringt und einen Preis hat, der von der Gesellschaft zu erarbeiten und auch zur Verfügung zu stellen ist. Lernen impliziert einen Lernhorizont, Vorstellungen vom angestrebten Ergebnis, die bei jedem Teilnehmer anders ausdifferenziert sind und in einem diskursiven Aushandlungsprozess zwischen Teilnehmenden und Lehrenden konkretisiert werden sollten. Neben der vorausschauenden Aufgabe kommt dem „Lehrmeister“ aber auch die aktuell unterweisende und die rationalisierende Aufgabe zu. Das, „was an Erfahrungen und Fertigkeiten weiter gegeben wird, [wird] im Prozess der Weitergabe besser durchgeformt, klarer gestaltet und bewusster gemacht. Schon ein Handgriff, der einem anderen in der Absicht der Unterweisung vorgemacht wird, gewinnt eine andere, besser geformtere, exaktere und bewusstere Gestalt. Weiterhin aber verändert das erzieherische Tun die Arbeit dadurch, dass der neu Hinzukommende den Inhalt des Überlieferten nicht selbst zu finden und zu erforschen braucht. Er lernt nur das endgültige, brauchbare Resultat eines langen Entwicklungsweges voller Irrungen und Versuche kennen. So kommt er schneller zum Ziel, zum Erwerb eines bestimmten Kreises von richtigen Erfahrungen und erprobten Fertigkeiten. Sein schöpferisches Tun hat eine andere Ausgangsbasis; Zeit und Kraft, die der Vervollkommnung und Weiterentwicklung der Arbeit dienen, können an einem höheren Punkt der Skala ansetzen.“8 Zwei Aspekte scheinen mir hier im Zusammenhang interessant zu sein: Anleitung zum Lernen und Rationalisierung. Selbständigkeit ist natürlich das Ziel von Bildung, sie ist aber nicht per se vorhanden, auch nicht im Erwachsenenalter. Das 22 weist unmissverständlich auf benötigte Lernorte und Lernzeiten und signalisiert den Bedarf an qualifiziertem Personal, das in der Lage ist, Lerngegenstände angemessen zu demonstrieren/präsentieren, Lernanleitung zu geben und ein ausbalanciertes Verhältnis von Wissensvorgaben und Chancen zum entdeckenden, kreativen Lernen zu konzipieren und zu realisieren.9 Der darin enthaltene Rationalisierungseffekt bedeutet für Weiterbildung auch, den Angeboten eine sorgfältige Bedarfsanalyse zu Grunde zu legen und so z.B. Umschulungsmaßnahmen für den Arbeitsmarkt vor dem Hintergrund realer Verwertungsmöglichkeiten zu entwickeln. „Weiterbildung hat also den Auftrag, wenn sie lebenslanges Lernen im Sinne einer kontinuierlichen Bildungsbereitschaft unterstützen will, die zur Selbständigkeit führt, die dafür notwendige entsprechende Lernkultur auszudifferenzieren oder eben zu erhalten oder wo sie in Teilen der beruflichen Bildung noch nicht vorhanden ist, sie entstehen zu lassen. Jenseits von Erziehung sind beginnend beim jungen Erwachsenen auf Selbständigkeit, auf Förderung und Selbst- und Situationsreflexionen bezogene Begleitkonzepte zu entwickeln.“10 Dies verweist auf die Notwendigkeit einer ständigen Teilnehmerorientierung in der Weiterbildung, denn persönliche Interessen und Motive haben entscheidenden Einfluss auf die Annahme und Wirkungen der Angebote. Bildungsangebote können nicht „als Dienstleistungen einfach abgeholt oder mitgenommen“ werden wie ein gebügeltes Hemd oder ein frisierter Kopf. Um das Angebot Weiterbildung zur Wirkung zu bringen, muss sich der Teilnehmende selbst einbringen, er muss z.B. Informationen aufnehmen, sie in seinem Gedächtnis verankern, Umstrukturierungen des bisher für richtig Erachteten vornehmen, Systematiken verändern, Vergleiche ziehen, Problemlösungen bearbeiten, neue Ideen kreieren.... Das ist nicht nur mit Spaß und Freude verbunden, Lernen bedeutet Anstrengung, mit partiellen Misserfolgen klar zu kommen, „Durststrecken“ zu überstehen usw. Je nach der persönlichen Art und Intensität, in den Lernprozess zu investieren, der Art und Weise, mit anderen Teilnehmenden und Lehrenden zu kommunizieren, entsteht ein persönliches, individuelles Lernprodukt, das in nachfolgenden Prozessen weiter bearbeitet, angewendet oder auch vergessen wird. Der Kreis schließt sich: Lernen muss man selbst, am Lernergebnis ist man maßgeblich beteiligt, aber auch die Rahmenbedingungen, z.B. dort abgeholt zu werden, wo man ist, geeignete Orte, Räume und Zeiten für das Lernen nutzen zu können, Anleitung und professionelle Hilfe für das Lernen zu haben, beeinflussen die Qualität dieses individuellen Prozesses entscheidend. Helga Stock Humboldt-Universität zu Berlin Philosophische Fakultät IV Abt. Erwachsenenbildung/Weiterbildung 1 2 UNESCO-Bericht: Deutsche UNESCO-Kommission (Hrsg.): Lernfähigkeit:Unser verborgener Reichtum. UNESCO-Bericht zur Bildung für das 21. Jahrhundert. Neuwied;Kriftel;Berlin:Luchterhand, 1997 Klix,F. Information und Verhalten Deutscher Verlag für Wissenschaft, Berlin 1980 3 Ehses,C.; Heinen-Tenrich,J.; Zech,R. Das lernerorientierte Qualitätsmodell für Weiterbildungsorganisationen Expressum Verlag Hannover, 2001, S.10 4 Zech, R. Mein Lernen gehört mir www.changex.de/d_a00776print.html 5 Geißler, Karlheinz A. Lernprozesse steuern Weinheim 1999, S. 168 6 Ehses.; a.a.O. S.13 7 Alt,R. Erziehung und Gesellschaft Volk und Wissen Volkseigener Verlag, Berlin, 1975, S.317 8 Ebenda S. 319/320 9 Z.B. ist jemandem bei der Computerarbeit zuzusehen und sich ein paar „Tricks“ abzugucken, nicht das gleiche wie eine gezielte Weiterbildung, wo z.B. auch die Palette der Wahlmöglichkeiten vorgestellt und die Gründe erläutert werden, sich für die eine oder andere Variante zu entscheiden. Oder ich erinnere an den medizinischen Bereich, wo Vormachen/Demonstrieren und Nachmachen/Üben feste Bestandteile der Aus- und Weiterbildung sind. 10 Gieseke, W. Bildungspolitische Interpretationen und Akzentsetzungen des Slogans vom lebenslangen Lernen Berlin, 2005, S.12 Berufsfeldforschung Wie eignen sich SozialarbeiterInnen Kompetenzen an? Berufsfeldstudie: Wissen und Expertise in der Sozialen Arbeit im Gesundheitsbereich 1. Gemeinsame Fragestellungen Bei der Berufsfeldstudie „Wissen und Expertise in der sozialen Arbeit im Gesundheitsbereich“ handelt es sich um die sog. „Finnlandstudie“, um eine Vernetzung einer Forschungsgruppe der Universität Helsinki, Abt. Soziale Arbeit, (Prof. Synnöve Karvinen-Niinikoski, Johanana Björkenheim, Jari Salonen) mit der ASFH (Prof. Dr. Brigitte Geißler-Piltz, Dr. Susanne Gerull, Berthe Khayat). Anlass unserer komparativen Forschungsarbeit ist die Erkenntnis, dass in Finnland wie auch in Deutschland die Wechselwirkung von sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit die Soziale Arbeit im Gesundheitsbereich vor Veränderungen und Herausforderungen stellt, die durch die Modernisierungskrise weiter verschärft werden. Die verantwortungsvolle und belastende Arbeit mit chronisch psychisch und somatisch kranken, sozial benachteiligten und ausgegrenzten Menschen führt zu ständig steigenden kognitiven, instrumentellen und psychosozialen Anforderungen. Im europäischen Raum gibt es keine Untersuchungen, die sich mit diesen besonderen beruflichen Anforderungen der Sozialen Arbeit beschäftigen und Erkenntnisse herstellen, wie Wissen und Expertise im beruflichen Alltag akquiriert wird, wie sich berufliche und außerberufliche Qualifikationen und Kompetenzen individuell und kollektiv ausprägen. Damit sind Entwicklungen zur „Wissensgesellschaft“ ange- sprochen, die zur Konsequenz haben, dass Lernen immer weniger gebunden an traditionelle Institutionen, an Aus- und Weiterbildung scheint. Durch berufliche und außerberufliche Tätigkeiten finden vielfältige non-formelle und informelle Lern- und Qualifikationsprozesse statt, die zur Ausformung von Kompetenzen und Expertise führen. Die finnisch-deutsche Forschungsvernetzung geht diesen Fragen mit einem aufwendigen empirischen Verfahren nach. 2. Gesellschaftlicher Kontext Gesundheitspolitische Entwicklungen und Strukturveränderungen im Gesundheitsbereich, welche Finanzierbarkeit und Leistungsfähigkeit zum Ziel haben, tangieren die Existenz des traditionsreichen Gesundheitsberufs, der Sozialen Arbeit. Die Zunahme chronisch-degenerativer Erkrankungen und die demographisch bedingte Zunahme alter, multimorbider Menschen machten einen Paradigmenwechsel in der Gesundheitsversorgung notwendig: Während der stationäre Bereich aus ökonomischen Gründen eingeschränkt wird, entstehen im kostengünstigeren ambulanten Versorgungssektor neue Aufgabenbereiche, die initiiert werden etwa durch die Pflegegesetze, die Novellierung des SGB VIII und die komplette Umstrukturierung der sozialen Sicherung, die Erweiterung der ambulanten Pflegedienste und die Anerkennung der Soziotherapie als Regelleistung, durch neue Anreiz- 23 und Steuerungssysteme wie die DRGs (Diagnosis Related Groups), Case Management etc. Für die in den Kliniken Tätigen bedeutet dies einen höheren Entlassungsdruck, für die PatientInnen frühere Entlassungen und eine entsprechend kürzere Verweildauer. Hier befindet sich die Sozialarbeit in einer schwierigen Position: Erwartet wird, dass trotz steigender Arbeitsbelastung kranke Menschen effektiv behandelt, d. h. case management und psychosoziale Interventionen verbessert werden; erwartet wird weiter, dass die Soziale Arbeit die Wirksamkeit ihrer Leistungen gegenüber Kooperationspartnern und Geldgebern nachweist. Da der Sozialen Arbeit, die in den Gesundheitsorganisationen eher im Hintergrund agiert, der geforderte Nachweis bisher nicht überzeugend gelingt, drängen andere helfende Berufe in die traditionellen Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit und verwischen damit die Grenzen zwischen den Professionen. SozialarbeiterInnen in Arbeitsfeldern des Gesundheitswesens scheinen nicht genügend gerüstet, um sich im veränderten medizinischen System zu behaupten, sie klagen darüber, methodisch nicht ausreichend für die Anforderungen der Praxis ausgebildet zu sein und sich gegenüber Berufsgruppen mit starker beruflicher Identität unterlegen zu fühlen. Dass in Zeiten verknappter Arbeitsplätze Berufsgruppen wie PsychologInnen, PflegerInnen oder ÄrztInnen - mit einer ungebrochenen beruflichen Identität und eigenen Wissensbeständen ausgestattet - ihren Handlungsbereich auf Kompetenzfelder der Sozialen Arbeit ausdehnen können, ist zunächst ein Beleg dafür, wie dünn die Trennungslinie zwischen medizinisch-therapeutischer und Sozialer Arbeit ist. Es zeigt aber auch, dass diese Grenze bisher nur einseitig überschritten werden durfte. Dabei ist nicht anzunehmen, dass SozialpsychiaterInnen sich mit theoretischen Konzepten der Sozialen Arbeit auseinandersetzen, während es umgekehrt als selbstverständlich gilt. „Für diese asymmetrische Beziehung zwischen Sozialarbeit und Medizin sind die Sozialarbeiter zum Teil selbst verantwortlich wegen ihrer Tendenz zur Selbstentwertung und auch aufgrund ihrer Chamäleonexistenz, der Anpassung an vorgegebene oder nur vermutete Rollen, Professionalitätsmuster, in Administrationen sowie in der Domäne der Medizin“1. Als Berufgruppe ist die Soziale Arbeit gefordert, in Kooperation mit und in Konkurrenz zu den anderen professionellen HelferInnen ihre Zuständigkeit und Kompetenzen für die Gesundheitsarbeit unter Beweis zu stellen. Im Wettbewerb gilt die Erfahrung, dass sich nur derjenige durchsetzen kann, der ein bestimmtes Gut anbietet, das andere MitbewerberInnen nicht in gleicher Qualität zu liefern in der Lage sind. 3. Weiterbildung und Kompetenzerwerb im Gesundheitsbereich Die Notwendigkeit besonderer Qualifikation und beruflicher Standards für die Sozialarbeit wird insbesondere im segmentierten, stark hierarchisch strukturierten Gesundheitswesen deutlich. Für dort tätige Berufsgruppen werden Qualifikationen nur über fachliche Weiterbildungen und Fachspezialisierungen erreicht. Für Ärzte gibt es eine geregelte 24 Facharztausbildung, für Pflegekräfte wie auch für Psychologen sind verschiedene Richtungen der Fachspezialisierungen geordnet. Für SozialarbeiterInnen gibt es zwar einige Zusatzstudiengänge und Weiterbildungen, die allerdings nicht einheitlich geregelt und wenig transparent sind. Dieser Kontext verdeutlicht, warum SozialarbeiterInnen mehr Zeit und Geld als andere Berufsgruppen in Weiterbildungen unterschiedlicher Qualität und Ausrichtung investieren. Besonders nachgefragt sind Weiterbildungen zu rechtlichen Problemen und Neuerungen sowie Psychotherapie, Beratungs- und Managementmethoden. Damit sind Erwartungen verbunden, den komplexen Anforderungen an psychosoziale Dienstleistungen in multidisziplinären Teams gewachsen zu sein. Ob die angebotenen Weiterbildungsveranstaltungen die berechtigten Erwartungen einlösen können, ob die angebotenen Methoden, die häufig auf disziplin-fremden Verstehensmodellen in Fragen von Gesundheit und Krankheit beruhen, für die Bewältigung der Alltagsrealität sozialer Arbeit verlässlich sind und ob nicht die informelle Weiterbildung, das „learning on the job“ , einen großen Teil der Wissensaneignung ausmacht, sind alles sind Fragen, die bisher nicht beantwortet werden können. Denn in Deutschland fehlen empirische Arbeiten, die die beruflichen Situationen von SozialarbeiterInnen auf Wissens- und Kompetenzaneignung untersuchen, SozialarbeiterInnen nach Art, Dauer und Qualität von Supervision, Weiterbildung , nach non-formellen und informellen Lernformen in Arbeitszusammenhängen befragen. Hier wird die „Finnlandstudie“ Neuland beschreiten und versuchen, Fragen und Hintergründe zu klären und weitere Fragen und Untersuchungen anregen. 4. Forschungsdesign Die mit uns korrespondierende Gruppe der forschenden SozialarbeiterInnen um Synnöve Karvinen-Niinikoski gehört einem Center of Excellence an, in dem mehrere Doktorantinnen arbeiten. Eine von Ihnen, Johanna Björkenheim, hat auf der internationalen Tagung die Vorarbeiten zu dieser Studie vorgestellt und die Frage nach einer Kooperation mit der ASFH positiv beantwortet. Da eine vergleichende Studie eine gemeinsame Fragestellung sowie einen übereinstimmenden Fragebogen voraussetzt, waren die finnischen KollegInnen gern bereit, uns den von ihnen erarbeiteten und bereits erprobten Fragebogen zu überlassen. Wir haben diesen sehr komplexen, mit etwa 80 Fragen auch sehr umfangreichen Fragebogen ins Deutsche übersetzt, ihn leicht gekürzt und mit dem Ziel, die Vergleichbarkeit zu belassen, methodisch und sprachlich überarbeitet. In Analogie zur finnischen Befragung, die gemeinsam mit der gewerkschaftlichen Vertretung durchgeführt wurde, haben wir die Deutsche Vereinigung für Sozialarbeit im Gesundheitswesen (zuvor Deutsche Vereinigung für den Sozialdienst im Krankenhaus) gewinnen können. Sie hat uns für die Befragung die Daten ihrer Mitglieder zur Verfügung gestellt und die Fragebogenaktion durchgeführt. Circa 700 Mitglieder sind von der Vereinigung – nach vorheriger Ankündigung im „Forum - Sozialarbeit + Gesund- heit“ - angeschrieben worden. Der Rücklauf dieser Aktion war beachtlich: 307 Fragebögen sind ausgefüllt in der ASFH eingetroffen. Damit kann die Studie als repräsentativ für die in der DVSG engagierten SozialarbeiterInnen aus dem Gesundheitsbereich angesehen werden. Als Kontrollgruppe haben wir parallel 446 Alumni der ASFH angeschrieben. 113 von den verschickten Fragebögen sind ausgefüllt zurückgekommen. Aufgrund unserer bisherigen Erfahrungen ist die Rücklaufquote für diese Gruppe durchaus akzeptabel. Da die Alumni in allen Arbeitsbereichen sozialer Arbeit tätig sind, können auf diese Art und Weise auch evtl. Besonderheiten der Wissensaneignung und – umsetzung von GesundheitsarbeiterInnen herausgearbeitet werden. Die ersten Ergebnisse liegen vor und werden beim Bundeskongress der Deutsche Vereinigung für Sozialarbeit im Gesundheitswesen e.V. (DVSG) am 27. und 29.Oktober in Mainz präsentiert. Brigitte Geißler-Piltz Prorektorin / ASFH 1 Terbuyken,G. (1997): Verstehen und Begleiten. Konzeptionelle Überlegungen zum Selbstverständnis von Sozialarbeiter/innen in der Psychiatrie, in: Soziale Arbeit, Heft 2, S.38-48 Hochschuldidaktik Der Hochschuldidaktikverbund Berliner und Brandenburger Hochschulen Im Dezember 1997 haben sich an der TFH Berlin eine kleine Präsentationstechniken und Einzelcoachings. Manche der Gruppe Vertreter evaluationswilliger Hochschulen und ein beteiligten Hochschulen sind in der glücklichen Lage, auf die Vertreter der Senatsverwaltung zusammengefunden und Ressourcen einer eigenen Abteilung für Weiterbildungsmaßbeschlossen, sich von nun an regelmäßig zu treffen, um zu nahmen zurückgreifen zu können. Früh kam der Gedanke diskutieren, Erfahrungen weiterzugeben und gemeinsame auf, die jeweiligen Veranstaltungen auch für Mitglieder andeProjekte anzustoßen. Diese Gruppe blieb nicht klein, sie rer Hochschulen zur Verfügung zu stellen, sich untereinander umfasst inzwischen Vertreter von 16 Hochschulen aus Ber- abzusprechen und eine gemeinsame Plattform zur Präsenlin und Brandenburg. Seit Februar 2000 findet außerdem tation zu finden, zuerst in Form eines Programms, dass an eine jährliche Tagung in Kooperation mit dem Projekt Q der 4.000 ProfessorInnen und Lehrbeauftragte verteilt wurde. Hochschulrektorenkonferenz (HRK) an einer der Hochschu- Da aber die Erstellung und der Druck des Programms nicht len statt. Die Themenpalette des Arbeitskreises und der ohne Unterstützung aller Hochschulen oder der SenatsverTagungen hat sich seither deutlich erweitert: Inzwischen waltung zu bewerkstelligen war, ging der Arbeitskreis dazu wird der ganze Bologna-Prozess diskutiert, besonders ver- über, eine internetbasierte Plattform zu planen. Unter Federschiedene Aspekte der Akkreditierung. Da der TeilnehmerIn- führung des Zentrums für Weiterbildung, Hochschuldidaktik und Berufsfeldforschung der nenkreis sich inzwischen aus ASFH entstand eine Webpage, dem gesamten Bundesgebiet Projekte 2005 die alle Didaktikseminare für und allen Hochschultypen rekDie Mitglieder des Arbeitskreises haben einen FrageboLehrende der beteiligten Hochrutiert, sind immer auch Vergen entwickelt, mit dem noch in diesem Jahr alle Hochschulen vereint. Das größte treterInnen von Einrichtungen schullehrenden der beteiligten Hochschulen zu ihren Problem ist aber nach wie vor dabei, die noch in den AnfänWeiterbildungsinteressen befragt werden sollen. Die das nicht sehr ausgeprägte gen der Evaluation stehen. Auswertung dieser Umfrage werden wir allen interesInteresse der Lehrenden an Gerade für diese ist der Aussierten Hochschullehrenden zugänglich machen und hochschuldidaktischer Weitausch mit erfahrenen Kämpdie Ergebnisse selbstverständlich in unsere Angebotsterbildung, und das obwohl ferInnen mit der Materie nicht gestaltung einfließen lassen. In Vorbereitung für nächsdie Umstellung auf Bachelor nur ideell wertvoll, er erspart tes Jahr ist weiterhin eine Tagung zu qualitätssichernden und Master auch neue Lehrihnen Zeit und Pannen. Daher Prozessen in Lehre und Verwaltung bei der Umsetzung formen mit sich bringt. Mehr spielt auch das Thema Evazu Bachelor- und Masterstudiengängen. Nähere Inforals kostengünstige Angeluation weiterhin eine große mationen folgen Anfang nächsten Jahres. bote zur Verfügung zu stellen Rolle. und immer wieder bekannt zu Im regelmäßigen Erfahrungsaustausch wurde bald deutlich, dass Hochschulen ihren machen, können die Hochschulen Berlins und Brandenburgs evaluierten Lehrenden auch hochschuldidaktische Weiter- im Moment nicht tun. Andere Bundesländer, z.B. Hessen und bildungsangebote zur nachhaltigen Verbesserung der Lehre Bayern, können auf ein landeszentrales hochschuldidakmachen müssen. Nach und nach hat daher jede Hochschule tisches Weiterbildungsinstitut zurückgreifen. In mehreren eine oder mehrere Veranstaltungen entwickelt, die Probleme Bundesländern (am längsten bereits praktiziert in Badenin der Lehre beseitigen helfen sollen: Seminare zu Stimme Württemberg) werden Neuberufene zur Teilnahme an einem und Rhetorik, neue Lehrmethoden, Teambildung, aber auch intensiven Hochschuldidaktikseminar verpflichtet, das sie 25 absolvieren müssen, bevor sie ihre Lehrtätigkeit aufnehmen. Ein solches Engagement von Landesseite ist weder in Berlin noch in Brandenburg aufgrund der jeweiligen Haushaltslage realistisch, also werden die Hochschulen weiterhin selber dieses Feld bestellen müssen. Die Webpage zum hochschuldidaktischen Angebot von Berliner und Brandenburger Hochschulen vereinigt diese Anstrengungen. Sie wird von der ASFH und TFH auf dem neu- esten Stand gehalten und so können Sie unter http://www. asfh-berlin.de/zwhb jederzeit unsere aktuellen Angebote im Bereich der Hochschuldidaktik einsehen. Annette Jander, M.A., Gabriele Helbig (TFH) Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle Qualitätssicherung der Technische Fachhochschule Berlin Promovieren nach dem Fachhochschulabschluss? Die ASFH macht’s möglich! Seit den 1990er Jahren ist es möglich, auch ohne Universitätsabschluss zu promovieren. In Berlin schreibt das Berliner Hochschulgesetz (BerlHG) den Universitäten vor, dass sie entsprechend befähigten AbsolventInnen von Fachhochschulen einen unmittelbaren Zugang zur Promotion ermöglichen sollen. Ganz so einfach ist es allerdings nicht, denn die unterschiedlichen Promotionsordnungen setzen neben einem überdurchschnittlichen FH-Abschluss immer auch Nachweise einer wissenschaftlichen Nachqualifikation voraus. Dies geht bei drei Scheinen los, kann aber auch den Pflichtbesuch der unterschiedlichsten Seminaren bedeuten – je nach Fachbereich und Universität. Auch ist es als FH-AbsolventIn oft schwer, einen Doktorvater oder eine Doktormutter zu finden – schließlich kennt man in der Regel niemanden an den Unis und kann sich selbst meistens auch nicht so gut anpreisen. Hinzu kommt, dass eine Promotion in den Sozialwissenschaften durchschnittlich zwischen drei und fünf Jahren dauert; ist gleichzeitig Nachwuchs zu versorgen, kann sich das Ganze noch länger hinziehen. Diese Zeit muss irgendwie finanziert werden, denn nicht jedeR ist diszipliniert genug, neben einem Halbtagsjob noch eine Dissertation zu schreiben. Und Promovieren ist auch nicht ganz billig, denn es entstehen Kosten für Literatur, Kopien, Druckerpatronen (bis zu 10 Fassungen pro Kapitel müssen geschrieben und ausgedruckt werden!), Fortbildungen, z. T. auch für Reisen, wenn z. B. Interviews in anderen Bundesländern geführt werden müssen. Unterstützung in jeder Hinsicht tut also Not. Die ASFH sieht sich schon aufgrund ihrer Namensgeberin verpflichtet, den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern. Schließlich gehörte Alice Salomon zu den ersten Frauen Deutschlands, die promovierte, und das ganz ohne Reifeprüfung, wie das heutige Abitur damals noch hieß. Seit vielen Jahren motivieren und unterstützen Professorinnen und Professoren der ASFH ihre Studierenden dabei zu promovieren. So gibt es seit vielen Jahren gleich zwei Promotionskolloquien bzw. – kollegs, in denen Studierende sich regelmäßig unter Anleitung treffen, um ihre Promotionsvorhaben besprechen und optimieren zu können. Neben dem Promotionskolloquium von Prof. Dr. Reinhart Wolff, in Zusammenarbeit mit der Freien Universität, gibt es seit 1999 ein Promotionskolleg, das Frauen vorbehalten ist. Initiiert von Professorinnen wie 26 Birgit Rommelspacher, Dagmar Schultz und Hilde von Ballussek, unterstützt von der damaligen Frauenbeauftragten Anne Kurth, wurde nach jahrelanger Vorarbeit ein Programm eingerichtet, das neben der üblichen Unterstützung auch mit Stipendien für die Vorbereitung und Durchführung einer Promotion aufwarten kann. Mittlerweile finanziert aus dem Programm Chancengleichheit der Bundesregierung, kofinanziert durch die ASFH selbst, können seit 1999 jährlich bis zu acht Stipendien vergeben werden. Bis zu drei Jahre insgesamt können die Frauen gefördert werden, und man kann von einer echten Erfolgsgeschichte sprechen: Seit Beginn des Programms haben sieben Frauen erfolgreich ihre Promotion abgeschlossen, weitere Frauen werden innerhalb diesen Jahres fertig werden. Fast alle Stipendiatinnen sind – z. T. schon während ihrer Arbeit an der Dissertation – in der Lehre tätig und zwei Frauen, Silke Gahleitner und Erika Feldhaus- Plumin, haben bereits den Sprung zur Professur geschafft. Wie übrigens auch zwei PromovendInnen, Regina Rätz-Heinisch und Heiko Kleve, aus dem Kolloquium von Prof. Dr. Reinhart Wolff. Die finanzielle Förderung im Stipendienprogramm der ASFH ist für alle Beteiligten ein echter Glücksfall. Aber mindestens genauso wichtig ist die Unterstützung, um sich auf dem Parkett der „scientific community“ bewegen zu können. So werden z. B. regelmäßige Coachings veranstaltet, um die überwiegend empirisch vorgehenden Stipendiatinnen in sozialwissenschaftlichen Forschungsmethoden zu schulen. Eine Gruppe von Ehemaligen gibt die erworbenen Fähigkeiten seit einigen Semestern an andere Interessierte weiter. Aus diesen regelmäßigen „übergreifenden Methodenworkshops“ entsteht derzeit ein Buch, das eine Einführung in das Spektrum sozialwissenschaftlicher Methoden geben wird. Wie von den Workshopteilnehmerinnen berichtet wird, ist das Promotionskolleg der ASFH einmalig in seiner umfassenden materiellen und immateriellen Unterstützung der Promovendinnen. Viele neidvolle Blicke gibt es auch in bundesweiten Kolloquien, wenn vom Stipendienprogramm mit seinen vielfältigen Angeboten berichtet wird. Alice Salomon wäre zufrieden dem Stipendienprogramm der ASFH, dessen bin ich mir sicher! Susanne Gerull Ehemalige Stipendiatin Forschungscolloquium ‚Klinischen Sozialarbeit‘ aus studentischer Initiative In Kooperation mit der Fachhochschule Coburg startete letztes Semester an der Alice-Salomon-Hochschule zum vierten Mal der Masterstudiengang ‚Klinische Sozialarbeit‘. Klinische Sozialarbeit als beratende und behandelnde Profession in unterschiedlichen Feldern des Sozial- und Gesundheitswesens bemüht sich um Veränderungsimpulse für den Einzelnen im Kontext seiner Umfeld- und Lebensbedingungen; sie widmet sich aber in Abgrenzung zur Klinischen Psychologie insbesondere der Unterstützung schwer erreichbarer KlientInnen in Multiproblemsituationen, so Albert Mühlum und Helmut Pauls in der ersten Ausgabe der Zeitschrift ‚Klinische Sozialarbeit: Zeitschrift für psychosoziale Praxis und Forschung‘ zum ‚state of the art‘. Der Studiengang vermittelt in sechs Semestern berufsbegleitend neben den erforderlichen theoretischen Fachkenntnissen, kommunikativen Kompetenzen und Handlungsmethoden explizit auch Forschungskompetenzen. Der Abschluss ‚Master of Arts‘ inkludiert die Möglichkeit zur wissenschaftlichen Weiterqualifikation und berechtigt zur Promotion. Aufgabe klinisch-sozialarbeiterischer Forschung ist, Fragestellungen bio-psycho-sozialer Lebenslagen, Lebensweisen und Lebenskrisen unter den jeweils gegebenen Kontextbedingungen mittels empirisch fundierter Methoden zu bearbeiten. Die Situationsbezogenheit, bestehend aus Erleben, Lebenslage und Lebensweise, wie auch der ganzheitliche, ökosystemische Anspruch stellt eine andauernde Herausforderung an Praxis wie Forschung dar: ein ständiges Abwägen von Komplexität und Reduktion. Neben den Möglichkeiten der quantitativen Sozialforschung mit ihrem Fokus der verallgemeinerbaren Ergebnisse zu Lebensbedingungen und Lebensumfeldparametern und ihren Fähigkeiten der Reduktion bietet die qualitative Sozialforschung den Zugang zur Realität über subjektive Deutungen, also die ‚andere’ Seite des doppelten Fokus, das subjektive Erleben und reaktive Verhalten von Menschen in bestimmten Lebensumfeldern und Systemen. Wirksamkeitsnachweise verlangen aber ebenfalls quantitative Forschung. Das Studium umfasst daher ein breites Spektrum unterschiedlicher klinischer Forschungsmethoden zur Exploration, Evaluation und Qualitätssicherung. Forschung und Praxis sind bei der Herausbildung praxisnaher Konzepte stark aufeinander angewiesen. Gerade langjährig erfahrene PraktikerInnen verfügen über einen enormen Wissensfundus. Von ihnen sollten die Fragen gestellt werden und in geeigneten Forschungsdesigns systematisch exploriert und überprüft werden. Aus (selbst-)reflexiven Praktiken Sozialer Arbeit können so in einem beständigen Zyklus neue Fragestellungen für weitere Forschungsvorhaben und erneute Theoriebildung generiert werden. Dieser Meinung waren auch die Studierenden des Masterstudienganges. Aus ihren Interessen und Kompetenzen heraus entwickelten sie den Wunsch nach einem weiterführenden Forschungskolleg, in dem sie ihre Forschungsinteressen auch nach dem Masterabschluss weiter verfolgen und in den fachlichen und methodischen Kontext der Erfahrungen im klinisch-sozialarbeiterischen Bereich stellen können. Das Angebot des Kollegs richtet sich neben den AbgängerIn- nen der Masterstudiengänge Klinische Sozialarbeit auch an qualifizierte, praxiserfahrene AbsolventInnen von anderen Hochschulen im Sozialwesen, vorzugsweise mit dem durch Weiterbildung und langjährige Praxis erworbenen Zusatztitel: FachsozialarbeiterIn für Klinische Sozialarbeit der Zentralstelle für Klinische Sozialarbeit. Es soll in der Klinischen Sozialarbeit tätigen BerufspraktikerInnen - unterstützt durch die Begleitung des Forschungscolloquiums sowie fach- und forschungsspezifische Seminare - die Möglichkeit eröffnen, Fragestellungen zu präzisieren, Forschungsthemen zu entfalten und Promotions- und Forschungsthemen erfolgreich abzuschließen. Das Programm besteht - orientiert an der Idee amerikanischer Ph.D.-Programme - aus einem regelmäßigen Colloquium, in dem die Arbeiten in der Forschungsgruppe gemeinsam reflektiert werden. Die TeilnehmerInnen des Forschungscolloquiums werden zusätzlich dazu durch begleitende Veranstaltungen zur qualitativen wie quantitativen Forschungsmethodik, Forschungsgruppen in kleineren Zusammenhängen und Seminare zu spezifischen Inhalten Klinischer Sozialarbeit in ihrer Forschungstätigkeit unterstützt. Das Forschungskolleg wird von der ASFH in Absprache und Kooperation mit der Fachhochschule Coburg als kostenpflichtiges Angebot des Zentrums für Weiterbildung, Hochschuldidaktik und Berufsfeldforschung organisiert. Dabei greift die ASFH auf zahlreiche positiven Erfahrungen mit den beiden Dissertationscolloquien am Haus und bestehende Kontakte zu umgebenden Universitäten zurück (siehe Gerull, in diesem Heft). Bei erfolgreichem Abschluss der Forschungsarbeiten besteht die Möglichkeit der Publikation von Monographien und Herausgeberbänden in der Reihe ‚Klinische Sozialarbeit’ des Lit-Verlages und von Zeitschriftenartikeln in der oben genannten Zeitschrift ‚Klinische Sozialarbeit‘ sowie anderen Verlagsgesellschaften und Fachzeitschriften. Der Forschungszusammenhang soll so zugleich dazu beitragen, eine stetige Qualitätssicherung zu betreiben und klinische Fachsozialarbeit inhaltlich wie methodisch fortlaufend weiter zu entwickeln. Ein Vorbereitungstreffen für InteressentInnen findet am Freitag, den 7. April 2006 um 18 Uhr an der ASFH statt. Kontakt: Prof. Dr. Brigitte Geissler-Piltz, Prof. Dr. Silke Birgitta Gahleitner E-Mail: [email protected] Silke Gahleitner Hochschullehrerin / ASFH ab Sommersemester 2006 27 Europäische Entwicklungen geben der Aus- und Weiterbildung im Gesundheitswesen Aufwind Die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) hat das Modellversuchsprogramm „Weiterentwicklung dualer Studienangebote im tertiären Bereich“ mit der Laufzeit vom 1.04.2005 – 31.3.2008 aufgelegt, an dem die ASFH - in Kooperation mit der Charité - mit dem Projekt „Entwicklung und Erprobung eines Konzepts zur Anerkennung von außerhochschulisch erworbenen Lernleistungen auf Bachelor-Studiengänge und Planung darauf aufbauender Master-Studiengänge im Bereich Gesundheit/ Pflege an der ASFH und an der Charité-Universitätsmedizin Berlin“ teilnimmt. Nachdem in der letzten Alice (10/2005:55) das Projekt vorgestellt wurde, werden im Folgenden zunächst die bildungspolitischen Hintergründe erläutert, die zu diesem Programm geführt haben, bevor die Besonderheiten dieser Entwicklungen in der Ausbildung der Gesundheitsfachberufe analysiert werden. Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft In der Soziologie wird seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts der Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft diskutiert. Zwar gibt es keine allgemein anerkannte Definition, aber es lässt sich dahingehend ein Konsens erzielen, dass es sich bei der Wissensgesellschaft eher um einen Typus sozialen Wandels handelt als um ein konsistentes Gesellschaftsmodell (Wolter/Wiesner 2005:34). Theoretisches, analytisches Wissen wird immer wichtiger für die Regulierung von gesellschaftlichen Handlungsprozessen. Daher ist es für die einzelnen Mitglieder einer Wissensgesellschaft von entscheidender Bedeutung, (immer wieder) Zugang zu aktuell verfügbarem Wissen zu erhalten und sich dieses Wissen nicht nur anzueignen, sondern es auch nutzen und weiterentwickeln zu können. Lebenslanges Lernen ist die logische Konsequenz. Hochschulen spielen bei der Vermittlung von diesem entscheidenden Wissen in der Erstausbildung und Weiterbildung eine zentrale Rolle. Lebenslanges Lernen: Informelle Lernleistungen nicht ausgeschlossen Obwohl der Begriff des lebenslangen Lernens vor gut 35 Jahren in der internationalen Bildungsdiskussion eine erste Boomphase erlebte und mittlerweile in kaum einer bildungspolitischen Erklärung fehlt, ist seine umfassende Bedeutung weitgehend unbekannt. Das gilt in besonderem Maße für die Universitäten (Lischka 2000). Teilweise wird der Begriff personenzentriert dahingehend verstanden, dass sich Lernprozesse über die gesamte Lebensspanne erstrecken. Dabei wird dann die gesellschaftliche Verpflichtung übersehen, diese Lernprozesse durch geeignete Instrumente der Finanzierung und institutionellen Ausgestaltung zu ermöglichen. Pädagogische Institutionen sind dahingehend zu reformieren, dass sie als aufeinander folgende oder miteinander verknüpfte Lernorte vom Primarbereich bis zur nachberuflichen Bildung bedarfs- und nachfragegerechte Angebote machen. 28 Sie sollten sich weniger voneinander abschotten als vielmehr kooperieren, um ein offenes, flexibles, durchlässiges und transparentes Bildungssystem mit zahlreichen Ein-, Überund Ausgängen ohne Sackgassen zu gestalten. Hochschulen sind zur Umsetzung dieser Vision dazu aufgerufen, flexiblere Studienzugangs-, Unterbrechungs- und Abschlussmöglichkeiten zu schaffen, die strenge Trennung von Aus- und Weiterbildung, von Direkt- und Fernstudium, formalem und informellem Lernen aufzulösen. Seitdem die Faure-Kommission der UNESCO 1972 in ihrem Bericht feststellte, dass informelles Lernen etwa 70% aller Lernprozesse umfasse, gilt dieser Form des Lernens große Aufmerksamkeit. Es gibt zahlreiche Definitionen, hier sei die der Europäischen Union zitiert: „Lernen, das im Alltag, am Arbeitsplatz, im Familienkreis oder in der Freizeit stattfindet. Es ist (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) nicht strukturiert und führt üblicherweise nicht zur Zertifizierung. Informelles Lernen kann Ziel gerichtet sein, ist jedoch in den meisten Fällen nicht intentional (oder inzidentiell/beiläufig).“ (Europäische Kommission 2001:32). Lissabon-Strategie und Prager Kommuniqué Überlegungen zum lebenslangen Lernen1 und zur Wissensgesellschaft haben Eingang in die Politik der Europäischen Union gefunden: „Der Rat der Europäischen Union (…) weist darauf hin, dass lebensbegleitendes Lernen im Vorschulalter beginnen und bis ins Rentenalter reichen und das gesamte Spektrum formalen, nicht formalen und informellen Lernens2 umfassen muss. Zudem ist unter lebensbegleitendem Lernen alles Lernen während des gesamten Lebens zu verstehen, das der Verbesserung von Wissen, Fähigkeiten und Kompetenzen dient und im Rahmen einer persönlichen, staatsbürgerlichen, sozialen und/ oder beschäftigungsbezogenen Perspektive erfolgt. Das Ganze soll schließlich auf den Grundsätzen beruhen, dass der Einzelne im Mittelpunkt des Lernens steht, wobei für echte Chancengleichheit gesorgt und auf die Qualität des Lernens geachtet werden muss.“ (Rat der EU 2002:2). Im März 2000 hat sich der Europäische Rat in Lissabon zum Ziel gesetzt, die EU bis zum Jahr 2010 zur wettbewerbsfähigsten, wissensbasierten Wirtschaft der Welt zu machen. Dieses Kernziel strebt die EU mit ihren Bildungsprogrammen an; auch versucht sie, entsprechenden Einfluss auf den Bologna-Prozess zu nehmen (der bekanntlich außerhalb der EU zwischen den Bildungsministerien der mittlerweile 45 Unterzeichnerstaaten abläuft und anstrebt, bis 2010 einen Europäischen Hochschulraum zu schaffen). Mit dem Prager Kommuniqué der Bologna-Staaten wurde lebensbegleitendes Lernen 2001 explizit als weiteres Ziel in die Liste der Bologna-Ziele aufgenommen: „Lebensbegleitendes Lernen ist ein wichtiges Element des europäischen Hochschulraumes. In einem zukünftigen Europa, das sich auf eine wissensbasierte Gesellschaft und Wirtschaft stützt, sind Strategien für das lebensbegleitende Lernen notwendig, um den Herausforderungen des Wettbewerbs und der Nutzung neuer Technologien gerecht zu werden und um die soziale Kohäsion, Chancengleichheit und Lebensqualität zu verbessern.“ (Prager Kommuniqué 2001: 3). Deutschland gerät durch die Lissabon-Strategie politisch unter Handlungsdruck, da es im europäischen Vergleich verhältnismäßig wenig Hochschulabsolventinnen vorweisen kann. Daher steigt das politische Interesse, die anspruchsvollen Berufe im Gesundheitsbereich zu akademisieren. Reformbedarf der Ausbildung im Gesundheitswesen in Deutschland Die Ausbildung im deutschen Gesundheitswesen weist jedoch einige Besonderheiten auf, die auf dem Weg zum Europäischen Hochschulraum berücksichtigt werden müssen: - Die Schulen, in denen zu Gesundheitsberufen ausgebildet wird, haben einen unklaren Status im deutschen Bildungs- und Berufsbildungssystem. Die Berufsbildung der Gesundheitsberufe ist in keines der in Deutschland existierenden Regelbildungssysteme für die berufliche Bildung integriert, weder in das schulische Berufsbildungssystem der Länder noch in das bundeseinheitlich gültige System der Berufsbildung nach Berufsbildungsgesetz – mit der negativen Konsequenz, dass Durchlässigkeit und Weiterqualifikationsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt sind (Meifort 2004: 28 ff.). - Es gibt eine unüberschaubare Vielfalt von Berufsaus- und -weiterbildungen im Gesundheitsbereich, die oft durch Länderregelungen in einzelnen Bundesländern geschaffen wurden und nicht einmal in allen Bundesländern Deutschlands anerkannt werden, geschweige denn in ganz Europa. - Die in nach Länderregelungen ausgebildeten Berufstätigen im Gesundheitswesen, zumeist Frauen, haben wenige Weiterqualifikations- und Aufstiegsmöglichkeiten. Qualitativ nicht abgesicherte Weiterbildungen müssen sie sich häufig teuer erkaufen, weil sie wegen der beschriebenen Besonderheiten aus dem staatlichen (noch größtenteils kostenlosen) Berufsbildungs- und Hochschulwesen ausgeschlossen bleiben. - In Europa findet die Ausbildung für Pflege- und Gesundheitsfachberufe fast ausschließlich auf Hochschulebene statt, in Deutschland dagegen hat die Akademisierung erst in den letzten Jahren begonnen und erfasst hauptsächlich Berufe, deren Ausbildung bundesweit per Gesetz geregelt ist und mindestens drei Jahre umfasst (Kindergesundheits- und KrankenpflegerIn, Gesundheits- und KrankenpflegerIn, PhysiotherapeutIn, ErgotherapeutIn, LogopädIn etc.). - Während europaweit mit dem ersten berufsqualifizierenden Abschluss (in der Regel Bachelor) über eine Registrierung in der entsprechenden Kammer oder mittels eines staatlichen Anerkennungsverfahrens die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung und damit zur Ausübung des Berufs verknüpft ist, hat die Akademisierung bislang - - noch keinen befriedigenden Eingang in die Berufsgesetze gefunden. Zwar sieht z.B. die Neufassung des Gesetzes über die Berufe in der Krankenpflege und zur Änderung anderer Gesetze vom 16.07.2003 (KrPflG), das Inhalt und Struktur der Ausbildungen in Berufen der Krankenpflege sowie die Bedingungen zur Erlaubnis der Führung der jeweiligen Berufsbezeichnung regelt, in § 6 (Anrechnung gleichwertiger Ausbildungen) vor, dass eine andere gleichwertige Ausbildung zu zwei Dritteln auf die Dauer der Ausbildung in der Krankenpflege angerechnet werden kann, aber eben nur zu zwei Dritteln. Das heißt, wenn jemand erfolgreich einen dreijährigen Bachelor-Studiengang in „Gesundheits- und Krankenpflege“ absolviert hätte, müsste er noch ein Jahr eine schulische Ausbildung an einer Schule des Gesundheitswesens absolvieren, wenn er neben dem akademischen Grad „Bachelor of Science“ auch die berufliche Bezeichnung (Gesundheits- und KrankenpflegerIn) erhalten wollte.3 Die Berufszulassung ist wiederum erforderlich für die Erlaubnis zur Ausübung des Berufs bzw. für die Anerkennung als LeistungserbringerIn innerhalb der Gesundheitsversorgung. Ohne Berufszulassung sind AbsolventInnen eines Pflegestudienganges in Deutschland nicht nur national sondern auch international an der Berufsausübung gehindert, denn sie haben zwar eine international übliche akademische Ausbildung abgeschlossen, verfügen jedoch nicht über die zur wechselseitigen Anerkennung erforderliche Berufserlaubnis, die in anderen Ländern mit dem Bachelor verliehen wird. Das KrPflG schreibt für Lehrkräfte an Krankenpflegeschulen zukünftig die fachliche und pädagogische Qualifizierung auf Hochschulebene vor. Die meisten aktuell beruflich tätigen Lehrkräfte haben kein Studium absolviert, sondern sich mit verschiedenen Weiterbildungen für die Lehrtätigkeit qualifiziert. Die Dekanekonferenz Pflege empfiehlt, die Ausbildung für Lehrkräfte auf Masterniveau anzusiedeln. Dabei kann nach Möglichkeiten gesucht werden, die bereits in den absolvierten Weiterbildungen sowie in der Berufspraxis erworbenen Kompetenzen auf den Masterstudiengang anzurechnen. Rechtliche Grundlage hierfür ist der Beschluss der Kultusministerkonferenz zur „Anrechnung von außerhalb des Hochschulwesens erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten auf ein Hochschulstudium“ vom 28.06.2002. 4 Lösungsansätze im BLK-Modellprogramm Die durch die Bologna-Erklärung in Gang gesetzte und durch das Prager Kommuniqué unterstützte Reform der akademischen Erstausbildung bietet grundsätzlich die Chance, die klare Grenzziehung zwischen Erst- und Weiterbildung im Rahmen konsekutiver und modularisierter Studiengänge zu überprüfen und neu zu gestalten, nicht nur im Gesundheitswesen. Duale Studiengänge sind dabei besonders zu erwähnen, denn sie schaffen durch eine stärkere Einbindung der Praxis in das Studium Übergänge zwischen der beruflichen Bildung und der Hochschule und scheinen ein probates Mittel, die bei den Gesundheitsfachberufen mangelnde 29 Durchlässigkeit zwischen beruflicher Bildung und Hochschulbildung herzustellen. nikum (DBK) und der Beruflichen Schule am DBK einen dualen Studiengang „Gesundheits- und Krankenpflege/ Pflegemanagement“ zu entwickeln, der in 9 Semestern zur Doppelqualifikation „Gesundheits- und KrankenpflegerIn“ und Bachelor of Science führt. Hier nun bieten sich zahlreiche neue Möglichkeiten. Die ASFH ist bereits dabei, einige davon zu realisieren: - - Die berufliche und die hochschulische Erstausbildung werden zeitsparend miteinander verknüpft. Gemeinsam mit ausgesuchten Berufsfachschulen bietet die ASFH den dualen Bachelor-Studiengang „Physiotherapie/Ergotherapie“ an, in dem die Studierenden in insgesamt fünf Jahren sowohl die Voraussetzungen für die staatliche Zulassung als PhysiotherapeutIn bzw. ErgotherapeutIn als auch einen ersten Studienabschluss erlangen. Um die berufliche und die hochschulische Erstausbildung zu verzahnen, erkennt die ASFH 30 Credits aus der vorangegangenen Ausbildung zur (Kinder-) Gesundheits- und (Kinder-) KrankenpflegerIn, zur AltenpflegerIn, zur Hebamme oder zur HeilerziehungspflegerIn für das BachelorStudium „Gesundheits- und Pflegemanagement“ an. Eine abgeschlossene Berufsausbildung ist in diesem Fall die Voraussetzung zur Aufnahme des Studiums. Diese innovativen Elemente soll die ASFH im BLK-Modellprogramm „Duale Studiengänge im tertiären Bereich“ gemeinsam mit anderen Hochschulen weiterentwickeln, um zur Lösung der skizzierten Probleme in der deutschen Hochschulaus- und -weiterbildung für Gesundheitsfachberufe beizutragen. Und hier die geförderten Projekte im Bereich Gesundheit/Pflege im Überblick: - - - 30 Die ASFH und die Charité wollen in ihrem Projekt erstens Qualitätskriterien und Verfahren zur Anrechnung von Teilen der berufsschulischen Ausbildung, der Weiterbildung sowie spezieller Berufserfahrungen auf das Bachelorstudium und gegebenenfalls auf das sich anschließende Master-Studium entwickeln. Zweitens sollen Masterstudiengänge geplant bzw. abgestimmt werden, u.a. der Master „Education for Health Professionals“ für Lehrkräfte an Schulen im Gesundheitswesen, der an der Charité angeboten werden soll. Die Universität Kassel und die Fachhochschule Fulda verfolgen mit ihrem Projekt WAWIP (Wechselseitige Anerkennung vorgängig erworbenen Wissens in der Pflege) die Intention, erstens ein Verfahren der wechselseitigen Anerkennung von Qualifikationen der beruflichen Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege und der Bachelorstufe primärqualifizierender Pflegestudiengänge zu entwickeln, zu erproben und zu evaluieren. Zweitens steht auf ihrer Agenda, ein Verfahren zur Anrechnung von abgeschlossenen Weiterbildungen zur LehrerIn für Pflegeberufe auf ein gestuftes Studiengangsmodell, das für Lehrtätigkeiten an den Schulen des Gesundheitswesens qualifiziert, zu entwickeln, zu erproben und zu evaluieren. Die Fachhochschule Neubrandenburg schließlich verfolgt das Ziel, gemeinsam mit dem Dietrich-Bonhoeffer-Kli- Bei soviel Parallelität der Inhalte und Intentionen der drei Projekte liegt es nahe zu kooperieren. Daher treffen sich die beteiligten Hochschulen im November zu einer konstituierenden Sitzung an der ASFH, um gemeinsame Ziele zu konkretisieren. Literatur: - Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (2003): Perspektiven für die duale Bildung im tertiären Bereich. Bericht der BLK. Materialien zur Bildungsplanung und Forschungsförderung. Heft 110. Bonn. - Europäische Kommission, Generaldirektion Bildung und Kultur, Generaldirektion Beschäftigung und Soziales (2001): Mitteilung der Kommission: Einen europäischen Raum lebenslangen Lernens schaffen. Brüssel. - European Union (2000): EURYDICE. Lifelong Learning: The contribution of Education Systems in the Member States of the European Union. Brussels. - Faure, Edward et. al. (1972): Learning to Be: The World of Education Today and Tomorrow. Paris: UNESCO - Konegen, Christiane/Dirk Werner (2001) : Duale Studiengänge an Hochschulen. Köln. - Lischka, Irene (2000): Lebenslanges Lernen und Hochschulbildung. Institut für Hochschulbildung Wittenberg, Arbeitsberichte 5/2000. - Meifort, Barbara (2004): Die pragmatische Utopie. Qualifikationserwerb und Qualifikationsverwertung in Humandienstleistungen. Schriftenreihe des Bundesinstituts für Berufliche Bildung. Bielefeld. - Prager Kommuniqué 2001, http://www.bologna-berlin2003.de/pdf/prager-kommunique.pdf, überprüft am 6.09.2005. - Rat der Europäischen Union (2002): Entschließung des Rates vom 27. Juni 2002 zum lebensbegleitenden Lernen (2002/C 163), Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften. Brüssel. - Wiesner, Gisela/Andrä Wolter (Hrsg.) (2005): Die lernende Gesellschaft. Lernkulturen und Kompetenzentwicklung in der Wissensgesellschaft. Weinheim und München. Jutta Räbiger, Prorektorin / ASFH Sieglinde Machocki Mitarbeiterin / ASFH 1 In diesem Text werden die Begriffe „lebenslanges Lernen“ und „lebensbegleitendes Lernen“ synonym verwendet. 2 Formales Lernen definiert die EU folgendermaßen: „Lernen, das üblicherweise in einer Bildungs- oder Ausbildungseinrichtung stattfindet, (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) strukturiert ist und zur Zertifizierung führt. Formales Lernen ist aus Sicht des Lernenden Ziel gerichtet.“ (Europäische Kommission 2001: 32). Und nicht formales Lernen schließlich: „Lernen, das nicht in Bildungs- und Berufsbildungseinrichtungen stattfindet und üblicherweise nicht zur Zertifizierung führt. Gleichwohl ist es systematisch (in Bezug auf Lernziele, Lerndauer und Lernmittel). Aus Sicht der Lernenden ist es Ziel gerichtet.“ (Europäische Kommission 2001: 32) 3 In Berlin ist es - abweichend hiervon - in einem bundesweit einmaligen Modellversuch an der Evangelischen Fachhochschule möglich, den gesamten theoretischen Unterricht an der Fachhochschule zu erhalten. 4 Der Text dieses KMK-Beschlusses: „Anrechnung von außerhalb des Hochschulwesens erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten auf ein Hochschulstudium (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 28.06.2002) 1. Außerhalb des Hochschulwesens erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten können im Rahmen einer – ggf. auch pauschalisierten – Einstufung auf ein Hochschulstudium angerechnet werden, wenn 1.1 die für den Hochschulzugang geltenden Voraussetzungen – ggf. auch über die Möglichkeiten des Hochschulzugangs für besonders qualifizierte Berufstätige – gewährleistet werden; 1.2 sie nach Inhalt und Niveau dem Teil des Studiums gleichwertig sind, der ersetzt werden soll; 1.3 entsprechend den Grundsätzen des neuen Qualitätssicherungssystems im Hochschulbereich die qualitativ-inhaltlichen Kriterien für den Ersatz von Studienleistungen durch außerhalb des Hochschulwesens erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten im Rahmen der Akkreditierung überprüft werden. 2. Außerhalb des Hochschulwesens erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten können höchstens 50 % eines Hochschulstudiums ersetzen. 3. Die Anrechnungsregelungen für Studien- und Prüfungsleistungen, die an Berufsakademien erworben wurden, bleiben unberührt.“. Nachfrage- und zukunftsorientiert Das Angebotsspektrum der wissenschaftlichen Weiterbildung der ASFH Wer die Entwicklung des Weiterbildungsprogramms der ASFH in den letzten Jahren mitverfolgen konnte, dem fiel auf, dass das Programm zunächst stetig umfangreicher wurde, um sich dann wieder in einer schlankeren Form zu zeigen. Diese Entwicklung beruht auf der Auswertung von fortlaufenden Evaluationen, die wir im Rahmen unseres Qualitätsmanagements durchführen und von aktuellen Forschungsberichten und Analysen zur Entwicklung im Sozial- und Gesundheitswesen. Karin Schwarz und Horst Goedel organisieren und betreuen die Weiterbildungsveranstaltungen. Mit ihrer langjährigen Erfahrung in der Weiterbildung der ASFH und ihrem hohen Engagement sowie ihrer Servicekompetenz garantieren sie die exzellente Durchführungsqualität der Angebote. Eigene Analysen und Berufsfeldforschungprojekte im Zentrum für Weiterbildung, Hochschuldidaktik und Berufsfeldforschung (ZWHB) bilden einen wesentlichen Grundstein für das Konzept unseres Weiterbildungsprogramms. Bereits abgeschlossene Projekte von uns sind z.B.: - eine Befragung von Studierenden der ASFH zu ihren Einstellungen gegenüber dem möglichen Berufsfeld „Soziale Gerontologie“, - eine Analyse zum Arbeitsmarkt und zu den Qualifikationsanforderungen in den Berufen der Sozialen Arbeit sowie - eine Marktanalyse. Folgende Projekte sind in Planung bzw. bereits in Arbeit: - eine breit angelegte, quantitative Berufsfeldstudie „Wissen und Expertise in der sozialen Arbeit im Gesundheits- bereich (siehe Artikel von Brigitte Geißler-Piltz in dieser alice-Ausgabe), - eine qualitative Studie mit ExpertInnen aus der Praxis zur Entwicklung der Berufsfelder und der Qualifikationsanforderungen in der Sozialen Arbeit, - eine Stellenanzeigenanalyse. Die Auswahl der Themen, der DozentInnen und der Angebotsformen für unser Weiterbildungsprogramm bestimmen wir vor diesem Hintergrund jeweils neu. Den Programmumfang haben wir dabei zwar im Bereich der Einzelseminare reduziert, ca. verdreifacht haben wir hingegen unser Angebot an langfristigen, berufsbegleitenden Zertifikatskursen! Berufsbegleitende Zertifikatskurse 2006 NEU: Biografieoriente/r FallberaterIn Kinder-und JugendberaterIn Gruppenleiter/in für biografisches Schreiben in psychosozialen Berufen NLP -Practitioner SuchtberaterIn GruppentrainerIn mit ausgegrenzten Klienten 31 Umfangreicher und vielfältiger wurde auch unser Angebotsspektrum, das heute über ein- bis fünftägige Einzelveranstaltungen, Jour Fixe, Inhouse-Angebote bis hin zu den Zertifikatskursen reicht: Die Einzelveranstaltungen dienen der kurzfristigen Aktualisierung, Erweiterung und Vertiefung von Kenntnissen und Fähigkeiten. Themen sind hier einzelne Aspekte des professionellen Wissens und Handelns, wie z.B. bestimmte Beratungsansätze, Konfliktlösungsmodelle oder Rechtsfragen. Die Jour Fixe stellen ein besonderes Service-Angebot der ASFH dar. Sie bieten den Teilnehmenden die Möglichkeit zu einem Erfahrungsaustausch und zur Weiterbildung. Im Mittelpunkt stehen die Arbeitssituation sowie bestimmte Fragestellungen und Themen im Sozial-und Gesundheitsbereich. Die ASFH stellt die Moderation und die DozentInnen. Für die mehrmals jährlich stattfindenden Treffen wird lediglich eine geringe Unkostengebühr erhoben. Es ist geplant, die Angebote des Weiterbildungsprogramms zukünftig enger mit der Erstausbildung und mit den Masterstudiengängen zu verzahnen und Module zu entwickeln, die für die Bachelor- bzw. weiterbildenden und konsekutiven Masterstudiengängen der ASFH angerechnet werden können. Die Weiterbildung der ASFH bleibt also in Bewegung. Der Entwicklung innovativer, berufsnaher Qualifizierungen gilt dabei unsere besondere Aufmerksamkeit. Im nächsten Jahr werden wir einen neuen berufsbegleitenden Zertifikatskurs erstmalig anbieten: Hedwig-Rosa Griesehop und Birgit Griese stellen ihnen im folgenden Artikel den von ihnen entwickelten Zertifikatskurs zum/zur „Biografieorientierten FallberaterIn“ vor, den wir ebenfalls 2006 erstmalig anbieten werden. Berthe Khayat, Leiterin des ZWHB „Train-the-trainer“- Angebote“ für Lehrende in der Erwachsenenbildung (insbesondere aus dem Hochschulbereich) bilden einen weiteren Programmschwerpunkt mit Weiterbildungsmodulen zu neuen Lehr- und Lernkulturen. Eine besondere Zielgruppe des Programms sind auch die BerufsanfängerInnen aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich sowie Studierende und Alumni der ASFH. Die Angebote für Studierende und BerufsanfängerInnen sind auf die besonderen Bedürfnisse dieser Zielgruppe zugeschnitten. Die Inhouse-Seminare können interessierte Gruppen oder Institutionen bei uns zu jedem Thema unseres Angebotsspektrums nachfragen. Wir übernehmen die Koordination und stellen den Kontakt zu geeigneten DozentInnen her, die die Weiterbildung passgenau auf die Bedürfnisse der Nachfrager ausrichten. In unseren berufsbegleitenden Zertifikatskursen werden die Teilnehmenden umfassend weiterqualifiziert und eröffnen sich damit neue bzw. erweiterte berufliche Perspektiven. Die Zertifikatskurse der ASFH unterliegen einer besonders intensiven Qualitätskontrolle und werden kontinuierlich evaluiert. Alle neu beginnenden Zertifkatskurse werden von Hochschullehrenden der ASFH geprüft und wissenschaftlich begleitet. Darüber hinaus veranstalten wir einmal jährlich die „Winterakademie“. Die Winterakademie ist eine Veranstaltung, in der sich alle Hochschulangehörigen - Studierende, Mitarbeitende in der Verwaltung sowie Hochschullehrende – kostenfrei zu verschiedenen Themen weiterbilden können. Ein willkommener Nebeneffekt ist immer wieder, dass in diesen Weiterbildungsveranstaltungen ein offener und gleichberechtigter Dialog untereinander entsteht. Die Winterakademie wird vom ZWHB konzipiert und organisiert, wobei wir Anregungen aus der Hochschule immer mit aufnehmen und umsetzen! 32 Masterstudiengänge Weiterbildende Masterstudiengänge der ASFH Berlin Klinische Sozialarbeit M.A. Teilzeitstudiengang auf Deutsch und Englisch Intercultural Conflict Management M.A. Vollzeitstudiengang auf Englisch Master Biografisches und Kreatives Schreiben M.A. Teilzeitstudiengang auf Deutsch Weiterbildende Masterstudiengänge in Kooperation Sozialmanagement M.A. Teilzeitstudiengang auf Deutsch Sozialarbeit als Menschenrechtsprofession M.S.W. Teilzeitstudiengang auf Deutsch Science in Nursing M.Sc. Teilzeitstudiengang auf Deutsch und Englisch Comparative European Social Studies M.A. CESS Voll-/Teilzeitstudiengang auf Englisch Master in Gemeinwesenentwicklung, QuartierManagement und Lokale Ökonomie M.A. Teilzeitstudiengang auf Deutsch Konsekutive Masterstudiengänge in Planung Erziehung, Bildung und Soziale Arbeit M.A. konsekutiv zu den Bachelorstudiengängen „Erziehung und Bildung im Kindesalter“ und „Soziale Arbeit“ Gesundheitsmanagement und Qualitätsentwicklung M.A. konsekutiv zu den Bachelorstudiengängen „Physiotherapie/Ergotherapie“ und „Gesundheits-/Pflegemanagement“ Informationen zu den Studiengängen finden Sie auf unserer Webseite www.asfh-berlin.de. Die Dimension der Biografie Was macht es für einen Sinn, sich mit Lebensgeschichten von Klientinnen und Klienten auseinander zu setzen? Die Dimension Biographie gewinnt in den Arbeitsfeldern Soziale Arbeit, Pflege, psychosoziale Hilfen oder Beratung an Relevanz. Die gesteigerte Bedeutung des Biographischen ist zum einen auf die verstärkte Klientenorientierung in den Einrichtungen sozialer Dienstleistungen zurückzuführen, zum anderen ‚verordnet’ die Moderne, die auf das Selbstmanagement des Einzelnen setzt, eine stärkere Fokussierung auf das Individuum. In der Praxis haben wir es mit vielfältigen sozialen Problemlagen zu tun, die teilweise aufgrund der in der Bundesrepublik anstehenden notwendigen Umstrukturierungen des Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaates an Brisanz gewinnen: mit der Individualisierung von Arbeitslosigkeit und (zunehmender) Armut, mit Integrationsproblemen von Migrantinnen, mit Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen, mit alleinstehenden älteren Menschen, mit Abhängigkeiten oder chronisch kranken Menschen, die nicht oder eingeschränkt auf soziale Unterstützungssysteme zurückgreifen können. Es ließen sich weitere Beispiele anführen. Professionell Handelnde in der Sozialen Arbeit oder Pflege sind mit derartigen Problemkonstellationen konfrontiert und die Fähigkeit zur Erstellung von lebenslagenbezogenen Fallanalysen spielt in diesen Praxisfeldern eine große Rolle. Folglich sind Konzepte und Methoden erforderlich, die es ermöglichen, auf die spezifischen Problemlagen der Menschen einzugehen, die den je konkreten Einzelfall charakterisieren. Was macht es für einen Sinn sich mit den Lebensgeschichten der Klienten auseinander zu setzen? Zunächst kurze allgemeine Anmerkungen zum Biographieverständnis. Mit „Biographie“ ist hier grundsätzlich die erzählte Lebensgeschichte gemeint. Sie „umfaßt die Geschichten, die wir erzählen und in denen wir uns wiedererkennen mit all dem Wissen und der Erfahrung, die wir in ihnen sammeln konnten. (...) Sie integriert und bewahrt und gibt Aufschluss auch über existentielle Abhängigkeiten, in denen ein Leben verfangen ist. Sie vermittelt dem Menschen ein Gespür davon, was nicht möglich war und was nicht mehr möglich ist – ungelebtes Leben ist konstitutiver Teil von Biographie.“1 Erzählen stellt eine Alltagshandlung dar, mittels derer Menschen Erlebnisse austauschen, erklären, rechtfertigen oder begründen, Erfahrungen thematisieren und sich selbst darstellen. Insofern ist es notwendig, dass sich Professionelle im Feld der Sozialen Arbeit oder in der Pflege in eine „zuhörende Haltung“ ihren Klienten gegenüber begeben. Im Erzählten zeigt sich, wie Klienten ihre Welt auffassen, wie sie sich selbst verstehen. Der deutende Umgang mit Ereignissen und Erlebnissen, dem eigenen Leben und der eigenen Person versetzt die Klientinnen in die Lage, ihre Probleme und damit einhergehende Veränderungen in ihr Leben zu integrieren und dem Dasein Sinn zu verleihen. Fallverstehen wiederum ist in seinem „Gelingen“ wesentlich vom Wissen und Verstehen subjektiver (jedoch sozial strukturierter) Wahrnehmungs-, Verarbeitungs- und Deutungsmuster sowie daraus resultierender Handlungsorientierungen der Klienten abhängig. Die praktische Relevanz biographischer Fallanalysen im Berufsfeld besteht darin, dass sich das Wissen um biographische Aneignungsprozesse und subjektive Deutungsmuster als wichtige Erkenntnisquelle für das professionelle Handeln erweisen kann, ob es sich nun um Hilfeplanung, Unterstützung, Intervention, Qualitätssicherung oder Organisationsentwicklung handelt. Ein berufsbegleitender Zertifikatskurs zur biographieorientierten Fallberaterin / zum biographieorientierten Fallberater beginnt im April 2006 an der ASFH. Ziel der Weiterbildung zum biographieorientierten Fallberater ist es, den Teilnehmenden grundlegende Perspektiven auf den Begriff Biographie zu eröffnen sowie Kompetenzen und Methoden im Bereich biographischer Kommunikation zu vermitteln. Des Weiteren werden Fähig- und Fertigkeiten im Hinblick auf etablierte Analysemethoden erworben, die dem Verständnis der besonderen Strukturen des Einzelfalls, der Ressourcenanalyse und der sich anschließenden Hilfeplanung notwendig vorausgehen. Theorievermittlung und Methodenausbildung gehen grundsätzlich mit der Arbeit an konkreten Fallbeispielen einher. Absolventinnen der Weiterbildung biographieorientierte Fallarbeit werden in die Lage versetzt, den (Lebens-)Geschichten der Klientinnen auf neue Weise zu begegnen, sie als Ressourcen der praktischen Arbeit neu zu bewerten und sinnvoll zu nutzen. Weitere Informationen zur berufsbegleitenden Weiterbildung Biographieorientierte Fallberaterin / biographieorientierter Fallberater sind am Zentrum für Weiterbildung, Hochschuldidaktik und Berufsfeldforschung der Alice Salomon Fachhochschule erhältlich. Birgit Griese, Lehrbeauftragte ASFH Hedwig Rosa-Griesehop, Hochschullehrerin ASFH 1 Mader; Wilhelm: Altwerden in einer alternden Gesellschaft? Auf dem Wege zu pluralen Alterskulturen, in: ders. (Hg.): Altwerden in einer alternden Gesellschaft. Kontinuitäten und Krisen in biographischen Verläufen. Opladen 1995, S. 13-36, hier: S. 27. 33 Weiterbildung für ErzieherInnen „Anregung von Bildungsprozessen“ im Studienprojekt „Chancen für Kinder“ der ASFH Der Studiengang Erziehung und Bildung im Kindesalter wird in den nächsten Jahren versuchen, die Durchlässigkeit der ErzieherInnenausbildung zu verbessern. Daher haben wir eine Weiterbildung von ErzieherInnen begonnen, die wir als Modul gestalten. Es gibt heute eine Vielzahl von Weiterbildungen für ErzieherInnen, sehr unterschiedlich in Länge, Umfang und Qualität. Das Besondere an der Weiterbildung der ASFH liegt auf drei Ebenen: - Die Hochschule bietet eine Weiterbildung an für eine Berufsgruppe, deren Ausbildung nicht an einer Hochschule erfolgte. Die teilnehmenden ErzieherInnen qualifizieren sich damit u.a. für die AnleiterInnenfunktion innerhalb der Praxisphase der Studierenden. - Die Weiterbildung ist eingebettet in das Projektstudium der Studierenden. Auf diese Weise werden Ausbildung der Studierenden und Weiterbildung von ErzieherInnen gekoppelt. - Die Weiterbildung wird zertifiziert. In dem Aus- und Weiterbildungsprojekt geht es um Erkenntnisse und Erfahrungen von Studierenden und ErzieherInnen im Hinblick auf die Frage, wie die Selbstbildungskräfte des Kindes von den Fachkräften unterstützt werden können. Dabei sollen Studierende und ErzieherInnen lernen bzw. üben, - die eigene Wahrnehmung im Hinblick auf die Kinder zu reflektieren, - Kinder genau zu beobachten und die Beobachtungen auszuwerten, - die Eltern und das Umfeld der Kinder in Bildungsprozesse mit einzubeziehen, - einen individuellen Bildungsplan zu erstellen, - einen Bildungsplan für die Kindergruppe aufzustellen, - Kinder gezielt zu unterstützen, - die Ergebnisse der pädagogischen Interventionen zu evaluieren. Die Weiterbildung für die ErzieherInnen hat mehrere Bestandteile: - Die ErzieherInnen werden mit ihrer Rolle als AnleiterInnen von Studierenden vertraut gemacht und reflektieren ihre eigene Tätigkeit. - Die ErzieherInnen erhalten eine kostenlose Supervision. - Die ErzieherInnen werden von Lehrkräften im Studiengang Erziehung und Bildung in grundlegende frühpädagogische Methoden wie Beobachtung, Videographie, Dokumentation eingeführt und wenden diese gemeinsam mit den Studierenden in der Praxis an. - Die ErzieherInnen werden in Bildungsbereiche eingeführt, die sie selbst aufgrund ihres aktuellen Bedarfs definieren. Auf diese Weise wird das Berliner Bildungsprogramm entsprechend den Bedürfnissen der Praxis umgesetzt. 34 Ein großer Teil der Weiterbildung findet in der Kooperation zwischen Studierenden und ErzieherInnen statt. In den 12 Wochen Praktikum der Studierenden arbeiten die AnleiterInnen pro Woche je zwei Stunden mit ihren PraktikantInnen. In diesen zwei Stunden wird: - die Rolle der Praktikantin in der pädagogischen Arbeit reflektiert, - die pädagogische Arbeit in der Kindergruppe reflektiert, - die Videographie vorbereitet und ausgewertet, - die Auswahl der Kinder mit Förderbedarf aufgrund von Beobachtungen getroffen, - die Form und der Ansatz der Zusammenarbeit mit Eltern entwickelt, - ein individueller Bildungsplan für ein Kind, und - ein Bildungsplan für die Gruppe entworfen. Im Sommersemester begeben sich die früheren Praktikantinnen erneut in die Kita, um Auswirkungen des Bildungsplans auf ein einzelnes Kind und auf die Gruppe zu beobachten. Studierende wie ErzieherInnen schreiben dann einen Bericht. Für die Studierenden stehen die Analyse ihrer praktischen Tätigkeit, die Reflexion der Anleitung und die Darstellung der Beobachtung in der Kindergruppe mit unterschiedlichen Methoden im Mittelpunkt. Die ErzieherIn beschreibt ihre Tätigkeit als Anleiterin und die Auswirkungen der angewandten Methoden auf ihr praktisches Handeln und die Kinder. Beide – Studentin und Erzieherin – beschreiben ihren Lernprozess. Die Prüfung umfasst den o.g. Bericht, ein Colloquium und die Präsentation der Ergebnisse in einer öffentlichen Veranstaltung. Colloquium und Präsentation finden im Juni 2006 statt. Mit der Vollendung der einjährigen Weiterbildung überreicht die ASFH den TeilnehmerInnen ein Zertifikat. Sie arbeitet zurzeit an einem Konzept, die Bedingungen für eine Koppelung der Zertifizierung an die Vergabe von Credits zu ermöglichen. Wenn dies gelingt, ist der Weg für eine Anerkennung der Weiterbildung zur Aufnahme eines berufsbegleitenden Studiums geebnet. In Ausnahmefällen können noch ErzieherInnen zugelassen werden. Auskünfte bei: Prof. Dr. Hilde von Balluseck Tel. 99245-419, 2181255, 0178/8218125. Hilde von Balluseck Studiengangsleiterin Erziehung und Bildung im Kindesalter / ASFH Go psychosozial Weiterbildungsstudium „Psychosoziale Arbeit“ an der ASFH Der Weiterbildungsstudiengang „Psychosoziale Arbeit“ wurde 1989 an der ASFH eingerichtet. Vorläufer war eine Modellphase von 1982 bis 1986 in Kooperation zwischen der Freien Universität Berlin und der ASFH, in der zwei 4-semestrige Studiengänge – ein Ergänzungsstudium und ein berufsbegleitendes Weiterbildungsstudium – entwickelt wurden. Diese Studienangebote wurden vor dem Hintergrund der Einschätzung konzipiert, dass die grundständige Ausbildung nur unzureichend die professionelle Handlungsfähigkeit bei komplexen psychischen und sozialen Problemen entwickelt. Ferner sollten diese Studiengänge angesichts der sozialen Wandlungsprozesse und der Krisenentwicklung, denen psychosoziale Dienste ausgesetzt sind, durch spezifische Weiterbildung Rechnung tragen. Mit dem Weiterbildungsstudium „Psychosoziale Arbeit“ sollten vor allem folgende Ziele realisiert werden: • Interdisziplinäre und berufsfeldbezogene Weiterbildung für alle Berufsgruppen im psychosozialen Feld. • Weiterbildung im engen Verbund mit der beruflichen Praxis. • Vermittlung von berufsübergreifenden Basiskompetenzen. • Verbesserung der Kooperation zwischen den verschiedenen Berufsgruppen im Sinne eines multidisziplinären Arbeitsansatzes. Curriculum und Studienkonzeption Das Weiterbildungsstudium wird seit 1989 an der ASFH weitergeführt. Mit diesem Studium beabsichtigte die ASFH an den grundständigen Ausbildungen der Teilnehmer anzuknüpfen und in Verbindung mit bereits gewonnenen Qualifikationen und Erfahrungen neue und vertiefende berufsfeldspezifische Fähigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln. Ein besonderes Anliegen des Weiterbildungsstudiengangs besteht darin, berufsübergreifende Basiskompetenzen herauszufinden, worunter wir Wissen und Fähigkeiten verstehen, über die die verschiedenen Berufsgruppen gemeinsam verfügen müssen. Hierzu gehören: • • • • Seit 1989 haben sich insgesamt 1.097 Personen für das Weiterbildungsstudium beworben. Insgesamt wurden 684 Studierende zugelassen, die Berufsausbildungen hatten als Sozialpädagogen, Psychologen, Krankenschwestern usw. Etwa 80 % der Teilnehmer waren Frauen. Die Grundstruktur des Curriculums und der Studienkonzeption hat sich bewährt, vor allem durch die Entwicklung der Studienschwerpunkte und die Auswahl der Dozenten. Es ist ferner unstrittig, dass die Weiterbildung durch fortlaufend neue Problemlagen in der psychosozialen Versorgung an Bedeutung hinzugewinnen wird. Notwendig erscheint es nun, dieses anwendungsbezogene Weiterbildungsstudium zu modularisieren. Denn ein modularisierter Weiterbildungsstudiengang würde sich besser in das Aus- und Weiterbildungsangebot der ASFH einpassen. Die ASFH hat im Zuge der so genannten Bologna-Reform zum Sommersemester 2005 ihre grundständigen Diplomstudiengänge auf Bachelor-Studiengänge umgestellt und bietet insgesamt acht Master-Studiengänge an. Die einzelnen Module in jedem Studiengang sind mit Credits versehen und ermöglichen eine bessere Vergleichbarkeit und Anrechenbarkeit von Studienleistungen. Konkret bedeutet dies, dass diese Weiterbildung den Absolventen auch auf einen international anerkannten, akademischen Abschluss (Bachelor und Master) angerechnet werden kann. Bedenkt man, dass rund die Hälfte der Studierenden beabsichtigt, sich weiter zu qualifizieren ist diese Anrechnung enorm wichtig für die Profession Soziale Arbeit und ein unerlässlicher Baustein für lebenslanges Lernen. Helmut Möller Hochschullehrer der ASFH Weitere Informationen: Karin Schwarz T: 030/99245-331 E-Mail: [email protected] www.asfh-berlin.de Reflexions- und Interaktionskompetenzen, Analyse von Problemsituationen, feldbezogene Handlungskompetenzen, Fähigkeiten im Organisations- und Selbstmanagement und im Umgang mit den verschiedenen Berufsgruppen. Das Weiterbildungsstudium umfasst 6 Semesterwochenstunden, es gliedert sich in zwei gleichrangige Studienbereiche: 1. berufsbezogene Selbsterfahrung, Arbeitsfeldanalyse und Handlungskompetenz, 2. theoretische Fundierung und Reflexion psychosozialer Arbeit. 35 Studieren mit Weitblick Das Weiterbildungsangebot der ASFH aus studentischer Sicht Wer glaubt, in der heutigen Zeit ohne ein ständiges Weiterbildungsengagement einen gesicherten Arbeitsplatz zu besitzen, der irrt gewaltig. Auch gut qualifizierte Menschen werden sich ständig weiterbilden müssen um den Anforderungen der modernen Dienstleistungsgesellschaft gerecht zu werden. Da dieses Land keine weiteren Rohstoffe außer dem geistigen Potential seiner Bevölkerung besitzt und es sich in einem globalen Wettbewerb mit anderen Ländern befindet, kommt der betrieblichen und privaten Weiterbildung eine wohlstandssichernde Bedeutung zu. Immer mehr Firmen verlangen von ihren zukünftigen Mitarbeitern Kompetenzen, die im Rahmen des Studiums oder einer Ausbildung kaum oder sehr mangelhaft abgedeckt werden, da es sich bei den geforderten Kompetenzen nicht mehr ausschließlich um eine besondere Qualifizierung handelt, sondern im vermehrten Maße sogenannte „soft skills“ nachgefragt werden. Durch ein Interview mit einer Studentin, die an verschiedenen Weiterbildungsseminaren teilgenommen hat, soll kurz das Weiterbildungsangebot aus studentischer Sicht dokumentiert werden. Alice: Was ist Deine Motivation, an Weiterbildungsseminaren der ASFH teilzunehmen? Paula Im Vordergrund stehen für mich die finanziellen Vorteile, die ich als Studentin genieße. „Normale“ Fortbildungskurse sind für StudentInnen kaum finanzierbar; das Weiterbildungsangebot der ASFH bietet mir aber die Möglichkeit, mich kostengünstig weiterzubilden.1 Alice: Glaubst Du, dass die Teilnahme an den Weiterbildungsangeboten deine Berufschancen erhöht? Paula Ich denke schon. Es ist bloß schwierig ohne Kenntnisse des (zukünftigen) Arbeitgebers und dessen Anforderungen die passende Auswahl zu treffen. Ich habe mich daher eher an persönliche Interessen orientiert. Alice: An welchen Kursen hast du bisher teilgenommen? Paula: Konfliktmediation, NLP und Kurse zum Selbst- und Zeitmanagement. Alice: Inwieweit sind die Themen der Weiterbildung bereits durch Lehrveranstaltungen abgedeckt? Paula: Natürlich gibt es Überschneidungen, aber das ist eher die Ausnahme. Überwiegend bietet die Weiterbildung der ASFH Seminare an, die andere Inhalte vermittelt. Dazu gehören zum Beispiel NLP Kurse, oder Kurse zum Anleiten von PraktikantInnen. Alice: An vielen Weiterbildungsseminaren nehmen berufstätige AbsolventInnen teil. Kannst Du als Studentin von deren (Berufs)erfahrung profitieren? 36 Paula: Durchaus, denn hier bekommt man einen Einblick, inwieweit die Theorie mit der Praxis übereinstimmt. Leider stellen sich in der Praxis die Probleme meist dann doch anders dar, als man es theoretisch in den Seminaren gelernt hat. Alice: In welcher Form werden die Teilnehmer aktiv in den Unterricht mit eingebunden? Paula: Oft in Rollenspielen oder Diskussionen. Hier gibt es kaum Unterschiede zu den normalen Lehrveranstaltungen. Alice: Gehen die Dozenten in ihren Kursen auf aktuelle Ereignisse ein? Paula: In der Regel findet ein Seminar so statt, wie es im Weiterbildungsprogramm angekündigt wird. Allerdings gehen die Dozenten selbstverständlich auf Fragen und Anregungen der Teilnehmenden ein. Alice: Glaubst du, dass es für StudentInnen sinnvoll ist, zusätzlich zu ihren normalen Seminaren, Seminare der Weiterbildung zu besuchen? Antwort: Auf jeden Fall. Man kann durch die Teilnahme an Weiterbildungsangeboten nur dazulernen, denn sie erweitern den persönlichen und professionellen Horizont. Fazit: die Weiterbildungsseminare können für StudentInnen durchaus als sinnvolle Ergänzung zu ihrem normalen Studium angesehen werden, wobei für viele StudentInnen der finanzielle Aspekt einen großen Pluspunkt darstellt. Im Vergleich zu anderen Weiterbildungsanbietern bietet die ASFH für StudentInnen der ASFH eine konkurrenzlos günstige Möglichkeit, sich weiterzubilden. Durch eine geschickte Kombination der Kurse, stehen den StudentInnen verschiedene Möglichkeiten offen. Eine Möglichkeit ist, den im Hauptstudium gewählten Schwerpunkt durch passende Weiterbildungsseminare zu ergänzen. Wird jedoch eine breite Wissensvielfalt im Studium angestrebt, können ergänzend zum Studium Seminare gewählt werden, die nicht Bestandteil des Studiums sind. Durch diese flexible Handhabung der Weiterbildungsseminare hofft das Zentrum für Weiterbildung, Hochschuldidaktik, Berufsfeldforschung an der ASFH, dass möglichst viele StudentInnen diese kostengünstige Chance der Weiterbildung in Zukunft nutzen werden. Seemit Wahi, Student /ASFH 1 StudentInnen der ASFH bekommen 50% Rabatt, Mitglieder des Alumnivereins der ASFH 25% und für Tutoren, PraktikantInnen sowie Asta Mitglieder sind die Kurse kostenfrei. Karriereschritte planen Die ASFH fördert im Rahmen eines ESF Projekts die Karriereplanung ihrer Studierenden. Die ASFH plant im Rahmen eines ESF (Europäischer Sozialfonds) Projekts den Aufbau einer Serviceeinrichtung „Karriereplanung“ für Studierende. Die neue Serviceeinrichtung wird voraussichtlich im Laufe des Wintersemesters 2005/2006 ihre Arbeit aufnehmen. Unsere Lebens- und Arbeitswelt verändert sich zunehmend: Die Arbeitsmarktsituation gestaltet sich als schwierig, der Druck auf die/ den Einzelne/ n nimmt zu. Die Folgen des gesellschaftlichen Wandels auf dem Arbeitsmarkt führen häufig zu Überforderungen, Unsicherheiten und Ängsten. In der Studienberatung werden diese Tendenzen besonders deutlich, so dass weitergehende Angebote zur Unterstützung von Studierenden absolut notwendig sind. Die Alice Salomon Fachhochschule möchte hier Verantwortung übernehmen. Mit dem Aufbau der Karriereplanung, die als Serviceeinrichtung der Vorbereitung unserer Studierenden auf den Berufseinstieg, der stärkeren Vernetzung von Studierenden, Fachhochschule und Praxis dient, ist damit ein wichtiger Schritt getan. Das beim Europäischen Sozialfonds (ESF) beantragte Projekt „Karriereplanung“ soll Bestandteil der Studienberatung und Teilbereich des Studierendencenters der ASFH werden. Zum einen sollen bereits bestehende Angebote der Fachhochschule gebündelt werden: so werden auf Evaluation und Berufsfeldforschung basierende Angebote aus dem Zentrum für Weiterbildung, Hochschuldidaktik und Berufsfeldforschung (ZWHB) und dem Praxisamt vereint. Zum anderen soll der Service um neue Angebote, vor allem Coaching, Kar- riereberatung, Vermittlung von Kompetenzen und Kontaktmanagement ergänzt werden. Das Angebot der Karriereplanung soll sich auf drei Säulen stützen: 1. Coaching, Beratung, Karriereplanung, 2. Berufsfähigkeit durch Vermittlung von Kompetenzen, Training, 3. Kontaktmanagement. Die Karriereplanung wird so ein studiennahes Angebot zur Unterstützung der Berufsfähigkeit bereitstellen. Coaching, Beratung zur Berufseinmündung, Karriereplanung, Existenzgründung, Bewerbungstrainings sowie Karrierewochen – Workshops zu Themen wie „Arbeiten im Ausland“ und Informationsveranstaltungen z.B. zu Networking, sind nur eine Auswahl des zukünftig bestehenden Angebotes, um unseren Studierenden den Einstieg in den Beruf und die Karrierechancen auf dem Arbeitsmarkt und in der Wissenschaft zu erhöhen. Die Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin beschreitet mit der Karriereplanung neue Wege in der Betreuung ihrer Studierenden. Mit dem geplanten Projekt bietet sie allen Studierenden Information, Beratung und Unterstützung bei der Suche nach dem passenden Platz in der Arbeitswelt und beim Erklimmen der „Karriereleiter“. Cornelia Wind, Studienberaterin / ASFH 37 International Make democracy work Community Organizing of the Industrial Area Foundation (IAF) Demokratie lernen und machen! In diesen Satz kann ich meine Erfahrungen vom Training in Community Organizing in Lake County, Illinois (USA) zusammenfassen. Vom 06. bis zum 15.Juli 2005 lernte ich gemeinsam mit achtzig KollegInnen aus verschiedenen Bundesstaaten der USA, wie sich BürgerInnen organisieren können, um ihre Interessen zur Gestaltung des Gemeinwesens nachhaltig einzubringen. Die Industrial Area Fundation (IAF) wurde bereits 1940 von Saul Alinsky gegründet. Alinsky gilt in Deutschland als Vertreter einer radikalen - oder auch aggressiven - Gemeinwesenarbeit. Tatsächlich hatte er in den 30er und 40er Jahren große Erfolge in der Organisation der Massen, die - in der durch Industriearbeit geprägten Metropole Chicago - um sichere Arbeitsplätze, bessere Entlohnung sowie für Bürgerrechte kämpften. Die Gründung der IAF hatte den Sinn, die bisherigen Erfahrungen an die nächsten Generationen weiterzugeben. Dass dies gelungen ist, zeigen die vielen Projekte der vergangenen Jahrzehnte. Beispiel Brooklyn: Noch vor zehn Jahren war ein Stadtteil in diesem New Yorker Bezirk dem baulichen Verfall preisgegeben. Das Gebiet fiel zunehmend durch hohe Kriminalität auf, Kinder schwänzten die Schule, Jugendliche waren in Banden anzutreffen. Die Polizei mied den Stadtteil ebenso wie Geschäftsleute und Banken. Menschen mit etwas Geld begannen, die Gegend zu verlassen. Doch dann geschah etwas in diesem Stadtteil: die Menschen fingen an, sich zu organisieren. Bei vielen Treffen und in zahlreichen Gesprächen stellten sie fest, dass sie über ganz ähnliche Erscheinungen in ihrem Stadtteil verärgert sind und dass sie ganz ähnliche Lebensbedingungen anstreben. Eine Bürgerplattform wurde gegründet - ein Zusammenschluss ganz verschiedener Organisationen des Stadtteils. Die Akteure der Plattform begannen intensiv zu arbeiten: sie suchten nach realistischen Vorhaben und Zielen und recherchierten alle zur Umsetzung notwendigen Informationen. Durch den Zusammenschluss der verschiedenen Organisationen konnten nun Tausende von Menschen bei öffentlichen Aktionen in kurzer Zeit mobilisiert werden. So wurden die Vorstellungen der Bewohner mit Macht (‚Power’) untersetzt. In Brooklyn setzten die Bürger schließlich die Bebauung einer Brachfläche mit Reihenhäusern durch, die zu einem günstigen Preis an die dortige Bevölkerung – zumeist Menschen mit schwarzer Hautfarbe – verkauft wurden. Diese Bebauung veränderte den Stadtteil. Es wurde nicht nur potentiell sozial schwachen Menschen der Kauf von Wohneigentum ermöglicht, sondern es veränderten sich die gesamten Strukturen des Gebietes: neue Supermärkte eröffneten, ein Schulbus beförderte die Kinder, die Wege wurden begrünt. Kurzum: der öffentliche Raum wurde durch diejenigen Menschen eingenommen, die dort konstruktiv miteinander leben wollten. Das hier kurz geschilderte war ein langer Prozess, der über mehrere Jahre andauerte. Und das alles Robert und John. Robert ist seit einem Verkehrsunfall vor fünfzehn Jahren querschnittsgelähmt. Er gründete geschah nicht von gemeinsam mit anderen Menschen mit Behinderungen eine Organisation, die sich für ihre Belange im Gemeinalleine, sondern mit wesen einsetzt. 38 Hilfe des Community Organizing - der ‚Sanften Kunst des Organisierens’. Diese besteht vor allem darin, ganz unterschiedliche Menschen zusammen zu bringen. Die sozialen Beziehungen bilden die Grundlage für den Aufbau einer Bürgerplattform. Kennen sich die Leute, können sie sich auch etwas miteinander vornehmen und dieses erreichen! So wird die Basis einer großen Bürgerorganisation durch viele Einzelgespräche gelegt, welche die Organizer mit Akteuren im Stadtteil durchführen. Dabei erfahren sie nicht nur, was die Menschen beschäftigt. In den Einzelgesprächen besteht auch die Chance zur Transformation des privaten Engagements in öffentliches. Beim Community Organizing geht es darum, dass die Menschen lernen, ihre Interessen öffentlich selbst zu vertreten. So nahm ich beispielsweise an einer öffentlichen Aktion teil, bei der eine junge Frau vor dem Bürgermeister der Stadt Chicago und weiteren hohen Politikern eine überzeugende Lichtinstallationen des Fotographen Terry Evans im Millenium-Park in Chicago. Rede für den rechtlichen Schutz der Menschen vor Mietwucher hielt. Diese Frau – so erfuhr ich später – hat verständigte sich mit einer Jugendlichen über die nächste die Schule mit vierzehn Jahren verlassen, ist Mutter von drei Aktion. kleinen Kindern, ist seit vier Jahren arbeitslos und hat noch Diese Vielfalt ist – so denke ich – gut auf den Fotos zu sehen, niemals zuvor eine Rede gehalten. Das öffentliche Reden hat die ich vom Training mitgebracht habe. sie beim Training durch die Community Organizer gelernt. Ich bin mir sicher, Saul Alinsky hätte sich über diese Fotos Durch solche Lernprozesse werden die Menschen gestärkt. gefreut. Denn er war gar kein Radikaler und Aggressiver. Ihm ging es im Kern um etwas ganz Normales, nämlich darum, Dieser Ansatz hat mich sehr überzeugt! Beim Training hat mich besonders beeindruckt, dass ganz dass jeder Mensch die Chance hat, an der Gestaltung einer unterschiedliche Menschen miteinander gelernt, geredet lebendigen Demokratie teilzunehmen. und gefeiert haben. Da saß der Pastor einer black community neben dem Pfarrer der evangelischen Gemeinde. Die Frau Regina Rätz-Heinisch ohne Schulabschluss diskutierte mit der UniversitätsdozenHochschullehrerin ASFH tin neben ihr über soziale Gerechtigkeit. Und die Rentnerin 39 Menschen Soziale Arbeit und die Erziehung der Erzieher 1 Bundesverdienstkreuz für Reinhart Wolff – Festvortrag von C.W. Müller Es muss Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts gewesen sein, als ich Reinhart Wolff zum ersten Mal begegnete. Der Zentralrat der Sozialistischen Kinderläden Berlins tagte im obersten Stockwerk einer leergeräumten Schöneberger Fabriketage. Ich war von der damaligen Senatorin für Jugend und Sport geschickt worden, um zu eruieren, ob und wie eine Unterstützung der jungen Kinderladenbewegung auch mit Steuergeldern als sinnvoll und wünschenswert angesehen werden könne. Ich hätte wissen können, dass dies ein Himmelfahrtskommando war. Der Zentralrat ließ mich mit der spröden Bemerkung abfahren, man wolle sich das epochale Konzept einer gewaltfreien Erziehung auf historisch- materialistischer und psychoanalytischer Grundlage nicht durch „Staatsknete“ verunreinigen lassen. Ich habe Reinhart Wolff dann ab und zu wieder gesehen, auf studentischen Vollversammlungen, bei sit-ins und teach-ins und bei anderen Protestdemonstrationen - manchmal wohl auch in der Sauna an der Bundesallee. Aber vor allem habe ich Reinhart Wolff gelesen. Da war die von Lutz von Werder und ihm zusammen gestellte wunderbare kommentierte Bibliografie vergessener, verdrängter, totgeschwiegener und verbrannter Schriften fortschrittlicher Pädagogen des 20. Jahrhunderts von A wie Adler bis Z wie Clara Zetkin. Es war die von den selben Autoren herausgegebenen dreibändige Auswahl aus den Schriften von Siegfried Bernfeld im März-Verlag. Und es war später die mit Carol Hagemann-White als Habilitationsschrift eingereichte umfassende Bearbeitung des zentralen, erziehungswissenschaftlichen Themas vom Zusammenhang von „Lebensumständen und Erziehung“ (1975). Noch heute meine ich, dass sie zum Fundus eines jeden deutschsprachigen Curriculums über erziehungswissenschaftliche Grundlagen der Sozialisationsarbeit gehört. Zur gleichen Zeit wurden in der Bundesrepublik Deutschland die höheren Fachschulen für Sozialarbeit zur Fachhochschulen geliftet. In einigen Bundesländern wurde diese erfreuliche Tatsache dadurch beschwert, dass die Neuberufung von Hochschullehrern an den formalen Qualifikationsanforderungen von Universitäten orientiert waren und Dissertationen ebenso wie einschlägige Publikationen voraussetzten, die nicht durch eine außergewöhnliche berufliche Praxis ersetzt werden konnten. Dies hatte den großen Nachteil, dass sich berufserfahrene Sozialarbeiter und Sozialpädagoginnen, die bisher dieSchnittstelle zwischen Theorie und Praxis - also die Methodenlehre und die Organisation und Anleitung der Praktika - verantwortet hatten, keine Chance sahen, sich auf entsprechende neue Hochschullehrerstellen zu bewerben. Während sie gleichzeitig zusehen mussten, wie Bewerber aus benachbarten Disziplinen an ihnen vorbeizogen und sich nachträglich einen Teil jener Kenntnisse, Einsichten und Fertigkeiten aneignen mussten, die eigentlich als Grundlage 40 ihrer ebenso Wissenschafts- wie Berufsfeld-orientierten Lehre hätten dienen müssen. Reinhart Wolff war in dieser hochschulpolitischen Landschaft der 70er Jahre für meine Wahrnehmung eine bemerkenswerte Ausnahme. Er war Teil einer epochalen sozialen und politischen Bewegung, welche die letzten Jahrzehnte des letzten Jahrhunderts direkt und indirekt geprägt hat. Aber nicht als bezahlter Beamter oder Sozialarbeiter auf einer Planstelle, sondern als freiwilliger und engagierter Beweger in vielfältigen Feldern sozialpädagogischer und sozialer Arbeit, als freiwillig tätiger Student. Als er 1977 an die Alice Salomon Fachhochschule berufen wurde brachte er die fundierte Kenntnis der Traditionen demokratischer Erziehungspraxis ein, die von den Nationalsozialisten zerschlagen worden und die nach dem Ende der Hitlerherrschaft nicht wieder aufgegriffen worden waren. Und er tat dies als ein begeisterter und begeisternder Wissenschaftler. Für ihn galt und gilt, was er einmal von der Kritischen Universität gesagt hat, die er selber in Berlin mit begründete: Sie sei getragen von der Idee, Wissenschaft wäre ein erotisches Unternehmen, voller Lust und Leidenschaft und sie ziele auf eine eingreifende Praxis, die Elfenbeintürme sprengt; - Kritik sei eben ein Projekt der Freiheit. Diese Erfahrung habe ihm vor allem die Auseinandersetzung mit der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule und mit der Psychoanalyse vermittelt. Bei diesen Sätzen denke ich unwillkürlich an die Inschrift an der Treppe im Foyer der Humboldt-Universität, die an die Bemerkung von Karl Marx erinnert, die Wissenschaftler hätten bisher die Welt nur verschieden interpretiert. Es käme aber darauf an, sie zu verändern. Und ich denke auch an den Satz des Emigranten Kurt Levin, unzähligen anderen Büchern ein neues Buch hinzuzufügen, genüge nicht. Die Kinderladenbewegung, die Reinhart Wolff mit begründet hat, begann mit der Erziehung der Erzieher. Sicher sollten auch Kinder lernen, sich zu erziehen. Aber vor allem ging es um die Erziehung der Eltern, um die Erziehung der Erzieher. Denn in dem Kinde, vor dem wir stehen, entdecken wir immer wieder das Kind, das wir selber einmal waren und das häufig unter einer Erziehung litt, auch wenn sie gut gemeint war und das Beste wollte. Es war dieses Konzept, das die Bildung von Pädagogen am Ende des letzten Jahrhunderts voran gebracht hat: Eine Bildung an der Schnittstelle zwischen Theorien und praktischen Handlungen und einer Ausbildung, welche die Bildung der Studierenden nicht allein auf kognitive Leistungen richtete, sondern auch ihre attitudionalen, sozialen und emotionalen Kompetenzen kultivierte. Reinhart Wolff ist diesem Konzept, solange ich seine Arbeit verfolgen konnte, immer gefolgt und hat es in seinen Kinderschutzzentren auch auf nicht-professionelle, „geborene“ Erzieher, auf Eltern und andere Erziehungspersonen ausgedehnt. Die Alice Salomon Fachhochschule Berlin, deren Rektor er eine Zeit lang war, konnte an die besten Traditionen der ersten deutschen Republik anknüpfen. Da war nicht nur die erste Berliner Soziale Frauenschule in der Schöneberger Barbarossastraße. Da war auch der erste demokratische Jugendstadtrat von Kreuzberg, Walter Friedlaender, mit Ellen Kay und vielen anderen progressiven Erzieherinnen und Erziehern. Und da war die Auskunftsstelle für soziale Fragen, das heutige deutsche Zentralinstitut mit Siddy Wronsky, die zusammen mit Alice Salomon als Mutter der deutschen Einzelfallhilfe gelten kann. Bei der Neuorientierung der deutschen Sozialen Arbeit, nach dem Ende der Hitler-Herrschaft und ihrer antihumanen, rassistischen und sozialdarwinistischen Sozialarbeit, haben uns von den Nationalsozialisten vertriebene Fachfrauen und Fachmänner wie Gisela Konopka, Walter Friedlaender, Henry Ollendorf, Hertha Kraus und andere geholfen. Aber die ReHumanisierung unseres Menschen- und Gesellschaftsbildes war nur ein erster Schritt auf dem Wege zu einer modernen Sozialarbeit und zur Ausbildung für ihre Berufe. Dazu gehörte es einerseits, den fruchtlosen Streit um die Interpretation des so genannten Subsidiaritätsprinzips zu beenden und neue Formen bürgerschaftlichen Engagements in der Sozialen Arbeit wert zu schätzen. Dazu gehörte es, die beiden bis dahin getrennten Ausbildungsgänge für Sozialarbeit und Sozialpädagogik, so weit wie möglich zusammen zu rücken - nicht nur, weil auch Sozialarbeit im engeren Sinne wesentlich darin bestand, mit Klienten zusammen Lehr- und Lern-Prozesse zu organisieren, welche der Formel von der „Hilfe zur Selbsthilfe“ erst recht eigentlich Leben einhauchten. Aber auch, weil wir bei der Weiterentwicklung unserer Berufsfelder davon ausgehen sollten, dass künftig Erzieherinnen, Grundschullehrerinnen und Sozialarbeiter auf drei benachbarten Berufsfeldern agieren, die es im Laufe eines langen Berufslebens erlauben sollten, ohne große Umstände Durchlässigkeit zu tolerieren. Und wenn wir an einer Erfolgsgeschichte der Sozialen Arbeit der letzten 60 Jahre schreiben, dann werden wir auch dankbar anerkennen müssen, dass wir seit der Formulierung des BSHG und des KJHG und seit dem diese Gesetze im neuen Sozialgesetzbuch verankert worden sind, in Deutschland eine Situation haben, in welcher geltende Gesetze häufig der vorfindlichen Praxis in den Bundesländern und Kommunen vorausgeeilt sind - ein für unser Land tatsächlich gewöhnungsbedürftiger Tatbestand. Zumal wir ja nicht die Augen davor verschließen können, dass die Weiterentwicklung des alten nationalen Monopol- Kapitalismus zum internationalen Shareholder-Kapitalismus eine neue Phase globalisierten Sozialdarwinismus einzuleiten droht, bei der die alten Waffen sozialer und politischer Gegenwehr zu versagen drohen. Sicher - es hat in der Sozialen Arbeit und ihrer Entwicklung in den letzten Jahrzehnten auch eine Reihe von bemerkenswerten Flops gegeben. Wir haben sie in der Lehre und in der Forschung an Hochschulen nicht immer mit der eigentlich notwendigen kritischen Konsequenz begleitet. Ich denke nicht nur an die Pflegeversicherung, die gescheiterte Grundsicherung, die Riester-Rente und die sagenhafte Verwal- tungsmodernisierung, die uns über lange Zeit damit gequält hat, Dienstleistungsprodukte zu definieren und zu differenzieren, die im Hinblick auf personenbezogene Dienstleistungen mit Klienten als Koproduzenten und Kindern und Jugendlichen als Mit-Erziehern ein schlechter Witz geblieben sind. Auf der anderen Seite ist die Formulierung von Leistungsbeschreibungen und die Einführung des Nachdenkens über Qualitätsmerkmale, Qualitätskontrollen und Qualitätsmanagement in der Tat so etwas wie eine „Kopernikanische Wende“ in der Sozialen Arbeit, wie mein Freund und Kollege Dieter Kreft mehrfach gesagt und geschrieben hat. Mit der Festlegung auf prospektive Pflegesätze beispielsweise, verabschieden wir uns ziemlich endgültig vom feudalistischen Prinzip der „hoheitlichen Gewährung von Zuwendungen“ und legen uns auf kostendeckende Preise fest, die nicht nachverhandelt werden können. Ich denke, damit sind wir endgültig im realen Kapitalismus angekommen. Und es ist eine Frage, ob und wie wir ihn je wieder verlassen werden. Im anhaltenden Streit über die alte oder über eine neue Bezugs- und Leitwissenschaft für die Soziale Arbeit als Disziplin möchte ich vergleichsweise wortkarg bleiben. Vieles ist schon gesagt und geschrieben worden, aber noch nicht von allen. Fest scheint zu stehen, dass, gute, erfolgreiche, wissenschaftlich vielfach gegründete und berufsrelevant vorbereitende Studiengänge und Ausbildungsstätten über ein ausgewogenes interdisziplinäres Curriculum verfügen müssen, das nicht einfach Kenntnisse und Erkenntnisse aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen additiv aneinander reiht, sondern dass je nach Gegenstandsbereich einen unterschiedlichen Mix komplementär sich ergänzender Wissenschafts- und Erkenntnis-Bestände in den Lehr-Lern-Prozess der Studierenden und dabei auch aktuelle internationale Erfahrungen ohne Denkverbote einbringt. Reinhart Wolff, den der Bundespräsident jetzt ehrt, war und ist für mich ein nachahmenswertes Beispiel für eine solche perspektivenreiche und aus vielen wissenschaftlichen Zentren bestehende Weise des Denkens, Forschens, Schreibens und Lehrens. Die Europäisierung der Ausbildung zur Sozialen Arbeit hat uns mit den Bologna-Beschlüssen der Europäischen Kulturminister in einen Zugzwang gebracht, dem wir augenscheinlich nicht entgehen können und der unsere traditionelle Ausbildung zur Sozialen Arbeit gehörig durcheinander wirbelt. Einige Fachhochschulen, wie auch die Alice Salomon Fachhochschule haben dieser Neuorientierung offensichtlich schöpferische und produktive Seiten abgewinnen können. Andere Hochschulen tun sich schwer und verfallen auf gar wunderliche Profilierungsideen. Wir werden aufpassen müssen, dass besonders ehrgeizige Kolleginnen und Kollegen nicht ihre ganze Kraft in die Weiterbildung zum Master stecken und die grundlegenden Bachelor-Module vernachlässigen. Alle meine Erfahrungen jedenfalls haben gezeigt, dass Kolleginnen und Kollegen mit den meisten Erfahrungen in Berufspraxis und wissenschaftlicher Lehre, vor allem in den ersten Semestern der neu Studierenden tätig werden sollten, um nicht nur Grundlagen zu legen, sondern auch zu 41 helfen, eine berufliche Identität zu entwickeln, die langfristig tragfähig bleibt. Als Universitätsprofessor merke ich mit einem Seitenblick auf meine eigenen Kolleginnen und Kollegen an, dass von dem mit dem Bologna-Prozess zusammenhängenden Zwang zur planenden Curricularisierung eine heilsame Wirkung ausgeht. Wir können nun nicht mehr einfach machen, was uns einfällt, was wir gerade drauf haben und was gut ankommt. Sondern wir müssen uns auf ein flächendeckendes Insgesamt von Kenntnissen, Erkenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten einlassen und müssen dieses Insgesamt mit Kolleginnen und Kollegen abstimmen und dort, wo es kapazitär möglich ist, auch mit ihnen gemeinsam als Team-teaching realisieren. Was hat dies alles mit Reinhart Wolff zu tun? Ich denke, er verfügt über einen gesicherten Bestand aus interdisziplinär gewonnenen Erkenntnissen und aus berufspraktisch relevanten Fertigkeiten, die er an seine Studierenden auf eine mitreißende Weise vermitteln kann. Er verwickelt dabei seine Studierenden sowohl in die geistigen Anstrengungen, erkenntnistheoretische und erkenntnispraktische Texte zu bearbeiten, sondern begleitet diese Studierenden auch auf vielfältigen Exkursionen in unbekanntes In- und Ausland und in die Wahrnehmung der eigenen Person und des eigenen Lebenszusammenhangs. Erziehung der Erzieher: Das scheint mir eine wesentliche Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit und die Krisenresistenz unserer Berufe der Sozialen Arbeit zu sein. C. Wolfgang Müller Technische Universität Berlin 1 Diese Rede wurde bei der Akademischen Feier anlässlich der Verleihung des Verdienstkreuzes am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an Reinhart Wolff im April 2005 gehalten. Neuberufene HochschullehrerInnen zum Wintersemester 2005 Prof. Friederike Baeumer – Studiengang Physio-/Ergotherapie Ich bin seit dem 01.09.2005 Hochschullehrerin für Physiotherapie an der ASFH. Mein Lehr- und Forschungsinteresse gilt der wissenschaftlichen Fundierung der Physiotherapie und einer problem- und beweisorientierten Ausrichtung derselben. Was bringe ich dafür mit? Eine weitgefächerte 17-jährige Berufspraxis als Physiotherapeutin und wissenschaftliche Arbeiten als Sinologin, die über den Untersuchungsgegenstand traditionelle chinesische Medizin (tuina, qigong) einen direkten Bezug zur Physiotherapie hatten. Prof. Dr. Anette Dreier – Studiengang Erziehung und Bildung im Kindesalter Anette Dreier (Dr. phil. und Diplom-Pädagogin) ist 1960 geboren. Sie lehrt seit dem 01.10.2005 als Professorin für die Pädagogik der frühen Kindheit im Studiengang Erziehung und Bildung im Kindesalter. Ihre Schwerpunkte sind u.a. Sprachenentwicklung, ästhetische Bildung und Grundschulpädagogik. Sie publiziert 42 Beiträge zur Elementarpädagogik u.a. als Mitautorin des Berliner Bildungsprogramms. Prof. Ulrike Hemberger – Studiengang Soziale Arbeit und Erziehung und Bildung im Kindesalter (EBK) Als Medienpädagogin und Filmemacherin beschäftige ich mich mit interkulturellen, geschichtlichen und sozialen Themen. Im Zentrum meiner Arbeit und meiner Lehrangebote stehen Vermittlungsprozesse durch Kunst, mit deren Hilfe die Partizipation aller Gesellschaftsmitglieder an gesellschaftlichen Entscheidungen gefördert werden. Wohl fühle ich mich in einer Umgebung, in der wir handelnd und kommunikativ lernen. Prof. Dr. Elke Kraus – Studiengang Physio-/Ergotherapie Im Wintersemester lehre ich „Theorien und Modelle der Ergotherapie“, „Geschichte und Entwicklung der Ergotherapie“, und das Fach „Englisch“. Ich bin ein Zwei-Länder Kind: mein Vater ist Deutscher und meine Mutter Südafrikanerin. Ich studierte Anfang der achtziger Jahre Ergotherapie, ein 4-jähriges B.Sc. Studium, an der Universität von Kapstadt. An der La Trobe University/ Australien lehrte ich in Pädiatrie, arbeitete in verschiedenen pädiatrischen Einrichtungen sowie als Leitung in einer Privatpraxis. Ich begann mit einem Masterstudiengang und später mit meiner Doktorarbeit (PhD). 1999 zog ich nach München. Dort arbeitete ich in einer Privatpraxis und unterrichtete an der Münchner Berufsfachschule für Ergotherapie und vollendete meine Doktorarbeit. 2004 bekam mein Mann einen Direktorposten in Berlin bei dem internationalen Sekretariat von Transparency International, der weltweit größten Anti-Korruptionsorganisation, und wir zogen hierher. Heute leben wir mit unserer einjährigen Tochter, unserem Sohn in Berlin. Prof. Dr. Elke Kruse – Studiengang Soziale Arbeit Mein Lehrgebiet ist: Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Theorie und Geschichte der Sozialen Arbeit. Semester als Vertreterin der Professur für Pädagogik und Soziale Arbeit an der Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen. Zum WS 2005/2006 bin ich als Professorin für o.g. Fachgebiet an die ASFH berufen worden. Iris Nentwig-Gesemann – Studiengang Erziehung und Bildung im Kindesalter (EBK) Am 01. Oktober 2005 habe ich die Professur für Bildung im Kindesalter im BA-Studiengang Erziehung und Bildung im Kindesalter angetreten. Nach einem Diplomstudium mit dem Schwerpunkt Kleinkindpädagogik und einem Aufbaustudium zu Methoden der qualitativen Sozialforschung habe ich 1998 mit einer empirischen Arbeit zur Krippenerziehung in der DDR promoviert. In den letzten Jahren war ich u.a. als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Kleinkindpädagogik und im Arbeitsbereich Qualitative Bildungsforschung der Freien Universität Berlin tätig. Derzeit beende ich noch meine Forschungstätigkeit im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Kulturen des Performativen“ an der FU Berlin in einem Projekt zu rituellen Lernkulturen. Meine Arbeitsschwerpunkte sind die rekonstruktive Bildungs-, Sozial- und Evaluationsforschung, Diskurs-, Video- und Bildanalyse, Jugend- und Kindheitsforschung, Familien- und Ritualforschung, Sozialisations- und Bildungstheorie. Ich bin 1964 in Ostwestfalen geboren, lebe seit meinem Studium in Berlin, bin verheiratet und habe eine 11-jährige Tochter und einen 7-jährigen Sohn. Iris Nentwig-Gesemann Ich bin Diplom-Sozialpädagogin und Diplom-Pädagogin. Nach mehreren Jahren beruflicher Tätigkeit als Sozialpädagogin (Grundschule, Jugendamt, Familienbildungsstätte) bin ich zunächst als wissenschaftliche Koordinatorin an die Universität gegangen, habe dort mit einem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung promoviert, war am Hochschuldidaktischen Zentrum der Uni Dortmund und zuletzt drei 43 Abschied von HochschullehrerInnen Zwischen Person und Kontext ... zum Abschied von Prof. Britta Haye aus dem aktiven Hochschullehrerinnendienst Britta Haye in einem Beitrag anlässlich ihres Ausscheidens aus dem aktiven Hochschullehrerinnendienst zu würdigen, ist für mich eine äußerst ambivalente Aufgabe. Einerseits freue ich mich sehr, dass ich einige ausgewählte, mir besonders ins Auge fallende Verdienste Britta Hayes in diesem Rahmen in Erinnerung rufen darf. Glücklich bin ich auch darüber, dass ich hiermit die Gelegenheit habe, die Persönlichkeit dieser Hochschullehrerin wertschätzen zu dürfen. Andererseits stimmt es mich traurig, Britta Haye mit diesen Zeilen aus ihrem aktiven Dienst als Professorin gewissermaßen zu verabschieden. Denn ich bin mir sicher, dass mit Britta eine Sozialarbeitsprofessorin der Alice-Salomon-Fachhochschule in den Ruhestand geht, die zur Gruppe der engagiertesten Kolleginnen und Kollegen in der Geschichte der ASFH gehört. Daher wird diese Professorin – das scheint mir gewiss – von drei Gruppen gleichermaßen nachhaltig vermisst werden: von ihren Kolleginnen und Kollegen der Lehre (sowohl von ProfessorInnen als auch von Lehrbeauftragten), von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung sowie last but not least von den Studentinnen und Studenten. Die Bedeutung, die Britta Haye für diese Fachhochschule bekommen hat, resultiert zum einen aus ihrer Persönlichkeit, die sich an der ASFH zu einer leidenschaftlichen Kämpfernatur für die arbeitsfeldspezifischen und hochschulischen Belange der professionellen Sozialen Arbeit sozialisierte. Meines Erachtens gab und gibt es wenige Kollegen und Kolleginnen, die so überzeugt und vehement für die Sache der institutionellen und personellen Weiterentwicklung der Sozialen Arbeit (insbesondere der systemischen Methoden und Theorien) an der Hochschule gekämpft haben und kämpfen, wie Britta dies oft getan hat und nach wie vor tut. Zum anderen hat sie mit ihrem fachpolitischen Eintreten hinsichtlich der Gestaltung des Kernbereiches Sozialarbeit/Sozialpädagogik und dem Aufbau des Feldes der Ausbildungssupervision an der ASFH in einem zeitlichen Kontext gewirkt, in dem sich ein tiefgreifender Paradigmenwechsel in der wissenschaftlichen Landschaft der Sozialen Arbeit vollzogen hat, der freilich noch lange nicht abgeschlossen ist. Daher könnten wir diese Professorin einer Zwischengeneration von SozialarbeitswissenschaftlerInnen zuordnen, die die „alten“, eher bescheidenen, zum Teil marginalisierten Verhältnisse der Sozialarbeitslehre noch kennen und bewusst erlebten, die seit einigen Jahren allerdings als WegbereiterInnen agieren, um eine „neue“ selbstbewusste und sich ihren Stärken und Möglichkeiten gewisse Sozialarbeitslehre zu etablieren. Die GestalterInnen dieser Zwischengeneration ecken freilich an, machen sich nicht überall beliebt, treten sie doch ein um einen Status Quo zu verletzen, um dafür zu sorgen, dass sich Neues Bahn bricht und erprobt werden kann. Britta Hayes großes persönliches Verdienst ist es, dass sie es geschafft hat, ihre persönlichen Überzeugungen hinsichtlich der Sozialen Arbeit so zu vertreten, dass dies kontextu- 44 ell innerhalb der ASFH immer wieder anschlussfähig war. Sie hat sich geschickt zwischen den unterschiedlichen Kontexten der Hochschule (etwa Lehre, Verwaltung, Studentenschaft) bewegt, authentisch ihre Sichtweisen und Überzeugungen artikuliert, und ist dabei immer sensibel für zwischenmenschliche Stimmungen und Belange geblieben. Daher gehört sie zu den äußerst angesehenen und einflussreichen Kolleginnen und Kollegen der Hochschule. Wer zu solchen Bewegungen zwischen Personen und Kontexten in der Lage ist, der sollte bezüglich seines kognitiven Modells und seiner professionellen Haltung untersucht werden. Es ist kein Geheimnis, dass Britta Haye beide Bereiche, sowohl ihr Denkmodell als auch ihren Handlungsstil, als systemisch charakterisieren würde. Allerdings lässt sich „systemisch“ kaum als absoluter Begriff definieren, sondern lediglich komparativ können unterschiedliche Steigerungsformen des „Systemischen“ unterschieden werden. Wie der Münchner Systemiker und Philosophieprofessor Matthias Varga von Kibéd erst kürzlich formuliert hat, ist eine „Erklärung (Theorie, Methodologie, Vorgehensweise, Begriffsbildung, Hypothese, Denkweise, Idee, Therapieform, Intervention ...) A [...] systemischer als eine Erklärung (Theorie ...) B per definitionem genau dann, wenn A in höherem Maße als B erlaubt, von der Zuschreibung von Eigenschaften an Systemelementen abzusehen (zugunsten der Betrachtung von Relationen, Strukturen, Kontexten, Dynamiken und Choreografien)“.1 Britta Haye schafft genau dies in hohem Maße: Sie betrachtet Personen und Situationen – freilich auch sich selbst – in ihren kontextuellen Einbettungen. Ein solches Denken und Handeln kann zwar situativ anstrengend, unverständlich und für einige bestimmt auch wuterzeugend sein, es offenbart aber zumeist eine große Nachhaltigkeit. Und daher hat Britta die Alice-Salomon-Fachhochschule äußerst stark geprägt – vielleicht stärker als es vielen KollegInnen (und vielleicht auch ihr selbst) derzeit bewusst ist. Heiko Kleve, war vom Wintersemester 2002/2003 bis zum Wintersemester 2004/2005 Hochschullehrer für Theorie und Geschichte der Sozialen Arbeit an der ASFH und ist seit dem Sommersemester 2005 Hochschullehrer für soziologische und sozialpsychologische Grundlagen der Sozialen Arbeit Fachhochschule Potsdam. 1 Ders. (2005): Metakommentar, in: G. Weber/G. Schmidt/F. B. Simon: Aufstellungsarbeit revisted ... nach Hellinger?, Heidelberg: Carl-Auer-Systeme, S. 229. Martin Grieser emeritiert - kein Nachruf! Zu Beginn des Wintersemesters klopfe ich bei Martin Grieser an - er räumt sein Zimmer - und frage ihn, wie er sich fühlt. Er: „Ach, ich habe jetzt mehr Zeit, Hegel zu lesen.“ Am 16. Juni 2005 vollendete Martin Grieser sein 65. Lebensjahr. Der Fachhochschule gehörte er seit dem Wintersemester 1978 an. Wer Martin Grieser kennt, den wundert es nicht, daß er, aus einer Hotelierfamilie stammend, seine Grundbildung in einem humanistischen Gymnasium, einer Internatsschule der Benediktiner, erhielt. Man sagt, schon damals habe er mit seinen mönchischen Lehrern Diskurse über Gottesbeweise geführt. Das Abitur absolvierte er 1961 als Klassenbester mit einem Notendurchschnitt von 1,0. Es wird berichtet, daß er im väterlichen Betrieb es vorgezogen haben soll, hinterm Tresen bei einem duftigen Riesling Kant zu lesen. Er studierte zunächst Mathematik und Physik in München, wechselte dann zur Rechtswissenschaft und studierte parallel Philosophie. Im Hegel-Seminar von Hermann Krings lernte er seine spätere Ehefrau Inge Scherer kennen. Sie kam, so sagt sie, wie er, öfter zu spät. Als Martin Grieser sich im Frühjahr 1978 an der ASFH um einen Lehrstuhl für Sozialrecht, insbesondere Sozialhilferecht, bewarb, begegnete ihm die Studentenschaft zunächst - vorurteilsbehaftet, wie damals üblich - mit großem Misstrauen, weil er es gewagt hatte, an einer Bundeswehrhochschule zu lehren. Dieses Misstrauen legte sich allerdings sehr schnell, nachdem die Studierenden Martin Grieser in seinen brillanten Lehrveranstaltungen erleben durften. Gemeinsam mit Reinhart Wolff und später mit Christine Labonté-Roset leitete er als Prorektor von 1990 bis 1994 die Fachhochschule. Generationen von Studierenden haben ihn als gerechten und das Einzelschicksal nicht aus dem Blick verlierenden Prüfungsausschussvorsitzenden kennen gelernt. Langjährig hat er Berliner Nachbarschaftsheime beraten. Im Zentrum seines literarischen Schaffens stand die Reform des Jugendhilferechts. Er war Mitautor des Frankfurter Kommentars zum JWG, ist mit Abhandlungen zum Zeugnisverweigerungsrecht des Sozialarbeiters hervorgetreten. Zu ehren ist Von 1964 bis 1966, noch als Studierender, war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Völkerrecht, Staatsund Rechtsphilosophie der Universität München, nach seinem ersten Examen wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Rechtsgeschichte bei Sten Gagnér. Nach seinem zweiten Staatsexamen 1971 arbeitete er bis 1978 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Jugendinstitut in München, daneben nahm er Lehraufträge an der Hochschule der Bundeswehr wahr. Dies machte ihn bei seiner späteren Bewerbung an der ASFH verdächtig. 1971 heiratete er Inge Scherer. Sie schreibt mir hierzu: „Dies war der Beginn einer langen, ebenso streitbaren wie offenen Diskursgemeinschaft im Kleinen, auf der Basis des Kantischen „sapere aude“ als gemeinsamer Metasprache, jener Emanzipation, welche die Frage nach dem Primat des Matriarchats und/oder Patriarchats längst hinter sich gelassen hat. Sie wurde im Laufe der Jahre durch Hinzutreten der inzwischen erwachsenen Tochter Ariane, noch Jura-Studentin, nicht unwesentlich erweitert, vor allem hinsichtlich einer (noch) stärkeren Akzentuierung der Rechtstheorie und -philosophie.“ - ein Kollege mit breit gefächertem Oeuvre und einer hohen Identifikation mit unserer Hochschule - ein vorzüglicher Lehrer (bei den Lehrevaluationen wurde er ausgezeichnet) - ein gedankenreicher und witziger Kollege, der auch in den kaum erträglichen Abgründen gedankenarmer Gremiensitzungen niemals aufhörte und aufhört, an die menschliche Vernunft zu glauben, dabei stets mit dem Florett und niemals mit dem Säbel oder gar Holzhammer ficht. Dem Vorlesungsverzeichnis entnehme ich, dass trotz seiner Emeritierung Martin Grieser den Studierenden und den Kollegen der Fachhochschule als Lehrender erhalten bleibt. So kann ich weiter empfehlen: „Wenn Sie was lernen und die Dinge hinter den Dingen erfahren oder gar Erkenntnis gewinnen wollen, dann gehen Sie zu Grieser.“ Frank Judis Hochschullehrer / ASFH Jens Schneider steht für „Produktives Lernen“ Ich war vor kurzem als Referentin eingeladen beim Weltkongress der „International Society for Cultural and Activity Research“. Nun werden Sie sich fragen, was hat dies mit Jens Schneider zu tun? Wie sich herausgestellt hat sehr viel - dies jedenfalls meine Erfahrung. Das zentrale Thema war „Acting in changing worlds“, d. h. Lernen und Kommunikationsfähigkeit in einer globalen und interkulturellen Welt. Immer wieder wurde in Referaten, öffentlichen und informellen Diskussionen danach gefragt, wie wir die heranwachsende Generation befähigen können, sich diesen Herausforderungen erfolgreich zu stellen, wie wir die Zahl der jugendlichen Verlierer und Verliererinnen in unseren Gesellschaften verringern und möglichst alle erfolgreich integrieren können. 45 Ich ertappte mich dabei, wie ich bei den Gesprächen mit Psychologen, Anthropologen und Pädagogen aus den verschiedensten Ländern, die fast alle die Krise der Schule als der entscheidenden Sozialisationsinstanz beschworen, das Modell des ‚Produktiven Lernens‘ als ein mögliches und bereits vielfach bewährtes Erfolgsmodell beschrieb. Ich erntete viel Neugier, Nachfragen und Bitten um mehr Information. Russische Kollegen waren sehr erfreut als ich erwähnte, dass Leontev und Vigotski zu den theoretischen Vätern des Produktiven Lernens gehören, zumal sich auf dem Kongress einige Workshops mit ihrem Werk auseinandersetzten. Diese Erfahrung hat für mich erneut die Relevanz der langjährigen Arbeit von Jens Schneider illustriert und auch deutlich gemacht, dass er gemeinsam mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen von IPLE Pionierarbeit geleistet hat und noch weiter leistet. Offensichtlich hat er sich mit der Notwendigkeit der Veränderung des Schulsystems, der Frage, wie man Kinder und Jugendliche für das Lernen begeistern kann, und zwar gerade diejenigen, die sich der herkömmlichen Schule verweigern und/oder in ihr versagen, bereits zu einer Zeit beschäftigt als ‚PISA‘ noch für lange Jahre nur als italienische Stadt mit allerdings schiefem Wahrzeichen bekannt war. Einer breiteren Öffentlichkeit und vor allem politisch bekannt wurden diese Arbeiten mit der Bewilligung der finanziellen Mittel durch den Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses für den 4-jährigen Modellversuch ‚Die Stadt-als-Schule-Berlin‘. Dem waren schon etliche Jahre der wissenschaftlichen Beschäftigung mit alternativen Schulmodellen aus verschiedenen Ländern vorausgegangen und deren Anpassung und Weiterentwicklung an die Berliner Bedürfnisse. Und parallel dazu lief die letztlich alles entscheidende politische Überzeugungsarbeit, die sich in den kommenden Jahren noch intensivieren sollte. Und eigentlich hat sich dies bis heute nicht geändert. Der Kampf um die Einrichtung der ‚Stadtals-Schule‘ als Modellversuch, danach als öffentliche Versuchsschule und schließlich Regelschule war gleichzeitig die politische Schule von Jens Schneider, daraus erwuchs seine Durchsetzungsfähigkeit und schon berüchtigte Ausdauer sowie Hartnäckigkeit, die bei einigen Institutionen mit denen er verhandelte sprichwörtlichen Charakter haben soll. Ende der achtziger Jahre genügte sein Name um jedenfalls bei einigen Berliner Politikern beträchtliches Unwohlsein bis hin zu Fluchtreflexen auszulösen. Aber der Erfolg spricht für sich und vor allem auch die Verbreitung des damals entwickelten und immer weiter perfektionierten Modells, sei es 1990 durch die Gründung des Internationalen Netzwerks Produktiver Schulen, dem heute wohl über 50 Schulprojekte in 18 Ländern angehören und das durch zahlreiche Tagungen und Austauschprogramme die Weiterentwicklung und Verbreitung der Konzepte vorantreibt. Ein Herzstück hiervon ist das Projekt ‚Produktives Lernen in Europa‘, das seit 1992 von wechselnden Partnern, unter anderem dem Land Berlin, der EU, z. T. auch der Bun- 46 desregierung und heute auch weiteren Ländern wie Brandenburg oder Sachsen gefördert wurde und wird und das heute in der aus ‚PLEBS‘ (Produktives Lernen an Berliner Schulen) entwickelten Form vermittelt wird. Lernen soll sich dabei aus produktiven Tätigkeiten ganz verschiedener Art entwickeln, aus gewolltem und gewünschtem Tun, das Vertrauen in das eigene Können und die eigenen Fähigkeiten gibt. Ein Grundsatz, den man sich für viel mehr Lernsituationen nicht nur im schulischen Bereich wünscht. Und die öffentliche und politische Anerkennung ist seit langem da, wie gerade auch ‚PLEBS‘ zeigt, das ‚Produktives Lernen‘ als Teil des schulischen Alltags an 13 Berliner Schulen installierte. Und ich erinnere mich gerne an verschiedene Veranstaltungen mit begeisterten SchülerInnen, die mit leuchtenden Augen über ihre ganz verschiedenen Tätigkeiten und was sie weiter machen und lernen wollten, sprachen. Eigentlich müssten auch noch die durch IPLE initiierten Lernwerkstätten hier ihren gebührenden Platz bekommen oder die im Rahmen der verschiedenen europäischen wie Berliner Schulen entwickelten „Schülerfirmen“ wie z. B. Gastronomie, Gartenbau, Lokales Fernsehen. Ich kann die inzwischen publizierten Bücher von Jens Schneider und Ingrid Böhm, seiner langjährigen Mitarbeiterin, über die genannten Projekte aufrichtig empfehlen. Sie sind in drei Sprachen erschienen. Von Seiten der ASFH haben wir frühzeitig die Wichtigkeit der Aufgaben um das „Produktive Lernen“ erkannt und für eine Freistellung gesorgt. Hier wird deutlich, dass ich bisher praktisch nur über die Arbeit von Jens Schneider außerhalb der ASFH berichtet habe. Die langen engagierten Hochschullehrerjahre, in denen Jens Schneider vor allem die Wichtigkeit sozialpädagogischer Arbeit in der Schule vermittelte, bleiben damit aus Platz- und Zeitgründen fast unerwähnt. Die Menschen der Alice Salomon Fachhochschule werden die Arbeit des An-Institutes ‚IPLE‘ auch weiterhin engagiert begleiten. Des Weiteren würde ich mir wünschen, dass irgendwann die Frage des Handwerkers, der vor etlichen Jahren das erste Schild für IPLE im Dachgeschoss unseres damaligen Verwaltungsgebäudes in Schöneberg anbrachte, klar beantwortet wird: Er stand nachdenklich vor dem von ihm befestigten glänzenden Schild und fragte mich damals: „Institut für Produktives Lernen? Gibt es eigentlich auch unproduktives Lernen?“ Christine Labonté-Roset Rektorin / ASFH Der kreative Senior Expert - Lutz von Werder Alice: Lieber Lutz von Werder, Sie sind seit 28 Jahren als Hochschullehrer an der Alice Salomon Fachhochschule tätig, sie haben Kinderläden gegründet und haben 30 Bücher geschrieben. Mit einem Magisterstudium in Philosophie begann Ihr 40-jähriger Aufstieg zum heutigen Radiophilosophen im Westdeutschen Rundfunk (WDR). Seit 10 Jahren moderieren Sie philosophische Cafés. Und jetzt gehen Sie und bleiben doch als Senior Expert der ASFH für den Masterstudiengang „Biografisches und kreatives Schreiben“ erhalten. Was waren die wichtigsten Stationen in Ihrem Hochschullehrerleben? Lutz von Werder: Die erste Station war sicherlich die Erfahrung mit meinem Erststudium - Philosophie. In dieser Zeit hat mich insbesondere die Existenzphilosophie berührt. Eine Diplom-Bibliothekars-Ausbildung wurde dann zu meinem ersten festen beruflichen Standbein. Mit dieser beruflichen Verortung ging ich meine wissenschaftliche Qualifizierung und mein politisches Engagement an. Ich wurde Mitglied des SDS (der Sozialistische Deutsche Studentenbund), also ein richtiger 68er. Ich gründete unter anderem einen proletarischen Kinderladen und die Zeitschrift „Erziehung und Klassenkampf“. Nach meinem Magister in Philosophie promovierte ich dann über das Thema „Von der antiautoritären zur die proletarischen Erziehung“. Meine nächste Station führte mich zur Poesie und Schreibtherapie. Es folgte das kreative Schreiben und das wissenschaftliche Schreiben. Wichtig wurde die Balint-Gruppe für HochschullehrerInnen an der ASFH. Die Balint-Gruppe ist 1985 gegründet worden. Wir arbeiteten unsere didaktischen methodischen Studentenbeziehungsprobleme tiefenpsychologisch auf, bearbeiteten also unseren pädagogischen Eros. Das hochschuldidaktische Zentrum wurde in der dritten Station gegründet. Während der Rektoratszeit von Reinhard Wolff wurde deutlich, dass die Innovationen des Lehrens und Lernens insbesondere in Amerika entwickelt wurden. Die ASFH sollte aufschließen. Eine neue Fachhochschuldidaktik wurde aus der Taufe gehoben, die heute im „Zentrum für Weiterbildung, Hochschuldidaktik und Berufsfeldforschung“ ihr neues Zuhause gefunden hat. Zum anderen wird im Wintersemester 2006/2007 an der ASFH der erste Masteraufbaustudiengang „Biografisches und kreatives Schreiben“ in Deutschland eröffnet. Alice: Wie haben Sie sich am Anfang Ihres Hochschullehrerlebens gesehen und wie sehen Sie sich nach einer 30-jährigen Lehrund Forschungstätigkeit? Lutz von Werder Am Anfang habe ich mich erstmal gefreut, dass ich einen Ruf als Hochschullehrer auf Lebenszeit bekam und mich mit Eifer in die Geschäfte der Lehre und Forschung im Fach Sozialisation gestürzt. In der Krise der Lebensmitte bezog ich mich dann primär auf ausgewählte Philosophen. Insoweit flossen unterschiedliche philosophische Aspekte in meine Seminare ein. Die philosophischen Lehrinhalte wurden von Studierenden mit großem Interesse aufgenommen, insbesondere weil die Sinnfrage in den Berufsfeldern der Sozialen Arbeit und Gesundheit mehr und mehr in den Vordergrund rückt. Meine Ausrichtung weist natürlich auch in die Zukunft und zukünftig sehe ich mich mit Zeiten konfrontiert, die im Kontext der Krise des Lebensendes stehen, also ganz andere Belastungen mit sich bringen wird. Insoweit bin ich wild entschlossen dieser neuen Herausforderung einer Bewältigung „der Krankheit zum Tode“, wie Kierkegaard sagt, nachzukommen. Alice: Was hat Sie an der Wissenschaft begeistert und wie wollen Sie die Lust an der Wissenschaft fortsetzen? Lutz von Werder: Das erste, was mich an der Wissenschaft begeistert hat, war die Philosophie, die Königin der Wissenschaften. Es hat mich fasziniert, dass allgemeines Denken zur Erhellung der eigenen Existenz und zu einer Abklärung der eigenen Sinn- und Lebensmöglichkeiten führen kann. Was mir auch heute in Sachen Wissenschaft vor Augen steht, ist ein Ausspruch von Epikur, der gesagt hat: eine Philosophie oder eine Wissenschaft, die nicht einen Beitrag zur Erlösung vom Leiden leistet, ist schlicht und ergreifend überflüssig. Genau das wäre meine jetzige Position. In Deutschland gibt es neun Millionen depressive Menschen, die Tendenz steigend. Wir wissen heute, dass psychosomatische Störungen massiv auf dem Vormarsch sind, deshalb interessieren mich heute insbesondere die Konzeptionen der Aufhebung des Leidens in den Weltphilosophien. Alice: Wer hat Sie im Laufe Ihrer Hochschullehrertätigkeit im an der ASFH besonders unterstützt? Lutz von Werder Elke von der Haar hat mir innovative Beratungskonzepte vermittelt. Das Rektorat unter Reinhard Wolff und Martin Grieser gab mir die Möglichkeit ein hochschuldidaktisches Zentrum aufzubauen. Natürlich ist unübersehbar mein Mittun in der Balint-Gruppe, wo ich mit Heinz Cornel, Wolfgang Wendtland und Britta Haye, Brigitte Geißler-Piltz und vielen anderen in einen psychischen, psychosomatischen, wissenschaftlichen und existentiellen Austausch getreten bin. Das Rektorat unter Christine Labonté-Roset, Brigitte Geißler-Piltz und Jutta Räbiger hat sich aktiv für den Masterstudiengang „biografisches und kreatives Schreiben“ eingesetzt. Ingrid Kollak war meine Yogalehrerin und hat mir die Verwandtschaft und Differenz zwischen Sozialarbeitswissenschaft und Pflegewissenschaft näher gebracht. 47 Alice: Sie werden den Masterstudiengang „Biografisches und kreatives Schreiben“ als Senior Expert begleiten. Der Tagesspiegel titelt in einem Artikel vom 29.09.2005 Ihren Masterstudiengang mit „Schreiben ist gesund“. Welches Selbstverständnis vertritt der Masterstudiengang „biografisches und kreatives Schreiben“? Lutz von Werder: Es ist richtig, Schreiben hat eine weit unterschätzte Wirkung auf die Gesundheit. Der Masterstudiengang „biografisches und kreatives Schreiben“ wird sich aber daran messen müssen, inwieweit er die Studierenden in die Lage versetzt, das wachsende gesellschaftliche Leiden zu lindern. Es soll durch seine kreativen Techniken Gesundheitsprävention – und Förderung sowie kreative und philosophische Lebensgestaltung vermitteln. Die Studierenden erwerben die Fähigkeit kreativ zu Denken, eine eigene Lebensphilosophie zu entfalten, sowie eine autobiografische und philosophische Selbstanalyse zu ent- werfen. Diese Fähigkeiten werden Sie dann in ihren Berufsfeldern Pflege und soziale Arbeit umsetzen können. Alice: Was steht noch alles auf Ihrem Lebensplan? Lutz von Werder: Ein Standbein ist der Senior Expert an der ASFH, das andere stellt der WDR 5 dar, wo ich als Radiophilosoph tätig bin. Doch die tatsächlich gewonnene Freiheit werde ich wohl auf inspirativen Reisen erleben, auf denen ich die Weltphilosophien nicht nur aus Büchern, sondern live erleben möchte, um mich im nächsten Schritt als Reiseschriftsteller und philosophischer Autor zu vervollkommnen. Herr Prof. Dr. habil. Lutz von Werder, wir danken Ihnen für das Gespräch. Andreas Brüning Pressereferent / ASFH Juristin gefragt? amtliche Mitarbeit in der Kindervereinigung e.V. Frankfurt/Oder); Liebe Studierende, MitarbeiterInnen und KollegInnen sowie HochschullehrerInnen! Viele von Ihnen werden mich bereits kennen... Durch die Mitwirkung beim Aufbau und der Strukturierung des Studierendencenters an der Alice Salomon Fachhochschule Berlin sehe ich mich mit vielschichtigen Herausforderungen - auch jenseits juristischer Fachfragen – betraut. Schon während meines Studiums an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, an der Humboldt-Universität zu Berlin und der späteren Referendartätigkeit am Oberlandesgericht Rostock schien mir die spätere berufliche Festlegung auf ein einzelnes, rein juristisches Fachgebiet zu einseitig. Daher freue ich mich, bei diesem anspruchsvollen und abwechslungsreichen Aufgabenspektrum meine bisherigen juristischen und nicht-juristischen Erfahrungen umfassend bei: - der Klärung juristischer Fachfragen (Interessenschwerpunkte Arbeitsrecht und Öffentliches Recht, Weiterbildung Wirtschaftsrecht; diverse praktische Tätigkeiten u. a. im Öffentlichen Dienst bzw. am Oberverwaltungsgericht Berlin); - Organisation, Strukturierung, kreativen Prozessen (Vertrags- und Angebotsmanagement bei SAP-Deutschland; Mitarbeit in verschiedenen Kanzleien in Tel Aviv, Berlin, Hamburg, bei Daimler Benz Interservices in Stuttgart; Konzertgitarrenausbildung; Öl-Malerei); - der sozialpolitischen Fachausrichtung der ASFH (Referendartätigkeit am Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung und am Robert-Koch-Institut; mehrjährige Verwaltungstätigkeit in einer Arztpraxis; ehren- 48 - Interessenvertretung von Hochschule und Studierenden (Publikation in der Zeitschrift JA-„Juristische Arbeitsblätter“; Assistenztätigkeit am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Mitglied des Fachschaftsrates an der Europa-Universität Viadrina) - interkulturellen Fragestellungen (internationale Austauschprogramme in Frankreich/Schweiz: Ausbildung und Einsatz als Gruppenleiter für Kinder und Jugendliche in Paris, Boyardville, Adelboden; studienbegleitender Aufenthalt in Israel: Internationales Privatrecht Kanzlei Joel-Levi & Co., Tel-Aviv) einbringen zu können. Nicht zuletzt möchte ich diese Gelegenheit nutzen, mich bei allen MitarbeiterInnen, KollegInnen und Studierenden, den HochschullehrerInnen sowie der Hochschulleitung für die Unterstützung während meiner Einarbeitung an der ASFH zu bedanken. Ich freue mich auf die kommenden Aufgaben und auf die weitere kompetente und konstruktive Zusammenarbeit. Cathleen Lang Leiterin des Studierendencenter /ASFH Praxis Die Hartz IV - Gesetzgebung in Aus- und Weiterbildung der Sozialen Arbeit Die so genannte Hartz IV- Gesetzgebung („Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt”) bringt mit dem SGB II ab 2005 einen neuen Leistungsbereich in das Sozialgesetzbuch, die „Grundsicherung für Arbeitssuchende”. Das SGB II kombiniert die bisherige „Hilfe zum Lebensunterhalt” des BSHG mit der bisherigen „Arbeitslosenhilfe” des SGB III in einem neuen Leistungsgesetz. Es gilt ausschließlich für erwerbsfähige Hilfebedürftige, auch wenn sie werdende Mütter, Schüler oder Koma-Patienten sein sollten; es gilt für deren Angehörige und es sichert das Existenzminimum. Parallel erfolgte die Neuordnung des Sozialhilferechts mit dem neuen SGB XII. Nur wenige Hilfebedürftige können sich nun noch für die eher theoretisch weiterhin mögliche „Hilfe zum Lebensunterhalt” nach dem SGB XII qualifizieren. Im folgenden wird erläutert, welche besonderen Akzente die Hartz IV – Gesetzgebung setzt und wie sie sich auf die Praxis und auf die Aus- und Weiterbildung der Sozialen Arbeit auswirkt. 1. Welche Akzente setzt die Hartz-IV Gesetzgebung ? Das SGB II als zentrales Element der Hartz IV - Gesetzgebung setzt die Priorität auf die Eingliederung der Hilfebedürftigen „in Arbeit”. Für diese Eingliederung stehen gezielt Maßnahmen aus dem Katalog des Arbeitsförderungsrechts, des SGB III, zur Verfügung. Eigenbemühungen des Hilfebedürftigen werden für die Eingliederung in Arbeit mit besonderem Nachdruck eingefordert. Die Existenzsicherung der Hilfebedürftigen - sie erfolgt über Arbeitslosengeld II und Sozialgeld - steht im SGB II systematisch erst an zweiter Stelle. Praktisch kommt aber der Zahlung dieser Leistungen die alles überragende Rolle zu. Als für das SGB II zuständige Behörden wurden sogenannte Arbeitsgemeinschaften (ARGEs) zwischen der Bundesagentur für Arbeit und den kommunalen Trägern bei den Job-Centern der lokalen Agenturen für Arbeit eingerichtet - es sei denn, bestimmte Kreise oder kreisfreie Städte haben die Option erhalten, ohne Beteiligung der Bundesebene selbst regionale Träger zu sein. Für das SGB XII bleiben grundsätzlich die bisherigen Sozialhilfeträger und - ämter zuständig, aber sie „verlieren“ die meisten ihrer hilfebedürftigen Kunden. Im Bezirksamt Lichtenberg von Berlin beispielsweise verblieben von den Hilfebedürftigen nur 20 %; die restlichen 80 % hatten für einen SGB II-Leistungsbezug zur zuständigen ARGE zu wechseln. Da die Erwerbsfähigkeit als Leistungsvoraussetzung unterstellt wird, wurde bei der Umstellung auf das SGB II eine gewisse Grauzone von „Scheinerwerbsfähigen” erzeugt, die genaugenommen nicht den SGB II – Leistungen zugeordnet werden können. Das neue SGB II konstruiert die Existenzsicherung größtenteils wie die „Hilfe zum Lebensunterhalt” im Sozialhilferecht: es gibt eine „Regelleistung” - im Sozialhilferecht heißt es „Regelsatz” - es gibt Mehrbedarf - etwa für werdende Mütter und Alleinerziehende - und es gibt Leistungen für die angemessene Unterkunft. Abgeschafft wurden im SGB II aber Öffnungsklauseln für zusätzlichen Sonderbedarf, beispielsweise für regelmäßige Fahrten zu einem inhaftierten Angehörigen. Abgeschafft wurde auch die Möglichkeit etwa Kleidung oder Haushaltsgegenstände zusätzlich als einmalige Bedarfe geltend zu machen. Die in der öffentlichen Diskussion umstrittenen Regelungen zur Zumutbarkeit von Arbeit entsprechen denen im bisherigen Sozialhilferecht. Gleiches gilt für die Bedarfs-, Einsatz- bzw. Haushaltsgemeinschaften im neuen SGB II. Neu ist dabei, dass dem Lebenspartnerschaftsgesetz Rechnung getragen wird. Die Höhe der Leistungen im SGB II kann nicht, wie es im Sozialhilferecht der Fall ist, unter Einbeziehung besonderer Umstände und Verhältnisse nach dem Bedarfdeckungsgrundsatz individuell gesteuert werden. Der Bedarfsdeckungsgrundsatz des Sozialhilferechts findet im SGB II keine ausdrückliche Stütze. Der Paradigmenwechsel, der mit der Einführung des SGB II einhergeht, verschiebt den Akzent staatlicher Existenzsicherung von der bedarfsdeckenden Gewährleistung des soziokulturellen Existenzminimums im Sozialhilferecht hin zur individuellen Eingliederung des Hilfebedürftigen in Arbeit - bei Gewährung eines budgetierten, abgesenkten Existenzminimums. 2. Welche Auswirkungen hat die Hartz IV-Gesetzgebung auf die Praxis der Sozialen Arbeit ? Die Abkehr von der Bedarfsdeckung und die Hinwendung zu eigeninitiativen, aktiven Anspruchsberechtigten („ich sorge für mich”) in der sich straff modernisierenden Sozialverwaltung - in Berlin wurde dafür das Programm „Sozialamt 2005“ gestartet - verwandelt auch den Aufgabenbereich des Sozialarbeiters, der als Teil der öffentlichen Verwaltung tätig ist. Beispielsweise wird der Allgemeine Sozialdienst im Sozialamt durch kosten- und produktbewusste Fallmanager ersetzt, die auch Sozialarbeiter sein können. Die Fallmanager (Steuerungskompetenz, Verantwortungskompetenz, Entscheidungskompetenz) bieten den Hilfebedürftigen ein fest umrissenes Budget an - und ihre Beratung. Gleichzeitig sind Fallmanager ihrem Arbeitgeber zu Kosteneinsparungen verpflichtet. Nur dies rechtfertigt die arbeitsrechtliche Höhergruppierung der Fallmanager. Sie sind Teil der Verwaltung und nicht mediatorisches Zwischenglied zu den Hilfebedürftigen. Dem Trend zum Fallmanagement folgt auch die Hartz IV – Gesetzgebung. Aus- und Weiterbildung liegen richtig, in diesem Zusammenhang Qualifizierungen für das Fallmanagement bereitzuhalten. Traditionell ist Soziale Arbeit der umfassenden sozialen Eingliederung und nicht allein der Minderung der Arbeitslosig- 49 keit verpflichtet. Soziale Arbeit findet oftmals dort statt, wo die Existenzsicherung des SGB II als ein Mittel sozialer Eingliederung unbedingt benötigt wird. Immerhin hat die Auswertung eines Mikrozensus (2315 schriftlich befragte Haushalte) der Stadtforschungsgruppe „Topos” durch den Soziologen Sigmar Gude repräsentativ für Kreuzberg (Luisenstadt, Graefekiez, Bergmannstraße-Nord) im Mai 2005 ergeben, dass sich nur 13 % der Leistungsbezieher im Kiez nach der Einführung der Harz IV-Regelungen materiell besser gestellt sehen. Über 54 % der Kiezbewohner fühlen sich dem gegenüber durch die Neuregelungen schlechter gestellt. Viele Neuregelungen der Hartz IV-Gesetzgebung sind eigenartig. Sie bedürfen in der Praxis Sozialer Arbeit der Vermittlung an die betroffenen Hilfebedürftigen. Eine kontinuierliche Fort- und Weiterbildung der Berater und Beraterinnen kann die Qualität der Dienstleistung auf diesem Gebiet außerordentlich stützen. Dafür hier nur drei Beispiele: Kompliziert war im SGB II die anfängliche Regelung der Einkommensanrechnung für erwerbstätige Hilfebedürftige. Ein Zuverdienst der Hilfebedürftigen, etwa durch Prospektverteilen, war ohne jegliche Empathie des Gesetzgebers ab dem ersten Euro in komplexen und aus dem Gesetz kaum nachvollziehbaren Rechenschritten anzurechnen. Durch eine ab Oktober 2005 in Kraft tretende Gesetzesänderung – die als „höhere Freigrenze“ für Hinzuverdienende von der Regierung kommuniziert wird – ist es nunmehr möglich, das anzurechnende Erwerbseinkommen überschaubar auf der Rückseite des Bierdeckels zu berechnen. Praktischer Beratungsbedarf für Hilfebedürftige kann sich derzeit auch aus der neuen Familienförderung ergeben. Der mit der Hartz IV- Gesetzgebung eingeführte neue Kinderzuschlag nach § 6a des Bundeskindergeldgesetzes in Höhe von monatlich „bis zu 140 Euro“ soll, so die Gesetzesbegründung, die Armut von Kindern vermindern – allerdings wurden zuvor die „Armutsgrenzen“ (nämlich die SGB II Regelleistungen für Kinder und Jugendliche) abgesenkt. Die neue Sozialleistung kann bei Familien mit niedrigerem Einkommen den Leistungsbezug nach dem SGB II drei Jahre lang entbehrlich machen - wenn das Familieneinkommen den Bedarf der Kinder nicht vollständig deckt. Die Kinderzuschlag-Regelung des Bundeskindergeldgesetzes ist nur mit Kenntnis des SGB II verständlich. Danach ist nämlich zu berechnen, in welchem Fall der Kinderzuschlag (zu beantragen bei der Kindergeldkasse der Agentur für Arbeit und nicht bei den SGB II - Trägern) in Betracht kommen kann und in welchem nicht. Allerdings werden nun bei der Berechnung des Kinderzuschlages die Kosten der Unterkunft der Familie abweichend von der SGB II-Praxis angesetzt, nämlich nach dem „letzten Armutsbericht der Bundesregierung” (BT-Drs. 15/2462). Höhere Einkommensschichten werden dadurch bevorzugt. Da das Berechnungsprogramm der SGB II-Leistungsträger derzeit nicht in der Lage ist, Antragssteller bei einem möglichen Bedarf für Kinderzuschlag an die zuständige Kindergeldkasse zu verweisen, besteht die Gefahr, dass Hilfebedürftige 50 ohne entsprechende Beratung ihre Leistungsberechtigung für Kinderzuschlag gar nicht erkennen (zum Kinderzuschlag und Beispiele zu dessen Berechnung Kievel / Lehmann-Franßen, Paradigmenwechsel bei den Leistungen, 2. Aufl. 2005). Als letztes Beispiel von problematischen Neuregelungen durch die Hartz-IV Gesetzgebung für die Hilfebedürftigen seien die nach § 15 SGB II eingeführten Eingliederungsvereinbarungen für die Eingliederung in Arbeit erwähnt. In diesen Vereinbarungen werden Eingliederungsleistungen der Behörden und Eigenbemühungen der Hilfesuchenden in verbindlichen, öffentlich-rechtlichen Verträgen festgelegt. Die Vereinbarungen dienen letztlich dazu, von Hilfebedürftigen unter Sanktionsandrohung die Zustimmung zu einem vertraglich geregelten Verhalten einzufordern. Bisher waren öffentlich-rechtliche Verträge mit individuellen Leistungsempfängern im Sozialrecht nicht üblich und es gibt auch gegen solche Verträge keine Möglichkeit für effektiven Rechtsschutz durch Widerspruch und Klage (vgl. aber Lehmann-Franßen, Neue Zeitschrift für Sozialrecht, Oktober-Heft 2005). Bedarf an unabhängiger sozialarbeiterischer Beratung besteht, wenn es darum geht, was Hilfebedürftige in solchen Eingliederungsvereinbarungen verbindlich unterschreiben sollten, und was nicht, um einen Leistungsentzug zu vermeiden. 3. Welche Auswirkungen hat die Hartz IV-Gesetzgebung auf die Aus- und Weiterbildung der Sozialen Arbeit ? Die bisherige Thematisierung des Sozialhilferecht lässt sich bei Lehr- und Weiterbildungsveranstaltungen größtenteils durch eine der neuen SGB II und SGB XII ersetzen. Die neuen Regelungen sind gleichwohl komplexer und unterliegen weiterhin Veränderungen und Neueinschätzungen. Wegen der überragenden Bedeutung als existenzsichernde Leistungen mag dem SGB II zunächst Priorität beim Einstieg in soziales Leistungsrecht zukommen. Die Anwendung des neuen SGB II auf Übungsfälle, die bisher nach dem Sozialhilferecht gelöst wurden, ergab einen um etwa 30 % erweiterten Lösungsumfang gegenüber den Bearbeitungen nach bisherigem Recht. Für die Nachvollziehbarkeit von Beispiels- und Klausurfällen ist deshalb die Reduzierung von lebensnaher Komplexität nötig. Eine Patchwork-Familie kann schon den zeitlichen Rahmen einer Klausur sprengen, bei der ein Leistungsanspruch auf Arbeitslosengeld II und Sozialgeld errechnet werden soll. Aufgabe der Sozialrechtsaus- und weiterbildung muss es sein, Soziales Leistungsrecht als ein System zu vermitteln und Strukturen aufzuzeigen, die auch Gesetzesänderungen überdauern und Grundlage für aktuell zu bildendes Spezialwissen sein können. Besonders für das Sozialrecht gilt, dass es in der Ausbildung der Sozialen Arbeit nachvollziehbar und diskutierbar sein muss. Interessant ist dabei, neue Formen, wie das e-learning, in Einsatz zu bringen. So wurde an einer Fachhochschule das SGB X (Verwaltungsverfahrensrecht) in einem Studienprojekt als spannendes Online-Computerspiel ansprechend verpackt. An der Herstellung beteiligt waren, so berichtete die verantwortliche Professorin, neben den Studierenden auch Cartoonzeichner, Theaterpädagogen, über einen Zeitraum von mehreren Semestern und mit Geld aus Brüssel. Die Stories dieses Lernspiels waren gut (aus der sozialarbeiterischen Praxis) und die Testfragen der einzelnen Stationen „tough“ - aber das Spiel wurde nicht ohne Stolz gerne über mehrere Tage oder Wochen bis zur letzten Story gespielt. Eine verantwortungsvolle Sozialrechtsausbildung geht auf die in der Praxis allgegenwärtige Verzahnung von materiellem Leistungsrecht mit dem „grau-theoretischen“ Verfahrensrecht ein. An einigen Fachhochschulen wird das neue Recht des SGB II mit dem Verwaltungsverfahrensrecht gezielt in einem kombinierten Seminar oder in aufeinander abgestimmten Veranstaltungen vermittelt. Das Ineinandergreifen von Sozialleistungsrecht mit Verfahrensrecht aufzuzeigen ist deshalb sinnvoll, weil vielleicht die Hälfte aller Streitfälle allein auf der inkorrekten Anwendung allgemeiner Vorschriften des Verfahrensrechts beruhen. Für die Ausund Weiterbildung resultiert aus der Hartz IV-Gesetzgebung ein besonderes Eingehen auf das Verfahren vor den Sozialgerichten. Dabei hat der einstweilige Rechtschutz eine wichtige Rolle zu spielen. Das Sozialgericht Berlin zeigt sich bei Besuchen von Seminargruppen übrigens kooperativ und diskussionsbereit. 4. Resümee Abschließend ist zu resümieren, dass die Hartz IV- Gesetzgebung ein markantes Element im rechtlich formulierten System der Sozialen Sicherung darstellt. Die Hartz IV-Gesetzgebung hat dazu geführt, das Bewusstsein für Sozialrecht zu sensibilisieren und die Nachvollziehbarkeit sozialer Gerechtigkeit einzufordern. Das System der sozialen Sicherung ist ein wichtiges Instrument der sozialarbeiterischen Praxis. Die Aus- und Weiterbildung der Sozialen Arbeit darf sich diesem rechtlichen System verbunden fühlen und es kritisch nicht nur bei Neuerungen und Veränderungen begleiten. Nils Lehmann-Franßen Anmerkung der Redaktion: Gemeinsam mit Winfried Kievel von der Katholischen Hochschule für Soziales Berlin hat Nils Lehmann-Franßen eine bundesweit beachtete, umfangreiche Einführung in das neue SGB II und das neue SGB XII für die Aus- und Weiterbildung in der Sozialen Praxis erarbeitet. Das 300-seitige Werk mit dem Titel „Paradigmenwechsel bei den Leistungen“ erschien als stark erweiterte Neuauflage am 13. Oktober 2005. Es enthält im Anhang über 20 Übungsund Klausurfälle mit ausführlichen Lösungsvorschlägen und Gesetzes- und Verordnungstexten auf dem neuesten Stand. Das Buch kostet 11.- Euro und ist unter der ISSN 1436-6975 im Buchhandel oder direkt bei der KHSB, Schriftenstelle, Köpenicker Allee 39-57, 10318 Berlin, bestellbar. 51 Leben „Im Augenblick, wo man in völliger Dunkelheit steckt, belebt sich das Dunkel.“ Kurt Tucholsky Im Dunkeln dippen Dunkelrestaurants in Berlin bieten Langzeitarbeitsplätze für Sehbehinderte Verzichten sie für einen Moment auf Ihre visuelle Vorstellungskraft. Sie betreten einen dunklen Raum, in dem sie weder die Hand vor Augen, noch kleinste Lichtquellen sehen können. Die Geräusche von Gabeln, die auf Tellern klimpern, klirrende Gläser, die gelegentlich mit anderen Gegenständen zusammenstoßen, das Plaudern der Gäste und nicht zuletzt die Gerüche von würzigen oder süßen Speisen versichern Ihnen jedoch, dass sie sich in einem Restaurant befinden: Im Nocti Vagus oder der unsicht-Bar in Berlin–Mitte. Das Nocti Vagus, auf lateinisch „Nachtschwärmer“ und die unsicht-Bar, bieten neben kulinarischen Genüssen für Sehende die Möglichkeit, die oft vernachlässigten Sinne Tasten, Riechen, Schmecken und Hören anzuregen und zu schärfen. Auf der Speisekarte lesen sie z.B. „Knusprige Bröselei auf feinem Bad aus Hülsenfrucht“ und nur ihr Geschmackssinn wird Ihnen das dahinter stehende Geheimnis lüften. Nachdem der Dipp zum Brot ertastet, das Currypulver in die Nase aufgestiegen ist, die Tischnachbarn erhört und das Dessert nicht immer richtig erschmeckt wurde, wird man wieder in das Licht der Lounge geführt. Hinaus aus der wohligen intimen Dunkelheit in die Welt der Sehkraft. Und vielleicht fällt Ihnen ja auf dem Nachhauseweg der Geruch der Kastanienblüten auf! Durch das zeitliche Ausblenden des am häufigsten gebrauchten Sinnesorgans, werden die Besucher zu neuen Wahrnehmungs- und Kommunikationsweisen eingeladen. An einem Ort, in dem es keine sichtbaren Grenzen und keinen Horizont gibt, wird Raum nur durch Geräusche und Sprache erlebbar. Die Lounge der unsicht-bar 52 Die Dunkelheit ist schier unendlich. Schweigt alles, ist man allein und scheinbar isoliert. Die Tatsache im Dunkeln Das Menü darf man noch im Hellen bestellen. zu verweilen, führt aber nur bei wenigen Menschen zu Angst und Verunsicherung. Im Dunkelrestaurant wird der Gast von Fachleuten durch den Raum geleitet, für die die nächtliche Dunkelheit Alltag ist: von Blinden und Sehbehinderten. Das Nocti-Vagus trumpft mit einem witzigen Loungebereich auf und die professionellen Kopfhörer der KellnerInnen geben dem Ambiente etwas Virtuelles. In der unsicht-Bar regiert das pädagogische Du und bei Verspannungen im Schulterbereich hilft der Kellner gerne mit seinen physiotherapeutischen Fähigkeiten aus. Die privat betriebenen Erlebnisgastronomien sind somit integrative soziale Unternehmen, die blinden und sehbehinderten MitarbeiterInnen Langzeitarbeitsplätze als Kellner und Empfangspersonal sichern. Auf der anderen Seite werden bei den Gästen Berührungsängste mit blinden und sehbehinderten Menschen abgebaut, denn wer hier im Dunkeln tappt, ist im Dunkelrestaurant auf Hilfe angewiesen, auf Profis, die sich sicher und gewandt um Tische und in Richtung Ausgang bewegen können. In der Welt der Dunkelheit werden die Realitäten in der Gesellschaft für einen Abend umgekehrt. Die Kellner, Dieter oder Hedi, werden für ein paar Stunden zu unersetzbaren Freunden. Weitere Infos www.unsicht-bar.de www.noctivagus.de Blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen finden ihre Tätigkeitsfelder zumeist in physiotherapeutischen Praxen und/oder im Öffentlichen Dienst. In der Erlebnisgastronomie des Nocti Vagus und der unsicht-Bar in Berlin werden ArbeitnehmerInnen mit Sehbeeinträchtigungen geradezu gesucht. Sie durchqueren Räume im Dunkeln zielsicher und servieren Weißwein oder 3Gänge-Menüs mit unsichtbarer Eleganz. Volker Lenk vom Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverein Berlin e.V. begrüßt die Erweiterung des Berufsspektrums für Blinde und Sehbehinderte sowie die Sensibilisierung für den Themenkomplex „Blindheit“. In Berlin gibt es ca. 6000 blinde und ca. 20.000 hochgradig sehbehinderte Menschen. Sie sind u. a. in den für Blinde und Sehbehinderte neuen Berufszweigen als Call Center Agent, Programmierer oder als Juristen tätig. Nadin Tettschlag und Daniel Pilgrim Studierende / ASFH Rückblick Fünf Jahre Alice-Salomon-Archiv im Archiv- und Dokumentationszentrum für soziale und pädagogische Frauenarbeit • den Austausch zwischen Fachschulen, Fachhochschulen, Universitäten und der sozialpädagogischen Praxis zu fördern. Was wurde erreicht? Als 1998 die Alice-Salomon-Fachhochschule aus dem Areal des Pestalozzi-Fröbel-Hauses in Schöneberg auszog, war In den zurückliegenden fünf Jahren ist deutlich geworden, das Pestalozzi-Fröbel-Haus daran interessiert, den Teil sei- welche Wichtigkeit und welche Möglichkeiten das Archiv hat. ner Geschichte nicht aus dem Auge zu verlieren, den das Dabei war eine Balance zwischen den verschiedenen ArbeitsHaus III, die Soziale Frauenschule (Alice-Salomon-Schule) feldern zu wahren: der Archivierung und Betreuung der dargestellt hat. Gleichzeitig war es das Interesse der Fach- Bestände, der Beratung der Benutzer und der öffentlichen hochschule, mit dem Verlassen des Gründungsstandortes Präsentation durch Veranstaltungen, Forschungsbeiträge ihrerseits ihre historischen Wurzeln in Erinnerung zu halten. und online Service. Einige PFH und ASFH verständigder wichtigsten Ergebnisse ten sich deshalb, das einstsollen hier kurz umrissen malige Arbeitszimmer von werden: Alice Salomon mit Sekretariat und Konferenzraum Für die Sicherung und (heute, nach Umbauten in Erschließung der Bestände den 70er Jahren, Raum 111 ist ein Gesamtkonzept entin Haus III) den historischen wickelt worden, eine DatenInteressen entsprechend bank ist im Aufbau, mit der nutzbar zu machen und für Digitalisierung kleinerer die Archivnutzung zu renoBestände wurde begonnen. vieren. Dabei wurden die Die Bestände wurden alten Decken freigelegt ergänzt und erweitert, und die ehemaligen Glastübesonders durch Materen rekonstruiert, so dass rialien von und zu Alice heute die ursprüngliche Salomon: eine nahezu vollRaumstruktur wieder deutständige Sammlung ihrer lich erkennbar ist. Beide Schriften, eine erste SammArchive bezogen den Raum lung von Korrespondenzen, 111 und bilden gemeinsam u.a. äußerst seltene Briefe das Archiv- und Dokumenvon Alice Salomon aus den tationszentrum für soziale Exiljahren an Familienanund pädagogische Frauengehörige – eine Schenkung arbeit. Den Namen entlehnvon Ilse Salomon Eden (Berten sie der „Akademie für keley) –, die dem Alice-Salosoziale und pädagogische mon-Archiv vom Leo Baeck Frauenarbeit“, die in den Institute New York als Dau20er Jahren des vergangeerleihgabe übergeben wurnen Jahrhunderts, von Alice den. Salomon gegründet und geleitet, eine hochschulmäDas Archiv wurde für ßige Fortbildung für Frauen Die Alice-Salomon-Schule um 1915 (PFH Haus III) Recherchen zu Forschungsanbot und das erste bedeuund Studienzwecken von tende empirische Frauen- und Familienforschungsprojekt in Einzelnen und Gruppen aus dem In- und Ausland genutzt – Deutschland durchgeführt hat. darunter waren Doktorandinnen aus Italien, USA, Japan, ForDer auf zunächst 5 Jahre angelegte Vertrag über das Archiv- scherInnen aus Bulgarien, Spanien, Finnland, Dänemark, und Dokumentationszentrum für soziale und pädagogische Schweden und Deutschland, Studierende aus allen BunFrauenarbeit ist am 16. März 2005 durch eine neue Vereinba- desländern und aus verschiedenen Disziplinen (Sozialarrung entfristet worden. Damit hat die Kooperation eine län- beit/-pädagogik, Geschichte, Soziologie, Psychoanalyse, gerfristige Perspektive erhalten mit dem Ziel: Erziehungswissenschaften). Regelmäßig wird das Archiv • die historischen Schriften und Dokumente für die Nach- von Seminargruppen besucht. Mehrere Diplomarbeiten zu welt zu erhalten und sie der Öffentlichkeit zugänglich und Themen der Sozialarbeit im NS und der Akademie für sozinutzbar zu machen, ale und pädagogische Frauenarbeit sind in Verbindung mit • Forschungen anzuregen und zu unterstützen und dem Alice-Salomon-Archiv geschrieben worden (ASFH, TU, 53 Sophie Digital Library (s.o.), einem Studienprojekt der Brigham Young University Utah (USA), das Texte deutschsprachiger Autorinnen, darunter Alice Salomon, aus dem Zeitraum zwischen 1740 und 1927 digitalisiert und online zur Verfügung stellt. Alice-Salomon-Archiv - Innenansicht 2002 FH Köln). Ein anderes Beispiel ist eine Forschungsarbeit über die heute weitgehend unbekannte Begründerin der sozialen Arbeit und Ausbildung in Bulgarien, Raina Petkowa (1895-?), die zur Entdeckung einer umfangreichen Akte in den Unterlagen der Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit mit biographischen Materialien und Berichten über die Anfänge der sozialen Arbeit in Bulgarien führte. Zur Kontaktaufnahme und Information dient die Homepage des Archivs. Eine erste Ausgabe erschien 2001. Heute umfasst sie zu 15 Themen in Deutsch und zu 8 in Englisch insgesamt ca. 220 Seiten, die neben Informationen zum Archiv und zu Alice Salomon (Person und Werk und Schriftenedition), eine ständig aktualisierte Gesamtbibliographie der Schriften Alice Salomons (z.Zt. 571 Titel) mit Links zu den online verfügbaren Texten Alice Salomons bietet sowie eine Faksimile–Dokumentation zu der, 1929 von Alice Salomon mitgegründeten, Internationalen Vereinigung der Sozialen Schulen (1929-1936, heute: IASSW), ebenso die Vorträge zum Alice Salomon Award, u.a.m. Die drei-bändige Edition der ausgewählten und kommentierten Schriften Alice Salomons wurde abgeschlossen und eine Buchfassung der Gesamtbibliographie mit Registern herausgegeben: Alice Salomon. Frauenemanzipation und soziale Verantwortung, Neuwied u.a.: Luchterhand Verlag 19972004; Die Schriften Alice Salomons. Bibliographie 18962004, Berlin: ASFH 2004. Das Archiv beteiligte sich mit Vorträgen an verschiedenen Fachtagungen, z.B. zur Klinischen Sozialarbeit, zur Rosa Luxemburg Tagung der Ernst Bloch Assoziation und trug u.a. auch zu Veranstaltungen der Alice-Salomon-Schule Wipperfürth bei und den Namensgebungsfeiern zweier Berufskollegs, die sich nach Alice Salomon benannt haben, der Berufsbildenden Schule 21 Hannover (2000) und des Berufskollegs Bochum (2002). Beeindruckend machten die Feiern deutlich, wie sehr Alice Salomon durch ihre Biographie und ihr Werk Orientierungen für die Ausildung und die praktische Tätigkeit im sozialen Bereich erneut zu geben vermag. Das Alice-Salomon-Archiv arbeitet in verschiedenen Archivund thematischen Netzwerken mit, u.a. dem Dachverband der deutschprachigen Frauen/Lesbenarchive - ida, der Arbeitsgemeinschaft „Frauen im Exil“ in der Deutschen Gesellschaft für Exilforschung, dem Advanced Thematic Network in European Women’s Studies - athena. Es kooperiert mit der 54 In den zurückliegenden fünf Jahren wurden zwei ganztägige internationale Colloquien zu historisch-aktuellen Fragen der Sozialpädagogik in Kooperation mit dem PFH durchgeführt, verbunden mit der Verleihung des Alice-Salomon-Awards: „Sozialpädagogik und Geschlechterverhältnis 1900 und 2000“, Preisverleihung an die Israelin Alice Shalvi (2001) und: „Europa und Amerika. Unterschiedliche Vorstellungen des Sozialen?“, Preisverleihung an die Französin Fadéla Amara (2004) (siehe die Berichte in alice 2/2001 und 9/2004). Die Tagungen werden auch in einer Publikationsreihe dokumentiert. Die Arbeiten des Alice-Salomon-Archivs werden aus Drittund Honorarmitteln finanziert und durch ehrenamtliche und Praktikantinnen-Arbeit ergänzt. Weitere Perspektiven Das Konzept, das in den vergangenen fünf Jahren Konturen angenommen hat, wird in Zukunft zu konsolidieren sein. Dazu gehört neben den konservatorischen Archivaufgaben die Diskussion von aktuellen sozialpädagogischen, fachwissenschaftlichen und frauenpolitischen Fragen. Gleichermaßen gilt es, an die Anfänge einer an Menschenwürde orientierten Sozialarbeit und Sozialpädagogik zu erinnern wie an die Preisgabe dieser Orientierung in der rassistischen Volkspflege während des Nationalsozialismus und an die Vertreibung der jüdischen und sozialdemokratischen Mitglieder der Schulen. Schwerpunkte der Tätigkeit werden weiterhin interdisziplinäre Colloquien zu Fragen der sozialpädagogischen Theorie und Praxis mit der Verleihung des Alice-Salomon-Awards bilden. Ein wichtiges Projekt in den kommenden Jahren wird das 100jährige Jubiläum der Gründung der Sozialen Frauenschule durch Alice Salomon sein, das den Blick auch auf die jüngste Geschichte lenken wird. Daneben bleibt die Archivierung der Bestände und die Erweiterung auf die 1970er und 1980er Jahre eine Aufgabe des Archivs ebenso wie der Ausbau der Sammlungen zu Alice Salomon. Da über den Verbleib von Alice Salomons Unterlagen und ihrer Privatbibliothek nichts bekannt ist, sind alle Forschungen auf Materialien angewiesen, die über viele Standorte verstreut sind und bisher nirgends systematisch erfaßt sind; das bezieht sich sowohl auf ihre Schriften wie auf die Korrespondenzen, die sie in ihren zahlreichen Funktionen geführt hat, und nicht zuletzt auf ihre Privatkorrespondenz. Aus diesem Grunde hat sich das Alice-Salomon-Archiv zum Ziel gesetzt, alle verfügbaren Materialien und Informa- tionen von und zu Alice Salomon zu sammeln und das Archiv zu einem Zentrum der Erforschung von Leben und Werk Alice Salomons auszubauen. Adriane Feustel Alice-Salomon-Archiv im Archiv- und Dokumentationszentrum für soziale und pädagogische Frauenarbeit Pestalozzi-Fröbel-Haus, Karl-Schrader-Str. 7-8, 10781 Berlin Archivbesuch nur nach Voranmeldung: mo-fr 10.00-13.00 Uhr Tel.: 21730-277 o. 236, Fax: 21730-188 email: [email protected] www.asfh-berlin.de/archiv Tagungen Islamischer Antisemitismus Am 1. Juli 2005 sind die Ergebnisse der Werkstatt «Demokratiegefährdende Phänomene» - vier Filme und eine Broschüre - im Audimax der ASFH präsentiert worden und riefen eine starke Resonanz in der ASFH-Öffentlichkeit sowie in der Medienöffentlichkeit hervor. In mehreren Zeitungen, Radiosendungen und in der ARDSendung «Report München» wurde über die gravierenden antisemitischen Ressentiments unter den befragten Jugendlichen aus islamischen Herkunftsländern berichtet. Von allen Seiten ist der islamische Antisemitismus als ein bedrohliches Problem wahrgenommen worden, dem sich die Gesellschaft zukünftig stellen muss. „Ich bin der Fachhochschule dankbar für die Studie. Auch wenn die Studie nicht repräsentativ ist, zeigt sie trotzdem, wie antisemitische Vorstellungen verbreitet sind.“ sagte der Bildungsstaatssekretär Thomas Hertel in einem Interview mit der Berliner Zeitung vom 05.07.2005. Eine weitere Werkstatt liegt vor uns, diese soll sich mit einem anderen Focus erneut dem Thema des islamischen Antisemitismus unter Jugendlichen in Berlin widmen sowie Wahrnehmungen der vorangegangenen Werkstatt tiefer beleuchten. Eine Tagung zum Thema «Islamischer Antisemitismus» ist in Planung und wird voraussichtlich im Mai 2006 an der ASFH stattfinden. Levi Salomon und Katrin Becker Lehrbeauftragte / ASFH Literatur: Eine ausführliche Fassung dieses Berichtes gibt es in der Bibliothek der ASFH und auf der Homepage des AliceSalomon-Archivs: Das Alice Salomon Archiv der ASFH Berlin. Fünfjahresbericht März 2000 - März 2005, hrsg.v. A. Feustel, Berlin März 2005 Sozialpädagogik und Geschlechterverhältnis 1900 und 2000. Dokumentation des Colloquiums zur Eröffnung des Archiv- und Dokumentationszentrums für soziale und pädagogische Frauenarbeit am 18. Mai 2000, hrsg. v. A. Feustel, Berlin 2003 Fachbereichstag Soziale Arbeit 2006 Die Alice Salomon Fachhochschule Berlin (ASFH) richtet den Fachbereichstag Soziale Arbeit am 31.05. / 01.06.2006 in Berlin aus. Die Koordination und Organisation liegt in Händen von Prof. Dr. Brigitte Geißler-Piltz. Nähere Informationen: Prof. Dr. Brigitte Geißler-Piltz T.: 030/ 99245-302 E-Mail: [email protected] alice-Redaktion Leib-Seele-Lebenswelt: Psychosoziale und psychosomatische Ansätze in der Physio- und Ergotherapie Die Alice Salomon Fachhochschule Berlin (ASFH) veranstaltet am 12./13.05.2006 gemeinsam mit der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie des Krankenhauses Hedwigshöhe (Gesellschaften der Alexianer-Brüder) eine Tagung zum Thema „Leib-Seele-Lebenswelt: Psychosoziale und psychosomatische Ansätze in der Physio- und Ergotherapie“. Den Leitvortrag „Zwischen medizinischer Diagnose und Lebensweltorientierung - zur Professionalisierung von Ergotherapie“ hält Prof. Dr. Ulrike Marotzki (FH-Hildesheim). In verschiedenen Workshops können die TeilnehmerInnen das Thema praxisnah vertiefen. Nähere Informationen: Prof. Dr. Jutta Räbiger T. 030/99245-313 E-Mail: [email protected] alice-Redaktion 55 Bücher / Rezensionen Klinische Sozialarbeit Geißler-Piltz/Mühlum/Pauls Brigitte Geißler-Piltz, Albert Mühlum und Helmut Pauls: Klinische Sozialarbeit. München/Basel: Reinhardt (UTB), 171 Seiten, ISBN 3-8252-2697-2, € 14,90 Drei wichtige Protagonisten und Wegbereiter der Klinischen Sozialarbeit in Deutschland, Brigitte Geißler-Piltz, Albert Mühlum und Helmut Pauls, legen mit diesem Buch eine kompakte Einführung in das sich konsolidierende Ausbildungs- und Praxisprojekt der Klinischen Sozialarbeit vor. Die Publikation erschien als Band 7 in der Reihe „Soziale Arbeit im Gesundheitswesen“ und versteht sich (wie die anderen Bände dieser Reihe auch) als Beitrag zur Professionalisierung der Sozialen Arbeit in einem sich ausweitenden Arbeitsfeld. In dem Feld der gesundheitsbezogenen Sozialen Arbeit kann die Klinische Sozialarbeit als methodischer Kern bewertet werden, liefert sie doch das Handwerkszeug, um das Interaktionsgeschehen in der direkten Praxis mit Klientinnen und Klienten zu strukturieren. Anamnese/Assessment, Diagnose und Behandlung/Therapie (S. 101ff.) als klassisches methodisches Dreigestirn stehen daher im Zentrum Klinischer Sozialarbeit, die vor allem Personengruppen berät, unterstützt, ja behandelt, die besondere bio-psycho-soziale Belastungen erfahren (S. 47ff.). Die Autoren stecken das weite Feld der Klinischen Sozialarbeit in neun Schritten ab, so thematisieren sie 1. das Selbstverständnis und die professionsbezogene Verortung Klinischer Sozialarbeit, 2. die strukturbezogenen Merkmale klinischen Handelns, 3. die Zielgruppen Klinischer Sozialarbeit, 4. die rechtlichen und politischen Aspekte, 5. die Einrichtungen und Konzepte, 6. die Strategien und Handlungskompetenzen, 7. die ethischen Aspekte klinischen Handelns, 8. die Geschichte der Klinischen Sozialarbeit und 9. schließlich den Anspruch und die Wirklichkeit dieser Fachsozialarbeit. Diese Aufzählung der einzelnen Kapitel zeigt, welchen hohen Anspruch Geißler-Piltz, Mühlum und Pauls mit ihrem Werk verbinden: Sie wollen einen allumfassenden Überblick hinsichtlich der Klinischen Sozialarbeit geben. Neben diesem Überblick geht es ihnen freilich auch darum, die in Deutschland mitunter immer noch Irritationen erzeugende Bezeichnung der Klinischen Sozialarbeit zu etablieren und eindeutig zu definieren. Bei diesem Vorhaben leisten sie etwas, was nicht nur hinsichtlich der Klinischen Sozialarbeit notwendig ist, sondern der Sozialen Arbeit allgemein zugute kommt, sie umreißen die besondere Perspektive des sozialarbeiterischen Blicks und Handelns in Abgrenzung zu anderen Professionen (hier insbesondere in Distanz zur biomedizinischen Perspektive). Das, was das sozialarbeiterische Beobachten und Handeln auszeichnet, ist nämlich die Betrachtung von Gesundheit und Krankheit, ja von Lebensproblemen generell im bio-psychosozialen Modell (S. 21ff.), ist die bio-psycho-soziale Grund- 56 orientierung (S. 100). Im Gegensatz zur klassischen Medizin, die als Ursache von psychischen und auch sozialen Leidensprozessen häufig allein biologische bzw. organische Faktoren heranzieht und auf diese behandelnd fokussiert, wechselt die Soziale Arbeit allgemein und die Klinische Sozialarbeit speziell die Perspektive. Denn soziale Faktoren beeinflussen den Körper und die Psyche maßgeblicher und sichtbarer, als uns die klassische bio-medizinische Sicht offenbart: „Psychosoziale Erfahrungen initiieren molekulare Prozesse, die die Entwicklung und Aufrechterhaltung des neurophysiologischen und immunologischen Gleichgewichts beeinflussen. Soziale Bindungsbeziehungen sind ein notwendiger Regulator der Physiologie und der neurostrukturellen Entwicklung“ (S. 100). Angesichts der Wirkung des Sozialen, Beziehungsmäßigen, Zwischenmenschlichen auf psychische und biologische Prozesse, die sich ebenfalls mit der neueren Hirnforschung belegen lässt,1 kann nicht nur die Klinische Sozialarbeit ihre Notwendigkeit begründen, sondern Soziale Arbeit als Gestalterin und Anregerin sozialer Unterstützungsprozesse generell. Wenn dann noch das salutogenetische (S. 25ff.) bzw. stärken- und ressourcenorientierte Denken und Handeln ernsthaft in den Mittelpunkt von Theorie und Praxis gestellt werden, verfügt die Soziale Arbeit über ein Fundament, das auch in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche trägt. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass das Buch von Geißler-Piltz, Mühlum und Pauls all jenen empfohlen werden kann, die sich für die Klinische Sozialarbeit interessieren und sich rasch einen Überblick verschaffen wollen. Allerdings eignet es sich auch dafür, die besondere theoretische und methodische Perspektive der Sozialen Arbeit kennen zu lernen und zu erfahren, was es heißt, eine ressourcen- und stärkenorientierte bio-psycho-soziale Perspektive im Netzwerk der Professionen der modernen Gesellschaft einzunehmen. Heiko Kleve Hochschullehrer / Fachhochschule Potsdam 1 Gerhard Roth (2003): Aus Sicht des Gehirns. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Bildung als Chance. Ressourcenorientierte Biografiearbeit mit chronisch psychisch kranken und drogenabhängigen Menschen Horst Lazarus & Marianne Bosshard, Bonn 2005. Unter diesem Titel ist ein Band im Psychiatrieverlag der beiden Lehrbuchautoren für Psychiatrie für SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen, Marianne Bosshard und Horst Lazarus, erschienen. Und so erstaunt denn auch nicht der stark systematische und damit auch didaktische Ansatz dieser Publikation, die Berichte aus dem Forschungsprojekt „Bildung im Wandel“ mit einer Aufschließung des Bildungsbegriffes und eines Bildungsanliegens für die Soziale Arbeit mit der Klientel chronisch psychisch kranker und drogenabhängiger Menschen verbindet. Worum geht es? Was ist der rote Faden des Buches? (apropos roter Faden: das in dezentem Dunkelblau gehaltene Bändchen vereint auf seinem Cover vier Motive des zur neuen Leipziger bildenden Kunst gehörigen Michael Touma. Aus mehreren Farbstrichschichten, davon jeweils eine zur farblichen Belebung der äußeren Gestalt des Bändchen stark beitragende rote Farbstrich-oder Farbfadenschicht, bilden sich vier Variationen eines Gesichtsschemas. Darstellung eines Bildungsprozesses?) Jedenfalls gibt es zunächst eine ideengeschichtliche Auffächerung dessen, was als Bildung gilt. Angefangen wird bei Pisa und führt über ein philologisch-humanistisches Bildungsideal weiter zur moralischen Bindung von Bildung sich selbst und anderen gegenüber, um schließlich über einen Verweis auf unterschiedliche Bildungsmilieus hin zu einer für das Buch zentralen Frage, nämlich welche Bildung die Soziale Arbeit fördern kann, zu kommen. Die Beantwortung dieser Frage liegt in der Zusammenfassung der unterschiedlichen Bildungsanschauungen als eines „Entfaltungs- und Entwicklungsprozess(es), der jeden Menschen als aktiv Handelnden persönlich wachsen lässt“. „Es geht immer um aktives Sammeln von Erfahrungen, das mit Freude und Erregung verbunden ist, es geht um Suchen und Explorieren, um Verarbeiten und Verinnerlichen. Man könnte auch sagen, Bildung dient dazu den Möglichkeitsraum eines Menschen auszuloten.“ Mit diesem Satz wird übergeleitet zu einer kurzen und klaren Abhandlung über Sterns und Winnicotts Theorien zur Säuglingsentwicklung und den damit in Zusammenhang gebrachten Erklärungsmodellen, wie die Möglichkeiten der Selbstentfaltung, des Bildungsprozesses gelegt oder behindert werden. Von hier aus wird schlüssig das bisher Entwickelte mit einem salutogenetischen Konzept verbunden– Bildung als gesundheitsfördernde, sinnstiftend in den Lebenslauf eingeschriebene Ressource, als Quelle von Freude und Autonomie. Soviel zur transdisziplinären Verknüpfung von Theoriefragmenten, die den Bericht über das Forschungsprojekt „Bildung im Wandel“ rahmen und bekräftigen. Sprachlich lehnt sich der Text an den für die Sozialpsychiatrie typischen einerseits übererklärenden andererseits unscharfen Jargon an, einen Jargon, den man nicht lieben muss, der aber – so wenigstens Pfefferer-Wolf – die Offenheit des sozialpsychiatrischen Feldes konstituiert. Und von eben dieser Offenheit zeugt der theoretische Ansatz der Arbeit. Fünf von den sieben Kapiteln des Buches sind der Projektbeschreibung gewidmet und führen ein in die Methodik der Bildungsprozessförderung als Ressource in der Sozialen Arbeit. Krankheitsgeschichte und Bildungsgeschichte mit Interessenschwerpunkten vor der Erkrankung und zum jetzigen Zeitpunkt werden sowohl in Begriffen wie „Bildungsanamnese“ und „Bildungsdiagnose“ als auch in Interviews mit 18 psychisch kranken und/oder drogenabhängigen Menschen eingeführt. In der Genauigkeit und Reflektiertheit mit der die Vorbereitung und Erhebung der Bildungsanamnese abgehandelt wird, wird einem vermittelt, dass die Kunst des Zuhörens keine Hexerei ist, sondern sich aus Handwerk und Haltung ableitet, wohingegen die Auswertungen der Bildungsanamnesen soweit zusammengefasst sind, dass ihre Interpretationen auch da, wo sie sich als Beispiel kleiden, nicht immer nachvollziehbar sind. Der Text bewegt sich oft zwischen Handlungsanweisung, Haltungsbekenntnis und Forschungsbericht - eine Mixtur, die zwar möglicherweise der Flüssigkeit des Textes dient, aber nicht ohne Irritation für die Leserin ist, die beispielsweise vergebens in dem Literaturverzeichnis nach der Quellenangabe für die Ableitung des für die projektinterne Logik wichtigen Bildungsmilieus der Herkunftsfamilien sucht und stattdessen, bei dieser Suche, darüber stolpert, dass das Literaturverzeichnis die alphabetische Ordnung nach „J“ aufgibt, um noch mal bei „D“ anzufangen. Auch fragt man sich, warum man eigentlich nichts über die genaue Zusammensetzung des Forscherteams erfährt, welche Rolle die Studierenden und welche die Lehrenden/Autoren hatten, fragt sich, ob die salutogene Wirksamkeit des Projektes in der Aufdeckung der Bildungsbiografie allein zu suchen ist oder auch in der Zuwendung und den Prozessen der Übertragung und Gegenübertragung, die das Forschungsprojekt, wie man es unschwer zwischen den Zeilen lesen kann, mitgetragen haben. Denn trotz der bisherigen kritischen Anmerkungen, muss man ganz klar hervorheben, dass die Arbeit von einer Zuwendung, Hinwendung, von einem sich Zeit und Ernst und wörtlich nehmen, zeugt, und aus der Konsequenz dieser Zuwendung auch die Einsicht nicht scheut, dass Bildung und seelische Erkrankung sich nicht ausschliessen und dass es entsprechend gebildetere Kranke als Professionelle geben kann - was insgesamt einer professionellen Demut nicht schlecht ansteht. Und dennoch driftet die Arbeit nicht ab in eine Überschätzung der Möglichkeiten, sondern behält einen wachen Blick für 57 kleine aber glückhafte Bildungsentwicklungen, etwa, wenn in der letzten Bildungsbiografie des Buches die Geschichte einer Frau wiedergegeben wird, die durch die bildungsbiografische Arbeit des Teams mit ihr zur Erstellung eines Kochbuches als Verdichtung ihrer im Laufe ihres Lebens herausgebildeten Fähigkeiten geleitet wird. Das in diesem Buch entworfene Bildungsverständnis der Sozialen Arbeit könnte auch die Soziale Arbeit mit anderer Klientel mit still gestellten Bildungsbiografien bereichern und so ist zu hoffen, dass es noch in den nächsten Jahren zu einem Bericht kommen wird, aus dem wir entnehmen können, wohin sich die angestoßenen Bildungsprozesse entwickelt haben. Wiebke Willms Gastdozentin / ASFH Helfen in der Moderne und Postmoderne Fragmente einer Topographie des Helfens, Jan Volker Wirth, Heidelberg 2005 Die Rede vom Helfen ist zentral in Theorie und Praxis helfender Professionen. Hier entdeckend fragt dieses Buch: Was bedeutet helfen eigentlich? Und wie kann in einer heterogenen, pluralisierenden und ambivalenten, also postmodernen Gesellschaft effizienter geholfen werden? Auf der Distanzierung von einem Uneindeutigkeiten und Widersprüchlichkeiten tabuisierenden Denken in Verbindung mit einer Dekonstruktion des Hilfebegriffs gründet eine neue Auffassung vom Helfen. Dadurch werden professionellen Helfern zugleich innovative, vielleicht effektivere Handlungsoptionen angeboten. Das Ergebnis ist frappierend, zumindest ernüchternd: Helfen kann das nicht leisten, was es beabsichtigt. Was aber? Eben etwas anderes. 58 Doch den Abstraktionsgrad der Studie wird der Leser zu einem kreativ-initiierenden und eigenverantwortlichen Umgang mit den hier entstehenden Deutungsräumen einer zukünftigen Theorie postmodernen Helfens eingeladen. Jan Volker Wirth absolvierte seine Studium der Sozialarbeit/ Sozialpädagogik an der SASFH Berlin. alice-Redaktion SCHIRMHERRSCHAFT: BUNDESPRÄSIDENT HORST KÖHLER 3.– 5. Mai 2006 im CCD. Congress Center Düsseldorf Mut zur sozi sozialen alen Verantw Ver antwort antw ortung! ort ung! Vom 3.-5. Mai 2006 findet in Düsseldorf der 77. Deutsche Fürsorgetag statt. Unter dem Motto „Mut zur sozialen Verantwortung!“ treffen sich Expertinnen und Experten aus allen sozialen Arbeitsfeldern - der Wissenschaft, Politik und Praxis - zum Informations- und Erfahrungsaustausch. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge Michaelkirchstr. 17/18 · 10179 Berlin Tel.: (030) 6 29 80-616/617 Fax: (030) 6 29 80-650 E-Mail: [email protected] Programmhef Progra mmheft, mmhef t, Online Anmeldung www.deut www .deutscher-v .deut scher-verein.de scher-v erein.de 4 Symposien – 23 Workshops – Ausstellungen im Markt der Möglichkeiten Symposium Symposiu m1 Umverteilen im Sozialstaat – Gerechtigkeit für morgen Symposium Symposiu m2 Familie stärken: Neue Partnerschaften in der Bürgergesellschaft Symposium Symposiu m3 Bildung, Betreuung und Erziehung als gemeinsame Aufgabe von Eltern, Jugendhilfe und Schule Symposium Symposiu m4 Wirkungen und Nachhaltigkeit sozialer Dienstleistungen ß ß ß ß 3OZIALEß!RBEITß ß ß BRAUCHTßSYSTEMISCHESß$ENKEN 7OLFß2ITSCHERß(RSG «3YSTEMISCHEß+INDERß .%5 UNDß*UGENDHILFE !NREGUNGENßF~RßDIEß0RAXIS ß3EITENß+Tß àß$ßàß!ßS&R߯ )3".ß8 $ASß"UCHßLIEFERTßWERTVOLLEß!NREGUNGENß)DEENß UNDß!NSTyEßF~RßDENß"ERUFSALLTAGßBESONDERSß VONß 3OZIALPiDAGOGENß UNDß 3OZIALARBEITERNß -ITARBEITERNß IMß !LLGEMEINENß 3OZIALENß $IENSTßINßDERß3OZIALVERWALTUNGßUNDßBEIßFREI ENß4RiGERNß DERß7OHLFAHRTSP¾EGEß SOWIEß F~Rß 3TUDIERENDEßUNDß7EITERBILDUNGSKANDIDATENß IMßSOZIALENß&ELD 7OLFß2ITSCHERß «3YSTEMISCHEß-ODELLEß F~RßDIEßSOZIALEß!RBEIT %INßINTEGRATIVESß,EHRBUCHß F~Rß4HEORIEßUNDß0RAXIS ß3EITENß'Bßß!U¾ß àß$ßàß!ßSFR߯ )3".ß 7OLFß2ITSCHERßHATßEINßGRUNDLEGENDESß(AND BUCHß GESCHAFFENß DASß SOWOHLß EINEß THEORETI SCHEß &UNDIERUNGß ALSß AUCHß VIELFiLTIGEß (AND LUNGSMyGLICHKEITENß PRAXISNAHß VERMITTELTßß $IESESß"UCHßHILFTßALLENßIMßPSYCHOSOZIALENß&ELDß 4iTIGENßSYSTEMISCHEßßUNDßFAMILIENORIENTIERTEß 0RINZIPIENß INß DERß SOZIALENß !RBEITß FRUCHTBARß WERDENßZUßLASSEN -ARIEß,UISEß#ONENß(RSG «7OßKEINEß(OFFNUNGßISTß MUSSßMANßSIEßER½NDEN !UFSUCHENDEß&AMILIENTHERAPIE ß3EITENß+Tßß!U¾ß àß$ßàß!ßSFR߯ )3".ß -ARIE,UISEß #ONENß UNDß IHREß -ITAUTORENß BESCHREIBENß INß DIESEMß "UCHß ZUMß EINENß DIEß !NFORDERUNGENß DENENß SICHß DIEß BETEILIGTENß (ELFERSYSTEMEßZUßSTELLENßHABENß:UMßANDERENß ZEIGENß SIEß HILFREICHEß PRAKTISCHEß 3CHRITTEß F~Rß &AMILIENTHERAPEUTENßUNDßANDEREßPROFESSIO NELLEß(ELFERßIMß5MGANGßMITßÂ-ULTIPROBLEM FAMILIEN±ßAUFß 0ß-INUCHIN*ß#OLAPINTO3ß-INUCHIN «6ERSTRICKTßIMßSOZIALENß.ETZ .EUEß,ySUNGSWEGEß F~Rß-ULTIPROBLEM&AMLIEN ß3EITENßß!BBß+Tß àß$ßàß!ßS&R߯ )3".ß %LISABETHß3TINDL.EMEC «7IEDERßDABEI 3YSTEMISCHEß3OZIALARBEITß INßDERßGEMEINDENAHENß0SYCHIATRIE ß3EITENß+Tß àß$ßàß!ßS&R߯ )3".ß !ßVß3CHLIPPE-ß%Lß(ACHIMI'ß*~RGENS «-ULTIKULTURELLEßSYSTEMISCHEß0RAXIS %INß2EISEF~HRERßF~Rß"ERATUNGß 4HERAPIEßUNDß3UPERVISION ß3EITENßß&OTOSß+Tßß!U¾ß àß$ßàß!ßS&R߯ )3".ß $ASß"UCHßVERBINDETßDENßALLGEMEINENß!NSATZß DERß SYSTEMISCHSTRUKTURELLENß &AMILIENTHE RAPIEß SOWIEß DESß !RBEITENSß MITß &AMILIENß UNDß GRyERENß 3YSTEMENß MITß AUSF~HRLICHENß KONKRETENß&ALLSTUDIENßZUßDENß!RBEITSFELDERNß 0¾EGEKINDERWESENß $ROGENTHERAPIEß (EIM ERZIEHUNGß +INDERß UNDß *UGENDPSYCHIATRIEß SOWIEßAMBULANTEßSOZIALEß$IENSTEß Â¨ß EINß ENGAGIERTESß "UCHß ZURß GEMEINDENA HENß 3OZIALARBEITß ¨ß %LISABETHß 3TINDL.EMECß VERKN~PFTß MEHREREß &iDENß MITEINANDERß DENß %RZiHLFADENßVONßIHRERßEIGENENßPROFESSIONELLENß 3UCHBEWEGUNGßIMßGEMEINDEPSYCHIATRISCHENß &ELDß 3IEß STELLTß DIEß !USEINANDERSETZUNGß MITß DEMß"EHINDERUNGSMODELLßDARßUNDßSTELLTßSYSTE MISCHEß4HEORIEANSiTZEßUNDßIHRENßPRAKTISCHENß %INSATZßVOR±ßßßßßßßßßßßßßßß0SYCHOSOZIALEß5MSCHAU Â$ASß ERSTEß DEUTSCHSPRACHIGEß 0SYCHOTHERAPIE BUCHß DASß MITß EINEMß SCHL~SSIGENß KONZEP TIONELLENß !UFBAUß HILFREICHEß UNDß PRAKTISCHEß !NTWORTENß F~Rß ALLEß RELEVANTENß "EREICHEß DERß 4HERAPIEß UNDß "ERATUNGß IMß MULTIKULTURELLENß &ELDß ANBIETETß .ACHDEMß INß ANDERENß EUROPi ISCHENß ,iNDERNß VERGLEICHBAREß7ERKEß BEREITSß VORß*AHRENßERSCHIENENßSINDßF~LLENßDIEß!UTORENß HIERMITßEINEßSEITßLANGEMßOFFENEß,~CKEßF~RßDIEß DEUTSCHSPRACHIGENß,iNDER± #ARL!UER߯ß$ERß6ERLAGßF~Rß3YSTEMISCHEß&ACHB~CHER WWWCARLAUERDEßß/NLINEßIMß7EBSHOPßBESTELLT߯ßDEUTSCHLANDWEITßPORTOFREIßGELIEFERT 4HOMASß(EGEMANNß)34/"