magazin - Alice Salomon Hochschule Berlin

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magazin - Alice Salomon Hochschule Berlin
magazin
der Alice-SalomonFachhochschule
Berlin
alice
11/2005
Weiterbildung und
Lebenslanges Lernen
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser!
Die wissenschaftliche Weiterbildung und das „lebenslange
Lernen“ erhalten einen zentralen Stellenwert in der sich ausformenden Wissensgesellschaft. Die bildungspolitische Diskussion um das „lebenslange Lernen“ hat die deutschen
Medien bisher wenig erreicht, obwohl durch die angeschobenen Prozesse der Bologna-Erklärung von 1999 und des
Brügge/Kopenhagen-Prozesses von Ende 2002 die EU-Bürger ihre Bildungssozialisation zukünftig in eigener Verantwortung gestalten sollen. Die Welten hinter den Begriffen
„lebenslanges Lernen“, Mobilität von Studierenden und
Forschenden, Durchlässigkeit von beruflicher Bildung zu
Hochschulbildung und Sprachenerwerb werden für die Hochschulen in Deutschland immer wichtiger, Weiterbildung wird
zum zweiten Standbein neben Lehre und Forschung.
Die ASFH kann auf eine lange Tradition der wissenschaftlichen Weiterbildungen zurückblicken, in der gezielt Praxisbereiche der Sozialen Arbeit und Gesundheit, später auch der
Erziehung und Bildung im Kindesalter angesprochen werden. Die anwendungsorientierten Weiterbildungsangebote
sind ein Resultat der Arbeit des Zentrums für Weiterbildung,
Hochschuldidaktik und Berufsfeldforschung (ZWHB) für das
Berthe Khayat verantwortlich ist. Die Bedarfs- und Marktanalysen münden in ein innovatives und modernes wissenschaftliches Weiterbildungsprogramm. Zu den Innovationen
zählen auch eine Reihe weiterbildender und internationaler
Masterstudiengänge, die die ASFH in eigener Regie sowie
in Kooperation mit anderen Hochschulen erfolgreich durchführt.
Wie die Umsetzung des Gedankens vom lebenslangen Lernen in der ASFH konkret gestaltet wird, beschreiben wir in
einigen Beiträgen dieser alice-Ausgabe. Wir haben Expertinnen und Experten dazu eingeladen, zum Thema hochschulgebundene (wissenschaftliche) Weiterbildung und
lebenslanges Lernen Stellung zu nehmen und von ihren Forschungsergebnissen bzw. Erfahrungen und Projekten in der
Weiterbildungspraxis zu berichten.
Zum „lebenslangen Lernen“ haben wir Martin Baethge interviewt. Er ist ein international anerkannter Experte auf dem
Gebiet der Bildungs- und Arbeitsmarktforschung. Mit seinem
Forschungsteam führte er eine breit angelegte empirische
2
Studie zum Weiterbildungsverhalten und zu den Kompetenzen für lebenslanges Lernen in der deutschen Bevölkerung in
West und Ost durch.
Der Weiterbildungsexperte Werner Fröhlich schreibt über die
erfolgreiche Praxis der wissenschaftlichen Weiterbildung an
Fachhochschulen.
Die Bildungsexpertin Monika Oels erörtert die Frage, wie
die europäische Kommission die Entwicklung des lebenslangen Lernens in Europa betrachtet. Ab 2007 ist ein integriertes Gesamtförderprogramm des lebenslangen Lernens der
EU angekündigt, um die Entwicklung gemeinsamer Ziele im
Bildungswesen und den Austausch guter Praxis voranzutreiben. Die vier sektoralen Programme des „lebenslangen Lernens“ sollen wie folgt zusammengefügt werden: Comenius
(Schule), Erasmus (Hochschule), Leonardo da Vinci (Berufsbildung) und Grundvig (Erwachsenenbildung).
Jutta Räbiger und Sieglinde Machocki verdeutlichen das Studienmodell „Duale Studiengänge“ (Kooperationen zwischen
Fachschulen und Hochschulen), die weite Bereiche des deutschen Ausbildungssystems verändern werden. Wozu wir lernen wird Helga Stock verdeutlichen.
Brigitte Geißler-Piltz zeigt im Rahmen einer Berufsfeldstudie auf, wie sich SozialarbeiterInnen im Gesundheitsbereich
Kompetenzen aneignen.
Last but not least finden Sie einen Artikel vor, der die Frage
beantwortet, was Studierende über die Weiterbildung während des Studiums sagen und denken.
Die Weiterbildung an der ASFH konzipiert heute und zukünftig berufsnahe Zertifikatskurse. Daneben sollen die Masterstudiengänge – ob weiterbildend oder konsekutiv- die
Professionalität der Sozialen Arbeit und der Gesundheitsberufe weiter entwickeln - und dadurch die Chancen der Berufseinsteiger sowie der Berufstätigen verbessern.
Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim „weiterbildenden“
Lesen.
Brigitte Geißler-Piltz
Andreas Brüning
Inhalt
Editorial
2
Inhalt
3
Aktuelles
Die ASFH bekommt neue Seminarräume
Andreas Brüning
Bachelor-Studiengang Physio-/Ergotherapie akkreditiert
Jutta Räbiger
4
Impressum
4
Studium
• Das neue Studierendencenter
alice-redaktion
• Interkulturelle Projektfahrt
Nadin Tettschlag
• Praktikum in New York
Barbara Müller
4
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7
Schwerpunktthema: Weiterbildung und lebenslanges Lernen
• „Weiter?Bilden!
Berthe Khayat
8
• Lebenslanges Lernen
Martin Baethge
9
• Lernen für eine lebendige Gesellschaft
Werner Fröhlich
12
• Lebenslanges Lernen in Europa
Monika Oels
15
• Der „Wien-Prozess“
Berthe Khayat
20
• Facetten des Lernens in der Erwachsenenbildung
Helga Stock
21
Berufsfeldforschung
• Wie eignen sich SozialarbeiterInnen Kompetenzen an?
Brigitte Geißler-Piltz
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Hochschuldidaktik
• Der Hochschuldidaktkverbund Berliner und Brandenburger
Hochschulen
Annette Jander
25
• Promovieren nach dem Fachhochschulabschluss?
Susanne Gerull
26
• Forschungscolloquium ‚Klinischen Sozialarbeit‘
aus studentischer Initiative
Silke Gahleitner
27
• Europäische Entwicklungen geben der Aus- und Weiterbildung
im Gesundheitswesen Aufwind
Jutta Räbiger, Sieglinde Machocki
28
• Das Angebotsspektrum im Weiterbildungsprogramm der ASFH
Berthe Khayat,
31
• Biografiearbeit
Hedwig-Rosa Griesehop / Birgit Griese
33
• Weiterbildung für ErzieherInnen
Hilde von Balluseck
34
• Weiterbildungsstudium „Psychosoziale Arbeit“
Helmut Möller
35
• Studieren mit Weitblick
Semit Wahi
36
• Karriereschritte planen
Cornelia Wind
37
International
• Make democracy work
Regina Rätz-Heinisch
Menschen
• Reinhard Wolff - Bundesverdienstkreuzträger
C.W. Müller
• Neuberufene HochschullehrerInnen
Frau Prof. Dr. Friederike Baeumer
Frau Prof. Dr. Anette Dreier
Frau Prof. Ulrike Hemberger
Frau Prof. Dr. Elke Kraus
Frau Prof. Dr. Elke Kruse
Frau Prof. Dr. Iris Nentwig-Gesemann
• Abschied von HochschullehrerInnen
Zwischen Person und Kontext - Prof. Britta Haye
von Heiko Kleve
• Martin Grieser emeritiert - kein Nachruf!
von Frank Judis
• Jens Schneider steht für „Produktives Lernen“
von Christine Labonté-Roset
• Ein kreativer Senior Expert - Lutz von Werder
Andreas Brüning
• Juristin gefragt? Cathleen Lang
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43
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Praxis
• Auswirkungen der Hartz IV - Gesetzgebung auf Ausbildung und
Praxis der Sozialen Arbeit
Nils Lehmann-Franßen
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Leben
• Im Dunkeln dippen
Nadin Tettschlag, Daniel Pilgrim
52
Rückblick
• Fünf Jahre Alice-Salomon-Archiv
Adriane Feustel
53
Tagungen
• Werkstatt «Demokratiegefährdende Phänomene»
Levi Salomon, Katrin Becker
• Fachbereichstag Soziale Arbeit 2006
alice-redaktion
• Leib-Seele-Lebenswelt
alice-redaktion
55
55
55
Rezensionen
• Klinische Sozialarbeit. Brigitte Geißler-Piltz/Albert Mühlum/
Helmut Pauls
Heiko Kleve
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• Bildung als Chance. Horst Lazarus & Marianne Bosshard
Wiebke Willms
57
• Helfen in der Moderne und Postmoderne. Jan Volker Wirth
alice-redaktion
58
3
Aktuelles
Die ASFH expandiert
Neue komfortable Seminarräume ab Ende 2006
Ab Ende 2006 werden die räumlichen Bedingungen für Studierende, HochschullehrerInnen, Lehrbeauftragte sowie
Hochschulverwaltungsangestellte sich nachhaltig verbessern.
Der neue Anbau der Alice Salomon Fachhochschule Berlin
wird in Teilen von der Knobelsdorff-Schule (Oberstufenzentrum Bautechnik I) ausgeführt. Die Rohbauerstellung und die
Tischlereiarbeiten werden von Auszubildenden mit entsprechender Anleitung erledigt.
Neben den Büroflächen entstehen fünf Seminarräume mit
einer Größe von 73 bis 84 m2 und ein weiterer Seminarraum mit 46 m2. Alle Räume erhalten exzellente zeitgemäße
Medienausstattung, dazu gehören u.a. ein fest installierter
Beamer, ein Video/DVD-Player, EDV-Anschlüsse, eine Whiteboardtafel, ein OH-Projektor und ein Flipchart.
Die Bibliothek der ASFH wächst um 229 m2, wobei hier ein
neuer Lesesaalbereich im Zwischengeschoß mit 158 m2 das
Kernstück ist. Die Auslagerung der Büroflächen der Bibliotheksverwaltung vom Bestandsgebäude in den neuen Anbau
ermöglicht eine großzügige und bedarfsgerechte Umgestaltung des Eingangs- und Servicebereiches der Bibliothek.
Daten und Fakten zum Anbau
Baubeginn:
März 2005
Ende der Bauarbeiten:
Ende 2006
Bausumme
1,5 Mio. Euro
Lage:
Südostseite des Bestandsgebäudes
Gesamtfläche:
1.120 m2
Hauptnutzfläche:
748 m2
Andreas Brüning
alice-Redaktion
Bachelor-Studiengang Physio-/Ergotherapie akkreditiert
Am 29. November 2005 war es so weit: die Rektorin der ASFH
erhielt die Akkreditierungsurkunde für den Studiengang Physio-/Ergotherpie mit dem Abschluß Bachelor of Science von
der Agentur AQAS überreicht.
Nun ist die Akkreditierung immer eine aufregende Sache. Bei
diesem Studiengang aber war die Aufregung besonders groß.
Es handelt sich nämlich um einen sog. dualen Studiengang,
der die hochschulische mit der vorangehenden beruflichen
Ausbildung verbindet und bei dem die Teile der berufl sfachschulischen Ausbildung, die dem akademischem Niveua entsprechen, auf das Studium angerechnet werden (können).
Diese Konzept entspricht der Idee des lebenslangen Lernens,
ist aber in Hochschulkreisen so wenig bekannt, dass fraglich
war, wie die Gutachter der Akkreditierungsagentur darüber
befinden werden. Die anfängliche Skepsis der Gutachter ist
einer ausdrücklichen Zustimmung gewichen. Das Gutachten
bescheinigt dem Studiengang eine Reihe von zukunftsweisenden Innovationen, u.a. Interdisziplinarität, neue Lernformen, internationale Vernetzung sowie Nachwuchsförderung
in Form von Graduiertenkollegs, die insbesondere durch die
enge Verknüpfung von berufsfachschulischer und hochschulischer Ausbildung gekennzeichnet sind. Darüber hinaus
wird das Konzept der Evaluation und Qualitätssicherung hervorgehoben, das nicht nur den Studiengang an sich sondern
auch die Ausbildungsprogramme an den fünf kooperierenden Berufsfachschulen betrifft. Die Akkreditierung erfolgt
mit wenigen Auflagen für die Dauer von fünf Jahren bis zum
31.03.2011.
Prof. Dr. Jutta Räbiger
Leiterin des Studiengangs
Impressum
HerausgeberIn: Das Rektorat und der Kanzler
der Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin
Verantwortlich i.S. des Presserechts: Prof. Dr. Christine Labonté-Roset,
Prorektorinnen: Prof. Dr. Brigitte Geißler-Piltz und Prof. Dr. Jutta Räbiger
Chefredaktion: Prof. Dr. Brigitte Geißler-Piltz (Prorektorin)
Redaktion: Andreas Brüning
(Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit)
Berthe Khayat (Leiterin des Zentrum für Weiterbildung, Hochschuldidaktik und
Berufsfeldforschung - ZWHB)
Druck und Layout: Druckerei Eppler & Buntdruck
Gestaltung: Günter Pirringer
Cover: Antje Kirschning
4
Fotografie: Cover: Antje Kirschning, alice-Redaktion und die AutorInnen
Anschrift der Redaktion:
ASFH Pressestelle
Alice-Salomon-Platz 5, 12627 Berlin
Tel: 030/992 45 426, Fax: 030/992 45 444
Email: [email protected]
Anzeigen: Bitte an die Redaktion.
Nachdruck gegen Belegexemplar bei Quellen- und Autorenangabe frei.
Redaktionsschluss der Ausgabe 12 des
„alice-magazins“: 01. März 2006
Nächstes Schwerpunktthema: Forschung
Erscheinungstermin: Mai 2006
Studium
Neues Studierendencenter an der ASFH zum WS 2005/2006
Am 20.10.2005 wurde das „Studierendencenter der ASFH“
als Pilotprojekt gestartet. Anhand des Organigramms wird
erkennbar, welche Arbeitsgruppen zukünftig zusammengefasst sind.
Die Aufgabe des Studierendencenters ist es, die Arbeitsgruppen neu zu definieren, die Vernetzung und den Informationsfluss zwischen den Arbeitsgruppen herzustellen,
Optimierungsprozesse zu erörtern und Kritik aktiv einzubringen. Die Bereitschaft zur Veränderung und das Ermöglichen
flexibler Gestaltungsprozesse haben dabei eine maßgebliche Bedeutung.
Die Arbeitsgruppen stehen nebeneinander als gleichberechtigte, selbständige, vernetzte Organisationseinheiten.
Es gibt die folgenden Arbeitsgruppen:
Servicestelle Internationale Angelegenheiten: Es erfolgt
eine wesentliche Umstrukturierung durch die Einführung
einer Stabstelle „Außenbeziehungen“, losgelöst vom Studierendencenter. Die Wahrnehmung der weiteren ursprünglichen Kernaufgaben mit Studierendenbezug erfolgt durch
das Außenamt mit der nunmehr neuen Vernetzung zu den
anderen Arbeitsgruppen.
Servicestelle Immatrikulation: Das Ziel einer Gesamtimmatrikulation soll erreicht werden. Dies bedeutet eine
Integration der Aufgaben in Bezug auf die konsekutive Masterbetreuung (nicht darunter fallen die bereits bestehenden
Masterstudiengänge, da diese unter der Weiterbildung angesiedelt sind). Neu ist bereits die Betreuung der Physio/Ergo
– Studierenden.
Servicestelle Prüfung: Es erfolgt in dieser Phase eine Neugliederung der Arbeitsbereiche, nicht mehr ausschließlich
nach Haupt- und Grundstudium, sondern nach Bachelor-Studiengängen, sowie nachfolgenden konsekutiven Masterstudiengängen, die erst zu entwickeln sind.
liche Rolle, so dass es einer Vernetzung mit der Klagebearbeitung bei den Immatrikulationsangelegenheiten bedarf.
Servicestelle Studiengangskoordination der Bachelor
- Studiengänge: Die Gewährleistung einer transparenten
Arbeitsweise wird bereits durch die Einführung von regelmäßigen Arbeitstreffen in einigen Studiengängen realisiert und
kann weiter ausgebaut werden.
Die Studierenden, die MitarbeiterInnen der Servicebereiche
sowie die HochschullehrerInnen und DozentInnen der ASFH
sind herzlich eingeladen, Vorschläge und Anregungen einzubringen und sich aktiv am Entwicklungsprozess der Studienreform zu beteiligen.
Kontakt:
Cathleen Lang
Leiterin Studierendencenter
E-Mail: [email protected]
alice-redaktion
Studierendencenter
Ltr. Lang. (324)
Internationale
Angelegenheiten
Miersch (304)
Immatrikulation (Zi. 327)
Hellerung (325)
Oefler (325)
Scholz (325)
Lehrbetrieb
Ltr. Rosenberg (316)
Pult (316)
Servicestelle Praxis: Ziel ist die Gesamtpraxisbetreuung
durch systematische Eingliederung aller Studiengänge in
diesen Bereich.
Servicestelle Studienberatung: Die Integration der KoordinatorInnen auf Beratungsebene, die auf vielfältige Erfahrung
in der Beratung von Studierenden zurückgreifen können,
sowie der Bologna-Beratung, die sich in Ihrer Anfangsphase
befindet.
Praxis
Drewes (328)
Potalivo (326)
Servicestelle Lehrbetrieb: Die Integration in den Servicebereich ist bedingt durch den ständigen und regelmäßigen Studierendenbezug im Rahmen des Tagesgeschäfts. Die Fragen
rund um das Kapazitätsrecht und die Kapazitätsberechnung
spielen im Hinblick auf die Einklägerproblematik eine erheb-
Prüfung (Zi. 327)
Bulisch (329)
Gatzemeier (329)
Keil (329)
Lorenzen (329)
Studienberatung
Studienberatung Soziale
Arbeit & SA/SP
Wind (125)
Studiengangskoordination
(incl. Beratung)
Ergo-/Physiotherapie
Marhauer (314)
Reichel (314)
Erziehung
im Kindesalter
Liebenow (414)
Gesundheits- und
Pflegemanagement
Weisgerber (334)
Studiengangskoodination konsekutive
Master
N.N.
5
Interkulturelle Sozialarbeit in Europa
Lichtpunkte einer Studienreise nach Amsterdam, Utrecht und Brüssel
Wer schon einmal in den Niederlanden war, dem mag vielleicht auch aufgefallen sein, dass in den Straßen und Institutionen ein viel multikulturelleres Erscheinungsbild herrscht,
als in Deutschland. Kein Wunder: die Niederlande haben eine
lange Kolonialgeschichte hinter sich. Einwanderer aus Surinam und Indonesien bekamen als holländische Staatsbürger bei der Immigration sofort alle Bürgerrechte. Darüber
hinaus wird Religionsfreiheit gelebt, so dass z.B. marokkanische Einwanderer in den Niederlanden vom Staat geförderte
Islamschulen besuchen können. Ob die liberale Integrationspolitik der Niederlande erfolgreich ist, war eine Frage, die uns
bereits vor unserer Reise beschäftigt hat und bis zu unserer
Abreise begleiten wird. Denn besonders mit dem Aufkommen von Rechtspopulismus und der Ermordung des islamkritischen Filmemachers Theo van Gogh im November 2004 ist
die multikulturelle Gesellschaft der Niederlande immer mehr
in die Kritik geraten.
Die Mitarbeiter des Amsterdamer Vereins „New Perspectives“ sind Streetworker, die sich um straffällige 12- bis 20-jährige Jungen kümmern. Voraussetzung für die Aufnahme eines
„Falles“ ist die mindestens zweimalige Aktenkundigkeit des
Jugendlichen bei der Polizei. Es sind Jugendliche mit multiplen Problemsituationen: sie gehen nicht zur Schule, haben
keine Arbeit und Probleme in der Familie. Oft kommen die
Familien der Betroffenen aus Marokko und anderen Ländern,
aus diesen Gründen wird auf eine multikulturelle Zusammensetzung des Teams wert gelegt. Besonders gut verläuft
hier das direkte Hilfeangebot für die „Gestrandeten“: nachdem ein Fall von der Polizei, dem Jugendamt oder dem Jungen selbst gemeldet wird, gehen sofort die Hilfemaßnahmen
los, ohne Warteliste und bürokratische Hürden. Ausgenommen sind hierbei Drogensüchtige, Illegale oder Jugendliche
mit psychischen Problemen.
Das 1993 entwickelte Hilfekonzept von „New Perspectives“
gliedert sich in 4 Phasen: Am Anfang stehen das kennen lernen, die soziale Analyse und das Setzen von Zielen. Nach
zwei bis drei Wochen beginnt die intensive Phase, in der
erste Ziele erreicht werden und eine Bezugsperson, außerhalb von „New Perspectives“, für den Jugendlichen gefunden
wird. Nach weiteren vier bis sechs Wochen beginnt die dritte
Phase, in der der ständige Kontakt binnen 14 Tagen abgebrochen wird. Daran schließt sich die „After Care“-Phase an.
Über 9 Monate hinweg steht noch ein Mitarbeiter bei Fragen und in Notsituationen zur Verfügung – im Ernstfall auch
zu jeder Tages- und Nachtzeit über ein Mobiltelefon. Uns
erschien die Arbeit des Vereins vor allem wegen des unbürokratischen Vorgehens sehr vorbildlich und effizient. Hinsichtlich der schnellen „Kur“ waren wir aber auch skeptisch, ob die
Jugendlichen sich so schnell gesellschaftlich integrieren und
von ihrem kriminellen Milieu wegkommen würden. Tatsächlich mussten die MitarbeiterInnen leider von hohen Rückfallquoten berichten, weshalb das Hilfekonzept – abhängig von
den Finanzmitteln – weiter verbessert werden soll.
MediatorInnen im belgischen Gesundheitswesen
Health Mediators sind interkulturelle Sprach- und Kulturvermittler und arbeiten in 50 belgischen Krankenhäusern in 17
Sprachen. 1999 wurden vom Gesundheitsministerium hierfür
knapp 1,3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Hans Verrept erläuterte das Konzept und die Arbeitsweise der Health
Mediators in Belgien, die eine wichtige Rolle bei der Erreichbarkeit von MigrantInnen im belgischen Gesundheitswesen spielen. Warum Mediatoren in der Vermittlung zwischen
einheimischem medizinischem Personal und MigrantInnen
wichtig ist, zeigte auch der Vortrag von Theda Borde. Darin
stellte sie eine Studie über türkische Migrantinnen in deutschen Krankenhäusern vor, die von 1996 bis 1999 an der Berliner Charité durchgeführt wurde. Nur etwa ein Drittel der
Befragten sprach gut deutsch, die Patientenaufklärung wies
deutliche Mängel auf. Weiterhin wurden unterschiedliche
Gesundheitskonzepte bei den Frauen festgestellt, die bei der
Behandlung beachtet werden müssten.
Wer den ausführlichen Bericht sowie Informationen zu allen
besuchten Einrichtungen und das Interview mit Cem Özdemir lesen möchte, kann sich auf www.asfh-berlin.de unter
Studium&Praxis/Studienprojekte informieren.
Nadin Tettschlag
Studentin ASFH
6
The Gates of New York
“Was bin ich froh, dass ich heute nicht nach New York fliegen muss”, sagt Edith selbstzufrieden grinsend und wuchtet meinen schwarzen Überseekoffer aus dem Beetle. Edith
hasst New York, die Stadt, in der ich die nächsten drei Monate
leben und arbeiten werde. Und ich hasse sie für diese Bemerkung, bin ich doch im Moment so gar nicht überzeugt von
dem, was ich mache. Eine Investition in die Zukunft soll es
sein, die Arbeit als Praktikantin in einem amerikanischen
Verlag direkt am Times Square. Das alles sind für mich böhmische Dörfer und vielleicht sollte
ich auch lieber dorthin fahren.
Im Flieger lulle ich mich mit Toms
Musik und amerikanischen Filmen
ein und bereite mich vorsichtshalber nicht auf die Landung vor.
Wenige Stunden später sitze ich in
der Metro von NYC: sie ist dreckig
und vergammelt, unbequem und
laut. Die Hinweisschilder auf das
Verhalten im Falle eines Rattenangriffs kann ich leider auch verstehen...
Die ersten Tage irre ich durch die
Straßen, werde nass von peitschendem Regen und staune: in New
York kommen Regen und Schnee
nicht von oben, sondern von der
Seite. Wie konnte ich bloß denken,
dass es nur ein kleiner Schritt sei
von Berlin nach New York. Für die
Menschheit mag das ja zutreffen,
nicht aber für mich!
An meinem ersten Tag im Verlag gibt mir Sheri, mein personal
supervisor, ihre private Telefonnummer: „Just in case you´re getting lost.“ An den ersten
Abenden besteht kein Anlass für getting lost, laufe ich doch
jeden Tag einen Marathon. Dann stirbt auch noch Susan Sontag, ohne dass sie mich getroffen hat und Paul Auster lässt
sich auch nicht blicken. Im Dezember ist Christmas Party. Ich
lerne viele wichtige Menschen kennen, die mich auch kennen
lernen wollen und nach drei Gläsern kalifornischen Weißweins fühle ich mich prächtig! Englische Sprache – no problem, fremde Menschen – never mind, New York – what a
lovely place! Ich werde mich nie wieder so frei fühlen, denke
ich und beschließe, von jetzt an jeden einzelnen Tag in dieser
durchgeknallten Stadt zu genießen. Sie macht es mir leicht,
sie und die Menschen, mit denen ich arbeite, die ich kennen lerne, einfach so, ohne Erwartungen, ohne Druck, ohne
Zukunft. Nun ist mein Aufenthalt hier nicht in erster Linie eine
Investition in die Zukunft, sondern in die Gegenwart. Ich fühle
mich wie eine Schauspielerin in einem Film, erkenne ich doch
die Plätze wieder, die auf der Kinoleinwand vorbeihuschen:
Fifth Avenue, Wall Street, Central Park. Ich lebe in New York!
Nun irre ich nicht mehr, ich suche, entdecke und finde.
New York ist der Tradition treu geblieben, der melting pot
der USA zu sein: die Menschen kommen und gehen, wandern ein und wandern aus. Das führt zu einer unübertroffenen Mischung an Kulturen, Hautfarben und Sprachen.
New York ist ein Pulverfass, auch ohne Terrorangriffe von
außen: die bei uns so verpönte, weil anscheinend oberflächliche Freundlichkeit ist notwendig zum Überleben. Sie wirkt
auch im Verlag und bei aller Fremdheit der Stadt, hier sind es
Vertrautheiten, auf die ich stoße: die Themenbereiche aus
Central Park, NewYork
Pflege und Sozialarbeit. Es ist nicht alles Gold, was amerikanisch glänzt: Die gesellschaftliche Kluft ist ausgeprägter, die
staatliche Unterstützung auf ein Minimum reduziert, Gropiusstadt ein Naherholungsgebiet gegen die Bronx.
Als Kontrastprogramm genieße ich „La Bohème“ in der
Metropolitan Opera an der Seite von Herbert Grönemeyer,
klettere für viel Geld auf das Empire State Building (zu Fuß
ist es günstiger), besuche Chanel und Tiffany und gehe für 20
Dollar in das neue Museum of Modern Art. Who cares?
In meiner letzten Woche kommen Marijke und Christo. Marijke holt mich nach Hause, Christo baut seine Gates im Central
Park auf. In der frühlingshaften Sonne hinterlasse ich überall
Spuren meiner Seele, damit diese Stadt mich wieder erkennt,
wenn ich zurückkomme.
Nicht nur die Wolken hängen schwer an meinem Abflugtag,
und als ein Blizzard mich und British Airways für Stunden
länger in New York hält als erwartet, bin ich wohl die einzige,
die darüber glücklich ist.
Barbara Müller
Studentin ASFH
7
Schwerpunktthema:
Weiterbildung und
lebenslanges Lernen
„Weiter?Bilden!“ – Zum Stellenwert der Wissenschaftlichen Weiterbildung an der ASFH
Die Ansprüche an den Nutzen von Weiterbildung sind sehr
hoch:
Weiterbildung soll die Teilhabe aller am gesellschaftlichen
Prozess gewährleisten. Sie soll die Beschäftigungsfähigkeit
der Arbeitnehmer sichern. Weiterbildung soll das wirtschaftliche Wachstum der Länder befördern.
Die bundes- wie vor allem auch europaweiten Initiativen zur
Weiterbildung sind daher vielfältig und umfangreich:
Die Vereinten Nationen haben die kommenden 10 Jahre von
2005 bis 2014 zur „Dekade der Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ausgerufen.
Im April diesen Jahres nahm die europäische Kommission die
Mitteilung „Das intellektuelle Potential Europas wecken: So
können die Universitäten ihren vollen Beitrag zur Lissabonner Strategie leisten“ an.1 In dieser Mitteilung wird die Stärkung des Wissensdreiecks - Bildung, Forschung, Innovation
- gefordert.
Die Europäische Kommission stockte im September dieses
Jahres die Mittel für die Erwachsenenbildung auf. Der Zugang
zu Bildungsangeboten der Erwachsenenbildung soll erleichtert und die europaweite Zusammenarbeit gefördert werden.
Jan Figel, EU-Kommissar für Allgemeine und Berufliche Bildung, unterstrich die Bedeutung der Erwachsenenbildung
für die Zukunft der Union: „Lernen endet nicht mit dem
Schul- oder Universitätsabschluss. In unserem vom raschen
Wandel geprägten Informationszeitalter bedarf es Arbeitskräfte, die sich die in einem anspruchsvollen globalisierten
Umfeld geforderten allgemeinen Qualifikationen aneignen.
Aufgrund der Alterung unserer Gesellschaft ist es überdies
wichtiger denn je, dass die Erwachsenen ein Leben lang
dazulernen oder ihre Kenntnisse auffrischen.“
Dass Lernen zukünftig immer weniger mit dem Schul- oder
Universitätsabschluss endet, ist weitgehend unstrittig und
im Bewusstsein eines Großteils der Bürgerinnen und Bürger
der Europäischen Union verankert. Neun von zehn europäischen Bürgern halten das lebenslange Lernen für wichtig,
wobei länderspezifische Unterschiede bestehen. Deutsche
und Isländer z.B. stufen das lebenslange Lernen nahezu einhellig als wichtig ein, während in Griechenland mehr als jeder
fünfte Befragte der entgegengesetzten Auffassung ist. Die
Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger ist auch der Ansicht,
dass lebenslanges Lernen Menschen aller Altersgruppen
betrifft.2
8
Die Zahlen zur Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland
sind uneinheitlich und können derzeit nur Tendenzen benennen. Deutlich ist aber, dass die Weiterbildungsbeteiligung
mit dem Bildungsgrad steigt und bei AkademikerInnen überdurchschnittlich hoch ist.
Weiterbildung an Hochschulen kommt in diesem Prozess eine
zunehmend zentraler werdende Rolle zu und gehört deshalb
heute zu den gesetzlich vorgeschriebenen, gleichberechtigt
neben der Lehre und Forschung stehenden, Kernaufgaben
der Hochschulen. Neben dieser formalrechtlichen Verankerung im Hochschulrahmengesetz liegt der Stellenwert der
hochschulischen Weiterbildung insbesondere an Fachhochschulen darin begründet, dass diese eine lange Expertise in
der Verbindung von Wissenschaft und Praxisbezug aufweisen können.
Nach einer vom HIS (Hochschulinformations-System) veranlassten Untersuchung zur Rolle der Hochschulen bei der
beruflichen Weiterbildung von Hochschulabsolventen erwarten insbesondere Absolventen aus dem Sozialwesen von
ihren Hochschulen, dass diese sie wissenschaftlich auf dem
Laufenden halten.3
Die Alice-Salomon-Fachhochschule stellt sich diesen Anforderungen und Erwartungen. Sie hat frühzeitig die Initiative
ergriffen und im Bereich der wissenschaftlichen Weiterbildung ein Angebotsspektrum entwickelt, das in der Hochschullandschaft zu einem der anspruchsvollsten und
vielfältigsten zählt.
Hierzu gehören die weiterbildenden Masterstudiengänge
ebenso wie die Weiterbildungsangebote des 2001 gegründeten Zentrums für Weiterbildung, Hochschuldidaktik und
Berufsfeldforschung (ZWHB). 4
Unter dem Slogan „Weiter?Bilden!“ hat die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Konzertierte
Aktion Weiterbildung (KAW) zusammen mit großen Bildungsverbänden eine Mobilisierungskampagne gestartet, um für
die Idee des lebensbegleitenden Lernens zu werben.
An der ASFH ist eine solche Weiterbildungsoffensive schon
lange vorher gestartet und wird heute mit Erfolg umgesetzt.
Die wissenschaftliche Weiterbildung ist in der ASFH angekommen, wurde als Kernaufgabe in das Hochschulprofil integriert und setzt dort deutlich ihre Akzente.
Berthe Khayat
Leiterin ZWHB
1
KOM(2005) 152 endgültig: Mitteilung der Kommission. Der
Begriff „Universitäten“ umfasst hier sämtliche Einrichtungen
im Hochschulbereich.
3
HIS-Hochulinformations-System-GmbH (HRSG.): Die Rolle der
Hochschulen bei der beruflichen Weiterbildung von Hochschulabsolventen, Hannover 2004
2
Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Lebenslanges Lernen: die Einstellungen der Bürger,
Luxemburg 2003
4
Das Angebotsspektrum des ZWHB wird in einem Artikel dieser
alice-Ausgabe vorgestellt.
Lebenslanges Lernen
Prof. Dr. Martin Baethge, Direktor des Soziologischen Forschungsinstituts e.V. (SOFI) in Göttingen, ist einer der
renommiertesten Experten Deutschlands auf dem Gebiet der
Bildungs- und Arbeitsmarktforschung. Er ist seit 2004 Mitglied des Konsortiums für eine nationale Bildungsberichterstattung, das vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung und der Kultusministerkonferenz eingerichtet
wurde und dessen Aufgabe die Erstellung eines ersten Bildungsberichts für Deutschland ist.
Mit seinem Forschungsteam führte Martin Baethge von
2001 bis 2004 eine breit angelegte empirische Studie zum
Weiterbildungsverhalten, zum Bildungsbewusstsein und
zu den Kompetenzen für lebenslanges Lernen in der deutschen Bevölkerung in West und Ost durch1. Ihr Titel lautet:
„Der ungleiche Kampf um das lebenslange Lernen“. Im Zentrum der Studie steht die Frage nach dem Vorhandensein von
Kompetenzen für lebenslanges Lernen:
Was ist das Lernbewusstsein, was sind die Lernkontexte, in
denen Erwachsene heute lernen? Was sagt das über die Qualität des Lernens aus und kann man etwas darüber sagen,
ob die Lernkompetenzen tatsächlich etwas mit dem Lernkontext, in dem die Menschen lernen, zu tun haben?
Dies sind auch für die Weiterbildung und Lehre an Hochschulen spannende Fragen, zu denen Martin Baethge und sein
Forschungsteam teils überraschende Antworten gefunden
haben.
Alice: Herr Baethge, was haben Sie selbst gelernt durch Ihre
Studie und was sind für Sie die wichtigsten Ergebnisse?
Martin Baethge: Die in meinen Augen wichtigsten Ergebnisse beziehen sich auf die gegenwärtige Diskussion im ganzen Feld Weiterbildung und Arbeitsmarktpolitik, besonders
soweit es um berufliches Lernen im Erwachsenenalter geht.
Unsere Studie ist repräsentativ, so dass wir wirklich alle
Gruppen ganz differenziert betrachten konnten. Wir haben
die Untersuchung so angelegt, dass wir Areale informellen
Lernens sowohl in der Arbeit als auch zu Hause, Internetlernen etc. erfasst haben. Das Bedeutsame daran ist, dass wir
nicht nur gefragt haben, was sind ihre wichtigsten Lernkontexte, sondern dass wir das in Beziehung gesetzt haben zu
den Kompetenzen, die die Leute haben. Und da zeigt sich das geht sozusagen gegen diese Überhöhung des informellen Lernens - dass gerade diejenigen, die ausschließlich oder
auch an erster Stelle dieses informelle Lernen gesetzt hat-
ten, bezogen auf Lernkompetenzen die niedrigsten Werte
hatten. Während diejenigen, die Weiterbildungseinrichtungen, Hochschulen usw., also die institutionelle Form von Lernen, genannt haben, deutlich bessere Werte hinsichtlich der
Selbststeuerung von Lernprozessen erreichen.
Alice: Welche Folgen hat dies für den Stellenwert des informellen Lernens?
Martin Baethge: Dieses Ergebnis ist, glaube ich, wirklich
sehr wichtig gegen eine naive Euphorie hinsichtlich des
informellen Lernens. Denn Sie müssen sich ja fragen, was
lernen die Leute eigentlich in informellen Kontexten, und das
ist schwer zu definieren und da muss man sagen, nur informelle Lernkontexte und ein Ausspielen von informellen und
formalisierten Lernformen wäre eine ziemlich heikle Sache.
Sie müssen sich ergänzen, dann bringt das sehr viel. Es geht
nicht, allein auf informelles Lernen zu setzen und zu sagen,
jetzt können wir doch Etats für Weiterbildung munter zusammenstreichen. Man kann nicht sagen, – das können wir auch
wirklich sehr gut nachweisen – , dass institutionelle Formen
des Lernens durch informelle ersetzt werden können.
Auf der anderen Seite gibt es Zusammenhänge, die zeigen,
dass gerade im Bereich der beruflichen Weiterbildung die
institutionalisierten Lernformen unter Umständen auch ins
Leere laufen, wenn sie nicht – und das ist die andere Seite
der Medaille – dann doch ein Pendant in der Arbeit und in den
unmittelbaren sozialen Kontexten finden.
Alice: Was war für Sie das überraschendste Ergebnis Ihrer
Studie?
Martin Baethge: Also das für uns im Grunde genommen
Überraschendste an dieser Untersuchung war, dass die Kompetenzen für lebenslanges Lernen zentral abhängig sind
von den im Erwachsenenalter insbesondere am Arbeitsplatz
erfahrenen Lernkontexten. Die Dispositionen für lebenslanges Lernen sind eben nicht im frühkindlichen Alter oder bis
zum Alter von 12 oder 13 Jahren endgültig formiert, sondern
entscheidend ist die Lernumgebung. Mittlerweile bestätigt ja die Hirnforschung, dass sich das Gehirn auch noch im
Alter weiterentwickelt. Die multivariate Analyse hat uns sehr
deutlich zeigt, dass die Lernförderlichkeit in der Arbeit einen
überragenden Stellenwert für die Kompetenzen für lebenslanges Lernen hat. Das sind ja ganz ermutigende Ergebnisse
und deswegen haben wir das entsprechende Kapitel auch
9
'Arbeit als zweite Chance' überschrieben. Der Sachverhalt
selbst leuchtet ein und ist auch durch eine ganze Reihe von
arbeitspsychologischen Studien bestätigt.
Alice: Arbeit als zweite Chance klingt ermutigend, aber wo
liegen die Risiken?
Martin Baethge: Die ganze Sache hat eine eminent wichtige
sozial-strukturelle Implikation. Es zeigt sich, dass die Verteilung lernförderlicher Arbeitsplätze nicht quer durch die
Gesamtbeschäftigung geht, sondern dass es große Areale
gibt, etwa ein Drittel der Arbeitsplätze, in denen kaum eine
lernanregende Arbeitsumgebung vorhanden ist. Das heißt,
dass diese Arbeitnehmer doppelt benachteiligt sind. In erster Linie handelt es sich um Personen, die vor allen Dingen
in den nicht qualifizierten Tätigkeiten in der Industrie, in den
gering qualifizierten Tätigkeiten im Dienstleistungssektor,
im Reinigungsgewerbe und vor allem im Einzelhandel tätig
sind. Da sind sehr viele doppelt benachteiligt, weil sie erstens – ganz krass gesagt – beschissene Arbeitsplätze haben
und zweitens da nicht das entwickeln können, was nötig
wäre, wenn sie sich selbst daraus befreien wollten.
Alice: Da schließt sich dann der negative Kreis.
Martin Baethge: Ganz genau und das heißt auch, dass die
Qualifizierung von Arbeitslosen irgendwo an Grenzen stößt
- nämlich sowohl an innere wie äußere Grenzen. Wir wissen, dass über 50 % der Arbeitslosen aus gering qualifizierten Tätigkeiten kommen, dass dort innere Barrieren im Sinne
der versperrten Entwicklung von Kompetenzen zum Lernen
überhaupt erst einmal aufgebrochen werden müssen und
dass eben, wenn der Arbeit selbst ein so hoher Stellenwert
zukommt, es zunehmend schwerer werden wird, Arbeitslose
wieder in Beschäftigung zu bringen. Weil dafür Kompetenzen
und Qualifikationen nötig sind.
Alice: Es ist ja auch ein Verdienst Ihrer Studie, diese Zusammenhänge aufzuzeigen und deutlich zu machen, wo Menschen benachteiligt sind und am Prozess des lebenslangen
Lernens überhaupt nicht partizipieren können und damit ihre
Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit gefährden. Wo sehen
sie den Ansatzpunkt da regulierend einzuwirken? Wie könnte
man z.B. der Verkäuferin im Spar-Laden die Chancen eröffnen, auch an diesem Prozess teilzunehmen und ihre Lernfähigkeit aufrechtzuerhalten?
Martin Baethge: Das ist eine sehr ernste und schwer zu
beantwortende Frage. Es ist nicht in erster Linie eine Frage
der Bildungspolitik, sondern es ist eine Kombination von
systematischer Arbeitsmarkt- und Weiterbildungspolitik und
Arbeitspolitik. Einer Reihe von Unternehmen ist sehr wohl
bewusst, dass sie gerade für ihre gering qualifizierten Belegschaften im Grunde genommen etwas machen müssen. Und
deswegen ist alle Politik, die darauf zielt, die Aufgabenzuschnitte in der Arbeit zu vergrößern, die Lernintensität der
Arbeit zu verbessern, eine ganz wichtige Voraussetzung
10
dafür, dass lebenslanges Lernen sich auf der individuellen
Kompetenzebene stabilisiert und stabilisieren kann. Also
wenn Sie so wollen, die Verbindung von Lernen und Praxis.
Ich hoffe das ist deutlich geworden, es gibt keinen Automatismus, gerade weil wir wissen, dass es zwischen 35 und
40 % gering qualifizierte Arbeitsplätze gibt. Daraus können
Sie ersehen, wie groß die Gefährdungen sind und wie wichtig dieser Ansatzpunkt der Verbesserung der Lernfähigkeit in
der Arbeit, aber man kann auch sagen, in den sozialen Kontexten ist.
Ich glaube, dass es den Frauen im Lernen deshalb u.a. so viel
besser geht, weil sie in der Regel mehr Selbstaktivität auch
außerhalb der Arbeit entfalten müssen. Es gibt ja schon
seit den 80er Jahren die These von den Alternativrollen, die
besagt, dass Frauen besser mit Arbeitslosigkeit umgehen
und nicht ins Bodenlose fallen, weil sie aktiv sind und Alternativrollen haben, die sie weiter verfolgen können.
Der Hobbygärtner lernt auch, aber die Verbindlichkeit der
Kindererziehung ist einfach größer und erfordert mehr Konzentration und das verbessert wiederum die Voraussetzungen für das Lernen.
Alice: Kennen Sie die These aus der Forschung zur Weiterbildungsabstinenz, dass es in der Gruppe der sogenannten
Weiterbildungsabstinenten auch gute Gründe geben könnte,
nicht an Weiterbildung teilzunehmen? Gibt es neben der Forderung nach lebenslangem Lernen und nach dem Recht auf
Bildung nicht auch ein Recht auf Widerstand, auf Nichtteilnahme?
Martin Baethge: Wir haben auch die Frage gestellt, was den
Leuten am ehesten einfällt zu dem Stichwort lebenslanges
Lernen. Die Ergebnisse sind da schon sehr interessant. 80 %
sehen eben eher den Zwangscharakter, wobei 50 % sagen:
„Das muss man machen, um überhaupt noch einen Arbeitsplatz zu bekommen“. Der Rest sagt, das sei eine unerträgliche Zumutung. Und was auch sehr witzig ist: „Ich habe genug
gelernt“. Nicht Zwangscharakter, sondern Zumutungscharakter. Und nur 20 % sagen: „Da tue ich endlich mal etwas
für mich selbst“.
Alice: Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Martin Baethge: Wenn wir mehr lernförderliche soziale Kontexte von der Arbeit bis zur Familie hätten, würde das vielleicht auch von vielen gar nicht so negativ gesehen und wenn
sie ein Bewusstsein davon hätten, was sie eigentlich alles
lernen und gelernt haben. Die Widerständigkeit gegenüber
Weiterbildung ist im Grunde genommen ein Hinweis auf die
bürokratische Verfassung der Lernorganisation: dass nämlich die Leute auch ein Bewusstsein haben, muss ich lebenslang in irgendeiner Form zur Schule gehen, zur Hochschule
gehen, zur Volkhochschule gehen, aber immer kommt dieser Inhalt Schule mit rein. Und das Bild einer Schule ist das
von einer bürokratischen Organisation. Und dass das bis zu
einem gewissen Grad abschreckend wirken kann, glaube ich,
darüber müssen wir uns nicht lange streiten.
Alice: Da würde sich wieder der negative Kreis schließen.
Wenig Erfahrung mit positiven Lernkontexten.
Martin Baethge: Dieses Wort Widerstand kann man glaube
ich so akzeptieren und verstehen, dass man auch diejenigen ernst nimmt und denen auch Existenzmöglichkeiten gibt,
die nicht mehr lernen - aus welchen Gründen auch immer. Ein
Problem dieser hohen Betonung vom lebenslangen Lernen
besteht auch darin, dass sie sehr schnell dazu führen kann,
Arbeitsmarktrisiken usw. zu individualisieren: „Die wollen
nicht mehr lernen“ heißt es dann. Aber es gibt genügend
Leute, die es dann so verlernt haben, dass sie nicht mehr gut
lernen können. Und dann zu sagen, dass sind die Fußkranken der Gesellschaft, die wollen auch nicht mehr usw. Das
ist keine Frage des Willens, das möchte ich sehr ernst betonen. Aus dem Zusammenhang, den wir über Lernförderlichkeit und Lernkompetenz hergestellt haben, zeigt sich eben,
wo dann die Verursachungsfaktoren für individuelle Sperren
zum Lernen liegen. Auch Widerständigkeit.
Alice: Vielleicht auch Widerständigkeit gegen den Verwertungscharakter, du musst dich weiterbilden?
Martin Baethge: Ja, auch das. Und das generiert natürlich auch Angst, weil Anforderungen gesetzt werden, die so
ungewohnt sind und die dann noch mit einem Typus von Lernen verbunden werden, gegen den man ohnehin eine Abwehr
hat. Wobei interessant ist, das ist nicht durch die Schulen
hervorgebracht worden. Die Einschätzung des schulischen
Lernens ist überwiegend positiv. Die Leute erinnern sich
gerne an ihre Schulzeit zurück und sagen, da haben wir doch
eine Menge gelernt.
Alice: Wollen wir den Bogen zur Fachhochschulen spannen.
Wie können wir die Kompetenzen des lebenslangen Lernens
vermitteln und fördern? Und gibt es Vorteile, Stärken, die die
Fachhochschulen gegenüber den Universitäten haben?
Martin Baethge: Also ich denke, dass im Vergleich mit den
Universitäten die Fachhochschulen Vorteile haben. In den
Universitäten steht wissenschaftliche Weiterentwicklung,
wissenschaftliches Lernen, forschungsbezogenes Lernen im
Vordergrund und das ist ja immer etwas Praxisenthobenes,
von der Praxis Ausgegliedertes. Es ist daher nicht zufällig,
dass die Universitäten im Bereich der Weiterbildung bislang wenig aktiv waren, wenige Angebote haben und nur von
wenigen Hochschulen, die sich darin einen Wettbewerbsvorteil versprechen, etwas intensiver Weiterbildung angeboten
wird. Ich denke, dass die Fachhochschulen, weil sie von vornherein von ihrem Widmungszweck einen stärkeren Praxisbezug haben, eine höhere Praxisnähe haben. Das ist ein Vorteil.
Es ist ja eine recht kuriose Argumentationsfigur, dass sozusagen die Verweigerung der höheren Weihen der Wissenschaftlichkeit im Sinne von Forschung, von Promotion, was
ja lange Zeit die Realität der Fachhochschulen war, dass die
gerade im Bereich der Weiterbildung möglicherweise den
Fachhochschulen heute einen Vorteil verschafft, wenn sie
den Vorteil dann zu nutzen wissen. Ein weiterer Vorteil der
Fachhochschulen könnte sein, dass sie u.U. unterschiedliche Fachdisziplinen, bezogen auf Praxis, besser integrieren
und vereinigen können, als dies gegenwärtig an den Universitäten der Fall ist.
Alice: Wie können die Universitäten ihren Studierenden
während der universitären Ausbildung vermitteln, sich auf
lebenslanges Lernen einzustellen?
Martin Baethge: Also ich glaube, man darf das nicht zu eng
sehen. Wissenschaftliche Ausbildung ist ja in ihrem Kern
nicht Vermittlung von Faktenwissen, sondern von Methodenwissen, von kategorialem Wissen, von begrifflich denken können und so etwas. Und das sind natürlich alles
Voraussetzungen für lebenslanges Lernen, weil sie damit
lernen, methodisch auch an neue Probleme, die sich ihnen
stellen, heranzugehen. Also, wenn man so will, ist es nicht
in erster Linie das Fachwissenschaftliche, sondern es ist das
die Fachwissenschaften übergreifende Prinzip der Wissenschaftlichkeit, das dann wirkt, oder wenn man es auf eine
andere Ebene setzt, sind es die fachübergreifenden Kompetenzen, die unter so Stichworten wie Methodenkompetenz,
wie Sozialkompetenz usw. gefasst werden, die die Grundlagen sind. Und darauf müssen auch die Universitäten, denke
ich, in Zukunft mehr Aufmerksamkeit verwenden.
Alice: Ist das das Stichwort für neue Lehr- und Lernmethoden in Studium und Weiterbildung?
Martin Baethge: Ja, und da denke ich, hat die Alice-Salomon
Fachhochschule wieder einen Vorteil, wenn Ihr Eure Stärken
betont, nämlich die größere Nähe zu den Handlungsfeldern
nutzt, in denen Eure Studentinnen und Studenten später
einmal arbeiten.
Alice: Herr Prof. Baethge, wir danken Ihnen für das
Gespräch!
Herr Baethge wurde von den ASFH-MitarbeiterInnen Berthe
Khayat und Antje Kirschning interviewt.
1
Martin Baethge, Volker Baethge-Kinsky (2004): Der ungleiche
Kampf um das lebenslange Lernen: eine Repräsentativ-Studie
zum Lernbewusstsein und –verhalten der deutschen Bevölkerung. In: edition Quem, Studien zur beruflichen Weiterbildung
im Transformationsprozess, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft
Betriebliche Weiterbildungsforschung e.V., Bd. 16, Münster:
Waxmann.
Die Studie wurde aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sowie aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördert. Sie wurde in Kooperation vom
Soziologischen Forschungsinstitut (SOFI) Göttingen (federführend), dem Berlin-Brandenburgischen Institut für Sozialforschung (BISS), dem Lehrstuhl für Erwachsenenpädagogik der
Universität Heidelberg sowie mit Unterstützung des Methodenzentrums der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität
Göttingen durchgeführt.
11
Lernen für eine lebendige Gesellschaft
Erfolgreiche Praxis der Wissenschaftlichen Weiterbildung an
Fachhochschulen
„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr“, war
lange Zeit ein beliebter Satz, um Kindern das Lernen in jungen Jahren schmackhaft zu machen. Die Zeiten haben sich
geändert. Begriffe wie lebensbegleitendes oder lebenslanges Lernen sind feste Begriffe der aktuellen Bildungsdiskussion und haben auch in der Praxis zu einem Umdenken bei
Unternehmen und Mitarbeitern, aber auch Bildungsanbietern geführt. „Wer rastet, der rostet“, gilt heute mehr denn
je nicht nur für einen faulen Körper ohne Bewegung, sondern
auch für einen matten Geist ohne entsprechende „Nahrung“.
Die Inhalte des lebensbegleitenden Lernens sind vielfältig.
So ist es notwendig, Wissen auf den neuesten Stand zu bringen, Fertigkeiten auszubauen und Kompetenzen zu entwiThesen zur Wissenschaftlichen Weiterbildung
Wissenschaftliche Weiterbildung und Qualität
Im Rahmen des lebensbegleitenden Lernens ist Wissenschaftliche Weiterbildung gesellschafts- und bildungspolitisches Programm. Akkreditierung, Evaluation und
Qualitätsentwicklung sind notwendige Voraussetzungen
für dauerhafte Exzellenz der wissenschaftlichen Weiterbildung.
Qualität und Wirtschaftlichkeit
Qualität und Wirtschaftlichkeit sind grundsätzlich konkurrierende Ziele der Wissenschaftlichen Weiterbildung.
Bereits die kostendeckende Durchführung qualitätsgeleiteter und forschungsbasierter Wissenschaftlicher Weiterbildung stellt eine hohe ökonomische Herausforderung
dar.
Wirtschaftlichkeit und Bedarf
Bedarf und Nachfrage nach Wissenschaftlicher Weiterbildung garantieren noch keine kostendeckenden Preise.
Nur ein strategisch ausgerichtetes Produktportfolio
mit fokussierter Kundenorientierung und Nutzung von
Synergieeffekten kann nachhaltig ökonomisch erfolgreich sein.
ckeln. Letztendlich ist es immer das Ziel, die anstehenden
beruflichen Anforderungen heute und in Zukunft bestmöglich bewältigen zu können. Wissenschaftliche Weiterbildung - also Weiterbildung unter Berücksichtigung aktueller
wissenschaftlicher Erkenntnisse - leistet hierbei wertvolle
Dienste und Hochschulen nehmen sich dieser auch durch
gesetzlichen Auftrag vorgegebenen Aufgabe immer stärker
an.1 Im nachfolgenden Beitrag wird ein Zukunftsbild entworfen, wie insbesondere die Fachhochschulen in der Praxis der
Wissenschaftlichen Weiterbildung erfolgreich sein können.
12
Wissenschaftliche Weiterbildung an Hochschulen
Die Neugestaltung des europäischen Hochschulraumes,
ausgelöst durch den Bologna-Prozess seit 1999, mit dem Ziel
der Erhöhung der Studierendenmobilität und einer verbesserten Vergleichbarkeit der Studienabschlüsse sowie gleichzeitig zunehmender Hochschulautonomie in Deutschland
wird dauerhaft deutliche Veränderungen im Leistungsangebot der Hochschulen bewirken. Das für Deutschland neue
und weitgehend einheitliche dreistufige Studiensystem mit
Bachelor-, Master- und Promotionsabschlüssen2 relativiert
zum einen die bisherigen Unterschiede zwischen Fachhochschulen und Universitäten und berücksichtigt wesentlich
stärker als bisher auch Weiterbildungsstudiengänge. Grundsätzlich ist das an einer Universität oder Fachhochschule
angebotene Bachelor-Studium Regelvoraussetzung für die
Aufnahme eines meist sich direkt daran anschließenden
Masterstudiums oder eines Weiterbildungsstudiums ebenfalls mit Masterabschluss, das im Normalfall nach einigen
Berufsjahren begonnen und meist berufsbegleitend durchgeführt wird. Der jeweilige Studienumfang wird zukünftig
durch den Gesamtarbeitsaufwand der Studierenden bis zum
Studienabschluss bestimmt und durch ECTS-Points3 europaeinheitlich beschrieben.
Neben diesen Weiterbildungsstudiengängen, die je nach
ECTS-Points eine Studiendauer zwischen zwei und vier
Semestern erfordern, werden auch kurzfristige Maßnahmen der Wissenschaftlichen Weiterbildung angeboten. Insbesondere handelt es sich hierbei um Kongresse, Tagungen,
Erfahrungsaustausche oder Seminare, die meist einen oder
wenige Tage dauern.
Längerfristige Veranstaltungen von einer bis mehrerenWochen ohne Studienabschluss werden häufig als Zertifikatskurse bezeichnet, mit Zeugnis, aber ohne formalen
akademischen Wert.
Das Ökonomische Missverständnis der Wissenschaftlichen Weiterbildung
Die schwierige Finanzierungssituation der Hochschulen
in Deutschland ist zweifelsohne bedingt durch deutlich
beschränkte Möglichkeiten der öffentlichen Hochschulfinanzierung. Die Hochschulen versprechen sich durch die Wissenschaftliche Weiterbildung eine realistische Möglichkeit
in ökonomisch schwierigen Zeiten die eigenen Einnahmen
spürbar zu verbessern, insbesondere auch deshalb, weil
meist diesbezügliche Aktivitäten und damit auch Weiterbildungsstudiengänge zu Marktpreisen angeboten werden
können. Allzu häufig wird aber eine zu optimistische ökonomische Planung betrieben. Dabei werden nahezu immer die
Einnahmen zu hoch und die Ausgaben zu niedrig angesetzt.
Aus einer positiven Einnahmenentwicklung kann dadurch
recht schnell eine Unterdeckung des Gesamtbudgets entstehen. 4 Zum besseren Verständnis seien hier einige Gründe für
zu optimistische Einschätzungen angeführt:
• Die Einnahmen werden überschätzt; die zur Erreichung
des Break-Even-Punktes notwendigen Studierendenzahlen sind schwieriger zu erreichen als gedacht.
nachhaltiger Auf- bzw. Ausbau der Wissenschaftlichen Weiterbildung als zusätzliches Geschäftsmodell ergänzend zu
grundständigen Studiengängen angestrebt wird.
• Um Maßnahmen zu füllen, werden Rabatte eingeräumt
(und vielleicht sogar noch als Stipendien „verkauft“).
Leistungsumfang und Marktfähigkeit der Fachhochschulen sind im bisherigen Ausbildungssegment anerkannt und
unbestritten. Auch in der Wissenschaftlichen Weiterbildung
haben die stark praxisorientierten Fachhochschulen eine
nicht geringe Tradition, allerdings schwerpunktmäßig bei
kürzerfristigen Maßnahmen. Weiterbildungsstudiengänge
sind aufgrund des bisherigen einstufigen Studienmodells
in Deutschland an Fachhochschulen noch kaum verbreitet.
Es ist also eine Grundsatzentscheidung zu treffen, wie das
Leistungs-Portfolio der Wissenschaftlichen Weiterbildung
gestaltet werden soll. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass
der Aufbau von Studiengängen der Wissenschaftlichen Weiterbildung zeit- und kostenintensiv ist und auch der Wettbewerb national und international stark zunimmt. Außerdem ist
die Bereitschaft in längerfristige Maßnahmen zu investieren
aufgrund der konjunkturellen Rahmendaten bei den potenziellen (zahlenden) Teilnehmern und Unternehmen derzeit eher begrenzt. Es sei hier die Prognose gestattet, dass
die Angebotsseite der Wissenschaftlichen Weiterbildung
in naher Zukunft stärker wachsen wird, als die Nachfrageseite. Diese Rahmenbedingungen machen deutlich, dass das
Geschäftsrisiko der Wissenschaftlichen Weiterbildung nicht
unbedeutend ist und damit die strategische Ausrichtung des
Angebotes mit besonderem Blick auf die Marktfähigkeit eine
ganz entscheidende Bedeutung erhält. Es wäre sicher auch
ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil, wenn es als Anbieter
gelänge, ein Alleinstellungsmerkmal (USP=Unique Selling
Proposition) im Hinblick auf das Leistungs-Portfolio herauszuarbeiten. Hierbei ist auch die Frage der Zielgruppenfokussierung zu klären, ist doch die Konzentration auf die eigenen
Absolventen nur in seltenen Fällen quantitativ auskömmlich
• Erwartete Einnahmen aus private-public Partnerschaften
fließen geringer und nicht so nachhaltig wie erwartet.
• Die erwarteten Ausgaben für die Lehre sind höher als
erwartet, weil freie Lehrdeputate kaum zur Verfügung
stehen und somit Lehre mit Marktsätzen zu vergüten ist.
• Das Vorhalten von Infrastruktur auch an Wochenenden
und in den Abendstunden wird im Planungsstadium oft
unterschätzt (Bereitschaft, EDV-Probleme, Bibliothek
usw.).
• Kunden, die sich für Maßnahmen zu Marktpreisen entscheiden, haben auch höhere kostenwirksame Ansprüche
in Betreuung, Verpflegung, Abschlussfeier und Rahmenprogramm.
Der Autor zeichnet hier bewusst ein kritisches Szenario
der Möglichkeiten zur Budgetverbesserung der Hochschulen im Aufgabenbereich der Wissenschaftlichen Weiterbildung. Hierdurch wird bezweckt, dass die Verantwortlichen
im Rahmen von Entscheidungsvorbereitungen zur Wissenschaftlichen Weiterbildung unabhängig von strategischen
Überlegungen ökonomischer Realität einen höheren Stellenwert einräumen.
Strategische Konzepte
Soll wissenschaftliche Weiterbildung in der Praxis erfolgreich
realisiert werden, erfordert dies eine Vielzahl von Vorüberlegungen und Entscheidungen, ein geschlossenes Konzept ist
anzustreben und Nachhaltigkeit muss das Ziel sein. Wesentliche Aspekte sind hierbei die intensive Erhebung der aktuellen Bedarfssituation, aber auch das Angebot des Marktes
und der direkten Konkurrenz. Die besonderen Stärken der
eigenen Hochschule sind einzusetzen und auszubauen, aber
auch andere wichtige Faktoren wie aktivierbare Teilnehmerpotenziale, Vorlaufkosten, notwendige Infrastruktur, Teilnehmerbetreuung usw. zu beachten.5 Es empfiehlt sich eine
wohlüberlegte Balance zu finden zwischen einem oftmals
angestrebten pragmatischen, möglichst schnellen Start der
Wissenschaftlichen Weiterbildung und der Entwicklung eines
längerfristigen und nachhaltig wirkenden strategischen Konzeptes.6
Nachfolgend werden die für den Umsetzungserfolg in die
Praxis wichtigsten und jeder ernsthaften Planung zugrunde
liegenden strategischen Überlegungen für die Etablierung
einer Wissenschaftlichen Weiterbildung diskutiert. Hierbei wird davon ausgegangen, dass ein systematischer und
Herausforderungen an die Wissenschaftliche
Weiterbildung
Zielgruppenspezifisches Studienangebot
Systematisches didaktisches Konzept (Blended
Learning)
Qualitätsgeleitete und forschungsbasierte Lehre
Weiterbildungserfahrene Lehrkräfte und regelmäßige
Studienevaluation
Weiterbildungsadäquate Infrastruktur an allen
Studientagen
Studierendenbetreuung und –beratung auch außerhalb
der Präsenzphasen
Marktfähiges Preis-/Leistungsverhältnis
Alleinstellungsmerkmale des Studienangebotes (USP)
Marketing und Öffentlichkeitsarbeit
13
(aufgrund geringerer Absolventenzahlen ergibt sich in diesem Punkt häufig ein Nachteil der Fachhochschulen gegenüber den Universitäten).
Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob nicht in der relativ
dicht besiedelten Fachhochschullandschaft in Deutschland
bzw. im deutschsprachigen Raum durch Netzwerkpartnerschaften Erfolgspotenziale besser ausgeschöpft werden
können. Dies kann z.B. geschehen durch regionale Partnerschaften oder durch überregionale fachliche Kooperationen.
Die große Anzahl ständig neuer Angebote von MBA-Studiengängen mit selten wirklich spezifischem Profil bei höchstens
moderat steigenden Teilnehmerzahlen ist Beispiel für eine
ökonomisch und wohl auch qualitativ fragwürdige Entwicklung.
Ressourcen sind auch an Fachhochschulen knapp, dies gilt
gleichermaßen für personelle und finanzielle Mittel. Der Aufbau eines systematischen Konzeptes der Wissenschaftlichen
Weiterbildung sowie die konkrete Umsetzungsplanung sind
kaum als „Freizeitbeschäftigung“ nebenbei zu bewältigen.
Sofern Gremienentscheidungen oder sonstige Genehmigungsverfahren kein gravierendes (und zeitliches) Hindernis
darstellen, erscheint ein Zeitvorlauf für die Konzeptentwicklung bis zur ersten Maßnahmendurchführung eines Studienganges von einem Jahr durchaus anspruchsvoll. Weitgehend
unterschätzt wird auch der Aufwand für die Erstellung von
professionellem Werbematerial (Internet und Print) und die
Beratung/Betreuung der Interessenten/potenziellen Teilnehmer.
Qualitätsmanagement und Qualitätsentwicklung sind
zukünftig unabdingbare Voraussetzungen für einen dauerhaften Markterfolg insbesondere der mit Teilnehmergebühren „belasteten“ Wissenschaftlichen Weiterbildung.7 Nicht
akkreditierte Studiengänge oder zumindest regelmäßig und
systematisch evaluierte Maßnahmen werden bei der Teilnehmerakquisition einen deutlichen Wettbewerbsnachteil
unabhängig von der tatsächlichen Maßnahmenqualität zu
verkraften haben.8 Es empfiehlt sich außerdem Qualitätsentwicklung auf die gesamte Organisation auszuweiten und nicht
auf Produkte oder einzelne Maßnahmen zu beschränken. Da
Qualitätsempfinden eine Frage der Mentalität der handelnden Personen und nicht eine Frage niedergeschriebener
Papiere ist, kann glaubwürdiges und vertrauensbildendes
Qualitätsverhalten nur auf die jeweilige Gesamtorganisation
bezogen werden.
Zukunftsperspektive
Obwohl der Markt der Wissenschaftlichen Weiterbildung im
deutschsprachigen Raum und in Europa absehbar dauerhaft
umkämpft sein wird, eröffnen sich auch den Fachhochschulen durchaus Erfolg versprechende Perspektiven. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Wettbewerbsvorteile des
starken Bezuges zur Praxis und die meist intensive regionale Verankerung konsequent ihren Niederschlag in der stra-
14
tegischen Ausrichtung finden. Eine fachliche Spezialisierung
unter Berücksichtigung bereits vorhandener oder noch zu
entwickelnder Alleinstellungsmerkmale erscheint notwendig
und sinnvoll.
Ziel muss es sein, hohe Marktaufmerksamkeit für einen
nachhaltigen Maßnahmenerfolg zu erzielen. Hierfür ist das
Angebotsportfolio so auszurichten, dass ein Maßnahmenmix aus kurz-, mittel- und langfristigen Aktivitäten mit ganzjährigem Planungszeitraum realisiert werden kann, um über
Einzelaktivitäten hinaus, eine umfassendere (und absatzförderliche) Fachkompetenz aufzubauen. Die Vermarktung hat
kontinuierlich zu erfolgen, die einzelnen Maßnahmen können als Maßnahmenbündel vermarktet werden.
Zur besseren Ausschöpfung eigener Leistungspotenziale
und überregionaler Maßnahmenvermarktung sind Netzwerkpartnerschaften zur fachlichen Exzellenzbildung oder
zur Nutzung interessanter Standorte zur Maßnahmendurchführung von großer Bedeutung. Auch Marketingkooperationen zur Reduzierung von Media- und Akquisitionskosten sind
in jedem Fall überlegenswert.
Der Autor Prof. Dr. Werner Fröhlich
Nachstehend zusammengefasst die wesentlichen Faktoren
für zukünftigen Geschäftserfolg der Wissenschaftlichen Weiterbildung zur besonderen Beachtung im Strategiefindungsund Planungsprozess:
• Zielgruppenspezifisches Angebotsportfolio unter Einsatz
der eigenen Leistungsstärken
• Kundenorientierung im gesamten Weiterbildungsprozess, beginnend mit der ersten Teilnehmerinformation bis
hin zur Diplom- oder Zertifikatsübergabe.
• Weiterbildungsteilnehmer an berufsbegleitend durchzuführenden Aktivitäten erwarten eine perfekte Infrastruktur und persönliche Betreuung an Präsenztagen und in
Schwerpunkt: Hochschulen im Wandel: Bachelor und Master
kommen.
Phasen des Zuhause-Lernens. Hierzu zählt auch eine auf
das Minimum beschränkte Bürokratie.
• Ohne konsequente und kontinuierliche Qualitätsentwicklung der Gesamtorganisation ist ein nachhaltiger
Geschäftserfolg kaum zu realisieren.
• Innovation im Angebot, forschungsgeleitete Lehre und
speziell für die Weiterbildung befähigte Dozenten sind
jedoch die Fundamente, ohne die sich zukünftiger Erfolg
der Wissenschaftlichen Weiterbildung kaum aufbauen
lässt.
Werner Fröhlich, Univ.-Prof. für Allgemeine Betriebswirtschaftlehre mit Schwerpunkt Personal und Organisation an
der Universität Flensburg (derzeit beurlaubt), 1999 -2005
Präsident der Donau-Universität Krems
1
2
Exemplarisch hierfür der Wettbewerb des Stifterverbandes der
deutschen Wissenschaft zu „Hochschulen im Weiterbildungsmarkt“: Fröhlich, W./Kastler, U.: Perspektiven der akademischen Weiterbildung, Erweiterter Sonderdruck aus Wirtschaft
& Wissenschaft, 3. Quartal 2004, Essen 2004.
Zur Beurteilung der neuen Studienstruktur aus Sicht der Wirtschaft s.a.: Personalführung 8/2005, Düsseldorf 2005 mit
3
Fröhlich, W./Holländer, C.: European Credit Transfer and Accumulation System (ECTS), Perspektiven für die einheitliche
Anwendung des ECTS-Systems im deutschsprachigen Hochschulraum, Hochschulforschung Krems Band 1, Krems 2005
4
Wolter, A. u.a.: Lebenslanges Lernen und Weiterbildung im
deutschen Hochschulsystem. Eine explorative Studie zu den
Implementierungsstrategien deutscher Hochschulen. Dresden
2003
5
Ein ausführlicher Fragekatalog zur Entwicklung von Geschäftsmodellen der akademischen Weiterbildung findet sich in: Stifterverband der deutschen Wissenschaft (Hrsg.): Hochschulen
im Weiterbildungsmarkt. Positionen. Essen 2003
6
S,.a.: Bernecker, M.: Bildungsmarketing, Köln o.J. (2005), Geißler, H.: Weiterbildungsmarketing, Neuwied 1997
7
Fröhlich W./Jütte, W. (Hrsg.): Qualitätsentwicklung in der postgradualen Weiterbildung. Internationale Entwicklungen und
Perspektiven, Münster 2004
8
Beispielhaft zur Thematik Akkreditierung und Evaluation: HRK:
Akkreditierung und Evaluation. Zwei Ziele, ein Verfahren, Beiträge zur Hochschulpolitik 3/2005, Bonn 2005
Lebenslanges Lernen in Europa
der zudem nicht immer die Aufmerksamkeit der regionalen
Medien findet.
„Willst Du ein Jahr wirken, so säe Korn,
Willst Du zehn Jahre wirken, so pflege einen Baum,
Willst Du hundert Jahre wirken, so erziehe einen Menschen.“
Bildungspolitik gilt auch in den Augen der interessierten
europapolitischen Öffentlichkeit traditionell als marginal,
als ein „weicher“ Politikbereich, in dem es um Kooperation
und Erfahrungsaustausch mit guter Praxis geht, bestenfalls auch um gemeinsam zu erarbeitende, aber stets unverbindliche Empfehlungen der Mitgliedsstaaten der EU. Das
Bildungswesen wird als originäre Angelegenheit der Mitgliedsstaaten betrachtet. So ist es in den Europäischen Verträgen (§149, 150) festgelegt. Die Europäische Union darf
nur zur Verbesserung von „Innovation“ und „Qualität“ des
Bildungswesens beitragen, die transnationale Mobilität
erleichtern und die „europäische Dimension“ für die Lernenden fördern. Die wichtigsten Politikinstrumente sind daher
die allgemeinen, beruflichen und zielgruppenbezogenen Förderprogramme im Bildungswesen, der Erfahrungsaustausch
zwischen den Ministerien und zunehmend auch die Erarbeitung von gemeinsamen Empfehlungen.
Chinesisches Sprichwort, Guanzi, 645 v. Chr.
Lebenslanges Lernen – ein „weicher“ Politik-Bereich in
Europa…
Viele bildungspolitisch engagierte Menschen in den Mitgliedsländern, seien es nun Eltern, Lehrerinnen und Lehrer
oder Forscherinnen und Forscher, wissen bis heute nur wenig
von der „Lissabonner Strategie“ der Europäischen Union für
den Bildungsbereich. Dies gilt gerade auch für Deutschland, das in alle europäischen Gremien, in denen Bildungsund Kulturpolitik bearbeitet wird, jeweils eine/n Vertreter/in
des Bildungsministeriums und eine/n Vertreter/in eines ausgewählten Bundeslandes schicken darf. Die Informationen
über neue europäische Entwicklungen und Empfehlungen
im Bildungsbereich sollten in der Regel nicht vom Bildungsministerium, sondern über die Vertreterinnen und Vertreter
der Bundesländer in die anderen Bundesländer und von dort
in deren zuständige Fachöffentlichkeiten fließen, ein nicht
ganz einfach zu organisierender Kommunikationsprozess,
Diese Linie wurde auch für den Entwurf einer europäischen
Verfassung beibehalten, der die Mitgliedsstaaten nur „kooperieren“ lässt. Eine Garantie des Rechts auf Bildung (§14)
ist zwar im vorliegenden Verfassungsentwurf vorgesehen,
aber die Formulierung im Englischen wird bisher de facto eng
ausgelegt auf Schule und Berufsbildung, die lebenslange
Dimension wurde daher nicht gesichert.
15
...aber eine tragende Säule der Strategie von Lissabon
Im März 2000 wurde von der neuen europäischen Kommission in Lissabon eine innovative ressortübergreifende
Strategie beschlossen. Europa sollte die weltweit wettbewerbsfähigste „Wissensökonomie“ aufbauen, um in Zeiten
der Globalisierung eine Zukunft zu haben. Als eine notwendige Ergänzung dazu sollten eine „Wissensgesellschaft für
alle“ geschaffen und ein besonderes „Europäisches soziales
Modell“ entwickelt werden. Der Bildungsbereich wurde auf
diese Weise zu einer tragenden Säule der europäischen Wirtschafts- und Sozialpolitik, zu einem Bereich, der konzertierte
Entwicklung und verstärkte Investitionen erforderte.
Um die Mitgliedsstaaten für diese neuen Ziele im Bildungsbereich zu gewinnen, nutzte die EU-Kommission von Anfang
an auch ihr Initiativrecht. So veröffentlichte sie bereits am
30. Oktober 2000 ein „Memorandum“ über Lebenslanges Lernen (SEC (2000) 1832 endg.) (http://europa.eu.int/
comm/education/policies/lll/life/memode.pdf), um damit
eine breite Konsultation zur Bildungsreform in den Mitgliedsstaaten und den Beitrittskandidatenländern anzustoßen.
Ausgewertet wurden dafür insbesondere die Ergebnisse
des Europäischen Jahrs des Lebenslangen Lernens 1996, der
europäischen Bildungsprogramme Sokrates und Leonardo
und die verstärkten Initiativen der internationalen Organisationen (UNESCO, OECD, Europa-Rat) in diesem Bereich in den
letzten Jahren.
Einen europäischen Raum des lebenslangen Lernens zu
schaffen…
Nach einer breiten Diskussions- und Feedback-Runde, an
der sich nicht nur die Mitglieds- und Beitrittskandidatenstaaten beteiligten, sondern u.a. auch Sozialpartner, Nichtregierungsorganisationen, das Europäische Parlament, das
Komitee der Regionen, der Europäische Wirtschafts- und
Sozialausschuss, zu dem über 12000 Einzelbeiträge eingesandt wurden, entstand aus dem schlichten „Memorandum“
im November 2001 eine offizielle „Mitteilung“ der Europäischen Kommission mit dem Titel „Einen europäischen Raum
des Lebenslangen Lernens schaffen“
(Europa.eu.int/comm/education/policies/lll/life/index_
de.html).
Lebenslanges Lernen wird darin bereits ganz breit definiert
als:
„alles Lernen während des gesamten Lebens, das der Verbesserung von Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen
dient und im Rahmen einer persönlichen, bürgergesellschaftlichen, sozialen bzw. beschäftigungsbezogenen
Perspektive erfolgt.“
In allen Mitglieds- und Beitrittskandidatenstaaten der Europäischen Union wurden in diesem Zuge auch nationale
Koordinatorinnen und Koordinatoren für lebenslanges Ler-
16
nen ernannt, denn fast jedes Ministerium hatte Alters- und
Zielgruppen zu entdecken, für die das lebenslange Lernen
wichtig sein könnte. Einige dieser Koordinatorinnen und
Koordinatoren schufen daher mit Zustimmung ihres federführenden Ministeriums noch interministerielle Arbeitsgruppen, um diesem neuen interdisziplinären Ansatz gerecht zu
werden.
Die Entschließung des Rates der Europäischen Union vom 27.
Juni 2002 zum lebensbegleitenden Lernen (2002/C 163/01)
bestätigte den in der Mitteilung vorgestellten wesentlich verbreiterten bildungspolitischen Ansatz:
„Allgemeine und berufliche Bildung sind unentbehrlich für die Förderung des sozialen Zusammenhalts,
ein aktives Staatsbürgertum, ein erfülltes Privat- und
Berufsleben sowie für die Anpassungs- und Beschäftigungsfähigkeit. Lebensbegleitendes Lernen erleichtert
die uneingeschränkte Mobilität der europäischen Bürger und ermöglicht die Verwirklichung der Ziele und Vorstellungen der Länder der Europäischen Union, nämlich
wohlhabender, wettbewerbsfähiger, toleranter und demokratischer zu werden. Jeder sollte die Möglichkeit erhalten, sich durch lebensbegleitendes Lernen die Kenntnisse
anzueignen, die er benötigt, um als aktiver Staatsbürger
an der Wissensgesellschaft und am Arbeitsleben teilzunehmen.“
Im November 2003 wurden die Koordinatorinnen und Koordinatoren für Lebenslanges Lernen gebeten, einen Folge - Bericht
über besonders interessierende Fragen zu machen. Hier wurde
bereits bei der Auswahl der Fragen deutlich, dass wie in den
Jahren zuvor benachteiligte Jugendliche, Schulen und Hochschulen, sowie das Lernen für die Arbeitswelt im Vordergrund
standen, während das Interesse am Lernen für bürgerschaftliches Engagement und zur Entfaltung der Persönlichkeit, das
Lernen in der frühen Kindheit und die Elternbildung sowie das
nicht-formelle und informelle lebensbegleitende Lernen schon
wieder nachließ. Die so vorstrukturierten Länderberichte wurden im Internet veröffentlicht (http://europa.eu.int/comm/
education/policies/2010/lll_en.html).
…bleibt ein vernünftiges künftiges Ziel
Ein Jahr zuvor wurde im Gefolge der Beschlüsse von Lissabon
außerdem ein Bericht über „Die konkreten künftigen Ziele
der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung“ bis
2010 vorlegt (Bericht des Rates Bildung an den Europäischen
Rat vom 14. Februar 2001, 5980/01 EDUC23) (http://europa.
eu.int/comm/education/policies/2010/doc/rep_fut_obj_
de.pdf). Obwohl der Bericht erstaunlich viele Potenziale für
mehr Gemeinsamkeiten in der europäischen Bildungspolitik
sichtbar machte, hielt sich die Begeisterung in den Mitgliedsstaaten in diesem Fall in Grenzen, denn ihre Zuständigkeiten
und ihre Bereitschaft zur Kooperation wurden verbindlicher
herausgefordert.
Zwar kam man überein,
- die Qualität und Effizienz der Bildungssysteme in Europa
zu verbessern,
- einen leichteren Zugang für alle zu den Bildungssystemen
zu ermöglichen und
- die Bildungssysteme gegenüber der Welt zu öffnen.
Aber die Dimension des Lebenslangen Lernens wurde nur
noch oberflächlich und stellenweise, nicht mehr durchgehend eingearbeitet. Neun verschiedene Arbeitsgruppen der
Mitgliedsstaaten wurden auf dieser Basis gegründet. Sie
legten 2003 und 2004 Berichte und Empfehlungen vor, die in
etlichen Bereichen des formalen Lernens die Zusammenarbeit erleichtern würden, aber die neuen Konturen lebenslangen Lernens verblassten, denn „zuerst“ wollte man sich auf
„das Wichtigste“, nämlich die Schulbildung konzentrieren.
Die bis dahin einflussreichen Berufsbildungsexpert/inne/n in
den Mitgliedsstaaten starteten sogleich eine gesonderte Initiative mit verschiedenen Europäischen Expertenforen, den
so genannten „Kopenhagener Prozess“ im November 2002,
der nicht zuletzt von Dänemark und Deutschland angeschoben wurde.
Auch die Hochschulexperten in der Kommission fühlten sich
von den neuen Schwerpunkten nicht schwerpunktmäßig
betroffen und konzentrierten sich auf den „Bologna-Prozess“
mit dem Ziel, Hochschulabschlüsse in Europa vergleichbar
zu machen.
Unterwegs zu einer neuen „Kultur des Lernens“ in Europa
Lebenslanges Lernen „von der Wiege bis zur Bahre“, wie es
im Memorandum der EU-Kommission heißt, ist nur teilweise
formal geordnet wie in Schulen oder Hochschulen, und findet
ansonsten eher „nicht-formell“ statt, z.B. in thematischen
Gesprächskreisen der Erwachsenenbildung, ohne festes Curriculum und ohne Prüfung, auch ganz „informell“ wie die Kindererziehung in der Familie, das Lernen von Freunden und
Bekannten und das Lernen am Arbeitsplatz. Der oder die Lernende sollen im Zentrum stehen, nicht die Lehrenden, nicht
die Institutionen.
• Innovative Pädagogik fördern
Die Lernenden sollten im Mittelpunkt stehen, und im Idealfall entscheiden können, was zu lernen für sie wirklich relevant ist, wann in ihrem Leben sie auf welche Weise etwas
lernen wollen, mit Unterstützung welcher Technik, welcher
Lehrkräfte oder Bildungseinrichtungen und – programme.
Schließlich sollten sie auch selbst zu beurteilen lernen, ob
der Lernprozess ihrer Meinung nach mit der nötigen Beratung
und Förderung organisiert wurde, nicht nur, ob sie wirklich
etwas gelernt hatten. Nicht der Wissensaufbau ist entscheidend, sondern die tatsächlich erworbenen Kompetenzen zu
handeln. Alle Altersgruppen sollten als lernfähig betrachtet
und Lernangebote daher neu organisiert werden: offen, flexibel und zugänglich für alle.
Dies erforderte innovative pädagogische Ansätze. Eltern,
Lehrer- und Professorenschaft sollten sich der Herausforderung stellen, sich nur noch als „Lernermöglicher/innen“ zu
verstehen, als Berater/innen, Tutor/innen und Mentor/innen.
So erlebten nicht nur die Lehrerfortbildung für alle Altersgruppen und die Elternbildung in Europa, sondern auch die
Projektpädagogik und selbst organisierte Studienzirkel ihr
bildungspolitisches Come-back in Empfehlungen und europäisch geförderten Projekten, in einigen Ländern mit lange
autoritär geprägten Bildungssystemen auch ihre bildungspolitische Erstaufführung.
Zahlreiche transnationale Kooperationsprojekte, Lernpartnerschaften und Netzwerke des Sokrates- und LeonardoProgramms haben seitdem europäische Pionierarbeit
geleistet, ihre verschiedenen und gemeinsamen Erfahrungen ausgetauscht und an der Entwicklung von Lernformen
mit neuen europäischen Qualitäten gearbeitet. Aus diesem
Grund wurden im Sokrates – Grundtvig -Aktionsprogramm
transnationale Kursleiter/innen - Fortbildungen zu einem
neuen Förderschwerpunkt, im Sokrates-Erasmus-Programm
die Öffnung der Universitäten für nicht-traditionelle Lerngruppen und der Ausbau der universitären Weiterbildung für
Menschen mit und insbesondere ohne Hochschulabschluss.
• Grundbildung erneuern
Ohne sich auf eine endlose fachliche Debatte darüber einzulassen, was denn nun die „alte“ Grundbildung in welchem
Land Europas gewesen sein könnte, empfahl schon das
Memorandum zum Lebenslangen Lernen einfach, „neue“ Elemente hinzuzufügen. Hierzu gehörte in erster Linie, das Lernen zu lernen, denn auf selbständigeres und lebenslanges
Lernen in allen Lebensphasen fühlten sich viele Menschen
nicht vorbereitet mit ihren bisherigen relativ unselbständigen
Lern - Erfahrungen im formalen Bildungssystem. Gefördert
werden sollten auch das Erlernen von sozialen Kompetenzen,
von einfachen Kompetenzen im Umgang mit Computern und
anderen neuen Medien, von zusätzlichen kommunikativen
Kompetenzen in mindestens zwei anderen Sprachen sowie
Unternehmensgeist und Sinn für Eigeninitiative. Zu den sozialen Kompetenzen sollten auch solche für demokratische
Partizipation und interkulturelle Kompetenzen gehören. Ein
europäischer Referenzrahmen für die Grundbildung wurde
erarbeitet und im Jahr 2004 der Öffentlichkeit vorgestellt
(Key Competences for LLL – A European Reference Framework
2004, http://europa.eu.int/comm/education/policies/2010/
doc/basicframe.pdf).
• Information, Beratung und Orientierung ausbauen
Die verschiedenen Bildungssektoren, die zum Lebenslangen Lernen einen Beitrag leisten, sind in den Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich gewachsen. Eine Übersicht ist daher
nur schwer zu gewinnen. Angesichts zunehmender Mobilität
in Europa entsteht jedoch ein hoher Bedarf an zuverlässigen
17
transnationalen Beratungs- und Informationsangeboten. Sie
sollten multilingual und zielgruppengerecht nutzbar und in
der Qualität zuverlässig sein. Eine detaillierte Entschließung
des Rates zur lebensbegleitenden Beratung in Europa wurde
im Mai 2004 verabschiedet (http://europa.eu.int/comm/
education/policies/2010/doc/resolution2004-de.pdf).
Wenige Monate später Anfang 2005 wurde auch ein Handbuch für politische Entscheidungsträger zum Ausbau und
zur Gestaltung von Bildungs- und Karriereberatung in Europa
von der Europäischen Kommission veröffentlicht.
Die EU-Kommission erarbeitete als eigenen Beitrag gemeinsam mit den Bildungsministerien das europäische Bildungsinformationssystem
„PLOTEUS“
(http://europa.
eu.int/ploteus), das sich seitdem kontinuierlich zu einem
herausragenden Instrument der Bildungsinformation in Europa entwickelte. Die nationalen Bildungsministerien sind für
die Organisation der Datenlieferung und die Datenqualität
sowie für die weitere Entwicklung nationaler, regionaler und
lokaler Beratung verantwortlich.
• Transparenz und Anerkennung für alles Gelernte
Im Bereich der Hochschulen und der Beruflichen Bildung liefen seit Jahren Bemühungen, analytische Instrumente für
eine Vergleichbarkeit von Bildungsniveaus und – abschlüssen in Europa zu erarbeiten, die auf formellem, aber auch
auf nicht-formellen und informellen Wegen erreicht wurden. Hierzu gehören unter anderem das Europäische Leistungspunktesystem in der Hochschulbildung (ECTS) oder die
Instrumente zum Ausbau des Europass zu einem universalen Kompetenznachweis wie das europäische Formular zur
Selbstevaluation von Sprachkenntnissen oder das einheitliche europäische Lebenslaufmuster. Er wurde am 1.1.2005 in
31 europäischen Ländern eingeführt. (www.europass-info.
de)
Einen wesentlichen Schritt zur Anerkennung bereits erreichter Qualifikationen hat die EU-Kommission mit der öffentlichen Konsultation zur Arbeitsunterlage „Auf dem Weg zu
einem europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges
Lernen“ (SEK (2005)957) gemacht, die am 8.Juli 2005 publiziert wurde.
• Lernpartnerschaften bilden,
Lernangebote und Lernende zusammenbringen
Um möglichst niemand von Lernchancen auszuschließen,
sollten überall multifunktionale lokale Lernzentren als wohnortnahe Infrastruktur geschaffen werden, die sich auch auf
individuelle Verschiedenheit der Lernbedürfnisse einlassen
können.
So wurden im Rahmen eines besonderen Förderprogramms
„R3L“ von der Europäischen Kommission „Lernende Regionen“ und Städte gefördert. Gerade die lokalen Akteure in
Städten ließen sich mit großer Begeisterung auf das Lebenslange Lernen ein, schufen Bündnisse und ungewöhnliche
strategische Partnerschaften zwischen Wirtschaft, Zivilge-
18
sellschaft und Bildungseinrichtungen. Europäische Festivals
der Lernenden Städte und Regionen zogen in den letzten Jahren bis zu 5000 Gäste aus ganz Europa an. Diese Kooperationsformen werden von der Europäischen Union auch durch
den Europäischen Sozialfonds, das Sokrates-GrundtvigAktionsprogramm und das Town-Twinning Programm unterstützt.
• In Bildung richtig investieren
Der Bildungsbereich sollte von den Regierungen nicht mehr
als Kostenfaktor betrachtet werden, sondern als Investitionsbereich. Ihnen wurde empfohlen, mehr Investitionen in „soziales“ und „humanes Kapital“ im Bildungsbereich zu tätigen.
Eine Ausgabensteigerung wurde trotz weit verbreiteter Sparprogramme als unvermeidlich betrachtet.
Die EU Kommission beobachtete allerdings sehr schnell,
dass die Mitgliedsstaaten entgegen ihren eigenen Empfehlungen die Ausgaben für das Bildungswesen eher stagnieren
ließen oder kürzten. Sie legte nach mit einer sehr kritischen
Mitteilung zum Thema „Wirkungsvoll in die allgemeine und
berufliche Bildung investieren“ (http://europa.eu.int/eurlex/de/com/cnc/2002/com2002_0779de01.pdf).
Sie setzte inzwischen auch eine Arbeitsgruppe zum besten
Gebrauch von Ressourcen mit Vertreterinnen und Vertretern
der Mitgliedsstaaten ein, um die Effizienz und Effektivität der
Ausgaben für das Lebenslange Lernen intensiv zu beobachten und präzisere Empfehlungen vorzubereiten. („Making
the best use of resources“, http://europa.eu.int/comm/education/policies/2010/objectives_en.html#making) Die erziehungswissenschaftliche Fachwelt staunte nicht schlecht über
die Ergebnisse. Die Logik betriebswirtschaftlichen Denkens,
das von „Kosten“ im Bildungswesen sprach, wurde abgelöst
vom Denken in notwendigen „Investitionen“ in „Humankapital“. Gleichzeitig wurden umfassendere vergleichbare Daten
über den schon vorhandenen Anteil der privaten Finanzierung des Bildungswesens zusammengetragen, sowohl über
den Beitrag der einzelnen Lernenden als auch über den Beitrag der Unternehmen.
Begleitung durch Indikatoren, Benchmarks und Forschung
Indikatoren und Benchmarks wurden gemeinsam in einer
Arbeitsgruppe mit den Mitgliedsstaaten geplant zur Evaluation der Fortschritte. Die Statistischen Ämter selbst waren
zumeist noch nicht gut vorbereitet. So wurden (und werden)
Lernende in den zugrunde liegenden nationalen und internationalen Statistiken noch immer als „Inaktive“ geführt,
weil sie keine bezahlten „Aktivitäten“ auf dem Arbeitsmarkt
erbringen.
Erst am 24. Mai 2005 beschloss der Rat „Schlussfolgerungen“ „zu neuen Indikatoren im Bereich der allgemeinen und
beruflichen Bildung“ (2005/C 141/04), die wieder an die Lissabonner Strategie von 2000 erinnerten. Zu den wichtigsten
Neuerungen gehörte die Überlegung, eine Forschungsgruppe
zum Thema lebensbegleitendes Lernen bei der gemeinsamen Forschungsstelle ISPRA einzurichten und sich um mehr
„internationale Kohärenz von Daten“ zu kümmern. Zum ersten Mal wurden auch für die Politik des Lebenslangen Lernens innovative Bereiche wie die Erwachsenenbildung, die
Förderung der Lernfähigkeit, der Erwerb von Fremdsprachenkenntnissen, das Lernen für soziale Integration und
aktive Bürgerschaft, der soziale Hintergrund von Hochschulstudent/inne/n als Bereiche mit Entwicklungsbedarf anerkannt.
Lebenslanges Lernen – Integration in alle Politikbereiche
Nicht nur Bildungseinrichtungen, auch Bildungsministerien
in Europa legen bisher vor allem auf Kompetenz im Schulbereich Wert, während sie die Zuständigkeit für das Lernen vor
und nach und außerhalb der Schule auch gerne an andere
Ministerien abtreten. Das Lernen an Hochschulen, auch
deren offene extra-murale Angebote, wird in Wissenschaftsministerien verhandelt, das Lernen älterer oder behinderter
Menschen wird gerne an die Sozial- oder Gesundheitsministerien abgegeben. Das Lernen von Migrantinnen und Migranten wird im Bereich Sprache und Politische Grundbildung
neuerdings in den Innenministerien als Teil der europäischen
Staatsbürgerschafts- und Sicherheitspolitik konzentriert,
während besondere nicht formelle („außerschulische freiwillige“) Bildungsprogramme für Jugendliche in oftmals vom
Bildungsministerium getrennten Jugendministerien, Umweltbildung in den Umweltministerien und Verbraucherbildung
in den Wirtschafts- oder Sozialministerien ressortieren, das
Lebenslange Lernen mit Strafgefangenen dagegen im Justizministerium, die politische Bildung der „Staatsbürger in Uniform“ in Zuständigkeit des Verteidigungsministeriums...
Die Europäische Kommission selbst hat inzwischen in vorbildlicher Weise überall in ihren Verwaltungen das Lebenslange
Lernen als kohärentes Politikziel integriert. Es ist längst auch
integrativer Bestandteil der Europäischen Beschäftigungspolitik, der Politik für Kleine und Mittlere Unternehmen, der
Jugendpolitik in Europa, der Sozialpolitischen Agenda mit
ihren zweijährigen Nationalen Aktionsplänen, des Europäischen Behinderten-Aktionsplans (2003) und der Empfehlungen (2003) und jährlichen Berichte zur Migration in Europa,
um nur einige Beispiele zu nennen.
Lebenslanges Lernen – ein neues integriertes Förderprogramm
Die Europäische Kommission hat für die neue Förderperiode
ab 2007 ein integriertes Gesamt-Programm des Lebenslangen Lernens angekündigt, um die Entwicklung gemeinsamer
Ziele im Bildungswesen und den Austausch guter Praxis voranzutreiben. Unter einem Dach „Lebenslanges Lernen“ sollen
vier sektorale Programme zusammengelegt werden: Comenius (Schule), Erasmus (Hochschule), Leonardo da Vinci
(Berufsbildung) und Grundtvig (Erwachsenenbildung). Daneben soll nach dem Vorschlag der EU-Kommission noch ein
Schwerpunktprogramm die folgenden Aktivitäten fördern:
Politische Zusammenarbeit, Sprachenlernen, Neue Informations- und Kommunikationstechnologien, Verbreitung und
Nutzung der Ergebnisse. Besonders interessant ist auch die
vorgeschlagene Öffnung der Projekte für die Beteiligung von
Partnern aus außereuropäischen Ländern, die globales Lernen erleichtern soll. (http://europa.eu.int/comm/education/
programmes/newprog/index_de.html).
Zwischen Zurückhaltung und Begeisterung für transnationale Bildungspolitik
Alle aber, die in solchen europäischen Projekten schon einmal begeisterten Bildungsreformerinnen und – reformern
aus anderen europäischen Ländern begegnet sind, wissen,
wie inspirierend es sein kann, gemeinsame Ziele zu entdecken, sich über Landes- und Sprachgrenzen hinweg von der
Richtigkeit eigener neuer Wege überzeugen zu lassen. Sie
wundern sich manchmal über die Zurückhaltung der Bildungsminister/innen auf nationaler und regionaler Ebene
gegenüber den Initiativen der EU-Kommission.
Die neuen Perspektiven und Themen lebenslangen Lernens
haben noch keine ausreichende Lobby mit langem Atem
und vergleichsweise weniger einflussreiche Expert/inne/n
in den Ministerien der Mitgliedsstaaten aufzubieten. Wollte
die Europäische Kommission - wie in der Berufsbildungsoder Hochschulpolitik üblich – auch einmal die zuständigen
„Generaldirektor/inn/en“ für Erwachsenenbildung einladen,
könnte es leicht passieren, dass zuständigkeitshalber nur
ein Mitarbeiter aus einem Referat geschickt werden könnte,
weil für den Ausbau der Erwachsenenbildung im Kontext der
Politik des Lebenslanges Lernen noch keine strategisch leitenden Positionen geschaffen worden sind.
Es ist bisher nicht erforscht worden, in welchem Umfang
eine europäische Bildungspolitik „von unten“ bereits unterwegs ist. Es gibt jedoch sehr wirksame persönliche Koalitionen und Netzwerke unter immer mehr Fachleuten in Europa.
Sie berichten, dass es ihnen immer wieder einmal gelingt,
ihre gemeinsam erarbeiteten „lebenslangen“ Konzepte
und Ziele ihren „national“ und „regional“ orientierten Bildungs-Politikerinnen und - Politikern im richtigen Moment zu
unterbreiten. Andere Länder Europas oder gar europäische
Zusammenarbeit als Quelle politischer Inspiration zu erwähnen, ist noch nicht immer und noch nicht überall opportun.
Allgemeine weiterführende Quellen :
• 1. Politik der Lebenslangen Lernens in der EU http://europa.eu.int/comm/education/policies/lll/lll_de.html
• 2. Europäische Bildungspolitik allgemein
http://europa.eu.int/comm/education/policies/2010/
et_2010_en.html
Monika Oels, Bildungsexpertin; 2001 – 2004 Abgeordnete
Nationale Sachverständige bei der EU Kommission, Generaldirektion Bildung und Kultur.
19
Der „Wien-Prozess“
Der „Wien-Prozess“ - Wissenschaftliche Weiterbildung
im Hochschulraum Europa und das zukünftige Aufgabenprofil der Weiterbildungseinrichtungen an Hochschulen
Die ASFH ist seit 2002 Mitglied in der Deutschen Gesellschaft
für Wissenschaftliche Weiterbildung und Fernstudien e.V. Die
DGWF ist aus dem 1970 gegründeten Arbeitskreis Universitäre Erwachsenenbildung (AUE) hervorgegangen und kann
auf eine lange Tradition und breite Erfahrung in der hochschulgebundenen Weiterbildung zurückblicken. Aufgabe der
DGWF ist die Förderung, Koordinierung und Repräsentation
der von den Hochschulen getragenen Weiterbildung. Dazu
gehört auch die Förderung von Forschung und Lehre auf diesen Gebieten.
Mitglieder sind ca. 270 Institutionen und Personen aus dem
Hochschul- und Weiterbildungsbereich. Deutlich zugenommen hat dabei in den letzten Jahren insbesondere die Zahl
der institutionellen Mitglieder. Dies ist sicherlich Ausdruck
davon, dass die wissenschaftliche Weiterbildung zumindest
proklamatorisch in das Zentrum der Hochschulen gerückt
ist.
Der Vorsitzende des DGWF, Prof. Dr. Faulstich, Universität
Hamburg, ist Mitglied in der Arbeitsgruppe „Wissenschaftliche Weiterbildung“ des Akkreditierungsrates. Eine der
wesentlichen Aufgaben dieser AG ist es, Qualitäts- und Anerkennungskriterien für weiterbildende Masterstudiengänge
zu entwickeln. Die Vorschläge der Arbeitsgruppe sollen dann
mit Hilfe des Bundesministeriums in die weiteren Debatten
über den Bologna-Prozess eingehen und damit europaweit
zum Thema werden.
Auf internationaler Ebene gehört der DGWF dem „European
Universities Continuing Education Network“ (EUCEN) an und
unterhält darüber hinaus Kontakte zu Hochschullehrenden,
Instituten und Partnerorganisationen mit weltweiten Netzwerken.
Der „Wien-Prozess“
„Wissenschaftliche Weiterbildung im Hochschulraum Europa“, so lautete der Titel der Jahrestagung, die die DGWF mit
ihrer Partnerorganisation AUCEN, Austrian Universities Continuing Education Network, im September 2005 in Wien veranstaltete.
Diskussionsthemen waren u.a. die Chancen und Risiken des
Bologna-Prozesses für die wissenschaftliche Weiterbildung.
Einig waren sich alle Teilnehmenden darin, dass die Abstimmung zwischen Weiterbildung und Erststudium längst überfällig ist.
Bedeutsame Elemente für die Schaffung eines europäischen
Hochschulraumes sind die Förderung einer Kultur des lebenslangen Lernens, die Forderung nach stärkerer Berücksichtigung der Berufsbefähigung als Qualifikationsmerkmal von
HochschulabsolventInnen sowie die Erhöhung der Durchläs-
20
sigkeit zwischen den Bildungssystemen und die Erleichterung des Zugangs zur Hochschule.
Die Rückkehr an die Hochschulen nach oder auch während
einer Phase der Berufstätigkeit wird bald zum normalen Biografieverlauf gehören.
Die wissenschaftliche Weiterbildung mit ihrer langjährigen
Erfahrung in der Angebotsgestaltung für Berufstätige kann
sich in diesem Kontext als selbstverständliches Element in
der akademischen Ausbildung etablieren.
Eine der Forderungen auf der Tagung war daher, dass die
Anerkennung von Vorwissen im Sinne des „recognition and
accreditation of prior learning“ auch Eingang in die wissenschaftliche Weiterbildung finden muss.
Im Communiqué der Bologna-Folgekonferenz in Berlin wurde
nochmals gefordert, dass die Hochschulen sich verstärkt
auch für Berufstätige öffnen und Berufserfahrungen Berücksichtigung und Anerkennung finden. Die SprecherInnen und
Vorstände der Netzwerke für die wissenschaftliche Weiterbildung wollen sich daher an der Weiterentwicklung des
nationalen Qualifikationsrahmens, der jüngst für die akademische Erstausbildung von der HRK vorgelegt wurde, im
Interesse systematischer Anerkennungsmöglichkeiten aktiv
beteiligen.
Die ASFH auf gutem Weg - Das zukünftige Aufgabenprofil der Hochschuleinrichtungen für wissenschaftliche Weiterbildung
Weitere Empfehlungen, die die DGWF auf der Wien-Tagung
vor dem Hintergrund der aktuellen europaweiten Entwicklungen formulierte, betrafen das zukünftige Aufgabenprofil
der Einrichtungen für die wissenschaftliche Weiterbildung.
Dieses wurde unter dem Begriff „Makrodidaktik“ gefasst
und bezieht sich auf die Organisation von Rahmenbedingungen für das Lernen bzw. auf das Bildungsmanagement. Es
beinhaltet die Organisation, Planung, Curriculumsentwicklung, didaktische Konzepte, Methodenstrategien, Marketing, Evaluation und Transferstrategien.
Dabei handelt es sich nicht nur um eine organisatorische,
sondern um eine eigenständige wissenschaftliche Aufgabe,
die auch Forschungsaktivitäten impliziert.
Das Leistungsspektrum umfasst Aufgaben bei der Entwicklung, Planung, Beratung und Auswertung wie z.B:
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Bedarfsanalysen
Programmplanung
Medienbereitstellung
Qualitätssicherung
DozentInnenvermittlung
Kursentwicklung
Kontaktherstellung
Lernberatung
Personalberatung
Finanzierungsberatung
• Didaktische Beratung/Methodenberatung
• Forschungsrecherchen
Viele dieser Aufgabenpunkte - genannt seien hier beispielhaft die vom Zentrum für Weiterbildung, Hochschuldidaktik
und Berufsfeldforschung (ZWHB) durchgeführten Bedarfsund Marktanalysen, die Forschungsrecherchen und die Qualitätsentwicklung im ZWHB - erfüllt die ASFH bereits seit
Jahren.
Von den namhaften ExpertInnen und ForscherInnen aus dem
Weiterbildungssektor, die diese Empfehlungen erarbeitet
haben, wird die ASFH darin bestätigt in den letzten Jahren
eine ausgezeichnete Pionierarbeit geleistet zu haben.
Auf diesem Pionierstatus wollen wir aber nicht stehen bleiben. Mit der Verzahnung der Aus- und Weiterbildung, den
Fragen nach den Abschlüssen, den Zugängen, mit der Anerkennung non-formal und informell erworbener Kompetenzen, werden auch wir uns zukünftig beschäftigen und an der
Umsetzung für die Angebote in der wissenschaftlichen Weiterbildung der Alice-Salomon-Fachhochschule mitarbeiten.
Berthe Khayat
Sprecherin der DGWF für die Wissenschaftliche Weiterbildung an den Fachhochschulen in Berlin/Brandenburg
Zu einigen Facetten des Lernens in der Erwachsenenbildung
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Lernen um Wissen zu erwerben
Lernen um zu handeln
Lernen für das Leben
Lernen zusammen zu leben
Das sind die 4 Säulen, auf die Delors1 seinen Bericht zum
lebenslangen Lernen stellt. Lebenslanges Lernen hat viele
Dimensionen, die durch gesellschaftliche, politische, kulturelle, philosophische, ökonomische Ansprüche einer Gesellschaft, aufgewertet oder ins Abseits gedrängt werden.
Alle Ausrichtungen legen die Grundfähigkeit und das Grundbedürfnis des Menschen zu lernen zu Grunde.
F. Klix 2 beschreibt Lernen als Aufbau und Korrektur von
Gedächtnisbesitz durch Informationsverarbeitung. In meinem Verständnis sind hier emotionale und affektive Prozesse
mit eingeschlossen, die als Informationen im Gedächtnis zu
bearbeiten sind.
Der Mensch lernt vom ersten Tag seines Lebens an, er muss
lernen, um zu überleben. Lernen ist eine Voraussetzung für
jedes Individuum, um in der menschlichen Gesellschaft seinen Platz einnehmen und sie mitgestalten zu können.
Zech beschreibt, dass „Lernen von Subjekten seinen Ausgangspunkt in den Widersprüchen, Dilemmata und Herausforderungen ihres individuellen Alltagshandelns [findet],
und zwar dann, wenn diese Widerspruchskonstellationen
zwischen vorhandenen individuellen Fähigkeiten und erlebten Handlungsnotwendigkeiten als subjektiv bedeutsame
Lernproblematiken psychisch bewusst ausgegliedert werden können.“3
Er stellt die spezifischen Lerninteressen der Lernenden und
den jeweiligen Lerninhalt in Beziehung zum Lernprozess und
zum Lernergebnis und konstatiert, dass Lernen „nicht tech-
nologisierbar und deshalb auch nicht unmittelbar von Organisationen steuerbar [ist]. Lernen ist letztlich nur das Werk
jedes einzelnen Individuums“4. Lernen ist ein individueller
Vorgang, den man nicht delegieren kann.
„Damit keine Zweifel aufkommen:
Lernen muss jeder selbst,
man kann sich dabei nicht vertreten lassen.
Arbeiten muss man nicht unbedingt selbst,
man kann andere für sich arbeiten lassen.
Denken muss man nicht nur selbst,
man kann nutzen, was andere gedacht haben.“5
Das bedeutet aber nicht, dass man Lernen dem Selbstlauf
überlassen kann, denn „Lernen ist nicht nur in die Verfügung
des Subjekts selbst gestellt, es realisiert sich ... unter komplexen gesellschaftlichen, organisationalen, situationalen,
interaktiven und personalen Bedingungen.“6 Diese führen
zu konkreten Lernarten, Lernformen, Lernzielen und Lernabsichten sowie Nutzungsvorstellungen des Gelernten, die sich
im Laufe des Lebens verändern. Jeder Mensch geht seinen
eigenen Weg, der durch persönliche, familiäre, soziale, kulturelle und gesellschaftliche Rahmenbedingungen geprägt
wird, die sich kulturhistorisch entwickelt haben. In diesem
Kontext beschreibt R. Alt7 die frühen Phasen der Menschheitsgeschichte, in denen Lernen noch nicht institutionalisiert ist, aber als Vorgang, der die nachfolgende Generation
auf das Leben in der Gemeinschaft vorbereitet, unabdingbar
ist. Die Kinder lernen, indem sie in der Gemeinschaft leben,
sich nützliche Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnisse spielerisch erwerben und von den Erwachsenen „abgucken“ bzw.
deren Tätigkeiten nachahmen.
21
Systematisches Lernen in institutionalisierter Form wird erst
möglich, wenn die Gemeinschaft in der Lage ist, Überfluss zu
produzieren, d. h. wenn sie fähig ist, Personen für die Übernahme von Lehraufgaben im weitesten Sinne von den primären Aufgaben (Beitrag zum Nahrungserwerb, Schutz usw.)
freizustellen.
Dem so entstandenen „Lehrmeister“ fällt die Aufgabe zu,
„die junge Generation einem vorausgeschauten Status,
einem vorgestellten Ziel ein Stück näher zubringen, erfordert wie jede Arbeit einen gewissen Vorausblick auf das, was
werden soll, eine Vorstellung von dem Ziele der Tätigkeit und
den Mitteln, dieses Ziel zu erreichen.“
Diese Erkenntnis ist sicherlich nicht neu, scheint mir mitunter aber verloren zu gehen, wenn Mitbestimmung mit Konzeptionslosigkeit verwechselt wird und der Lehrende, der
durch seine Ausbildung und Professionalität vorausschauend Bedarfe, Schwerpunktsetzungen und einen Wissensfundus einbringt oder einbringen sollte, genötigt wird oder sich
genötigt sieht, ausschließlich den aktuellen Wünschen der
Teilnehmerinnen und Teilnehmer gerecht zu werden.
Außerdem wird deutlich, dass Bildung einem gesellschaftlichen Interesse entspringt und einen Preis hat, der von der
Gesellschaft zu erarbeiten und auch zur Verfügung zu stellen ist.
Lernen impliziert einen Lernhorizont, Vorstellungen vom
angestrebten Ergebnis, die bei jedem Teilnehmer anders
ausdifferenziert sind und in einem diskursiven Aushandlungsprozess zwischen Teilnehmenden und Lehrenden konkretisiert werden sollten. Neben der vorausschauenden
Aufgabe kommt dem „Lehrmeister“ aber auch die aktuell
unterweisende und die rationalisierende Aufgabe zu.
Das, „was an Erfahrungen und Fertigkeiten weiter gegeben
wird, [wird] im Prozess der Weitergabe besser durchgeformt,
klarer gestaltet und bewusster gemacht. Schon ein Handgriff, der einem anderen in der Absicht der Unterweisung
vorgemacht wird, gewinnt eine andere, besser geformtere,
exaktere und bewusstere Gestalt. Weiterhin aber verändert
das erzieherische Tun die Arbeit dadurch, dass der neu Hinzukommende den Inhalt des Überlieferten nicht selbst zu
finden und zu erforschen braucht. Er lernt nur das endgültige, brauchbare Resultat eines langen Entwicklungsweges
voller Irrungen und Versuche kennen. So kommt er schneller
zum Ziel, zum Erwerb eines bestimmten Kreises von richtigen Erfahrungen und erprobten Fertigkeiten. Sein schöpferisches Tun hat eine andere Ausgangsbasis; Zeit und Kraft, die
der Vervollkommnung und Weiterentwicklung der Arbeit dienen, können an einem höheren Punkt der Skala ansetzen.“8
Zwei Aspekte scheinen mir hier im Zusammenhang interessant zu sein: Anleitung zum Lernen und Rationalisierung.
Selbständigkeit ist natürlich das Ziel von Bildung, sie ist aber
nicht per se vorhanden, auch nicht im Erwachsenenalter. Das
22
weist unmissverständlich auf benötigte Lernorte und Lernzeiten und signalisiert den Bedarf an qualifiziertem Personal, das in der Lage ist, Lerngegenstände angemessen zu
demonstrieren/präsentieren, Lernanleitung zu geben und
ein ausbalanciertes Verhältnis von Wissensvorgaben und
Chancen zum entdeckenden, kreativen Lernen zu konzipieren
und zu realisieren.9 Der darin enthaltene Rationalisierungseffekt bedeutet für Weiterbildung auch, den Angeboten eine
sorgfältige Bedarfsanalyse zu Grunde zu legen und so z.B.
Umschulungsmaßnahmen für den Arbeitsmarkt vor dem Hintergrund realer Verwertungsmöglichkeiten zu entwickeln.
„Weiterbildung hat also den Auftrag, wenn sie lebenslanges
Lernen im Sinne einer kontinuierlichen Bildungsbereitschaft
unterstützen will, die zur Selbständigkeit führt, die dafür
notwendige entsprechende Lernkultur auszudifferenzieren
oder eben zu erhalten oder wo sie in Teilen der beruflichen
Bildung noch nicht vorhanden ist, sie entstehen zu lassen.
Jenseits von Erziehung sind beginnend beim jungen Erwachsenen auf Selbständigkeit, auf Förderung und Selbst- und
Situationsreflexionen bezogene Begleitkonzepte zu entwickeln.“10
Dies verweist auf die Notwendigkeit einer ständigen Teilnehmerorientierung in der Weiterbildung, denn persönliche Interessen und Motive haben entscheidenden Einfluss
auf die Annahme und Wirkungen der Angebote. Bildungsangebote können nicht „als Dienstleistungen einfach abgeholt oder mitgenommen“ werden wie ein gebügeltes Hemd
oder ein frisierter Kopf. Um das Angebot Weiterbildung zur
Wirkung zu bringen, muss sich der Teilnehmende selbst einbringen, er muss z.B. Informationen aufnehmen, sie in seinem Gedächtnis verankern, Umstrukturierungen des bisher
für richtig Erachteten vornehmen, Systematiken verändern,
Vergleiche ziehen, Problemlösungen bearbeiten, neue Ideen
kreieren.... Das ist nicht nur mit Spaß und Freude verbunden,
Lernen bedeutet Anstrengung, mit partiellen Misserfolgen
klar zu kommen, „Durststrecken“ zu überstehen usw.
Je nach der persönlichen Art und Intensität, in den Lernprozess zu investieren, der Art und Weise, mit anderen Teilnehmenden und Lehrenden zu kommunizieren, entsteht ein
persönliches, individuelles Lernprodukt, das in nachfolgenden Prozessen weiter bearbeitet, angewendet oder auch vergessen wird.
Der Kreis schließt sich: Lernen muss man selbst, am Lernergebnis ist man maßgeblich beteiligt, aber auch die Rahmenbedingungen, z.B. dort abgeholt zu werden, wo man ist,
geeignete Orte, Räume und Zeiten für das Lernen nutzen zu
können, Anleitung und professionelle Hilfe für das Lernen zu
haben, beeinflussen die Qualität dieses individuellen Prozesses entscheidend.
Helga Stock
Humboldt-Universität zu Berlin
Philosophische Fakultät IV
Abt. Erwachsenenbildung/Weiterbildung
1
2
UNESCO-Bericht: Deutsche UNESCO-Kommission (Hrsg.): Lernfähigkeit:Unser verborgener Reichtum.
UNESCO-Bericht zur Bildung für das 21. Jahrhundert.
Neuwied;Kriftel;Berlin:Luchterhand, 1997
Klix,F.
Information und Verhalten
Deutscher Verlag für Wissenschaft, Berlin 1980
3
Ehses,C.; Heinen-Tenrich,J.; Zech,R.
Das lernerorientierte Qualitätsmodell für Weiterbildungsorganisationen
Expressum Verlag Hannover, 2001, S.10
4
Zech, R.
Mein Lernen gehört mir
www.changex.de/d_a00776print.html
5
Geißler, Karlheinz A.
Lernprozesse steuern
Weinheim 1999, S. 168
6
Ehses.; a.a.O. S.13
7
Alt,R.
Erziehung und Gesellschaft
Volk und Wissen Volkseigener Verlag, Berlin, 1975, S.317
8
Ebenda S. 319/320
9
Z.B. ist jemandem bei der Computerarbeit zuzusehen und
sich ein paar „Tricks“ abzugucken, nicht das gleiche wie eine
gezielte Weiterbildung, wo z.B. auch die Palette der Wahlmöglichkeiten vorgestellt und die Gründe erläutert werden, sich für
die eine oder andere Variante zu entscheiden. Oder ich erinnere
an den medizinischen Bereich, wo Vormachen/Demonstrieren
und Nachmachen/Üben feste Bestandteile der Aus- und Weiterbildung sind.
10
Gieseke, W.
Bildungspolitische Interpretationen und Akzentsetzungen des
Slogans vom lebenslangen Lernen
Berlin, 2005, S.12
Berufsfeldforschung
Wie eignen sich SozialarbeiterInnen Kompetenzen an?
Berufsfeldstudie: Wissen und Expertise in der Sozialen Arbeit im Gesundheitsbereich
1. Gemeinsame Fragestellungen
Bei der Berufsfeldstudie „Wissen und Expertise in der sozialen Arbeit im Gesundheitsbereich“ handelt es sich um
die sog. „Finnlandstudie“, um eine Vernetzung einer Forschungsgruppe der Universität Helsinki, Abt. Soziale Arbeit,
(Prof. Synnöve Karvinen-Niinikoski, Johanana Björkenheim,
Jari Salonen) mit der ASFH (Prof. Dr. Brigitte Geißler-Piltz, Dr.
Susanne Gerull, Berthe Khayat).
Anlass unserer komparativen Forschungsarbeit ist die
Erkenntnis, dass in Finnland wie auch in Deutschland die
Wechselwirkung von sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit die Soziale Arbeit im Gesundheitsbereich vor Veränderungen und Herausforderungen stellt, die durch die
Modernisierungskrise weiter verschärft werden. Die verantwortungsvolle und belastende Arbeit mit chronisch psychisch und somatisch kranken, sozial benachteiligten und
ausgegrenzten Menschen führt zu ständig steigenden kognitiven, instrumentellen und psychosozialen Anforderungen.
Im europäischen Raum gibt es keine Untersuchungen, die
sich mit diesen besonderen beruflichen Anforderungen der
Sozialen Arbeit beschäftigen und Erkenntnisse herstellen,
wie Wissen und Expertise im beruflichen Alltag akquiriert
wird, wie sich berufliche und außerberufliche Qualifikationen und Kompetenzen individuell und kollektiv ausprägen.
Damit sind Entwicklungen zur „Wissensgesellschaft“ ange-
sprochen, die zur Konsequenz haben, dass Lernen immer
weniger gebunden an traditionelle Institutionen, an Aus- und
Weiterbildung scheint. Durch berufliche und außerberufliche
Tätigkeiten finden vielfältige non-formelle und informelle
Lern- und Qualifikationsprozesse statt, die zur Ausformung
von Kompetenzen und Expertise führen. Die finnisch-deutsche Forschungsvernetzung geht diesen Fragen mit einem
aufwendigen empirischen Verfahren nach.
2. Gesellschaftlicher Kontext
Gesundheitspolitische Entwicklungen und Strukturveränderungen im Gesundheitsbereich, welche Finanzierbarkeit
und Leistungsfähigkeit zum Ziel haben, tangieren die Existenz des traditionsreichen Gesundheitsberufs, der Sozialen
Arbeit. Die Zunahme chronisch-degenerativer Erkrankungen
und die demographisch bedingte Zunahme alter, multimorbider Menschen machten einen Paradigmenwechsel in der
Gesundheitsversorgung notwendig: Während der stationäre
Bereich aus ökonomischen Gründen eingeschränkt wird,
entstehen im kostengünstigeren ambulanten Versorgungssektor neue Aufgabenbereiche, die initiiert werden etwa
durch die Pflegegesetze, die Novellierung des SGB VIII und
die komplette Umstrukturierung der sozialen Sicherung, die
Erweiterung der ambulanten Pflegedienste und die Anerkennung der Soziotherapie als Regelleistung, durch neue Anreiz-
23
und Steuerungssysteme wie die DRGs (Diagnosis Related
Groups), Case Management etc. Für die in den Kliniken Tätigen bedeutet dies einen höheren Entlassungsdruck, für die
PatientInnen frühere Entlassungen und eine entsprechend
kürzere Verweildauer. Hier befindet sich die Sozialarbeit in
einer schwierigen Position: Erwartet wird, dass trotz steigender Arbeitsbelastung kranke Menschen effektiv behandelt,
d. h. case management und psychosoziale Interventionen verbessert werden; erwartet wird weiter, dass die Soziale Arbeit
die Wirksamkeit ihrer Leistungen gegenüber Kooperationspartnern und Geldgebern nachweist. Da der Sozialen Arbeit,
die in den Gesundheitsorganisationen eher im Hintergrund
agiert, der geforderte Nachweis bisher nicht überzeugend
gelingt, drängen andere helfende Berufe in die traditionellen Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit und verwischen damit
die Grenzen zwischen den Professionen. SozialarbeiterInnen
in Arbeitsfeldern des Gesundheitswesens scheinen nicht
genügend gerüstet, um sich im veränderten medizinischen
System zu behaupten, sie klagen darüber, methodisch nicht
ausreichend für die Anforderungen der Praxis ausgebildet zu
sein und sich gegenüber Berufsgruppen mit starker beruflicher Identität unterlegen zu fühlen.
Dass in Zeiten verknappter Arbeitsplätze Berufsgruppen
wie PsychologInnen, PflegerInnen oder ÄrztInnen - mit einer
ungebrochenen beruflichen Identität und eigenen Wissensbeständen ausgestattet - ihren Handlungsbereich auf Kompetenzfelder der Sozialen Arbeit ausdehnen können, ist
zunächst ein Beleg dafür, wie dünn die Trennungslinie zwischen medizinisch-therapeutischer und Sozialer Arbeit ist. Es
zeigt aber auch, dass diese Grenze bisher nur einseitig überschritten werden durfte. Dabei ist nicht anzunehmen, dass
SozialpsychiaterInnen sich mit theoretischen Konzepten der
Sozialen Arbeit auseinandersetzen, während es umgekehrt
als selbstverständlich gilt. „Für diese asymmetrische Beziehung zwischen Sozialarbeit und Medizin sind die Sozialarbeiter zum Teil selbst verantwortlich wegen ihrer Tendenz
zur Selbstentwertung und auch aufgrund ihrer Chamäleonexistenz, der Anpassung an vorgegebene oder nur vermutete
Rollen, Professionalitätsmuster, in Administrationen sowie
in der Domäne der Medizin“1.
Als Berufgruppe ist die Soziale Arbeit gefordert, in Kooperation mit und in Konkurrenz zu den anderen professionellen HelferInnen ihre Zuständigkeit und Kompetenzen für die
Gesundheitsarbeit unter Beweis zu stellen. Im Wettbewerb
gilt die Erfahrung, dass sich nur derjenige durchsetzen kann,
der ein bestimmtes Gut anbietet, das andere MitbewerberInnen nicht in gleicher Qualität zu liefern in der Lage sind.
3. Weiterbildung und Kompetenzerwerb im Gesundheitsbereich
Die Notwendigkeit besonderer Qualifikation und beruflicher Standards für die Sozialarbeit wird insbesondere im
segmentierten, stark hierarchisch strukturierten Gesundheitswesen deutlich. Für dort tätige Berufsgruppen werden
Qualifikationen nur über fachliche Weiterbildungen und Fachspezialisierungen erreicht. Für Ärzte gibt es eine geregelte
24
Facharztausbildung, für Pflegekräfte wie auch für Psychologen sind verschiedene Richtungen der Fachspezialisierungen
geordnet. Für SozialarbeiterInnen gibt es zwar einige Zusatzstudiengänge und Weiterbildungen, die allerdings nicht einheitlich geregelt und wenig transparent sind.
Dieser Kontext verdeutlicht, warum SozialarbeiterInnen mehr
Zeit und Geld als andere Berufsgruppen in Weiterbildungen
unterschiedlicher Qualität und Ausrichtung investieren.
Besonders nachgefragt sind Weiterbildungen zu rechtlichen
Problemen und Neuerungen sowie Psychotherapie, Beratungs- und Managementmethoden. Damit sind Erwartungen
verbunden, den komplexen Anforderungen an psychosoziale Dienstleistungen in multidisziplinären Teams gewachsen
zu sein. Ob die angebotenen Weiterbildungsveranstaltungen die berechtigten Erwartungen einlösen können, ob die
angebotenen Methoden, die häufig auf disziplin-fremden
Verstehensmodellen in Fragen von Gesundheit und Krankheit beruhen, für die Bewältigung der Alltagsrealität sozialer
Arbeit verlässlich sind und ob nicht die informelle Weiterbildung, das „learning on the job“ , einen großen Teil der Wissensaneignung ausmacht, sind alles sind Fragen, die bisher
nicht beantwortet werden können. Denn in Deutschland fehlen empirische Arbeiten, die die beruflichen Situationen von
SozialarbeiterInnen auf Wissens- und Kompetenzaneignung
untersuchen, SozialarbeiterInnen nach Art, Dauer und Qualität von Supervision, Weiterbildung , nach non-formellen und
informellen Lernformen in Arbeitszusammenhängen befragen. Hier wird die „Finnlandstudie“ Neuland beschreiten und
versuchen, Fragen und Hintergründe zu klären und weitere
Fragen und Untersuchungen anregen.
4. Forschungsdesign
Die mit uns korrespondierende Gruppe der forschenden
SozialarbeiterInnen um Synnöve Karvinen-Niinikoski gehört
einem Center of Excellence an, in dem mehrere Doktorantinnen arbeiten. Eine von Ihnen, Johanna Björkenheim, hat auf
der internationalen Tagung die Vorarbeiten zu dieser Studie vorgestellt und die Frage nach einer Kooperation mit der
ASFH positiv beantwortet.
Da eine vergleichende Studie eine gemeinsame Fragestellung sowie einen übereinstimmenden Fragebogen voraussetzt, waren die finnischen KollegInnen gern bereit, uns den
von ihnen erarbeiteten und bereits erprobten Fragebogen zu
überlassen. Wir haben diesen sehr komplexen, mit etwa 80
Fragen auch sehr umfangreichen Fragebogen ins Deutsche
übersetzt, ihn leicht gekürzt und mit dem Ziel, die Vergleichbarkeit zu belassen, methodisch und sprachlich überarbeitet.
In Analogie zur finnischen Befragung, die gemeinsam mit der
gewerkschaftlichen Vertretung durchgeführt wurde, haben
wir die Deutsche Vereinigung für Sozialarbeit im Gesundheitswesen (zuvor Deutsche Vereinigung für den Sozialdienst im Krankenhaus) gewinnen können. Sie hat uns für die
Befragung die Daten ihrer Mitglieder zur Verfügung gestellt
und die Fragebogenaktion durchgeführt.
Circa 700 Mitglieder sind von der Vereinigung – nach vorheriger Ankündigung im „Forum - Sozialarbeit + Gesund-
heit“ - angeschrieben worden. Der Rücklauf dieser Aktion war
beachtlich: 307 Fragebögen sind ausgefüllt in der ASFH eingetroffen. Damit kann die Studie als repräsentativ für die in
der DVSG engagierten SozialarbeiterInnen aus dem Gesundheitsbereich angesehen werden. Als Kontrollgruppe haben
wir parallel 446 Alumni der ASFH angeschrieben. 113 von den
verschickten Fragebögen sind ausgefüllt zurückgekommen.
Aufgrund unserer bisherigen Erfahrungen ist die Rücklaufquote für diese Gruppe durchaus akzeptabel. Da die Alumni
in allen Arbeitsbereichen sozialer Arbeit tätig sind, können
auf diese Art und Weise auch evtl. Besonderheiten der Wissensaneignung und – umsetzung von GesundheitsarbeiterInnen herausgearbeitet werden.
Die ersten Ergebnisse liegen vor und werden beim Bundeskongress der Deutsche Vereinigung für Sozialarbeit im
Gesundheitswesen e.V. (DVSG) am 27. und 29.Oktober in
Mainz präsentiert.
Brigitte Geißler-Piltz
Prorektorin / ASFH
1
Terbuyken,G. (1997): Verstehen und Begleiten. Konzeptionelle
Überlegungen zum Selbstverständnis von Sozialarbeiter/innen in der Psychiatrie, in: Soziale Arbeit, Heft 2, S.38-48
Hochschuldidaktik
Der Hochschuldidaktikverbund Berliner und Brandenburger Hochschulen
Im Dezember 1997 haben sich an der TFH Berlin eine kleine Präsentationstechniken und Einzelcoachings. Manche der
Gruppe Vertreter evaluationswilliger Hochschulen und ein beteiligten Hochschulen sind in der glücklichen Lage, auf die
Vertreter der Senatsverwaltung zusammengefunden und Ressourcen einer eigenen Abteilung für Weiterbildungsmaßbeschlossen, sich von nun an regelmäßig zu treffen, um zu nahmen zurückgreifen zu können. Früh kam der Gedanke
diskutieren, Erfahrungen weiterzugeben und gemeinsame auf, die jeweiligen Veranstaltungen auch für Mitglieder andeProjekte anzustoßen. Diese Gruppe blieb nicht klein, sie rer Hochschulen zur Verfügung zu stellen, sich untereinander
umfasst inzwischen Vertreter von 16 Hochschulen aus Ber- abzusprechen und eine gemeinsame Plattform zur Präsenlin und Brandenburg. Seit Februar 2000 findet außerdem tation zu finden, zuerst in Form eines Programms, dass an
eine jährliche Tagung in Kooperation mit dem Projekt Q der 4.000 ProfessorInnen und Lehrbeauftragte verteilt wurde.
Hochschulrektorenkonferenz (HRK) an einer der Hochschu- Da aber die Erstellung und der Druck des Programms nicht
len statt. Die Themenpalette des Arbeitskreises und der ohne Unterstützung aller Hochschulen oder der SenatsverTagungen hat sich seither deutlich erweitert: Inzwischen waltung zu bewerkstelligen war, ging der Arbeitskreis dazu
wird der ganze Bologna-Prozess diskutiert, besonders ver- über, eine internetbasierte Plattform zu planen. Unter Federschiedene Aspekte der Akkreditierung. Da der TeilnehmerIn- führung des Zentrums für Weiterbildung, Hochschuldidaktik
und Berufsfeldforschung der
nenkreis sich inzwischen aus
ASFH entstand eine Webpage,
dem gesamten Bundesgebiet
Projekte 2005
die alle Didaktikseminare für
und allen Hochschultypen rekDie Mitglieder des Arbeitskreises haben einen FrageboLehrende der beteiligten Hochrutiert, sind immer auch Vergen entwickelt, mit dem noch in diesem Jahr alle Hochschulen vereint. Das größte
treterInnen von Einrichtungen
schullehrenden der beteiligten Hochschulen zu ihren
Problem ist aber nach wie vor
dabei, die noch in den AnfänWeiterbildungsinteressen befragt werden sollen. Die
das nicht sehr ausgeprägte
gen der Evaluation stehen.
Auswertung dieser Umfrage werden wir allen interesInteresse der Lehrenden an
Gerade für diese ist der Aussierten Hochschullehrenden zugänglich machen und
hochschuldidaktischer Weitausch mit erfahrenen Kämpdie Ergebnisse selbstverständlich in unsere Angebotsterbildung, und das obwohl
ferInnen mit der Materie nicht
gestaltung einfließen lassen. In Vorbereitung für nächsdie Umstellung auf Bachelor
nur ideell wertvoll, er erspart
tes Jahr ist weiterhin eine Tagung zu qualitätssichernden
und Master auch neue Lehrihnen Zeit und Pannen. Daher
Prozessen in Lehre und Verwaltung bei der Umsetzung
formen mit sich bringt. Mehr
spielt auch das Thema Evazu Bachelor- und Masterstudiengängen. Nähere Inforals kostengünstige Angeluation weiterhin eine große
mationen folgen Anfang nächsten Jahres.
bote zur Verfügung zu stellen
Rolle.
und immer wieder bekannt zu
Im regelmäßigen Erfahrungsaustausch wurde bald deutlich, dass Hochschulen ihren machen, können die Hochschulen Berlins und Brandenburgs
evaluierten Lehrenden auch hochschuldidaktische Weiter- im Moment nicht tun. Andere Bundesländer, z.B. Hessen und
bildungsangebote zur nachhaltigen Verbesserung der Lehre Bayern, können auf ein landeszentrales hochschuldidakmachen müssen. Nach und nach hat daher jede Hochschule tisches Weiterbildungsinstitut zurückgreifen. In mehreren
eine oder mehrere Veranstaltungen entwickelt, die Probleme Bundesländern (am längsten bereits praktiziert in Badenin der Lehre beseitigen helfen sollen: Seminare zu Stimme Württemberg) werden Neuberufene zur Teilnahme an einem
und Rhetorik, neue Lehrmethoden, Teambildung, aber auch intensiven Hochschuldidaktikseminar verpflichtet, das sie
25
absolvieren müssen, bevor sie ihre Lehrtätigkeit aufnehmen.
Ein solches Engagement von Landesseite ist weder in Berlin
noch in Brandenburg aufgrund der jeweiligen Haushaltslage
realistisch, also werden die Hochschulen weiterhin selber
dieses Feld bestellen müssen.
Die Webpage zum hochschuldidaktischen Angebot von
Berliner und Brandenburger Hochschulen vereinigt diese
Anstrengungen. Sie wird von der ASFH und TFH auf dem neu-
esten Stand gehalten und so können Sie unter http://www.
asfh-berlin.de/zwhb jederzeit unsere aktuellen Angebote im
Bereich der Hochschuldidaktik einsehen.
Annette Jander, M.A., Gabriele Helbig (TFH)
Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle Qualitätssicherung der
Technische Fachhochschule Berlin
Promovieren nach dem Fachhochschulabschluss?
Die ASFH macht’s möglich!
Seit den 1990er Jahren ist es möglich, auch ohne Universitätsabschluss zu promovieren. In Berlin schreibt das Berliner Hochschulgesetz (BerlHG) den Universitäten vor, dass
sie entsprechend befähigten AbsolventInnen von Fachhochschulen einen unmittelbaren Zugang zur Promotion ermöglichen sollen. Ganz so einfach ist es allerdings nicht, denn
die unterschiedlichen Promotionsordnungen setzen neben
einem überdurchschnittlichen FH-Abschluss immer auch
Nachweise einer wissenschaftlichen Nachqualifikation voraus. Dies geht bei drei Scheinen los, kann aber auch den
Pflichtbesuch der unterschiedlichsten Seminaren bedeuten –
je nach Fachbereich und Universität. Auch ist es als FH-AbsolventIn oft schwer, einen Doktorvater oder eine Doktormutter
zu finden – schließlich kennt man in der Regel niemanden an
den Unis und kann sich selbst meistens auch nicht so gut
anpreisen.
Hinzu kommt, dass eine Promotion in den Sozialwissenschaften durchschnittlich zwischen drei und fünf Jahren dauert; ist
gleichzeitig Nachwuchs zu versorgen, kann sich das Ganze
noch länger hinziehen. Diese Zeit muss irgendwie finanziert
werden, denn nicht jedeR ist diszipliniert genug, neben einem
Halbtagsjob noch eine Dissertation zu schreiben. Und Promovieren ist auch nicht ganz billig, denn es entstehen Kosten
für Literatur, Kopien, Druckerpatronen (bis zu 10 Fassungen
pro Kapitel müssen geschrieben und ausgedruckt werden!),
Fortbildungen, z. T. auch für Reisen, wenn z. B. Interviews in
anderen Bundesländern geführt werden müssen.
Unterstützung in jeder Hinsicht tut also Not. Die ASFH sieht
sich schon aufgrund ihrer Namensgeberin verpflichtet,
den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern. Schließlich
gehörte Alice Salomon zu den ersten Frauen Deutschlands,
die promovierte, und das ganz ohne Reifeprüfung, wie das
heutige Abitur damals noch hieß. Seit vielen Jahren motivieren und unterstützen Professorinnen und Professoren der
ASFH ihre Studierenden dabei zu promovieren. So gibt es
seit vielen Jahren gleich zwei Promotionskolloquien bzw. –
kollegs, in denen Studierende sich regelmäßig unter Anleitung treffen, um ihre Promotionsvorhaben besprechen und
optimieren zu können. Neben dem Promotionskolloquium
von Prof. Dr. Reinhart Wolff, in Zusammenarbeit mit der
Freien Universität, gibt es seit 1999 ein Promotionskolleg,
das Frauen vorbehalten ist. Initiiert von Professorinnen wie
26
Birgit Rommelspacher, Dagmar Schultz und Hilde von Ballussek, unterstützt von der damaligen Frauenbeauftragten
Anne Kurth, wurde nach jahrelanger Vorarbeit ein Programm
eingerichtet, das neben der üblichen Unterstützung auch mit
Stipendien für die Vorbereitung und Durchführung einer Promotion aufwarten kann.
Mittlerweile finanziert aus dem Programm Chancengleichheit der Bundesregierung, kofinanziert durch die ASFH
selbst, können seit 1999 jährlich bis zu acht Stipendien vergeben werden. Bis zu drei Jahre insgesamt können die Frauen
gefördert werden, und man kann von einer echten Erfolgsgeschichte sprechen: Seit Beginn des Programms haben sieben
Frauen erfolgreich ihre Promotion abgeschlossen, weitere
Frauen werden innerhalb diesen Jahres fertig werden. Fast
alle Stipendiatinnen sind – z. T. schon während ihrer Arbeit
an der Dissertation – in der Lehre tätig und zwei Frauen, Silke
Gahleitner und Erika Feldhaus- Plumin, haben bereits den
Sprung zur Professur geschafft. Wie übrigens auch zwei PromovendInnen, Regina Rätz-Heinisch und Heiko Kleve, aus
dem Kolloquium von Prof. Dr. Reinhart Wolff.
Die finanzielle Förderung im Stipendienprogramm der ASFH
ist für alle Beteiligten ein echter Glücksfall. Aber mindestens genauso wichtig ist die Unterstützung, um sich auf dem
Parkett der „scientific community“ bewegen zu können. So
werden z. B. regelmäßige Coachings veranstaltet, um die
überwiegend empirisch vorgehenden Stipendiatinnen in
sozialwissenschaftlichen Forschungsmethoden zu schulen.
Eine Gruppe von Ehemaligen gibt die erworbenen Fähigkeiten seit einigen Semestern an andere Interessierte weiter.
Aus diesen regelmäßigen „übergreifenden Methodenworkshops“ entsteht derzeit ein Buch, das eine Einführung in das
Spektrum sozialwissenschaftlicher Methoden geben wird.
Wie von den Workshopteilnehmerinnen berichtet wird, ist
das Promotionskolleg der ASFH einmalig in seiner umfassenden materiellen und immateriellen Unterstützung der
Promovendinnen. Viele neidvolle Blicke gibt es auch in bundesweiten Kolloquien, wenn vom Stipendienprogramm mit
seinen vielfältigen Angeboten berichtet wird. Alice Salomon
wäre zufrieden dem Stipendienprogramm der ASFH, dessen
bin ich mir sicher!
Susanne Gerull
Ehemalige Stipendiatin
Forschungscolloquium ‚Klinischen Sozialarbeit‘ aus studentischer Initiative
In Kooperation mit der Fachhochschule Coburg startete letztes Semester an der Alice-Salomon-Hochschule zum vierten
Mal der Masterstudiengang ‚Klinische Sozialarbeit‘. Klinische Sozialarbeit als beratende und behandelnde Profession
in unterschiedlichen Feldern des Sozial- und Gesundheitswesens bemüht sich um Veränderungsimpulse für den Einzelnen im Kontext seiner Umfeld- und Lebensbedingungen;
sie widmet sich aber in Abgrenzung zur Klinischen Psychologie insbesondere der Unterstützung schwer erreichbarer KlientInnen in Multiproblemsituationen, so Albert Mühlum und
Helmut Pauls in der ersten Ausgabe der Zeitschrift ‚Klinische
Sozialarbeit: Zeitschrift für psychosoziale Praxis und Forschung‘ zum ‚state of the art‘. Der Studiengang vermittelt in
sechs Semestern berufsbegleitend neben den erforderlichen
theoretischen Fachkenntnissen, kommunikativen Kompetenzen und Handlungsmethoden explizit auch Forschungskompetenzen. Der Abschluss ‚Master of Arts‘ inkludiert die
Möglichkeit zur wissenschaftlichen Weiterqualifikation und
berechtigt zur Promotion.
Aufgabe klinisch-sozialarbeiterischer Forschung ist, Fragestellungen bio-psycho-sozialer Lebenslagen, Lebensweisen
und Lebenskrisen unter den jeweils gegebenen Kontextbedingungen mittels empirisch fundierter Methoden zu bearbeiten. Die Situationsbezogenheit, bestehend aus Erleben,
Lebenslage und Lebensweise, wie auch der ganzheitliche,
ökosystemische Anspruch stellt eine andauernde Herausforderung an Praxis wie Forschung dar: ein ständiges Abwägen
von Komplexität und Reduktion. Neben den Möglichkeiten
der quantitativen Sozialforschung mit ihrem Fokus der verallgemeinerbaren Ergebnisse zu Lebensbedingungen und
Lebensumfeldparametern und ihren Fähigkeiten der Reduktion bietet die qualitative Sozialforschung den Zugang zur
Realität über subjektive Deutungen, also die ‚andere’ Seite
des doppelten Fokus, das subjektive Erleben und reaktive Verhalten von Menschen in bestimmten Lebensumfeldern und Systemen. Wirksamkeitsnachweise verlangen aber
ebenfalls quantitative Forschung. Das Studium umfasst
daher ein breites Spektrum unterschiedlicher klinischer Forschungsmethoden zur Exploration, Evaluation und Qualitätssicherung.
Forschung und Praxis sind bei der Herausbildung praxisnaher Konzepte stark aufeinander angewiesen. Gerade langjährig erfahrene PraktikerInnen verfügen über einen enormen
Wissensfundus. Von ihnen sollten die Fragen gestellt werden
und in geeigneten Forschungsdesigns systematisch exploriert und überprüft werden. Aus (selbst-)reflexiven Praktiken Sozialer Arbeit können so in einem beständigen Zyklus
neue Fragestellungen für weitere Forschungsvorhaben und
erneute Theoriebildung generiert werden. Dieser Meinung
waren auch die Studierenden des Masterstudienganges. Aus
ihren Interessen und Kompetenzen heraus entwickelten sie
den Wunsch nach einem weiterführenden Forschungskolleg,
in dem sie ihre Forschungsinteressen auch nach dem Masterabschluss weiter verfolgen und in den fachlichen und
methodischen Kontext der Erfahrungen im klinisch-sozialarbeiterischen Bereich stellen können.
Das Angebot des Kollegs richtet sich neben den AbgängerIn-
nen der Masterstudiengänge Klinische Sozialarbeit auch an
qualifizierte, praxiserfahrene AbsolventInnen von anderen
Hochschulen im Sozialwesen, vorzugsweise mit dem durch
Weiterbildung und langjährige Praxis erworbenen Zusatztitel: FachsozialarbeiterIn für Klinische Sozialarbeit der Zentralstelle für Klinische Sozialarbeit. Es soll in der Klinischen
Sozialarbeit tätigen BerufspraktikerInnen - unterstützt durch
die Begleitung des Forschungscolloquiums sowie fach- und
forschungsspezifische Seminare - die Möglichkeit eröffnen,
Fragestellungen zu präzisieren, Forschungsthemen zu entfalten und Promotions- und Forschungsthemen erfolgreich
abzuschließen.
Das Programm besteht - orientiert an der Idee amerikanischer
Ph.D.-Programme - aus einem regelmäßigen Colloquium,
in dem die Arbeiten in der Forschungsgruppe gemeinsam
reflektiert werden. Die TeilnehmerInnen des Forschungscolloquiums werden zusätzlich dazu durch begleitende
Veranstaltungen zur qualitativen wie quantitativen Forschungsmethodik, Forschungsgruppen in kleineren Zusammenhängen und Seminare zu spezifischen Inhalten Klinischer
Sozialarbeit in ihrer Forschungstätigkeit unterstützt.
Das Forschungskolleg wird von der ASFH in Absprache und
Kooperation mit der Fachhochschule Coburg als kostenpflichtiges Angebot des Zentrums für Weiterbildung, Hochschuldidaktik und Berufsfeldforschung organisiert. Dabei greift
die ASFH auf zahlreiche positiven Erfahrungen mit den beiden Dissertationscolloquien am Haus und bestehende Kontakte zu umgebenden Universitäten zurück (siehe Gerull, in
diesem Heft). Bei erfolgreichem Abschluss der Forschungsarbeiten besteht die Möglichkeit der Publikation von Monographien und Herausgeberbänden in der Reihe ‚Klinische
Sozialarbeit’ des Lit-Verlages und von Zeitschriftenartikeln
in der oben genannten Zeitschrift ‚Klinische Sozialarbeit‘
sowie anderen Verlagsgesellschaften und Fachzeitschriften.
Der Forschungszusammenhang soll so zugleich dazu beitragen, eine stetige Qualitätssicherung zu betreiben und klinische Fachsozialarbeit inhaltlich wie methodisch fortlaufend
weiter zu entwickeln.
Ein Vorbereitungstreffen für InteressentInnen findet am Freitag, den 7. April 2006 um 18 Uhr an der ASFH statt.
Kontakt: Prof. Dr. Brigitte Geissler-Piltz, Prof. Dr. Silke Birgitta Gahleitner
E-Mail: [email protected]
Silke Gahleitner Hochschullehrerin /
ASFH ab Sommersemester 2006
27
Europäische Entwicklungen geben der
Aus- und Weiterbildung im Gesundheitswesen Aufwind
Die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) hat das Modellversuchsprogramm
„Weiterentwicklung dualer Studienangebote im tertiären
Bereich“ mit der Laufzeit vom 1.04.2005 – 31.3.2008 aufgelegt, an dem die ASFH - in Kooperation mit der Charité - mit
dem Projekt „Entwicklung und Erprobung eines Konzepts
zur Anerkennung von außerhochschulisch erworbenen Lernleistungen auf Bachelor-Studiengänge und Planung darauf
aufbauender Master-Studiengänge im Bereich Gesundheit/
Pflege an der ASFH und an der Charité-Universitätsmedizin
Berlin“ teilnimmt. Nachdem in der letzten Alice (10/2005:55)
das Projekt vorgestellt wurde, werden im Folgenden zunächst
die bildungspolitischen Hintergründe erläutert, die zu diesem Programm geführt haben, bevor die Besonderheiten
dieser Entwicklungen in der Ausbildung der Gesundheitsfachberufe analysiert werden.
Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft
In der Soziologie wird seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts der Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft diskutiert. Zwar gibt es keine allgemein anerkannte
Definition, aber es lässt sich dahingehend ein Konsens
erzielen, dass es sich bei der Wissensgesellschaft eher um
einen Typus sozialen Wandels handelt als um ein konsistentes Gesellschaftsmodell (Wolter/Wiesner 2005:34). Theoretisches, analytisches Wissen wird immer wichtiger für die
Regulierung von gesellschaftlichen Handlungsprozessen.
Daher ist es für die einzelnen Mitglieder einer Wissensgesellschaft von entscheidender Bedeutung, (immer wieder)
Zugang zu aktuell verfügbarem Wissen zu erhalten und sich
dieses Wissen nicht nur anzueignen, sondern es auch nutzen und weiterentwickeln zu können. Lebenslanges Lernen
ist die logische Konsequenz.
Hochschulen spielen bei der Vermittlung von diesem entscheidenden Wissen in der Erstausbildung und Weiterbildung eine zentrale Rolle.
Lebenslanges Lernen: Informelle Lernleistungen nicht
ausgeschlossen
Obwohl der Begriff des lebenslangen Lernens vor gut 35
Jahren in der internationalen Bildungsdiskussion eine erste
Boomphase erlebte und mittlerweile in kaum einer bildungspolitischen Erklärung fehlt, ist seine umfassende Bedeutung
weitgehend unbekannt. Das gilt in besonderem Maße für die
Universitäten (Lischka 2000). Teilweise wird der Begriff personenzentriert dahingehend verstanden, dass sich Lernprozesse über die gesamte Lebensspanne erstrecken. Dabei
wird dann die gesellschaftliche Verpflichtung übersehen,
diese Lernprozesse durch geeignete Instrumente der Finanzierung und institutionellen Ausgestaltung zu ermöglichen.
Pädagogische Institutionen sind dahingehend zu reformieren, dass sie als aufeinander folgende oder miteinander verknüpfte Lernorte vom Primarbereich bis zur nachberuflichen
Bildung bedarfs- und nachfragegerechte Angebote machen.
28
Sie sollten sich weniger voneinander abschotten als vielmehr
kooperieren, um ein offenes, flexibles, durchlässiges und
transparentes Bildungssystem mit zahlreichen Ein-, Überund Ausgängen ohne Sackgassen zu gestalten. Hochschulen
sind zur Umsetzung dieser Vision dazu aufgerufen, flexiblere Studienzugangs-, Unterbrechungs- und Abschlussmöglichkeiten zu schaffen, die strenge Trennung von Aus- und
Weiterbildung, von Direkt- und Fernstudium, formalem und
informellem Lernen aufzulösen.
Seitdem die Faure-Kommission der UNESCO 1972 in ihrem
Bericht feststellte, dass informelles Lernen etwa 70% aller
Lernprozesse umfasse, gilt dieser Form des Lernens große
Aufmerksamkeit. Es gibt zahlreiche Definitionen, hier sei die
der Europäischen Union zitiert:
„Lernen, das im Alltag, am Arbeitsplatz, im Familienkreis
oder in der Freizeit stattfindet. Es ist (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) nicht strukturiert und
führt üblicherweise nicht zur Zertifizierung. Informelles Lernen kann Ziel gerichtet sein, ist jedoch in den meisten Fällen
nicht intentional (oder inzidentiell/beiläufig).“ (Europäische
Kommission 2001:32).
Lissabon-Strategie und Prager Kommuniqué
Überlegungen zum lebenslangen Lernen1 und zur Wissensgesellschaft haben Eingang in die Politik der Europäischen
Union gefunden: „Der Rat der Europäischen Union (…) weist
darauf hin, dass lebensbegleitendes Lernen im Vorschulalter
beginnen und bis ins Rentenalter reichen und das gesamte
Spektrum formalen, nicht formalen und informellen Lernens2 umfassen muss. Zudem ist unter lebensbegleitendem Lernen alles Lernen während des gesamten Lebens zu
verstehen, das der Verbesserung von Wissen, Fähigkeiten
und Kompetenzen dient und im Rahmen einer persönlichen,
staatsbürgerlichen, sozialen und/ oder beschäftigungsbezogenen Perspektive erfolgt. Das Ganze soll schließlich auf den
Grundsätzen beruhen, dass der Einzelne im Mittelpunkt des
Lernens steht, wobei für echte Chancengleichheit gesorgt
und auf die Qualität des Lernens geachtet werden muss.“
(Rat der EU 2002:2).
Im März 2000 hat sich der Europäische Rat in Lissabon zum
Ziel gesetzt, die EU bis zum Jahr 2010 zur wettbewerbsfähigsten, wissensbasierten Wirtschaft der Welt zu machen.
Dieses Kernziel strebt die EU mit ihren Bildungsprogrammen an; auch versucht sie, entsprechenden Einfluss auf den
Bologna-Prozess zu nehmen (der bekanntlich außerhalb der
EU zwischen den Bildungsministerien der mittlerweile 45
Unterzeichnerstaaten abläuft und anstrebt, bis 2010 einen
Europäischen Hochschulraum zu schaffen). Mit dem Prager Kommuniqué der Bologna-Staaten wurde lebensbegleitendes Lernen 2001 explizit als weiteres Ziel in die Liste der
Bologna-Ziele aufgenommen: „Lebensbegleitendes Lernen
ist ein wichtiges Element des europäischen Hochschulraumes. In einem zukünftigen Europa, das sich auf eine wissensbasierte Gesellschaft und Wirtschaft stützt, sind Strategien
für das lebensbegleitende Lernen notwendig, um den Herausforderungen des Wettbewerbs und der Nutzung neuer
Technologien gerecht zu werden und um die soziale Kohäsion, Chancengleichheit und Lebensqualität zu verbessern.“
(Prager Kommuniqué 2001: 3).
Deutschland gerät durch die Lissabon-Strategie politisch
unter Handlungsdruck, da es im europäischen Vergleich verhältnismäßig wenig Hochschulabsolventinnen vorweisen
kann. Daher steigt das politische Interesse, die anspruchsvollen Berufe im Gesundheitsbereich zu akademisieren.
Reformbedarf der Ausbildung im Gesundheitswesen in
Deutschland
Die Ausbildung im deutschen Gesundheitswesen weist
jedoch einige Besonderheiten auf, die auf dem Weg zum
Europäischen Hochschulraum berücksichtigt werden müssen:
- Die Schulen, in denen zu Gesundheitsberufen ausgebildet wird, haben einen unklaren Status im deutschen Bildungs- und Berufsbildungssystem. Die Berufsbildung
der Gesundheitsberufe ist in keines der in Deutschland
existierenden Regelbildungssysteme für die berufliche
Bildung integriert, weder in das schulische Berufsbildungssystem der Länder noch in das bundeseinheitlich
gültige System der Berufsbildung nach Berufsbildungsgesetz – mit der negativen Konsequenz, dass Durchlässigkeit und Weiterqualifikationsmöglichkeiten erheblich
eingeschränkt sind (Meifort 2004: 28 ff.).
- Es gibt eine unüberschaubare Vielfalt von Berufsaus- und
-weiterbildungen im Gesundheitsbereich, die oft durch
Länderregelungen in einzelnen Bundesländern geschaffen wurden und nicht einmal in allen Bundesländern
Deutschlands anerkannt werden, geschweige denn in
ganz Europa.
- Die in nach Länderregelungen ausgebildeten Berufstätigen im Gesundheitswesen, zumeist Frauen, haben wenige
Weiterqualifikations- und Aufstiegsmöglichkeiten. Qualitativ nicht abgesicherte Weiterbildungen müssen sie sich
häufig teuer erkaufen, weil sie wegen der beschriebenen
Besonderheiten aus dem staatlichen (noch größtenteils
kostenlosen) Berufsbildungs- und Hochschulwesen ausgeschlossen bleiben.
- In Europa findet die Ausbildung für Pflege- und Gesundheitsfachberufe fast ausschließlich auf Hochschulebene
statt, in Deutschland dagegen hat die Akademisierung
erst in den letzten Jahren begonnen und erfasst hauptsächlich Berufe, deren Ausbildung bundesweit per Gesetz
geregelt ist und mindestens drei Jahre umfasst (Kindergesundheits- und KrankenpflegerIn, Gesundheits- und
KrankenpflegerIn, PhysiotherapeutIn, ErgotherapeutIn,
LogopädIn etc.).
- Während europaweit mit dem ersten berufsqualifizierenden Abschluss (in der Regel Bachelor) über eine Registrierung in der entsprechenden Kammer oder mittels eines
staatlichen Anerkennungsverfahrens die Erlaubnis zur
Führung der Berufsbezeichnung und damit zur Ausübung
des Berufs verknüpft ist, hat die Akademisierung bislang
-
-
noch keinen befriedigenden Eingang in die Berufsgesetze
gefunden. Zwar sieht z.B. die Neufassung des Gesetzes
über die Berufe in der Krankenpflege und zur Änderung
anderer Gesetze vom 16.07.2003 (KrPflG), das Inhalt
und Struktur der Ausbildungen in Berufen der Krankenpflege sowie die Bedingungen zur Erlaubnis der Führung
der jeweiligen Berufsbezeichnung regelt, in § 6 (Anrechnung gleichwertiger Ausbildungen) vor, dass eine andere
gleichwertige Ausbildung zu zwei Dritteln auf die Dauer
der Ausbildung in der Krankenpflege angerechnet werden kann, aber eben nur zu zwei Dritteln. Das heißt, wenn
jemand erfolgreich einen dreijährigen Bachelor-Studiengang in „Gesundheits- und Krankenpflege“ absolviert
hätte, müsste er noch ein Jahr eine schulische Ausbildung an einer Schule des Gesundheitswesens absolvieren, wenn er neben dem akademischen Grad „Bachelor
of Science“ auch die berufliche Bezeichnung (Gesundheits- und KrankenpflegerIn) erhalten wollte.3 Die Berufszulassung ist wiederum erforderlich für die Erlaubnis zur
Ausübung des Berufs bzw. für die Anerkennung als LeistungserbringerIn innerhalb der Gesundheitsversorgung.
Ohne Berufszulassung sind AbsolventInnen eines Pflegestudienganges in Deutschland nicht nur national sondern
auch international an der Berufsausübung gehindert,
denn sie haben zwar eine international übliche akademische Ausbildung abgeschlossen, verfügen jedoch nicht
über die zur wechselseitigen Anerkennung erforderliche
Berufserlaubnis, die in anderen Ländern mit dem Bachelor verliehen wird.
Das KrPflG schreibt für Lehrkräfte an Krankenpflegeschulen zukünftig die fachliche und pädagogische Qualifizierung auf Hochschulebene vor. Die meisten aktuell
beruflich tätigen Lehrkräfte haben kein Studium absolviert, sondern sich mit verschiedenen Weiterbildungen
für die Lehrtätigkeit qualifiziert. Die Dekanekonferenz
Pflege empfiehlt, die Ausbildung für Lehrkräfte auf Masterniveau anzusiedeln. Dabei kann nach Möglichkeiten
gesucht werden, die bereits in den absolvierten Weiterbildungen sowie in der Berufspraxis erworbenen Kompetenzen auf den Masterstudiengang anzurechnen. Rechtliche
Grundlage hierfür ist der Beschluss der Kultusministerkonferenz zur „Anrechnung von außerhalb des Hochschulwesens erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten
auf ein Hochschulstudium“ vom 28.06.2002. 4
Lösungsansätze im BLK-Modellprogramm
Die durch die Bologna-Erklärung in Gang gesetzte und durch
das Prager Kommuniqué unterstützte Reform der akademischen Erstausbildung bietet grundsätzlich die Chance, die
klare Grenzziehung zwischen Erst- und Weiterbildung im
Rahmen konsekutiver und modularisierter Studiengänge
zu überprüfen und neu zu gestalten, nicht nur im Gesundheitswesen. Duale Studiengänge sind dabei besonders zu
erwähnen, denn sie schaffen durch eine stärkere Einbindung
der Praxis in das Studium Übergänge zwischen der beruflichen Bildung und der Hochschule und scheinen ein probates Mittel, die bei den Gesundheitsfachberufen mangelnde
29
Durchlässigkeit zwischen beruflicher Bildung und Hochschulbildung herzustellen.
nikum (DBK) und der Beruflichen Schule am DBK einen
dualen Studiengang „Gesundheits- und Krankenpflege/
Pflegemanagement“ zu entwickeln, der in 9 Semestern
zur Doppelqualifikation „Gesundheits- und KrankenpflegerIn“ und Bachelor of Science führt.
Hier nun bieten sich zahlreiche neue Möglichkeiten. Die ASFH
ist bereits dabei, einige davon zu realisieren:
-
-
Die berufliche und die hochschulische Erstausbildung
werden zeitsparend miteinander verknüpft. Gemeinsam
mit ausgesuchten Berufsfachschulen bietet die ASFH
den dualen Bachelor-Studiengang „Physiotherapie/Ergotherapie“ an, in dem die Studierenden in insgesamt fünf
Jahren sowohl die Voraussetzungen für die staatliche
Zulassung als PhysiotherapeutIn bzw. ErgotherapeutIn
als auch einen ersten Studienabschluss erlangen.
Um die berufliche und die hochschulische Erstausbildung
zu verzahnen, erkennt die ASFH 30 Credits aus der vorangegangenen Ausbildung zur (Kinder-) Gesundheits- und
(Kinder-) KrankenpflegerIn, zur AltenpflegerIn, zur Hebamme oder zur HeilerziehungspflegerIn für das BachelorStudium „Gesundheits- und Pflegemanagement“ an. Eine
abgeschlossene Berufsausbildung ist in diesem Fall die
Voraussetzung zur Aufnahme des Studiums.
Diese innovativen Elemente soll die ASFH im BLK-Modellprogramm „Duale Studiengänge im tertiären Bereich“ gemeinsam mit anderen Hochschulen weiterentwickeln, um zur
Lösung der skizzierten Probleme in der deutschen Hochschulaus- und -weiterbildung für Gesundheitsfachberufe
beizutragen. Und hier die geförderten Projekte im Bereich
Gesundheit/Pflege im Überblick:
-
-
-
30
Die ASFH und die Charité wollen in ihrem Projekt erstens
Qualitätskriterien und Verfahren zur Anrechnung von Teilen der berufsschulischen Ausbildung, der Weiterbildung
sowie spezieller Berufserfahrungen auf das Bachelorstudium und gegebenenfalls auf das sich anschließende
Master-Studium entwickeln. Zweitens sollen Masterstudiengänge geplant bzw. abgestimmt werden, u.a. der Master „Education for Health Professionals“ für Lehrkräfte an
Schulen im Gesundheitswesen, der an der Charité angeboten werden soll.
Die Universität Kassel und die Fachhochschule Fulda verfolgen mit ihrem Projekt WAWIP (Wechselseitige Anerkennung vorgängig erworbenen Wissens in der Pflege)
die Intention, erstens ein Verfahren der wechselseitigen
Anerkennung von Qualifikationen der beruflichen Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege und der
Bachelorstufe primärqualifizierender Pflegestudiengänge
zu entwickeln, zu erproben und zu evaluieren. Zweitens
steht auf ihrer Agenda, ein Verfahren zur Anrechnung von
abgeschlossenen Weiterbildungen zur LehrerIn für Pflegeberufe auf ein gestuftes Studiengangsmodell, das für
Lehrtätigkeiten an den Schulen des Gesundheitswesens
qualifiziert, zu entwickeln, zu erproben und zu evaluieren.
Die Fachhochschule Neubrandenburg schließlich verfolgt
das Ziel, gemeinsam mit dem Dietrich-Bonhoeffer-Kli-
Bei soviel Parallelität der Inhalte und Intentionen der drei
Projekte liegt es nahe zu kooperieren. Daher treffen sich die
beteiligten Hochschulen im November zu einer konstituierenden Sitzung an der ASFH, um gemeinsame Ziele zu konkretisieren.
Literatur:
- Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (2003): Perspektiven für die duale Bildung im tertiären Bereich. Bericht der BLK. Materialien
zur Bildungsplanung und Forschungsförderung. Heft 110.
Bonn.
- Europäische Kommission, Generaldirektion Bildung und
Kultur, Generaldirektion Beschäftigung und Soziales
(2001): Mitteilung der Kommission: Einen europäischen
Raum lebenslangen Lernens schaffen. Brüssel.
- European Union (2000): EURYDICE. Lifelong Learning:
The contribution of Education Systems in the Member
States of the European Union. Brussels.
- Faure, Edward et. al. (1972): Learning to Be: The World of
Education Today and Tomorrow. Paris: UNESCO
- Konegen, Christiane/Dirk Werner (2001) : Duale Studiengänge an Hochschulen. Köln.
- Lischka, Irene (2000): Lebenslanges Lernen und Hochschulbildung. Institut für Hochschulbildung Wittenberg,
Arbeitsberichte 5/2000.
- Meifort, Barbara (2004): Die pragmatische Utopie. Qualifikationserwerb und Qualifikationsverwertung in Humandienstleistungen. Schriftenreihe des Bundesinstituts für
Berufliche Bildung. Bielefeld.
- Prager Kommuniqué 2001, http://www.bologna-berlin2003.de/pdf/prager-kommunique.pdf, überprüft am
6.09.2005.
- Rat der Europäischen Union (2002): Entschließung des
Rates vom 27. Juni 2002 zum lebensbegleitenden Lernen
(2002/C 163), Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften. Brüssel.
- Wiesner, Gisela/Andrä Wolter (Hrsg.) (2005): Die lernende
Gesellschaft. Lernkulturen und Kompetenzentwicklung in
der Wissensgesellschaft. Weinheim und München.
Jutta Räbiger, Prorektorin / ASFH
Sieglinde Machocki
Mitarbeiterin / ASFH
1
In diesem Text werden die Begriffe „lebenslanges Lernen“ und
„lebensbegleitendes Lernen“ synonym verwendet.
2
Formales Lernen definiert die EU folgendermaßen: „Lernen,
das üblicherweise in einer Bildungs- oder Ausbildungseinrichtung stattfindet, (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) strukturiert ist und zur Zertifizierung führt. Formales
Lernen ist aus Sicht des Lernenden Ziel gerichtet.“ (Europäische
Kommission 2001: 32). Und nicht formales Lernen schließlich:
„Lernen, das nicht in Bildungs- und Berufsbildungseinrichtungen stattfindet und üblicherweise nicht zur Zertifizierung
führt. Gleichwohl ist es systematisch (in Bezug auf Lernziele,
Lerndauer und Lernmittel). Aus Sicht der Lernenden ist es Ziel
gerichtet.“ (Europäische Kommission 2001: 32)
3
In Berlin ist es - abweichend hiervon - in einem bundesweit einmaligen Modellversuch an der Evangelischen Fachhochschule
möglich, den gesamten theoretischen Unterricht an der Fachhochschule zu erhalten.
4
Der Text dieses KMK-Beschlusses: „Anrechnung von außerhalb
des Hochschulwesens erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten auf ein Hochschulstudium (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 28.06.2002)
1. Außerhalb des Hochschulwesens erworbene Kenntnisse
und Fähigkeiten können im Rahmen einer – ggf. auch
pauschalisierten – Einstufung auf ein Hochschulstudium
angerechnet werden, wenn
1.1 die für den Hochschulzugang geltenden Voraussetzungen
– ggf. auch über die Möglichkeiten des Hochschulzugangs
für besonders qualifizierte Berufstätige – gewährleistet
werden;
1.2 sie nach Inhalt und Niveau dem Teil des Studiums gleichwertig sind, der ersetzt werden soll;
1.3 entsprechend den Grundsätzen des neuen Qualitätssicherungssystems im Hochschulbereich die qualitativ-inhaltlichen Kriterien für den Ersatz von Studienleistungen durch
außerhalb des Hochschulwesens erworbene Kenntnisse
und Fähigkeiten im Rahmen der Akkreditierung überprüft
werden.
2. Außerhalb des Hochschulwesens erworbene Kenntnisse
und Fähigkeiten können höchstens 50 % eines Hochschulstudiums ersetzen.
3. Die Anrechnungsregelungen für Studien- und Prüfungsleistungen, die an Berufsakademien erworben wurden,
bleiben unberührt.“.
Nachfrage- und zukunftsorientiert Das Angebotsspektrum der wissenschaftlichen Weiterbildung der ASFH
Wer die Entwicklung des Weiterbildungsprogramms der ASFH
in den letzten Jahren mitverfolgen konnte, dem fiel auf, dass
das Programm zunächst stetig umfangreicher wurde, um
sich dann wieder in einer schlankeren Form zu zeigen. Diese
Entwicklung beruht auf der Auswertung von fortlaufenden
Evaluationen, die wir im Rahmen unseres Qualitätsmanagements durchführen und von aktuellen Forschungsberichten
und Analysen zur Entwicklung im Sozial- und Gesundheitswesen. Karin Schwarz und Horst Goedel organisieren und
betreuen die Weiterbildungsveranstaltungen. Mit ihrer langjährigen Erfahrung in der Weiterbildung der ASFH und ihrem
hohen Engagement sowie ihrer Servicekompetenz garantieren sie die exzellente Durchführungsqualität der Angebote.
Eigene Analysen und Berufsfeldforschungprojekte im Zentrum für Weiterbildung, Hochschuldidaktik und Berufsfeldforschung (ZWHB) bilden einen wesentlichen Grundstein
für das Konzept unseres Weiterbildungsprogramms. Bereits
abgeschlossene Projekte von uns sind z.B.:
-
eine Befragung von Studierenden der ASFH zu ihren Einstellungen gegenüber dem möglichen Berufsfeld „Soziale Gerontologie“,
- eine Analyse zum Arbeitsmarkt und zu den Qualifikationsanforderungen in den Berufen der Sozialen Arbeit sowie
- eine Marktanalyse.
Folgende Projekte sind in Planung bzw. bereits in Arbeit:
-
eine breit angelegte, quantitative Berufsfeldstudie „Wissen und Expertise in der sozialen Arbeit im Gesundheits-
bereich (siehe Artikel von Brigitte Geißler-Piltz in dieser
alice-Ausgabe),
- eine qualitative Studie mit ExpertInnen aus der Praxis zur
Entwicklung der Berufsfelder und der Qualifikationsanforderungen in der Sozialen Arbeit,
- eine Stellenanzeigenanalyse.
Die Auswahl der Themen, der DozentInnen und der Angebotsformen für unser Weiterbildungsprogramm bestimmen
wir vor diesem Hintergrund jeweils neu. Den Programmumfang haben wir dabei zwar im Bereich der Einzelseminare
reduziert, ca. verdreifacht haben wir hingegen unser Angebot an langfristigen, berufsbegleitenden Zertifikatskursen!
Berufsbegleitende Zertifikatskurse 2006
NEU: Biografieoriente/r FallberaterIn
Kinder-und JugendberaterIn
Gruppenleiter/in für biografisches Schreiben
in psychosozialen Berufen
NLP -Practitioner
SuchtberaterIn
GruppentrainerIn mit ausgegrenzten Klienten
31
Umfangreicher und vielfältiger wurde auch unser Angebotsspektrum, das heute über ein- bis fünftägige Einzelveranstaltungen, Jour Fixe, Inhouse-Angebote bis hin zu den
Zertifikatskursen reicht:
Die Einzelveranstaltungen dienen der kurzfristigen Aktualisierung, Erweiterung und Vertiefung von Kenntnissen und
Fähigkeiten. Themen sind hier einzelne Aspekte des professionellen Wissens und Handelns, wie z.B. bestimmte Beratungsansätze, Konfliktlösungsmodelle oder Rechtsfragen.
Die Jour Fixe stellen ein besonderes Service-Angebot der
ASFH dar. Sie bieten den Teilnehmenden die Möglichkeit zu
einem Erfahrungsaustausch und zur Weiterbildung. Im Mittelpunkt stehen die Arbeitssituation sowie bestimmte Fragestellungen und Themen im Sozial-und Gesundheitsbereich.
Die ASFH stellt die Moderation und die DozentInnen. Für die
mehrmals jährlich stattfindenden Treffen wird lediglich eine
geringe Unkostengebühr erhoben.
Es ist geplant, die Angebote des Weiterbildungsprogramms
zukünftig enger mit der Erstausbildung und mit den Masterstudiengängen zu verzahnen und Module zu entwickeln, die
für die Bachelor- bzw. weiterbildenden und konsekutiven
Masterstudiengängen der ASFH angerechnet werden können.
Die Weiterbildung der ASFH bleibt also in Bewegung. Der
Entwicklung innovativer, berufsnaher Qualifizierungen gilt
dabei unsere besondere Aufmerksamkeit. Im nächsten Jahr
werden wir einen neuen berufsbegleitenden Zertifikatskurs
erstmalig anbieten:
Hedwig-Rosa Griesehop und Birgit Griese stellen ihnen im
folgenden Artikel den von ihnen entwickelten Zertifikatskurs
zum/zur „Biografieorientierten FallberaterIn“ vor, den wir
ebenfalls 2006 erstmalig anbieten werden.
Berthe Khayat, Leiterin des ZWHB
„Train-the-trainer“- Angebote“ für Lehrende in der Erwachsenenbildung (insbesondere aus dem Hochschulbereich)
bilden einen weiteren Programmschwerpunkt mit Weiterbildungsmodulen zu neuen Lehr- und Lernkulturen.
Eine besondere Zielgruppe des Programms sind auch die
BerufsanfängerInnen aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich sowie Studierende und Alumni der ASFH. Die Angebote
für Studierende und BerufsanfängerInnen sind auf die
besonderen Bedürfnisse dieser Zielgruppe zugeschnitten.
Die Inhouse-Seminare können interessierte Gruppen oder
Institutionen bei uns zu jedem Thema unseres Angebotsspektrums nachfragen. Wir übernehmen die Koordination
und stellen den Kontakt zu geeigneten DozentInnen her, die
die Weiterbildung passgenau auf die Bedürfnisse der Nachfrager ausrichten.
In unseren berufsbegleitenden Zertifikatskursen werden
die Teilnehmenden umfassend weiterqualifiziert und eröffnen sich damit neue bzw. erweiterte berufliche Perspektiven.
Die Zertifikatskurse der ASFH unterliegen einer besonders
intensiven Qualitätskontrolle und werden kontinuierlich evaluiert. Alle neu beginnenden Zertifkatskurse werden von
Hochschullehrenden der ASFH geprüft und wissenschaftlich
begleitet.
Darüber hinaus veranstalten wir einmal jährlich die „Winterakademie“. Die Winterakademie ist eine Veranstaltung,
in der sich alle Hochschulangehörigen - Studierende, Mitarbeitende in der Verwaltung sowie Hochschullehrende – kostenfrei zu verschiedenen Themen weiterbilden können. Ein
willkommener Nebeneffekt ist immer wieder, dass in diesen
Weiterbildungsveranstaltungen ein offener und gleichberechtigter Dialog untereinander entsteht.
Die Winterakademie wird vom ZWHB konzipiert und organisiert, wobei wir Anregungen aus der Hochschule immer mit
aufnehmen und umsetzen!
32
Masterstudiengänge
Weiterbildende Masterstudiengänge der ASFH Berlin
Klinische Sozialarbeit M.A.
Teilzeitstudiengang auf Deutsch und Englisch
Intercultural Conflict Management M.A.
Vollzeitstudiengang auf Englisch
Master Biografisches und Kreatives Schreiben M.A.
Teilzeitstudiengang auf Deutsch
Weiterbildende Masterstudiengänge in Kooperation
Sozialmanagement M.A.
Teilzeitstudiengang auf Deutsch
Sozialarbeit als Menschenrechtsprofession M.S.W.
Teilzeitstudiengang auf Deutsch
Science in Nursing M.Sc.
Teilzeitstudiengang auf Deutsch und Englisch
Comparative European Social Studies M.A. CESS
Voll-/Teilzeitstudiengang auf Englisch
Master in Gemeinwesenentwicklung,
QuartierManagement und Lokale Ökonomie M.A.
Teilzeitstudiengang auf Deutsch
Konsekutive Masterstudiengänge in Planung
Erziehung, Bildung und Soziale Arbeit M.A.
konsekutiv zu den Bachelorstudiengängen „Erziehung
und Bildung im Kindesalter“ und „Soziale Arbeit“
Gesundheitsmanagement und Qualitätsentwicklung M.A.
konsekutiv zu den Bachelorstudiengängen
„Physiotherapie/Ergotherapie“ und
„Gesundheits-/Pflegemanagement“
Informationen zu den Studiengängen finden Sie auf
unserer Webseite www.asfh-berlin.de.
Die Dimension der Biografie
Was macht es für einen Sinn, sich mit Lebensgeschichten von Klientinnen und Klienten auseinander zu setzen?
Die Dimension Biographie gewinnt in den Arbeitsfeldern
Soziale Arbeit, Pflege, psychosoziale Hilfen oder Beratung
an Relevanz. Die gesteigerte Bedeutung des Biographischen
ist zum einen auf die verstärkte Klientenorientierung in den
Einrichtungen sozialer Dienstleistungen zurückzuführen,
zum anderen ‚verordnet’ die Moderne, die auf das Selbstmanagement des Einzelnen setzt, eine stärkere Fokussierung
auf das Individuum. In der Praxis haben wir es mit vielfältigen sozialen Problemlagen zu tun, die teilweise aufgrund der
in der Bundesrepublik anstehenden notwendigen Umstrukturierungen des Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaates an Brisanz
gewinnen: mit der Individualisierung von Arbeitslosigkeit
und (zunehmender) Armut, mit Integrationsproblemen von
Migrantinnen, mit Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen, mit alleinstehenden älteren Menschen,
mit Abhängigkeiten oder chronisch kranken Menschen, die
nicht oder eingeschränkt auf soziale Unterstützungssysteme zurückgreifen können. Es ließen sich weitere Beispiele
anführen. Professionell Handelnde in der Sozialen Arbeit
oder Pflege sind mit derartigen Problemkonstellationen konfrontiert und die Fähigkeit zur Erstellung von lebenslagenbezogenen Fallanalysen spielt in diesen Praxisfeldern eine
große Rolle. Folglich sind Konzepte und Methoden erforderlich, die es ermöglichen, auf die spezifischen Problemlagen
der Menschen einzugehen, die den je konkreten Einzelfall
charakterisieren.
Was macht es für einen Sinn sich mit den Lebensgeschichten
der Klienten auseinander zu setzen? Zunächst kurze allgemeine Anmerkungen zum Biographieverständnis. Mit „Biographie“ ist hier grundsätzlich die erzählte Lebensgeschichte
gemeint. Sie „umfaßt die Geschichten, die wir erzählen und
in denen wir uns wiedererkennen mit all dem Wissen und der
Erfahrung, die wir in ihnen sammeln konnten. (...) Sie integriert und bewahrt und gibt Aufschluss auch über existentielle Abhängigkeiten, in denen ein Leben verfangen ist. Sie
vermittelt dem Menschen ein Gespür davon, was nicht möglich war und was nicht mehr möglich ist – ungelebtes Leben
ist konstitutiver Teil von Biographie.“1
Erzählen stellt eine Alltagshandlung dar, mittels derer Menschen Erlebnisse austauschen, erklären, rechtfertigen oder
begründen, Erfahrungen thematisieren und sich selbst darstellen. Insofern ist es notwendig, dass sich Professionelle
im Feld der Sozialen Arbeit oder in der Pflege in eine „zuhörende Haltung“ ihren Klienten gegenüber begeben. Im Erzählten zeigt sich, wie Klienten ihre Welt auffassen, wie sie sich
selbst verstehen. Der deutende Umgang mit Ereignissen und
Erlebnissen, dem eigenen Leben und der eigenen Person versetzt die Klientinnen in die Lage, ihre Probleme und damit
einhergehende Veränderungen in ihr Leben zu integrieren
und dem Dasein Sinn zu verleihen. Fallverstehen wiederum
ist in seinem „Gelingen“ wesentlich vom Wissen und Verstehen subjektiver (jedoch sozial strukturierter) Wahrnehmungs-, Verarbeitungs- und Deutungsmuster sowie daraus
resultierender Handlungsorientierungen der Klienten abhängig. Die praktische Relevanz biographischer Fallanalysen im
Berufsfeld besteht darin, dass sich das Wissen um biographische Aneignungsprozesse und subjektive Deutungsmuster
als wichtige Erkenntnisquelle für das professionelle Handeln
erweisen kann, ob es sich nun um Hilfeplanung, Unterstützung, Intervention, Qualitätssicherung oder Organisationsentwicklung handelt.
Ein berufsbegleitender Zertifikatskurs zur biographieorientierten Fallberaterin / zum biographieorientierten Fallberater beginnt im April 2006 an der ASFH.
Ziel der Weiterbildung zum biographieorientierten Fallberater ist es, den Teilnehmenden grundlegende Perspektiven
auf den Begriff Biographie zu eröffnen sowie Kompetenzen
und Methoden im Bereich biographischer Kommunikation
zu vermitteln. Des Weiteren werden Fähig- und Fertigkeiten
im Hinblick auf etablierte Analysemethoden erworben, die
dem Verständnis der besonderen Strukturen des Einzelfalls,
der Ressourcenanalyse und der sich anschließenden Hilfeplanung notwendig vorausgehen. Theorievermittlung und
Methodenausbildung gehen grundsätzlich mit der Arbeit an
konkreten Fallbeispielen einher. Absolventinnen der Weiterbildung biographieorientierte Fallarbeit werden in die
Lage versetzt, den (Lebens-)Geschichten der Klientinnen auf
neue Weise zu begegnen, sie als Ressourcen der praktischen
Arbeit neu zu bewerten und sinnvoll zu nutzen.
Weitere Informationen zur berufsbegleitenden Weiterbildung
Biographieorientierte Fallberaterin / biographieorientierter
Fallberater sind am Zentrum für Weiterbildung, Hochschuldidaktik und Berufsfeldforschung der Alice Salomon Fachhochschule erhältlich.
Birgit Griese, Lehrbeauftragte ASFH
Hedwig Rosa-Griesehop, Hochschullehrerin ASFH
1
Mader; Wilhelm: Altwerden in einer alternden Gesellschaft? Auf
dem Wege zu pluralen Alterskulturen, in: ders. (Hg.): Altwerden
in einer alternden Gesellschaft. Kontinuitäten und Krisen in biographischen Verläufen. Opladen 1995, S. 13-36, hier: S. 27.
33
Weiterbildung für ErzieherInnen
„Anregung von Bildungsprozessen“ im Studienprojekt „Chancen für Kinder“ der ASFH
Der Studiengang Erziehung und Bildung im Kindesalter wird
in den nächsten Jahren versuchen, die Durchlässigkeit der
ErzieherInnenausbildung zu verbessern. Daher haben wir
eine Weiterbildung von ErzieherInnen begonnen, die wir als
Modul gestalten.
Es gibt heute eine Vielzahl von Weiterbildungen für ErzieherInnen, sehr unterschiedlich in Länge, Umfang und Qualität.
Das Besondere an der Weiterbildung der ASFH liegt auf drei
Ebenen:
- Die Hochschule bietet eine Weiterbildung an für eine
Berufsgruppe, deren Ausbildung nicht an einer Hochschule erfolgte. Die teilnehmenden ErzieherInnen qualifizieren sich damit u.a. für die AnleiterInnenfunktion
innerhalb der Praxisphase der Studierenden.
- Die Weiterbildung ist eingebettet in das Projektstudium
der Studierenden. Auf diese Weise werden Ausbildung
der Studierenden und Weiterbildung von ErzieherInnen
gekoppelt.
- Die Weiterbildung wird zertifiziert.
In dem Aus- und Weiterbildungsprojekt geht es um Erkenntnisse und Erfahrungen von Studierenden und ErzieherInnen im Hinblick auf die Frage, wie die Selbstbildungskräfte
des Kindes von den Fachkräften unterstützt werden können.
Dabei sollen Studierende und ErzieherInnen lernen bzw.
üben,
- die eigene Wahrnehmung im Hinblick auf die Kinder zu
reflektieren,
- Kinder genau zu beobachten und die Beobachtungen auszuwerten,
- die Eltern und das Umfeld der Kinder in Bildungsprozesse
mit einzubeziehen,
- einen individuellen Bildungsplan zu erstellen,
- einen Bildungsplan für die Kindergruppe aufzustellen,
- Kinder gezielt zu unterstützen,
- die Ergebnisse der pädagogischen Interventionen zu
evaluieren.
Die Weiterbildung für die ErzieherInnen hat mehrere Bestandteile:
- Die ErzieherInnen werden mit ihrer Rolle als AnleiterInnen
von Studierenden vertraut gemacht und reflektieren ihre
eigene Tätigkeit.
- Die ErzieherInnen erhalten eine kostenlose Supervision.
- Die ErzieherInnen werden von Lehrkräften im Studiengang Erziehung und Bildung in grundlegende frühpädagogische Methoden wie Beobachtung, Videographie,
Dokumentation eingeführt und wenden diese gemeinsam
mit den Studierenden in der Praxis an.
- Die ErzieherInnen werden in Bildungsbereiche eingeführt,
die sie selbst aufgrund ihres aktuellen Bedarfs definieren. Auf diese Weise wird das Berliner Bildungsprogramm
entsprechend den Bedürfnissen der Praxis umgesetzt.
34
Ein großer Teil der Weiterbildung findet in der Kooperation
zwischen Studierenden und ErzieherInnen statt. In den 12
Wochen Praktikum der Studierenden arbeiten die AnleiterInnen pro Woche je zwei Stunden mit ihren PraktikantInnen. In
diesen zwei Stunden wird:
- die Rolle der Praktikantin in der pädagogischen Arbeit
reflektiert,
- die pädagogische Arbeit in der Kindergruppe reflektiert,
- die Videographie vorbereitet und ausgewertet,
- die Auswahl der Kinder mit Förderbedarf aufgrund von
Beobachtungen getroffen,
- die Form und der Ansatz der Zusammenarbeit mit Eltern
entwickelt,
- ein individueller Bildungsplan für ein Kind, und
- ein Bildungsplan für die Gruppe entworfen.
Im Sommersemester begeben sich die früheren Praktikantinnen erneut in die Kita, um Auswirkungen des Bildungsplans
auf ein einzelnes Kind und auf die Gruppe zu beobachten.
Studierende wie ErzieherInnen schreiben dann einen Bericht.
Für die Studierenden stehen die Analyse ihrer praktischen
Tätigkeit, die Reflexion der Anleitung und die Darstellung
der Beobachtung in der Kindergruppe mit unterschiedlichen
Methoden im Mittelpunkt. Die ErzieherIn beschreibt ihre
Tätigkeit als Anleiterin und die Auswirkungen der angewandten Methoden auf ihr praktisches Handeln und die Kinder.
Beide – Studentin und Erzieherin – beschreiben ihren Lernprozess.
Die Prüfung umfasst den o.g. Bericht, ein Colloquium und
die Präsentation der Ergebnisse in einer öffentlichen Veranstaltung. Colloquium und Präsentation finden im Juni 2006
statt.
Mit der Vollendung der einjährigen Weiterbildung überreicht
die ASFH den TeilnehmerInnen ein Zertifikat. Sie arbeitet zurzeit an einem Konzept, die Bedingungen für eine Koppelung
der Zertifizierung an die Vergabe von Credits zu ermöglichen.
Wenn dies gelingt, ist der Weg für eine Anerkennung der Weiterbildung zur Aufnahme eines berufsbegleitenden Studiums geebnet.
In Ausnahmefällen können noch ErzieherInnen zugelassen
werden. Auskünfte bei:
Prof. Dr. Hilde von Balluseck
Tel. 99245-419, 2181255, 0178/8218125.
Hilde von Balluseck
Studiengangsleiterin
Erziehung und Bildung im Kindesalter / ASFH
Go psychosozial
Weiterbildungsstudium „Psychosoziale Arbeit“ an der ASFH
Der Weiterbildungsstudiengang „Psychosoziale Arbeit“
wurde 1989 an der ASFH eingerichtet. Vorläufer war eine
Modellphase von 1982 bis 1986 in Kooperation zwischen der
Freien Universität Berlin und der ASFH, in der zwei 4-semestrige Studiengänge – ein Ergänzungsstudium und ein berufsbegleitendes Weiterbildungsstudium – entwickelt wurden.
Diese Studienangebote wurden vor dem Hintergrund der Einschätzung konzipiert, dass die grundständige Ausbildung
nur unzureichend die professionelle Handlungsfähigkeit
bei komplexen psychischen und sozialen Problemen entwickelt. Ferner sollten diese Studiengänge angesichts der sozialen Wandlungsprozesse und der Krisenentwicklung, denen
psychosoziale Dienste ausgesetzt sind, durch spezifische
Weiterbildung Rechnung tragen. Mit dem Weiterbildungsstudium „Psychosoziale Arbeit“ sollten vor allem folgende Ziele
realisiert werden:
• Interdisziplinäre und berufsfeldbezogene Weiterbildung
für alle Berufsgruppen im psychosozialen Feld.
• Weiterbildung im engen Verbund mit der beruflichen
Praxis.
• Vermittlung von berufsübergreifenden Basiskompetenzen.
• Verbesserung der Kooperation zwischen den verschiedenen Berufsgruppen im Sinne eines multidisziplinären
Arbeitsansatzes.
Curriculum und Studienkonzeption
Das Weiterbildungsstudium wird seit 1989 an der ASFH weitergeführt. Mit diesem Studium beabsichtigte die ASFH an den
grundständigen Ausbildungen der Teilnehmer anzuknüpfen
und in Verbindung mit bereits gewonnenen Qualifikationen
und Erfahrungen neue und vertiefende berufsfeldspezifische Fähigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln. Ein besonderes Anliegen des Weiterbildungsstudiengangs besteht
darin, berufsübergreifende Basiskompetenzen herauszufinden, worunter wir Wissen und Fähigkeiten verstehen, über
die die verschiedenen Berufsgruppen gemeinsam verfügen
müssen. Hierzu gehören:
•
•
•
•
Seit 1989 haben sich insgesamt 1.097 Personen für das Weiterbildungsstudium beworben. Insgesamt wurden 684 Studierende zugelassen, die Berufsausbildungen hatten als
Sozialpädagogen, Psychologen, Krankenschwestern usw.
Etwa 80 % der Teilnehmer waren Frauen.
Die Grundstruktur des Curriculums und der Studienkonzeption hat sich bewährt, vor allem durch die Entwicklung der
Studienschwerpunkte und die Auswahl der Dozenten. Es
ist ferner unstrittig, dass die Weiterbildung durch fortlaufend neue Problemlagen in der psychosozialen Versorgung
an Bedeutung hinzugewinnen wird. Notwendig erscheint es
nun, dieses anwendungsbezogene Weiterbildungsstudium
zu modularisieren. Denn ein modularisierter Weiterbildungsstudiengang würde sich besser in das Aus- und Weiterbildungsangebot der ASFH einpassen. Die ASFH hat im Zuge der
so genannten Bologna-Reform zum Sommersemester 2005
ihre grundständigen Diplomstudiengänge auf Bachelor-Studiengänge umgestellt und bietet insgesamt acht Master-Studiengänge an. Die einzelnen Module in jedem Studiengang
sind mit Credits versehen und ermöglichen eine bessere Vergleichbarkeit und Anrechenbarkeit von Studienleistungen.
Konkret bedeutet dies, dass diese Weiterbildung den Absolventen auch auf einen international anerkannten, akademischen Abschluss (Bachelor und Master) angerechnet werden
kann. Bedenkt man, dass rund die Hälfte der Studierenden
beabsichtigt, sich weiter zu qualifizieren ist diese Anrechnung enorm wichtig für die Profession Soziale Arbeit und ein
unerlässlicher Baustein für lebenslanges Lernen.
Helmut Möller
Hochschullehrer der ASFH
Weitere Informationen:
Karin Schwarz
T: 030/99245-331
E-Mail: [email protected]
www.asfh-berlin.de
Reflexions- und Interaktionskompetenzen,
Analyse von Problemsituationen,
feldbezogene Handlungskompetenzen,
Fähigkeiten im Organisations- und Selbstmanagement
und im Umgang mit den verschiedenen Berufsgruppen.
Das Weiterbildungsstudium umfasst 6 Semesterwochenstunden, es gliedert sich in zwei gleichrangige Studienbereiche:
1. berufsbezogene Selbsterfahrung, Arbeitsfeldanalyse und
Handlungskompetenz,
2. theoretische Fundierung und Reflexion psychosozialer
Arbeit.
35
Studieren mit Weitblick
Das Weiterbildungsangebot der ASFH aus studentischer Sicht
Wer glaubt, in der heutigen Zeit ohne ein ständiges Weiterbildungsengagement einen gesicherten Arbeitsplatz zu
besitzen, der irrt gewaltig. Auch gut qualifizierte Menschen
werden sich ständig weiterbilden müssen um den Anforderungen der modernen Dienstleistungsgesellschaft gerecht
zu werden. Da dieses Land keine weiteren Rohstoffe außer
dem geistigen Potential seiner Bevölkerung besitzt und es
sich in einem globalen Wettbewerb mit anderen Ländern
befindet, kommt der betrieblichen und privaten Weiterbildung eine wohlstandssichernde Bedeutung zu.
Immer mehr Firmen verlangen von ihren zukünftigen Mitarbeitern Kompetenzen, die im Rahmen des Studiums oder
einer Ausbildung kaum oder sehr mangelhaft abgedeckt werden, da es sich bei den geforderten Kompetenzen nicht mehr
ausschließlich um eine besondere Qualifizierung handelt,
sondern im vermehrten Maße sogenannte „soft skills“ nachgefragt werden.
Durch ein Interview mit einer Studentin, die an verschiedenen Weiterbildungsseminaren teilgenommen hat, soll kurz
das Weiterbildungsangebot aus studentischer Sicht dokumentiert werden.
Alice: Was ist Deine Motivation, an Weiterbildungsseminaren der ASFH teilzunehmen?
Paula Im Vordergrund stehen für mich die finanziellen Vorteile, die ich als Studentin genieße. „Normale“ Fortbildungskurse sind für StudentInnen kaum finanzierbar; das
Weiterbildungsangebot der ASFH bietet mir aber die Möglichkeit, mich kostengünstig weiterzubilden.1
Alice: Glaubst Du, dass die Teilnahme an den Weiterbildungsangeboten deine Berufschancen erhöht?
Paula Ich denke schon. Es ist bloß schwierig ohne Kenntnisse
des (zukünftigen) Arbeitgebers und dessen Anforderungen
die passende Auswahl zu treffen. Ich habe mich daher eher
an persönliche Interessen orientiert.
Alice: An welchen Kursen hast du bisher teilgenommen?
Paula: Konfliktmediation, NLP und Kurse zum Selbst- und
Zeitmanagement.
Alice: Inwieweit sind die Themen der Weiterbildung bereits
durch Lehrveranstaltungen abgedeckt?
Paula: Natürlich gibt es Überschneidungen, aber das ist
eher die Ausnahme. Überwiegend bietet die Weiterbildung
der ASFH Seminare an, die andere Inhalte vermittelt. Dazu
gehören zum Beispiel NLP Kurse, oder Kurse zum Anleiten
von PraktikantInnen.
Alice: An vielen Weiterbildungsseminaren nehmen berufstätige AbsolventInnen teil. Kannst Du als Studentin von deren
(Berufs)erfahrung profitieren?
36
Paula: Durchaus, denn hier bekommt man einen Einblick,
inwieweit die Theorie mit der Praxis übereinstimmt. Leider stellen sich in der Praxis die Probleme meist dann doch
anders dar, als man es theoretisch in den Seminaren gelernt
hat.
Alice: In welcher Form werden die Teilnehmer aktiv in den
Unterricht mit eingebunden?
Paula: Oft in Rollenspielen oder Diskussionen. Hier gibt es
kaum Unterschiede zu den normalen Lehrveranstaltungen.
Alice: Gehen die Dozenten in ihren Kursen auf aktuelle Ereignisse ein?
Paula: In der Regel findet ein Seminar so statt, wie es im Weiterbildungsprogramm angekündigt wird. Allerdings gehen
die Dozenten selbstverständlich auf Fragen und Anregungen
der Teilnehmenden ein.
Alice: Glaubst du, dass es für StudentInnen sinnvoll ist,
zusätzlich zu ihren normalen Seminaren, Seminare der Weiterbildung zu besuchen?
Antwort: Auf jeden Fall. Man kann durch die Teilnahme an
Weiterbildungsangeboten nur dazulernen, denn sie erweitern den persönlichen und professionellen Horizont.
Fazit: die Weiterbildungsseminare können für StudentInnen
durchaus als sinnvolle Ergänzung zu ihrem normalen Studium angesehen werden, wobei für viele StudentInnen der
finanzielle Aspekt einen großen Pluspunkt darstellt. Im Vergleich zu anderen Weiterbildungsanbietern bietet die ASFH
für StudentInnen der ASFH eine konkurrenzlos günstige
Möglichkeit, sich weiterzubilden.
Durch eine geschickte Kombination der Kurse, stehen den
StudentInnen verschiedene Möglichkeiten offen. Eine Möglichkeit ist, den im Hauptstudium gewählten Schwerpunkt
durch passende Weiterbildungsseminare zu ergänzen. Wird
jedoch eine breite Wissensvielfalt im Studium angestrebt,
können ergänzend zum Studium Seminare gewählt werden,
die nicht Bestandteil des Studiums sind.
Durch diese flexible Handhabung der Weiterbildungsseminare hofft das Zentrum für Weiterbildung, Hochschuldidaktik, Berufsfeldforschung an der ASFH, dass möglichst viele
StudentInnen diese kostengünstige Chance der Weiterbildung in Zukunft nutzen werden.
Seemit Wahi, Student /ASFH
1
StudentInnen der ASFH bekommen 50% Rabatt, Mitglieder des
Alumnivereins der ASFH 25% und für Tutoren, PraktikantInnen
sowie Asta Mitglieder sind die Kurse kostenfrei.
Karriereschritte planen
Die ASFH fördert im Rahmen eines ESF Projekts die Karriereplanung ihrer Studierenden.
Die ASFH plant im Rahmen eines ESF (Europäischer Sozialfonds) Projekts den Aufbau einer Serviceeinrichtung
„Karriereplanung“ für Studierende. Die neue Serviceeinrichtung wird voraussichtlich im Laufe des Wintersemesters
2005/2006 ihre Arbeit aufnehmen.
Unsere Lebens- und Arbeitswelt verändert sich zunehmend: Die Arbeitsmarktsituation gestaltet sich als schwierig, der Druck auf die/ den Einzelne/ n nimmt zu. Die Folgen
des gesellschaftlichen Wandels auf dem Arbeitsmarkt führen häufig zu Überforderungen, Unsicherheiten und Ängsten.
In der Studienberatung werden diese Tendenzen besonders
deutlich, so dass weitergehende Angebote zur Unterstützung von Studierenden absolut notwendig sind.
Die Alice Salomon Fachhochschule möchte hier Verantwortung übernehmen. Mit dem Aufbau der Karriereplanung, die
als Serviceeinrichtung der Vorbereitung unserer Studierenden auf den Berufseinstieg, der stärkeren Vernetzung von
Studierenden, Fachhochschule und Praxis dient, ist damit
ein wichtiger Schritt getan.
Das beim Europäischen Sozialfonds (ESF) beantragte Projekt „Karriereplanung“ soll Bestandteil der Studienberatung
und Teilbereich des Studierendencenters der ASFH werden.
Zum einen sollen bereits bestehende Angebote der Fachhochschule gebündelt werden: so werden auf Evaluation
und Berufsfeldforschung basierende Angebote aus dem Zentrum für Weiterbildung, Hochschuldidaktik und Berufsfeldforschung (ZWHB) und dem Praxisamt vereint. Zum anderen
soll der Service um neue Angebote, vor allem Coaching, Kar-
riereberatung, Vermittlung von Kompetenzen und Kontaktmanagement ergänzt werden.
Das Angebot der Karriereplanung soll sich auf drei Säulen
stützen:
1. Coaching, Beratung, Karriereplanung,
2. Berufsfähigkeit durch Vermittlung von Kompetenzen,
Training,
3. Kontaktmanagement.
Die Karriereplanung wird so ein studiennahes Angebot zur
Unterstützung der Berufsfähigkeit bereitstellen. Coaching,
Beratung zur Berufseinmündung, Karriereplanung, Existenzgründung, Bewerbungstrainings sowie Karrierewochen
– Workshops zu Themen wie „Arbeiten im Ausland“ und
Informationsveranstaltungen z.B. zu Networking, sind nur
eine Auswahl des zukünftig bestehenden Angebotes, um
unseren Studierenden den Einstieg in den Beruf und die Karrierechancen auf dem Arbeitsmarkt und in der Wissenschaft
zu erhöhen.
Die Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin beschreitet mit der
Karriereplanung neue Wege in der Betreuung ihrer Studierenden. Mit dem geplanten Projekt bietet sie allen Studierenden
Information, Beratung und Unterstützung bei der Suche nach
dem passenden Platz in der Arbeitswelt und beim Erklimmen
der „Karriereleiter“.
Cornelia Wind, Studienberaterin / ASFH
37
International
Make democracy work
Community Organizing of the Industrial Area Foundation (IAF)
Demokratie lernen und machen! In diesen Satz kann ich
meine Erfahrungen vom Training in Community Organizing
in Lake County, Illinois (USA) zusammenfassen. Vom 06. bis
zum 15.Juli 2005 lernte ich gemeinsam mit achtzig KollegInnen aus verschiedenen Bundesstaaten der USA, wie sich
BürgerInnen organisieren können, um ihre Interessen zur
Gestaltung des Gemeinwesens nachhaltig einzubringen. Die
Industrial Area Fundation (IAF) wurde bereits 1940 von Saul
Alinsky gegründet. Alinsky gilt in Deutschland als Vertreter
einer radikalen - oder auch aggressiven - Gemeinwesenarbeit. Tatsächlich hatte er in den 30er und 40er Jahren große
Erfolge in der Organisation der Massen, die - in der durch
Industriearbeit geprägten Metropole Chicago - um sichere
Arbeitsplätze, bessere Entlohnung sowie für Bürgerrechte
kämpften. Die Gründung der IAF hatte den Sinn, die bisherigen Erfahrungen an die nächsten Generationen weiterzugeben. Dass dies gelungen ist, zeigen die vielen Projekte der
vergangenen Jahrzehnte. Beispiel Brooklyn: Noch vor zehn
Jahren war ein Stadtteil in diesem New Yorker Bezirk dem
baulichen Verfall preisgegeben. Das Gebiet fiel zunehmend
durch hohe Kriminalität auf, Kinder schwänzten die Schule,
Jugendliche waren in Banden anzutreffen. Die Polizei mied
den Stadtteil ebenso wie Geschäftsleute und Banken. Menschen mit etwas Geld begannen, die Gegend zu verlassen.
Doch dann geschah etwas in diesem Stadtteil: die Menschen
fingen an, sich zu organisieren. Bei vielen Treffen und in zahlreichen Gesprächen stellten sie fest, dass sie über ganz ähnliche Erscheinungen in ihrem Stadtteil verärgert sind und dass
sie ganz ähnliche Lebensbedingungen anstreben. Eine Bürgerplattform wurde gegründet - ein Zusammenschluss ganz
verschiedener Organisationen des Stadtteils. Die Akteure
der Plattform begannen intensiv zu arbeiten: sie suchten
nach realistischen Vorhaben und Zielen und recherchierten
alle zur Umsetzung notwendigen Informationen. Durch den
Zusammenschluss der verschiedenen Organisationen konnten nun Tausende von Menschen bei öffentlichen Aktionen in
kurzer Zeit mobilisiert werden. So wurden die Vorstellungen
der Bewohner mit Macht (‚Power’) untersetzt. In Brooklyn
setzten die Bürger schließlich die Bebauung einer Brachfläche mit Reihenhäusern durch, die zu einem günstigen Preis an
die dortige Bevölkerung – zumeist Menschen mit schwarzer
Hautfarbe – verkauft
wurden. Diese Bebauung veränderte den
Stadtteil. Es wurde
nicht nur potentiell sozial schwachen
Menschen der Kauf
von Wohneigentum
ermöglicht, sondern
es veränderten sich
die gesamten Strukturen des Gebietes:
neue
Supermärkte
eröffneten, ein Schulbus beförderte die
Kinder, die Wege wurden begrünt. Kurzum:
der öffentliche Raum
wurde durch diejenigen Menschen eingenommen, die dort
konstruktiv miteinander leben wollten.
Das hier kurz geschilderte war ein langer Prozess, der über
mehrere Jahre andauerte. Und das alles
Robert und John. Robert ist seit einem Verkehrsunfall vor fünfzehn Jahren querschnittsgelähmt. Er gründete
geschah nicht von
gemeinsam mit anderen Menschen mit Behinderungen eine Organisation, die sich für ihre Belange im Gemeinalleine, sondern mit
wesen einsetzt.
38
Hilfe des Community
Organizing - der ‚Sanften Kunst des Organisierens’. Diese besteht vor
allem darin, ganz unterschiedliche Menschen
zusammen zu bringen.
Die sozialen Beziehungen bilden die Grundlage für den Aufbau einer
Bürgerplattform. Kennen sich die Leute, können sie sich auch etwas
miteinander vornehmen
und dieses erreichen! So
wird die Basis einer großen Bürgerorganisation
durch viele Einzelgespräche gelegt, welche
die Organizer mit Akteuren im Stadtteil durchführen. Dabei erfahren
sie nicht nur, was die
Menschen beschäftigt.
In den Einzelgesprächen
besteht auch die Chance
zur Transformation des
privaten Engagements
in öffentliches.
Beim Community Organizing geht es darum,
dass die Menschen lernen, ihre Interessen
öffentlich selbst zu vertreten. So nahm ich beispielsweise an einer
öffentlichen Aktion teil,
bei der eine junge Frau
vor dem Bürgermeister
der Stadt Chicago und
weiteren hohen Politikern eine überzeugende Lichtinstallationen des Fotographen Terry Evans im Millenium-Park in Chicago.
Rede für den rechtlichen
Schutz der Menschen
vor Mietwucher hielt. Diese Frau – so erfuhr ich später – hat verständigte sich mit einer Jugendlichen über die nächste
die Schule mit vierzehn Jahren verlassen, ist Mutter von drei Aktion.
kleinen Kindern, ist seit vier Jahren arbeitslos und hat noch Diese Vielfalt ist – so denke ich – gut auf den Fotos zu sehen,
niemals zuvor eine Rede gehalten. Das öffentliche Reden hat die ich vom Training mitgebracht habe.
sie beim Training durch die Community Organizer gelernt. Ich bin mir sicher, Saul Alinsky hätte sich über diese Fotos
Durch solche Lernprozesse werden die Menschen gestärkt. gefreut. Denn er war gar kein Radikaler und Aggressiver. Ihm
ging es im Kern um etwas ganz Normales, nämlich darum,
Dieser Ansatz hat mich sehr überzeugt!
Beim Training hat mich besonders beeindruckt, dass ganz dass jeder Mensch die Chance hat, an der Gestaltung einer
unterschiedliche Menschen miteinander gelernt, geredet lebendigen Demokratie teilzunehmen.
und gefeiert haben. Da saß der Pastor einer black community
neben dem Pfarrer der evangelischen Gemeinde. Die Frau
Regina Rätz-Heinisch
ohne Schulabschluss diskutierte mit der UniversitätsdozenHochschullehrerin ASFH
tin neben ihr über soziale Gerechtigkeit. Und die Rentnerin
39
Menschen
Soziale Arbeit und die Erziehung der Erzieher 1
Bundesverdienstkreuz für Reinhart Wolff – Festvortrag von C.W. Müller
Es muss Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts gewesen sein, als ich Reinhart Wolff zum ersten Mal begegnete.
Der Zentralrat der Sozialistischen Kinderläden Berlins tagte
im obersten Stockwerk einer leergeräumten Schöneberger
Fabriketage. Ich war von der damaligen Senatorin für Jugend
und Sport geschickt worden, um zu eruieren, ob und wie eine
Unterstützung der jungen Kinderladenbewegung auch mit
Steuergeldern als sinnvoll und wünschenswert angesehen
werden könne. Ich hätte wissen können, dass dies ein Himmelfahrtskommando war. Der Zentralrat ließ mich mit der
spröden Bemerkung abfahren, man wolle sich das epochale
Konzept einer gewaltfreien Erziehung auf historisch- materialistischer und psychoanalytischer Grundlage nicht durch
„Staatsknete“ verunreinigen lassen. Ich habe Reinhart Wolff
dann ab und zu wieder gesehen, auf studentischen Vollversammlungen, bei sit-ins und teach-ins und bei anderen Protestdemonstrationen - manchmal wohl auch in der Sauna
an der Bundesallee. Aber vor allem habe ich Reinhart Wolff
gelesen.
Da war die von Lutz von Werder und ihm zusammen gestellte
wunderbare kommentierte Bibliografie vergessener, verdrängter, totgeschwiegener und verbrannter Schriften fortschrittlicher Pädagogen des 20. Jahrhunderts von A wie Adler
bis Z wie Clara Zetkin. Es war die von den selben Autoren herausgegebenen dreibändige Auswahl aus den Schriften von
Siegfried Bernfeld im März-Verlag. Und es war später die mit
Carol Hagemann-White als Habilitationsschrift eingereichte
umfassende Bearbeitung des zentralen, erziehungswissenschaftlichen Themas vom Zusammenhang von „Lebensumständen und Erziehung“ (1975). Noch heute meine ich, dass
sie zum Fundus eines jeden deutschsprachigen Curriculums
über erziehungswissenschaftliche Grundlagen der Sozialisationsarbeit gehört.
Zur gleichen Zeit wurden in der Bundesrepublik Deutschland
die höheren Fachschulen für Sozialarbeit zur Fachhochschulen geliftet. In einigen Bundesländern wurde diese erfreuliche Tatsache dadurch beschwert, dass die Neuberufung von
Hochschullehrern an den formalen Qualifikationsanforderungen von Universitäten orientiert waren und Dissertationen
ebenso wie einschlägige Publikationen voraussetzten, die
nicht durch eine außergewöhnliche berufliche Praxis ersetzt
werden konnten. Dies hatte den großen Nachteil, dass sich
berufserfahrene Sozialarbeiter und Sozialpädagoginnen, die
bisher dieSchnittstelle zwischen Theorie und Praxis - also
die Methodenlehre und die Organisation und Anleitung der
Praktika - verantwortet hatten, keine Chance sahen, sich
auf entsprechende neue Hochschullehrerstellen zu bewerben. Während sie gleichzeitig zusehen mussten, wie Bewerber aus benachbarten Disziplinen an ihnen vorbeizogen und
sich nachträglich einen Teil jener Kenntnisse, Einsichten und
Fertigkeiten aneignen mussten, die eigentlich als Grundlage
40
ihrer ebenso Wissenschafts- wie Berufsfeld-orientierten
Lehre hätten dienen müssen.
Reinhart Wolff war in dieser hochschulpolitischen Landschaft
der 70er Jahre für meine Wahrnehmung eine bemerkenswerte
Ausnahme. Er war Teil einer epochalen sozialen und politischen Bewegung, welche die letzten Jahrzehnte des letzten
Jahrhunderts direkt und indirekt geprägt hat. Aber nicht als
bezahlter Beamter oder Sozialarbeiter auf einer Planstelle,
sondern als freiwilliger und engagierter Beweger in vielfältigen Feldern sozialpädagogischer und sozialer Arbeit,
als freiwillig tätiger Student. Als er 1977 an die Alice Salomon Fachhochschule berufen wurde brachte er die fundierte
Kenntnis der Traditionen demokratischer Erziehungspraxis ein, die von den Nationalsozialisten zerschlagen worden
und die nach dem Ende der Hitlerherrschaft nicht wieder aufgegriffen worden waren. Und er tat dies als ein begeisterter und begeisternder Wissenschaftler. Für ihn galt und gilt,
was er einmal von der Kritischen Universität gesagt hat, die
er selber in Berlin mit begründete: Sie sei getragen von der
Idee, Wissenschaft wäre ein erotisches Unternehmen, voller Lust und Leidenschaft und sie ziele auf eine eingreifende
Praxis, die Elfenbeintürme sprengt; - Kritik sei eben ein Projekt der Freiheit. Diese Erfahrung habe ihm vor allem die Auseinandersetzung mit der Kritischen Theorie der Frankfurter
Schule und mit der Psychoanalyse vermittelt. Bei diesen Sätzen denke ich unwillkürlich an die Inschrift an der Treppe im
Foyer der Humboldt-Universität, die an die Bemerkung von
Karl Marx erinnert, die Wissenschaftler hätten bisher die
Welt nur verschieden interpretiert. Es käme aber darauf an,
sie zu verändern. Und ich denke auch an den Satz des Emigranten Kurt Levin, unzähligen anderen Büchern ein neues
Buch hinzuzufügen, genüge nicht.
Die Kinderladenbewegung, die Reinhart Wolff mit begründet
hat, begann mit der Erziehung der Erzieher. Sicher sollten
auch Kinder lernen, sich zu erziehen. Aber vor allem ging es
um die Erziehung der Eltern, um die Erziehung der Erzieher.
Denn in dem Kinde, vor dem wir stehen, entdecken wir immer
wieder das Kind, das wir selber einmal waren und das häufig unter einer Erziehung litt, auch wenn sie gut gemeint war
und das Beste wollte. Es war dieses Konzept, das die Bildung
von Pädagogen am Ende des letzten Jahrhunderts voran
gebracht hat: Eine Bildung an der Schnittstelle zwischen
Theorien und praktischen Handlungen und einer Ausbildung,
welche die Bildung der Studierenden nicht allein auf kognitive Leistungen richtete, sondern auch ihre attitudionalen,
sozialen und emotionalen Kompetenzen kultivierte. Reinhart
Wolff ist diesem Konzept, solange ich seine Arbeit verfolgen
konnte, immer gefolgt und hat es in seinen Kinderschutzzentren auch auf nicht-professionelle, „geborene“ Erzieher, auf
Eltern und andere Erziehungspersonen ausgedehnt.
Die Alice Salomon Fachhochschule Berlin, deren Rektor
er eine Zeit lang war, konnte an die besten Traditionen der
ersten deutschen Republik anknüpfen. Da war nicht nur
die erste Berliner Soziale Frauenschule in der Schöneberger Barbarossastraße. Da war auch der erste demokratische Jugendstadtrat von Kreuzberg, Walter Friedlaender,
mit Ellen Kay und vielen anderen progressiven Erzieherinnen und Erziehern. Und da war die Auskunftsstelle für soziale Fragen, das heutige deutsche Zentralinstitut mit Siddy
Wronsky, die zusammen mit Alice Salomon als Mutter der
deutschen Einzelfallhilfe gelten kann. Bei der Neuorientierung der deutschen Sozialen Arbeit, nach dem Ende der Hitler-Herrschaft und ihrer antihumanen, rassistischen und
sozialdarwinistischen Sozialarbeit, haben uns von den Nationalsozialisten vertriebene Fachfrauen und Fachmänner wie
Gisela Konopka, Walter Friedlaender, Henry Ollendorf, Hertha
Kraus und andere geholfen. Aber die ReHumanisierung unseres Menschen- und Gesellschaftsbildes war nur ein erster
Schritt auf dem Wege zu einer modernen Sozialarbeit und
zur Ausbildung für ihre Berufe. Dazu gehörte es einerseits,
den fruchtlosen Streit um die Interpretation des so genannten Subsidiaritätsprinzips zu beenden und neue Formen bürgerschaftlichen Engagements in der Sozialen Arbeit wert zu
schätzen. Dazu gehörte es, die beiden bis dahin getrennten
Ausbildungsgänge für Sozialarbeit und Sozialpädagogik, so
weit wie möglich zusammen zu rücken - nicht nur, weil auch
Sozialarbeit im engeren Sinne wesentlich darin bestand, mit
Klienten zusammen Lehr- und Lern-Prozesse zu organisieren, welche der Formel von der „Hilfe zur Selbsthilfe“ erst
recht eigentlich Leben einhauchten. Aber auch, weil wir bei
der Weiterentwicklung unserer Berufsfelder davon ausgehen sollten, dass künftig Erzieherinnen, Grundschullehrerinnen und Sozialarbeiter auf drei benachbarten Berufsfeldern
agieren, die es im Laufe eines langen Berufslebens erlauben
sollten, ohne große Umstände Durchlässigkeit zu tolerieren.
Und wenn wir an einer Erfolgsgeschichte der Sozialen Arbeit
der letzten 60 Jahre schreiben, dann werden wir auch dankbar anerkennen müssen, dass wir seit der Formulierung des
BSHG und des KJHG und seit dem diese Gesetze im neuen
Sozialgesetzbuch verankert worden sind, in Deutschland
eine Situation haben, in welcher geltende Gesetze häufig
der vorfindlichen Praxis in den Bundesländern und Kommunen vorausgeeilt sind - ein für unser Land tatsächlich gewöhnungsbedürftiger Tatbestand. Zumal wir ja nicht die Augen
davor verschließen können, dass die Weiterentwicklung des
alten nationalen Monopol- Kapitalismus zum internationalen
Shareholder-Kapitalismus eine neue Phase globalisierten
Sozialdarwinismus einzuleiten droht, bei der die alten Waffen sozialer und politischer Gegenwehr zu versagen drohen.
Sicher - es hat in der Sozialen Arbeit und ihrer Entwicklung
in den letzten Jahrzehnten auch eine Reihe von bemerkenswerten Flops gegeben. Wir haben sie in der Lehre und in
der Forschung an Hochschulen nicht immer mit der eigentlich notwendigen kritischen Konsequenz begleitet. Ich denke
nicht nur an die Pflegeversicherung, die gescheiterte Grundsicherung, die Riester-Rente und die sagenhafte Verwal-
tungsmodernisierung, die uns über lange Zeit damit gequält
hat, Dienstleistungsprodukte zu definieren und zu differenzieren, die im Hinblick auf personenbezogene Dienstleistungen mit Klienten als Koproduzenten und Kindern und
Jugendlichen als Mit-Erziehern ein schlechter Witz geblieben
sind. Auf der anderen Seite ist die Formulierung von Leistungsbeschreibungen und die Einführung des Nachdenkens
über Qualitätsmerkmale, Qualitätskontrollen und Qualitätsmanagement in der Tat so etwas wie eine „Kopernikanische
Wende“ in der Sozialen Arbeit, wie mein Freund und Kollege
Dieter Kreft mehrfach gesagt und geschrieben hat. Mit der
Festlegung auf prospektive Pflegesätze beispielsweise, verabschieden wir uns ziemlich endgültig vom feudalistischen
Prinzip der „hoheitlichen Gewährung von Zuwendungen“ und
legen uns auf kostendeckende Preise fest, die nicht nachverhandelt werden können. Ich denke, damit sind wir endgültig
im realen Kapitalismus angekommen. Und es ist eine Frage,
ob und wie wir ihn je wieder verlassen werden.
Im anhaltenden Streit über die alte oder über eine neue
Bezugs- und Leitwissenschaft für die Soziale Arbeit als Disziplin möchte ich vergleichsweise wortkarg bleiben. Vieles ist
schon gesagt und geschrieben worden, aber noch nicht von
allen. Fest scheint zu stehen, dass, gute, erfolgreiche, wissenschaftlich vielfach gegründete und berufsrelevant vorbereitende Studiengänge und Ausbildungsstätten über ein
ausgewogenes interdisziplinäres Curriculum verfügen müssen, das nicht einfach Kenntnisse und Erkenntnisse aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen additiv aneinander
reiht, sondern dass je nach Gegenstandsbereich einen unterschiedlichen Mix komplementär sich ergänzender Wissenschafts- und Erkenntnis-Bestände in den Lehr-Lern-Prozess
der Studierenden und dabei auch aktuelle internationale
Erfahrungen ohne Denkverbote einbringt. Reinhart Wolff,
den der Bundespräsident jetzt ehrt, war und ist für mich ein
nachahmenswertes Beispiel für eine solche perspektivenreiche und aus vielen wissenschaftlichen Zentren bestehende
Weise des Denkens, Forschens, Schreibens und Lehrens.
Die Europäisierung der Ausbildung zur Sozialen Arbeit hat
uns mit den Bologna-Beschlüssen der Europäischen Kulturminister in einen Zugzwang gebracht, dem wir augenscheinlich nicht entgehen können und der unsere traditionelle
Ausbildung zur Sozialen Arbeit gehörig durcheinander wirbelt. Einige Fachhochschulen, wie auch die Alice Salomon
Fachhochschule haben dieser Neuorientierung offensichtlich schöpferische und produktive Seiten abgewinnen können. Andere Hochschulen tun sich schwer und verfallen auf
gar wunderliche Profilierungsideen. Wir werden aufpassen
müssen, dass besonders ehrgeizige Kolleginnen und Kollegen nicht ihre ganze Kraft in die Weiterbildung zum Master
stecken und die grundlegenden Bachelor-Module vernachlässigen. Alle meine Erfahrungen jedenfalls haben gezeigt,
dass Kolleginnen und Kollegen mit den meisten Erfahrungen in Berufspraxis und wissenschaftlicher Lehre, vor allem
in den ersten Semestern der neu Studierenden tätig werden
sollten, um nicht nur Grundlagen zu legen, sondern auch zu
41
helfen, eine berufliche Identität zu entwickeln, die langfristig tragfähig bleibt. Als Universitätsprofessor merke ich mit
einem Seitenblick auf meine eigenen Kolleginnen und Kollegen an, dass von dem mit dem Bologna-Prozess zusammenhängenden Zwang zur planenden Curricularisierung eine
heilsame Wirkung ausgeht. Wir können nun nicht mehr einfach machen, was uns einfällt, was wir gerade drauf haben
und was gut ankommt. Sondern wir müssen uns auf ein flächendeckendes Insgesamt von Kenntnissen, Erkenntnissen,
Fertigkeiten und Fähigkeiten einlassen und müssen dieses
Insgesamt mit Kolleginnen und Kollegen abstimmen und
dort, wo es kapazitär möglich ist, auch mit ihnen gemeinsam
als Team-teaching realisieren.
Was hat dies alles mit Reinhart Wolff zu tun? Ich denke, er
verfügt über einen gesicherten Bestand aus interdisziplinär
gewonnenen Erkenntnissen und aus berufspraktisch relevanten Fertigkeiten, die er an seine Studierenden auf eine
mitreißende Weise vermitteln kann. Er verwickelt dabei
seine Studierenden sowohl in die geistigen Anstrengungen,
erkenntnistheoretische und erkenntnispraktische Texte zu
bearbeiten, sondern begleitet diese Studierenden auch auf
vielfältigen Exkursionen in unbekanntes In- und Ausland und in die Wahrnehmung der eigenen Person und des eigenen Lebenszusammenhangs. Erziehung der Erzieher: Das
scheint mir eine wesentliche Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit und die Krisenresistenz unserer Berufe der Sozialen
Arbeit zu sein.
C. Wolfgang Müller
Technische Universität Berlin
1
Diese Rede wurde bei der Akademischen Feier anlässlich der
Verleihung des Verdienstkreuzes am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an Reinhart Wolff im
April 2005 gehalten.
Neuberufene HochschullehrerInnen zum Wintersemester 2005
Prof. Friederike Baeumer –
Studiengang
Physio-/Ergotherapie
Ich bin seit dem 01.09.2005
Hochschullehrerin für Physiotherapie an der ASFH.
Mein Lehr- und Forschungsinteresse gilt der wissenschaftlichen Fundierung der
Physiotherapie und einer problem- und beweisorientierten
Ausrichtung derselben. Was
bringe ich dafür mit? Eine
weitgefächerte
17-jährige
Berufspraxis als Physiotherapeutin und wissenschaftliche
Arbeiten als Sinologin, die
über den Untersuchungsgegenstand traditionelle chinesische Medizin (tuina, qigong)
einen direkten Bezug zur Physiotherapie hatten.
Prof. Dr. Anette Dreier –
Studiengang Erziehung und Bildung im Kindesalter
Anette Dreier (Dr. phil. und Diplom-Pädagogin) ist 1960
geboren. Sie lehrt seit dem 01.10.2005 als Professorin für
die Pädagogik der frühen Kindheit im Studiengang Erziehung und Bildung im Kindesalter.
Ihre Schwerpunkte sind u.a. Sprachenentwicklung, ästhetische Bildung und Grundschulpädagogik. Sie publiziert
42
Beiträge zur Elementarpädagogik u.a. als Mitautorin des
Berliner Bildungsprogramms.
Prof. Ulrike Hemberger –
Studiengang Soziale Arbeit und Erziehung und Bildung im
Kindesalter (EBK)
Als Medienpädagogin und Filmemacherin beschäftige ich
mich mit interkulturellen, geschichtlichen und
sozialen Themen. Im Zentrum meiner Arbeit und
meiner Lehrangebote stehen Vermittlungsprozesse
durch Kunst, mit deren
Hilfe die Partizipation aller
Gesellschaftsmitglieder
an gesellschaftlichen Entscheidungen gefördert werden. Wohl fühle ich mich in
einer Umgebung, in der wir
handelnd und kommunikativ lernen.
Prof. Dr. Elke Kraus –
Studiengang
Physio-/Ergotherapie
Im Wintersemester lehre ich
„Theorien und Modelle der
Ergotherapie“, „Geschichte
und Entwicklung der Ergotherapie“, und das Fach
„Englisch“.
Ich bin ein Zwei-Länder
Kind: mein Vater ist Deutscher und meine Mutter
Südafrikanerin. Ich studierte Anfang der achtziger Jahre Ergotherapie, ein
4-jähriges B.Sc. Studium,
an der Universität von Kapstadt.
An der La Trobe University/
Australien lehrte ich in
Pädiatrie, arbeitete in verschiedenen pädiatrischen Einrichtungen sowie als Leitung in einer Privatpraxis. Ich begann
mit einem Masterstudiengang und später mit meiner Doktorarbeit (PhD).
1999 zog ich nach München. Dort arbeitete ich in einer Privatpraxis und unterrichtete an der Münchner Berufsfachschule für Ergotherapie und vollendete meine Doktorarbeit.
2004 bekam mein Mann einen Direktorposten in Berlin bei
dem internationalen Sekretariat von Transparency International, der weltweit größten Anti-Korruptionsorganisation,
und wir zogen hierher. Heute leben wir mit unserer einjährigen Tochter, unserem Sohn in Berlin.
Prof. Dr. Elke Kruse –
Studiengang
Soziale Arbeit
Mein
Lehrgebiet
ist:
Soziale Arbeit mit dem
Schwerpunkt Theorie und
Geschichte der Sozialen
Arbeit.
Semester als Vertreterin der Professur für Pädagogik und
Soziale Arbeit an der Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen. Zum WS 2005/2006 bin ich als Professorin
für o.g. Fachgebiet an die ASFH berufen worden.
Iris Nentwig-Gesemann –
Studiengang
Erziehung und Bildung
im Kindesalter (EBK)
Am 01. Oktober 2005 habe
ich die Professur für Bildung
im Kindesalter im BA-Studiengang Erziehung und Bildung
im Kindesalter angetreten.
Nach einem Diplomstudium
mit dem Schwerpunkt Kleinkindpädagogik und einem
Aufbaustudium zu Methoden der qualitativen Sozialforschung habe ich 1998
mit einer empirischen Arbeit
zur Krippenerziehung in der
DDR promoviert. In den letzten Jahren war ich u.a. als
wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Kleinkindpädagogik und im Arbeitsbereich Qualitative Bildungsforschung der Freien Universität
Berlin tätig. Derzeit beende ich noch meine Forschungstätigkeit im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Kulturen des Performativen“ an der FU Berlin in einem Projekt zu
rituellen Lernkulturen. Meine Arbeitsschwerpunkte sind die
rekonstruktive Bildungs-, Sozial- und Evaluationsforschung,
Diskurs-, Video- und Bildanalyse, Jugend- und Kindheitsforschung, Familien- und Ritualforschung, Sozialisations- und
Bildungstheorie.
Ich bin 1964 in Ostwestfalen geboren, lebe seit meinem
Studium in Berlin, bin verheiratet und habe eine 11-jährige
Tochter und einen 7-jährigen Sohn.
Iris Nentwig-Gesemann
Ich bin Diplom-Sozialpädagogin und Diplom-Pädagogin. Nach mehreren Jahren
beruflicher Tätigkeit als
Sozialpädagogin (Grundschule, Jugendamt, Familienbildungsstätte) bin ich
zunächst als wissenschaftliche Koordinatorin an die
Universität gegangen, habe
dort mit einem Stipendium
der Hans-Böckler-Stiftung promoviert, war am Hochschuldidaktischen Zentrum der Uni Dortmund und zuletzt drei
43
Abschied von HochschullehrerInnen
Zwischen Person und Kontext
... zum Abschied von Prof. Britta Haye aus dem aktiven Hochschullehrerinnendienst
Britta Haye in einem Beitrag anlässlich ihres Ausscheidens
aus dem aktiven Hochschullehrerinnendienst zu würdigen,
ist für mich eine äußerst ambivalente Aufgabe. Einerseits
freue ich mich sehr, dass ich einige ausgewählte, mir besonders ins Auge fallende Verdienste Britta Hayes in diesem
Rahmen in Erinnerung rufen darf. Glücklich bin ich auch darüber, dass ich hiermit die Gelegenheit habe, die Persönlichkeit
dieser Hochschullehrerin wertschätzen zu dürfen. Andererseits stimmt es mich traurig, Britta Haye mit diesen Zeilen
aus ihrem aktiven Dienst als Professorin gewissermaßen zu
verabschieden. Denn ich bin mir sicher, dass mit Britta eine
Sozialarbeitsprofessorin der Alice-Salomon-Fachhochschule
in den Ruhestand geht, die zur Gruppe der engagiertesten
Kolleginnen und Kollegen in der Geschichte der ASFH gehört.
Daher wird diese Professorin – das scheint mir gewiss – von
drei Gruppen gleichermaßen nachhaltig vermisst werden:
von ihren Kolleginnen und Kollegen der Lehre (sowohl von
ProfessorInnen als auch von Lehrbeauftragten), von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung sowie last
but not least von den Studentinnen und Studenten.
Die Bedeutung, die Britta Haye für diese Fachhochschule
bekommen hat, resultiert zum einen aus ihrer Persönlichkeit, die sich an der ASFH zu einer leidenschaftlichen Kämpfernatur für die arbeitsfeldspezifischen und hochschulischen
Belange der professionellen Sozialen Arbeit sozialisierte.
Meines Erachtens gab und gibt es wenige Kollegen und Kolleginnen, die so überzeugt und vehement für die Sache der
institutionellen und personellen Weiterentwicklung der Sozialen Arbeit (insbesondere der systemischen Methoden und
Theorien) an der Hochschule gekämpft haben und kämpfen,
wie Britta dies oft getan hat und nach wie vor tut. Zum anderen hat sie mit ihrem fachpolitischen Eintreten hinsichtlich
der Gestaltung des Kernbereiches Sozialarbeit/Sozialpädagogik und dem Aufbau des Feldes der Ausbildungssupervision an der ASFH in einem zeitlichen Kontext gewirkt, in
dem sich ein tiefgreifender Paradigmenwechsel in der wissenschaftlichen Landschaft der Sozialen Arbeit vollzogen
hat, der freilich noch lange nicht abgeschlossen ist. Daher
könnten wir diese Professorin einer Zwischengeneration von
SozialarbeitswissenschaftlerInnen zuordnen, die die „alten“,
eher bescheidenen, zum Teil marginalisierten Verhältnisse
der Sozialarbeitslehre noch kennen und bewusst erlebten,
die seit einigen Jahren allerdings als WegbereiterInnen agieren, um eine „neue“ selbstbewusste und sich ihren Stärken
und Möglichkeiten gewisse Sozialarbeitslehre zu etablieren.
Die GestalterInnen dieser Zwischengeneration ecken freilich
an, machen sich nicht überall beliebt, treten sie doch ein um
einen Status Quo zu verletzen, um dafür zu sorgen, dass sich
Neues Bahn bricht und erprobt werden kann.
Britta Hayes großes persönliches Verdienst ist es, dass sie
es geschafft hat, ihre persönlichen Überzeugungen hinsichtlich der Sozialen Arbeit so zu vertreten, dass dies kontextu-
44
ell innerhalb der ASFH immer wieder anschlussfähig war. Sie
hat sich geschickt zwischen den unterschiedlichen Kontexten
der Hochschule (etwa Lehre, Verwaltung, Studentenschaft)
bewegt, authentisch ihre Sichtweisen und Überzeugungen artikuliert, und ist dabei immer sensibel für zwischenmenschliche Stimmungen und Belange geblieben. Daher
gehört sie zu den äußerst angesehenen und einflussreichen
Kolleginnen und Kollegen der Hochschule.
Wer zu solchen Bewegungen zwischen Personen und Kontexten in der Lage ist, der sollte bezüglich seines kognitiven Modells und seiner professionellen Haltung untersucht
werden. Es ist kein Geheimnis, dass Britta Haye beide Bereiche, sowohl ihr Denkmodell als auch ihren Handlungsstil,
als systemisch charakterisieren würde. Allerdings lässt sich
„systemisch“ kaum als absoluter Begriff definieren, sondern lediglich komparativ können unterschiedliche Steigerungsformen des „Systemischen“ unterschieden werden.
Wie der Münchner Systemiker und Philosophieprofessor
Matthias Varga von Kibéd erst kürzlich formuliert hat, ist
eine „Erklärung (Theorie, Methodologie, Vorgehensweise,
Begriffsbildung, Hypothese, Denkweise, Idee, Therapieform,
Intervention ...) A [...] systemischer als eine Erklärung (Theorie ...) B per definitionem genau dann, wenn A in höherem
Maße als B erlaubt, von der Zuschreibung von Eigenschaften
an Systemelementen abzusehen (zugunsten der Betrachtung
von Relationen, Strukturen, Kontexten, Dynamiken und Choreografien)“.1 Britta Haye schafft genau dies in hohem Maße:
Sie betrachtet Personen und Situationen – freilich auch sich
selbst – in ihren kontextuellen Einbettungen. Ein solches
Denken und Handeln kann zwar situativ anstrengend, unverständlich und für einige bestimmt auch wuterzeugend sein,
es offenbart aber zumeist eine große Nachhaltigkeit. Und
daher hat Britta die Alice-Salomon-Fachhochschule äußerst
stark geprägt – vielleicht stärker als es vielen KollegInnen
(und vielleicht auch ihr selbst) derzeit bewusst ist.
Heiko Kleve,
war vom Wintersemester 2002/2003 bis zum Wintersemester 2004/2005 Hochschullehrer für Theorie und Geschichte
der Sozialen Arbeit an der ASFH und ist seit dem Sommersemester 2005 Hochschullehrer für soziologische und sozialpsychologische Grundlagen der Sozialen Arbeit
Fachhochschule Potsdam.
1
Ders. (2005): Metakommentar, in: G. Weber/G. Schmidt/F. B.
Simon: Aufstellungsarbeit revisted ... nach Hellinger?, Heidelberg: Carl-Auer-Systeme, S. 229.
Martin Grieser emeritiert - kein Nachruf!
Zu Beginn des Wintersemesters klopfe ich bei Martin Grieser
an - er räumt sein Zimmer - und frage ihn, wie er sich fühlt. Er:
„Ach, ich habe jetzt mehr Zeit, Hegel zu lesen.“
Am 16. Juni 2005 vollendete Martin Grieser sein 65. Lebensjahr. Der Fachhochschule gehörte er seit dem Wintersemester 1978 an. Wer Martin Grieser kennt, den wundert es
nicht, daß er, aus einer Hotelierfamilie stammend, seine
Grundbildung in einem humanistischen Gymnasium, einer
Internatsschule der Benediktiner, erhielt. Man sagt, schon
damals habe er mit seinen mönchischen Lehrern Diskurse
über Gottesbeweise geführt. Das Abitur absolvierte er 1961
als Klassenbester mit einem Notendurchschnitt von 1,0. Es
wird berichtet, daß er im väterlichen Betrieb es vorgezogen
haben soll, hinterm Tresen bei einem duftigen Riesling Kant
zu lesen. Er studierte zunächst Mathematik und Physik in
München, wechselte dann zur Rechtswissenschaft und studierte parallel Philosophie. Im Hegel-Seminar von Hermann
Krings lernte er seine spätere Ehefrau Inge Scherer kennen.
Sie kam, so sagt sie, wie er, öfter zu spät.
Als Martin Grieser sich im Frühjahr 1978 an der ASFH um
einen Lehrstuhl für Sozialrecht, insbesondere Sozialhilferecht, bewarb, begegnete ihm die Studentenschaft zunächst
- vorurteilsbehaftet, wie damals üblich - mit großem Misstrauen, weil er es gewagt hatte, an einer Bundeswehrhochschule zu lehren. Dieses Misstrauen legte sich allerdings sehr
schnell, nachdem die Studierenden Martin Grieser in seinen
brillanten Lehrveranstaltungen erleben durften.
Gemeinsam mit Reinhart Wolff und später mit Christine
Labonté-Roset leitete er als Prorektor von 1990 bis 1994 die
Fachhochschule. Generationen von Studierenden haben ihn
als gerechten und das Einzelschicksal nicht aus dem Blick verlierenden Prüfungsausschussvorsitzenden kennen gelernt.
Langjährig hat er Berliner Nachbarschaftsheime beraten. Im
Zentrum seines literarischen Schaffens stand die Reform des
Jugendhilferechts. Er war Mitautor des Frankfurter Kommentars zum JWG, ist mit Abhandlungen zum Zeugnisverweigerungsrecht des Sozialarbeiters hervorgetreten.
Zu ehren ist
Von 1964 bis 1966, noch als Studierender, war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Völkerrecht, Staatsund Rechtsphilosophie der Universität München, nach
seinem ersten Examen wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Institut für Rechtsgeschichte bei Sten Gagnér. Nach seinem
zweiten Staatsexamen 1971 arbeitete er bis 1978 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Jugendinstitut in
München, daneben nahm er Lehraufträge an der Hochschule
der Bundeswehr wahr. Dies machte ihn bei seiner späteren
Bewerbung an der ASFH verdächtig.
1971 heiratete er Inge Scherer. Sie schreibt mir hierzu: „Dies
war der Beginn einer langen, ebenso streitbaren wie offenen Diskursgemeinschaft im Kleinen, auf der Basis des Kantischen „sapere aude“ als gemeinsamer Metasprache, jener
Emanzipation, welche die Frage nach dem Primat des Matriarchats und/oder Patriarchats längst hinter sich gelassen
hat. Sie wurde im Laufe der Jahre durch Hinzutreten der
inzwischen erwachsenen Tochter Ariane, noch Jura-Studentin, nicht unwesentlich erweitert, vor allem hinsichtlich
einer (noch) stärkeren Akzentuierung der Rechtstheorie und
-philosophie.“
-
ein Kollege mit breit gefächertem Oeuvre und einer hohen
Identifikation mit unserer Hochschule
-
ein vorzüglicher Lehrer (bei den Lehrevaluationen wurde
er ausgezeichnet)
-
ein gedankenreicher und witziger Kollege, der auch in den
kaum erträglichen Abgründen gedankenarmer Gremiensitzungen niemals aufhörte und aufhört, an die menschliche Vernunft zu glauben, dabei stets mit dem Florett und
niemals mit dem Säbel oder gar Holzhammer ficht.
Dem Vorlesungsverzeichnis entnehme ich, dass trotz seiner
Emeritierung Martin Grieser den Studierenden und den Kollegen der Fachhochschule als Lehrender erhalten bleibt. So
kann ich weiter empfehlen: „Wenn Sie was lernen und die
Dinge hinter den Dingen erfahren oder gar Erkenntnis gewinnen wollen, dann gehen Sie zu Grieser.“
Frank Judis
Hochschullehrer / ASFH
Jens Schneider steht für „Produktives Lernen“
Ich war vor kurzem als Referentin eingeladen beim Weltkongress der „International Society for Cultural and Activity
Research“. Nun werden Sie sich fragen, was hat dies mit Jens
Schneider zu tun? Wie sich herausgestellt hat sehr viel - dies
jedenfalls meine Erfahrung. Das zentrale Thema war „Acting
in changing worlds“, d. h. Lernen und Kommunikationsfähigkeit in einer globalen und interkulturellen Welt. Immer wieder
wurde in Referaten, öffentlichen und informellen Diskussionen danach gefragt, wie wir die heranwachsende Generation
befähigen können, sich diesen Herausforderungen erfolgreich zu stellen, wie wir die Zahl der jugendlichen Verlierer
und Verliererinnen in unseren Gesellschaften verringern und
möglichst alle erfolgreich integrieren können.
45
Ich ertappte mich dabei, wie ich bei den Gesprächen mit
Psychologen, Anthropologen und Pädagogen aus den verschiedensten Ländern, die fast alle die Krise der Schule als
der entscheidenden Sozialisationsinstanz beschworen, das
Modell des ‚Produktiven Lernens‘ als ein mögliches und
bereits vielfach bewährtes Erfolgsmodell beschrieb. Ich erntete viel Neugier, Nachfragen und Bitten um mehr Information. Russische Kollegen waren sehr erfreut als ich erwähnte,
dass Leontev und Vigotski zu den theoretischen Vätern des
Produktiven Lernens gehören, zumal sich auf dem Kongress
einige Workshops mit ihrem Werk auseinandersetzten.
Diese Erfahrung hat für mich erneut die Relevanz der langjährigen Arbeit von Jens Schneider illustriert und auch deutlich
gemacht, dass er gemeinsam mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen von IPLE Pionierarbeit geleistet hat und noch
weiter leistet. Offensichtlich hat er sich mit der Notwendigkeit der Veränderung des Schulsystems, der Frage, wie man
Kinder und Jugendliche für das Lernen begeistern kann, und
zwar gerade diejenigen, die sich der herkömmlichen Schule
verweigern und/oder in ihr versagen, bereits zu einer Zeit
beschäftigt als ‚PISA‘ noch für lange Jahre nur als italienische
Stadt mit allerdings schiefem Wahrzeichen bekannt war.
Einer breiteren Öffentlichkeit und vor allem politisch bekannt
wurden diese Arbeiten mit der Bewilligung der finanziellen
Mittel durch den Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses
für den 4-jährigen Modellversuch ‚Die Stadt-als-Schule-Berlin‘. Dem waren schon etliche Jahre der wissenschaftlichen
Beschäftigung mit alternativen Schulmodellen aus verschiedenen Ländern vorausgegangen und deren Anpassung und
Weiterentwicklung an die Berliner Bedürfnisse. Und parallel dazu lief die letztlich alles entscheidende politische Überzeugungsarbeit, die sich in den kommenden Jahren noch
intensivieren sollte. Und eigentlich hat sich dies bis heute
nicht geändert. Der Kampf um die Einrichtung der ‚Stadtals-Schule‘ als Modellversuch, danach als öffentliche Versuchsschule und schließlich Regelschule war gleichzeitig die
politische Schule von Jens Schneider, daraus erwuchs seine
Durchsetzungsfähigkeit und schon berüchtigte Ausdauer
sowie Hartnäckigkeit, die bei einigen Institutionen mit denen
er verhandelte sprichwörtlichen Charakter haben soll.
Ende der achtziger Jahre genügte sein Name um jedenfalls
bei einigen Berliner Politikern beträchtliches Unwohlsein bis
hin zu Fluchtreflexen auszulösen.
Aber der Erfolg spricht für sich und vor allem auch die Verbreitung des damals entwickelten und immer weiter perfektionierten Modells, sei es 1990 durch die Gründung des
Internationalen Netzwerks Produktiver Schulen, dem heute
wohl über 50 Schulprojekte in 18 Ländern angehören und
das durch zahlreiche Tagungen und Austauschprogramme
die Weiterentwicklung und Verbreitung der Konzepte vorantreibt. Ein Herzstück hiervon ist das Projekt ‚Produktives
Lernen in Europa‘, das seit 1992 von wechselnden Partnern,
unter anderem dem Land Berlin, der EU, z. T. auch der Bun-
46
desregierung und heute auch weiteren Ländern wie Brandenburg oder Sachsen gefördert wurde und wird und das heute
in der aus ‚PLEBS‘ (Produktives Lernen an Berliner Schulen)
entwickelten Form vermittelt wird. Lernen soll sich dabei aus
produktiven Tätigkeiten ganz verschiedener Art entwickeln,
aus gewolltem und gewünschtem Tun, das Vertrauen in das
eigene Können und die eigenen Fähigkeiten gibt.
Ein Grundsatz, den man sich für viel mehr Lernsituationen
nicht nur im schulischen Bereich wünscht.
Und die öffentliche und politische Anerkennung ist seit langem da, wie gerade auch ‚PLEBS‘ zeigt, das ‚Produktives Lernen‘ als Teil des schulischen Alltags an 13 Berliner Schulen
installierte. Und ich erinnere mich gerne an verschiedene Veranstaltungen mit begeisterten SchülerInnen, die mit leuchtenden Augen über ihre ganz verschiedenen Tätigkeiten und
was sie weiter machen und lernen wollten, sprachen.
Eigentlich müssten auch noch die durch IPLE initiierten Lernwerkstätten hier ihren gebührenden Platz bekommen oder
die im Rahmen der verschiedenen europäischen wie Berliner
Schulen entwickelten „Schülerfirmen“ wie z. B. Gastronomie, Gartenbau, Lokales Fernsehen. Ich kann die inzwischen
publizierten Bücher von Jens Schneider und Ingrid Böhm, seiner langjährigen Mitarbeiterin, über die genannten Projekte
aufrichtig empfehlen. Sie sind in drei Sprachen erschienen.
Von Seiten der ASFH haben wir frühzeitig die Wichtigkeit der
Aufgaben um das „Produktive Lernen“ erkannt und für eine
Freistellung gesorgt. Hier wird deutlich, dass ich bisher praktisch nur über die Arbeit von Jens Schneider außerhalb der
ASFH berichtet habe. Die langen engagierten Hochschullehrerjahre, in denen Jens Schneider vor allem die Wichtigkeit
sozialpädagogischer Arbeit in der Schule vermittelte, bleiben damit aus Platz- und Zeitgründen fast unerwähnt.
Die Menschen der Alice Salomon Fachhochschule werden
die Arbeit des An-Institutes ‚IPLE‘ auch weiterhin engagiert begleiten. Des Weiteren würde ich mir wünschen, dass
irgendwann die Frage des Handwerkers, der vor etlichen Jahren das erste Schild für IPLE im Dachgeschoss unseres damaligen Verwaltungsgebäudes in Schöneberg anbrachte, klar
beantwortet wird: Er stand nachdenklich vor dem von ihm
befestigten glänzenden Schild und fragte mich damals: „Institut für Produktives Lernen? Gibt es eigentlich auch unproduktives Lernen?“
Christine Labonté-Roset
Rektorin / ASFH
Der kreative Senior Expert - Lutz von Werder
Alice:
Lieber Lutz von Werder,
Sie sind seit 28 Jahren als Hochschullehrer an der Alice Salomon Fachhochschule tätig, sie haben Kinderläden gegründet
und haben 30 Bücher geschrieben. Mit einem Magisterstudium in Philosophie begann Ihr 40-jähriger Aufstieg zum
heutigen Radiophilosophen im Westdeutschen Rundfunk
(WDR). Seit 10 Jahren moderieren Sie philosophische Cafés.
Und jetzt gehen Sie und bleiben doch als Senior Expert der
ASFH für den Masterstudiengang „Biografisches und kreatives Schreiben“ erhalten. Was waren die wichtigsten Stationen in Ihrem Hochschullehrerleben?
Lutz von Werder:
Die erste Station war sicherlich die Erfahrung mit meinem
Erststudium - Philosophie. In dieser Zeit hat mich insbesondere die Existenzphilosophie berührt. Eine Diplom-Bibliothekars-Ausbildung wurde dann zu meinem ersten festen
beruflichen Standbein. Mit dieser beruflichen Verortung ging
ich meine wissenschaftliche Qualifizierung und mein politisches Engagement an. Ich wurde Mitglied des SDS (der Sozialistische Deutsche Studentenbund), also ein richtiger 68er.
Ich gründete unter anderem einen proletarischen Kinderladen und die Zeitschrift „Erziehung und Klassenkampf“. Nach
meinem Magister in Philosophie promovierte ich dann über
das Thema „Von der antiautoritären zur die proletarischen
Erziehung“.
Meine nächste Station führte mich zur Poesie und Schreibtherapie. Es folgte das kreative Schreiben und das wissenschaftliche Schreiben. Wichtig wurde die Balint-Gruppe
für HochschullehrerInnen an der ASFH. Die Balint-Gruppe
ist 1985 gegründet worden. Wir arbeiteten unsere didaktischen methodischen Studentenbeziehungsprobleme tiefenpsychologisch auf, bearbeiteten also unseren pädagogischen
Eros.
Das hochschuldidaktische Zentrum wurde in der dritten Station gegründet. Während der Rektoratszeit von Reinhard
Wolff wurde deutlich, dass die Innovationen des Lehrens und
Lernens insbesondere in Amerika entwickelt wurden. Die
ASFH sollte aufschließen. Eine neue Fachhochschuldidaktik wurde aus der Taufe gehoben, die heute im „Zentrum für
Weiterbildung, Hochschuldidaktik und Berufsfeldforschung“
ihr neues Zuhause gefunden hat. Zum anderen wird im Wintersemester 2006/2007 an der ASFH der erste Masteraufbaustudiengang „Biografisches und kreatives Schreiben“ in
Deutschland eröffnet.
Alice:
Wie haben Sie sich am Anfang Ihres Hochschullehrerlebens
gesehen und wie sehen Sie sich nach einer 30-jährigen Lehrund Forschungstätigkeit?
Lutz von Werder
Am Anfang habe ich mich erstmal gefreut, dass ich einen Ruf
als Hochschullehrer auf Lebenszeit bekam und mich mit Eifer
in die Geschäfte der Lehre und Forschung im Fach Sozialisation gestürzt.
In der Krise der Lebensmitte bezog ich mich dann primär auf
ausgewählte Philosophen. Insoweit flossen unterschiedliche
philosophische Aspekte in meine Seminare ein. Die philosophischen Lehrinhalte wurden von Studierenden mit großem
Interesse aufgenommen, insbesondere weil die Sinnfrage in
den Berufsfeldern der Sozialen Arbeit und Gesundheit mehr
und mehr in den Vordergrund rückt.
Meine Ausrichtung weist natürlich auch in die Zukunft und
zukünftig sehe ich mich mit Zeiten konfrontiert, die im Kontext der Krise des Lebensendes stehen, also ganz andere
Belastungen mit sich bringen wird. Insoweit bin ich wild entschlossen dieser neuen Herausforderung einer Bewältigung
„der Krankheit zum Tode“, wie Kierkegaard sagt, nachzukommen.
Alice:
Was hat Sie an der Wissenschaft begeistert und wie wollen
Sie die Lust an der Wissenschaft fortsetzen?
Lutz von Werder:
Das erste, was mich an der Wissenschaft begeistert hat, war
die Philosophie, die Königin der Wissenschaften. Es hat mich
fasziniert, dass allgemeines Denken zur Erhellung der eigenen Existenz und zu einer Abklärung der eigenen Sinn- und
Lebensmöglichkeiten führen kann. Was mir auch heute in
Sachen Wissenschaft vor Augen steht, ist ein Ausspruch von
Epikur, der gesagt hat: eine Philosophie oder eine Wissenschaft, die nicht einen Beitrag zur Erlösung vom Leiden leistet, ist schlicht und ergreifend überflüssig. Genau das wäre
meine jetzige Position. In Deutschland gibt es neun Millionen depressive Menschen, die Tendenz steigend. Wir wissen heute, dass psychosomatische Störungen massiv auf
dem Vormarsch sind, deshalb interessieren mich heute insbesondere die Konzeptionen der Aufhebung des Leidens in
den Weltphilosophien.
Alice:
Wer hat Sie im Laufe Ihrer Hochschullehrertätigkeit im an der
ASFH besonders unterstützt?
Lutz von Werder
Elke von der Haar hat mir innovative Beratungskonzepte vermittelt. Das Rektorat unter Reinhard Wolff und Martin Grieser
gab mir die Möglichkeit ein hochschuldidaktisches Zentrum
aufzubauen. Natürlich ist unübersehbar mein Mittun in der
Balint-Gruppe, wo ich mit Heinz Cornel, Wolfgang Wendtland
und Britta Haye, Brigitte Geißler-Piltz und vielen anderen
in einen psychischen, psychosomatischen, wissenschaftlichen und existentiellen Austausch getreten bin. Das Rektorat unter Christine Labonté-Roset, Brigitte Geißler-Piltz und
Jutta Räbiger hat sich aktiv für den Masterstudiengang „biografisches und kreatives Schreiben“ eingesetzt. Ingrid Kollak war meine Yogalehrerin und hat mir die Verwandtschaft
und Differenz zwischen Sozialarbeitswissenschaft und Pflegewissenschaft näher gebracht.
47
Alice:
Sie werden den Masterstudiengang „Biografisches und
kreatives Schreiben“ als Senior Expert begleiten. Der
Tagesspiegel titelt in einem Artikel vom 29.09.2005 Ihren
Masterstudiengang mit „Schreiben ist gesund“. Welches
Selbstverständnis vertritt der Masterstudiengang „biografisches und kreatives Schreiben“?
Lutz von Werder:
Es ist richtig, Schreiben hat eine weit unterschätzte Wirkung
auf die Gesundheit. Der Masterstudiengang „biografisches
und kreatives Schreiben“ wird sich aber daran messen müssen, inwieweit er die Studierenden in die Lage versetzt, das
wachsende gesellschaftliche Leiden zu lindern. Es soll durch
seine kreativen Techniken Gesundheitsprävention – und Förderung sowie kreative und philosophische Lebensgestaltung
vermitteln.
Die Studierenden erwerben die Fähigkeit kreativ zu Denken, eine eigene Lebensphilosophie zu entfalten, sowie eine
autobiografische und philosophische Selbstanalyse zu ent-
werfen. Diese Fähigkeiten werden Sie dann in ihren Berufsfeldern Pflege und soziale Arbeit umsetzen können.
Alice:
Was steht noch alles auf Ihrem Lebensplan?
Lutz von Werder:
Ein Standbein ist der Senior Expert an der ASFH, das andere
stellt der WDR 5 dar, wo ich als Radiophilosoph tätig bin.
Doch die tatsächlich gewonnene Freiheit werde ich wohl auf
inspirativen Reisen erleben, auf denen ich die Weltphilosophien nicht nur aus Büchern, sondern live erleben möchte,
um mich im nächsten Schritt als Reiseschriftsteller und philosophischer Autor zu vervollkommnen.
Herr Prof. Dr. habil. Lutz von Werder, wir danken Ihnen für
das Gespräch.
Andreas Brüning
Pressereferent / ASFH
Juristin gefragt?
amtliche Mitarbeit in der
Kindervereinigung e.V. Frankfurt/Oder);
Liebe Studierende, MitarbeiterInnen und KollegInnen sowie
HochschullehrerInnen!
Viele von Ihnen werden mich bereits kennen...
Durch die Mitwirkung beim Aufbau und der Strukturierung
des Studierendencenters an der Alice Salomon Fachhochschule Berlin sehe ich mich mit vielschichtigen Herausforderungen - auch jenseits juristischer Fachfragen – betraut.
Schon während meines Studiums an der Europa-Universität
Viadrina in Frankfurt/Oder, an der Humboldt-Universität zu
Berlin und der späteren Referendartätigkeit am Oberlandesgericht Rostock schien mir die spätere berufliche Festlegung
auf ein einzelnes, rein juristisches Fachgebiet zu einseitig. Daher freue ich mich, bei diesem anspruchsvollen und
abwechslungsreichen Aufgabenspektrum meine bisherigen
juristischen und nicht-juristischen Erfahrungen umfassend
bei:
-
der Klärung juristischer Fachfragen (Interessenschwerpunkte Arbeitsrecht und Öffentliches Recht, Weiterbildung Wirtschaftsrecht; diverse praktische Tätigkeiten u.
a. im Öffentlichen Dienst bzw. am Oberverwaltungsgericht Berlin);
-
Organisation, Strukturierung, kreativen Prozessen (Vertrags- und Angebotsmanagement bei SAP-Deutschland;
Mitarbeit in verschiedenen Kanzleien in Tel Aviv, Berlin,
Hamburg, bei Daimler Benz Interservices in Stuttgart;
Konzertgitarrenausbildung; Öl-Malerei);
-
der sozialpolitischen Fachausrichtung der ASFH (Referendartätigkeit am Bundesministerium für Gesundheit und
soziale Sicherung und am Robert-Koch-Institut; mehrjährige Verwaltungstätigkeit in einer Arztpraxis; ehren-
48
-
Interessenvertretung
von
Hochschule und Studierenden
(Publikation in der Zeitschrift
JA-„Juristische Arbeitsblätter“;
Assistenztätigkeit am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und
Mitglied des Fachschaftsrates
an der Europa-Universität Viadrina)
-
interkulturellen
Fragestellungen (internationale Austauschprogramme in Frankreich/Schweiz: Ausbildung
und Einsatz als Gruppenleiter für Kinder und Jugendliche
in Paris, Boyardville, Adelboden; studienbegleitender
Aufenthalt in Israel: Internationales Privatrecht Kanzlei
Joel-Levi & Co., Tel-Aviv)
einbringen zu können.
Nicht zuletzt möchte ich diese Gelegenheit nutzen, mich bei
allen MitarbeiterInnen, KollegInnen und Studierenden, den
HochschullehrerInnen sowie der Hochschulleitung für die
Unterstützung während meiner Einarbeitung an der ASFH zu
bedanken. Ich freue mich auf die kommenden Aufgaben und
auf die weitere kompetente und konstruktive Zusammenarbeit.
Cathleen Lang
Leiterin des Studierendencenter /ASFH
Praxis
Die Hartz IV - Gesetzgebung in Aus- und Weiterbildung der Sozialen Arbeit
Die so genannte Hartz IV- Gesetzgebung („Viertes Gesetz für
moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt”) bringt mit dem
SGB II ab 2005 einen neuen Leistungsbereich in das Sozialgesetzbuch, die „Grundsicherung für Arbeitssuchende”. Das
SGB II kombiniert die bisherige „Hilfe zum Lebensunterhalt”
des BSHG mit der bisherigen „Arbeitslosenhilfe” des SGB
III in einem neuen Leistungsgesetz. Es gilt ausschließlich
für erwerbsfähige Hilfebedürftige, auch wenn sie werdende
Mütter, Schüler oder Koma-Patienten sein sollten; es gilt
für deren Angehörige und es sichert das Existenzminimum.
Parallel erfolgte die Neuordnung des Sozialhilferechts mit
dem neuen SGB XII. Nur wenige Hilfebedürftige können sich
nun noch für die eher theoretisch weiterhin mögliche „Hilfe
zum Lebensunterhalt” nach dem SGB XII qualifizieren. Im folgenden wird erläutert, welche besonderen Akzente die Hartz
IV – Gesetzgebung setzt und wie sie sich auf die Praxis und
auf die Aus- und Weiterbildung der Sozialen Arbeit auswirkt.
1. Welche Akzente setzt die Hartz-IV Gesetzgebung ?
Das SGB II als zentrales Element der Hartz IV - Gesetzgebung
setzt die Priorität auf die Eingliederung der Hilfebedürftigen „in Arbeit”. Für diese Eingliederung stehen gezielt Maßnahmen aus dem Katalog des Arbeitsförderungsrechts, des
SGB III, zur Verfügung. Eigenbemühungen des Hilfebedürftigen werden für die Eingliederung in Arbeit mit besonderem
Nachdruck eingefordert. Die Existenzsicherung der Hilfebedürftigen - sie erfolgt über Arbeitslosengeld II und Sozialgeld - steht im SGB II systematisch erst an zweiter Stelle.
Praktisch kommt aber der Zahlung dieser Leistungen die
alles überragende Rolle zu.
Als für das SGB II zuständige Behörden wurden sogenannte
Arbeitsgemeinschaften (ARGEs) zwischen der Bundesagentur für Arbeit und den kommunalen Trägern bei den Job-Centern der lokalen Agenturen für Arbeit eingerichtet - es sei
denn, bestimmte Kreise oder kreisfreie Städte haben die
Option erhalten, ohne Beteiligung der Bundesebene selbst
regionale Träger zu sein.
Für das SGB XII bleiben grundsätzlich die bisherigen Sozialhilfeträger und - ämter zuständig, aber sie „verlieren“ die
meisten ihrer hilfebedürftigen Kunden. Im Bezirksamt Lichtenberg von Berlin beispielsweise verblieben von den Hilfebedürftigen nur 20 %; die restlichen 80 % hatten für einen
SGB II-Leistungsbezug zur zuständigen ARGE zu wechseln.
Da die Erwerbsfähigkeit als Leistungsvoraussetzung unterstellt wird, wurde bei der Umstellung auf das SGB II eine
gewisse Grauzone von „Scheinerwerbsfähigen” erzeugt, die
genaugenommen nicht den SGB II – Leistungen zugeordnet
werden können.
Das neue SGB II konstruiert die Existenzsicherung größtenteils wie die „Hilfe zum Lebensunterhalt” im Sozialhilferecht:
es gibt eine „Regelleistung” - im Sozialhilferecht heißt es
„Regelsatz” - es gibt Mehrbedarf - etwa für werdende Mütter
und Alleinerziehende - und es gibt Leistungen für die angemessene Unterkunft.
Abgeschafft wurden im SGB II aber Öffnungsklauseln für
zusätzlichen Sonderbedarf, beispielsweise für regelmäßige
Fahrten zu einem inhaftierten Angehörigen. Abgeschafft
wurde auch die Möglichkeit etwa Kleidung oder Haushaltsgegenstände zusätzlich als einmalige Bedarfe geltend zu
machen. Die in der öffentlichen Diskussion umstrittenen
Regelungen zur Zumutbarkeit von Arbeit entsprechen denen
im bisherigen Sozialhilferecht. Gleiches gilt für die Bedarfs-,
Einsatz- bzw. Haushaltsgemeinschaften im neuen SGB II. Neu
ist dabei, dass dem Lebenspartnerschaftsgesetz Rechnung
getragen wird.
Die Höhe der Leistungen im SGB II kann nicht, wie es im
Sozialhilferecht der Fall ist, unter Einbeziehung besonderer
Umstände und Verhältnisse nach dem Bedarfdeckungsgrundsatz individuell gesteuert werden. Der Bedarfsdeckungsgrundsatz des Sozialhilferechts findet im SGB II keine
ausdrückliche Stütze. Der Paradigmenwechsel, der mit der
Einführung des SGB II einhergeht, verschiebt den Akzent
staatlicher Existenzsicherung von der bedarfsdeckenden
Gewährleistung des soziokulturellen Existenzminimums im
Sozialhilferecht hin zur individuellen Eingliederung des Hilfebedürftigen in Arbeit - bei Gewährung eines budgetierten,
abgesenkten Existenzminimums.
2. Welche Auswirkungen hat die Hartz IV-Gesetzgebung
auf die Praxis der Sozialen Arbeit ?
Die Abkehr von der Bedarfsdeckung und die Hinwendung
zu eigeninitiativen, aktiven Anspruchsberechtigten („ich
sorge für mich”) in der sich straff modernisierenden Sozialverwaltung - in Berlin wurde dafür das Programm „Sozialamt 2005“ gestartet - verwandelt auch den Aufgabenbereich
des Sozialarbeiters, der als Teil der öffentlichen Verwaltung
tätig ist. Beispielsweise wird der Allgemeine Sozialdienst im
Sozialamt durch kosten- und produktbewusste Fallmanager
ersetzt, die auch Sozialarbeiter sein können. Die Fallmanager (Steuerungskompetenz, Verantwortungskompetenz,
Entscheidungskompetenz) bieten den Hilfebedürftigen ein
fest umrissenes Budget an - und ihre Beratung. Gleichzeitig sind Fallmanager ihrem Arbeitgeber zu Kosteneinsparungen verpflichtet. Nur dies rechtfertigt die arbeitsrechtliche
Höhergruppierung der Fallmanager. Sie sind Teil der Verwaltung und nicht mediatorisches Zwischenglied zu den Hilfebedürftigen. Dem Trend zum Fallmanagement folgt auch die
Hartz IV – Gesetzgebung. Aus- und Weiterbildung liegen richtig, in diesem Zusammenhang Qualifizierungen für das Fallmanagement bereitzuhalten.
Traditionell ist Soziale Arbeit der umfassenden sozialen Eingliederung und nicht allein der Minderung der Arbeitslosig-
49
keit verpflichtet. Soziale Arbeit findet oftmals dort statt,
wo die Existenzsicherung des SGB II als ein Mittel sozialer
Eingliederung unbedingt benötigt wird. Immerhin hat die
Auswertung eines Mikrozensus (2315 schriftlich befragte
Haushalte) der Stadtforschungsgruppe „Topos” durch den
Soziologen Sigmar Gude repräsentativ für Kreuzberg (Luisenstadt, Graefekiez, Bergmannstraße-Nord) im Mai 2005
ergeben, dass sich nur 13 % der Leistungsbezieher im Kiez
nach der Einführung der Harz IV-Regelungen materiell besser
gestellt sehen. Über 54 % der Kiezbewohner fühlen sich dem
gegenüber durch die Neuregelungen schlechter gestellt.
Viele Neuregelungen der Hartz IV-Gesetzgebung sind eigenartig. Sie bedürfen in der Praxis Sozialer Arbeit der Vermittlung an die betroffenen Hilfebedürftigen. Eine kontinuierliche
Fort- und Weiterbildung der Berater und Beraterinnen kann
die Qualität der Dienstleistung auf diesem Gebiet außerordentlich stützen. Dafür hier nur drei Beispiele:
Kompliziert war im SGB II die anfängliche Regelung der Einkommensanrechnung für erwerbstätige Hilfebedürftige. Ein
Zuverdienst der Hilfebedürftigen, etwa durch Prospektverteilen, war ohne jegliche Empathie des Gesetzgebers ab dem
ersten Euro in komplexen und aus dem Gesetz kaum nachvollziehbaren Rechenschritten anzurechnen. Durch eine ab
Oktober 2005 in Kraft tretende Gesetzesänderung – die als
„höhere Freigrenze“ für Hinzuverdienende von der Regierung
kommuniziert wird – ist es nunmehr möglich, das anzurechnende Erwerbseinkommen überschaubar auf der Rückseite
des Bierdeckels zu berechnen.
Praktischer Beratungsbedarf für Hilfebedürftige kann sich
derzeit auch aus der neuen Familienförderung ergeben. Der
mit der Hartz IV- Gesetzgebung eingeführte neue Kinderzuschlag nach § 6a des Bundeskindergeldgesetzes in Höhe
von monatlich „bis zu 140 Euro“ soll, so die Gesetzesbegründung, die Armut von Kindern vermindern – allerdings wurden
zuvor die „Armutsgrenzen“ (nämlich die SGB II Regelleistungen für Kinder und Jugendliche) abgesenkt. Die neue Sozialleistung kann bei Familien mit niedrigerem Einkommen den
Leistungsbezug nach dem SGB II drei Jahre lang entbehrlich machen - wenn das Familieneinkommen den Bedarf der
Kinder nicht vollständig deckt. Die Kinderzuschlag-Regelung des Bundeskindergeldgesetzes ist nur mit Kenntnis des
SGB II verständlich. Danach ist nämlich zu berechnen, in welchem Fall der Kinderzuschlag (zu beantragen bei der Kindergeldkasse der Agentur für Arbeit und nicht bei den SGB II
- Trägern) in Betracht kommen kann und in welchem nicht.
Allerdings werden nun bei der Berechnung des Kinderzuschlages die Kosten der Unterkunft der Familie abweichend
von der SGB II-Praxis angesetzt, nämlich nach dem „letzten Armutsbericht der Bundesregierung” (BT-Drs. 15/2462).
Höhere Einkommensschichten werden dadurch bevorzugt.
Da das Berechnungsprogramm der SGB II-Leistungsträger
derzeit nicht in der Lage ist, Antragssteller bei einem möglichen Bedarf für Kinderzuschlag an die zuständige Kindergeldkasse zu verweisen, besteht die Gefahr, dass Hilfebedürftige
50
ohne entsprechende Beratung ihre Leistungsberechtigung
für Kinderzuschlag gar nicht erkennen (zum Kinderzuschlag
und Beispiele zu dessen Berechnung Kievel / Lehmann-Franßen, Paradigmenwechsel bei den Leistungen, 2. Aufl. 2005).
Als letztes Beispiel von problematischen Neuregelungen
durch die Hartz-IV Gesetzgebung für die Hilfebedürftigen
seien die nach § 15 SGB II eingeführten Eingliederungsvereinbarungen für die Eingliederung in Arbeit erwähnt. In
diesen Vereinbarungen werden Eingliederungsleistungen
der Behörden und Eigenbemühungen der Hilfesuchenden
in verbindlichen, öffentlich-rechtlichen Verträgen festgelegt. Die Vereinbarungen dienen letztlich dazu, von Hilfebedürftigen unter Sanktionsandrohung die Zustimmung zu
einem vertraglich geregelten Verhalten einzufordern. Bisher
waren öffentlich-rechtliche Verträge mit individuellen Leistungsempfängern im Sozialrecht nicht üblich und es gibt
auch gegen solche Verträge keine Möglichkeit für effektiven Rechtsschutz durch Widerspruch und Klage (vgl. aber
Lehmann-Franßen, Neue Zeitschrift für Sozialrecht, Oktober-Heft 2005). Bedarf an unabhängiger sozialarbeiterischer
Beratung besteht, wenn es darum geht, was Hilfebedürftige
in solchen Eingliederungsvereinbarungen verbindlich unterschreiben sollten, und was nicht, um einen Leistungsentzug
zu vermeiden.
3. Welche Auswirkungen hat die Hartz IV-Gesetzgebung
auf die Aus- und Weiterbildung der Sozialen Arbeit ?
Die bisherige Thematisierung des Sozialhilferecht lässt sich
bei Lehr- und Weiterbildungsveranstaltungen größtenteils
durch eine der neuen SGB II und SGB XII ersetzen. Die neuen
Regelungen sind gleichwohl komplexer und unterliegen weiterhin Veränderungen und Neueinschätzungen. Wegen der
überragenden Bedeutung als existenzsichernde Leistungen
mag dem SGB II zunächst Priorität beim Einstieg in soziales
Leistungsrecht zukommen.
Die Anwendung des neuen SGB II auf Übungsfälle, die bisher nach dem Sozialhilferecht gelöst wurden, ergab einen
um etwa 30 % erweiterten Lösungsumfang gegenüber den
Bearbeitungen nach bisherigem Recht. Für die Nachvollziehbarkeit von Beispiels- und Klausurfällen ist deshalb
die Reduzierung von lebensnaher Komplexität nötig. Eine
Patchwork-Familie kann schon den zeitlichen Rahmen einer
Klausur sprengen, bei der ein Leistungsanspruch auf Arbeitslosengeld II und Sozialgeld errechnet werden soll.
Aufgabe der Sozialrechtsaus- und weiterbildung muss es
sein, Soziales Leistungsrecht als ein System zu vermitteln
und Strukturen aufzuzeigen, die auch Gesetzesänderungen
überdauern und Grundlage für aktuell zu bildendes Spezialwissen sein können.
Besonders für das Sozialrecht gilt, dass es in der Ausbildung
der Sozialen Arbeit nachvollziehbar und diskutierbar sein
muss. Interessant ist dabei, neue Formen, wie das e-learning,
in Einsatz zu bringen. So wurde an einer Fachhochschule
das SGB X (Verwaltungsverfahrensrecht) in einem Studienprojekt als spannendes Online-Computerspiel ansprechend
verpackt. An der Herstellung beteiligt waren, so berichtete
die verantwortliche Professorin, neben den Studierenden
auch Cartoonzeichner, Theaterpädagogen, über einen Zeitraum von mehreren Semestern und mit Geld aus Brüssel. Die
Stories dieses Lernspiels waren gut (aus der sozialarbeiterischen Praxis) und die Testfragen der einzelnen Stationen
„tough“ - aber das Spiel wurde nicht ohne Stolz gerne über
mehrere Tage oder Wochen bis zur letzten Story gespielt.
Eine verantwortungsvolle Sozialrechtsausbildung geht auf
die in der Praxis allgegenwärtige Verzahnung von materiellem Leistungsrecht mit dem „grau-theoretischen“ Verfahrensrecht ein. An einigen Fachhochschulen wird das neue
Recht des SGB II mit dem Verwaltungsverfahrensrecht
gezielt in einem kombinierten Seminar oder in aufeinander
abgestimmten Veranstaltungen vermittelt. Das Ineinandergreifen von Sozialleistungsrecht mit Verfahrensrecht aufzuzeigen ist deshalb sinnvoll, weil vielleicht die Hälfte aller
Streitfälle allein auf der inkorrekten Anwendung allgemeiner Vorschriften des Verfahrensrechts beruhen. Für die Ausund Weiterbildung resultiert aus der Hartz IV-Gesetzgebung
ein besonderes Eingehen auf das Verfahren vor den Sozialgerichten. Dabei hat der einstweilige Rechtschutz eine wichtige Rolle zu spielen. Das Sozialgericht Berlin zeigt sich bei
Besuchen von Seminargruppen übrigens kooperativ und diskussionsbereit.
4. Resümee
Abschließend ist zu resümieren, dass die Hartz IV- Gesetzgebung ein markantes Element im rechtlich formulierten
System der Sozialen Sicherung darstellt. Die Hartz IV-Gesetzgebung hat dazu geführt, das Bewusstsein für Sozialrecht zu
sensibilisieren und die Nachvollziehbarkeit sozialer Gerechtigkeit einzufordern. Das System der sozialen Sicherung ist
ein wichtiges Instrument der sozialarbeiterischen Praxis. Die
Aus- und Weiterbildung der Sozialen Arbeit darf sich diesem
rechtlichen System verbunden fühlen und es kritisch nicht
nur bei Neuerungen und Veränderungen begleiten.
Nils Lehmann-Franßen
Anmerkung der Redaktion: Gemeinsam mit Winfried Kievel
von der Katholischen Hochschule für Soziales Berlin hat Nils
Lehmann-Franßen eine bundesweit beachtete, umfangreiche Einführung in das neue SGB II und das neue SGB XII für
die Aus- und Weiterbildung in der Sozialen Praxis erarbeitet.
Das 300-seitige Werk mit dem Titel „Paradigmenwechsel bei
den Leistungen“ erschien als stark erweiterte Neuauflage
am 13. Oktober 2005. Es enthält im Anhang über 20 Übungsund Klausurfälle mit ausführlichen Lösungsvorschlägen und
Gesetzes- und Verordnungstexten auf dem neuesten Stand.
Das Buch kostet 11.- Euro und ist unter der ISSN 1436-6975 im
Buchhandel oder direkt bei der KHSB, Schriftenstelle, Köpenicker Allee 39-57, 10318 Berlin, bestellbar.
51
Leben
„Im Augenblick, wo man in völliger Dunkelheit steckt, belebt
sich das Dunkel.“ Kurt Tucholsky
Im Dunkeln dippen
Dunkelrestaurants in Berlin bieten Langzeitarbeitsplätze für
Sehbehinderte
Verzichten sie für einen Moment auf Ihre visuelle Vorstellungskraft. Sie betreten einen dunklen Raum, in dem sie
weder die Hand vor Augen, noch kleinste Lichtquellen sehen
können. Die Geräusche von Gabeln, die auf Tellern klimpern,
klirrende Gläser, die gelegentlich mit anderen Gegenständen
zusammenstoßen, das Plaudern der Gäste und nicht zuletzt
die Gerüche von würzigen oder süßen Speisen versichern
Ihnen jedoch, dass sie sich in einem Restaurant befinden: Im
Nocti Vagus oder der unsicht-Bar in Berlin–Mitte.
Das Nocti Vagus, auf lateinisch „Nachtschwärmer“ und
die unsicht-Bar, bieten neben kulinarischen Genüssen für
Sehende die Möglichkeit, die oft vernachlässigten Sinne Tasten, Riechen, Schmecken und Hören anzuregen und zu schärfen. Auf der Speisekarte lesen sie z.B. „Knusprige Bröselei
auf feinem Bad aus Hülsenfrucht“ und nur ihr Geschmackssinn wird Ihnen das dahinter stehende Geheimnis lüften.
Nachdem der Dipp zum Brot ertastet, das Currypulver in die
Nase aufgestiegen ist, die Tischnachbarn erhört und das
Dessert nicht immer richtig erschmeckt wurde, wird man wieder in das Licht der Lounge geführt. Hinaus aus der wohligen
intimen Dunkelheit in die Welt der Sehkraft. Und vielleicht
fällt Ihnen ja auf dem Nachhauseweg der Geruch der Kastanienblüten auf!
Durch das zeitliche Ausblenden des am häufigsten gebrauchten Sinnesorgans, werden die Besucher zu neuen Wahrnehmungs- und Kommunikationsweisen eingeladen. An einem
Ort, in dem es keine sichtbaren Grenzen und keinen Horizont
gibt, wird Raum nur durch Geräusche und Sprache erlebbar.
Die Lounge der unsicht-bar
52
Die Dunkelheit ist
schier unendlich.
Schweigt alles,
ist man allein und
scheinbar isoliert. Die Tatsache im Dunkeln Das Menü darf man noch im Hellen bestellen.
zu
verweilen,
führt aber nur bei wenigen Menschen zu Angst und Verunsicherung. Im Dunkelrestaurant wird der Gast von Fachleuten
durch den Raum geleitet, für die die nächtliche Dunkelheit
Alltag ist: von Blinden und Sehbehinderten.
Das Nocti-Vagus trumpft mit einem witzigen Loungebereich
auf und die professionellen Kopfhörer der KellnerInnen geben
dem Ambiente etwas Virtuelles. In der unsicht-Bar regiert
das pädagogische Du und bei Verspannungen im Schulterbereich hilft der Kellner gerne mit seinen physiotherapeutischen Fähigkeiten aus.
Die privat betriebenen Erlebnisgastronomien sind somit integrative soziale Unternehmen, die blinden und sehbehinderten MitarbeiterInnen Langzeitarbeitsplätze als Kellner und
Empfangspersonal sichern. Auf der anderen Seite werden
bei den Gästen Berührungsängste mit blinden und sehbehinderten Menschen abgebaut, denn wer hier im Dunkeln tappt,
ist im Dunkelrestaurant auf Hilfe angewiesen, auf Profis, die
sich sicher und gewandt um Tische und in Richtung Ausgang
bewegen können. In der Welt der Dunkelheit werden die Realitäten in der Gesellschaft für einen Abend umgekehrt. Die
Kellner, Dieter oder Hedi, werden für ein paar Stunden zu
unersetzbaren Freunden.
Weitere Infos
www.unsicht-bar.de
www.noctivagus.de
Blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen finden
ihre Tätigkeitsfelder zumeist in physiotherapeutischen
Praxen und/oder im Öffentlichen Dienst. In der Erlebnisgastronomie des Nocti Vagus und der unsicht-Bar in
Berlin werden ArbeitnehmerInnen mit Sehbeeinträchtigungen geradezu gesucht. Sie durchqueren Räume
im Dunkeln zielsicher und servieren Weißwein oder 3Gänge-Menüs mit unsichtbarer Eleganz. Volker Lenk
vom Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverein
Berlin e.V. begrüßt die Erweiterung des Berufsspektrums für Blinde und Sehbehinderte sowie die Sensibilisierung für den Themenkomplex „Blindheit“. In Berlin
gibt es ca. 6000 blinde und ca. 20.000 hochgradig sehbehinderte Menschen. Sie sind u. a. in den für Blinde
und Sehbehinderte neuen Berufszweigen als Call Center
Agent, Programmierer oder als Juristen tätig.
Nadin Tettschlag und Daniel Pilgrim
Studierende / ASFH
Rückblick
Fünf Jahre Alice-Salomon-Archiv
im Archiv- und Dokumentationszentrum für soziale und pädagogische Frauenarbeit
• den Austausch zwischen Fachschulen, Fachhochschulen,
Universitäten und der sozialpädagogischen Praxis zu fördern.
Was wurde erreicht?
Als 1998 die Alice-Salomon-Fachhochschule aus dem Areal
des Pestalozzi-Fröbel-Hauses in Schöneberg auszog, war In den zurückliegenden fünf Jahren ist deutlich geworden,
das Pestalozzi-Fröbel-Haus daran interessiert, den Teil sei- welche Wichtigkeit und welche Möglichkeiten das Archiv hat.
ner Geschichte nicht aus dem Auge zu verlieren, den das Dabei war eine Balance zwischen den verschiedenen ArbeitsHaus III, die Soziale Frauenschule (Alice-Salomon-Schule) feldern zu wahren: der Archivierung und Betreuung der
dargestellt hat. Gleichzeitig war es das Interesse der Fach- Bestände, der Beratung der Benutzer und der öffentlichen
hochschule, mit dem Verlassen des Gründungsstandortes Präsentation durch Veranstaltungen, Forschungsbeiträge
ihrerseits ihre historischen Wurzeln in Erinnerung zu halten.
und online Service. Einige
PFH und ASFH verständigder wichtigsten Ergebnisse
ten sich deshalb, das einstsollen hier kurz umrissen
malige Arbeitszimmer von
werden:
Alice Salomon mit Sekretariat und Konferenzraum
Für die Sicherung und
(heute, nach Umbauten in
Erschließung der Bestände
den 70er Jahren, Raum 111
ist ein Gesamtkonzept entin Haus III) den historischen
wickelt worden, eine DatenInteressen entsprechend
bank ist im Aufbau, mit der
nutzbar zu machen und für
Digitalisierung
kleinerer
die Archivnutzung zu renoBestände wurde begonnen.
vieren. Dabei wurden die
Die
Bestände
wurden
alten Decken freigelegt
ergänzt und erweitert,
und die ehemaligen Glastübesonders durch Materen rekonstruiert, so dass
rialien von und zu Alice
heute die ursprüngliche
Salomon: eine nahezu vollRaumstruktur wieder deutständige Sammlung ihrer
lich erkennbar ist. Beide
Schriften, eine erste SammArchive bezogen den Raum
lung von Korrespondenzen,
111 und bilden gemeinsam
u.a. äußerst seltene Briefe
das Archiv- und Dokumenvon Alice Salomon aus den
tationszentrum für soziale
Exiljahren an Familienanund pädagogische Frauengehörige – eine Schenkung
arbeit. Den Namen entlehnvon Ilse Salomon Eden (Berten sie der „Akademie für
keley) –, die dem Alice-Salosoziale und pädagogische
mon-Archiv vom Leo Baeck
Frauenarbeit“, die in den
Institute New York als Dau20er Jahren des vergangeerleihgabe übergeben wurnen Jahrhunderts, von Alice
den.
Salomon gegründet und
geleitet, eine hochschulmäDas Archiv wurde für
ßige Fortbildung für Frauen Die Alice-Salomon-Schule um 1915 (PFH Haus III)
Recherchen zu Forschungsanbot und das erste bedeuund Studienzwecken von
tende empirische Frauen- und Familienforschungsprojekt in Einzelnen und Gruppen aus dem In- und Ausland genutzt –
Deutschland durchgeführt hat.
darunter waren Doktorandinnen aus Italien, USA, Japan, ForDer auf zunächst 5 Jahre angelegte Vertrag über das Archiv- scherInnen aus Bulgarien, Spanien, Finnland, Dänemark,
und Dokumentationszentrum für soziale und pädagogische Schweden und Deutschland, Studierende aus allen BunFrauenarbeit ist am 16. März 2005 durch eine neue Vereinba- desländern und aus verschiedenen Disziplinen (Sozialarrung entfristet worden. Damit hat die Kooperation eine län- beit/-pädagogik, Geschichte, Soziologie, Psychoanalyse,
gerfristige Perspektive erhalten mit dem Ziel:
Erziehungswissenschaften). Regelmäßig wird das Archiv
• die historischen Schriften und Dokumente für die Nach- von Seminargruppen besucht. Mehrere Diplomarbeiten zu
welt zu erhalten und sie der Öffentlichkeit zugänglich und Themen der Sozialarbeit im NS und der Akademie für sozinutzbar zu machen,
ale und pädagogische Frauenarbeit sind in Verbindung mit
• Forschungen anzuregen und zu unterstützen und
dem Alice-Salomon-Archiv geschrieben worden (ASFH, TU,
53
Sophie Digital Library (s.o.), einem Studienprojekt der Brigham Young University Utah (USA), das Texte deutschsprachiger Autorinnen, darunter Alice Salomon, aus dem Zeitraum
zwischen 1740 und 1927 digitalisiert und online zur Verfügung stellt.
Alice-Salomon-Archiv - Innenansicht 2002
FH Köln). Ein anderes Beispiel ist eine Forschungsarbeit über
die heute weitgehend unbekannte Begründerin der sozialen
Arbeit und Ausbildung in Bulgarien, Raina Petkowa (1895-?),
die zur Entdeckung einer umfangreichen Akte in den Unterlagen der Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit mit biographischen Materialien und Berichten über die
Anfänge der sozialen Arbeit in Bulgarien führte.
Zur Kontaktaufnahme und Information dient die Homepage des Archivs. Eine erste Ausgabe erschien 2001. Heute
umfasst sie zu 15 Themen in Deutsch und zu 8 in Englisch
insgesamt ca. 220 Seiten, die neben Informationen zum
Archiv und zu Alice Salomon (Person und Werk und Schriftenedition), eine ständig aktualisierte Gesamtbibliographie
der Schriften Alice Salomons (z.Zt. 571 Titel) mit Links zu
den online verfügbaren Texten Alice Salomons bietet sowie
eine Faksimile–Dokumentation zu der, 1929 von Alice Salomon mitgegründeten, Internationalen Vereinigung der Sozialen Schulen (1929-1936, heute: IASSW), ebenso die Vorträge
zum Alice Salomon Award, u.a.m.
Die drei-bändige Edition der ausgewählten und kommentierten Schriften Alice Salomons wurde abgeschlossen und eine
Buchfassung der Gesamtbibliographie mit Registern herausgegeben: Alice Salomon. Frauenemanzipation und soziale
Verantwortung, Neuwied u.a.: Luchterhand Verlag 19972004; Die Schriften Alice Salomons. Bibliographie 18962004, Berlin: ASFH 2004.
Das Archiv beteiligte sich mit Vorträgen an verschiedenen
Fachtagungen, z.B. zur Klinischen Sozialarbeit, zur Rosa
Luxemburg Tagung der Ernst Bloch Assoziation und trug
u.a. auch zu Veranstaltungen der Alice-Salomon-Schule Wipperfürth bei und den Namensgebungsfeiern zweier Berufskollegs, die sich nach Alice Salomon benannt haben, der
Berufsbildenden Schule 21 Hannover (2000) und des Berufskollegs Bochum (2002). Beeindruckend machten die Feiern
deutlich, wie sehr Alice Salomon durch ihre Biographie und
ihr Werk Orientierungen für die Ausildung und die praktische
Tätigkeit im sozialen Bereich erneut zu geben vermag.
Das Alice-Salomon-Archiv arbeitet in verschiedenen Archivund thematischen Netzwerken mit, u.a. dem Dachverband der
deutschprachigen Frauen/Lesbenarchive - ida, der Arbeitsgemeinschaft „Frauen im Exil“ in der Deutschen Gesellschaft für Exilforschung, dem Advanced Thematic Network
in European Women’s Studies - athena. Es kooperiert mit der
54
In den zurückliegenden fünf Jahren wurden zwei ganztägige
internationale Colloquien zu historisch-aktuellen Fragen der
Sozialpädagogik in Kooperation mit dem PFH durchgeführt,
verbunden mit der Verleihung des Alice-Salomon-Awards:
„Sozialpädagogik und Geschlechterverhältnis 1900 und
2000“, Preisverleihung an die Israelin Alice Shalvi (2001) und:
„Europa und Amerika. Unterschiedliche Vorstellungen des
Sozialen?“, Preisverleihung an die Französin Fadéla Amara
(2004) (siehe die Berichte in alice 2/2001 und 9/2004). Die
Tagungen werden auch in einer Publikationsreihe dokumentiert.
Die Arbeiten des Alice-Salomon-Archivs werden aus Drittund Honorarmitteln finanziert und durch ehrenamtliche und
Praktikantinnen-Arbeit ergänzt.
Weitere Perspektiven
Das Konzept, das in den vergangenen fünf Jahren Konturen
angenommen hat, wird in Zukunft zu konsolidieren sein. Dazu
gehört neben den konservatorischen Archivaufgaben die
Diskussion von aktuellen sozialpädagogischen, fachwissenschaftlichen und frauenpolitischen Fragen. Gleichermaßen
gilt es, an die Anfänge einer an Menschenwürde orientierten Sozialarbeit und Sozialpädagogik zu erinnern wie an die
Preisgabe dieser Orientierung in der rassistischen Volkspflege während des Nationalsozialismus und an die Vertreibung der jüdischen und sozialdemokratischen Mitglieder der
Schulen.
Schwerpunkte der Tätigkeit werden weiterhin interdisziplinäre Colloquien zu Fragen der sozialpädagogischen Theorie
und Praxis mit der Verleihung des Alice-Salomon-Awards bilden.
Ein wichtiges Projekt in den kommenden Jahren wird das 100jährige Jubiläum der Gründung der Sozialen Frauenschule
durch Alice Salomon sein, das den Blick auch auf die jüngste
Geschichte lenken wird.
Daneben bleibt die Archivierung der Bestände und die Erweiterung auf die 1970er und 1980er Jahre eine Aufgabe des
Archivs ebenso wie der Ausbau der Sammlungen zu Alice
Salomon. Da über den Verbleib von Alice Salomons Unterlagen und ihrer Privatbibliothek nichts bekannt ist, sind alle
Forschungen auf Materialien angewiesen, die über viele
Standorte verstreut sind und bisher nirgends systematisch
erfaßt sind; das bezieht sich sowohl auf ihre Schriften wie
auf die Korrespondenzen, die sie in ihren zahlreichen Funktionen geführt hat, und nicht zuletzt auf ihre Privatkorrespondenz. Aus diesem Grunde hat sich das Alice-Salomon-Archiv
zum Ziel gesetzt, alle verfügbaren Materialien und Informa-
tionen von und zu Alice Salomon zu sammeln und das Archiv
zu einem Zentrum der Erforschung von Leben und Werk Alice
Salomons auszubauen.
Adriane Feustel
Alice-Salomon-Archiv
im Archiv- und Dokumentationszentrum für
soziale und pädagogische Frauenarbeit
Pestalozzi-Fröbel-Haus, Karl-Schrader-Str. 7-8, 10781 Berlin
Archivbesuch nur nach Voranmeldung:
mo-fr 10.00-13.00 Uhr
Tel.: 21730-277 o. 236, Fax: 21730-188
email: [email protected]
www.asfh-berlin.de/archiv
Tagungen
Islamischer Antisemitismus
Am 1. Juli 2005 sind die Ergebnisse der Werkstatt «Demokratiegefährdende Phänomene» - vier Filme und eine Broschüre - im Audimax der ASFH präsentiert worden und riefen
eine starke Resonanz in der ASFH-Öffentlichkeit sowie in der
Medienöffentlichkeit hervor.
In mehreren Zeitungen, Radiosendungen und in der ARDSendung «Report München» wurde über die gravierenden
antisemitischen Ressentiments unter den befragten Jugendlichen aus islamischen Herkunftsländern berichtet.
Von allen Seiten ist der islamische Antisemitismus als ein
bedrohliches Problem wahrgenommen worden, dem sich die
Gesellschaft zukünftig stellen muss. „Ich bin der Fachhochschule dankbar für die Studie. Auch wenn die Studie nicht
repräsentativ ist, zeigt sie trotzdem, wie antisemitische Vorstellungen verbreitet sind.“ sagte der Bildungsstaatssekretär Thomas Hertel in einem Interview mit der Berliner Zeitung
vom 05.07.2005.
Eine weitere Werkstatt liegt vor uns, diese soll sich mit einem
anderen Focus erneut dem Thema des islamischen Antisemitismus unter Jugendlichen in Berlin widmen sowie Wahrnehmungen der vorangegangenen Werkstatt tiefer beleuchten.
Eine Tagung zum Thema «Islamischer Antisemitismus» ist in
Planung und wird voraussichtlich im Mai 2006 an der ASFH
stattfinden.
Levi Salomon und Katrin Becker
Lehrbeauftragte / ASFH
Literatur:
Eine ausführliche Fassung dieses Berichtes gibt es in der
Bibliothek der ASFH und auf der Homepage des AliceSalomon-Archivs: Das Alice Salomon Archiv der ASFH
Berlin. Fünfjahresbericht März 2000 - März 2005, hrsg.v.
A. Feustel, Berlin März 2005
Sozialpädagogik und Geschlechterverhältnis 1900 und
2000. Dokumentation des Colloquiums zur Eröffnung
des Archiv- und Dokumentationszentrums für soziale
und pädagogische Frauenarbeit am 18. Mai 2000, hrsg.
v. A. Feustel, Berlin 2003
Fachbereichstag Soziale Arbeit 2006
Die Alice Salomon Fachhochschule Berlin (ASFH) richtet den
Fachbereichstag Soziale Arbeit am 31.05. / 01.06.2006 in
Berlin aus. Die Koordination und Organisation liegt in Händen von Prof. Dr. Brigitte Geißler-Piltz.
Nähere Informationen:
Prof. Dr. Brigitte Geißler-Piltz
T.: 030/ 99245-302
E-Mail: [email protected]
alice-Redaktion
Leib-Seele-Lebenswelt:
Psychosoziale und psychosomatische Ansätze in der Physio- und Ergotherapie
Die Alice Salomon Fachhochschule Berlin (ASFH) veranstaltet am 12./13.05.2006 gemeinsam mit der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie des Krankenhauses Hedwigshöhe
(Gesellschaften der Alexianer-Brüder) eine Tagung zum
Thema „Leib-Seele-Lebenswelt:
Psychosoziale und psychosomatische Ansätze in der Physio- und Ergotherapie“.
Den Leitvortrag „Zwischen medizinischer Diagnose und
Lebensweltorientierung - zur Professionalisierung von Ergotherapie“ hält Prof. Dr. Ulrike Marotzki (FH-Hildesheim). In
verschiedenen Workshops können die TeilnehmerInnen das
Thema praxisnah vertiefen.
Nähere Informationen:
Prof. Dr. Jutta Räbiger
T. 030/99245-313
E-Mail: [email protected]
alice-Redaktion
55
Bücher / Rezensionen
Klinische Sozialarbeit
Geißler-Piltz/Mühlum/Pauls
Brigitte Geißler-Piltz, Albert Mühlum und Helmut Pauls:
Klinische Sozialarbeit. München/Basel: Reinhardt (UTB),
171 Seiten, ISBN 3-8252-2697-2, € 14,90
Drei wichtige Protagonisten und Wegbereiter der Klinischen
Sozialarbeit in Deutschland, Brigitte Geißler-Piltz, Albert
Mühlum und Helmut Pauls, legen mit diesem Buch eine
kompakte Einführung in das sich konsolidierende Ausbildungs- und Praxisprojekt der Klinischen Sozialarbeit vor. Die
Publikation erschien als Band 7 in der Reihe „Soziale Arbeit
im Gesundheitswesen“ und versteht sich (wie die anderen
Bände dieser Reihe auch) als Beitrag zur Professionalisierung der Sozialen Arbeit in einem sich ausweitenden Arbeitsfeld.
In dem Feld der gesundheitsbezogenen Sozialen Arbeit kann
die Klinische Sozialarbeit als methodischer Kern bewertet
werden, liefert sie doch das Handwerkszeug, um das Interaktionsgeschehen in der direkten Praxis mit Klientinnen und
Klienten zu strukturieren. Anamnese/Assessment, Diagnose
und Behandlung/Therapie (S. 101ff.) als klassisches methodisches Dreigestirn stehen daher im Zentrum Klinischer Sozialarbeit, die vor allem Personengruppen berät, unterstützt,
ja behandelt, die besondere bio-psycho-soziale Belastungen
erfahren (S. 47ff.).
Die Autoren stecken das weite Feld der Klinischen Sozialarbeit in neun Schritten ab, so thematisieren sie 1. das
Selbstverständnis und die professionsbezogene Verortung
Klinischer Sozialarbeit, 2. die strukturbezogenen Merkmale
klinischen Handelns, 3. die Zielgruppen Klinischer Sozialarbeit, 4. die rechtlichen und politischen Aspekte, 5. die
Einrichtungen und Konzepte, 6. die Strategien und Handlungskompetenzen, 7. die ethischen Aspekte klinischen Handelns, 8. die Geschichte der Klinischen Sozialarbeit und 9.
schließlich den Anspruch und die Wirklichkeit dieser Fachsozialarbeit. Diese Aufzählung der einzelnen Kapitel zeigt,
welchen hohen Anspruch Geißler-Piltz, Mühlum und Pauls
mit ihrem Werk verbinden: Sie wollen einen allumfassenden Überblick hinsichtlich der Klinischen Sozialarbeit geben.
Neben diesem Überblick geht es ihnen freilich auch darum,
die in Deutschland mitunter immer noch Irritationen erzeugende Bezeichnung der Klinischen Sozialarbeit zu etablieren
und eindeutig zu definieren.
Bei diesem Vorhaben leisten sie etwas, was nicht nur hinsichtlich der Klinischen Sozialarbeit notwendig ist, sondern
der Sozialen Arbeit allgemein zugute kommt, sie umreißen
die besondere Perspektive des sozialarbeiterischen Blicks
und Handelns in Abgrenzung zu anderen Professionen (hier
insbesondere in Distanz zur biomedizinischen Perspektive).
Das, was das sozialarbeiterische Beobachten und Handeln
auszeichnet, ist nämlich die Betrachtung von Gesundheit und
Krankheit, ja von Lebensproblemen generell im bio-psychosozialen Modell (S. 21ff.), ist die bio-psycho-soziale Grund-
56
orientierung (S. 100). Im Gegensatz zur klassischen Medizin,
die als Ursache von psychischen und auch sozialen Leidensprozessen häufig allein biologische bzw. organische Faktoren
heranzieht und auf diese behandelnd fokussiert, wechselt
die Soziale Arbeit allgemein und die Klinische Sozialarbeit
speziell die Perspektive. Denn soziale Faktoren beeinflussen
den Körper und die Psyche maßgeblicher und sichtbarer, als
uns die klassische bio-medizinische Sicht offenbart: „Psychosoziale Erfahrungen initiieren molekulare Prozesse, die
die Entwicklung und Aufrechterhaltung des neurophysiologischen und immunologischen Gleichgewichts beeinflussen.
Soziale Bindungsbeziehungen sind ein notwendiger Regulator der Physiologie und der neurostrukturellen Entwicklung“
(S. 100).
Angesichts der Wirkung des Sozialen, Beziehungsmäßigen, Zwischenmenschlichen auf psychische und biologische
Prozesse, die sich ebenfalls mit der neueren Hirnforschung
belegen lässt,1 kann nicht nur die Klinische Sozialarbeit ihre
Notwendigkeit begründen, sondern Soziale Arbeit als Gestalterin und Anregerin sozialer Unterstützungsprozesse generell. Wenn dann noch das salutogenetische (S. 25ff.) bzw.
stärken- und ressourcenorientierte Denken und Handeln
ernsthaft in den Mittelpunkt von Theorie und Praxis gestellt
werden, verfügt die Soziale Arbeit über ein Fundament, das
auch in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche trägt.
Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass das Buch
von Geißler-Piltz, Mühlum und Pauls all jenen empfohlen werden kann, die sich für die Klinische Sozialarbeit interessieren
und sich rasch einen Überblick verschaffen wollen. Allerdings eignet es sich auch dafür, die besondere theoretische
und methodische Perspektive der Sozialen Arbeit kennen zu
lernen und zu erfahren, was es heißt, eine ressourcen- und
stärkenorientierte bio-psycho-soziale Perspektive im Netzwerk der Professionen der modernen Gesellschaft einzunehmen.
Heiko Kleve
Hochschullehrer / Fachhochschule Potsdam
1
Gerhard Roth (2003): Aus Sicht des Gehirns. Frankfurt/M.:
Suhrkamp.
Bildung als Chance. Ressourcenorientierte Biografiearbeit mit chronisch psychisch kranken
und drogenabhängigen Menschen
Horst Lazarus & Marianne Bosshard, Bonn 2005.
Unter diesem Titel ist ein Band im Psychiatrieverlag der beiden Lehrbuchautoren für Psychiatrie für SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen, Marianne Bosshard und Horst
Lazarus, erschienen. Und so erstaunt denn auch nicht der
stark systematische und damit auch didaktische Ansatz dieser Publikation, die Berichte aus dem Forschungsprojekt
„Bildung im Wandel“ mit einer Aufschließung des Bildungsbegriffes und eines Bildungsanliegens für die Soziale Arbeit
mit der Klientel chronisch psychisch kranker und drogenabhängiger Menschen verbindet.
Worum geht es? Was ist der rote Faden des Buches?
(apropos roter Faden: das in dezentem Dunkelblau gehaltene
Bändchen vereint auf seinem Cover vier Motive des zur neuen
Leipziger bildenden Kunst gehörigen Michael Touma. Aus
mehreren Farbstrichschichten, davon jeweils eine zur farblichen Belebung der äußeren Gestalt des Bändchen stark beitragende rote Farbstrich-oder Farbfadenschicht, bilden sich
vier Variationen eines Gesichtsschemas. Darstellung eines
Bildungsprozesses?)
Jedenfalls gibt es zunächst eine ideengeschichtliche Auffächerung dessen, was als Bildung gilt. Angefangen wird bei
Pisa und führt über ein philologisch-humanistisches Bildungsideal weiter zur moralischen Bindung von Bildung sich
selbst und anderen gegenüber, um schließlich über einen
Verweis auf unterschiedliche Bildungsmilieus hin zu einer für
das Buch zentralen Frage, nämlich welche Bildung die Soziale Arbeit fördern kann, zu kommen.
Die Beantwortung dieser Frage liegt in der Zusammenfassung der unterschiedlichen Bildungsanschauungen als eines
„Entfaltungs- und Entwicklungsprozess(es), der jeden Menschen als aktiv Handelnden persönlich wachsen lässt“. „Es
geht immer um aktives Sammeln von Erfahrungen, das mit
Freude und Erregung verbunden ist, es geht um Suchen und
Explorieren, um Verarbeiten und Verinnerlichen. Man könnte
auch sagen, Bildung dient dazu den Möglichkeitsraum eines
Menschen auszuloten.“ Mit diesem Satz wird übergeleitet zu
einer kurzen und klaren Abhandlung über Sterns und Winnicotts Theorien zur Säuglingsentwicklung und den damit
in Zusammenhang gebrachten Erklärungsmodellen, wie die
Möglichkeiten der Selbstentfaltung, des Bildungsprozesses
gelegt oder behindert werden.
Von hier aus wird schlüssig das bisher Entwickelte mit einem
salutogenetischen Konzept verbunden– Bildung als gesundheitsfördernde, sinnstiftend in den Lebenslauf eingeschriebene Ressource, als Quelle von Freude und Autonomie.
Soviel zur transdisziplinären Verknüpfung von Theoriefragmenten, die den Bericht über das Forschungsprojekt „Bildung im Wandel“ rahmen und bekräftigen.
Sprachlich lehnt sich der Text an den für die Sozialpsychiatrie
typischen einerseits übererklärenden andererseits unscharfen Jargon an, einen Jargon, den man nicht lieben muss, der
aber – so wenigstens Pfefferer-Wolf – die Offenheit des sozialpsychiatrischen Feldes konstituiert. Und von eben dieser
Offenheit zeugt der theoretische Ansatz der Arbeit.
Fünf von den sieben Kapiteln des Buches sind der Projektbeschreibung gewidmet und führen ein in die Methodik der
Bildungsprozessförderung als Ressource in der Sozialen
Arbeit. Krankheitsgeschichte und Bildungsgeschichte mit
Interessenschwerpunkten vor der Erkrankung und zum jetzigen Zeitpunkt werden sowohl in Begriffen wie „Bildungsanamnese“ und „Bildungsdiagnose“ als auch in Interviews
mit 18 psychisch kranken und/oder drogenabhängigen Menschen eingeführt. In der Genauigkeit und Reflektiertheit mit
der die Vorbereitung und Erhebung der Bildungsanamnese
abgehandelt wird, wird einem vermittelt, dass die Kunst des
Zuhörens keine Hexerei ist, sondern sich aus Handwerk und
Haltung ableitet, wohingegen die Auswertungen der Bildungsanamnesen soweit zusammengefasst sind, dass ihre
Interpretationen auch da, wo sie sich als Beispiel kleiden,
nicht immer nachvollziehbar sind. Der Text bewegt sich oft
zwischen Handlungsanweisung, Haltungsbekenntnis und
Forschungsbericht - eine Mixtur, die zwar möglicherweise
der Flüssigkeit des Textes dient, aber nicht ohne Irritation für
die Leserin ist, die beispielsweise vergebens in dem Literaturverzeichnis nach der Quellenangabe für die Ableitung des
für die projektinterne Logik wichtigen Bildungsmilieus der
Herkunftsfamilien sucht und stattdessen, bei dieser Suche,
darüber stolpert, dass das Literaturverzeichnis die alphabetische Ordnung nach „J“ aufgibt, um noch mal bei „D“ anzufangen.
Auch fragt man sich, warum man eigentlich nichts über die
genaue Zusammensetzung des Forscherteams erfährt, welche Rolle die Studierenden und welche die Lehrenden/Autoren hatten, fragt sich, ob die salutogene Wirksamkeit des
Projektes in der Aufdeckung der Bildungsbiografie allein
zu suchen ist oder auch in der Zuwendung und den Prozessen der Übertragung und Gegenübertragung, die das Forschungsprojekt, wie man es unschwer zwischen den Zeilen
lesen kann, mitgetragen haben. Denn trotz der bisherigen
kritischen Anmerkungen, muss man ganz klar hervorheben, dass die Arbeit von einer Zuwendung, Hinwendung, von
einem sich Zeit und Ernst und wörtlich nehmen, zeugt, und
aus der Konsequenz dieser Zuwendung auch die Einsicht
nicht scheut, dass Bildung und seelische Erkrankung sich
nicht ausschliessen und dass es entsprechend gebildetere
Kranke als Professionelle geben kann - was insgesamt einer
professionellen Demut nicht schlecht ansteht.
Und dennoch driftet die Arbeit nicht ab in eine Überschätzung
der Möglichkeiten, sondern behält einen wachen Blick für
57
kleine aber glückhafte Bildungsentwicklungen, etwa, wenn
in der letzten Bildungsbiografie des Buches die Geschichte
einer Frau wiedergegeben wird, die durch die bildungsbiografische Arbeit des Teams mit ihr zur Erstellung eines
Kochbuches als Verdichtung ihrer im Laufe ihres Lebens herausgebildeten Fähigkeiten geleitet wird.
Das in diesem Buch entworfene Bildungsverständnis der
Sozialen Arbeit könnte auch die Soziale Arbeit mit anderer
Klientel mit still gestellten Bildungsbiografien bereichern
und so ist zu hoffen, dass es noch in den nächsten Jahren zu
einem Bericht kommen wird, aus dem wir entnehmen können, wohin sich die angestoßenen Bildungsprozesse entwickelt haben.
Wiebke Willms
Gastdozentin / ASFH
Helfen in der Moderne und Postmoderne
Fragmente einer Topographie des Helfens, Jan Volker Wirth, Heidelberg 2005
Die Rede vom Helfen ist zentral in Theorie und Praxis helfender Professionen. Hier entdeckend fragt dieses Buch: Was
bedeutet helfen eigentlich? Und wie kann in einer heterogenen, pluralisierenden und ambivalenten, also postmodernen
Gesellschaft effizienter geholfen werden?
Auf der Distanzierung von einem Uneindeutigkeiten und
Widersprüchlichkeiten tabuisierenden Denken in Verbindung mit einer Dekonstruktion des Hilfebegriffs gründet eine
neue Auffassung vom Helfen. Dadurch werden professionellen Helfern zugleich innovative, vielleicht effektivere Handlungsoptionen angeboten.
Das Ergebnis ist frappierend, zumindest ernüchternd: Helfen
kann das nicht leisten, was es beabsichtigt. Was aber? Eben
etwas anderes.
58
Doch den Abstraktionsgrad der Studie wird der Leser zu
einem kreativ-initiierenden und eigenverantwortlichen
Umgang mit den hier entstehenden Deutungsräumen einer
zukünftigen Theorie postmodernen Helfens eingeladen.
Jan Volker Wirth absolvierte seine Studium der Sozialarbeit/
Sozialpädagogik an der SASFH Berlin.
alice-Redaktion
SCHIRMHERRSCHAFT:
BUNDESPRÄSIDENT HORST KÖHLER
3.– 5. Mai 2006 im
CCD. Congress Center
Düsseldorf
Mut zur sozi
sozialen
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antwort
antw
ortung!
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ung!
Vom 3.-5. Mai 2006 findet in
Düsseldorf der 77. Deutsche
Fürsorgetag statt. Unter dem
Motto „Mut zur sozialen Verantwortung!“ treffen sich Expertinnen und Experten aus allen
sozialen Arbeitsfeldern - der
Wissenschaft, Politik und Praxis
- zum Informations- und
Erfahrungsaustausch.
Deutscher Verein
für öffentliche und
private Fürsorge
Michaelkirchstr. 17/18 · 10179 Berlin
Tel.: (030) 6 29 80-616/617
Fax: (030) 6 29 80-650
E-Mail: [email protected]
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.deutscher-v
.deut
scher-verein.de
scher-v
erein.de
4 Symposien – 23 Workshops – Ausstellungen im Markt der Möglichkeiten
Symposium
Symposiu
m1
Umverteilen im Sozialstaat – Gerechtigkeit für morgen
Symposium
Symposiu
m2
Familie stärken: Neue Partnerschaften in der Bürgergesellschaft
Symposium
Symposiu
m3
Bildung, Betreuung und Erziehung als gemeinsame Aufgabe von Eltern,
Jugendhilfe und Schule
Symposium
Symposiu
m4
Wirkungen und Nachhaltigkeit sozialer Dienstleistungen
ß
ß
ß
ß
3OZIALEß!RBEITß
ß ß BRAUCHTßSYSTEMISCHESß$ENKEN
7OLFß2ITSCHERß(RSG
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UNDß*UGENDHILFE
!NREGUNGENßF~RßDIEß0RAXIS
ß3EITENß+Tß
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UNDß!NSTy†EßF~RßDENß"ERUFSALLTAGßBESONDERSß
VONß 3OZIALPiDAGOGENß UNDß 3OZIALARBEITERNß
-ITARBEITERNß IMß !LLGEMEINENß 3OZIALENß
$IENSTßINßDERß3OZIALVERWALTUNGßUNDßBEIßFREI
ENß4RiGERNß DERß7OHLFAHRTSP¾EGEß SOWIEß F~Rß
3TUDIERENDEßUNDß7EITERBILDUNGSKANDIDATENß
IMßSOZIALENß&ELD
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«3YSTEMISCHEß-ODELLEß
F~RßDIEßSOZIALEß!RBEIT
%INßINTEGRATIVESß,EHRBUCHß
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7OLFß2ITSCHERßHATßEINßGRUNDLEGENDESß(AND
BUCHß GESCHAFFENß DASß SOWOHLß EINEß THEORETI
SCHEß &UNDIERUNGß ALSß AUCHß VIELFiLTIGEß (AND
LUNGSMyGLICHKEITENß PRAXISNAHß VERMITTELTßß
$IESESß"UCHßHILFTßALLENßIMßPSYCHOSOZIALENß&ELDß
4iTIGENßSYSTEMISCHEßßUNDßFAMILIENORIENTIERTEß
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WERDENßZUßLASSEN
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«7OßKEINEß(OFFNUNGßISTß
MUSSßMANßSIEßER½NDEN
!UFSUCHENDEß&AMILIENTHERAPIE
ß3EITENß+Tßß!U¾ß
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-ARIE,UISEß #ONENß UNDß IHREß -ITAUTORENß
BESCHREIBENß INß DIESEMß "UCHß ZUMß EINENß DIEß
!NFORDERUNGENß DENENß SICHß DIEß BETEILIGTENß
(ELFERSYSTEMEßZUßSTELLENßHABENß:UMßANDERENß
ZEIGENß SIEß HILFREICHEß PRAKTISCHEß 3CHRITTEß F~Rß
&AMILIENTHERAPEUTENßUNDßANDEREßPROFESSIO
NELLEß(ELFERßIMß5MGANGßMITßÂ-ULTIPROBLEM
FAMILIEN±ßAUFß
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«6ERSTRICKTßIMßSOZIALENß.ETZ
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F~Rß-ULTIPROBLEM&AMLIEN
ß3EITENßß!BBß+Tß
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3YSTEMISCHEß3OZIALARBEITß
INßDERßGEMEINDENAHENß0SYCHIATRIE
ß3EITENß+Tß
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«-ULTIKULTURELLEßSYSTEMISCHEß0RAXIS
%INß2EISEF~HRERßF~Rß"ERATUNGß
4HERAPIEßUNDß3UPERVISION
ß3EITENßß&OTOSß+Tßß!U¾ß
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$ASß"UCHßVERBINDETßDENßALLGEMEINENß!NSATZß
DERß SYSTEMISCHSTRUKTURELLENß &AMILIENTHE
RAPIEß SOWIEß DESß !RBEITENSß MITß &AMILIENß
UNDß GRy†ERENß 3YSTEMENß MITß AUSF~HRLICHENß
KONKRETENß&ALLSTUDIENßZUßDENß!RBEITSFELDERNß
0¾EGEKINDERWESENß $ROGENTHERAPIEß (EIM
ERZIEHUNGß +INDERß UNDß *UGENDPSYCHIATRIEß
SOWIEßAMBULANTEßSOZIALEß$IENSTEß
嬧 EINß ENGAGIERTESß "UCHß ZURß GEMEINDENA
HENß 3OZIALARBEITß ¨ß %LISABETHß 3TINDL.EMECß
VERKN~PFTß MEHREREß &iDENß MITEINANDERß DENß
%RZiHLFADENßVONßIHRERßEIGENENßPROFESSIONELLENß
3UCHBEWEGUNGßIMßGEMEINDEPSYCHIATRISCHENß
&ELDß 3IEß STELLTß DIEß !USEINANDERSETZUNGß MITß
DEMß"EHINDERUNGSMODELLßDARßUNDßSTELLTßSYSTE
MISCHEß4HEORIEANSiTZEßUNDßIHRENßPRAKTISCHENß
%INSATZßVOR±ßßßßßßßßßßßßßßß0SYCHOSOZIALEß5MSCHAU
Â$ASß ERSTEß DEUTSCHSPRACHIGEß 0SYCHOTHERAPIE
BUCHß DASß MITß EINEMß SCHL~SSIGENß KONZEP
TIONELLENß !UFBAUß HILFREICHEß UNDß PRAKTISCHEß
!NTWORTENß F~Rß ALLEß RELEVANTENß "EREICHEß DERß
4HERAPIEß UNDß "ERATUNGß IMß MULTIKULTURELLENß
&ELDß ANBIETETß .ACHDEMß INß ANDERENß EUROPi
ISCHENß ,iNDERNß VERGLEICHBAREß7ERKEß BEREITSß
VORß*AHRENßERSCHIENENßSINDßF~LLENßDIEß!UTORENß
HIERMITßEINEßSEITßLANGEMßOFFENEß,~CKEßF~RßDIEß
DEUTSCHSPRACHIGENß,iNDER±
#ARL!UER߯ß$ERß6ERLAGßF~Rß3YSTEMISCHEß&ACHB~CHER
WWWCARLAUERDE߄ß/NLINEßIMß7EBSHOPßBESTELLT߯ßDEUTSCHLANDWEITßPORTOFREIßGELIEFERT
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