Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM) Heft 2: Rumänien.
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Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM) Heft 2: Rumänien.
Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM) Heft 2: Rumänien. Vor den Toren der Festung Europa. Verlag der Buchläden Schwarze Risse - Rote Straße Berlin / Göttingen, 1996 ISBN 3-924737-28-2 1 Inhalt Einleitung 3 Diffamiert - entrechtet - abgeschoben. Der Deportationsvertrag von 1992 9 Die rumänischen Grenzen 24 Sozialgefälle (zu Ungarn) Abgelegen (zur Ukraine) Nah dem Krieg (zu Serbien und Moldawien) Südgrenze (zu Bulgarien) Seegrenze Flughäfen. Das Abschiebegefängnis Otopeni Ökonomie der Migration Armut, Razzia und Abschiebung Investitionen von MigrantInnen Transport Asylpolitik, Ausländergesetz UNHCR und NGO´s Staatliche Stellen und zukünftige Gesetzgebung 31 36 37 39 40 41 49 50 68 76 78 80 85 Minderheitenpolitik und Pogrome 91 Anhang Statistik zu Asyl und Abschiebungen Bibliographie 107 111 2 Einleitung Flughafen Otopeni, Bukarest. Im Frühjahr 1995 gelingt es einem Mitarbeiter der FFM, in das Abschiebegefängnis hinein zu kommen, das im Herbst 1994 im Transitbereich des Flughafens eingerichtet wurde. Die Gefangenen sind zu diesem Zeitpunkt dort zum Teil bereits seit vier, fünf Monaten ohne jede gesetzliche Grundlage eingesperrt und haben keine Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen. Sie berichten von Polizeiübergriffen und beklagen die fehlende medizinische Versorgung. Die Fluggesellschaft TAROM versorge sie zudem nur unregelmäßig mit Nahrungsmitteln. Zwei Personen geben in Interviews gegenüber dem Mitarbeiter der FFM an, mit der Fluggesellschaft TAROM aus Ländern der EU abgeschoben worden zu sein, einer von ihnen, ein Afrikaner, berichtet von seinem Aufenthalt in Deutschland: "Vor einem Jahr bin ich nach Deutschland gekommen. Auf dem Flughafen Schönefeld bin ich gelandet und habe um Asyl gebeten. Sie haben mir kein Asyl gewährt. Statt dessen haben sie mich zehn Monate ins Gefängnis gesteckt. [...] Ärgerlich ist, daß ich die TAROM Fluglinie benutzt habe. Ich hatte einen Transit, und sie steckten mich [in Berlin] ins Gefängnis, weil ich ohne Visum nach Deutschland gekommen bin. [...] Nachdem sie mich dort zehn Monate eingesperrt hatten, brachten sie mich zurück, hierher nach Rumänien. Für die rumänische Regierung ist es sehr schlecht, daß sie das akzeptiert. Das ist doch nicht deren Problem, sondern ein deutsches Problem, zwischen mir und Deutschland. Wie kann Deutschland sagen, daß jemand, der dort ein Jahr festgehalten wurde, nun hierher zurück muß, daß Rumänien den annehmen muß?" Unsere Dokumentation über den Abschiebeknast Otopeni fand ein überraschend großes Medienecho 1. Die Veröffentlichung sorgte zudem für deutliche Reaktionen offizieller Stellen. So schaltetet sich der UNHCR, dessen Bukarester Verbindungsbüro sich bis dato bedeckt gehalten hatte, von Genf aus ein. Doch der 1 Frankfurter Rundschau, Dokumentations-Seite, 5.5.95; Videoaufnahmen im Rahmen eines halbstündigen Films ("Bukarester Protokolle"), ausgestrahlt von Kanal 4 am 20.8.95 3 Erfolg ist bescheiden. Das Gefängnis mußte zwar geschlossen werden, die Gefangenen dürfen die Transitzone auf dem Flughafen jedoch weiterhin nicht verlassen. Bei der Recherche wurde deutlich, daß die rumänische Regierung von der Bundesregierung bedrängt wird, sogenannte Drittstaatler aufzunehmen, obwohl sie vertraglich dazu nicht verpflichtet ist. Kürzlich wurde darüber hinaus bekannt, daß die Bundesrepublik Deutschland mit den Regierungen Rumäniens und Albaniens über sogenannte Durchbeförderungsvereinbarungen verhandelt. Damit würden Kettenabschiebungen, die von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen bereits mehrfach nachgewiesen werden konnten, legalisiert. Hiermit legen wir nun den gesamten Bericht über unsere Recherche-Aufenthalte in Rumänien im März/April und August 1995 vor. Im Mittelpunkt der Recherchen stehen zwei Themen: Die Situation der abgeschobenen RumänInnen, insbesondere der Roma, sowie die Lebensbedingungen von asiatischen und afrikanischen MigrantInnen und Flüchtlingen. Für sie ist Rumänien zu einem unfreiwilligen Wartesaal geworden. Zahlreiche Gespräche, Interviews und Beobachtungen, die wir vor allem in den Regionen Bukarest, Craiova und Braºov machen konnten, bilden die Grundlage für dieses Heft. Im Unterschied zur Lage im Banat und in Siebenbürgen sind die Verhältnisse in Südrumänien - in der Hauptstadt Bukarest und der Wallachei - in Westeuropa kaum bekannt. Für Roma und TransitmigrantInnen sind diese Regionen jedoch besonders wichtig, als Orte des Aufenthalts und der sozialen Organisation. Bei der Aufarbeitung des Materials konnten wir nur auf wenige Veröffentlichungen zum Abschiebesystem der BRD nach Rumänien zurückgreifen. Es ist überraschend, daß bisher keine Gruppe oder Einrichtung einen Überblick zu den Abschiebungen nach Rumänien vorgelegt hat. Die Länder der Europäischen Gemeinschaft haben Rumänien Anfang der 90er Jahre zum verfolgungsfreien Land erklärt. Damit verschwand es auch aus den Nachrichten. So gibt es bis heute weder gesicherte Informationen über das genaue Ausmaß der Abschiebungen nach Rumänien noch über das Schicksal der Abgeschobenen. Dieses Defizit scheint eine Folge der Abschottungspolitik zu sein: Rumänien ist das Land, in das der Bundesgrenzschutz und die Ausländerbehörden der Bundesrepublik die meisten Menschen abgeschoben haben und weiterhin 4 abschieben. So ist es naheliegend, daß jede Aufmerksamkeit den reibungslosen Ablauf der Massenabschiebungen stören würde. Mehr als die Hälfte aller aus der BRD Abgeschobenen wurden nach Rumänien deportiert, schätzungsweise 85.000 Menschen. Diesen müssen jedoch mindestens 100.000 Personen hinzugerechnet werden, die - von der BRD finanziert - von den polnischen, tschechischen und ungarischen Behörden nach Rumänien zurückgeschoben wurden. 2 Berücksichtigen wir die Abschiebungen aus Österreich, Frankreich und Italien nach Rumänien, wird die Zahl inzwischen 200.000 weit überschritten haben. Und noch eine andere Tatsache ist an dieser Stelle zu nennen: Viele zehntausend Menschen aus Rumänien sind seit dem 1.11.92 "freiwillig" aus Deutschland ausgereist, um einer angedrohten Abschiebung zuvorzukommen, die ein fünfjähriges Einreiseverbot für die Bundesrepublik und die übrigen Schengenstaaten3 nach sich ziehen würde. Als am 24.9.92 - einen Monat nach dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen - das deutsch-rumänische Rückübernahmeabkommen unterzeichnet wurde, gab es noch internationale Proteste. In Vorahnung der damit verbundenen organisierten Unmenschlichkeit wurde in unterschiedlichen politischen Lagern von einem Deportationsabkommen gesprochen, denn der Vertrag steht in der Tradition der berüchtigten Zigeunerprotokolle, mit denen das Deutsche Reich die Zuwanderung von Roma aus Südosteuropa bekämpft hatte. Um auf den Zusammenhang von Pogrom und Deportation und auf die Verfolgung von Juden, Sinti und Roma während der Naziherrschaft hinzuweisen, wollten französische Juden am 19.10.92 am Rostocker Rathaus eine Gedenktafel anbringen. Dabei wurden drei Personen der Aktionsgruppe verhaftet und zehn Tage in Haft gehalten. In Paris fanden daraufhin Tag für Tag Demonstrationen vor der deutschen Botschaft und der Deutschen Bank statt, bei denen unzählige Scheiben zu Bruch gingen. Der Versuch, auf diese Weise in Rostock auf den historischen Hintergrund des Abkommens hinzuweisen, blieb allerdings die einzige Aktion gegen die einsetzenden Massenabschiebungen nach Rumänien, die größte Abschiebewelle in der Geschichte der Bundesrepublik und Westeuropas. 2 Als Anhaltspunkte können dienen: 56.179 RumänInnen wurden zwischen 1/1990 und 4/1994 aus Ungarn abgeschoben (IOM Transit Programme in Hungary, 12/94, S. 17), 39.000 RumänInnen wurden zwischen 1/1990 und 12/1993 aus Polen abgeschoben (FFM, Gegen die Festung Europa, Heft 1, S. 20) 3 seit dem 26.3.95, dem Tag des Inkrafttretens des Schengener Abkommens 5 Es sei daran erinnert, daß die Bundesregierung vor 1989 eine andere Flüchtlingspolitik betrieben und die Auswanderung deutschstämmiger Aussiedler auch aus Rumänien gefördert hatte, für ein Kopfgeld von 10.000 Mark an Ceauºescus Regierung. Schließlich hatte die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Ost-West-Konfliktes ein politisches Interesse an der Auswanderung der Aussiedler. Die ökonomisch durchgerechneten Kontingente wurden in zwischenstaatlichen Verhandlungen festgelegt. Von 1977 bis 1992 verließen rund 230.000 Rumäniendeutsche das Land. Als im Dezember 1989 auch in Rumänien über Nacht die Grenzen fielen, erreichte die Auswanderung der Aussiedler im Folgejahr ihren Höhepunkt. Die Menschen, die ihnen folgten, waren dagegen von Anbeginn an unerwünscht. Selbst die sogenannten Reintegrationsprojekte, zu deren Aufbau in Rumänien sich die Bundesregierung verpflichtete, sind in Wirklichkeit nicht für Abgeschobene und Rückkehrer gedacht. Sie dienen stattdessen dem Ausbau des wirtschaftspolitischen und kulturellen Einflusses der BRD in Rumänien - speziell im Banat und in Siebenbürgen, dem Herkunftsgebiet der Rumäniendeutschen. Die Verdammung in die Armut kennzeichnet seit der 1989er Kehrtwende die bundesdeutschen Migrationspolitik gegenüber Rumänien. Die Armut am Rande Europas wurde dabei zum politischen Instrument. Sollten vor 1989 die hungernden rumänischen Waisenkinder, die durch die bundesdeutschen Medien gingen, noch in ihrer Darstellung sozialromantisierend wirken und zu Spenden animieren, so haben ganz ähnliche Bilder in der Zeit nach 1989 eine völlig veränderte Botschaft: Sie sollen abschrecken. Denn Rumänien ist - neben Albanien - zu einem gefürchteten Land geworden. Einmal nach Westeuropa gelangt, sehen sich rumänische Flüchtlinge und MigrantInnen mit dem Stigma der Armut konfrontiert. Die Kampagnen gegen die sogenannte organisierte Kriminalität, das Betteln und den "Asylmißbrauch" haben ihren Teil dazu beigetragen, das Verhältnis zur Armut in Westeuropa und insgesamt gegenüber Südosteuropa zu verändern. Thema des Heftes ist auch die Stigmatisierung von Flüchtlingen und MigrantInnen, die aus Asien und Afrika nach Westeuropa kommen. Viele von ihnen nehmen den Weg über Bukarest, denn Rumänien ist zu einen wichtigen Brückenkopf für Menschen aus dem Nahen und Fernen Osten geworden. Diese Menschen knüpfen auf ihre Art an die wirtschaftliche Verbindungen an, die in den 60er und 70er Jahre entstanden sind. Damals schloß die rumänische Regierung eine ganze Reihe von Wirtschafts- und Kooperationsverträgen mit der Türkei und anderen Staaten des 6 Nahen Ostens. Ehemalige Studenten und Kleinst-Unternehmer aus verschiedenen trikotinentalen Ländern haben dort nach 1989 eine minimale selbstständige Wirtschaftsbasis geschaffen, die den Neuankommenden zum Überleben in Armut notdürftig reicht. Man halte sich vor Augen: Der durchschnittliche Lohn für RumänInnen liegt derzeit bei umgerechnet hundert bis hundertzwanzig Mark, die Preise sind nah den westeuropäischen, und so sind die verwandtschaftlichen Verbindungen für die Lebensmittelversorgung jeder rumänischen Familie eine große Stütze. Für TransitmigrantInnen hingegen ist es so gut wie unmöglich, den Durchschnittslohn zu erlangen, und Verbindungen zur rumänischen Landwirtschaft haben sie auch nicht - so blieb ihnen vor diesem Hintergrund nicht viel anderes, als sich die entstehende Kleinökonomie zur kargen Überlebensbasis auszubauen. Dem ersten Heft der FFM hatten wir die Bemerkung vorausgeschickt, daß Migrationsbewegungen zugleich defensive und revolutionäre Triebkräfte enthalten. Sie sind eine Folge von Vertreibung, aber zugleich auch der Suche nach einem besseren Leben. Angesichts der miserablen Verhältnisse, unter denen TransitmigrantInnen aus den drei Kontinenten in Rumänien leben müssen, mag diese allgemeine Feststellung allerdings wie Hohn erscheinen. Denn die Lebensbedingungen in den Außenbezirken von Bukarest ähneln in ihrer sozialen Dramatik denen von Istanbul, Teheran oder Buenos Aires. Für viele ist Rumänien somit zu einer Duchgangsstation geworden, in der das Überleben auf Monate, ja sogar Jahre in Armut selbstorganisiert werden muß. Je mehr Rumänien in die arme Peripherie gedrückt wird, desto sicherer wird der Aufenthalt der Reisenden dort nur vorläufig sein. Die wirtschaftliche Selbstorganisation der MigrantInnen ist schon jetzt durch Razzien und Übergriffe gefährdet. Vielen droht permanent die Beschlagnahme von Handelswaren, bei Festnahme die Abschiebung. Der Export des westeuropäischen Abschiebesystems - der sogenannte Domino-Effekt -, die restriktiven VisaBestimmungen für "Länder mit hohem Migrationsrisiko", die Carrier Sanctions gegen Fluggesellschaften sowie die Asyl- und Aufenthaltsgesetze werden bereits jetzt von deutschen Vorlagen abgeschrieben und institutionalisiert. Doch trotz aller Restriktionen, Razzien und Abschiebegefängnisse wird Rumänien als Armutsland auch weiterhin unkontrollierbarer sein als die Kernländer der Europäischen Union. So wird es für Flüchtlinge und MigrantInnen ein Transitland zwischen Hunger und Überleben, zwischen Abschieberisiko und Fluchthilfe bleiben. 7 Uns geht es darum, den Aufbruch der Menschen, die die Grenzziehungen zwischen der verarmten Peripherie im Südosten und dem abgeschotteten Westeuropa durchbrochen haben, sichtbar zu machen. Die Frage, wie der sozialen Aufteilung Europas an der Seite der MigrantInnen langfristig entgegengearbeitet werden kann, steht im Zentrum unseres Interesses. Wir möchten die verschiedenen Gruppen (Roma / Nicht-Roma-RumänInnen / TransitmigrantInnen und Pogromflüchtlinge / Armutsflüchtlinge / MigrantInnen) in unserem Bericht nicht in die Kategorien aufspalten, die Ausländergesetze und nationalstaatliche Vorgaben nahelegen, denn wir maßen uns nicht an, zwischen Flüchtlingen und MigrantInnen zu unterscheiden. Gerade angesichts der sozialen und rassistischen Ausgrenzungen, die auch in Rumänien seit 1989 enorm forciert wurden, halten wir es für verhängnisvoll, die offensichtlich transnationalen Gruppen nach ihrem Paß oder nach ethnischen Zuschreibungen zu kategorisieren. Die vorliegende Darstellung orientiert sich vor allem an den neuen Grenzrealitäten und -erfahrungen sowie an dem Zusammenhang von ausgrenzenden Migrationsregimes und sozialem Aufbruch in Rumänien. Die organisierte Unmenschlichkeit der deutschen Flüchtlingspolitik - so kann nach der Recherche in Rumänien festgestellt werden - ist nach Einführung des Rückübernahmeabkommens Bonn-Bukarest im November 1992 und der Einführung der Carrier Sanctions gegen Fluggesellschaften am rumänischen Beispiel besonders deutlich geworden. Rumänien, als sicheres Herkunftsland deklariert, ist entgegen aller regierungsoffiziellen Beteuerungen nach den Pogromen gegen Roma und den Abschiebungen Flüchtlingsarbeit, fernab der die diese Öffentlichkeit Folgen der kein sicherer europäischen Zufluchtsort. Eine Abschottungspolitik berücksichtigen will, müßte eine grenzübergreifende Arbeit beginnen und ein Kontakt- und Kommunikationsnetz mit MigrantInnen und deren Selbstorganisationen aufbauen. Das wäre die Voraussetzung dafür, daß die Folgen der Abschiebungen wieder sichtbar werden und Protest entwickelt werden kann, der in aktuelle politische Prozesse eingreift. Erst dann wird es vorstellbar, daß solidarische Arbeit auf den Fluchtwegen selbst aktiv wird. So soll dieses Heft - wie auch das zu Polen - nicht nur der Gegenöffentlichkeit dienen, sondern auch der konkreten politischen 8 Auseinandersetzung. Die Massenabschiebungen haben nicht das Ende der Geschichte der Einwanderung eingeleitet, sondern stehen an deren Anfang. Diffamiert - entrechtet - abgeschoben Der Deportationsvertrag von 1992 1990 wurden im Bonner Innenministerium erstmals Pläne für Massenabschiebungen nach Rumänien diskutiert und ab Februar 1991 mit rumänischen Ministerien abgesprochen.4 Gleichzeitig wurde in der Öffentlichkeit das Klima dafür vorbereitet. Der Spiegel5 schrieb in einer markigen Titelgeschichte, es "werden - wie etwa vergangenen Dienstag mit dem Flug LH 1424 - ganze Flugzeugladungen illegal eingereister Roma wieder in ihr Herkunftsland [Rumänien] zurückexpeditiert." Der damalige Kanzlerkandidat der SPD, Oskar Lafontaine, plädierte für eine tiefgreifende Asylrechtsänderung, unter anderem für die Einführung einer Länderliste. Demnach würden Personen aus Rumänien pauschal als "unerwünschte Ausländer" auf den Index kommen. Im Sommer starteten nordrheinwestfälische Oberbürgermeister eine Initiative zur Vertreibung der Roma. Ihr Motto: "Die Städte sind am Ende". Sie verlangten "den sofortigen Stopp des Romatrecks"6. Im saarländischen Lebach entgingen zur gleichen Zeit 2.400 Roma knapp einem Pogrom. In diesem Wechselspiel zwischen Medien, Politikern und offenem Rassismus auf der Straße wurde in der Bundesrepublik die rasche Illegalisierung rumänischer 4 siehe die "Expertengespräche" zur Migrationsbekämpfung, die das Bundesinnenministerium mit rumänischen Ministerien ab Februar 1991 geführt hat, aufgelistet in: Protokoll über die Errichtung von Ausbildungszentren in Rumänien im Rahmen des Rückkehrförderungs- und Reintegrationsprogramms des BMI der BRD, Bonn 20.1.92 5 3.9.90, Titelgeschichte 6 ebda 9 StaatsbürgerInnen durchgesetzt. Die erste Restriktion war die Visapflicht für RumänInnen. 7 Von nun ab wurden die Illegalisierten ohne jegliche Rechtsgrundlage im polizeilichen Schnellverfahren abgeschoben. Anfang Dezember 1990 initiierte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor zudem erneut eine Kampagne gegen mehrere tausend Roma aus Exjugoslawien, die gegen ihre Abschiebung kämpften. Doch statt ihnen das Bleiberecht zu gewähren, entwickelte das Land NRW das sogenannte "Reintegrationsprogramm Skopje". Dieses speziell für Roma entwickelte Abschiebeprogramm nach Mazedonien, von Schnoor stolz als ´neue Flüchtlingspolitik´ präsentiert, sollte in den folgenden Jahren völlig scheitern. 8 Auch 1991 gingen die Abschiebungen rumänischer StaatsbürgerInnen ohne vertragliche Grundlage weiter - direkt nach Rumänien oder nach Polen und in die Tschechoslowakei. Doch die Nachbarländer der Bundesrepublik sorgten für einen zeitweiligen Stop dieser Praxis. Die Folgekosten hatten zu diplomatischen Verstimmungen geführt. So rechnete die Regierung der CSSR im August 1991 vor, daß sie die Aufnahme von 800 aus der Bundesrepublik abgeschobenen RumänInnen 87.000 Mark gekostet habe.9 Seit April des folgenden Jahres ließ die Landesregierung von MecklenburgVorpommern die Situation an der Zentralen Aufnahmestelle (ZAST) in RostockLichtenhagen eskalieren. Weil die Behörde sich zunächst wochen-, dann monatelang geweigert hatte, die Flüchtlinge und MigrantInnen anzuhören und unterzubringen, waren sie gezwungen, auf dem Rasen vor der ZAST zu lagern, die in einem Wohnblock der Trabantenstadt untergebracht war. Regierung, Neonazis und Medien schürten den Haß gegen die Zufluchtsuchenden, darunter überwiegend Roma aus Rumänien. Die Folgen, das Pogrom vom August 1992, sind bekannt. Im Vorfeld des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen wurden zwei rumänische Roma erschossen, Grigore Velcu, Vater von sieben Kindern, mit einem Kopfschuß, und Lagu Idage Calda, der nach wenigen Stunden seinen Schußverletzungen erlag. Der Ort des Verbrechens: Ein Feld bei Nadrensee in Mecklenburg-Vorpommern, drei 7 Die Visapflicht für Bürger aus Rumänien für die Einreise in die DDR und Westberlin galt ab dem 20.9.90. Für die Einreise in die DDR und West-Berlin hatten bis dahin noch Sonderbestimmungen gegolten (die BKO 7/67 der alliierten Kontrollmächte hatte garantiert, daß sich TouristInnen aus Osteuropa ohne Visum 31 Tage lang in Westberlin aufhalten konnten.) Mitte September 1990 beschloß die alliierte Vierergruppe in Bonn, diese Berliner Sonderregelung generell ab 3. Oktober aufzuheben, für RumänInnen und BulgarInnen aber schon etwas früher, siehe taz 17.9.90 8 Günther Glocksin, Rückkehr oder Rausschmiß, in: blätter des iz3w Nr. 203, Feb. 95, S. 43 9 SZ 2.8.91 10 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. Die Täter: Zwei Jäger, Gerhard R. und Werner K. - ein ehemaliger Polizeichef - , mit Fahrer J. Der Hergang ist der Staatsanwaltschaft bekannt, es gibt viele Zeugen: Eine Gruppe von zwanzig Roma aus der Stadt Craiova hatte nachts die Grenze überquert. Die Jäger schossen am Morgen des 29.6.92 auf sie, darunter Frauen und Kinder, als sie sich in einem Maisfeld verstecken wollten. Nach den Schüssen erhoben die nichtgetroffenen Roma die Hände und gingen auf die Schützen zu. Diese flohen. Die Überlebenden zogen sich über die Grenze zurück. Bauern fanden den Toten und den Sterbenden wenige Stunden später. Kurze Zeit brannte das Feld, auf dem noch die beiden lagen. - Bis heute wurden die Ermittlungen verschleppt, gegen die Täter wurde kein Prozeß eröffnet. Die Witwe Velcu und zahlreiche Zeugen leben heute wieder in Craiova. Mitte September 1992 - wenige Wochen nach dem Pogrom in RostockLichtenhagen - erschien fast zeitgleich mit der Verabschiedung des deutschrumänischen Deportationsabkommens wie auf Bestellung eine Studie des Kölner Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien über Roma in Rumänien. 10 Schon in der Vorbemerkung kommt der Autor zur Sache: Das Begehren nach politischem Asyl sei bei ihnen "zu hundert Prozent unbegründet". Sie seien auf einer archaischen Stufe stehengeblieben, hätten keine Kulturzeugnisse vorzuweisen, seien "naive Randfiguren bei allem, was das Land [Rumänien] wirklich bewegte." Aus der Zeit des 2. Weltkriegs seien keine schwerwiegenden Übergriffe auf die rumänischen Roma bekannt geworden. Tatsächlich waren der faschistischen Herrschaft in Rumänien annähernd 36.000 Roma zum Opfer gefallen. Das von den Innenministern beider Länder, Rudolf Seiters und Victor Babiuc, am 24. September in Bukarest unterzeichnete "Rückübernahmeabkommen" trat bereits am 1. November 1992 in Kraft. In der langen Reihe vergleichbarer Abkommen nimmt es eine Sonderstellung ein, denn es ermöglicht die "Rückführung" rumänischer Staatsangehöriger ohne Grenzübertrittsdokumente. Es genügt ein Zeuge, der die Staatsangehörigkeit der betreffenden Person glaubhaft machen kann.11 Auch die kurze Zeitspanne, die zwischen Rückübernahme-Ersuchen und Abschiebung liegt, ist beispiellos. Es kann, wie es im Artikel 8 des Protokolls zur Durchführung der 10 Wolf Oschlies, ´Romii´ oder ´Tigani´. Versuch über Geschichte, Gegenwart und soziale Probleme der Zigeuner Rumäniens, Köln 1992 11 BGBl 93, Teil II, S. 222 f. 11 Vereinbarung vom 28.10.1992 heißt, sogar "ohne vorherige Ankündigungen" abgeschoben werden.12 Die Adresse der Behörde, die auf rumänischer Seite für die Koordination der Rückübernahmen zuständig ist, hat sich im Zusammenhang mit einer Massenabschiebung von 92 Tamilen und Singhalesen am 17.2.1994 nach Colombo bereits einen berüchtigten Namen gemacht (siehe unten). In der Bukarester Strada Nicolae Iorga Nr. 29, dem Sitz der Directia Generala de Pasapoarte ºi a Poliþiei de Frontiera, laufen die Fäden für Abschiebungen nach und aus Rumänien zusammen. Dort gibt es entsprechend dem Durchführungsprotokoll des Deportationsvertrages mit der Bundesrepublik ein rotes Telefon13 zur Koblenzer Direktion des Bundesgrenzschutzes. Dieser heiße Draht wird häufig benutzt, denn nach wie vor fliegen fast jeden Tag Maschinen mit Abgeschobenen an Bord von deutschen Flughäfen nach Bukarest. Neben dem Informationsaustausch über bevorstehende Abschiebungen sind für den BGS sicherlich auch Abschiebungen aus Rumänien von Interesse. "Deutsche Stellen können Rumänen mit der Lufthansa abschieben. Die Lufthansa fliegt Bukarest fünfmal in der Woche von Frankfurt und täglich von München aus an. Deutsche Abschiebungsbehörden arbeiten u.a. mit rumänischen Chartergesellschaften wie ´ROMAVIA´und ´JARO´ zusammen [...] Rückschiebungen bei der illegalen Einreise aufgegriffener Rumänen finden regelmäßig vom Flughafen Berlin-Schönefeld statt."14 Die Koordination zwischen deutschen und rumänischen Stellen läuft wie geschmiert: Während vormittags BGS-Busse die Posten der Grenzregionen von Oder und Neiße abfahren und die Gefangenen einsammeln, startet von Bukarest eine fast leere Maschine. An Bord sind neben der Crew noch eine Handvoll Privatpolizisten der Fluggesellschaft. Am Nachmittag treffen die BGS-Busse pünktlich zur Landung der Flieger in Berlin-Schönefeld ein. Die Maschinen starten zwischen 20 12 Artikel 3: "Im Falle der Übergabe der betroffenen Person auf dem Luftweg ist kein Reisedokument erforderlich." Artikel 4: Das Rückübernahme-Ersuchen muß folgende Angaben enthalten: Vorname, Name, Geburtsdatum und Ort sowie letzter Wohnort im Hoheitsgebiet der ersuchten Vertragspartei, und "die Bezeichnung der Nachweis- oder Glaubhaftmachungsmittel für die Staatsangehörigkeit". Artikel 7: "Die ersuchte Vertragspartei übernimmt die zu übernehmende Person im Regelfall unverzüglich, möglichst innerhalb von drei Arbeitstagen." Artikel 8: "Unbegleitete Rückführungen von bis zu fünf Personen werden ohne vorherige Ankündigungen vorgenommen." 13 Auf rumänischer Seite: Tel. Nr.: 004000-596611, Fax Nr.: 00400-121500, auf BGS-Seite: Tel. Nr: 0261-399-113 (Sachgebiet I/12), -250 (Fahndungs- und Lagezentrale), Fax Nr.: 0261-399-472. 12 und 22 Uhr von Rampe 3. An manchen Tagen überschreitet die Zahl der abgeschobenen RumänInnen 200 Personen. Für den Flug nach Bukarest nehmen die Ausländerbehörden Personen, die abgeschoben werden sollen, nach Möglichkeit rund tausend Mark ab. Über jede Abschiebung aus der Bundesrepublik wird zudem akribisch Buch geführt und diese als "Zurückschiebung" oder "Abschiebung" und - in seltenen Fällen - als "freiwillige Repatriierung" klassifiziert. Der Name und personenbezogene Daten werden im Ausländerzentralregister (AZR) und im Schengener-Informations-System (SIS) gespeichert. Neben den Transportkosten werden auch die genauen Umstände der Abschiebung notiert: Sind BGS-Beamten mitgereist? Ist Polizei der Länder eingesetzt worden, in die abgeschoben wird? Die Computerdaten werden bei der Visa-Erteilung abgefragt: Bei Abgeschobenen ist ein fünfjähriges Einreiseverbot vermerkt. Trotz behördlicher Datensammelwut war im Herbst 1992 noch nicht abzusehen, wieviele Menschen dieses Abkommen tatsächlich betreffen würde. Klar war nur, daß die größte Massenabschiebung in der Geschichte der Bundesrepublik vorbereitet wurde. Die PDS, die neben vielen anderen Gruppen in der Bundesrepublik gegen das Abkommen protestiert hatte, rechnete mit 30.00015, die Bildzeitung mit 43.00016, die Deutsche Botschaft in Bukarest mit 60.000 17 und Innenminister Seiters sogar mit 100.000 Personen, darunter 60.000 Roma18, die infolge des "Rückübernahmevertrages" direkt abgeschoben würden. So wurde seit dem 1.11.92 an rumänischen Asylbewerbern in großem Stil praktiziert, was erst durch die faktische Abschaffung des Asylrechts Mitte 1993 legalisiert wurde: Flüchtlinge, die in die BRD kamen und auf dem Weg zur ZAST vom BGS festgenommen wurden, hatten in der Regel keine Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen. Der BGS beförderte sie direkt zum Flughafen. Damit blieb ihnen der Rechtsweg verwehrt. Doch erst mit der Asylrechtsänderung wurde Rumänien zum "sicheren Herkunftsland" erklärt. Der Deportationsvertrag führte nach Berichten von Beratungsstellen auch an den Grenzen zu einer Brutalisierung der Abschiebepraxis. "Ein Beispiel, das mir als besonders grausam in Erinnerung ist, ereignete sich im Februar letzten Jahres [1993] 14 Lagebericht des Auswärtigen Amts vom Februar 1995, S.9. 15 Ulla Jelpke, Pressedienst PDS-Linke Liste Nr. 573, 24.9.92 16 Bild, 17.9.92 17 FR 15.11.92 18 New York Times, 25.9.92, ap 24.9.92 13 im Grenzbahnhof Frankfurt/Oder. Ein Zug aus Rumänien fuhr sehr spät abends ein. Fünf Personen, Mann, Frau und Kind und zwei andere Personen, sprangen aus dem Gepäckabteil des Zuges. Sofort wurden sie von bewaffneten Beamten des BGS umringt, denn alle Rumänen, die kein Touristenvisum besitzen, befinden sich illegal in der BRD. Obwohl es geschneit hatte und sehr kalt war, mußten sich die Leute auf den Boden legen, auch die Frau, die im achten Monat schwanger war. Wie mir die Frau später berichtete, mußten sie eine halbe Stunde auf dem Bahnsteig liegenbleiben, bevor sie zum Polizeirevier abgeführt wurden. Dort mußten sie die ganze Nacht auf dem Flur verbringen, wurden ab und zu befragt, aber immer wieder gehindert, einen Asylantrag zu stellen. Als bei der Frau um vier Uhr morgens die Wehen einsetzten, wurde sie in Frankfurt a.d.O. ins Krankenhaus gebracht. Am nächsten Tag - ihr Kind kam durch Kaiserschnitt zur Welt - wollte sie ihren Mann und ihr Kind sehen, worauf man ihr mitteilte, daß diese abgeschoben waren. Nachdem sie 15 Tage im Krankenhaus gelegen hatte, kamen Polizisten an ihr Bett und sagten, daß sie mitkommen müsse, da sie ebenfalls abgeschoben werde. Obwohl sie wiederholt betont hatte, sie möchte einen Asylantrag stellen, was aber nicht registriert wurde, wurde sie zusammen mit ihrem Baby, das ein Geburtsschild mit der Aufschrift ´Der Weg ins Leben´ um den Hals trug, zum Flughafen Schönefeld gebracht. Erst dort reagierte man positiv auf den Wunsch der Frau, die noch geblutet hat und überhaupt nicht reisefähig war, einen Asylantrag zu stellen. [...] Kollegen anderer Beratungsstellen, z.B. aus Eisenhüttenstadt, bestätigen, daß ihr mehrmals ein Asylantrag verweigert wurde." 19 Nach und nach wurde die Praxis, Roma-Familien bei ihrer Ankunft voneinander zu trennen und auf verschiedene Bundesländer zu verteilen, zur institutionalisierten Grausamkeit. Selbst schwere Krankheiten, die in Rumänien wegen der miserablen Gesundheitsversorgung nicht behandelt werden können, gelten nicht mehr als Abschiebehindernisse. Die Liste der alltäglichen Unmenschlichkeiten ist lang, in jeder Beratungsstelle in den Großstädten der BRD gehört das Wissen darüber zum Alltag. Seit Inkrafttreten des Deportationsvertrages ist zudem eine restriktivere Erteilung von Visa zu beobachten. Die deutsche Botschaft in Bukarest lehne zunehmend VisaAnträgen ab, berichten Beobachter. Obwohl für Fragen der Visarestriktionen eigentlich die Ausländerreferentenbesprechung des Auswärtigen Amtes zuständig 19 Garrer, Hanneke, "Ihr klaut uns die Erde", Interview, in: Asylrecht in Deutschland und Europa. Reader zum Basso-Tribunal. Tribunal zum Asylrecht in Europa. 8.-12.12.94, Berlin, S. 35 f. 14 ist, wird ein wachsender Einfluß des Bonner Innenministeriums registriert. So beschwerte sich das Innenministerium Ende November 1992 beim Auswärtigen Amt über die angeblich zu großzügige Vergabe von Visa durch die Deutsche Botschaft in Bukarest. Danach kämen 85 Prozent der Asylbewerber mit einem Visum - also legal ins Land.20 Neben der oben genannten Aktion französischer Juden in Rostock kam es am 28.4.93 zu einer Protestkundgebung gegen den Deportationsvertrag am Flughafen Berlin Schönefeld. Auch Verbände und Gruppen wie der Roma National Congress (RNC) und 56 Abgeordnete des amerikanischen Repräsentantenhauses protestierten gegen das Vertragswerk. 21. Das Europaparlament 22 bezeichnete das Abkommen zudem als staatliche Gewalt gegen Roma und bezifferte die deutschen Gegenleistungen auf eine Milliarde DM. Auch in Rumänien Deportationsabkommens gab zahlreiche es anläßlich kritische des Reaktionen Inkrafttretens des und von Proteste Menschenrechtsgruppen. Selbst von offiziellen Stellen waren kritische Stimmen zu vernehmen: "Der stellvertretende Chef der Einwanderungsabteilung im rumänischen Innenministerium, Alexandru Iacob, hat die Ausweisung rumänischer Asylbewerber aus Deutschland als schwere Menschenrechtsverletzung kritisiert." 23 Zugleich mußte man aber befürchten, daß rumänische Polizeidienststellen die Abschiebung rumänischer Staatsbürger aus Deutschland zum Anlaß nehmen könnten, um deren Entrechtung im eigenen Land fortzuführen. Tatsächlich wurde im Bukarester Innenministerium für die "Repatriierung" ein Sonderkommando zusammengestellt, "um die Rückkehr der mehreren zehntausend Menschen zu überwachen. Rückkehrer werden von der Polizei in ihre Heimatorte eskortiert." 24 Im November 1992 gründeten Romani CRISS, die Stiftung Aven Amentza für die Emanzipation und Integration der Roma, Helsinki Watch, LADO (Liga für die Verteidigung der Menschenrechte) und der Verein Junge Generation der Roma eine Gruppe zur Beobachtung des deutsch-rumänischen Abkommens mit dem Ziel, die Abgeschobenen bei ihrer Ankunft in Bukarest zu befragen und eine kontinuierliche Gegenöffentlichkeit über die Praxis der Abschiebungen aufzubauen. Nach wenigen 20 Agenturmeldung vom 20.11.92 21 13. August 92 22 April 1994 23 FR 5.11.92 15 Monaten legten sie die ersten Berichte vor: Die Tatsache, daß das Abkommen Polizisten die Entscheidung freistellt, wer abzuschieben ist, werten die rumänischen Menschenrechtsgruppen übereinstimmend als Verletzung der Menschenrechte. Das Abkommen habe eine stark antiziganistische Propagandafunktion, denn während das Abkommen allgemein als gegen Roma gerichtet aufgefaßt wird, sind die meisten Abgeschobenen in Wirklichkeit keine Roma.25 Der Deportationsvertrag hat, das geht aus den Berichten ebenfalls hervor, den Rassismus in Rumänien verschärft. So hätten Brandstiftungen, Gewalttätigkeiten und Aktionen lokaler Polizeieinheiten gegen Abgeschobene dramatisch zugenommen. Im einzelnen wird hervorgehoben: Die meisten Flüchtlinge mußten ihre Flugkosten selbst tragen. Der Flug fand unter Aufsicht von Einheiten der Antiterror-Spezialeinheit USLA statt. Die Abschiebungen werden mit Linien- oder Charterflügen der Romavia durchgeführt, seit März 1993 auch mit Maschinen der rumänisch-amerikanischen Fluggesellschaft JARO. Häufig kommen die Maschinen um Mitternacht in Bukarest an. Viele der Interviewten wurden auf deutschen Sozialämtern festgenommen, als sie für ihre Sozialhilfe anstanden. Manche mußten sich ausziehen, wurden an Heizungen gefesselt. Anderen wurde das Geld abgenommen, ebenso Schmuck und das Auto. Viele konnten ihre Rechtsmittel nicht ausschöpfen. Manche hatten reguläre Arbeit. Wer an der Grenze aufgegriffen wurde, konnte in den 24 Stunden der Haft keinen Asylantrag stellen. Sie mußten Dokumente auf deutsch unterschreiben, die sie nicht verstanden, einige wurden sogar mit Gewalt dazu genötigt. In der Haft gab es kein Essen und kein Wasser. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Befragungen übergaben die rumänischen Gruppen bereits im Februar 1993 deutschen NGOs, Kirchenvertretern und Einzelpersonen. Diese Berichte über die deutsche Abschiebepraxis blieben aber letztlich ohne nennenswerte Folgen, die deutschen NGOs waren vor allem an Erkenntnissen über Rumänien als "sicheres Herkunftsland" interessiert. Weil die rumänischen Menschenrechtsorganisationen aber von Bukarest aus das InterviewMaterial nicht überprüfen konnten, änderten sie schließlich ihren Arbeitsschwerpunkt und wendeten sich der Lebenssituation der Abgeschobenen in Rumänien zu. 24 dpa 3.11.92, taz 4.11.92 25 Costache, Norica / Gheorghe, Nicolae / Workgroup for observation the romanian-german convention / Aven amentza foundation: Bericht vom 10.6.93, via E-mail. Siehe auch Romani CRISS, Displaced Romanies (Gypsies) within the New Europe. Germ-rom. agreement. CSCE Human Dimension Seminar, Warschau 20-23.4.93 16 In Bukarest und in kleineren Städten bei Braºov und Craiova konnten wir ausführliche Gespräche mit mehreren abgeschobenen Familien führen. Ihre Lebensverhältnisse und Perspektiven unterschieden sich beträchtlich, nicht nur zwischen Roma und Nicht-Roma. Als Durchschnittsfamilie können Ioan und Leonora 26 gelten, die in Bukarest leben. Sie waren 1990/91 nach Deutschland gekommen und hatten mit ihren beiden Kleinkindern drei Jahre in der Bundesrepublik gelebt, ihre Verwandten vier Jahre. Seit Januar 1995 sind sie wieder in Rumänien. Bei ihrer Rückkehr erlebten sie einen Schock: Die Lebensverhältnisse hatten sich dramatisch verschlechtert. So war der Monatslohn für Frauen bei ihrer Rückkehr auf 65 Mark und für Männer auf ungefähr 120 Mark abgesunken. Angesichts der hohen Lebenshaltungskosten sind 400 Mark für den Haushalt einer vierköpfigen Familie das absolute Minimum. Ein Kilo Fleisch kostet 8 Mark. Zum Glück hatten die Familie ihre Dreizimmerwohnung - wie viele andere - unter Ceauºescu sehr günstig kaufen können, so daß sie jetzt nur die Nebenkosten zahlen müssen, immerhin rund 70 Mark. Die Rückkehr macht vor allem der Frau zu schaffen. Sie war viele Jahre berufstätig und ist jetzt nicht bereit, für einen Hungerlohn zu arbeiten. So bleibt ihr nur das Hausfrauendasein. Die Armseligkeit der Ernährung ist für sie kaum zu ertragen. Konsumartikel, an die sie sich in Deutschland gewöhnt hatten, gibt es in Bukarest aber nur in teuren Delikatessenläden. Ihr Mann gibt sich dagegen optimistisch. Er hat sich mit seinem Stiefbruder selbständig gemacht und betreibt ein kleines Importunternehmen für Nahrungsmittel und Getränke aus Deutschland. Betrügereien größerer Geschäftspartner und Schikanen der Behörden hätten sie aber fast ruiniert. Die Familie hatte die Bundesrepublik "freiwillig" verlassen, um der Abschiebung und dem fünfjährigen Einreiseverbot zuvorzukommen. Wer nach der behördlichen Aufforderung "freiwillig" ausreist, erhält schließlich nur ein Jahr Einreiseverbot. Nun hoffen sie, für drei Monate ein Touristenvisum zu bekommen. Damit könnten sie in Deutschland zumindest einmal im Jahr mit Schwarzarbeit ihr Einkommen aufbessern. Zur Zeit warten sie auf den neuen Paß, er gilt als fälschungssicher und wird bereits ausgegeben. Auf ein Besuchsvisum müssen ältere Leute normalerweise zwei Wochen warten, die beiden rechnen mit einem Monat Wartezeit. Mit Besorgnis registrierten sie im März dieses Jahres das Inkrafttreten des Schengener 26 Namen geändert 17 Abkommens, denn nun werden auch die Daten aller bis dahin ausgewiesenen oder abgeschobenen Asylbewerber den anderen Vertragsstaaten zur Verfügung gestellt, die ihnen deshalb die Einreise verweigern könnten. Das Leben der Familie ist auf die zukünftige Emigration ausgerichtet. Auch die Kinder werden darauf vorbereitet. Die Ältere spricht fließend deutsch, und beide gehen auf eine Schule, an der sie wöchentlich drei Stunden Deutsch lernen. Zuhause empfangen sie darüber hinaus via Satellit deutsches Fernsehen, das Programm von RTL. Eine Roma-Familie bei Braºov berichtete: - Konnten Sie etwas mitbringen, ein paar Sachen oder Geld, als Sie mit dem Flugzeug aus Deutschland abgeschoben wurden? - Nein, nichts. Sie haben uns einfach zum Flugzeug gebracht, so sind wir dann zurückgekommen. Sie haben uns noch nicht einmal eine Tasche mit Essen gegeben, nur einmal vor dem Flug haben sie uns zu Essen gegeben, und danach da oben im Flugzeug. ... Die Möglichkeit, so einfach nach Deutschland zu kommen, werden wir nicht mehr erhalten, denn wir dürfen nicht mehr nach Deutschland. Sie verbieten uns jetzt dort den Aufenthalt. Ja, jetzt müssen wir hier weiter in Armut leben. Wehe uns, denn die Rumänen schlagen uns. Auch die Polizei schlägt und demütigt uns. Sie verbreitet Rassenhaß. Aber was können wir schon machen? Hier sind sie [die rumänischen Dorfbewohner] einfach zu uns ins Haus gekommen, zu den Kindern, Frauen und Männern, und haben uns geschlagen. Wir sind deswegen zur Staatsanwaltschaft nach Fãgãraº gegangen. Die haben uns zwar versprochen, daß sie kommen, aber sie sind nicht gekommen. Die Nachbarn haben uns geschlagen. Die Kinder sind ein oder zwei Tage vor Angst im Wald geblieben. Sie hatten Hunger. Als wir sahen, daß die Nachbarn es sich in den Kopf gesetzt hatten, uns weiterhin zu demütigen, haben wir unseren Mädchen nicht mehr erlaubt, auf die Straße zu gehen. Seitdem gehen Mädchen oder junge Frauen mit nicht mehr raus. Wir schicken jetzt einfach Kinder und die Älteren auf die Straße zum Einkaufen. Wir haben Angst, weil wir nur dreißig Familien sind und die Gemeinde groß ist, Tausende von Menschen. Wie können wir uns da gegen sie durchsetzen? Wir haben Angst. Wir sind mehr Ältere als Jüngere. Wohin können wir nach dem 26. jetzt noch gehen [nach Inkrafttreten des Schengener Abkommens am 26.3.95]? Öffnet sich ein anderes Land für uns? Wir gehen in andere Länder, wohin auch immer wir können, nur um weg zu gehen! ... Ich 18 bin damals illegal über die Grenze gegangen, bei Zgorzelec. Ich bin in ein Aufnahmezentrum in Duisburg27 gekommen. Von dort haben sie mich nach Angermünde gebracht. Dort habe ich Geld bekommen, aber ich wollte arbeiten. Aber sie haben das nicht erlaubt und immer gesagt, die Migranten dürften das nicht. ... Ich würde wieder illegal nach Deutschland gehen, aber ich habe Angst, daß sie mich zurückschicken. Jetzt möchte ich abwarten, ob ein anderes Land ein Visum gibt. Wenn ich mit einem Paß hinfahren kann, ist es gut, wenn nicht, werde ich es so versuchen. Ich werde es einfach riskieren, ich gehe trotzdem nach Deutschland oder Österreich, egal wohin, dorthin, wo ich weniger Geld für den Reiseweg brauche. Auf den beiden Bukarester Flughäfen werden nach der Abschiebung die Ankommenden in zwei Gruppen geteilt. Nach Angaben des Chefs der Poliþia de Frontierã (Grenzpolizei) Otopeni, Colonel A. Munteanu, würden die Personen mit einem gültigen Paß wie alle anderen Fluggäste durchgelassen. Die, die keine Pässe haben, würden zunächst festgehalten: Die Grenzpolizei mache dann eine Anfrage beim burol evidenþa populaþie, dem Landeseinwohneramt, um Name und Wohnort zu überprüfen. Dann erhielten sie einen behelfsmäßigen Ausweis, der bis zur Ankunft an ihrem Wohnort gültig sei. Wenn dieses Procedere nicht möglich sei, werde in einem Verhör die persönliche Identität überprüft. Dafür gebe es einen Extraraum. Die Anhörung und der damit verbundene Aufwand dauere mindestens eine Stunde. Die Bukarester Helsinkigruppe APADOR vermutete schon 1994, daß die abgeschobenen Roma in besonderen Listen erfaßt und anschließend von der Polizei am Wohnort schikaniert, erkennungsdienstlich behandelt und in einzelnen Fällen verfolgt würden. 28 Bislang ist unklar, ob das in der Verantwortung lokaler Polizeibehörden liegt oder auf Anordnungen des Innenministeriums zurückgeht. Rumänische Roma, die in der BRD zu Staatenlosen wurden, müssen nach ihrer Rückkehr umgerechnet 300 Mark bezahlen, um vom Ministerium für Arbeit und Soziales eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Medizinische Behandlungen müssen sie selbst bezahlen. Die rumänische Regierung ließ sich in dem Abkommen allerdings nicht zur "Rückübernahme von Drittstaatlern", die über Rumänien in die Bundesrepublik gelangt sind, verpflichten, wie es die Bundesregierung verlangt hatte. In einem 27 Städtenamen geändert. 28 APADOR Report 1994, S. 33f. 19 Lagebericht des Auswärtigen Amts vom Februar 1995 heißt es dazu diplomatisch, "soweit bekannt" habe Rumänien dieses Begehren bisher stets abgelehnt. Nach den Ergebnissen unserer Recherchen auf dem Bukarester Flughafen Otopeni ist zu vermuten, daß die Bundesregierung nach anderen Wegen sucht, um Drittstaatler nach Rumänien zu schleusen. Die sogenannten Carrier Sanctions gegen Fluggesellschaften bieten dafür entsprechende Möglichkeiten. Das Haupthindernis auf rumänischer Seite ist offenbar das Fehlen eines funktionierenden Abschiebesystems und ungeklärte finanziellen Fragen eines solchen Reglements. Die Bundesregierung ist zur Zeit darum bemüht, weitere Verträge auszuhandeln, um Kettenabschiebungen zu institutionalisieren. Entsprechende Gespräche über sogenannte Durchbeförderungsvereinbarungen befinden sich mit Rumänien derzeit in einer Sondierungsphase.29 Als politische Gegenleistung für den Abschluß des Deportationsabkommens hatte die Bundesregierung Rumänien eine schrittweise Annäherung an die EU angeboten. Rumänien war nach einer mehrjährigen Phase der politischen und ökonomischen Isolierung erst 1992 vorsichtig in das Westbündnis einbezogen worden. Der Abschluß des Deportationsvertrags Bonn-Bukarest und der angestrebte Export der deutschen Abschiebepolitik nach Südosteuropa hatten dabei sicher Signalwirkung. Die Chronologie der wirtschaftspolitischen Abmachungen und Entscheidungen macht diesen Umbruch zur Jahreswende 1992/93 deutlich: 17.11.92: Das Assoziierungsabkommen mit der EG wird mit Hilfe der Bundesregierung paraphiert. 6/1993: Interimsabkommen mit der EG, handels- und kreditrelevante Teile des Assoziierungsabkommens werden in Kraft gesetzt. 30. 16.9.93 Der "Vertrag zwischen der BRD und Rumänien über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa" tritt in Kraft - eine Art Grundlagenvertrag, der auch polizeiliche Zusammenarbeit gegen sogenannte organisierte Kriminalität und illegalen Grenzübertritt einschließt. 30.9.93 Rumänien wird Mitglied im Europarat. 29 Bericht des BMI zur Fortschreibung des Asyl-Erfahrungsberichts 1993. - Asyl-Erfahrungsbericht 1994 - . Bonn, 20.6.95. Im Lagebericht des AA vom Feb. 95, S. 9, heißt es außerdem: "Einen Beitritt zu dem zwischen Polen und den Schengen-Staaten bestehenden Rückübernahmeabkommen hat Rumänien bisher abgelehnt." 30 Am 1.2.95 tritt das Assoziierungsabkommen in Kraft und tritt an die Stelle des Handels- und Kooperationsabkommens. 20 10/1993: Rumänien erhält die Meistbegünstigtenklausel im Handel mit den USA. 5/1994: IWF und Weltbank honorieren die Wirtschafts- und Stabilisierungspolitik mit einem Unterstützungsabkommen über Kredite in Höhe von 700 bzw. 225 Millionen Dollar. Fragen über Ausgleichszahlungen und -leistungen der Bundesrepublik sind aber nach wie vor offen: Anderen Staaten gab die Bundesregierung für den Abschluß ähnlicher Rückübernahmeabkommen erhebliche Finanzhilfen zum Ausbau der Polizeiapparate, der Grenzüberwachung und zum Aufbau einer Flüchtlingsverwaltung. Mit Rumänien wurden solche Vereinbarungen bisher nicht getroffen. Vermutlich zeigte sich die rumänische Regierung auf diesem Gebiet nicht zu einer derart subalternen Polizeikooperation bereit.31 Das Bundesinnenministerium und das Land Nordrhein-Westfalen entfalteten unterdessen unter dem Vorzeichen der Migrationsbekämpfung rege wirtschaftspolitische Aktivitäten. Das Bundesinnenministerium konnte bereits beim Abschluß des Deportationsvertrags auf den Aufbau handwerklicher Ausbildungszentren in Arad, Timiºoara und Sibiu32 verweisen, Projekte, die als Hilfsprogramme deklariert werden. Die Bundesregierung ließ sich diese angeblichen "Reintegrationsprojekte" für "Rückkehrer", die durch Qualifizierung von erneuter Emigration abgehalten werden sollen, bisher rund 30 Millionen Mark kosten. 33 Die Fördersumme ist selbst bei einer menschenverachtenden Kosten-Nutzen-Rechnung außerordentlich niedrig: Sie entspricht nicht annähernd den Einsparungen bei den Sozialausgaben der Bundesrepublik, die die Abschiebungen bedeuten, oder den zusätzlichen Sozialkosten, die auf die rumänische Regierung zukommen. Zudem haben die Abgeschobenen davon nichts, es trägt nicht zu deren "Reintegration" bei. 31 Die Hetzkampagnen im Herbst 1995 gegen die angeblich von der Securitate gesteuerten rumänischen Panzerknackerbanden sollen wohl eine Unterordnung des rumänischen Polizeiapparats unter BRD-Interessen erzwingen. 32 Die Reintegrationsprojekte im einzelnen: 1. Landkreis Arad, Gemeinde Vladimirescu, Lehrgänge in Holztechnik, 2. Landkreis Timiº - Stadt Timiºoara. Lehrgänge in Bauwesen. 3. Landkreis Sibiu Gemeinde Cisnadioara, Lehrgänge in Elektro- und Sanitärhandwerk. 33 Das Deportationsabkommen stand nach Angaben von Innenminister Seiters "im Kontext mit dem vom Bundesinnenministerium eingeleiteten Rückkehrförderungs- und Reintegrationsprogramm zugunsten rumänischer Asylantragsteller, das aus der vom Bundeskabinett verabschiedeten Flüchtlingskonzeption zur Bekämpfung der Fluchtursachen resultiert. [...] In jedem der Ausbildungszentren sollen rückkehrende Asylbewerber und ortsansässige Rumänen eine marktwirtschaftlich orientierte berufliche Qualifikation erhalten, die sie befähigt, sich in Rumänien eine berufliche Zukunft zu sichern. Das Programm hat ein finanzielles Volumen von rund 30 Mill. DM." Erklärung des BMI vom 24.9.92, Hervorhebung vom Autor. 21 Denn tatsächlich haben zwischen November 1992 und Oktober 1995 nur zwanzig Rückkehrer 34 an Kurzlehrgängen der Zentren teilnehmen können.35 Das übrige Lehrgangsangebot der "Reintegrationszentren" ist mit High-Tech-Werkstätten und Existenzgründungsförderungen36 auf die Ausbildung hochqualifizierter Arbeitskräfte ausgerichtet und dient der Entwicklung eines unternehmerischen Mittelstandes. In den drei Ausbildungsstätten wurden in den vergangenen drei Jahren insgesamt nur 1.700 Personen gefördert, ausgelegt waren die Projekte ursprünglich auf 4.000 Teilnehmer pro Jahr. Finanzierung und Leitung der drei Ausbildungszentren sollen auf Dauer von den rumänischen Seite übernommen werden, als Stiftungen sollen sie gegenüber der rumänischen Regierung unabhängig sein.37 Zur "konzeptionellen Steuerung" der Reintegrationsprojekte wurde im Juli 1991 bereits eine hochrangig besetzte deutsch-rumänische Kommission gegründet. Ihr offizieller Titel: "rumänisch-deutsche Arbeitsgruppe zur Bewältigung von Wanderungsfragen". Damit konnte die Bundesregierung ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluß in Rumänien ausbauen, denn unter der Vorgabe der Fluchtprävention ist die Arbeitsgruppe tatsächlich am Aufbau arbeitsmarktpolitischer und marktwirtschaftlicher Instrumente der rumänischen Ministerien beteiligt. Sie setzt sich aus je zwei Vertretern des rumänischen Innenministeriums und des rumänischen Ministeriums für Arbeit und Sozialfürsorge sowie zwei Vertretern des deutschen Innenministeriums und einem Vertreter der GOPA38 zusammen. Zu den 34 inklusive Familienangehörigen 130 bis 140 Personen 35 laut Angaben der Projektleiter der Reintegrationsprojekte gegenüber der FFM. Siehe auch Bonner General-Anzeiger, 9.7.94. Die Lehrgangsübersichten der rumänisch-deutschen Stiftung Sibiu für das Jahr 1995 vermitteln nicht das Bild eines vollauf funktionierenden Programms. Ein Teil ist ausgefallen, ein anderer Teil kann nicht durchgeführt werden, da keine Honorarkräfte zur Verfügung stehen (nach Unterlagen der GOPA unter der Bezeichnung LJG/Rum-Info/Sibkur95). Potentielle Rückkehrer können nicht, wie ursprünglich vorgesehen, von den Wohlfahrtsorganisationen in der BRD beraten werden, da sie sich zwischen Ankunft und Abschiebung bzw. Rückkehr kaum frei bewegen können. In Rumänien gibt es bisher kaum Umschulungen etc. in regionaler oder gar landesweiter Planung, so daß die Lehrgangsangebote ihre Teilnehmer nicht über den lokalen Rahmen hinaus rekrutieren können. 36 siehe Protokoll zur Förderung beruflicher Existenzgründungen in Rumänien, vom Bundesinnenminister Seiters und dem stellvertretenden Ministerpräsident Rumäniens Popescu am 20.4.93 unterzeichnet. Auch dort heißt es: "Ziel des Programms ist die Reduzierung des Wanderungsdrucks". Bisher seien 26 kleinere und mittlere Betriebe mit existenzgründenden Darlehen gefördert worden. 37 Die Mitgliedschaft in den jeweiligen Stiftungen haben inne: Auf rumänischer Seite die Ministerien für Arbeit u. Sozialfürsorge, des Inneren, des Äußeren, die Präfektur des Landkreises, örtliche Industrie- und Handelskammer und andere lokale Behörden; auf deutscher Seite sind es der Bundesminister des Innern und die GOPA. 38 Die Gesellschaft für Organisation, Planung und Ausbildung (GOPA), eine Unternehmensgruppe mit Sitz in Bad Homburg, erwirtschaftet mit Consulting und Engeneeringprojekten einen jährlichen 22 Sitzungen wird in der Regel auch ein Vertreter des rumänischen Komitees für Migration eingeladen. Während die Abgeschobenen aus allen Landesteilen Rumäniens kommen, konzentrieren sich die Reintegrationsprojekte im Banat und in Siebenbürgen. Das Herkunftsgebiet Schwerpunkt der des Rumäniendeutschen wirtschaftspolitischen ist und zugleich der kulturellen geographische Einflusses der Bundesrepublik in Rumänien. Fast alle Investitionsvorhaben der deutschen Wirtschaft haben sich in dieser Region angesiedelt, auch die Projekte des Landes Nordrhein-Westfalen befinden sich hier. Langfristig soll sich das Potential dieser Region zum Tor deutschen Einflusses auf dem Balkan entwickeln. Mitarbeiter der GOPA betonten, daß das Reintegrationsprojekt das derzeit wichtigste deutschrumänische Unternehmen sei, "auch wenn die ursprüngliche Zielgruppe [die der Rückkehrer] verloren gegangen ist." Die Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen hat in den letzten Jahren in Rumänien ein Förderprogramm mit ähnlicher Zielsetzung aufgelegt. So sind in den Kreisen Arad, Timiº und Caras-Severin vor allem berufsbildende Projekte aufgebaut worden. Der finanzielle Umfang des Landes NRW für die Rumänienhilfe in der Region beläuft sich in den Jahren 1990 bis 1995 auf insgesamt 23 Millionen Mark, unter Einbeziehung von Geld- und Sachspenden sind es sogar 50,5 Millionen Mark. 39 Zwar sind die Ziele dieses Landesprogramms mit denen des Bonner Innenministeriums weitgehend identisch - präventive Fluchtbekämpfung und wirtschaftspolitische Verankerung in dieser Schlüsselregion - , allerdings legt die Düsseldorfer Staatskanzlei entschieden Wert auf informelle und vereinspolitische Verbindungen nach Banat und Siebenbürgen. Mit Hilfe der Caritas Düsseldorf, des "Arbeitskreis Banat Ja" und anderer Organisationen hat das Bundesland 1995 einen Versuch gestartet, die unterschiedlichsten NGO-Rumänienhilfen zu koordinieren. So betreibt Nordrhein-Westfalen wie bereits in Ex-Jugoslawien auch in Rumänien eine selbständige Flüchtlings- und Außenpolitik. Umsatz (1990) von ca. 225 Mio DM, sie hat sich zunehmend auf Privatisierungsberatung und Implementierung von IWF-Programmen in Osteuropa spezialisiert. Ihr obliegt im Auftrag des BMI bis 1996 die Geschäftsführung der Reintegrationsprojekte in Rumänien. - Ein Projektleiter der GOPA berichtete der FFM, daß ihr bereits von rumänischer Seite Wirtschaftsspionage vorgeworfen wurde. Denn die Ausbildungszentren sind nur drei von vielen Projekten der deutschen ConsultingFirma in Rumänien. Tatsächlich ist sie maßgeblich an der marktwirtschaftlichen Umgestaltung der rumänischen Wirtschaft beteiligt und berät Politiker, Ministerien und Manager. Die Mehrzahl ihrer Projekte in Rumänien wird von der Weltbank und PHARE, einem Fonds der EU, finanziert. 23 Die rumänischen Grenzen Eine der wichtigen Gründe, die zum Sturz Ceauºescus beigetragen haben, war das Verlangen nach Öffnung der Grenzen in Richtung Westeuropa. Rumänien gehörte bis 1989 zu den wenigen Ländern auf der Welt, in denen den LandesbewohnerInnen Auslandsreisen fast vollständig verwehrt wurden. Sogar Reisen in die benachbarten Länder des Ostblocks waren faktisch unmöglich. Diese Selbstabschottung stand in merkwürdigem Kontrast zur Außenpolitik des Regimes. Heute ist es schon fast in Vergessenheit geraten, daß die CeauºescuRegierung seit den RGW-Konferenzen 1960-62 einen offene Wirtschaftskurs gegenüber dem Westen und den Ländern des Nahen Ostens durchgesetzt hat gegen den Widerstand der UdSSR und der DDR. Der Politik des diversifizierten und geförderten Außenhandels folgte aber keine Öffnung der Grenzen für den Personenverkehr, im Gegenteil. Als Ende der 80er Jahre das Handelsvolumen mit den RGW-Staaten nur noch 50 Prozent ausmachte, hatte die Isolation der LandesbewohnerInnen ihren Höhepunkt erreicht. Bei dem Versuch, die Grenzen zu überqueren, kamen unzählige Menschen zu Tode. Viele wurden mißhandelt. Illegaler Grenzübertritt wurde drakonisch bestraft. Im Gefängnis Popa Sapca in Timiºoara saßen viele Gefangene, die in Schnell- und Sammelverfahren wegen Fluchtversuch abgeurteilt waren. Die staatliche Isolation der Bevölkerung erstreckte sich auf alle Arten der Kommunikation. So dünnte das rumänische Fernsehen sein Informationsprogramm aus. Post und Büchersendungen ins Ausland wurden eingeschränkt. Doch die Abschottung war nicht perfekt. Seit den 60er Jahren holte die rumänische Regierung StudentInnen aus Somalia und anderen befreundeten Ländern ins Land. Gleichzeitig wurden Vertragsarbeiter nach Lybien und in andere Länder gesandt. Außerdem konnten Aussiedler aus Siebenbürgen und dem Banat seit 1977 aufgrund eines bilateralen Abkommens mit der Bundesrepublik Deutschland das Land verlassen. Seit den 50er Jahren wanderten darüber hinaus 39 Bilanz der Staatskanzlei NRW: 5 Jahre NRW-Aufbauprogramm für Rumänien. Referat II A 3, S. 2. 24 die meisten rumänische Juden und Jüdinnen auf der Grundlage ähnlicher Vereinbarungen nach Israel aus. Für die übrige Bevölkerung Rumäniens aber war die Grenze so gut wie undurchlässig. In vielen Gesprächen, die wir auf unserer Reise führten, nahm die Erinnerung daran einen herausragenden Platz ein. So waren Freunde unserer Gesprächspartner, die vor 1989 flüchten wollten, inhaftiert worden. Ein großes Problem war die Wehrpflicht: Besonders Roma wurden, weil sie auch in den Jahrzehnten unter Ceauºescu bestanden, zur auf Grenzüberwachung ihren grenzüberschreitenden eingezogen. Denn viele Traditionen Roma-Familien überwanden trotz der scharfen Kontrollen einmal im Jahr die Grenzen und zogen bis nach Polen oder in die Türkei. So war es auch Roma-Familien zu verdanken, daß 1989 ausländische JournalistInnen über die Ereignisse in Rumänien berichten konnten. Denn nur mit der Hilfe der Roma gelang ihnen die unbehelligte Ein- und Ausreise über die scharf bewachten rumänischen Grenzen. Als 1989 die Grenzen fielen, machten sich buchstäblich über Nacht Zehntausende aus allen gesellschaftlichen Gruppen auf den Weg ins Ausland. 1990 bildeten die Aussiedler noch die größte Gruppe unter den MigrantInnen. Roma, die oft aus denselben Landkreisen stammten, folgten ihnen nach Deutschland. Andere nahmen den Umweg über die traditionellen Routen in Polen. FacharbeiterInnen gingen mit ihren Familien nach Italien, Österreich und in die Bundesrepublik. Andere machten sich zum Einkauf und Handel ins näher gelegene Istanbul oder nach Athen auf. Israel40 und Argentinien warben ganze Kontingente von rumänischen ArbeiterInnen an. Auch Jugendliche und StudentInnen gingen auf Reisen und fuhren per Anhalter nach Berlin. Schließlich waren in den Jahren zuvor viele DDR-Feriengäste aus der Gegenrichtung gekommen. 1990 erreichte die legale Emigration ihren Höhepunkt. Nach Angaben der Rumänischen Nationalen Kommission für Statistik lag die Zahl der Auswanderungen in dem Jahr bei 144.543 Personen. Im gleichen Jahr wurde das Recht auf einen Reisepaß gesetzlich verankert. In den beiden folgenden Jahren wurden mehr als sechs Millionen Pässe ausgestellt. Die Auswanderungswelle aus Rumänien hatte handfeste Gründe. Die plötzliche Öffnung der Wirtschaft für den Weltmarkt um die Jahreswende 1989/90 hatte zur Folge, daß das Kleingewerbe praktisch über Nacht 40 17.000 Personen sind nach IOM-Angaben in den letzten Jahren nach Israel ausgewandert. Die IOM begleitet diese geregelte Emigration in Zusammenarbeit mit der israelischen Gewerkschaft. 25 zerstört wurde. Die Roma wurden davon am härtesten getroffen. Auch bei den Massenentlassungen in der Industrie standen sie neben den Frauen an erster Stelle. Der Lebensstandard sank für alle Lohnabhängigen auf ein katastrophal niedriges Niveau. Eine Roma-Großfamilie, von der die meisten Angehörigen zeitweilig in der Bundesrepublik waren, schilderte die Situation in einem Dorf bei Braºov: [Eine Frau:] Mein Mann bekommt eine Rente in Höhe von 70.000 Lei [umgerechnet: 50 DM], davon leben wir mit 15 Personen. Ich habe Schwiegertöchter, Söhne, aber sie haben keine Arbeitsstelle. Jetzt haben sie keine Möglichkeit mehr, eine zu finden. Denn die Leute werden aus den Fabriken entlassen, so daß sie rumhängen. Wir leben so, wie wir können. Nirgendwo sonst haben wir irgend etwas, wir haben keine anderen Häuser, alle leben hier unter diesem Dach, das ist unser Haus [der Raum, in dem wir das Interview führen, ist zugleich Schlafraum für alle 15 Personen]. - Vor seiner Rente, wo hat er gearbeitet? - Da oben in dem Kombinat Hoghizi [Zementfabrik]. - In welcher Funktion? - Als ungelernter Arbeiter. - Jetzt bei der Rente, womit beschäftigen Sie sich zuhause? - Mit nichts, es gibt einfach nichts. Wenn wir die Rente nicht hätten, wären wir längst vor Hunger gestorben. Weil wir viele sind, brauchen wir drei Brote bei einer Mahlzeit, und das reicht nicht einmal. [Frage an einen Mann:] Können Sie mir im einzelnen erzählen, womit Sie sich zur Zeit beschäftigen? - Ich bin zuhause und sorge für die Tiere. - Haben Sie einen Beruf? Stellen Sie besondere Sachen her? - Kehrbleche, Blechfässer, aber jetzt geht es nicht mehr. Eigentlich bin ich Blecharbeiter. - Wieviele Romafamilien sind hier im Dorf? - Dreißig. - Und gibt es hier einen Bulibascha [traditionellen Chef der Roma]? - Hier im Dorf? Nein. Es gibt einen Bulibascha, aber der ist in Braºov, das ist der ´große Bulibascha´. Aber er ist allein, er ist nur eine Person. Er ist eigentlich gelehrt. Aber er ist auch nicht so ganz richtig im Kopf. Er ist nicht fähig, Ordnung zu schaffen. Er hat sein Geld, seinen Lohn, aber es interessiert ihn nicht, daß wir vor Hunger 26 sterben. Wenn wir ihm das erzählen, interessiert ihn das nicht. Wir wollen auch ein Stück Land hier, aber sie wollen uns nichts geben. Es gibt Land, aber das Land bleibt unbebaut. - Der Bürgermeister will uns kein Land geben. Er sagt, die Zigeuner bräuchten kein Land. Sie sollten nach Deutschland, nach Polen fahren, und wenn er könnte, würde er uns umbringen. Wenn er ein Gewehr hätte, würde er uns erschießen. Die Interviews, die wir in Dörfern und Städten bei Braºov und Craiova sowie in Bukarest führten, belegen, daß die Probleme der Armut und Flucht eng an die politischen Verhältnisse geknüpft sind. Der schnelle gewaltsame Umsturz im Dezember 1989 hatte die politische Klasse Rumäniens weit weniger erschüttert als der langsame Übergang in anderen osteuropäischen Ländern. Die Nomenklatura blieb an der Macht. Sie wechselte nur die politische Repräsentationsform, änderte den Wirtschaftskurs und verschärfte den Nationalismus. Im März 1990 kam es in Tîrgu Mureº zu ersten Zusammenstößen zwischen nationalistischen Rumänen und Angehörigen der ungarischen Minderheit. Dabei wurden acht Ungarn auf offener Straße erschlagen. Die einzigen, die im Anschluß daran verhaftet wurden, waren Roma. Die im ganzen Land einsetzenden Pogrome gegen Roma wurden von einer nationalistischen staatlichen Propaganda begleitet. Im Juni 1990 eroberten von der Regierung aufgehetzte Bergleute die Straßen Bukarests und machten Jagd auf Roma und Intellektuelle. Mit Beginn der 90er Jahre ist in Rumänien ein "psychologisches Sarajewo " entstanden, lautet ein gängiges Schlagwort von Roma und Angehörigen der ungarischen Minderheit. So standen die großen Ausreisewellen von Anfang an unter dem Vorzeichen der Angst, der Verfolgung und der wirtschaftlichen Katastrophe. Unsere Gesprächspartnerinnen, darunter Roma und andere RumänInnen, waren zwischen 1990 und 1992 alle in die Bundesrepublik oder nach Italien aufgebrochen. Von legaler Emigration, wie der offizielle Sprachgebrauch sagt, konnte aber keine Rede sein. Es war ein fluchtartiger Aufbruch. Die Männer der befragten Nicht-Roma-Familien waren früher Facharbeiter gewesen, aber niemand von ihnen hatte in den großen Staatsbetrieben gearbeitet, die zunächst noch gewisse Beschäftigungsgarantien über '89 hinaus boten. So war der Verlust des Arbeitsplatzes des Mannes nicht nur für die Roma der unmittelbare Auslöser für den Versuch, nach Deutschland zu gelangen. 27 In der Region Braºov und Craiova sahen sich die befragten Romafamilien 1990 mit einer großen Armut konfrontiert. Die Männer bei Braºov waren - wie bereits zitiert als erste aus einer nahegelegenen Zementfabrik entlassen worden. Die Wohnverhältnisse der aufgesuchten Familien waren unvorstellbar beengt und armselig. Bei Craiova hatten die Familien ihre Lebensgrundlage, die handwerkliche Produktion von Ziegelsteinen, bereits so gut wie verloren: Sie wurden immer wieder mit Gewalt bei der Ziegelanfertigung behindert, und der Ziegelpreis war ins Bodenlose gefallen. Die ungelöste Landfrage war in beiden Siedlungen ein äußerst brisantes Problem. Die Roma waren - wie überall im Land - von der Privatisierung des Landes ausgeschlossen worden. Beide Siedlungen waren seit 1990 wiederholt Überfällen durch Polizei und Nachbarn ausgeliefert. Den Anlaß boten die umstrittenen neuen Landbesitzverhältnisse. Die Roma-Familien - so der Vorwand hätten die Erde für den Ziegelbau aus den Lehmgruben genommen, obwohl das Land Gemeinbesitz sei. Außerdem warf man ihnen vor, Restaurants besucht zu haben, obwohl sie dort ein generelles Hausverbot gehabt hätten. So waren der Flucht Morddrohungen und andere Einschüchterungsversuche vorausgegangen. Die Roma berichteten darüber hinaus auch von alltäglicher Diskriminierung. 1989/90 sei es für sie kein Problem gewesen, über die Grenze zu kommen. Die Roma gingen den traditionellen Weg über die Ukraine und Polen und machten auf der Reise Station bei Verwandten und Bekannten. Die anderen nahmen den direkten Weg - so auch der rumänische Jugendliche, den wir interviewen konnten: Seine Ausbildung zum Automechaniker hatte er beendet, aber in der Autostadt Rumäniens, in Craiova, gab es keine Anstellung. Er mußte befürchten, zum Militär eingezogen zu werden, und machte sich per Anhalter auf den Weg. Doch schon bald führten verschiedene politische Veränderungen in Europa zu einer grundlegend anderen Situation an den rumänischen Grenzen. Zunächst die Folgen der Abschottungspolitik der Europäischen Union: Die politischen Auswirkungen des neuen Abschiebesystems waren an den Grenzen unmittelbar zu spüren, denn die Nachbarländer wurden in der Folge von der Bundesrepublik in die Pflicht genommen, auf daß sie ähnliche Verträge mit Rumänien abschließen und ihre Grenzüberwachung ausbauen. Auch führt die Neuaufteilung Europas in Arm und Reich zu einer verschärften Betonung der Grenzen. Da sich das Sozialgefälle zwischen Ungarn und Rumänien verfestigte, wurde die Grenze zwischen beiden Ländern zur Armutsgrenze. Ein weiteres Moment ist in Westeuropa wenig bekannt: 28 Die Auswirkungen der kriegerischen Entwicklungen im ehemaligen Jugoslawien und in Moldawien/Transnistrien sowie des zweiten Golfkrieges. Die internationalen Handelsembargos 41 ließen einen Teil des grenzüberschreitenden Verkehrs und Handels an den rumänischen Grenzen in die illegalisierte Schattenwirtschaft absinken. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß auch in Rumänien der Streit um Grenzen und Grenzgebiete nach 1989 geschürt wurde. Das manifestiert sich an den Grenzen des Landes bisher vor allem in der militärischen Kontrolle des Hinterlandes und einer verschärften Überwachung der jeweiligen Grenzgebiete. Eine Einschränkung des Personenverkehrs haben die Grenzkonflikte bisher noch nicht zur Folge. Seit 1992 steht der illegale Grenzübertritt für rumänische StaatsbürgerInnen in Rumänien wieder unter Strafe. Mit dem Gesetz Nr. 56 vom 4.6.92 "Über die Staatsgrenze Rumäniens" wurde der unerlaubte Grenzübertritt, seit Dezember 1989 zunächst als Ordnungswidrigkeit geahndet, erneut zu einem Straftatbestand. Gemäß Artikel 67 dieses Gesetzes wird Fluchthilfe mit Gefängnis von drei Monaten bis zu drei Jahren bestraft, und "wenn die Tat in einer Gruppe ausgeübt wird, welche materielle oder andere Vorteile verfolgt", mit Haft von einem bis zu fünf Jahren. Es gibt noch mehr Hinweise, daß die rumänische Regierung Vorgaben der Europäischen Union übernommen hat. So führte das Land im Sommer 1991 die Visapflicht für Personen aus dem südasiatischen Subkontinent ein. Sie müssen seitdem bei der Einreise ein Rückflugticket und den Besitz von Devisen nachweisen. Für BewohnerInnen aus der Türkei blieb der visafreie Verkehr jedoch bestehen. 1991 verpflichtete sich die rumänische Regierung zudem, Personen, die bei einem illegalen Grenzübertritt nach Jugoslawien und Ungarn gefaßt werden, wieder aufzunehmen. Die Veränderungen der Grenzregime führten seit der Jahreswende 1991/92 zu einer statistisch nicht erfaßten Zunahme illegaler Grenzübertritte. Die Zahl der legalen Auswanderungen sei nach dem Höhepunkt von 1990 in den Folgejahren wieder auf das Niveau von vor 1989 gerutscht, auf 20.000 bis 43.000 Personen pro Jahr, berichtete die Rumänische Nationale Kommission für Statistik 1993. Diese Zahlen stimmen jedoch in keiner Weise mit den in Westeuropa registrierten 41 Verhängung des Handelsembargos gegen den Irak seit dem 6.8.90. Verhängung des Handelsembargos gegen Restjugoslawien, Blockierung der Donau-Schiffahrt seit Mai 1992 29 rumänischen Flüchtlingen und MigrantInnen überein, so daß sich daran Anhaltspunkte für das Anwachsen der irregulären Auswanderung ablesen lassen. "Niemand läßt uns rein nach Europa. Weiter als nach Ungarn oder Jugoslawien kommen wir nicht. Unser Paß ist nichts wert. Also kann ich nur träumen. Wenn ich Europa sage, dann spreche ich von meinen Träumen, von einem Auto, von Disco, von Freiheit, die mir fehlt. Wir sind jetzt isolierter als unter Ceauºescu, und ärmer sind wir auch. Nein, wir sind gar nicht Europa, und ich fürchte, wir werden es nie werden", schreibt ein fünfzehnjähriger Rumäne bereits im Sommer 1991 über die Abschottung der Grenzen. 42 Auf der rumänischen Seite der Grenze sind zwei Apparate für die Kontrollen zuständig: Die Grenz- und Paßpolizei kontrolliert Straßen, Bahn und Häfen und fertigt die Reisenden ab. Die grüne Grenze zwischen den Übergangsstellen wird von der Nationalen Grenzwächter-Behörde kontrolliert, unter Einsatz von Wehrpflichtigen. Meistens streifen Viererpatrouillen an der grünen Grenze entlang. Beide Grenzbehörden unterstehen dem Innenministerium. Die Nationale GrenzwächterBehörde ist in sechs Brigaden auf alle Grenzabschnitte gleichmäßig verteilt. Die Grenzpolizei hat ebenfalls sechs regionale Verwaltungszonen, drei an der Grenze zu Ungarn (Arad, Oradea und Timiºoara), eine in Bukarest, eine an der Grenze zu Moldawien (Iaºi) und eine am Hafen Constanþa. Die Grenzen zur Ukraine und zu Bulgarien werden lediglich unter ferner liefen mitverwaltet. Festnahmen werden an der Grenze auf der Grundlage der Artikel 288, 291 und 293 des rumänischen Strafgesetzbuchs vorgenommen, wenn die Reisepapiere nicht in Ordnung sind. Bei illegalen Überschreitungsversuchen außerhalb den Kontrollpunkte erfolgt eine Verhaftung nach dem oben zitierten Gesetz 56/1992 über die rumänischen Staatsgrenzen. Die vorläufigen Richtlinien zur Asylpraxis, die im Oktober 1992 in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage erlassen wurden, sehen vor, daß Flüchtlinge bei Erreichen der rumänischen Grenze einen Asylantrag stellen können und dann ins Land gelassen werden. Personen, die über keine ausreichenden Reisepapiere verfügen und einen Antrag auf Asyl stellen wollen, müssen diesen direkt an der Grenze stellen und können dann einreisen. Doch diese Rechte stehen nur auf dem 42 Adrian Mihai, taz 4.7.91 30 Papier. Bei den Grenzorganen sind sie weder bekannt noch werden sie respektiert, berichtet die Menschenrechtsorganisation APADOR-CH in ihrem Report von 1994. Bei unserem Besuch im Abschiebegefängnis Otopeni berichtete ein junger Iraker von seiner Fahrt in einem verschlossenen Container über die Grenzen. Weil er nicht angeben könne, über welches Land er eingereist sei, sei eine unverzügliche Abschiebung in ein Nachbarland nicht möglich. Er hofft auf die Prüfung seines Asylantrags. Den hatte aber keine offizielle Stelle annehmen wollen, auch nicht das Bukarester UNHCR-Büro. Außerdem können Flüchtlinge, die einen Asylantrag in Rumänien stellen, nicht mehr in andere Länder weiterreisen. Weil der Flüchtlingsstatus in Rumänien mit einer dramatischen sozialen Unsicherheit und einer Erfassung der Personendaten verbunden ist, ist er - so lange es noch Fluchtalternativen gibt - für niemanden erstrebenswert. Kein Wunder, daß niemand freiwillig an der Grenze einen Asylantrag stellt. Wer an der Grenze oder im Hinterland verhaftet wird, muß zudem mit dem Schlimmsten rechnen. Denn Rumänien ist bis heute ein Polizeistaat, Schläge und Folter sind in der Polizeihaft an der Tagesordnung. Das gilt auch für Festnahmen wegen illegalen Grenzübertritts durch die Paßpolizei. Vertreter der Menschenrechtsorganisation APADOR-CH haben im letzten Jahr bei Besuchen von Polizeihafträumen MigrantInnen angetroffen, die dort - so die Angaben von Ion Iacoº - manchmal ein, zwei Monate unter völlig beengten und hygienisch miserablen Verhältnissen eingesperrt sind. Mindestens 10.000 Personen befinden sich nach seinen Schätzungen an den Grenzen in Polizeihaft, um von dort abgeschoben zu werden. Gefangene müssen zwar innerhalb von 24 Stunden einem Richter vorgeführt werden, in der Regel weisen diese die Haftanträge jedoch nicht zurück. Sozialgefälle - die Grenze nach Ungarn Warten in brütender Hitze. Links und rechts des Übergangs vom ungarischen Ort Nagylak zum rumänischen Nãdlac entsteht eine Mondlandschaft. Bulldozer und Lastwagen bewegen Landmassen. Die Grenzabfertigung dauert fünf Stunden. Hier 31 wird mit Mitteln des Phare-Programms der Europäischen Union ein neuer Grenzübergang gebaut. ”For You”, erklärt eine riesige Tafel. Denn zwischen Ungarn und Rumänien verläuft die neue vorgelagerte Grenze der Festung Europa. Die sogenannten Višegrad-Staaten - zu ihnen gehört auch Ungarn - haben die Flüchtlings- und Abschiebepraxis der EU weitgehend übernommen. In den ersten Jahren nach dem Fall der Mauer war auch diese Grenze für Menschen aus aller Welt vorübergehend offen. Doch inzwischen ist hier für viele Flüchtlinge und MigrantInnen die Reise zu Ende. Täglich werden hier Gefangene aus ungarischen Abschiebegefängnissen an die rumänische Grenzpolizei übergeben. Wer auf rumänischer Seite nahe dem Grenzübergang Nãdlac in der Stadt Arad haltmacht, befindet sich bereits im sichtbaren Universum der Transitmigration. An der Hauptstraße der Stadt, dem Bulevardul Revoluþiei, haben sich zahlreiche Reisebüros etabliert. Sie bieten billige Busreisen nach Berlin, Frankfurt und in andere westeuropäische Großstädte an. An vielen Ecken dieses Boulevards stehen RomaGruppen. Gleich hinter dem Bulevardul, in dem ehemals bürgerlichen Stadtteil im österreichisch-ungarischen Stil, vermitteln die verfallenen Straßen und Häuser einen Eindruck von den armseligen Verhältnissen. Viele Bewohner vermieten zeitweilig Zimmer in den abbruchreifen Häusern an Durchreisende. Wie in Bukarest hat sich auch in den grenznahen Großstädten in den letzten Jahren ein paralleler Wohnungsmarkt etabliert. Aber die Reisenden, die hier für ein paar Tage oder Wochen Station machen, zeigen sich - im Unterschied zu Bukarest - nicht im Stadtbild. Denn auf der grenznahen Region lastet ein polizeilicher Druck. Nach Polizeiangaben wurden 1994 in Arad 300 MigrantInnen ohne ausreichende Reisedokumente aufgegriffen.43 Einer Delegation von APADOR-CH wurde an der Grenze bei Arad mitgeteilt, 44 daß die rumänische Grenzpolizei pro Monat (genannt wurde der Januar 1994) rund hundert Leute festnimmt, die sich in LKW-Containern versteckt gehalten haben. Die meisten kämen über Zwischenstationen aus der Türkei, viele auch aus dem Irak. Einige würden kriminaltechnische nach der Festnahme Untersuchungen auf sofort freigelassen, Polizeiwachen andere festgehalten. für Bei langwierigen Ermittlungen werden die Festgenommenen ins Gefängnis von Arad eingeliefert. Als die Menschenrechtsdelegation im Januar 1994 das Gefängnis 43 APADOR-CH, The Activities of the Romanian Helsinki Committee, 1994 Report, S. 67 44 ebenda, S. 70 ff. 32 besuchte, traf sie dort 22 Ausländer an, die wegen Grenzdelikten inhaftiert waren, siebzehn U-Häftlinge und fünf Verurteilte. Nach Angaben des Gefängnisleiters saßen 1993 dort 173 TransitmigrantInnen wegen Grenzvergehen ein. Die meisten seien vor einer Anhörung aber wieder freigelassen worden, schließlich ist das Gefängnis überbelegt. 1.400 Gefangene müssen sich 600 Betten teilen. Die durchschnittlich Haftdauer von Ausländern beträgt drei bis sechs Monate. Auch in den Gefängnissen von Timiºoara und Oradea sollen TransitmigrantInnen inhaftiert sein. Vertreter von APADOR-CH konnten in Arad mit einigen Gefangenen Interviews machen. Darin berichtet C.D., daß er am 13. Januar 1993 um acht Uhr am Kontrollpunkt Vãrºand in Ungarn festgenommen wurde. "Er sei in einem LKW versteckt von Schleusern bis an die Grenze gebracht worden. Seinen türkischen Paß habe er dabei gehabt. Nachdem die ungarischen Behörden ihn ohne Visum aufgegriffen hätten, sei er nach Rumänien zurückgebracht und zunächst in einem Polizeirevier in Arad festgehalten worden. Wie 15 oder 16 andere Verdächtige sei er einen Monat lang in einer kleinen Zelle eingesperrt worden, mit wenig Luft zum Atmen. Er konnte sich nicht selbst verpflegen, ihm wurde nur Schweinefleisch angeboten. Ihm wurde kein Haftbefehl innerhalb von 24 Stunden ausgestellt. Er gab an, auf der Polizeistation in Arad für einen Verteidiger, den er nie wiedergesehen habe, 600 DM bezahlt zu haben, als Kaution. Nachdem er bezahlt habe, habe die Polizei ihm eine Empfangsbestätigung gezeigt, sie aber wieder mitgenommen und versprochen, sie ihm zurückzugeben. Die Empfangsbestätigung habe er nie wiedergesehen. 29 Tage lang sei ihm nicht gesagt worden, was passieren würde. Dann sei er in das Büro eines Staatsanwalts und anschließend ins Gefängnis gebracht worden. Niemand habe für ihn übersetzt. Er sei mit fünf Jahren Haft bestraft worden, obwohl er nie vor Gericht gebracht worden sei. Die Anklage kenne er nicht. Am 16. oder 17. Januar habe er Widerspruch eingelegt, aber bis heute keine Antwort erhalten. Er fügte hinzu, daß er Post weder erhalten noch absenden kann, nicht einmal von oder zu seiner Familie. S.R.G., ein afghanischer Häftling in Arad, gab an, daß er wegen des Krieges und der russischen Intervention in Afghanistan aufgebrochen sei. Sein Bruder und seine Schwester seien ermordet worden. Er wurde mit einem Freund am Morgen des 28. Juli zwischen acht und zehn Uhr bei Vãrºand auf ungarischer Seite festgenommen. [...] Er sagte, daß er einiges Geld für die Fälschung eines französischen Passes bezahlt habe, den er bei der Verhaftung bei sich getragen habe. Ungarische 33 Behörden hätten ihn der rumänischen Grenzpolizei übergeben. Danach sei er direkt in die Zelle auf der Polizeiwache in Arad gebracht worden. Er habe 200 DM für einen Anwalt bezahlt, ebenfalls als Kaution, am 29. Juli. Aber er habe keine Empfangsbestätigung erhalten, und der Anwalt sei zu seinem Prozeßtermin nicht erschienen. Er sei 36 Tage in Polizeihaft geblieben. Dort habe es kein Fenster gegeben, die Zelle sei für acht Personen ausgelegt, aber sechzehn seien dort festgehalten worden; Verletzungen seien ihm nicht zugefügt worden. Die Polizei habe aber nicht vernünftig mit ihm gesprochen. Er habe einen Übersetzer bekommen. Dann sei er zum Staatsanwalt gebracht worden und anschließend ins Gefängnis. Er habe Widerspruch eingelegt, aber erinnere sich nicht an das Datum. Am 17. März habe er einen Brief mit der Nachricht erhalten, daß er verurteilt worden sei. Das Gericht in Arad, erfuhren Vertreter von APADOR-CH, habe von Anfang 1994 bis zum 26. Juli 1994 248 Personen wegen Grenzdelikten belastet oder verurteilt. [...] Schätzungen besagen, daß 90% der verurteilten Ausländer ihre Strafe nicht absitzen mußten. [...] Der Oberstaatsanwalt von Arad sagte, daß die Behörden stets die maximale Kaution in Höhe von 100.000 Lei [ca. 80 DM] einzögen, das Minimum liege bei 10.000 Lei." 45 Da die Migrationsüberwachung in Ungarn mit der Übernahme großer Teile des westeuropäischen Grenzregimes weitaus fortgeschrittener ist als in Rumänien, können aus aktuellen Studien und Statistiken des Nachbarlandes Rückschlüsse auf das Ausmaß der Migration gezogen werden. Jährlich fahren sechs bis sieben Millionen RumänInnen zu einem Kurzaufenthalt nach Ungarn. Nach Angaben der Budapester Martin-Luther-King-Organisation ließen sich in der Zeit von 1988 bis 1994 53.000 RumänInnen als Flüchtlinge in Ungarn registrieren, von ihnen erhielten rund 3.000 den Flüchtlingsstatus nach der Genfer Konvention, und ungefähr 20.000 erhielten als ungarische Aussiedler die Staatsbürgerschaft. 46. - Seit dem Sommer 1990 ist die Grenzüberwachung nach Rumänien dichter geworden, 47 Viele MigrantInnen werden in Grenznähe festgenommen. "Auf dem 286 km langen Grenzabschnitt zu Serbien und Rumänien gehen die (ungarischen) grünen Barette 45 ebenda, S. 71 f. 46 MLKO, Report: Refugees in Hungary, Budapest o.J., S. 6 f. 47 Taz 3.9.90 34 mit scharfen Hunden und sowjetischer Waffentechnik auf Kopfjagd. Als Prämie gibt es Sonderurlaub. Die Motivation der nahkampferprobten Truppe ist hoch: man rettet Westeuropa vor noch mehr Einwanderermassen", schreibt die Berliner Zeitung.48 Seit 1995 plant die ungarische Regierung, Visapflicht für Personen aus der GUS, aus Rumänien und den anderen Balkanstaaten einzuführen. Wenn man die Schätzungen der IOM hinzuzieht, ergibt sich folgendes Bild: In den fünf Jahren 1990 bis 1994 haben über 200.000 Personen - die meisten über Rumänien - versucht, die ungarischen Grenzen Richtung Westeuropa illegal zu überqueren. Etwa die Hälfte von ihnen wurde bei dem Versuch festgenommen. Mehr als die Hälfte der Festgenommen sind RumänInnen, an zweiter und dritter Stelle folgen TürkInnen/KurdInnen und Pakistanis. 49 Diese Zahlen vermitteln allerdings nur ein vages Bild der Migration, über die Situation der Illegalen sagen sie nichts. Weil die Folgen der westeuropäischen Abschottungspolitik bereits in Rumänien ihre Spuren hinterlassen, beginnt für MigrantInnen der Zwang, illegal zu handeln, schon in Bukarest oder einer anderen rumänischen Großstadt. Schließlich wurde das Land als verfolgungsfreies Drittland beziehungsweise als sicheres Herkunftsland deklariert, so daß der Transitaufenthalt in Rumänien zweckmäßigerweise zu kaschieren ist. Außerdem haben die vorverlegten Kontrollen des BGS, des FBI und anderer EU-Polizeien längst auf beiden Seiten der ungarisch-rumänischen Grenze begonnen. So werden PaßLasergeräte gestellt, und nach einem Bericht der ARD 50 schulen und beraten Polizisten der EU die ungarischen Grenzschützer. In dieser Situation sehen sich viele MigrantInnen gezwungen, Visa zu fälschen und ein lebensgefährliches Wagnis einzugehen: die Fahrt im versiegelten LKW-Container im direkten Transport bis nach Deutschland. Die Grenze zu Ungarn ist zur Armutsgrenze geworden: Der Lebensstandard in Rumänien, der aufgrund der Austeritätspolitik Ceauºescus ohnehin europäischen Tiefstand erreicht hatte, sackte nach 1989 noch weiter ab. Die Deindustrialisierung und wirtschaftliche Peripherisierung des Landes begann; die Löhne pendelten sich auf ein Fünftel bis ein Siebtel des ungarischen Niveaus ein. Die Auswirkungen dieses durch die Grenze festgezogenen Lohngefälles auf die ärmere Gesellschaft, auf die 48 18.2.93 49 IOM, Transit Programme in Hungary, 12/94, S. 2 und 17 50 Weltspiegel vom 9.7.95 35 Veränderung der Einkommensbeschaffung, sind bisher wenig untersucht. Auf das Geschlechterverhältnis wirkt sie sich sehr eindeutig aus. Frauen in der Migration bleibt, wie die Fahrt an der Fernstraße Dresden-Prag-Budapest zeigt, als Einkommensquelle oft nur die Prostitution. Schmuggelgeschäfte mit entsprechender Gangbildung sind dagegen offenbar eine Domäne der Männer. Abgelegen - die Grenze zur Ukraine Über die Bergketten der abgelegenen ukrainisch-rumänischen Grenzregion gibt es keinen großen Grenzverkehr. Vor allem Roma nutzen den Weg durch Maramureº und die Bucovina, um über die Ukraine nach Polen zu gelangen. Seit Januar 1993 hat die rumänische Regierung die Einreisemöglichkeiten für Bürger der früheren SU verschärft, aber keine Visapflicht eingeführt. Formelle Anforderungen sind seitdem: notariell und durch das rumänische Innenministerium beglaubigte Einladungen durch rumänische Staatsbürger, Rückreisetickets sowie der Nachweis über einen Mindestbetrag pro Aufenthaltstag von umgerechnet rund 60 Mark. 51 Von dieser restriktiven Regelung sind nur Bewohner der Republik Moldawien ausgenommen - und eine nicht unbeträchtliche Zahl von Menschen, die aus der Ukraine kommend die grüne Grenze überqueren. 36 In der Nähe von Kriegsschauplätzen - die Grenzen zu Moldawien und zu Serbien Nicht nur zur Ukraine hin gibt es eine virtually free border, auch für die Grenze nach Moldawien gilt: " Große Grenzabschnitte sind völlig unkontrolliert."52 Mit der Auflösung des östlichen Anrainers Sowjetunion kam es zu Auseinandersetzungen um Moldawien und Transnistrien. Seit Oktober 1990 gibt es Konflikte um Rumäniens Ostgrenze. Rumänische Freiwilligenverbände, finanziert von Auslandsrumänen, besetzten Grenzübergänge nach Moldawien und forderten die schnelle Wiedervereinigung und den Aufbau eines Großrumänien. Einem schnellen Anschluß des rumänischsprachigen Moldawien widersprach aber die ökonomische Einbindung des Landes in die Wirtschaft der ehemaligen Sowjetunion. Denn die Austauschwirtschaft mit anderen Ländern der GUS ließ sich 1991/92 nicht von einem Tag auf den anderen auf die brachliegende rumänische Ökonomie umpolen. So erklärte die Republik Moldawien am 27.8.91 ihre Unabhängigkeit. Der östliche Teil Moldawiens, Transnistrien mit seiner bedeutenden Schwerindustrie sowie der 14. Armee der ehemaligen SU und der russischsprachigen Bevölkerung, bildet seitdem einen Faustpfand Moskaus gegenüber den Annektionswünschen Bukarests. Als Ostern 1992 militärische Auseinandersetzungen zwischen Moldawien und Transnistrien aufflammten, wurde sichtbar, daß die Interessensgebiete zwischen der EU und Rußland noch nicht fest abgesteckt sind. Die Bedeutung der Grenze zwischen Rumänien und Moldawien wird derzeit nur von moldawischer Seite betont. Die rumänische Seite ist dagegen bestrebt, sie so weit wie möglich offenzuhalten. Schließlich will sie den Einfluß rumänischer Organisationen in Moldawien vergrößern. So konnten ukrainische und rumänischmoldawische Gruppen schnell damit beginnen, an dieser offenen Tür Rumäniens eine Ökonomie des Schmuggels aufzubauen. Die Nähe zur moldawisch- transnistrischen Konfliktregion hat dazu geführt, daß in der Grenzgegend neue Macho-Banden gestärkt wurden, die nicht nur Waffenhandel treiben, sondern die Gegend in Reviere und Gewinnzonen aufteilen. "Ungefähr hundert Gruppen von ´racketeers´ wurden in Rumänien identifiziert. Sie waren besonders im Nordosten aktiv, in einigen Moldawien-Regionen, die für die Ausbreitung solcher Operationsgebiete am anfälligsten erscheinen. Unter der allgemeinen Bezeichnung 51 FR 9.1.93 37 ´rackets´ operieren kleine Gruppen von bis zu einem Dutzend Männer, die sich auf den größeren Überlandstraßen mit Waffen zu schaffen machen. Ihre Ziele sind Touristenbusse aus Moldawien, der Ukraine, Litauen und anderen Ländern im Osten Rumäniens."53 Viele ehemalige Afghanistan-Kämpfer seien darunter. Aber auch Menschen auf der Flucht nutzen die Grenze auf den langen Migrationswegen aus Pakistan oder Kurdistan in beide Richtungen. Die einen kommen, weil sie den Weg über die Ukraine und die polnisch-deutsche Grenze als schwierig einschätzen, und begeben sich nach Bukarest. Die anderen gehen, weil sie die Hürden auf dem Weg über Ungarn für schwieriger halten, und versuchen den Weg über Kiew und Warschau. "Die bevorzugte Einreise-Route [nach Rumänien] geht derzeit über Moldawien, von Rußland und der Ukraine aus. Ungefähr 80% illegaler Transitmigranten nutzen diese Route auf dem Landweg. Eine große Anzahl von Transitmigranten nutzt die Moldawien-Passage mit dem Zug, mit einem Transitvisum für Bulgarien. Diese Route wird vor allem von Bangladeshis, Sri Lankanern, Indern, Pakistanis und irakischen Kurden benutzt." 54 Nach Angaben der Grenzpolizei und der Nationalen Grenzwächter-Behörde werden MigrantInnen, die die Grenze illegal zu überschreiten versuchen, nach Moldawien zurückgebracht. Auf Polizeiwachen oder in Gefängnissen in Iaºi und Albiþa wurden - so die Angaben aus dem letzten Jahr - bisher insgesamt sieben Pakistanis festgehalten. Die Behörden betonen, daß sie die Grenzprobleme auf lokaler Basis lösen wollen und Grenzgänger maximal vierundzwanzig Stunden festhalten. Die örtliche Polizei ermittelt in solchen Fällen nicht.55 Die Grenze zwischen Rumänien und Restjugoslawien wird zum größten Teil durch die Donau gebildet. Seit Verhängung des Handelsembargos durch die Vereinten Nationen im Mai 1992 ruht die reguläre Schiffahrt auf dem Fluß. In den grenznahen Regionen hat sich in den letzten Jahren ebenfalls eine Ökonomie des Schmuggels herausgebildet. Vor allem Benzin und Diesel wird nach Serbien transportiert, schließlich kostet der Liter Treibstoff in Rumänien umgerechnet knapp 25 Pfennig, in Serbien mehr als eine DM. Aber die vom Staat weitgehend geduldete Schattenwirtschaft kann die Folgen des Handelsembargos für die rumänische 52 IOM, Profiles, S. 17 53 IOM, profiles, S. 26 54 IOM, Transitmigr. romania, S. 14 38 Wirtschaft nicht ausgleichen. Nur die grenznahen Kleinregionen auf beiden Seiten der Donau boomen. Neue moderne Tankstellen, ein üppiges Warenangebot und viele neue Häuser zeugen von dem Schmugglerwohlstand. Im ersten Halbjahr 1995 eskalierte allerdings die soziale Situation. Es bildeten sich Großkartelle, die sich jeweils auf der anderen Flußseite niederließen und das schmuggelnde Fußvolk unter ihre Kontrolle bringen wollten. So wurde Ende März 1995 ein Deal bekannt, bei dem die UNO-Mission in Timiºoara mit rund 250.000 US-Dollar bestochen worden sein soll, um unter der Hand die Ausfuhr von 10.000 Tonnen Diesel zu genehmigen. In den darauffolgenden Monaten wehrten sich die kleinen Schmuggler gegen die großen und die mit ihnen paktierenden Grenzer. Sie griffen Grenzschutzboote an und legten den Schmuggeltransport der Kartelle lahm. Während der reguläre Personenverkehr weitgehend erlahmt ist, unterliegt der irreguläre Personenverkehr zu großen Teilen den neuen lokalen Herrschaften. Die Südgrenze zu Bulgarien Die Reiserouten von Rumänien über Bulgarien in die Türkei oder nach Griechenland sind Handelswege der MigrantInnen, sie führen letztlich in Richtung Westeuropa. Wer erst einmal in Griechenland angekommen ist, kann nach Italien übersetzen. Über Grenzübergänge eine nach Million RumänInnen Bulgarien. Auch in nutzen jährlich Bulgarien sind die wenigen die meisten GrenzverletzerInnen RumänInnen. Viele versuchen, unerkannt und unkontrolliert bis in die Türkei durchzukommen. Besonders Istanbul hat sich unter dem Eindruck der Immigration aus Rumänien und den anderen ehemaligen RGW-Staaten deutlich verändert. Der Kleinhandel und die osteuropäische Sexindustrie machen riesige Umsätze in Istanbuler Stadtteilen wie Laleli.56 Rumäninnen haben aufgrund ihrer Armut den schwersten Stand. 55 APADOR-CH, 1994 Report, S. 68 ff. 56 siehe "Women for Women Human Rights", Pinar Illkkaracan, Leyla Gulcur, The "Suitcase" and Sex Industry: Experiences of Sexism and Racism of Migrant Women from the Ex-Soviet Union, Manuskript, Istanbul 1994 39 In umgekehrter Richtung spielt die bulgarisch-rumänische Grenze ebenfalls eine wichtige Rolle: "Die Route, die [von Transitmigranten] am ehesten - außer der Moldawien-Strecke - eingeschlagen wird, geht über die Türkei und Bulgarien. [...] Die türkische Route scheint von Iranern, Irakis, Türken und syrischen Kurden gern genutzt zu werden." 57 Der Verantwortliche des Kontrollpunkts in Giurgiu gab an, daß täglich ein bis zwei Ausländer bei der illegalen Einreise gefaßt würden. Nach Zahlung einer Geldbuße würden illegale Grenzgänger wieder freigelassen und über die Grenze zurückgeschickt. Bei Nutzung gefälschter Papiere wird eine milde Geldbuße in Höhe von 1.000 Lei [0,80 DM] fällig.58 Nachts tuckern auch auf diesem Abschnitt der Donau, die hier die Grenze zwischen Rumänien und Bulgarien bildet, die Boote der Schmuggler und Fluchthelfer. Seit dem 19.6.93 sind 71 Beamte des deutschen BGS und der Bundeszollverwaltung an dieser Grenze eingesetzt, sowohl auf rumänischer Seite in der Stadt Calafat wie auf bulgarischer Seite in der Stadt Ruse.59 Es handelt sich um einen Auslandsauftrag im Rahmen der WEU, die dort die Durchsetzung des UNEmbargos gegenüber Restjugoslawien absichern soll. Stolz vermeldet der BGSJahresbericht von 1994, daß seit Beginn der "Mission" BGS und BRD-Zoll an dem dortigen Grenzabschnitt sowie am ungarischen Oberlauf der Donau 3.592 Kontrollen durchgeführt habe. Die Seegrenze Die Hafenbehörden in Constanþa am Schwarzen Meer sind inzwischen damit konfrontiert, daß blinde Passagiere entdeckt werden. Noch sei deren Anzahl relativ 57 IOM, Transitmigration Romania, S. 14f. 58 APADOR-CH, 1994 Report, S. 72 f. 59 Möglich ist dies nach Inkrafttreten des neuen BGS-Gesetzes. Vgl. BGS-Jahresbericht 1994, S. 22. 40 gering. Blinde Passagiere gebe es in beide Richtungen: Einige würden versuchen, auf rumänischen Schiffen das Land zu verlassen, andere würden auf Schiffen aus dem Nahen Osten und aus Asien entdeckt. 60 Flughäfen. Das Abschiebegefängnis Otopeni März 1994: Die Koblenzer Direktion des Bundesgrenzschutzes hat in Verhandlungen mit dem rumänischen Innenministerium die Abschiebung von Jugoslawienflüchtlingen über den rumänischen Flughafen Timiºoara durchgesetzt. Die Flüchtlinge, die aufgrund des UN-Embargos nicht nach Belgrad abgeschoben werden können, sollen nun bis Timiºoara mit dem Flugzeug und dann per Bus nach Serbien transportiert werden. Den Anfang will die nordrhein-westfälische Landesregierung machen und zunächst 640 Flüchtlinge über diesen Weg abschieben. Doch der erste Flug, vorgesehen für den 10.3.94, wird kurzfristig abgesagt. Die rumänische Regierung hat ihre Genehmigung zurückgezogen. Damit ist dieser Plan gescheitert - vorerst. Die rumänische Regierung hatte im Rückübernahmeabkommen vom 24.9.1992 nur der Aufnahme von rumänischen Staatsbürgern zugestimmt, nicht aber der Aufnahme und weiteren Abschiebung von sogenannten Drittstaatlern. Die Gründe, warum die rumänische Regierung nicht bereit war, Drittstaatler aufzunehmen, liegen auf der Hand: Massive Kettenabschiebungen über rumänische Flughäfen bedeuten nicht nur erhöhte Flugkosten, sondern verursachen auch administrative Probleme. Schließlich ist das rumänische Abschiebesystem bisher lückenhaft, willkürlich, nicht flächendeckend und wird zudem faktisch ohne gesetzliche Grundlagen gehandhabt. Falls Massenabschiebungen gestoppt würden - etwa aufgrund ihrer Ungesetzlichkeit -, müßten größere Abschiebegefängnisse bereitstehen. Außerdem hat die rumänische Regierung offenbar kein Interesse daran, die guten diplomatischen Beziehungen zu seinen Nachbarn, den nächsten Gliedern in der Kette der Abschiebungen, zu Restjugoslawien, zur Türkei und zu einigen arabischen Staaten, aufs Spiel zu setzen. 60 IOM, Transitmigr. Romania, S. 15 41 Das kann sich allerdings ändern, schließlich verfügt die Bundesregierung in den Ländern Ost- und Südosteuropas über erheblichen Einfluß. Mit den sogenannten Carrier Sanctions verpflichtet sie die Beförderungsgesellschaften, Personen ohne ausreichende Papiere zurückzubefördern. Damit setzt die Bundesregierung die rumänische Regierung offenbar unter Druck, auch Drittstaatler vorübergehend wieder aufzunehmen und anschließend abzuschieben. Das legt das Ergebnis unserer Recherchen in Bukarest nahe. Ende März 1995 erfuhr ein Mitarbeiter der FFM in Gesprächen mit Ion Iacoº von der Bukarester Menschenrechtsgruppe APADOR - CH (Asociaþia Pentru Apãrerea Drepturilor Omului în România - Comitetul Helsinki), daß es Anhaltspunkte für die Existenz eines Abschiebegefängnisses auf einem der beiden Bukarester Flughäfen gibt. Für den 31.3.1995 erhielt er die Erlaubnis, von 10 Uhr 40 bis 12 Uhr das Abschiebefängnis auf dem internationale Flughafen Otopeni mit einer Delegation zu besuchen. Es war möglich, mit den meisten der sechzehn Abschiebehäftlinge zu sprechen und 35 Minuten lang Interviews mit einer HI8-Kamera aufzunehmen. Dabei kamen ein Afrikaner, ein Inder, ein älterer Iraker, ein jüngerer Iraker, ein irakischer Kurde und eine irakische Kurdin zu Wort. Interview-Sprachen waren Englisch, Rumänisch, Arabisch und Kurdisch. Es stellte sich heraus, daß auf dem Flughafen Otopeni seit November 1994 Personen inhaftiert werden, deren Identität in Ländern der EU nicht geklärt werden konnte und die nichts mit Rumänien verbindet, außer dem Vorwurf der Ausländerbehörden, sie seien mit einem Flug der rumänischen TAROM-Linie nach Europa gekommen. Des weiteren sitzen dort Personen ein, die in Rumänien gerade zwischengelandet sind oder sich auf dem Landweg ohne die nötigen Visa nach Westeuropa durchschlagen wollten, aber bei Razzien aufgegriffen wurden. Den Transitbereich des Flughafens teilen sich Flug- und Abfertigungsgesellschaften mit der Grenz-, der Paßpolizei und mit Spezialeinheiten; der Raum eignet sich gut für die Verwischung von Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten. Er wurde im letzten Jahr mit Hilfe deutschen Know-hows umgebaut - beratend tätig war die große Abfertigungsgesellschaft Lufthansa Tarom Airport Services (LuTaS). Ein abschließbarer, abgelegener Bereich wurde umgewidmet und dient seitdem als Haftkomplex. Die TAROM versorgt "auf freiwilliger Basis" die Häftlinge mit Essen, das Innenministerium verweist bei der Haft ohne richterlichen Bescheid auf 42 Bestimmungen des Ausländergesetzes aus den 60er Jahren, und das HelsinkiKomitee APADOR hält die ganze Haft-Einrichtung für illegal. Nach der üblichen Flughafenkontrolle, die bei Betreten des Transitbereichs zu passieren war, wurde die Delegation zu den nicht frei zugänglichen Hafträumen im obersten Stockwerk des Flughafens geführt und konnte sich dort ohne polizeiliche Aufsicht bewegen. Der diensthabende Chef der Poliþia de Frontierã (Grenzpolizei) Otopeni, Colonel A. Munteanu, stand für ein ausführliches Interview nicht zur Verfügung. Wie nach dem Aufenthalt zu erfahren war, hatte sich am gleichen Vormittag eine Absturzkatastrophe in der Nähe von Otopeni ereignet. Weil ein Teil der Häftlinge noch schlief, bat ein Inder die Delegation zu warten. Der Besuch war zwar bei der Grenzpolizei angemeldet, die Gefangenen waren aber nicht benachrichtigt worden. Wie es sich später herausstellte, ist der Tagesrhythmus der Insassen verschoben, das Essen wird oft erst um Mitternacht ausgeteilt. Der Inder und ein älterer Iraker vermittelten die ersten Eindrücke, sie seien am längsten hier. Es gibt nur eine Tür zu dem kleinen Komplex. Von dem Flur gehen zwei Räume ab, die mit zweistöckigen Betten bis auf einen engen Gang vollgestellt sind. Die Räume haben oben kleine vergitterte Fenster. Für die Männer gibt es eine Toilette mit Dusche, für die einzige Frau, eine Kurdin mit einem Kind, die sich seit drei Monaten hier befindet, ebenfalls. Die meisten Gefangenen haben sich mit Pullovern und Anoraks warm angezogen, obwohl es nicht sonderlich kalt ist. Aber sie haben kaum Bewegungsspielraum. Laut Angaben der Häftlinge ist die Fluktuation sehr hoch. In jeder Woche kämen neue Personen an, während andere abgeschoben würden. Hingegen berichteten drei Personen, daß sie bereits vier Monate und länger festgehalten würden. Der Inder: "Sie können hier nicht raus?" - "Wenn ein guter Polizist da ist, können wir raus, bis hier vorne, in den Transitbereich. Zum Gucken, Sprechen, Telefonieren. Ich sage, Freund, gib mir später was zu essen! Bei guten Polizisten können wir raus, bei schlechten Polizisten ist die Tür jeden Tag zu. Jetzt bin ich vier Tage hier drinnen, ohne einmal raus zu können. Ich habe Probleme [zeigt auf den Hals] wie alle hier. Aber sie geben uns keine Medizin, nur ein einziges Medikament."- "Gibt es keinen Arzt hier?" - "Doch, der gibt aber immer dasselbe Medikament, auch bei den unterschiedlichsten Beschwerden. Immer dieselbe Tablette. Ein anderer hat gesagt: 43 ’Gib mir Geld, dann gibt’s Medizin.’ Ich habe kein Geld. Ich bin vier Monate im Knast und habe keinen Freund draußen, der mir Geld gibt." - "Sie haben hier keinen Fernseher, keine Zeitungen, nichts?" -"Nichts. Wenn ich nicht spreche, passiert nichts. Ich spreche, das ist das einzige. Andere sprechen aber nicht. Sie geben keine Antwort, sie sagen nichts. Können Sie mir bitte helfen. Ich habe zu viele Probleme. Vier Monate bin ich hier drinnen. Ich bekomme keine Antwort von draußen, sie sprechen nicht zu mir, ich weiß nicht, was weiter geschieht." Die Interviews belegen, daß die Personen, die aus Ländern der EU nach Rumänien abgeschoben oder im Lande wegen illegalen Aufenthalts aufgegriffen werden, keine Möglichkeit hatten, einen Asylantrag zu stellen, weder bei der Verhaftung noch im Lauf der Abschiebehaft. Die Interviewten sehen sich in der akuten Gefahr, in die jeweiligen Verfolgerstaaten oder in andere Dritt-Länder abgeschoben zu werden. Manche befinden sich offenbar auf monatelanger, gar jahrelanger Odyssee. Als Herkunftsländer wurden genannt: Kurdistan im Nordirak und in der Türkei, Irak, Burundi, Nigeria, Indien, Pakistan und China. Die Herkunftsländer einiger weniger Personen wurden mit Absicht nicht genannt, um eine mögliche Identifizierung zu erschweren. Zwei Personen gaben an, von Berlin-Schönefeld beziehungsweise Stockholm mit der Fluggesellschaft TAROM abgeschoben worden zu sein. Der Afrikaner wandte der Kamera aus Sicherheitsgründen den Rücken zu und berichtete: "Sie waren in Deutschland?" - "Ja, vor einem Jahr bin ich nach Deutschland gekommen. Auf dem deutschen Flughafen Schönefeld bin ich gelandet und habe um Asyl gebeten. Sie haben mir kein Asyl gewährt. Statt dessen haben sie mich zehn Monate ins Gefängnis gesteckt." - "Woher kommen Sie?" - "Aus Afrika. Ärgerlich ist, daß ich die TAROM Fluglinie benutzt habe. Ich hatte einen Transit, und sie steckten mich ins Gefängnis, weil ich ohne Visum nach Deutschland gekommen bin. Ich sagte denen, daß ich Asyl brauche, sie haben mir aber kein Asyl gegeben. Sie sagten, für mich gibt es kein Asyl. Aber wir haben in meinem Land gegen die Regierung demonstriert, das ist das Problem. Zurückzukehren wäre für mich unmittelbar eine Gefahr. Trotzdem haben sie mich in Deutschland nicht akzeptiert. - Nachdem sie mich dort zehn Monate eingesperrt hatten, brachten sie mich zurück hierher nach 44 Rumänien. Für die rumänische Regierung ist es sehr schlecht, daß sie das akzeptiert. Das ist doch nicht deren Problem, sondern ein deutsches Problem, zwischen mir und Deutschland. Wie kann Deutschland sagen, daß jemand, der ein Jahr dort festgehalten wurde, nun hierher zurück muß, daß Rumänien den annehmen muß. - Die deutsche Regierung hat mich hierher geschickt, sie haben gesagt, daß sie mich nach Afrika bringen wollten. Sie haben mich sogar getäuscht. Ich wollte nicht in das Flugzeug 'rein, habe denen gesagt, daß ich ein Problem habe. Aber sie haben zwei Wachleute zu mir gesetzt, die haben mich bewacht und sich im Flugzeug auf mich gesetzt. So haben sie mich hergebracht." Mehrere der Interviewten in Otopeni bekundeten, daß sie Asylanträge geschrieben und an die wachhabende Polizei sowie an das Verbindungsbüro des UNHCR in Bukarest übergeben hätten, zum Teil in wiederholten Versuchen. Von keiner Seite hätten sie jemals eine Antwort bekommen. Wenn sie auf ihre Rechte gepocht hätten, sei ihnen mit Abschiebung gedroht worden. Ein älterer Iraker, seit fünf Monaten in Otopeni eingesperrt, sei zwischendurch für zwei Tage in Stockholm gewesen, von dort sei er aber wieder zurück nach Bukarest abgeschoben worden: "Und ich habe Familie, zwei Kinder und eine Frau. Ich möchte los. Es reicht. Von hier erwarte ich nichts mehr. Fünf Monate bin ich hier: warten, warten, warten. Ich weiß aber nicht, wann es zurück geht." - "Haben Sie geschrieben, daß Sie Asyl wollen?" - "Ach, drei Monate ist das her ..." - "... geschrieben?" - "Ja, ja, ja! Vor drei Monaten habe ich das der Polizei gegeben. Die sagten, warte, warte, warte. Bis wann?" - "Und in Stockholm haben Sie den Asylantrag auch schriftlich abgegeben?" - "Ja. Und dann bin ich hierher zurückgekommen. Der UNHCR hat gesagt, daß Rumänien die Genfer Konvention unterzeichnet hat und daß man dorthin gehen und Asyl beantragen kann. Es hieß, die helfen, sind gastfreundlich. Sie würden dich nach ein, zwei Tagen in die Stadt Bukarest reinlassen, hieß es. Aber niemand hat uns respektiert, ich habe das genaue Gegenteil von dem erlebt, was sie uns erzählt hatten: Sie haben die Tür vor uns verschlossen. Unsere Lage haben wir dem UNHCR in einem Brief geschildert, vor drei Monaten haben wir ihnen die Briefe gegeben, im Januar. Und seitdem hieß es warten, warten, warten. Manchmal sind wir sogar geschlagen worden, und immer machen sie die Tür vor uns zu. Wir wollen Ihre 45 Hilfe, egal unter welchen Umständen. Hauptsache, es kommt jemand und hilft uns in unserer Situation. - Einmal sind die zwei Frauen vom UNHCR gekommen und haben gesagt: Wir wissen auch nicht, was werden soll." Ein irakischer Kurde gab an, er habe bei seiner Verhaftung auf seine Verfolgung aufmerksam gemacht. Daraufhin sei er dem irakischen Konsul vorgeführt worden. Die rumänische Polizei habe dem Konsul den Namen des Verhafteten genannt und ihm ein Foto des Kurden überlassen. Die rumänische Regierung unterhält seit Jahrzehnten ausgezeichnete diplomatische Beziehungen mit der Türkei und verschiedenen arabischen Ländern. Da Rumänien zugleich Transitland für viele Flüchtlinge und MigrantInnen aus denselben Staaten ist, ergibt sich für diesen Personenkreis eine besondere Gefährdung, es droht ihnen direkt oder indirekt die Abschiebung in den Verfolgerstaat, nur Bagdad kann von Bukarest zur Zeit noch nicht angeflogen werden. Der Afrikaner beschrieb die Abschiebung einer fünfköpfigen Familie zwei Tage zuvor - am 29.3.95 - folgendermaßen: "Ein irakisches Paar mit Kindern ist hier im Flughafen angekommen. Das war ein Mann mit drei Kindern und seine Frau, eine fünfköpfige Familie. Sie sagten, als sie ankamen: ‘Bitte schickt uns nicht in den Irak!’ Die rumänische Polizei hat sie festgehalten und geschlagen: ´Geht zurück in den Irak, ab in die Türkei!´ Sie wandten Gewalt an - ich war Zeuge - , die Frau hat geschrien. Das war sehr traurig: ’Nehmen Sie mich nicht mit, bitte, bringen Sie mich nicht in den Irak!’ Sie sagten, du mußt in den Irak zurück. Sie haben sie zu einem türkischen Flughafen abgeschoben, damit sie in den Irak zurückkommen! Das ist sehr schlimm." Eine irakische Kurdin, die nach unserem Besuch mit ihrem Kind in die Türkei abgeschoben wurde, hatte mit ihrer Familie bereits vor Jahren ein Aufenthaltsrecht in Schweden. Nachdem sie nach Irakisch-Kurdistan zurückgekehrt sei, habe sie schwerste Verfolgungen erlitten: Zwei ihrer drei Kinder kamen um, nun befindet sich die durch einen Kopfschuß schwer erkrankte Frau mit ihrem dritten, kleinen Kind seit drei Monaten in Abschiebehaft in Otopeni. Sie hatte zum zweiten Mal auf dem Landweg versucht, über Rumänien nach Deutschland oder nach Schweden zu kommen, um sich dort in medizinische Behandlung zu begeben. Ihre Haftsituation 46 wurde nicht zuletzt wegen ihrer epileptischen Erkrankung von allen Gefangenen als besonders unmenschliche Härte geschildert. Die Entstehungsgeschichte des Abschiebegefängnisses ließ sich wie folgt rekonstruieren: Im Sommer 1994 herrschte nach Auskunft von APADOR, dem Bukarester Helsinki-Komitee, eine gewisse Unübersichtlichkeit am Flughafen Otopeni. Einer Delegation des Europarats sei aufgefallen, daß im Transitbereich Personen lagerten, die dort festsaßen und auf ihre Abschiebung warteten. Im November 1994 ist dann das Abschiebegefängnis auf dem Flughafen Otopeni heimlich - ohne öffentliche oder politische Diskussion - im Rahmen der genannten Umbauten etabliert worden. Eine stichhaltige gesetzliche Grundlage für die Errichtung des Abschiebegefängnisses gibt es nicht, wie uns alle befragten Juristen und Vertreter von Menschenrechtsgruppen bestätigten. Eine richterliche Anordnung der Haft oder richterliche Haftprüfungstermine finden nicht statt. Nach allen verfügbaren Informationen handelt sich um eine Art Polizeihaft, die in einem Fall bereits über fünf Monate dauerte. Es liegt ganz in der Willkür der diensthabenden Polizisten, ob die Häftlinge einmal am Tag in ruhigen Momenten die engen Räumen verlassen dürfen oder ob sie Prügel befürchten müssen. Die Versorgung durch Nahrungsmittel hat die Fluggesellschaft TAROM freiwillig übernommen, da keine staatliche oder Nichtregierungs-Organisation dafür aufkommen will. Direkte politische Verantwortung für diese Zustände trägt neben den verschiedenen Polizeigliederungen des Flughafens und den kooperierenden Fluggesellschaften das interministerielle "Rumänische Komitee für Migrationsprobleme", das durch Regierungserlaß Nr. 417 am 14.6.91 auf Staatssekretärs- und Unterstaatssekretärs-Ebene eingerichtet wurde. Beteiligt sind an diesem Gremium das Ministerium für Arbeit und Soziales, das Außen-, Innen-, Justiz-, Wirtschafts- und Finanz-, Gesundheits-, Erziehungs- und Wissenschaftsministerium sowie die kommunale öffentliche Verwaltung. Nach dem Besuch im Abschiebegefängnis Otopeni haben wir das lokale UNHCRBüro eingeschaltet, das die staatlichen Maßnahmen in Otopeni als "exzessiv" charakterisierte. Weitere Recherchen ergaben, daß das rumänische Innenministerium zwei Wochen nach dem Besuch von FFM und APADOR aktiv wurde: In einer Fernsehsendung bestätigte das Ministerium erstmalig, daß auf dem Flughafen ein Abschiebegefängnis existiert. Die Kritik an den unmenschlichen Verhältnissen wurde allerdings zurückgewiesen. Gleichzeitig wurde die 47 schwerkranke kurdische Frau mit ihrem Kind, die sich seit drei Monaten in dem Abschiebegefängnis befand, in die Türkei abgeschoben. Der Iraker, der dort seit fünf Monaten festsaß, wurde freigelassen, damit er bei der entsprechenden Behörde in der Bukarester Innenstadt einen Antrag auf Asyl stellen kann. Damit wurden die beiden härtesten Schicksale von der Regierung "entschärft", allerdings zum dramatischen Nachteil für die irakische Kurdin. Erst nachdem die rumänischen Behörden aktiv geworden waren, schalteten sich zwei Vertreter des europäischen UNHCR-Hauptbüros aus Genf ein. Der Abgeschiebetrakt muß seitdem durchgängig seine Türen geöffnet halten, allerdings dürfen die Gefangenen den Transitbereich nicht verlassen. Die Genfer Vertreter drängen auf eine auch für die Bukarester NGO´s annehmbare Flughafenlösung, beabsichtigt ist ein Schnellverfahren nach BRD-Vorbild, in dem ausgewiesenen NGO-Vertretern das Recht eingeräumt werden soll, die Flüchtlinge vorab zu beraten und aufzuklären. APADOR-CH lehnte diese Vorschläge allerdings genauso ab wie das gesamte Flughafenschnellverfahren. Auch die sieben Sudanesen, die am Abend des 12.9.95 auf Anweisung von Bundesinnenminister Kanther trotz großer öffentlicher Proteste von Frankfurt/Main aus abgeschoben wurden, landeten in der Nacht zunächst auf dem Flughafen Otopeni, in Begleitung von fünfzehn BGS-Beamten. Nach allem, was bekannt ist, hatten die Sudanesen keine Möglichkeit, dort einen Antrag auf Asyl zu stellen. Am folgenden Tag wurden sie mit der TAROM-Fluggesellschaft nach Khartoum abgeschoben. 48 Ökonomie der Migration Wie organisieren Menschen auf der Flucht, aufgehalten von der nächsten Grenze, ihr Überleben? Wie besorgen sie sich über die lange Zeit des Wartens ihr Essen und ein kleines Einkommen? Angesichts ihrer individuellen, familiären und gruppenspezifischen Probleme klingen Begriffe wie Transitmigration, selbständige Schattenökonomie oder informeller Sektor äußerst verharmlosend, über die Wirklichkeit sagen sie kaum etwas aus. Die Ökonomie der Migration steht in Rumänien unter ständiger polizeilicher, militärischer und rassistischer Bedrohung. Während MigrantInnen - aus Kurdistan, Syrien, Pakistan und anderen Ländern - permanent von Abschiebung bedroht sind, müssen die Roma in Rumänien - außer der Armut - vor allem Übergriffe durch die Polizei und die rumänische Bevölkerung fürchten. Außerdem ist die Ökonomie der Migration auch in Rumänien mit dem Stigma der sogenannten organisierten Kriminalität versehen worden. Rumänische Politiker und Medien haben von Westeuropa gelernt; für ihre Hetzkampagnen gegen die um ihre Existenz kämpfenden KleinhändlerInnen ist ihnen jedes Mittel und jede Verleumdung recht. Kürzlich war bereits von einem "Krieg" zwischen "Zigeuner- und Araberbanden" die Rede. Der Hintergrund der Diffamierung: Die Polizei brauchte eine Rechtfertigung für über sechzig Hausdurchsuchungen in Bukarest. TransitmigrantInnen und Roma sind der wirtschaftlichen Not in Rumänien besonders ausgeliefert. Lohnarbeit können sie kaum bekommen, und der Durchschnittslohn reicht für Alleinstehende nicht aus. Die übrige Bevölkerung lindert ihre Existenzprobleme, den Einkommensverlust als Folge der Arbeitslosigkeit und der Inflation, durch die Aktivierung verwandtschaftlicher Beziehungen zum Land. Offiziell leben dreißig Prozent der Erwerbstätigen von der Arbeit in der Landwirtschaft. Fünf bis sechs Millionen Menschen - immerhin mehr als ein Viertel der Bevölkerung - sind durch die Privatisierung des Landes seit dem 19.2.91 zu überwiegend Minifundienbesitzern geworden. Roma gehören nicht dazu, denn sie wurden von der Privatisierung des Gemeindelandes ausgeschlossen. Im November 1992 waren bereits siebzig Prozent der bewirtschafteten Fläche in Privatbesitz, 1993 wurden schon achtzig Prozent der Agrarprodukte von der privatisierten 49 Landwirtschaft geliefert. Aber bis heute gibt es kein Vergabesystem für preiswerte Saatgüter oder zinsgünstige Kredite, eine Erneuerung des Maschinenparks ist für die Kleinbauern unerschwinglich. Unter diesen Bedingungen entwickelte sich ein Teil der Landwirtschaft zur direkten Versorgungswirtschaft. So haben Roma und MigrantInnen unter massivem Druck der Repression in den letzten fünf Jahren eine eigene Wirtschaft aufbauen müssen. Dabei ist es erstaunlich, daß Repression und tolerierte Schattenwirtschaft koexistieren. Ein beträchtlicher Teil der rumänischen Ökonomie wird durch die Auslandsinvestitionen der MigrantInnen aufrechterhalten. Rumänien ist das osteuropäische Land mit den meisten ausländischen Unternehmen, deren Kapital aber mehr als bescheiden ist. Es handelt sich dabei vor allem um ein ökonomisch abgefedertes Sprungbrett für TransitmigrantInnen. Weil die Mauern der Festung Europa für viele unüberwindbar sind, bleiben sie oft jahrelang in Rumänien, und es bleibt ihnen keine andere Wahl, als sich als KleinhändlerInnen "selbständig" zu machen. Der Armut können sie so allerdings nicht entfliehen. Armut, Razzia und Abschiebung Zur Methode: Wir sprechen von der Flucht in Armutsverhältnissen oder dem zeitweiligen Überleben der MigrantInnen in Armut, haben aber wenig Instrumentarien, um soziale Situation zu verstehen und zu beschreiben. Auch die Sozialwissenschaft kann die Ökonomie der Migration nur unzureichend abbilden. Ihre Statistiken, in denen üblicherweise die Erwerbstätigkeit, das Einkommen, die Wohnsituation erfaßt werden - in Beschäftigungsverhältnissen, Geldeinkommen und Quadratmetern ausgedrückt -, verlieren in Ländern wie Rumänien viel von ihrer Aussagekraft. Wir stützen uns deshalb vor allem auf biographische Berichte von Flüchtlingen und MigrantInnen. In der Ära Ceauºescu wurden die Statistiken zudem häufig gefälscht. Auch heute kann man Manipulationen nicht ausschließen, schließlich hängen von ihnen millionenschwere Kredite ab, bilden sie doch die Grundlage für Berichte an den IWF. 50 Über die Armut der 80er Jahre - als Wochenendarbeit Pflicht wurde, Dörfer und Altstädte niedergerissen und Tausende von WochenendarbeiterInnen in wenigen Tagen Plattenbauten errichteten, so daß zwar Neubauwohnungen zur Verfügung standen, aber Strom, Wasser und Nahrung fehlte - sagen die statistischen Angaben nichts. Offizielle Statistiken gehen von einem jährlichen Durchschnittseinkommen (1995) von umgerechnet 1.647 Mark und von Durchschnittslöhnen zwischen 80 und 120 Mark aus. Ein Blick auf die Preise in den Supermärkten reicht aus, um zu wissen, daß das Lohneinkommen in keiner Weise zum Überleben ausreicht. Andere Einkommensquellen, die Versorgung mit nichtvermarkteten Lebensmitteln direkt vom Land und der große Bereich der Schattenwirtschaft, bleiben in den Statistiken außen vor. Wie überleben nun Familien ohne Lohnarbeit und verwandtschaftliche Verbindungen aufs Land? Ihre Existenz verschwindet nicht nur aus dem Blickwinkel der Entwicklungssoziologen und Ökonomen61, weil ihr Leben mit Statistiken und empirischen Erhebungen nicht zu erfassen ist. Sie entzieht sich ihrem Zugriff, weil die Ökonomie der Migration einer mannigfachen Illegalisierung ausgesetzt ist und sich vor Mitwissern hütet. Mit ihrem Kleinhandel und ihren wenigen traditionellen "selbständigen" Beschäftigungen werden Roma und MigrantInnen Opfer von Razzien und Beschlagnahmen. Ihre Siedlungen werden von Pogromen bedroht, bei denen sie leicht Haus und Habe verlieren können. So ist die Armut in Rumänien vom allgegenwärtigen Streß gekennzeichnet, durch die überraschende, gewaltsame Zerstörung der miserablen wirtschaftlichen Existenz, alles verlieren zu können. Die biographischen Berichte geben Einblick in Selbstverständnis und familiäre Einbindung, sie geben Aufschluß über die unmittelbaren Anlässe für Aufbruch und Flucht, sie berichten authentisch über die Stationen, Gefahren und Schlupflöcher auf der Flucht. Ihr unschätzbarer Wert besteht darin, daß damit die andere, die verschwiegene Seite der Abschottung Europas rekonstruiert werden kann. 61 Die einzige empirische Studie, die zur Lage der Roma in Rumänien in den letzten 50 Jahren vorgelegt wurde, stammt von Anfang 1993. Allerdings bezieht sie sich nicht auf die Gesamtheit der ca. zwei bis zweieinhalb Millionen Roma in Rumänien. "Die Wissenschaftler aus Bukarest legten für ihre Erhebung jedoch die ´traditionelle Lebensweise´ als Kriterium zugrunde. Auf diese Weise ermittelten sie mehr als eine Million rumänische Roma - oder 4,6 Prozent der Bevölkerung. [...] Die Lebensumstände von 95% der Roma-Bevölkerung bezeichnen die Wissenschaftler als ´dramatisch´. [...] Der Untersuchung zufolge leben mehr als 10% zu fünf Personen in einem Raum. [...] In mehr als der Hälfte aller Roma-Haushalte fehlten Kocher, Kühlschrank, Radio oder Fernseher. [...] Mehr als die Hälfte von ihnen [den Männern] sind derzeit arbeitslos." (FR 20.4.93) 51 Die FFM versucht, einen methodischen Anknüpfungspunkt an die biographischen Erfahrungen zu finden und sie zugleich aus den individuellen Einengungen herauszulösen. Die Recherchen in Rumänien bezogen sich daher auf bestimmte Gegenden, in denen eine Vielzahl von Interviews und Einschätzungen zu einer kollektiven Erfahrung zusammenzutragen waren, zum Beispiel auf die Region Craiova in Südrumänien. Die dortige Situation konnte ab 1990 nachgezeichnet werden, der Verlust an Einkommen, der Rückzug auf traditionelle Tätigkeiten, die Razzien, die vergeblichen Forderungen nach Land und schließlich die Flucht: die Erfahrungen in Rostock-Lichtenhagen 1992, in Berlin und Brandenburg 1993/94 und die Auseinandersetzungen vom Sommer 1995 in Lyon um das Bleiberecht im Schengenland Frankreich - all diese zusammenhängenden Erfahrungen von Armut, Razzia und Abschiebung ließen sich durch Berichte aus dieser Region erschließen. Ähnliches, wenn auch aus weniger dramatischer Sicht läßt sich für Nicht-RomaFlüchtlinge aus Rumänien sagen. Die Bedrohung durch Razzien und das Wissen um die Abschiebungen aus der BRD ist auch hier allgegenwärtig. Alle Interviewten planen eine neue Reise in die Bundesrepublik. Das Geld, das sie während eines dreimonatigen Aufenthalts mit Touristenvisum auf dem schwarzen Arbeitsmarkt verdienen können, kann eine ganze Familie kurzzeitig aus der absoluten Armut herausreißen. Die Kontakte nach Deutschland sind für viele darüber hinaus zugleich Handelskontakte für die Zeit nach der Rückkehr. Die FFM versuchte zudem, durch Interviews und Gespräche die Situation der TransitmigrantInnen in Rumänien kennenzulernen. Das staatliche Flüchtlingslager in der Strada Gociu im Süden von Bukarest befand sich zum Zeitpunkt der FFMRecherchen in einer dramatischen Umbruchsituation. Albanische Flüchtlinge wurden von der IOM und der rumänischen Regierung unter großen Protesten mit Bussen "freiwillig" nach Tirana abgeschoben. Gleichzeitig wurde eine Gruppe Somalier aus dem Lager hinausgeworfen, so daß sie fortan ohne diese minimale staatliche Versorgung auskommen müssen. Ein Iraner befand sich im Hungerstreik, um mit seiner Familie die Ausreise nach Westeuropa durchzusetzen. Einen weiteren Einblick in die Lage der TransitmigrantInnen und des parallelen Wohnungsmarktes konnte die FFM in den Randbezirken Bukarests gewinnen. Es war relativ einfach, während der Recherchen inoffiziell eine kleine Wohnung in einem Plattenbau anzumieten, denn in den riesigen Armuts-Stadtteilen werden überall Wohnungen vorübergehend an Reisende und bleibende TransitmigrantInnen 52 vermietet. Diese bescheidenen irregulären Einkommensquellen verpflichten die vermietenden Nachbarn trotz des grassierenden Rassismus zur Verschwiegenheit gegenüber den Behörden. Zwischen Ziegelbrennerei und Migration - Roma in der Region Im Sommer 1995 konnten zwölf Romafamilien aus der Region Craiova kurz hinter der ungarisch-rumänischen Grenze wiederangetroffen werden. Eine Gemeinde im Brandenburgischen, die einigen von ihnen bis zum Sommer 1994 Kirchenasyl gewährt hatte, hatte in den Vorwochen Kleidung und alles Denkbare gesammelt und auf die Reise mitgegeben. In den Sommermonaten wohnten die Romafamilien nun mehrere hundert Kilometer von Craiova entfernt im Nordwesten Rumäniens nahe Timiºoara in einer improvisierten Siedlung am Stadtrand. Ihre Hütten bestehen aus Geäst, Laub und Plastikplanen. Die Familien, auch die heranwachsenden Kinder, arbeiten in großen selbstangelegten Lehmgruben. Die Erde wird so lange bearbeitet, bis eine knetartige Masse entsteht, in Holzformen gepreßt, getrocknet. Anschließend werden die Ziegel gebrannt. Neben den Lehmgruben stehen die weithin sichtbaren, meterhohen viereckigen Türme, errichtet aus getrockneten Lehmziegeln und Holzkohle. Einige glühen noch. Drei Tage stehen die Meiler in ihrer Glut. Dann werden die rotgebrannten Backsteine abgebaut. Hier im Nordwesten Rumäniens können die Ziegel einfacher und zu höheren Preisen62 als im Süden abgesetzt werden, außerdem sind die Roma nach Verhandlungen mit dem dortigen Bürgermeister nicht ständigen Übergriffen wie in ihrem Herkunftsort ausgesetzt. Die Frauen tragen im Gegensatz zu den Männern traditionelle Kleidung Faltenröcke, bestimmte Stoffe, Kopftücher. Auch Kleinkinder und Alte sind in die improvisierte Siedlung mitgekommen. Armut und Exotik: Das Folklorebild einer in sich geschlossenen, sehr eigenen gesellschaftlichen Gruppe drängt sich auf. Doch 62 Der Tagesverdienst ist nicht einfach zu berechnen, da die Erlöse nie brutto berechnet werden. Eine Wirtschaftseinheit bildet jeweils eine Familie oder ein Paar. Die Reproduktionskosten werden im Tageshaushalt stets mitberechnet. Die Miete der Lehmgruben wird zum Schluß der Saison durch Überlassung von 5.000 Ziegel abgegolten. Zum Zeitpunkt unseres Besuchs lag der Verkaufspreis eines Ziegels bei 100 Lei (7 Pfennig, zum Vergleich: Im Süden liegt der Preis bei 70 Lei. Ein Industrieziegel kostete 240 Lei). In der Sechstagewoche ergeben sich, wenn man die Wetterschäden an den Ziegeln abrechnet, täglich im Durchschnitt gut 500 Ziegel in der 2Personen-Produktion. Netto bleiben nach diesen Angaben unter Einbeziehung der Reproduktions- 53 jedes Gespräch durchbricht die Klischees. Fast alle sprechen deutsch. Sie fragen nach Leuten in Cottbus, in Potsdam, in Berlin. Sie vermitteln mit Nachdruck, daß die Abschiebung nach Rumänien sie zu dieser "Zwangsarbeit" nötigt. Es gibt keine Alternativen. Die Ziegelbrennerei während der drei bis vier Sommermonate ist die einzige größere Einkommensquelle des Jahres. Obwohl die Romafamilien diese Saisonarbeit schon lange machen und sie sich dementsprechend überregional organisiert haben, war die Flucht aus diesen Zwängen noch nie so nötig wie heute. Ein oder zwei Jahre waren die Familien dieser Tradition der saisonalen Maloche entkommen. Als sie den Aussiedlern nach Deutschland folgten, saß ihnen der absolute wirtschaftliche Zusammenbruch und der aufflammende Rassismus im Nacken, denn sie flohen vor Hungersnöten und einsetzenden Pogromen. Als die Löhne zwischen 1989 und 1993 ins Bodenlose fielen - heute liegt der Durchschnittslohn umgerechnet bei 120 Mark, Arbeitslosengeld und die Rente bei 25 Mark - , kam es zu lokal begrenzten sozialen Explosionen. Nun hat die wachsende Selbstversorgung die größte Not aufgefangen. Nur die Roma gingen leer aus. Sie waren die ersten, die aus den Fabriken entlassen wurden. Bei der Privatisierung des Landes wurden sie systematisch übergangen. Fadenscheinige Begründungen wurden herangezogen: Vor der Kollektivierung seien sie nicht Landeigentümer gewesen, Roma hätten keine Rechte etcetera. Schätzungen gehen von über zwei Millionen Roma in Rumänien aus, das sind an die zehn Prozent der Bevölkerung. Die Massenabschiebungen aus Deutschland stellten die Roma vor kaum lösbare Probleme. Es waren vor allem die Frauen, die das wirtschaftliche Überleben organisierten. Von ihrem Herkunftsort im Süden von Rumänien, von Craiova aus, knüpften die befragten Roma die alten Netze der Ziegelarbeit in verschiedenen Teilen Rumäniens wieder neu. Nicht alle ziehen für die drei, vier Sommermonate nach Timiºoara, Sibiu oder Arad. Es sind meist die jungen Familien, Frauenarbeit überwiegt. Neben der Plackerei in den Lehmgruben kochen sie für die Familien, versorgen die Kleinkinder, organisieren die sozialen Netze zwischen den Familien und verteilen das Wenige im Mangel. In Gheþa, dem Herkunftsort der zwölf Romafamilien in Südrumänien, spitzte sich die Situation nach 1990 zu. Dort leben insgesamt 730 Romafamilien in einer geschlossenen Siedlung, ungefähr 3.000 Personen. Die lokale Ziegelbrennerei hatte und Reisekosten ungefähr sieben DM täglich als Gewinn. Je nach Familie, Saison und Gegend 54 sich zuvor im Besitz der lokalen ländlichen Produktionsgenossenschaft befunden. Mit der Privatisierung wurde den Roma untersagt, Erde aus den Lehmgruben zu fördern und zu verarbeiten. Die Fahrt in andere Städte, in andere Lehmgruben, wurde ihnen häufig verwehrt. Dazu brauchten sie eine "viza flotant", eine behördliche Reise- und eine Anmeldegenehmigung. Seit 1990 mußten sie entweder Erde "stehlen" oder illegal zu anderen Orten aufbrechen. Kundgebungen, Demonstrationen, Gespräche folgten. Sie verlangten Land und Legalisierung ihrer überregionalen Arbeit. Es kam dort zwar zu keinen Pogromen wie in zahlreichen anderen Orten, es entwickelte sich jedoch eine Situation permanent drohender Razzien und eines offenen Rassismus. Eine Chronologie über die Razzien in Gheþa läßt sich aus einem Bericht erschließen, den Hanneke Garrer und Marieli Lahni nach einer Informationsreise in Rumänien angesichts der Asyldebatte und der Abschiebungen 1993 für die EKD erstellten: 63 15. oder 20.5.90: Razzia durch die Polizei, mit Hunden und Gummiknüppeln. Die Ziganie wird umstellt. 25 Personen werden ohne Angabe von Gründen verhaftet. Ein Verhafteter stirbt im Gefängnis. Bis heute gibt es darüber keine Aufklärung. Der Tote weist Spuren ärgster Schläge und Mißhandlungen auf. Sommer 1990: Zerstörung der nahegelegenen Lehmziegelproduktion und Wasserstellen mit Bulldozern. 9.1.91: Zeugenbericht: "Sie sind um ein Uhr nachts gekommen. Wir haben schon geschlafen. Wir wurden geweckt. Zehn LKW´s und vier bis fünf kleine Polizeijeeps mit Militärpolizei und einfachen Polizisten. Die Armeepolizei war bewaffnet. Es müssen sich etwa 600 Polizisten an der Aktion beteiligt haben. Wir wurden aufgefordert, in den Häusern zu bleiben, aber viele Männer haben es geschafft wegzulaufen und sich zu verstecken, bevor ihr Haus durchsucht wurde. Sie hatten Leuchtkugeln dabei, die wie Handgranaten explodierten. Etwa acht Personen wurden verhaftet und waren drei Monate lang in Craiova im Gefängnis. Sie wurden im Eilverfahren abgeurteilt. Nach einem Monat wurde die Haftstrafe wieder verlängert. Bei Gericht hat man gesagt, sie würden als Provokateure, weil sie öffentliches Ärgernis erregt haben, verurteilt." 64 schwanken aber die Angaben beträchtlich. 63 Garrer/Lahni, Informationsreise nach Rumänien, EKD, Kirchenamt, Außenstelle Berlin, 1.12.93, S. 5 ff. 64 ebenda, S. 6 55 9./10.5.91: Razzia, Verhaftung von drei oder vier Personen. Februar 1992: Razzia, Polizisten mit Hunden und Knüppeln umzingeln die Ziganie, Verletzung von Frauen und Kindern, Verhaftung von zehn bis fünfzehn Personen. 7.5.92: Razzia, Zerstörung der nahegelegenen Lehmziegelproduktion und Wasserstellen durch Bulldozer. September 1992: Vor dem zweiten Wahlgang findet eine Protestversammlung vor dem Rathaus wegen Landforderungen statt. Vierzig bis fünfzig Personen wollen mit dem Bürgermeister sprechen. Aber der Bürgermeister holt die Polizei, es kommt zu Auseinandersetzungen. 27.4.93: Razzia, Festnahme von zwei Personen 26.5.93: Razzia. "Ein Zeuge berichtet, er sei bei der Aktion am 26.5.93 festgenommen worden. Mitte September sei er entlassen worden. Bei der Verhaftung habe die Polizei über seinen Kopf hinweg in die Luft geschossen. Er sei dazu gezwungen worden, seinen Haftbefehl zu unterschreiben. Es habe keine Verhöre gegeben. Er berichtete, die Zelle habe die Maße zwei Meter mal drei Meter gehabt und sei mit zehn Personen belegt gewesen." 65 27./28.9.93: Razzia, eine Person verhaftet. Romafamilien, die sich beschwerten, wurden von der Polizei unter Druck gesetzt. Sie flohen daraufhin 1992/93 in die BRD, zur selben Zeit, als auch aus der benachbarten Großstadt Craiova - aus dem Roma-Stadtteil Fata Luncii - über tausend Menschen nach Westeuropa aufbrachen. In Craiova hatte es 1990 Massenentlassungen aus einem Chemiekombinat gegeben, und die auf sich gestellten Roma hatten begonnen, einen Markt mit Kleidung und anderen Produkten aus der Türkei aufzubauen. Doch Razzien und Übergriffe machten das Überleben immer schwieriger. Einige schildern uns ihre Grenzüberquerung über die Oder im Sommer 1992. Sie berichten von den Schüssen auf eine ihrer Gruppen am 29.6.92 bei Nadrensee in Mecklenburg-Vorpommern, nahe der Grenze, und von den beiden erschossenen Roma (siehe oben). Seit ihrer Rückkehr nach Craiova versuchen sie vergeblich, die deutschen Behörden zu Ermittlungen gegen die namentlich bekannten Täter zu bewegen. Andere Gruppen aus Craiova ziehen in demselben Sommer anschließend weiter und kommen im gleichen Sommer (1992) zur ZAST nach Rostock65 ebenda, S.7 56 Lichtenhagen, um dort einen Asylantrag zu stellen. Während sie über Wochen vor dem Gebäude auf dem Rasen warten müssen, erhalten sie keine Unterstützung, keine Versorgung, keine Solidarität durch andere Gruppen. Nur wenige werden schließlich in die ZAST eingelassen. Im August beginnt das Pogrom gegen die Roma in Rostock-Lichtenhagen. Die einen werden vom Rasen verjagt, die anderen werden nach mehrtägigigen Angriffen von der Polizei "evakuiert". Ein, zwei Jahre später sind manche von ihnen wieder in der Region Craiova oder - vorübergehend - in den Lehmgruben von Arad, Timiºoara oder Sibiu. 1995 habe sich ihre Situation geringfügig verbessert, berichten Roma in Gheþa. Ihre Arbeit in den Lehmgruben werde geduldet. Die gesellschaftliche Stellung habe sich für sie aber nicht wesentlich geändert. Die meisten der 25- bis 35-jährigen Männer hat eine relativ gut Schul- und Berufsausbildung erhalten, aber niemand könne eine Anstellung finden. In der Frage des Landbesitzes hat sich nichts geändert. Für die meisten Roma-Kinder sei der Schulbesuch inzwischen unmöglich geworden, weil sie dort geschlagen und diskriminiert würden. Fenster und Türen mancher Häuser sind zugemauert, ihre Bewohner sind zur Zeit in den Lehmgruben anderer Regionen oder emigriert. Siebzig bis achtzig Prozent der 730 Familien seien in Deutschland. Manche Romafamilien werden offensichtlich von Angehörigen aus der Bundesrepublik mitversorgt. So übernahmen die Frauen die Verteilung der Sachen, die in der brandenburgischen Gemeinde gesammelt worden waren, genauso, wie sie sonst die gleichmäßige Versorgung mehrerer Familien sichern: Es wird so lange aufgeteilt, auch im Streit, bis alles einigermaßen gleichmäßig zwischen den Familien verteilt ist. So ist schon mancher Versuch fehlgeschlagen, einzelne Familien oder Personen gezielt zu fördern, um eine soziale Dynamik in der lokalen Roma-Gesellschaft einzuleiten, ein Grund, warum auch sogenannte "Reintegrationsprojekte" für Abgeschobene nicht greifen. Die Regeln des Aufteilens torpedieren die Akkumulation. Die Solidarität untereinander verhindert, daß eine Familie das Startkapital für ein Unternehmen anhäufen kann. 66 66 Die ersten partnerschaftlich konzipierten Reintegrationsprojekte entstanden 1992/93 aus kirchlichen Kreisen der Neuen Bundesländer. In Ostdeutschland waren die Folgen des Deportationsvertrags am deutlichsten zu spüren, außerdem gab es dort aus DDR-Zeiten engagierte Rumänienexperten. Vom 1.-3.6.93 führte der Arbeitskreis gegen Fremdenfeindlichkeit in den neuen Bundesländern in Machern bei Leipzig eine deutsch-rumänische Roma-Fachtagung durch, unter dem Thema: "Arbeit - Perspektiven für die Roma-Bevölkerung Rumänens als 57 In unseren Gesprächen wird klar, wohin die Reise ab kommenden Herbst gehen wird - nach Deutschland. Inzwischen kennen sie sich aus, kennen die Wege und fragen nach dem Risiko des Überlebens in Deutschland. Das Schengener Abkommen ist ihnen wohlbekannt. Für sie stellt es eine Bedrohung dar, doch sie haben keine Alternative zum abermaligen Aufbruch, auch wenn sie wissen, daß sie bereits auf der Reise als Illegale gelten. Die jüngeren Kinder wurden bereits in Deutschland geboren, manche erst nach der Abschiebung. Die künftigen BRDRückkehrerInnen empfinden es als ihr gutes Recht, dorthin zu gehen, wo sie überleben können. Zwar bietet sich ihnen in Deutschland nur Schwarzarbeit, Baracken oder die Enge bei Freunden, doch die Abschottung der Grenzen werden sie nicht akzeptieren, denn die bedeutet für sie: Plackerei, Ausbeutung und Abschiebung - in die Ziegelgruben von Timiºoara. Exkurs: Jagdszenen aus Lyon: Eine Person in den Lehmgruben in Timiºoara berichtete folgendes: Er sei vor wenigen Tagen aus der Bundesrepublik abgeschoben worden. Weil er völlig mittellos war, sei er vom Flughafen Bukarest hierher zur Ziegelproduktion nach Timiºoara gefahren. Seine Geschichte wirft ein Licht auf die Abschottung der EU: Er war nach einem Aufenthalt in Ostdeutschland 1992/93 schon einmal abgeschoben worden. Danach habe er mit einer großen Gruppe aus Craiova versucht, nach Frankreich zu gelangen. Im März 1995 seien sie in Paris angekommen. Weil sie keine Meldeadresse in der Stadt hatten, wurde ihnen die Abgabe eines Asylgesuchs verweigert. Sie gelangten schließlich nach Lyon, wo sich eine Gruppe von Obdachlosen und UnterstützerInnen ihrer annahm. Sie besetzten gemeinsam ein Haus und machten in der Innenstadt eine Zeltaktion. Am 27.3.95, einen Tag nach Inkrafttreten des Schengener Abkommens, reichten sie Asylanträge ein. Als nach der Eingabe ihrer Angaben in Datengeräte des SIS - Schengener Informationssystem ersichtlich wurde, daß in der BRD bereits vor Jahren ein Asylantrag abgelehnt wurde, ordnete die Behörde in Lyon die Abschiebung an. Ein Gericht stoppte die Abschiebung jedoch. Man könne ja nicht wissen, so der Richter, auf welcher transnationale Aufgabe." Soweit auf den Recherche-Reisen der FFM zu erfahren war, sind die meisten damals initierten unternehmerisch angelegten Reintegrationsprojekte an den beschriebenen gesellschaftlichen Strukturen der Roma-Gruppen gescheitert. 58 Datenbasis die damalige Entscheidung gefällt worden sei und ob es neue Fluchtgründe gebe. Er habe Lyon aber verlassen, weil er die rassistische Hetze in der Stadt nicht mehr ausgehalten haben. Tatsächlich wird in französischen Großstädten seit Monaten gegen französische Bettler, Obdachlose und rumänische Roma Stimmung gemacht, die in Gewaltaktionen umzuschlagen droht. So sei er nach Deutschland aufgebrochen, sei aber nach zwei Wochen verhaftet worden und nach drei Tagen Abschiebehaft in Bukarest gelandet. Ein Austausch mit Unterstützergruppen in Lyon ergab, daß tatsächlich im Laufe des Jahres 1995 rund 2.500 Roma aus Craiova nach Lyon gelangt sind. Ungefähr 300 Personen haben dann Asylanträge gestellt. Manche von ihnen verfügen über Migrationserfahrung in der BRD. Daher wird sich die Kampagne gegen die Armen in den französischen Großstädten möglicherweise zu einem Tauziehen um die Durchsetzbarkeit des Schengener Abkommens erweisen. Denn zu den üblichen sechs Monaten Antrags-Wartezeit kommen dort nun drei Monate hinzu, in denen gegenüber der BRD Rückübernahme-Anträge gestellt und diese überprüft werden. Mehrere Dutzend Roma aus Lyon hat die französische Regierung bereits nach Rumänien abgeschoben, aber die wahre Auseinandersetzung findet vorher auf der Straße statt. Höhepunkt war bisher der 16.6.95. Die Polizisten der Stadt erhielten via Polizeifunk den Befehl: "Nehmen Sie jeden fest, der wie ein Rumäne aussieht!" Mit Blaulicht begann eine beispiellose Hetzjagd. Vor allem Frauen und Kinder wurden festgenommen. Es heißt, viele Roma seien inzwischen untergetaucht und nach Süden weitergewandert.67 Vor der Ausweisung - AlbanerInnen im Flüchtlingslager: Bukarest, Strada Tudor Gociu 26 A. Kein Stadtplan führt hierhin. Die Adresse befindet sich an der Peripherie, im Süden der Stadt. Im Flüchtlingshaus warten AlbanerInnen auf ihre Ausweisung und " Repatriierung". Die Regierung verwaltet das Heim. Es wurde für die Ärmsten unter den AsylantragstellerInnen eingerichtet. Zur Zeit leben dort 41 Somalier, 20 67 siehe ALPIL, CIMADE, CRARDDA, En visite ches les Roms de Roumanie, Lyon 1995; Le Monde 17.6.95, 17.9.95, 20.9.95; Le Monde Diplomatique, Juni 95, S. 25 59 AlbanerInnen, mehrere Personen aus dem Irak, dem Iran, aus Afghanistan und Albanien sowie zwei oder drei Personen aus Ex-Jugoslawien, insgesamt 110 Personen. Die Plattenbauten der Großstadtsiedlung haben fünf bis acht Stockwerke, die Straßen sind nicht asphaltiert und unter Regengüssen aufgeweicht. Im Haus schräg gegenüber fehlen alle Fensterscheiben. Hohe Bretterzäune grenzen nahegelegene Gärten ab. Zu der ªoseaua Giurgiului, der Ausfallstraße aus Bukarest Richtung Bulgarien, sind es nur ein paar hundert Meter. Am Rand der mehrspurig ausgebauten Straße pulsiert das Großstadtleben. Auf dem großen Markt an der Kreuzung arbeiten die albanischen Heimbewohnerinnen. Beim Verkauf ihrer Waren sind sie ständig von Razzien bedroht. Eine Frau berichtet: 68 "1991 sind wir aus Albanien nach Rumänien gekommen. Wir sind dort entwischt, um ein normales Leben zu finden. Aber hier sind wir auf Schwierigkeiten gestoßen. Alle Albaner haben damals eine Protestaktion gemacht, weil wir nicht weiter wußten. [Faktisch waren sie seitdem illegal im Land.] Zwar versicherte uns Frau Moro aus Genf [UNHCR oder IOM] nach einer Anhörung, daß wir als Flüchtlinge anerkannt würden, aber wir haben nichts erreicht. Es blieb bei leeren Versprechungen. Nichts ist uns geblieben, 1992 haben sie alle uns versprochenen Rechte entzogen. Wir bekamen kein Essen und keine Hilfe mehr. Nichts. Bis 1995 haben wir überhaupt keine Unterstützung bekommen. Und jetzt sind wir so weit, daß wir abreisen müssen. Das Gepäck haben wir schon gepackt. Denn die rumänische Regierung hat uns gesagt: 'Gehen Sie sofort weg von hier! Wir brauchen keine Flüchtlinge! In Albanien gibt es Demokratie'. Wir wissen, es gibt Demokratie, aber wir haben keine Wohnung, kein Geld und kein Recht zu arbeiten. Es gibt zwar Demokratie, aber sonst nichts. Und die rumänische Regierung schickt uns jetzt nach fünf Jahren zurück, mit Bussen aus Genf [von der IOM]. Sie gaben uns nur eine Woche Zeit zur Vorbereitung. Unsere Kinder durften die ganzen Jahre nicht zur Schule gehen. Mein Mädchen ist achtzehn. Sie ist seit vier Jahren hier. Welche Hoffnungen soll ich für sie hegen? Die Kinder sprechen kein Albanisch mehr. [Die interviewten Personen gehören zur griechischen Minderheit.] Nach fünf Jahren in Rumänien können sie nicht lesen und schreiben. Ich kann nicht nach Albanien fahren. Wir sehnen uns nach unserer Heimat. Jeder sehnt sich danach, nach der Gegend. Albanien gefällt uns. Es würde uns gefallen, wenn wir die Möglichkeit hätten, eine 68 Interview der FFM vom 22.3.95 60 Wohnung, eine Arbeit zu finden. Aber in Albanien sind alle Fabriken zerstört. Die rumänische Regierung sagt: ´Das interessiert uns nicht. Wir haben auch Arbeitslosigkeit und all diese Probleme'. Aber ich möchte nichts von der Regierung, sondern Menschenrechte, Demokratie. Aber du kannst das nicht erleben, du hast ja nichts. Ich habe hier in Rumänien gelebt, fünf Jahre, in Demokratie. Fünf Jahre haben sie uns noch nicht einmal Essen gegeben. Vom Recht auf Arbeit ganz zu schweigen. Die Polizei hat meine Waren beschlagnahmt, als ich schwarz auf dem Markt verkaufte. Deshalb hatte ich bei einer rumänischen Person 600.000 Lei Schulden. Die Polizei sieht uns hier nur mit einem Auge, nicht mit zwei. Herr Atanasiu [Leiter des Technischen Sekretariats des Rumänischen Komitees für Migrationsprobleme die für MigrantInnen und Flüchtlinge verantwortliche Stelle] hat mich einmal geschlagen. Ja, er hat mir mit seinen Händen an den Hals gelangt. Welche Hoffnung, wenn Herr Atanasiu kommt, doch er schlägt uns. Er sagt: ´Was sucht ihr noch hier? Geht zurück nach Albanien, in euer Land! Was macht ihr noch hier. Das habe ich euch schon seit zweieinhalb Jahren gesagt.´ Er brüllt uns an und sagt häßliche Worte zu uns. Er will uns nicht sehen. In Albanien war ich oft krank. Auch jetzt habe ich wieder Probleme mit der Gesundheit. Ich kann nicht schlafen, bin nervös. Ich kann nichts machen für mein Leben und das meiner Tochter. Wenn wir die Möglichkeit dazu hätten, von Albanien wieder wegzugehen, wohin könnten wir dann noch gehen: Wir gehen sozusagen ins Gefängnis. Wir können von dort nicht ohne Visum wegfahren, wir haben kein Geld, keine Wohnung, wir haben nichts." - "Wer bringt Sie in nach Albanien?" - "Die von der UNO aus Genf, die von der IOM, Frau Stephan, die bringen uns zurück. Der Autobus kommt von der IOM, der LKW von der rumänischen Regierung." Vor zwei Wochen, fügt sie hinzu, habe in dem Flüchtlingsheim bereits eine Razzia der Grenzpolizei stattgefunden. Frühmorgens seien alle Bewohner aus dem Schlaf geholt worden. Die AlbanerInnen seien herausgefischt worden. Man wolle wohl alle registrieren - um ein späteres Untertauchen zu erschweren. Die IOM hat bereits Erfahrung mit der sog. "freiwilligen Repatriierung" von AlbanerInnen. Bereits 1993 wurden mit ihrer Hilfe 74 Personen zurücktransportiert. 69 Nach Auskunft von Frau Stephan, der IOM-Mitarbeiterin, wird gerade ein 69 IOM, profiles, S. 29 61 umfangreicheres Rückkehrprogramm für Asylbewerber vorbereitet, deren Fluchtgründe als inzwischen überholt gelten. In einem Bericht der IOM von 1994 werden die Erfahrungen mit "freiwilligen Rückführungen" wie folgt beschrieben: "Sechzehn geschleuste Migranten sind im Sommer [1994] aus Rumänien nach Sri Lanka und Bangladesch nach Haus zurückgekehrt. Die Migranten gaben an, daß sie auf dem Weg nach Italien und Deutschland waren, als sie von ihren Schleusern verlassen in Rumänien strandeten. Die Rückkehr mit Mitteln der Schweizer Regierung wurde von der IOM organisiert, nachdem die Migranten in dem Bukarester Büro der Organisation im Februar um Hilfe nachgesucht hatten.” 70 Frau Stephan erklärt, daß die AlbanerInnen bei ihrer Repatriierung sechs bis sieben Tonnen Gepäck mitnehmen dürften. Sie betont den Unterschied zur Abschiebepraxis der Bundesrepublik Deutschland. Ihr lägen Berichte vor, wonach Abgeschobene morgens um sechs aus den Betten geholt worden wären und keine Zeit gehabt hätten, ihre Wohnung aufzulösen und ihre Verhältnisse - Autobesitz, Konto - zu ordnen. Gegen solche Unmenschlichkeiten grenzte sie sich nachdrücklich ab. In die Illegalität gedrängt - Somalier in Bukarest: Im gleichen Haus wohnen etwa vierzig Somalier, zum Teil ehemalige Studenten, deren Visa ausgelaufen sind und die aufgrund der politischen Situation in Somalia nicht zurückkönnen, zum Teil Flüchtlinge, die später dazugekommen sind, auch sie in einer bestürzenden Situation. Aus Protest gegen ihre Lebensbedingungen hatten die Somalis im Januar 1991 für kurze Zeit das UNDP-Gebäude in Bukarest besetzt, in dem ein UNHCR-Vertreter gerade seine Arbeit aufgenommen hatte. Die rumänische Regierung sagte den Protestierenden daraufhin eine kleine Sozialunterstützung zu. Nach einer Mitteilung des Komitees für Migrationsprobleme sollten sie nun - genau vier Jahre später - bis zum 31. März 95 - das Lager verlassen. Danach würden sie kein Essen und keine Sozialunterstützung mehr erhalten. Monatlich bekamen sie bis dahin 4.000 Lei, umgerechnet drei Mark. Außer 62 den AlbanerInnen erhalten die Flüchtlinge in der Strada Gociu täglich eine einfache Lebensmittelration und die genannte Sozialunterstützung. Die gelegentlichen Leistungen des UNHCR - zwei zusätzliche Essensrationen pro Monat sowie Shampoo und Seife, und einmal im Jahr Kleidung (Jacke und Hose) - würden sie ebenfalls verlieren. Aus den Versprechungen des Bukarester UNHCR-Büros, Wohnungen für sie zu beschaffen und ihnen Zwei- bis Dreimonatsjobs vermitteln, war bislang auch nichts geworden. So sind die Somalier von Obdachlosigkeit bedroht. Im besten Fall müssen sie sich mit vielen ein gemietetes Zimmer teilen. Sie befürchten zudem, daß sie sich in anderen Stadtteilen nicht gegen rassistische Angriffe wehren können. Selbst in der Strada Gociu würden sie nach Einbruch der Dunkelheit mit Flaschen aus den umliegenden Häusern beworfen. Manchmal mache die Polizei Razzien und zähle alle Somalier im Lager. Die Polizei sei mehrfach gekommen um nachzuprüfen, ob jemand fehle. Denn es seien bereits mehrere nichtidentifizierte Schwarze in der Stadt erschlagen worden. Ihr Aufenthalt ist vollkommen ungesichert. Sie sind lediglich mit einem Papier ausgestattet, das sie als Asylbewerber ausweist. Diesen behelfsmäßigen Ausweis über "Solicitant de Azil" müssen sie seit fünf Jahren alle 45 Tage verlängern lassen. Das Papier, eine sogenannte "Legitimaþie Provisorie" des Innenministeriums, kenne häufig nicht einmal die Polizei. Nur einer der Somalier verfügt über einen Reisepaß entsprechend der Genfer Flüchtlingskonvention. Er konnte einen triftigen Grund für eine Reise ins Ausland vorweisen, den die Behörden akzeptierten. In seinem Paß ist allerdings vermerkt, daß der Inhaber nur Asylantragsteller ist. Der Paß habe 21.100 Lei, etwa 16 Mark, gekostet, werde aber von keiner Botschaft in Bukarest als gültiges Reisepapier anerkannt. Faktisch bedeutet der Rauswurf der Somalier aus dem Haus ihre forcierte Illegalisierung. Sie werden die letzten Verbindungen auch zum UNHCR verlieren und in der Schattenwirtschaft einen eigenen Einkommenszweig aufbauen müssen. Für sie wird dies - so ihre Einschätzung - eine verschärfte Verteidigung gegen gewaltsamen Rassismus bedeuten. 70 IOM, Trafficking in Migrants Nr. 4, 9/94 63 Razzien gegen Illegalisierte und Massenabschiebungen in Bukarest: Abschiebungen gehören auch in Rumänien zum Alltag. Ihnen gehen oft Razzien voraus, Straßenkontrollen, Hausdurchsuchungen und Einsätze von Spezialeinheiten. Aber zugleich gibt es eine Vielzahl von Schlupflöchern und ökonomischen Nischen, ein Nebeneinander von Repression und sichtbarer Schattenwirtschaft, Verhältnisse, die in der BRD unvorstellbar sind. ”Wohl für jede Nacht haben Gruppen illegaler asiatischer Migranten - Afghanen, Chinesen, Inder, Kurden, Pakistani u.a. - Campingmöglichkeiten neben dem Rumänischen Opernhaus in Bukarest gefunden; sie warten auf Führer, die ihnen bei der Durchquerung Rumäniens und weiter behilflich sind”, schrieb am 24.8.94 die Zeitung "Rumânia Liberã". Das Bukarester UNHCR-Büro geht davon aus, daß sich in Rumänien mindestens 60.000 Flüchtlinge und MigrantInnen aufhalten, die akute Hilfe brauchen. Da aber der UNHCR in Rumänien eine sehr zurückhaltende Position einnimmt, sind diese Angaben mit Vorsicht zu betrachten. Offiziell zählen zu den mittellosen Ausländern nur 3.000 Personen, so das Technische Sekretariat des Komitees für Migrationsprobleme der rumänische Regierung. "Nach offiziellen Quellen befinden sich insgesamt 42.000 Transitmigranten im Lande. Diese Zahl bezieht sich auf das sichtbare Kontingent illegaler Migranten, namentlich auf die derzeit Verhafteten, und auf diejenigen, die in offiziellen Registern in der einen oder anderen Form erfaßt sind. Demnach leben laut Bukarester Polizeibüro 20.000 illegale Migranten in der Hauptstadt und ungefähr 10.000 verteilt auf das ganze Land (d.h. zusammen 30.000). Zu diesen 30.000 kann man die neuen Zahlen der Grenzpolizei hinzunehmen, nach der 12.000 Ausländer mit Wohnsitz in Rumänien in illegaler Situation seit Beginn des Jahres aufgegriffen wurden (d.h. ihr legal erworbenes Visum ist abgelaufen). [...] Anzumerken ist, daß die genannten 42.000 nicht die irregulären Migranten umfassen, denen an der Grenze die Einreise verweigert wird. So wurden in den ersten zehn Monaten des Jahres 1993 mehr als 15.000 Ausländer wegen illegalen Überschreitens der rumänischen Grenze verhaftet 64 und den Grenzbehörden der jeweiligen Länder übergeben, namentlich Moldawien, Bulgarien und Ungarn. Unter den Verhafteten waren Sri-Lankaner, Pakistanis und Chinesen stärker vertreten als alle anderen. Generell ist anzunehmen, daß schließlich weitere 15.000 illegale Einreisen nicht verhindert wurden. Wenn man auf die geschätzten 15.000 illegal Eingereisten die 42.000 genannten Personen hinzuaddiert, von denen wir ausgegangen sind, kommen wir leicht in die Nähe von 60.000. Man kann sich auch den gängigen Satz in Erinnerung rufen, den informell wohl alle rumänischen Behörden immer wieder sagen, die mit Migrationsangelegenheiten zu tun haben, daß ´man hinter jedem regulären oder sichtbaren Ausländer sicherlich zehn illegale, ´unsichtbare´ Migranten vermuten kann.´ - Zusammenfassend lassen die obengenannten Zahlen und Schätzungen erahnen, daß man mit der Annahme von 60.000 oder 80.000 anwesenden illegalen Immigranten die Sache wirklich nicht dramatisiert, wie manche Stimmen in der Debatte über illegale Migration in Rumänien nahelegen", 71 rechnet die IOM vor. Als häufigste Herkunftsländer von illegalen MigrantInnen, die in den ersten 10 Monaten 1993 von der Grenzpolizei aufgegriffen wurden, sind aufgeführt (mit der Anzahl der festgenommenen Personen): 72 1. Sri Lanka 2.656 2. Syrien 1.520 3. Iran 1.471 4. China 1.309 5. Jordanien 1.068 6. Bangladesh 992 7. Irak 990 8. Pakistan 910 "Durchschnittlich wird zu jeder Zeit gegen 150 illegale Ausländer in Bukarest kriminalpolizeilich ermittelt. Täglich werden ungefähr 50 verhaftet." 73 Was erwartet die Festgenommenen? Helsinki Watch untersuchte 1992/93 die Bedingungen im 71 IOM, Transit Migr. in Romania, S. 8 f. 72 IOM, Transitmigr. in Romania, S. 8 73 IOM, Profiles, S. 24 65 rumänischen Polizeigewahrsam. 74 Offiziell gibt es dort demnach 15.140 Betten, die fast voll belegt sein sollen. Laut Gesetz kann die Polizei einen Verdächtigen bis zu 24 Stunden lang für eine Befragung festhalten. Danach ist ein richterlicher Haftbefehl nötig. Viele Personen werden aber drei bis fünf Monate lang festgehalten. Manche saßen beim Besuch der Delegation von Helsinki Watch sogar seit sieben oder acht Monaten in Polizeihaft. Außerdem wurde über einen Mangel an frischer Luft und mangelnde Hygiene berichtet. Es gab keine Seife, Handtücher, Zahnbürsten oder andere Toilettenartikel. Bei den Gefangenen wurden Atemschwierigkeiten, Hautausschläge und Tuberkulose diagnostiziert. Alle Häftlinge, die Helsinki Watch befragen konnte - insgesamt über achtzig Personen - waren geschlagen worden. "Nach den Berichten von Menschenrechtsanwälten und Inhaftierten passierten die systematischen und brutalsten Mißhandlungen von Verhafteten unmittelbar nach ihrer Festnahme auf den Polizeistationen. [...] Körperliche Brutalität, das Kennzeichen des strafrechtlichen Systems unter Ceauºescu, hat im Wesentlichen in den Arresten abgenommen, setzt sich aber praktisch unverändert während polizeilicher Verhöre fort. [...] Ketten, Fußfesseln aus Eisen und Isolierrräume werden weiterhin als Strafe in manchen Arresten gebraucht. [...] Weitaus schmerzhafter für viele Insassen ist die fast vollständige Isolation von Familie, Freunden und der Außenwelt. Radios sind verboten, Zeitungen und laufende Lesematerialien häufig nicht erhältlich und Besuche vollständig abhängig von dem guten Willen des Staatsanwaltes oder der Polizeibeamten. Vielen Insassen wurden Besuche bis zum Abschluß der Strafuntersuchung verweigert, welche mehrere Monate dauern kann." Viele der Verhafteten hätten während der Untersuchungshaft nie einen Anwalt gesehen. Inhaftierte im Polizeigewahrsam haben in der Regel nie Hofgang oder Umschluß. Ein Report von amnesty international vom Mai 199575 stellt fest, daß sich diese Bedingungen im wesentlichen nicht geändert haben. Wer Geld hat, ist in Bukarest zu hören, findet aber auch Auswege: "Illegale müssen [der Polizei] lediglich eine bescheidene Summe zahlen, um ihre Visa 74 Helsinki Watch, Lockups in Romania, New York, Washington, 1993. dt.: Arrestgefängnisse in Rumänien, o.D., S. 1-11 75 amnesty international, Romania. Broken commitments to human rights. Mai 1995. AI Index: EUR 39/01/95. (dt: Leere Versprechungen. Bericht zur Lage der Menschenrechte in Rumänien) 66 verlängert zu bekommen. Abschiebebefehle werden gegen Ausländer verhängt, die die rumänische Grenze illegal überquert haben oder in kriminelle Aktivitäten verwickelt sind. Polizeikontrollen, die sonst eigentlich regulär und effizient verlaufen, enden hierbei häufig nicht mit Inhaftierung, da nicht genügend Gefängnisraum vorhanden und das Budget begrenzt ist. Erzwungene Repatriierung wird von lokalen Behörden nicht gerne vorgenommen, da solche Operationen recht teuer sind. Die Repatriierung von 130 indischen und sri-lankanischen illegalen Migranten im April 1993 hat gezeigt, daß das derzeit für Rumänien eine nicht zu leistende Last ist." 76 Dieser Bericht bezieht sich auf die erste Massenabschiebung in Rumänien im März 1993. Nachdem bekannt wurde, daß die Abschiebung von 123 sogenannten Illegalen aus Sri Lanka und Indien von der Festnahme bis zum Abflug vom Flughafen Otopeni eine reine Polizeiaktion unter Anleitung des Innenministeriums gewesen war, bei der die Abgeschobenen nicht die minimalsten Chancen auf Asyl oder Beschwerde hatten, gab es unerwartet große Proteste in der rumänischen Öffentlichkeit. 77 Bei der nächsten großen Massenabschiebung wurden am 17.2.94 92 Tamilen, darunter sieben Frauen und ein Kind, mit dem Flug TAROM-RO 1101 direkt nach Colombo ausgeflogen. Bei der Ankunft in Sri Lanka wurden viele verhaftet. Da diese Aktion einen stark militärischen Charakter hatte, sickerten die genauen Umstände und rechtlichen Aspekte erst allmählich durch. In einem Hintergrundartikel berichtete Andrei Anticã in der angesehenen Tageszeitung "Rumânia Liberã" am 23.7.94 von der Beteiligung deutscher Botschaftsangehöriger an dieser Operation. Sie hätten die diplomatischen Kontakte nach Colombo hergestellt. Die UNHCR-Vertreterin, die sich zum Flughafen begeben hatte, hätte nichts ausrichten können. Im einzelnen ergab sich demnach folgendes Bild: Am 10.2.94 waren in einem Wohnheim 92 Personen aus Sri Lanka, darunter sieben Frauen und ein Kind, zum Teil mit gültigen Einreisevisa oder nachdem sie einen Antrag auf politisches Asyl bei der zuständigen rumänischen Stelle beziehungsweise beim UNHCR gestellt hatten, festgenommen worden. Mitarbeiter des Innenministeriums in Zivil brachten sie in das Bukarester Immigrationsbüro in der Nicolae Iorga Straße. In dem Gebäude befindet sich außerdem die Zentrale des Grenzschutzes und der Paßpolizei. Hier werden die 76 IOM, Profiles, S. 23 77 Keno Verseck, TAZ, 3.3.93 67 Abschiebungen aus der Bundesrepublik von rumänischer Seite koordiniert (siehe oben). In diesem Haus wurden die Verhafteten mehrere Tage festgehalten. Obwohl die Temperatur nachts auf minus 18 Grad sank, wurde die Heizung nur für zwei, drei Stunden angestellt. Für die 92 Menschen gab es 50 Betten. Die wachhabenden Soldaten erniedrigten die Gefangenen. Auf Nachfragen hieß es lapidar, daß alles auf direkten Befehl von Präsident Iliescu erfolge. Die Flüchtlinge hatten keine Möglichkeit, mit einer offiziellen Stelle zu sprechen, ein Gericht anzurufen oder den UN-Flüchtlingskommissar zu sprechen. Die Gefangenen begannen daraufhin einen Hungerstreik. Nach drei Tagen wurden sie mitten in der Nacht mit gelöschten Scheinwerfern auf einen Militärstützpunkt in der Nähe von Giurgiu an der Grenze zu Bulgarien gefahren. Am 17.2.94 wurde ihnen um vier Uhr morgens mitgeteilt, Präsident Iliescu hätte ihren Antrag auf Asyl unterschrieben, und sie würden nach Bukarest gebracht. Die Busse erreichten gegen sechs Uhr den Flughafen Otopeni, wo noch mehr Personal aus dem Zentralbüro der Nicolae Iorga Strada war. Es wurde ihnen gesagt, daß der Flug nach Dakka ginge. Tatsächlich wurden sie über Dubai und Dakka nach Colombo geflogen. Am Flughafen war, so hieß es in diesem detaillierten Zeitungsbericht, ein deutscher Diplomat zugegen. Er hat demnach dann das Abschiebe-Flugzeug bestiegen und ist mitgeflogen. Die UN-Flüchtlingskommissarin, Egberta Greve, bekam keine Möglichkeit, mit den Flüchtlingen Kontakt aufzunehmen. Sie wurde von den rumänischen Beamten über das, was passierte, regelrecht angelogen. Die Behörden in Sri Lanka waren von der Abschiebeaktion nicht in Kenntnis gesetzt worden und lehnten eine Einreise der Flüchtlinge zunächst ab. Erst nachdem sich die deutsche Botschaft in Colombo eingeschaltet hatte, konnten die Abgeschobenen einreisen. Einige wurden sofort verhaftet. Investitionen von MigrantInnen Weil die Löhne auf dem rumänischen Schwarzmarkt - im Unterschied zu Polen oder der Tschechischen Republik - so niedrig sind, daß sie nicht einmal für das Notwendigste reichen, bietet das Land auf den ersten Blick äußerst ungünstige Bedingungen für die Transitmigration. Trotzdem halten sich in Rumänien viele 68 tausend Flüchtlinge auf, manche für Monate, manche für Jahre, bis sie einen Weg nach Westeuropa gefunden haben. Die Gründe sind vielschichtig: Erstens ist es in Rumänien relativ einfach, unter der Hand eine Wohnung zu finden. Schließlich sind viele rumänische Familien dringend darauf angewiesen, ein Zimmer oder eine Wohnungen zu vermieten. Zweitens hat die Sonderstellung Rumäniens innerhalb des RGW zur Folge, daß sich dort seit Jahrzehnten TürkInnen, AraberInnen und andere EmigrantInnen aufhalten, an deren Kontakte auch Neuankommende anknüpfen können. Aufgrund der großen wirtschaftlichen Probleme duldet die rumänische Regierung einen Sektor ausländischer Kleinstunternehmen, die in der Schattenwirtschaft arbeiten. So kann Rumänien im Bereich kleiner und mittlerer Betriebe unter allen osteuropäischen Ländern die größte Zahl ausländischer Unternehmen vorweisen. Im Vergleich zu Ungarn oder der Tschechischen Republik ist der Umfang der Auslandsinvestitionen in Rumänien insgesamt aber sehr gering. Die ausländischen Direktinvestitionen in Rumänien beziffern sich in den Jahren 1990-93 auf: Investitionen in Mio US $ Anzahl der Unternehmen US $ pro Unternehmen 1990 107,7 1.529 70.438 1991 156,3 6.368 24.545 1992 269,1 12.780 21.056 1993 227,4 8.457 26.889 Mitarbeiter der Rumänischen Entwicklungsagentur ARD unterscheiden zwischen "seriösen" Investoren aus dem Westen - die ausbleiben - und "Bischnitzari" - den "Geschäftemachern" aus den Emigrationsländern. Die Medien greifen je nach politischer Konjunktur diese rassistische Unterscheidung auf und nutzen sie für Kampagnen gegen "die Araber" oder "die Türken". Für die Versorgung der Städte mit Kleinwaren sind diese Unternehmen jedoch unerläßlich, denn sie besorgen den Import von elektrischen und elektronischen Kleinteilen, Süßwaren und Textilien. Auch in der Gastronomie sind sie aus Bukarest nicht mehr wegzudenken, die Schawarmaund Kebabimbisse oder die chinesische Küche. Nach Herkunftsländern schlüsseln sich diese ausländischen Kleinunternehmen wie folgt auf: 69 Investoren aus Emigrationsländern (Investitionsangaben in tausend US $)78 Anzahl Herkunftsla durchschnit Gesamtinvest. Betriebe nd tl. 8 Investition 627,79 78,47 679,34 14,15 7.513,17 5,88 31,36 5,22 64,76 2.493 Bangladesch 4,98 9.887,56 1.558 Syrien 3,96 4.180,78 856 Jordanien 2,68 2.074,61 963 Iran 2,42 1.917,59 1.091 Irak 1,99 1.823,84 23 China 1,67 36,29 14 Zaire 1,57 21,78 11 Somalia 1,55 12,34 109 Sri-Lanka 1,12 120,27 25 Pakistan 1,10 22,92 9 Nigeria 0,91 3,31 16 Angola 0,66 10,55 9 Vietnam 0,65 1,37 Albanien 0,15 48 Philippinen 1.277 Indien 6 Libanon 13 Afghanistan Nach 1990 reichten in Rumänien wenige hundert Dollar, um ein ausländisches Unternehmen zu gründen. Mit dem Ausländerinvestitionsgesetz vom August 1993 sollte diese Mindestsumme aufgestockt werden. Wer aber auf die - je nach Branche zwei- bis fünfjährige - Steuerfreiheit verzichtet, benötigt die vorgeschriebenen 10.000 US-Dollar Startkapital nicht, sondern nur 330 US $ im Handel, 500 US $ im Dienstleistungsgewerbe und 1.000 US $ in der Industrie. Nennenswerte Steuerabgaben sind bei diesen Kleinunternehmen ohnehin nicht zu erwarten. Die IOM weist denn auch darauf hin, daß die "Verbindung von Gesetzeslücken und einer überaus liberalen Politik" eine Basis darstellt, auf der Migrationswege aufgebaut 78 Rumänische Entwicklungsagentur, zit. n. IOM, Profiles, S. 21 70 werden können, denn die Schaffung von Arbeitsplätzen werde zusätzlich mit Steuerermäßigungen honoriert. "So ist es möglich, daß ein pakistanischer oder chinesischer Betrieb fünfzig Arbeitsstellen oder mehr einrichtet und darangeht, ausschließlich pakistanische oder chinesische Arbeitskraft zu importieren. Unter Ausnutzung der großzügigen Steuerbefreiungsklauseln wird hiermit ungewollterweise oder unnötigerweise zu Immigration ermutigt." 79 Die Voraussetzungen für den Erhalt einer Arbeitserlaubnis sind minimal. Der Unternehmer stellt den Antrag auf der Grundlage zukünftiger Beschäftigungsverhältnisse. Trotz dieser einfachen Prozeduren haben sich nach Schätzungen des zuständigen Arbeitsbüros nur zehn Prozent der arbeitenden MigrantInnen registrieren lassen. Als die Gebühren für die Arbeitserlaubnis vor zwei Jahren von 25 auf 200 US $ angehoben wurden, gingen die Anträge drastisch zurück. Wer einmal registriert ist, muß sich halbjährlich wieder melden. Das Jahr 1992, als die Migration nach Westeuropa ihren Höhepunkt erreichte, war das Jahr der EmigrantInnen-Investitionen. Die Anzahl der ausländischen Unternehmen in Rumänien stieg so stark an wie nie zuvor. Gleichzeitig sanken die Investitionen pro Unternehmen auf durchschnittlich 21.000 US-Dollar. Das Jahr 1994 brachte mit 650 Millionen US-Dollar Auslandsinvestitionen80 einen gewissen Umschwung. Fünfzig Prozent der Auslandsinvestitionen des Jahres 1994 entfielen auf den koreanischen Konzern Daewoo. Das Unternehmen kaufte sich in die Automobilproduktion in Craiova ein und optierte auf die Werftindustrie des Landes.81 79 IOM, Profiles, S. 20 80 Auslandsinvestitionen in Rumänien 1990 -1994 Land Mio US $ Südkorea 156,0 USA 111,5 BRD 107,5 Italien 97,4 Frankreich 66,5 NL 66,5 Kanada 62,6 (geringere Auslandsinvestitionen aus anderen Ländern: ca. 570 Mio US $) SUMME 1,25 Mrd. US $ 81 Der Autokonzern Daewoo kaufte im November 1994 für 156 Mio Dollar eine 51% Beteiligung am zweitgrößten rumänischen Automobilproduzenten Oltcit und stieg damit zum größten Einzelinvestor Rumäniens auf. Bei Oltcit will der Konzern 875 Mio Dollar investieren. 60% der dort produzierten Autos sollen dann nach Westeuropa. Außerdem hat Daewoo eine 51% Beteiligung an 71 Von den neoliberalen Schocktherapien blieb Rumänien bis jetzt verschont, auch die Privatisierung geht nur stockend voran, die alte politische Klasse blieb faktisch am Ruder. Es besteht ein wirtschaftspolitischer Status Quo, in der auch die Schattenwirtschaft der MigrantInnen erhalten bleibt. Die Auslandsinvestitionen aus dem Westen waren alles in allem auch nach 1993 bescheiden. - Schätzungen sprechen von 1,5 Milliarden Dollar, die der Westen seit 1993 jährlich nach Rumänien pumpt, "damit dort die Industrie eingestampft werden kann, ohne daß es zu einer sozialen Explosion kommt. [...] Es ist ein gesellschaftliches Patt entstanden. Ein vom Westen alimentiertes Patt." 82 Es ist hier nicht der Ort, Grundsätzliches über die Blockaden der Verwertung in den ost- und südosteuropäischen Übergangswirtschaften auszuführen. Aber für die Ökonomie der Migration ist es durchaus von großer Bedeutung, daß sich neben dem offiziellen Finanzsystem, begünstigt durch die angespannte Lage auf dem Finanzmarkt, ein zweites, inoffizielles System etabliert hat, das in seiner Wirkung in der einschlägigen Literatur als rumänische Finanzblockade bezeichnet wird. Ein Großteil der Unternehmen zahlt die aufgenommenen Kredite seit Jahren einfach nicht zurück und bringt damit die Banken in eine prekäre Lage. "Der parallele Geldmarkt", weiß der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der rumänischen Zentralbank Razvan Temesan, "hat sich schon viel zu stark gemacht, als daß er allein durch ein Vorgehen der Zentralbank geschwächt werden könnte." In anderen Ländern werde ein solches Geschäftsgebaren gerichtlich verfolgt und gegebenenfalls bestraft. Aber: "Die meisten Unternehmen sind verschuldet, in vielen Fällen auch untereinander. Wer also gegen die anderen nichts unternimmt, bekommt auch von deren Seite keine Probleme." Ein Großteil der rumänischen Wirtschaft sei in diesen Kreislauf verwickelt. Das Problem könne nicht in kurzer Zeit behoben werden. 35 Prozent des Bruttosozialprodukts werden inzwischen privat erwirtschaftet.83 Ein Drittel des neuen Privatsektors stellen Klein- und Familienbetriebe, die "sich in undurchsichtigen und schwer kontrollierbaren Marktsegmenten bewegen und nur schwer zur Aufgabe ihrer Gewohnheiten zu bewegen sind", so die Kritik des einer der größten rumänischen Werften, der ´2. Mai´ in Magalia, erworben, und z.Z. verhandelt der Konzern mit dem Stahl- und Hüttenkombinat Galaþi über eine Beteiligung. 82 Viorel Roman, jW 15.12.94 83 FR 31.5.95 72 Consulting-Managers George Constantin Paunescu. 84 In den großen und mittleren Privatbetrieben sei die marktwirtschaftliche Unternehmensführung dagegen angeblich durchsetzbar. Auf lange Sicht bedeutet das Massenentlassungen. Für den IWF gibt es in Rumänien noch mehr Probleme als die schleppende Privatisierung der Großbetriebe. (Erst 15 Prozent der etwa 6.600 Staatsbetriebe, vor allem die kleineren, statt der 1991 gesetzlich verankerten 70 Prozent sind bisher privatisiert.)85 Der internationale Finanz- und Kapitalmarkt hat offenbar mit denselben Menschen zu kämpfen, denen schon der IWF-Musterknabe Ceauºescu vergeblich den Produktivismus beibringen wollte. So ist auch heute schon wieder die Rede vom rumänischen Binnenmarkt als 'Haifischbecken' für Betriebe und Investoren. Die Schatten- und Kleinwirtschaft der MigrantInnen in Rumänien ist offensichtlich nicht der einzige Sektor, der sich nicht gänzlich von den sozialen Realitäten und Erfordernissen freimachen kann. Exkurs - die Geschichte der rumänischen Wirtschaftsbeziehungen mit Ländern in den drei Kontinenten: Für ein Verständnis der besonderen Beziehungen Rumäniens zu einigen trikontinentalen Ländern ist ein Ausflug in die Geschichte der Wirtschaftsbeziehungen zu diesen Staaten erhellend. 1989 ging ein wesentlich längerer Produktionszyklus zu Ende, als üblicherweise angenommen wird. Im Grunde wurde eine Entwicklungsdiktatur begraben, die 1938 unter Carol II. nach den Mustern der Importsubstitution und der Abkoppelung vom Weltmarkt errichtet wurde. Der Weg der geplanten Entwicklung nahm mit Abschluß des deutsch-rumänischen Wirtschaftsvertrags im Frühjahr 1939 seine erste entscheidende Etappe. Denn mit der Soja- und Kornproduktion für das Deutsche Reich war die Vertreibung der Menschen aus der bäuerlichen Subsistenzproduktion verbunden. Nach der erfolgreichen Niederschlagung des mit Nazideutschland verbündeten rumänischen Faschismus sind - bei gesellschaftspolitsch ganz anderer 84 Besitzer der Aktiengesellschaft General Consulting and Procurements GCP, zitiert in Global Review, FR 8/94 85 Keno Verseck, Wochenpost, 23.3.95 86 Feijtõ, François, Die Geschichte der Volksdemokratien, Bd. II, Frankfurt/M. 1988, S. 30 ff. 73 Ausrichtung - im Wirtschaftskurs gewisse Kontinuitäten feststellbar. Vor allem die SU, die DDR und die ÈSSR wollten Rumänien zwar in der Rolle des Rohstoff- und Agrarproduzenten halten, in der rumänischen Regierung konnte sich die moskauorientierte Gruppe um Ana Pauker jedoch nicht durchsetzen; im Rahmen einer antisemitischen Kampagne wurde sie in den 50er Jahren aus der Parteileitung entfernt, die sich nun zunehmend einen nationalen Anstrich zulegte.86 So kam es in den 50er Jahren zu einem Kurs des nationalen Kommunismus, angeführt von Gheorghiu Dej. Während Dej damals in allen anderen osteuropäischen Ländern der Prozeß gemacht worden wäre, verfolgte die rumänische Regierung das eigenständige Ziel der schnellen Industrialisierung durch den Aufbau der Schwerindustrie. Seit den frühen 60er Jahren setzte die rumänische KP-Führung einen ökonomisch und politisch unabhängigen Kurs durch, der sie in wesentlichen Fragen in Widerspruch zu den übrigen RGW-Ländern und ihrem Bestreben nach wirtschaftlicher Integration mittels länderspezifischer Spezialisierung setzte. 1972 trat Rumänien als erstes RGW-Land dem IWF bei. 1975 erhielt das Land im Handel mit den USA die Meistbegünstigungsklausel. Die Kredite aus dem Westen führten in der Zeit zwischen 1960 und 1980 zu einem enormen Wirtschaftswachstum. Der Anteil der in der Industrie Beschäftigten stieg in diesem Zeitraum von 20 auf 44 Prozent. Rumänien erzielte die höchste Wachstumsrate im Bruttosozialprodukt im RGW. Aber 1972 begann auch für Rumänien die Wirtschaftskrise, die mit dem Schlagwort der Ölkrise nur unzureichend gekennzeichnet wird. Das gesamte Industriemodell geriet wie in den kapitalistischen Ländern - ins Wanken. In dieser Situation wurden der Nahe Osten als Ergänzungsraum für die rumänische Wirtschaft interessant. Konnte Rumänien die Ölkrise von 1974 zunächst mit der eigenen Ölproduktion auffangen, zogen der allmähliche Rückgang der eigenen Ölproduktion, der wachsende Verbrauch und der Anstieg des internationalen Ölpreises Rumänien mit in die internationale Finanzkrise hinein. Während die anderen RGW-Länder billiges Öl aus der UdSSR importierten, war Rumänien inzwischen vom Öl der OPEC-Länder abhängig. Eine rasante Verschuldung war die Folge: 1980 beliefen sich die Schulden bereits auf 10 Milliarden US $. Anfang der 80er Jahre begann in Rumänien eine drastische Austeritätspolitik. Der Ölimport wurde von 16 Millionen Tonnen (1980) auf 6,7 Millionen Tonnen (1984) reduziert. Gleichzeitig wurde die Produktion von Lebensmitteln für den Binnenmarkt gedrosselt. Ab 1981 wurde die Versorgung mit 74 Lebensmitteln rationiert. Selbst Brot wurde nur noch gegen Bezugskarten verkauft und nur noch an Personen, die im Stadtteil registriert waren. Heizungstemperaturen mußten auf zwölf bis acht Grad Celsius abgesenkt werden. Elektrizität gab es nur zu bestimmten Stunden. Die ländlichen Dorfstrukturen wurden mit dem Programm der "Systematisierung" in vielen Gegenden einfach aufgelöst: Dörfer wurden abgerissen und - in einer Art Zwangsarbeit - innerhalb weniger Tage Neubauviertel hochgezogen. Gleichzeitig wurde die Produktion von Lebensmitteln für den Export gesteigert, ihre Ausfuhr verdoppelte sich allein zwischen 1985 und 1988. Als einziges Land der Welt zahlte die rumänische Regierung in den 80er Jahren die gesamten Schulden an den IWF zurück. Ab 1985 wendete sie sich wieder stärker der UdSSR zu, um höhere Öl- und Gaslieferungen zu bekommen. Möglich war diese weltweit einzigartige monetaristische Austeritätspolitik - die Abschaffung der Haushaltsdefizite - nur mit Mitteln des Staatsterrorismus. Noch im August 1977 hatten die Bergarbeiter aus Petrosani - die sich 14 Jahre später gegen Roma, Intellektuelle und Schwarzhändler in Bukarest aufhetzen ließen - Ceauºescu gezwungen, in ihre Bergarbeiterstadt zu kommen. Er versprach ihnen höhere Löhne. Das polnische Beispiel drohte Schule zu machen, doch die Securitate bannte die Gefahr. 1980 ging der rumänische Export zu über 20 Prozent in Trikont-Länder. Es waren gigantische Industriekombinate entstanden, die den Irak und andere Golfstaaten belieferten, es gab eine Importwirtschaft, die von den Billiglöhnen in der Türkei profitierte. An den rumänischen Universitäten wurden Curricula für Studenten aus Somalia, Syrien und dem Iran eingerichtet. Aber mit Ende der 51 Jahre alten Entwicklungsdiktatur brachen Ende 1989 die staatlich organisierten Wirtschafts- und Ausbildungsformen schlagartig zusammen. Die internationalen Wirtschaftsembargos gegen den Irak und gegen Restjugoslawien gaben dem Niedergang des rumänischen Entwicklungswegs zusätzlich etwas Endgültiges, wie es bisher nur aus den historischen Umbrüchen in Südamerika bekannt ist. Die Wirtschaftskontakte überlebten - freilich häufig als individualisiertes Wissen über Vertriebs- und Nachschubwege. Aus entlassenen Arbeitern wurden "businessmen", denen es wirtschaftlich schlechter ging als vorher. Und für die ausländischen StudentInnen hatte die Verweigerung, das Visum zu verlängern, einschneidende Folgen: Sie mußten ihr Studium abbrechen, verloren ihre Unterkunft im Studentenheim und die Mensa-Verpflegung. Sie waren zu Illegalisierten 75 geworden, mußten Razzien befürchten, kannten sich aber aus. Viele wanderten nach Westeuropa aus, andere wurden zu Kontaktpersonen für Landsleute, die auf der Flucht waren. Nach dem Zweiten Golfkrieg waren neben KurdInnen aus der Türkei, dem Irak und dem Iran auch ehemalige Angestellte der industriellen und hochentwickelten technischen Betriebe des Iraks auf der Flucht. So brachte die Niederlage des Iraks und die Unterdrückung der irakischen Opposition Gruppen über die Türkei nach Südosteuropa, vor allem nach Rumänien, die sich vorher verfeindet gegenüberstanden. Eine direkte Abschiebung festgenommener MigrantInnen wurde bisher durch das Flugembargo verhindert, aber die Bukarester Regierung schiebt nach Istanbul und Amman ab. Von dort geht die Kettenabschiebung weiter, bis zur Übergabe an der irakischen Grenze. So ist Rumänien für viele zwar zum Sprungbrett nach Westeuropa geworden, doch das Land erweist sich aufgrund der guten diplomatischen Beziehungen mit der Türkei und arabischen Ländern für viele als Falle, im Vorfeld der Festung Europa. Transport Wer die Mauern der Festung Europa überwinden will, ist gezwungen, in einem Rutsch in die EU zu gelangen, in verschlossenen Lastwagen oder Containern, sonst droht - wegen der Drittstaatenregelung - die unverzügliche Abschiebung. Das ist der Hintergrund der Tragödie, bei der im Juli 1995 achtzehn tamilische und singhalesische Flüchtlinge in Ungarn den Tod fanden. In Bukarest hatten sie sich mit zweiundzwanzig weiteren Personen auf den Weg nach Westen gemacht, zunächst mit einem Bus. Später stiegen sie in einen bulgarischen LKW um, der versiegelt wurde. Bereits auf der Fahrt sollen siebzehn Männer und eine Frau im Alter zwischen sechzehn und fünfzig Jahren an Hitze und Sauerstoffmangel gestorben sein. Das achtzehnte Opfer starb offenbar nach der Ankunft in der ungarischen Stadt Györ. Erst am darauffolgenden Tag wurde der LKW von der ungarischen Polizei aufgefunden. Neunzehn Überlebende wurden verhaftet, ein Iraker und zwei Menschen aus Sri Lanka konnten untertauchen. Die Festgenommenen beantragten 76 politisches Asyl, wurden aber - möglicherweise unter Beteiligung österreichischer Diplomaten - am 5. August über Sofia nach Colombo abgeschoben. Dies brachte ein Mitarbeiter der FFM drei Tage später bei einem Besuch im Abschiebegefängnis Györ in Erfahrung.87 Auch türkische und kurdische Häftlinge berichteten von ähnlichen Erfahrungen auf der Flucht. Bevor sie vom ungarischen Grenzschutz festgenommen worden waren, hatten sie sich nach über dreißig Stunden in einem verschlossenen Container bei Hitze und Wassermangel gerade noch rechtzeitig befreien können. Mehrere hatten sich bei der Flucht Knochenbrüche und Verstauchungen zugezogen. Weil das Thema für Ermittlungen und Fahndungen deutscher Behörden von unmittelbarem Interesse ist, seien im folgenden lediglich einige Zitate aus der bereits veröffentlichten Schrift "Profiles" der IOM wiedergegeben. "Gruppen von Bangladeschis, Indern und Afghanen wurden kürzlich an Rumäniens Westgrenze verhaftet, als sie versuchten, mit gefälschten Reisedokumenten die Grenze zu überqueren, die sie auf dem lokalen Markt gekauft hatten. Auch in Indien kann man falsche rumänische Visa kaufen, gab ein indischer Asylbewerber an, der mit einem gefälschten Visum in seinem Paß aufgegriffen wurde. Zuverlässigen Quellen zufolge, die auf illegale Schleuser zurückgehen, sind manche Dokumente, die im Umlauf sind, derart perfekt, daß die Fälschungen von den Geräten, mit denen auf dem Flughafen Otopeni die Laserkontrolle durchgeführt wird, nicht erkannt werden." (S. 24) "Oft betragen die Gebühren der Schleuser für Passagen von Moldawien nach Rumänien 300 bis 500 US $. [...] Für einen Pakistani kostete das gesamte Paket nach Rumänien 6.000 US $. Nach Angaben von Irakern muß auch eine Gebühr für die legale Seite der Reise entrichtet werden: das Ausstellen eines Blankopasses soll 1.500 US $, ein Transitvisum 100 US $, ein Touristenvisum für Rumänien 300 US $ und für Rußland 200 US $ kosten. Bei der Einreise auf den Flughäfen müssen Reisende dieser Länder zusätzlich 100 US $ zahlen. [...] Iranische Reisende können in Rumänien ein 10.000 US $-Paket kaufen, das einen gefälschten italienischen oder griechischen Reisepaß einschließt, ein Touristenvisum für Deutschland oder die skandinavischen Länder, ein Flugticket und schließlich den ´Berater-Service' (den Paß im Flugzeug zerstören,88 bei der Ankunft um Asyl nachfragen, angeben, daß das Dokument verloren oder gestohlen wurde)." 87 siehe ZAG Nr. 16, Berlin 1995, S. 28-30 88 Inzwischen kopieren die Fluggesellschaften alle Pässe vor Flugantritt. 77 (S. 15) "Der Schleuser wird oft als ruchloses Individuum beschrieben, das Geld nimmt und verschwindet, bevor sein Job beendet ist, oder auch als ein freundlicher Mensch, der ´wirklich helfen wollte´. Er ist Ukrainer, Georgier oder Moldawier. [...] An bestimmten Stellen rund um Bukarest ist der Handel mit Migranten ein florierendes Geschäft. Auf bestimmten Parkplätzen an der Autobahn zwischen Bukarest und Braºov sollen LKW-Fahrer angeblich ihr Handelsgut im Packraum verstauen. Meist haben die Lkws türkische Autoschilder, die Händler sind Türken und Araber. Der Markt bietet alles, womit man handeln kann, inklusive Menschen. [...] Der Fahrpreis ist für Rumänen und Asiaten unbezahlbar, rund 300 bis 400 US $ pro Person bis Paris, mit Dokumenten für die Grenzpassage. Der ´Fahrer´ überläßt die Person anschließend ihrem Schicksal und nimmt das Dokument wieder an sich, wohl für den nächsten Gebrauch." (S. 16) Die IOM berichtet in ihrer Publikation "Transmigration in Romania": "Mitglieder von exilierten kurdischen, iranischen oder irakischen Communities stehen ihren Landsleuten vor allem mit Transitausgaben bei, inbegriffen ´Beratung´ und illegale Grenzüberschreitung. Nach der Erkundungsphase hängen sich die Transitmigranten westwärts an die irregulären Ströme, in der Regel unter Verwendung falscher Reisedokumente und Visa."(S. 7) "Es ist nicht ungewöhnlich, in den Anzeigenspalten größerer Tageszeitungen Visanachfragen zu sehen (siehe România Liberã, Mitte Oktober, ´Gesucht: Tourist-Visum für Spanien´). Selbstverständlich sind solche Nachfragen nicht an ausländische Konsulate gerichtet, noch erhalten sie von dort eine Antwort." (S. 14) Asylpolitik und Ausländergesetz Asyl- und ausländergesetzliche Politik befinden sich, juristisch gesehen, zwischen völkerrechtlichen Bestimmungen, innenpolitischen Koordinaten und den Paragrapheninstrumentarien zur Regulierung des Arbeitsmarkts. Für Flüchtlinge und MigrantInnen ist dieses Spannungsfeld solange völlig belanglos, wie der Staat in diesem Bereich nicht über einen effektiven Apparat verfügt bzw. wie Schattenwirtschaft regelrecht erwünscht ist. Nach dem Sturz Ceauºescus fielen außer den Grenzkontrollen nach und nach auch die Sonderbestimmungen für Ausländer. Inzwischen entsteht in Rumänien 78 unter Anleitung westeuropäischer Regierungen und supranationaler Organisationen allmählich ein Apparat zur Kontrolle der Migration, der die repressiven Schengener Instrumentarien festschreiben soll. Ein neues Ausländergesetz ist jedoch bis heute nicht in Kraft, ein Asylgesetz nicht verabschiedet. In das allgemein rechtliche Vakuum der Transformationszeit drängten die sich auf das Völkerrecht berufenden internationalen Organisationen, ihr Handlungsspielraum ist aber bis heute begrenzt. Denn der Aufbau eines umfassenden Ab- und Durchschiebesystems, wie er von der Bundesrepublik gewünscht wird, findet bei einem Teil der rumänischen politischen Klasse zwar durchaus Beifall, schließlich versucht sie ihre Macht durch eine Politik der Renationalisierung und des offenen Rassismus zu festigen. Doch diese Interessen kollidieren mit den Interessen jener Machtgruppierung, die außenpolitisch auf größere Unabhängigkeit von den wirtschaftlichen und militärischen Blöcken und auf eine eigenständige Kooperation mit Ländern des Nahen Osten setzt. Dieser Widerstreit wird nicht kurzfristig beigelegt werden können. Oberste Priorität scheint dagegen für alle Gruppen, auch für den Westen, die politische Stabilität des Regierungsapparats zu haben. Daher kann man davon ausgehen, daß das vom Westen alimentierte politische und gesellschaftliche Patt sicherlich nur ein langsames Tempo beim Aufbau der neuen Behörden der Asyl- und Ausländerpolitik zuläßt. Flüchtlinge sind in Rumänien polizeilicher Willkür ausgesetzt, ihr juristischer Status ist ungesichert. Im Zusammenwirken von UNHCR, IOM, neuen NGO´s und dem Technischen Sekretariat des Rumänisches Komitees für Migrationprobleme - einer Regierungsbehörde - wurde eine Art drittklassiges Menschenrecht durchgesetzt und manchmal auch tatsächlich angewandt. Die Regionalisierung der Menschenrechtspolitik im Vorfeld der Festung Europas hat - und das läßt sich in Rumänien beispielhaft aufzeigen - zu abgestuften Standards von "Menschenrechten" geführt. Konkret bedeutet dies: Wer temporär, maximal für zwei Monate, als Flüchtling anerkannt wird - die Anerkennung kann jeweils um zwei Monate verlängert werden -, sieht sich auf einen Lebenstandard abgesenkt, der weit unter dem Existenzminimum liegt. Und vor allem: Seine Daten sind erfaßt, legal ist für den Flüchtling Rumänien Endstation. Er wird nicht in ein Land weiterreisen dürfen, wo er einen höheren Flüchtlingsschutz bekommen könnte. Wer temporär anerkannt ist, dem haben sich die Grenzen verschlossen. 79 UNHCR und NGO´s Geraten Flüchtlinge und MigrantInnen in die repressive Maschinerie von Razzien, Hausdurchsuchungen, Festnahmen und Übergriffen, bleibt ihnen als Hoffnung nur der UNHCR oder die Adressen kleiner Hilfsorganisationen. Die Aussicht, Hilfe oder Asyl zu bekommen, sind allerdings minimal. Ein Kontakt zum UNHCR kommt - wie die Situation am Bukarester Flughafen Otopeni zeigt - meist gar nicht erst zustande. Schließlich ist die Arbeit des UNHCR in Südosteuropa nicht auf die Errichtung eines umfassenden Asylschutzes, sondern - in Übereinstimmung mit den Konzepten der EU - vor allem auf die vorbeugende Migrationsbekämpfung ausgerichtet. Die Akzeptanz unterschiedlicher internationaler juristischer Standards - bei Festnahmen, den Haftbedingungen und der Versorgung von Flüchtlingen und MigrantInnen - scheint sowohl in supranationalen als auch in manchen nichtstaatlichen Organisationen erschreckend weit vorangeschritten zu sein, meist wird schulterzuckend auf die allgemein katastrophale Lage in der Polizeihaft und in den Gefängnissen verwiesen. Die staatliche Flüchtlingspolitik geht in Rumänien vor allem auf Initiativen des UNHCR zurück. Die staatliche Flüchtlingspolitik könne durch das Einwirken supranationaler Institutionen und rumänischer NGO´s aber nur mühsam flankiert werden, erklärte Hugh Massey, UNHCR-Beauftragter in Bukarest, in einem Gespräch mit einem FFM-Mitarbeiter. Flüchtlingsschutzes sei eine Die Geschichte Chronologie des staatlichen zögerlicher rumänischen Regierungs- und Parlamentsentscheidungen zur Migrationspolitik. 1991 hatten die UNHCR-Vertreter ihre Arbeit in Bukarest zunächst provisorisch unter einem Dach mit der UNDP - der Entwicklungsorganisation der UN aufgenommen. Nachdem dreihundert somalische Flüchtlinge im Januar 1991 relativ erfolgreich das UNDP-Gebäude besetzt hatten, um Sozialversorgung und Asyl zu erlangen, war der schnelle Aufbau einer minimalen staatlichen und supranationalen Flüchtlingspolitik vordringlich. Schließlich wurde der Protest der ersten großen Gruppe von Flüchtlingen, die sich seit 1989/90 im Lande aufhielt, auch von irakischen und albanischen Flüchtlingen unterstützt. Für die rumänische Regierung war eine solche Auseinandersetzung völlig neu. In der Ceauºescu-Ära waren in Rumänien genau bestimmte Kontingente politischer Flüchtlinge aus Griechenland und Chile aufgenommen und staatlich versorgt worden. 80 Nach dem Sturz des Ceauºescu-Regimes hatten die Medien Hetzkampagnen gegen sogenannte "Ausländer-Terroristen" begonnen. Es hatte geheißen, die Scharfschützen auf den Dächern, die die Großdemonstration mit gezieltem Feuer zerschlagen wollten, rekrutierten sich aus "arabischen Studenten", die Ceauºescu ins Land gebracht hätte. Diese Behauptungen erwiesen sich später als Lügen, die vermutlich auf den Securitate-Geheimdienst zurückgingen. Menschen auf der Flucht wurden nun in Behörden und auf der Straße mit einer von oben geschürten flüchtlingsfeindlichen Stimmung konfrontiert, staatliche Anlaufstellen für sie gab es nicht. Nachdem die rumänische Regierung am 17.8.1991 die Genfer Konvention und das Zusatzprotokoll kurzfristig unterschrieben hatte, konnte das Bukarester UNHCRBüro Anfang 1992 offiziell seine Arbeit aufnehmen. Am 8.12.1991 war in einem Referendum die neue Verfassung angenommen worden. In Artikel 20 heißt es: ”Im Fall von Unstimmigkeiten zwischen Pakten und Verträgen bezüglich grundlegender Menschenrechte, denen Rumänien zugestimmt hat, und landesinternen Gesetzen haben die internationalen Gesetze Priorität." Damit schienen weite Teile des repressiven Ausländergesetzes außer Kraft gesetzt, auch wenn es bis heute keine neue Gesetzgebung, sondern nur ministerielle Richtlinien zur Asylpraxis gibt. Die Unterzeichnung der Genfer Konvention, die Etablierung des UNHCR-Büros und das deutsch-rumänische Deportationsabkommen vom 24.9.1992 bildeten die Eckpunkte der internationalen Politik, die die rumänische Regierung im September 1992 zur veranlaßten. Einrichtung In eines diesem Technischen Technischen Sekretariats Sekretariat für wird Migrationsfragen gleichermaßen die Immigrations-, Flüchtlings- und Abschiebepolitik koordiniert. Außerdem ist diese Behörde, die dem interministeriellen Komitee untersteht, für Fragen der Emigration und für die Rücknahme abgeschobener RumänInnen zuständig. In unregelmäßigen Abständen lädt das Technische Sekretariat Vertreter des UNHCR, der IOM sowie der Flüchtlingshilfe-NGO´s zu einem Runden Tisch ein, um die gröbsten Unstimmigkeiten zu glätten und den Unmut der engagierten Gruppen zu besänftigen. Denn: Das Verhältnis zwischen staatlichen Stellen und Flüchtlingen, die wegen Asylfragen und bevorstehender Abschiebungen bei den Beratungsstellen vorsprechen, ist sehr gespannt. Hugh Massey berichtete darüber hinaus, dem UNHCR sei in Osteuropa die Aufgabe des NGO-institution-buildings zugefallen. Das heißt, der UNHCR versuche, 81 selbstbewußte und staatlich unabhängige Organisationen aufzubauen. Mit der Institutionalisierung osteuropäischer Regionalkonferenzen unter dem Namen "Partnership in Action - PARINAC" bemüht sich der UNHCR seit 1994 zudem um einen organisatorischen Zusammenschluß landesspezifischer NGO´s und die Formulierung eines konsensfähigen, regional abgestuften Flüchtlingsschutzes. In Rumänien hat der UNHCR seit 1992 zwei NGO´s konzeptionell und seit 1994 auch finanziell in seine Arbeit einbezogen: Das Helsinki-Komitee APADOR gibt Rechtsbeistand, und die Menschenrechtsorganisation SIRDO verteilt Essencoupons für Kantinen in der Stadt, in größeren Abständen auch Kleidung. Darüber hinaus bieten zwei Ärzte von SIRDO in einem Flüchtlingslager eine notdürftige medizinische Versorgung. Auch bei der Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt sei der UNHCR behilflich. Es sei aber extrem schwierig, für sie einen Job zu finden, räumt Hugh Massey ein. Neben der Flüchtlingshilfe übernimmt der UNHCR in Rumänien auch Aufgaben, die nur mit direkter Flüchtlingsabwehr zu beschreiben sind. So arbeitet der UNHCR im Rahmen von Programmen zur sogenannten freiwilligen Repatriierung mit der IOM zusammen. Mit dem Grenzschutz führt er zudem ein Trainingsprogramm durch. Der Datenverbund, in den der UNHCR Personendaten über Flüchtlinge in Rumänien einspeist, bedeutet für die erfaßten Flüchtlinge ein klares Migrationshindernis. Wer sich vom UNHCR in Asylfragen beraten läßt - und das Büro wird durchaus frequentiert -, kann legal nicht weitermigrieren. "Frühwarnung" und "Prävention" seien mit dem internationalen Flüchtlingsschutz abzustimmen. So charakterisierte Massey die Aufgabe des Bukarester UNHCRBüros. Rumänien sei sicherlich kein sicherer Drittstaat ("safe country") im Sinne voller Garantien der Genfer Flüchtlingskonvention. Die Regierung halte nicht sämtliche sich aus der Konvention ergebende Verpflichtungen ein. Außerdem habe der UNHCR bereits des öfteren polizeiliche Übergriffe ("cases of excess") auf Flüchtlinge registriert, aber es dauert Monate, bis das Technische Komitee entsprechende kritische Hinweise zur Kenntnis nimmt. Eine der wichtigsten aktuellen Aufgaben des UNHCR in Rumänien sei es, daß die Entwürfe zum Ausländergesetz und zum Flüchtlingsstatus verabschiedet würden. Die "Asociaþa pentru Apãrarea Drepturilor Omului în România - Comitatul Helsinki" (APADOR-CH), eine Menschenrechtsorganisation, die mit einem knappen 82 Dutzend Angestellten in Rumänien arbeitet,89 äußerte sich wesentlich kritischer zur Flüchtlings- und Asylrealität. Die behördlichen Asylbescheide seien willkürlich und nicht nachvollziehbar. Zwar gebe es nach den provisorischen Richtlinien bei einer Ablehnung eine Berufungsmöglichkeit. Weil dem Antragsteller die Ablehnungsgründe nicht mitgeteilt würden, könne man aber keinen echten Widerspruch formulieren. Nach der Ablehnung blieben den meisten nur zwei Monate Zeit, um sich notdürftig irgendwie zu arrangieren. Faktisch könnten nur Geschäftsleute ihren Aufenthalt legalisieren. Abschiebungen aus Rumänien trügen häufig das Risiko des Refoulements, der Abschiebung in den Verfolgerstaat, eine Praxis, die eindeutig der Genfer Konvention widerspricht. Bemerkenswert sind auch die Hinweise von APADOR-CH auf die systematische Schikanierung und Erfassung von Roma, die aus der Bundesrepublik nach Rumänien abgeschoben wurden. In Einzelfällen konnte bereits nachgewiesen werden, daß Roma, die in ihre Landkreise zurückgekehrt waren, von der Lokalpolizei zur erkennungsdienstlichen Behandlung vorgeladen wurden. APADOR-CH untersucht nun, ob die entsprechenden Instruktionen zur separaten Registrierung von der Regierung stammen. Die "Societateã indepentã rumânã pentru Drepturile Omului" (SIRDO), die "Rumänische unabhängige Gesellschaft für Menschenrechte, führt im Auftrag des UNHCR im Flüchtlingslager in der Strada Gociu Sozialbetreuung durch. Die Organisation, die seit 199090 besteht, will Flüchtlingen, die sich im Anerkennungsverfahren befinden, durch eine Unterstützung das soziale Überleben sichern. So beschrieb Lucia Humaniuc, die Direktorin der Flüchtlingsabteilung, die Aufgaben der SIRDO. Die Flüchtlinge sollten durch Sprachunterricht und Requalifizierung integriert werden, und ihnen soll außerdem auf dem Weg zwischen 89 Die Schwerpunkte von APADOR-CH liegen neben der Flüchtlingsarbeit auf folgenden Gebieten: - Beobachtung der gesetzgebenden Prozesse im Parlament, Beobachtung der Lobbies - Dokumentation von polizeilichen Übergriffen, Fact-finding-mission in verschiedenen Städten - Minoritätenthematik: Beratung bei den entsprechenden gesetzgebenden Entwicklungen, Dokumentation der Übergriffe und Pogrome, Vermittlungstätigkeit zwischen der Regierung und ungarischen Gruppen in Rumänien (in 1995) - Klagen in exemplarischen Fällen der Bürgerrechte - Bildungsarbeit als Menschenrechtszentrum, Seminare für Studenten und angehende Rechtsanwälte - Dokumentationszentrum mit Bibliothek 90 SIRDO ist zur Zeit neben der Flüchtlingsarbeit in folgenden Bereichen tätig: - Erziehung in der Schule, Behandlung von Menschenrechtsfragen - Soziale Reintegration entlassener jugendlicher Gefangener - Untersuchung und Beratung extrajudiziärer Fälle - Frauenrechte, insbesondere Gewalt in der Familie 83 der Grenze und dem Technischen Komitee - dem Ort der Asylantragstellung humanitäre Hilfe angeboten werden. Die fehlende Gesetzgebung schränke die Arbeit von SIRDO aber grundsätzlich ein, denn nur rund 3.000 Personen gälten im Sinne der Übergangs-Richtlinien als Flüchtlinge. Die Menschenrechtsorganisation betreut insgesamt 50 bis 70 Flüchtlinge. Wohn- und Geldprobleme von Flüchtlingen, die sich im Anerkennungsverfahren befinden, könne SIRDO allerdings nicht auffangen. Die Sozialunterstützung betrage nur drei Mark pro Monat. In der Praxis beschränkt sich die Arbeit von SIRDO auf die Beratung von Flüchtlingen, die das Büro aufsuchen, und auf ein Besuchs- und Betreuungsprogramm im Flüchtlingslager in der Strada Gociu. In der SIRDOFlüchtlingsabteilung arbeiten zwei Ärzte, zwei Rechtsanwälte, zwei Sozialarbeiter und ein Computerfachmann. Alle zwei Wochen verteilen SIRDO-Mitarbeiter im Lager Lebensmittelrationen des UNHCR. Ohne eine zusätzliche eigene Verpflegung können sich Flüchtlinge dort offenbar nicht ausreichend ernähren. Beim Besuch unseres Mitarbeiters bestand die Grundsubstanz der Verpflegung aus einer breiigen Masse. Irritierend war die Haltung der SIRDO-Leiterin gegenüber einem Hungerstreik eines Iraners. Der Protest sei unberechtigt und in der Art der Artikulation irrational. Das Familienoberhaupt wisse selbst nicht genau, gegen wen sich sein Protest richte, anfangs gegen die Regierung, jetzt aber erklärtermaßen gegen den UNHCR. Der Mann und seine ganze Familie seien im Iran gefoltert und terrorisiert worden, sie wollten weiter nach Schweden. SIRDO könne ihnen nicht helfen, weil sie als Asylbewerber in Rumänien registriert seien, so daß alle weiteren Wege abgeschnitten seien. Gegenüber dem Vertreter der FFM stellte der Mann seine Gründe dagegen einleuchtend dar. Denn alle staatlichen Verantwortlichkeiten waren auf den UNHCR übertragen worden. Tatsächlich erschien am Tag des FFM-Besuchs der UNHCR-Beauftragte bei der iranischen Familie - mit dem Vorsatz, den Hungerstreikenden zur Aufgabe zu bewegen. Der "Grupul Român pentru Apãrarea Drepturilor Omului" (GRADO) - die Rumänische Gruppe für die Verteidigung der Menschenrechte - hat sich 1994 gebildet, um rumänische und staatenlos gewordene RückkehrerInnen und Abgeschobenen sozial und rechtlich zu unterstützen. Das Zentrum ist noch im Aufbau und erhält finanzielle und konzeptionelle Hilfe im wesentlichen von einem 84 Fachverband der Caritas, dem Raphaelswerk in der Bundesrepublik, und einer dänischen NGO. Das Verbindungsbüro der "International Organization for Migration" (IOM) nahm 1992 in Bukarest seine Arbeit auf. Die IOM berät die rumänischen Behörden beim Aufbau einer staatlichen Flüchtlingsverwaltung und bei der Ausarbeitung von Rückübernahmeabkommen Rumäniens mit Ländern "mit hohem Emigrationsrisiko". Die betreibt eigenständige Forschungen zur Transitmigration und zur Emigration von RumänInnen nach Westeuropa. Deshalb entwickelte das IOM-Büro - ähnlich wie der UNHCR - eine Beratung für Flüchtlinge und MigrantInnen, um durch deren systematisierte Befragungen Erkenntnisse über ihre Motivation und Erwartungen zu gewinnen. Zum Zweck der Migrationsprävention hat die IOM sogar ein eigenes Radioprogramm aufgebaut. Iuliana Stephan, die Leiterin des "Information Programme" der IOM in Bukarest, berichtete auch über aktive Flüchtlingspolitik ihres Büros. So gab es bereits mehrfach "freiwillige Repatriierungen", die die IOM in Kooperation mit dem Technischen Büro durchgeführt hat. (siehe oben) Die Orthodoxe Kirche, die Caritas und das Rote Kreuz zeigt sich nach Aussagen viele MigrantInnen und Flüchtlinge in Rumänien ihrem Schicksal gegenüber indifferent. Staatliche Stellen und zukünftige Gesetzgebung Die einzige landesweite Annahmestelle für Asylanträge befindet sich in der Innenstadt von Bukarest. Der Bulevardul N. Bãlcescu, an dem das Technische Sekretariat des rumänischen Komitees für Migrationsprobleme zu diesem Zweck eine Außenstelle eröffnet hat, ist die Vorzeigemagistrale, mit Geschäftsleuten, Flaneuren, StudentInnen und StraßenverkäuferInnen. Die geschlossene Häuserfront bricht bei der Hausnummer 17-19 auf, man betritt ein Gelände mit mehreren Schuppen. Geöffnet ist das Büro in einer der Baracken nur mittwochs und 85 donnerstags zwischen zwölf und sechzehn Uhr. Man muß ab sieben Uhr dort anstehen, um eine Annahmenummer zu erhalten. Unser Mitarbeiter trifft dort an einem frühen Mittwochmorgen Ende März 1995 auf eine große Ansammlung alter Menschen. Es herrscht eine wütende Stimmung. Die Menschen beschweren sich, daß ihre Renten nicht vorschriftsmäßig ausgezahlt würden, - es stellt sich heraus, daß sich hier zugleich auch der Schalter für Rentenanträge und -anfragen befindet. Nur vier Flüchtlinge sind unter den Wartenden auszumachen. Flüchtlinge sind in Rumänien fast vollständig von staatlicher Unterstützung ausgeschlossen. An Interviews ist in dem Gedränge nicht zu denken. Diese Regierungsstelle ist eines der wenigen sichtbaren Zeichen der im Aufbau befindlichen Flüchtlingsverwaltung. Deren Geschichte ist schnell rekapituliert: Aus den Aktivitäten des UNHCR, der IOM und bundesdeutscher Stellen in den Jahren 1990/91 kann man schließen, daß die rumänische Regierung zum Aufbau einer Institution gedrängt wurde, die für die internationalen Aspekte der Migrationspolitik als Ansprechpartner fungieren sollte. Zu diesem Zweck - für Fragen der Transitmigration und der Emigration sowie für die Reintegration von abgeschobenen RumänInnen91 - hat die Regierung das interministerielle "Rumänische Komitee für Migrationsprobleme" auf Staatssekretärs- und Unterstaatssekretärs-Ebene durch den Regierungserlaß Nr. 417 vom 14.6.91 eingerichtet. An dem Gremium sind das Ministerium für Arbeit und Soziales, das Außen-, Innen-, Justiz-, Wirtschafts- und Finanz-, Gesundheits-, Erziehungs- und Wissenschaftsministerium und die kommunale öffentliche Verwaltung beteiligt. Am 29.9.92 schuf das Rumänische Komitee für Migrationsprobleme das Technische Sekretariat als Anlaufstelle. Gleichzeitig gab es Richtlinien zur Durchführung von Asylverfahren heraus. Danach sollten Asylentscheidungen innerhalb eines Monats fallen. Doch nach Berichten von APADOR-CH werden diese Richtlinien weder an den Grenzen und Flughäfen noch in der Innenstadt von dem Büro des Technischen Sekretariats befolgt. Das Anerkennungsverfahren dauert demnach in der Regel bis zu zwei Jahren. Die Richtlinien sehen keine eigentliche Anhörung des Antragstellers vor. Weil keine Gründe für eine Ablehnung mitgeteilt werden, ist die Anrufung einer Revisionsinstanz - einer Unterkommission desselben Sekretariats - eine Farce. Anerkannte 91 Obwohl Art. 3.1. des Erlasses vom 14.6.91 bestimmt, daß die Hauptaufgabe des Komitees ist, die Rückkehr nach Rumänien zu erleichtern und die soziale und die berufliche Reintegration zu befördern, ist über diesbezügl. Aktivitäten nichts bekannt, außer der Teilnahme des Komitees an der deutsch-rumänischen Arbeitsgruppe zur Bewältigung von Wanderungsfragen (siehe oben). 86 Asylbewerber in der Stadt zeigten unserem Mitarbeiter ihre behelfsmäßigen Ausweise: Ihr Aufenthalt muß mit diesem Papier alle zwei Monate verlängert werden. Mit dem Visum sitzen sie in Rumänien fest, denn sie können kein Visum für ein anderes Land mehr bekommen Bis Ende 1994 wurden nach Angaben des Technischen Sekretariats 2.400 Asylanträge angenommen, ungefähr 120 pro Monat. Fünfzig Flüchtlinge sollen den Flüchtlingsstatus bekommen haben; der UNHCR-Beauftragte sprach dagegen nur von sechzehn iranischen Personen, deren Asylbegehren entsprochen wurde.92 Fast die Hälfte aller Asylantragsteller (1.100 Personen) sind inzwischen untergetaucht oder haben auf unbekannten Wegen das Land verlassen. Asylantragsteller in Rumänien, nach Hauptherkunftsländern Quelle: Techn. Sekretariat, Rumänisches Komitee für Migration, Herbst 1993. Herkunftsland Asylanträge Bangladesh 368 Albanien 323 Somalia 323 Pakistan 174 Irak 150 Sri Lanka 109 Indien 59 Iran 50 Bosnier 18 Derzeit erhalten in Rumänien weniger als hundert Flüchtlinge Unterkunft, Verpflegung und eine monatliche Unterstützung von 4.000 Lei (umgerechnet drei Mark) vom Staat beziehungsweise durch den UNHCR. Sie sind in dem Lager in der Strada Gociu 26 A untergebracht. Massey betonte, daß es für sie freien Schulbesuch, gewisse Arbeitsmöglichkeiten und eine Basis-Gesundheitsversorgung in ein oder zwei Krankenhäusern gebe. Die Interviews, die die FFM in dem 92 Die Reisedokumente, die anerkannte Asylbewerber erhielten, würden laut Hugh Massey von Drittländern nicht anerkannt, sie seien faktisch nur für die Rückkehr benutzbar. 87 Bukarester Flüchtlingslager führen konnte, lassen aber starke Zweifel daran aufkommen. Das Flüchtlingsstatut, das als Gesetzentwurf Nr. E 119 am 30.8.1993 der Abgeordnetenkammer vorgelegt wurde, ist noch nicht verabschiedet. Nach geringfügigen Veränderungsvorschlägen der juristischen Kommission der Abgeordnetenkammer vom 6.10.1993 ist es im parlamentarischen Betrieb verschwunden. Dabei ist die rumänischen Regierung seit der Unterzeichnung der Genfer Konvention zu seiner Verabschiedung verpflichtet. In der Begründung des Entwurfs nahm Premierminister Vacãroiu Bezug auf die legislative Beratung durch den UNHCR und internationale Organisationen, die der rumänischen Regierung dieses Artikelwerk nahegelegt hatten. Das Statut sieht für Asylbewerber ein Anhörungs- und Appellverfahren sowie soziale Beihilfen in Höhe eines Minimallohns für maximal sechs Monate vor. In Artikel 21 ist festgelegt, daß der Flüchtlingsstatus höchstens für fünf Jahre gewährt wird. Eine Prüfungskommission kann eine Verlängerung um weitere drei Jahre aussprechen. Das Statut orientiert sich mit dieser temporären Begrenzung an den regionalisierten Minimalstandards des UNHCR. Auffällig ist, daß in Artikel 4 (Absatz e) die aus früheren Zeiten bekannte Nationale Sicherheit als Einschränkung bei der Erteilung des Flüchtlingsstatus genannt wird. In dem Entwurf ist immerhin als Pflicht des rumänischen Staats benannt, daß er dem anerkannten Flüchtling ein Identitätspapier ausstellen muß, mit der er auch in andere Länder reisen kann. Das neue Ausländergesetz, das neben einigen wenigen Rechtsgarantien auch die abschreckenden EU-Normen und Altbestände des staatlichen Sicherheitswahns institutionalisieren wird, hat ebenfalls lange - seit dem 21.7.1993 - in den Schubladen gelegen und am 13.3.1995 den Senat passiert. Bis zu seiner endgültigen Verabschiedung werden nach Meinung rumänischer Beobachter noch mehrere Monate vergehen. Um einen Eindruck von den Restriktionen zu vermitteln, seien im folgenden einige Artikel aufgeführt. Art. 2: "Ausländer können auf dem Territorium Rumäniens keine politischen Parteien oder andere Organisationen oder Gruppen gründen, sie können nicht Mitglied in politischen Parteien, Organisationen und Gruppen werden, die es im Land 88 gibt, sie dürfen nicht Demonstrationen und Versammlungen mit politischem Charakter initiieren oder organisieren und sie können keine öffentlichen, zivilen und militärischen Funktionen bekleiden." Art. 9: Folgende Visa können erteilt werden: - Diplomaten Visum und Geschäftsvisum für vereinbarte Zeit - Handelsvisum (6 Monate) - Arbeitsvisum (6 Monate) - Studienvisum (1 Jahr) - Touristenvisum (bis zu 60 Tage) - Transitvisum (3 Tage) Art. 10: Ein Visum kann verweigert werden, wenn die nationale Sicherheit tangiert ist oder wenn der Ausländer angibt, Rumänien durchqueren zu wollen, aber kein Visum für das Zielland vorweisen kann. Art. 13: "Die Beförderung von Ausländern nach Rumänien, die die Bedingungen betreffs Visum nicht erfüllen oder kein gültiges Reisedokument besitzen, durch Reisegesellschaften ist verboten. Im Falle der Nichtbeachtung dieser Vorschrift kommt die betreffende Reisegesellschaft für den Transport des Ausländers auf sowie für Unterbringungen und Verpflegung." Art. 14: "Ausländern aus Ländern mit deutlichen Emigrationstendenzen kann nur von den diplomatischen Vertretungen ein Visum gewährt werden, Voraussetzung dazu ist eine schriftliche Einladung. Der beglaubigten Einladung, die vom Innenminister befürwortet werden muß, muß die Verpflichtung enthalten, daß die einladende Person den Ausländer in den Angelegenheiten seines Aufenthaltes in Rumänien unterstützt, sowie evtl. auch für seine Reise aufkommt." Art. 15: "Ausländer, die das Gebiet Rumäniens betreten haben, sind verpflichtet, sich innerhalb von 48 Stunden bei der örtlichen Polizei zu melden. Die Person oder Organisation, die einem Ausländer eine Wohnung oder aber einen Platz für die Aufstellung von mobilen Unterbringungsmöglichkeiten zur Verfügung stellt, ist verpflichtet, dies innerhalb von 48 Stunden bei der örtlichen Polizei zu melden. Bei der Unterbringung in Hotels oder ähnlichen Orten ist der Ausländer verpflichtet, die notwendigen Formalitäten zu erfüllen, damit die Verwaltung ihrer Pflicht, innerhalb 24 Stunden die vorgesehenen Daten der örtlichen Polizei zu melden, nachkommen kann." 89 Art. 19: "Der Innenminister kann das Aufenthaltsrecht eines Ausländers begrenzen oder aufheben, wenn er die nationale Sicherheit gefährdet." Art. 20: "Wenn das Aufenthaltsrecht entzogen wird oder ein Ausländer für unerwünscht erklärt wird, muß er spätestens 48 Stunden, nachdem er davon in Kenntnis gesetzt wurde, das Land verlassen." Art. 21: Abschiebungen werden in das Herkunfts- oder das Zielland vorgenommen. Die Ausweisungen werden vom Innenminister ausgesprochen. "Bis zur Umsetzung dieser Maßnahme (Abschiebung) wird der Ausländer, der nicht über die nötigen Mittel verfügt, in speziell für diesen Fall eingerichteten Orten untergebracht. Die Abschiebung wird durch gerichtlichen Beschluß angeordnet. Um eine Abschiebung zu erwirken, ruft der Innenminister das zuständige Gericht an. (...) Die Kammer verhandelt innerhalb von 7 Tagen nach Antragstellung. Das Urteil muß spätestens 7 Tage nach Verkündung schriftlich fixiert sein." Eine Appellationsinstanz ist vorgesehen: "Im Hinblick auf die Abschiebung kann der Innenminister den Ausländer 24 Stunden lang festhalten. Auf Antrag des Innenministers oder eines anderen Amtes kann die Kammer Abschiebehaft verhängen. Diese Maßnahme darf nicht länger als 30 Tage dauern." Art. 45: Illegale Einreise von unerwünschten oder abgewiesenen Personen wird mit 1-5 Jahren Gefängnis bestraft, im Wiederholungsfall mit 2-10 Jahren. Eine Arbeitserlaubnis stellt das Arbeitsministerium aus. Erforderlich ist der Nachweis der künftigen Beschäftigung. Außerdem muß angegeben werden, wieviel Personen in dem Betrieb angestellt sind. 90 Minderheitenpolitik und Pogrome Seit 1989 kam es in allen Landesteilen Rumäniens immer wieder zu Pogromen gegen Roma. Der Rassismus, die alltäglichen Übergriffe und das Schweigen beziehungsweise die Mittäterschaft der Behörden zählen zu den wichtigsten Gründen für den Aufbruch der Roma nach Westeuropa. Der Rassismus richtet sich aber nicht nur gegen Roma; auch MigrantInnen, von denen sich viele seit Jahren in Rumänien aufhalten, berichten von zunehmenden Attacken. Die Somalier, die wir trafen, sprachen sogar von faktischen Sperrzeiten, denn sie wagten sich in Bukarest abends und nachts nicht mehr auf die Straße. Sobald es dunkel wird, würden sie vor ihrem Heim in der Stada Gociu aus umliegenden Häusern mit Flaschen angegriffen. Die Studentenunruhen, die 1993 wegen der Wohnraumknappheit ausbrachen, richteten sich zum ersten Mal auch gegen ausländische Studenten und andere Ausländer, die ohne formale Berechtigung in Studentenwohnheimen leben. An dieser Stelle kann der Zusammenhang von Austeritätspolitik, Transformation und Renationalisierung nicht umfassend dargestellt werden. Im Hinblick auf Flüchtlinge, MigrantInnen und die Romabevölkerung sollen im folgenden aber die wichtigsten Stichpunkte der offiziellen nationalistischen Politik benannt werden. Schließlich deutet vieles darauf hin, daß die Ausgrenzung der Roma und von Flüchtlingen und MigrantInnen zum Schrittmacher für die Umgestaltung der rumänischen Gesellschaft wird. Das gilt nicht nur für die sinn- und identitätsstiftenden Elemente dieser demagogischen Politik, sondern vor allem für die Auflösung der sozialen Solidaritätsstrukturen und für die gesellschaftliche Akzeptierung der absoluten Armut. Die Überhöhung der rumänischen Nation pflegte bereits die rumänische kommunistische Partei, besonders seit den 60er Jahren. Zu Beginn der 70er Jahre proklamierte Ceauºescu das nationale Bekenntnis zur dakischen Herkunft der Rumänen, ein Rückgriff in die Mottenkiste einer - angeblich - zweitausendjährigen glorreichen Geschichte. Dieser Schritt war politisch wohl kalkuliert. Er leitete eine 91 aktive Bevölkerungspolitik ein - die Unterwerfung der Frauen unter einen allgemeinen Gebärzwang. Daneben bereitete er den Boden für eine staatsterroristische Zerstörung sozialer Netze, wie sie dann in den 80er Jahren als Programm der "Systematisierung" Gestalt annahm. Dabei wurden unzählige Dörfer zugunsten "agroindustrieller Zentren" von Bulldozern niedergemacht. Das Ziel war die Unterwerfung der Landbevölkerung unter die Lohnarbeit. Am Wochenende stand für sie zusätzliche unbezahlte Wochenendarbeit auf dem Plan: Auf den Baustellen an den Stadträndern und in neuen Siedlungen wurden Tausende standardisierter Wohnungen hochgezogen. So war das Programm der "Systematisierung" zunächst durchaus mit sozialen Verbesserungen verbunden, aber in den neuen Wohnungen funktionierte kaum etwas. Mal fiel der Strom, mal die Heizung oder die Wasserversorgung aus. Mit dem Programm der "Systematisierung" wurden unter dem Diktat des IWF auch die staatlichen Sozialausgaben rigoros gestrichen. So standen die Vertriebenen aus den Dörfern am Ende ärmer da als je zuvor, denn ohne Land blieb ihnen nicht einmal der Obst- und Gemüsegarten. Ein weiteres Element der Homogenisierung der rumänischen Gesellschaft war die Stigmatisierung der Romabevölkerung seit den 70er Jahren. Mit dem Dekret Nr. 153/1970 konnten Menschen wegen "parasitären Lebenswandels" und traditionellen Kleinhandels, der vom Staat nicht genehmigt war, bis zu sechs Monaten ohne Strafprozeß inhaftiert werden. Die Roma, die sich nicht so einfach zu Lohnarbeitern machen ließen, wurden von Soziologen und Polizisten systematisch erfaßt, ihre Ökonomie zerstört. In den 80er Jahren geriet auch der Besitz von Goldmünzen ins Visier der Securitate. Neben dem Kleinhandel spielt die Vererbung von Goldmünzen für viele Roma ökonomisch eine große Rolle. Bei den Razzien der Securitate wurde ihnen - als Finazierungsbeitrag zur Staatssanierung - oft der einzige Besitz genommen, viele Roma wurden zu Tode geprügelt oder erschossen.93 Am 7.2.1983 stellte die Progaganda-Sektion des ZK der KP Rumäniens (KPR) ein Grundsatzprogramm vor, das die Arbeitsvermittlung und "soziale Integration" der Roma regeln sollte.94 Es ist ein besonders aussagekräftiges Dokument ihrer Unterdrückung. Darin heißt es unter anderem: 93 Nicolae Gheorghe, pogrom 154, Göttingen 1990, S. 25-28. 94 abgedruckt im Anhang von Helsinki Watch, Destroying Ethnic Identity, The Persecution of Gypsies in Romania, New York, Washington, Sept. 1991, S. 108 ff. 92 "In mehreren Regionen wurden als Ergebnis der 1977er Analyse der Zigeunerbevölkerung Kommissionen für soziale Integration und Resozialisierung eingerichtet. [...] Zigeunern wurde Land gegeben, auf dem sie sich Häuser bauen konnten. Es wurde ihnen Hilfe geboten, sowohl bei der Materialbeschaffung wie beim Hausbau. [...] Nomadisierende und halbnomadisierende Zigeunerbevölkerung wird 1977 auf 66.500 Personen geschätzt, und nur ungefähr 5.600 Personen arbeiten für das Wohl der Gesellschaft. [...] Die Zahl der Zigeuner, die das Gesetz nicht achten, wächst beständig. Dokumente des Innenministers geben an, daß der Anteil von überführten Zigeunern von 2% 1979 auf 3,3% 1982 gestiegen ist. [...] In Bukarest und anderen Städten wurden Zigeunerfamilien Wohnungen gegeben, entweder weil ihre Häuser abgerissen wurden oder weil sie einen Job bekommen hatten. Die Häuser, hauptsächlich Wohnblöcke, befinden sich in Regierungsbesitz. Leider haben die Zigeuner viele Wohnungen zerstört, sie ´unbewohnbar´ gemacht und in vielen Fällen nicht für Miete, Elektrizität usw. gezahlt. [...] Es gibt Fälle, daß Kinder und Jugendliche bis zu 18 Jahren keine Geburtsurkunde haben. Ungefähr die Hälfte dieser Zigeuner sind nicht ihrer Wehrpflicht nachgekommen.[...] Wenn man die Auswirkungen des Kindergelds, der finanziellen Hilfe für Mütter mit vielen Kindern und Zuschüsse bei der Geburt auf Zigeunerfamilien analysiert, ist festzustellen, daß das gegebene Geld das Gebären von vielen Kindern in Zigeunerfamilien - verglichen mit Familien von anderen ethnischen Gruppen - stimuliert. [...] Die Exekutivkomitees des Regionalen Volksrats oder des Bukarester Rathauses werden zusammen mit den lokalen Milizkommandostellen und den Gesundheits- und Erziehungseinheiten die numerische Situation und den sozialen Status der Zigeunerbevölkerung an jedem einzelnen Ort aufzeichnen; das wird auf der Basis primärer statistischer Angaben über die Bevölkerung erfolgen. [...] Zigeuner, die nicht sozial registriert sind oder keinen klaren sozialen Status haben, sollen mit den notwendigen Identitätskarten ausgestattet werden. [...] Auf den Identitätsausweisen müssen Wohnort und Arbeitsstelle vermerkt sein. [...] Das Transport- und Telekommunikationsministerium sollte harte Bedingungen für Pferdegeschirr- und Pferdtransporte auf der Bahn durchsetzen, um die Zigeunerfamilien an der Weitermigration zu hindern. [...] Das Arbeitsministerium wird mit Hilfe seiner lokalen Einheiten und der Miliz eine genaue Bevölkerungsübersicht erstellen bezügl. der Zigeuner, die arbeitsfähig, aber arbeitslos sind. Die regionalen Stellen für Arbeit und Sozialversorgung sowie ihre Zentralstellen in Bukarest sollten wie die Miliz sehr strikt und verschärft das Dekret 93 25/1976 anwenden. [...] Zigeunerbürger mit hohem Bürgersinn und einer positiven Einstellung zur Arbeit sollten gefördert und bei Wahlen aufgestellt werden." Auf Beschluß der KPR bildeten sich lokale Komitees, die einer sogenannten Demographiekommisssion zuarbeiten sollten. Diese lokalen Komitees bestanden aus Erziehern, Gesundheitsverantwortlichen, Repräsentanten der KPR und der Polizei. Dazu Nicolae Gheorghe, der diese Arbeit aus eigener Erfahrung kennt: "Die Polizisten waren das aktivste Element. Sie arbeiteten, um große Gruppen von Roma zu zerstreuen. Zerstreuung wurde als der beste Integrationsweg der Roma in die Gesellschaft angesehen." 95 Der Umbruch vom Dezember 1989 bedeutete für die Roma das Ende der staatlichen "Integrationspolitik". Sie waren nun die ersten, die überall entlassen wurden. Gleichzeitig liefen in den Medien Kampagnen gegen Schwarzhandel an - mit eindeutig antiziganistischer Stoßrichtung. Daß die Roma bei der Privatisierung der Landwirtschaft generell übergangen wurden, ist bereits geschildert worden. Wenn heute viele von ihnen die Ceauºescu-Zeit wieder herbeiwünschen - an deren Beendigung sie bedeutenden Anteil hatten - , so ist das ein deutlicher Hinweis auf ihre Verfolgung und absolute Verarmung. Bereits im Dezember 1989 begann die rumänischen Regierung eine aktive Minderheitenpolitik, gleichzeitig mit den in den meisten Landesteilen einsetzenden Pogromen gegen Roma. Von da an konstituierten sich auch die Selbstorganisationen und Verbände der Minderheiten nach nationalen und ethnischen Kriterien. Während die verschiedenen Gruppen, für die Rumänisch nicht die Muttersprache war, in den 70er Jahren nur nominell als nationale Minderheiten Rumäniens galten und Roma in offiziellen Statistiken nur unter etcetera auftauchten und nicht gesondert aufgeführt wurden, setzte sich die Ethnisierung nun überall durch. Die Minderheitenverbände der Roma96, Serben, Ukrainer, Armenier, Türken, Griechen, Bulgaren und Slowaken, die nach 1989 gegründet wurden, spielen im 95 Gheorghe, Nicolae, zit. nach Helsinki Watch, Destroying, S. 19. 96 u.a. Ethnische Föderation der Roma, Partidul romilor (Roma-Partei), DURR (Demokratische Union der Roma in Rumänien), Partidul romilor nomazi si calderari din Romania (Partei der nomadischen und Kalderash-Roma in Rumänien), Sozialdemokratische Partei der Roma in Rumänien. - Zur Zeit gibt es fünf Roma-Zeitungsprojekte. - Viele Roma-Initiativen knüpfen seit 1990 an syndikalistische und verbandspolitische Erfahrungen der Roma aus den 30er Jahren an, die sich damals von 94 Vergleich zu den großen ungarischen Verbänden kaum eine Rolle. Die ungarische Minderheit beziffert ihre Bevölkerung auf 1,7 Millionen Menschen. Insgesamt hat Rumänien 23 Millionen Einwohner, davon zählen 2 bis 2,5 Millionen als Roma. Die Selbstorganisationen sind vor allem im kulturellen und medienpolitischen Bereich aktiv, die ungarische Minderheit entwickelt darüber hinaus auch bedeutende parteipolitische Aktivitäten. Das politische Spannungsverhältnis, in dem sich die nationalen Minderheiten seit 1989 bewegen, wurde mit dem wachsenden Nationalismus bereits benannt. Darüber hinaus rücken außenpolitische Konflikte beziehungsweise Grenzstreitigkeiten mit Ungarn, Moldawien und Rußland zunehmend in den Vordergrund der rumänischen Politik. Die nationalen Minderheiten gelten in diesem ethnisierenden Machtspiel als fünfte Kolonnen. Beunruhigend ist, daß fast die gesamte rumänische politische Klasse - ob links oder rechts, ob an der Regierung oder in der Opposition - die neuen nationalistischen Spielarten auf das schnellste gelernt hat und in unterschiedlichem Grad anwendet. Ihre Beherrschung wird offenbar als Garant für den Machterhalt beziehungsweise als probates Mittel zur Erlangung derselben angesehen. Selbst der Führer des faschistischen Kollaborationsregimes, Marschall Antonescu, wurde in der rumänischen Öffentlichkeit rehabilitiert und Ende April 1991, aus Anlaß des 45. Jahrestages seiner Exekution, mit einer Schweigeminute im Parlament geehrt. Auch ein Teil der Bürgerrechtsbewegung war an der Rehabilitierung Antonescus beteiligt, 97 der bis zu seinem Sturz 1944 für die Verfolgung und Deportation der rumänischen Juden und Roma verantwortlich war. Zur zentralen Metapher der nationalen Formierung des gesamten Parteienspektrums wurde die sogenannte Nationale Sicherheit. Sie werde von den Roma, den Juden, der ungarischen Minderheit, den Homosexuellen und "Kriminellen" gleichermaßen bedroht. Nur mit Hilfe des (alt-neuen) Geheimdienstes, Bukarest und Craiova aus ausgebreitet hatten. - Bisher kann man sicherlich nicht von den Roma in Rumänien als einer homogenen Gruppe sprechen, wie es die Konzepte der Ethnisierung nahelegen: "Man muß sich vor Augen halten, daß obwohl die Roma vor sechs Jahrhunderten als ein Volk nach Europa kamen, es heute nicht möglich ist, von den Roma als einer ethnisch vereinigten Gesamtheit zu sprechen. Auch gibt es keine einheitliche Roma-Kultur." Hancock, AntiGypsyism, 1992, S. 616. In Rumänien gibt es ungefähr viezig verschiedene Roma-Gruppen mit sprachlichen Unterschieden, ungefähr sechzig Prozent von ihnen sprechen Romanes. (Nicolae Gheorghe, nach Helsinki Watch, Destroying, S. 7.) 97siehe entsprechende Zeitungsartikel in der Zeitung der oppositionellen Bürgerrechtsbewegung "romania libera" und "22", der Zeitschrift der "Gruppe für den sozialen Dialog", in den Jahren 1990/91. (William Totok wies in der FR vom 17.10.90 auf diese beispielhafte Entwicklung hin.) 95 der Polizei und des Militärs sowie den nationalistischen Sammlungsbewegungen wie den PUNR und der Vatra Româneascã könne die Nationale Sicherheit gewährleistet werden - so heißt es allenthalben. Der ideologische Mechanismus ist bekannt: Jede Kritik, jede Offenlegung von Mißständen, jede aufmüpfige Initiative wird als Schädigung des Rumänienbilds im Ausland aufgefaßt und tendenziell zum Delikt.98 Von vielen Gruppen, mit denen wir sprachen, wird die Bedrohung durch die Geheimdienste als reale Gefahr beschrieben. Die Pogrome gegen Roma begannen im Dezember 1989. Diese Kette der Gewalt fällt mit der Ethnisierung und der Renationalisierung der rumänischen Politik zusammen. Darin liegt die eigentliche Dramatik und Tragik der blutigen Ereignisse. Die lokalen Bündnisse, die zu den Pogromen anstacheln, verstehen die Übergriffe nicht nur als Kollektivbestrafung für die vermeintlichen Delikte einzelner, sondern auch als Auftakt für eine endgültige Vertreibung und als Vernichtung der Lebensgrundlagen der Roma. Auffallend ist, daß sich viele Pogrome gegen RomaSiedlungen richten, die erst in den vergangenen Jahrzehnten am Rande der Dörfer und Städte zwangsweise eingerichtet worden waren. Lokale Behörden, Politiker und Kirchenvertreter, die nachweislich an Pogromen beteiligt waren, kamen fast immer ohne Strafe davon. Polizisten unterliegen schließlich nach wie vor der korporativistischen Militärjustiz. Auch im Nachhinein übernehmen die staatlichen Organe keinen glaubwürdigen Schutz für die Angegriffenen, Verletzten und Geschädigten sowie für die Angehörigen der Ermordeten. "Die Ermittlungen und die justizielle Bearbeitung all dieser Fälle kollektiver Gewalt, die gegen Roma Familien und Communities in Rumänien seit Dezember 1989 begangen wurden, ist extrem langsam und ziemlich ineffizient. Von insgesamt 24 solcher Vorkommnisse destruktiver Mengengewalt, die von rumänischen 98 Das "Gesetz zum Schutz der Nationalen Sicherheit", das am 25.7.1991 verabschiedet wurde, ermöglicht weitreichende Eingriffe der rumänischen Geheimdienste in die Grundrechte. - Am 2.2.94 nahm der Senat ein Gesetz an, das von der PUNR vorgeschlagen worden war, nach dem die ”öffentliche Diffamierung Rumäniens und der rumänischen Nation” strafbar wird: Es drohen Gefängnisstrafen zwischen einem und fünf Jahren. Noch ist das Gesetz nicht von der Abgeordnetenkammer verabschiedet. - In seinem Rechenschaftsbericht, den der rumänische Geheimdienst SRI am 15.10.94 dem Parlament vorgelegt hat, nimmt er vehement gegen die Arbeit bestimmter regierungsunabhängiger Roma-Organisationen Stellung, die, so wörtlich, "durch die Fälschung und Verunglimpfung der Lage in unserem Land, zu Aktionen aufhetzten, die das Image Rumäniens im Ausland beeinflußten und gleichzeitig zu destabilisierenden und gegen die Verfassung gerichteten Akten anstachelten." (zit. n. ai, Leere Versprechungen, S. 6) 96 Jusitzkommissionen, von der Roma-Föderation und von internationalen NGO´s untersucht wurden, ist nur ein einziger Fall vor Gericht gekommen, es kam zur Verurteilung wegen Zerstörung von Romaeigentum. In keinem Fall wurde den Opfern eine rechtliche Entschädigung zugesprochen. Keiner der vier Fälle, wo eine gewalttätige Menschenmenge Roma tötete, wurde bisher vor Gericht verhandelt. Alle Personen mit Romaherkunft, die im Zusammenhang mit solchen Vorkommnissen kriminelle Handlungen begangen haben, wurden ermittelt, es wurde Anklage gegen sie erhoben, sie erhielten einen Prozeß und wurden verurteilt." 99 Die folgende Dokumentation der Pogrome in Rumänien ist sicherlich nicht vollständig. Wir verdanken diese Angaben zum größten Teil Romani CRISS 100 und der Föderation der Roma in Rumänien, d.h. Roma-Selbstorganisationen, die einen bedeutsamen Beitrag für die Gegenöffentlichkeit und den Wiederaufbau zahlreicher abgebrannter Häuser geleistet haben. Die kleine Gruppe von Soziologen und Studenten mit Sitz in Bukarest hat in zahlreichen Hilferufen den verschiedensten Menschenrechtsorganisationen, Flüchtlingsinitiativen Romagruppen, Informationen zukommen ausländischen lassen und Kirchen sich und an die supranationalen Institutionen wie den Europarat und die KSZE/OSZE gewandt. Inzwischen sind diese Organe seit 1993 von der offiziellen rumänischen Regierungsposition abgerückt und bemühen sich zu vermitteln. Unter dem Druck der Pogrome bilden die Roma lokale Selbstorganisationen und Projekte, die sowohl parteipolitisch als auch basisdemokratisch orientiert waren. Daraus entwickelte sich ein Geflecht von lokalen SprecherInnen, Bürgermeistern und Lokalpolitikern, die auch über Verbindungen zu supranationalen Stellen und neuen entwicklungspolitischen NGOs verfügen. 99 Romano Lil, Impunity, S. 3 100 Romani CRISS (Centrul Romilor pentru interventie sociala ºi studii - Roma-Zentrum für Soziale Interviention und Studien). Siehe auch Reemtsma, Katrin, Roma in Rumänien. Hrsg. v. Gesellschaft für bedrohte Völker. Menschenrechtsreport Nr. 9. Göttingen 1992 97 Dokumentation von Pogromen und Übergriffen auf Roma in Rumänien Dez. 89, Vârghiº, Region Covasna: Circa 200 Personen verfolgen eine Gruppe Roma, von der eine Person erschlagen wird, zwei Häuser werden abgebrannt. Mehrere Verurteilungen zwischen 5 Monaten und 3 bis 6 Jahren folgen. Entschädigungen gibt es nicht. 10/11.1.90, Turu Lung, Region Satu Mare: Circa 1.000 Personen brennen 38 Häuser der Roma ab, drei weitere Häuser werden schwer beschädigt. Erst zwei Stunden danach tauchen 40 Polizisten auf. Die Roma flüchten nach Satu Mare. Später erhalten sie als Entschädigung 5.000 Lei pro Kind, 10.000 pro Erwachsenen, um sich wieder Häuser aufbauen zu können. Roma, die Anzeigen stellen wollen, werden bedroht. Die Ermittlungen sind noch nicht beendet beziehungsweise wurden eingestellt. 29.1.90, Reghin, Region Mureº: Etwa 400 bis 500 Personen gehen gegen ein Gruppe Roma vor, zwei ihrer Häuser werden beschädigt. Keine Strafverfolgung. 5.2.90, Lunga, Region Covasna: 200 bis 250 ungarische Rumänen zünden sechs Häuser von Romafamilien an. Vier Roma werden gelyncht. Niemand wird vorgeladen oder verhört, die Ermittlungen dauern an. 19./20.3.90, Tîrgu Mureº (Marosvásárhely / Neumarkt): Von rumänischen Nationalisten inszenierte Zusammenstöße zwischen Rumänen und Ungarn. Die Bilanz: mehrere Tote. Einige Roma werden im Anschluß unter Anwendung des Dekrets 153/1970 inhaftiert. April 90, Seica Mare: Acht Roma-Häuser werden zerstört, sieben Bewohner verhaftet. Mai 90, Gaiseni: Zwei Roma-Häuser zerstört. Mai 90, Lebotin: 25 Romafamilien überfallen. 13-15.6.90, Bukarest, Stadtteile Ferentari, Tei, Rahova, Pantellimon, Sulea: Die Opposition demonstriert ununterbrochen im Zentrum der Hauptstadt, die soziale Situation spitzt sich zu. Präsident Iliescu befindet sich innenpolitisch in einer schwierigen Situation und gewährt den Bergleuten aus dem Jiu-Tal Lohnerhöhungen und mehr Urlaubstage. Im Gegenzug fordert er die Bergarbeiter auf, in Bukarest gegen "Drogenabhängige und Kriminelle, die vom Ausland bezahlt werden" vorzugehen. Sie wüten zwei Tage in der Hauptstadt. Passanten, Oppositionelle, Studenten, die einen zentralen Platz besetzt halten, und Roma 98 sind Opfer ihrer Prügelorgien. Romafrauen werden vergewaltigt, mindestens sieben Menschen erschlagen, über 300 Verletzte werden registriert. Die Bergleute, so stellt sich später heraus, wurden von Polizisten angeführt, die ihnen Roma-Häuser zeigten. Nach dem Pogrom dankt Iliescu den Bergleuten. Über 200 Roma wurden festgenommen. 20.7.90, Câlnic, Region Alba: Dorfpolizisten nehmen an rassistischen Ausschreitungen gegen Roma und an der Zerstörung an ihrer Häuser teil. 12.8.90, Caºinul Nou, Region Harghita: Rund 400 ungarische Rumänen zerstören und brennen 23 Häuser der Roma nieder, etwa 150 Roma können fliehen. Einige Wochen später kehren sie zurück. Die Ermittlungen, zunächst eingestellt, schließlich wiederaufgenommen, sind noch nicht beendet. 29.8.90, Huedin, Region Cluj: Etwa 100 Personen gehen unter den Augen der Polizei auf Roma los. Die Bilanz: 10 bis 15 Verletzte. 7.10.90, Cuza Vodã, Region Constanþa: Eine Gruppe Rumänen geht mit Steinen gegen Roma vor und zündet deren Häuser an. 20.9.90, Huedin, Region Cluj: Circa 100 Personen gehen gegen ein Dutzend Roma vor, schlagen sie, vier werden verwundet. Die vier anwesenden Polizisten greifen nicht ein. Die Ermittlungen werden eingestellt. 9.10.90, Mihai Kogãlniceanu, Region Constanþa: Die Land- und Dorfpolizisten sollen zu einem Feldzug gegen Roma aufgestachelt haben. Die Menge wird von der Polizei und dem Bürgermeister angeführt. 25 Roma-Häuser werden niedergebrannt, 8 weitere zerstört. 200 Roma müssen fliehen. (Einige der Häuser werden später wiederaufgebaut.) Niemand wurde festgenommen, die Ermittlungen laufen noch. 9.12.90, Basarab: Zerstörung von zwei Roma-Häusern. 7.4.91, Bolintin Deal, Region Giurgiu: Mit Kirchenglocken wird eine Menge von über 1.000 Personen zu einem Angriff auf die Häuser der Roma zusammengerufen. Die Roma werden verjagt, ihre Häuser in Brand gesteckt. Einen Monat später versuchen einige Roma zurückzukehren. Abermals läuten die Kirchenglocken eine große aggressive Menge zusammen. Dabei werden weitere 5 Roma-Häuser niedergebrannt, die am 7.4. noch nicht vollständig zerstört worden waren. Kein Haus wird anschließend wiederaufgebaut, viele Roma müssen wegziehen. Die Ermittlungen werden eingestellt, erst nach Untersuchungen von Menschenrechtsorganisationen müssen sie im März 1994 wiederaufgenommen 99 werden. Gegen den Priester und den Dorfvorsteher wird ermittelt. Die lokalen Behörden verhindern jedoch die Rückkehr der Roma. 17.5.91, Ogrezeni, Region Giurgiu: 21 Roma-Häuser werden vollständig zerstört und niedergebrannt, alle Roma aus dem Ort gejagt. Anschließend wird kein Haus wiederaufgebaut, die Roma kehren nicht zurück. Die Ermittlungen werden eingestellt. Die lokalen Behörden verhindern auch später die Rückkehr der Roma. 18.5.91, Bolintin Vale, Region Giurgiu: Das Pogrom von Ogrezeni dehnt sich aufs Nachbardorf aus. Mindestens 11 Roma-Häuser werden verbrannt, die Bewohner verjagt. Niemand erhält eine Entschädigung. Einige wenige kehren zurück. Sie müssen seitdem in Baracken leben. 5.6.91, Gãiseni, Region Giurgiu: Ausweitung der Pogrome auf dieses Nachbardorf. 9 Roma-Häuser werden zerstört und abgebrannt. Bis heute gibt es keinen Prozeß gegen die Täter. Einige Roma sind inzwischen ins Dorf zurückgekehrt, haben aber weder eine Entschädigung erhalten noch konnten sie ihre Häuser wiederaufbauen. 9.6.91, Plãieºii de Sus, Region Harghita: 27 Roma-Häuser werden von ungarischen Rumänen abgebrannt. Viele Roma kommen später zurück und bauen die Häuser wieder auf. Rund 450 Personen werden in der Folge verhört, die Ermittlungen laufen noch. Juni 91, Cãrpiniº, Region Timiº: 9 Roma-Häuser werden zerstört. 3.7.92, Bukarest, Rahova-Platz: 40 uniformierte Militäroffiziere der Einheit UM.02180, einige sollen sogar maskiert sein, verfolgen Roma-Straßenhändler auf dem Platz bis in die umliegenden Straßen und zerstören ein von Roma besuchtes Restaurant. Anwesende Polizisten schreiten nicht ein. Mehrere Roma lassen sich ärztliche Atteste ihrer Verletzungen ausstellen, aber niemand wird belangt. Ermittlungen werden nicht aufgenommen. 13.8.91, Valeni Lapusului: 150 Roma-Häuser niedergebrannt. Nov. 92, Comãneºti, Region Bacau: Eine Polizeipatrouille dringt widerrechtlich in ein Roma-Haus ein, die Polizisten legen ihre Gewehre an, erschießen zwei Roma und verletzen einen dritten. Die Staatsanwaltschaft eröffnet kein Ermittlungsverfahren. 17.3.93, Cãrpiniº, Region Timiº: Angriffe auf Roma, Beschädigung von 5 RomaHäusern. Noch keine Prozeßeröffnung. Juni 93, Bolentin Vale: Drei Personen aus Bolentin Vale werden wegen bewaffneter Bedrohung und der Zerstörung von Romaeigentum zu Strafen zwischen 6 100 Monaten und einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Zur Zeit läuft ein Prozeß gegen 25 Personen wegen ihrer Teilnahme an den Ausschreitungen in Gaiseni. 20.9.93, Hãdãreni, Landkreis Cheþani, Region Mureº: 400-500 Rumänen und Ungarn aus Hãdãreni und Umgebung versammeln sich vor dem Haus eines Roma. Er soll an einem tödlich verlaufenen Streit beteiligt gewesen sein. Als zwei der Bewohner fliehen wollen, werden sie von der Polizei verhaftet. Die Polizisten lassen zu, daß die Menge sie lyncht. Die beiden sterben auf dem Weg ins Krankenhaus. Ein weiterer Bewohner des Hauses traut sich nicht heraus und stirbt in den Flammen. Viele der 170 ortsansässigen Roma fliehen. Mehrere Stunden später werden weitere 12 Roma-Häuser in Gegenwart der Polizei angezündet. Anfang Oktober beraten die Bewohner von Hãdãreni in einer Versammlung, ob die Roma zurückkommen dürfen. Am 5.10.93 schreiben sie einen offenen Brief an den Staatspräsidenten, das Parlament und an die Regierung. Darin äußern sie den Wunsch, in Zukunft nicht mehr mit Roma zusammenzuleben. Sie würden eine Schwarze Liste mit im Dorf unerwünschten Personen aufstellen. Als am 29.10.93 circa 20 der vertriebenen Roma einer Einladung folgen, zusammen mit einem Regierungsvertreter an einer Versammlung der Lokalbehörden teilzunehmen, werden sie nicht eingelassen. Glockengeläute bringt eine Menge von 60 Rumänen zusammen, die mit Stöcken und Gerätschaften gegen die Roma vorgehen. "Die blutigen Zigeuner müssen weg", singt der Mob. Gleichzeitig befinden sich mehrere hochrangige Polizisten in der Stadt, aber keiner der Angreifer wird entwaffnet. Die Roma können nicht an der Versammlung teilnehmen. Es ist das erste Pogrom, das Rumänien international zu schaffen macht, denn es findet zeitgleich mit dem Beitritt zum Europarat statt. Die Regierung mußte die erste Erklärung, in der sie die Roma als Schuldige benannte, zurückziehen. Die zweite Erklärung verteilte die Schuld auf beide Seiten und betonte, daß - zum ersten Mal - Konsequenzen gezogen werden müßten. Doch Untersuchungskommission werden "aggressiven, und kriminellen die im Abschlußbericht Ausschreitungen desintegrativen als Lebensweise" der Folge der der Roma bezeichnet. Die Reaktion der Dorfbewohner sei "unter den gegebenen Umständen erklärlich", wenn auch "legal nicht zu rechtfertigen". Selbst die Kommisssionsmitglieder der Opposition - mit Ausnahme der ungarischen Vertreter 101 - stimmten für den Bericht.101 Der Rat für Nationale Minderheiten engagierte sich bei den Vorhaben, die Häuser in Hãdãreni wiederaufzubauen und zwischen den Bevölkerungsgruppen zu vermitteln. Bis auf 4 Familien kehrten die Roma zurück. 4 der abgebrannten 13 Häuser wurden wiederaufgebaut. Oktober 93, Ogrozeni: Überfälle auf Roma. Acht Erwachsene und drei Jugendliche werden zu Ermittlungen vorgeladen. Der Prozeß ist noch immer nicht abgeschlossen. 25.5.94, Racºa, Landkreis Oraºul Nou, Region Satu Mare: Ewa 800 bis 1.000 Rumänen überfallen die Romasiedlung, die sich 2 Kilometer außerhalb des Ortes befindet. Die Bewohner fliehen, ihre 9 Häuser werden geplündert und angezündet. Eine zufällig anwesende Polizeipatrouille (3 Polizisten) aus Negreºti bleibt untätig. Haftbefehle, kurzfristig gegen 13 Verdächtige ausgestellt, werden wieder aufgehoben. Der Prozeß ist noch nicht abgeschlossen. Die geflüchteten Roma trauen sich nicht, in ihren Ort zurückzukehren, obwohl ihre Häuser wiederaufgebaut werden sollen. Sie sehen sich nicht durch Polizei geschützt. 8.1.95, Bâcu: Kirchturmglocken bringen eine Menge zusammen. Am Vortag waren bereits zwei Roma angeschossen und schwer verletzt worden, die meisten Roma geflohen. Nun werden vier Roma-Häuser geplündert und angesteckt, drei völlig niedergebrannt. Ungefähr 20 Polizisten, auch höherrangige, beobachten untätig das Geschehen. Vier oder fünf Tage später kehren die Roma in ihre Häuser und Ruinen zurück, in der Hoffnung, daß die Gendarmerie zu ihrem Schutz im Dorf bleiben wird. Sie trauen sich nicht, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Die Staatsanwaltschaft von Giurgiu ermittelt, aber bisher ist niemand vorgeladen worden. 102 Bâcu liegt in einer Gegend, in der es seit 1991 viermal zu Pogromen gegen Roma kam. Bis heute wurde niemand zur Rechenschaft gezogen. Rumänien und der Westen: Es bleibt die Frage, welchen Einfluß die allmähliche Westanbindung Rumäniens auf den Prozeß der nationalistischen Formierung, der Pogrome und der rassistischen Übergriffe hat. Seit 1992/93 arbeitet die Iliescu- 101 taz 6.10.93 und 12.11.93. Amnesty international protestierte am 28.9.93 bei Präsident Iliescu gegen die Straflosigkeit unter Bezug auf die Ausschreitungen in Hãdãreni. Siehe auch amnesty international 4.10.93 ("Romania: Police fail to protect three Roma from public lynching", London). 102 Amnesty international schrieb am 21.2.95 an Präsident Ion Iliescu, um ihn zur Ergreifung von Schutzmaßnahmenfür die Roma in Bâcu und gegen die Straflosigkeit zu bewegen. 102 Regierung mit der Europäischen Union zusammen und hat sich dabei - insbesondere von der Bundesrepublik Deutschland - abhängig gemacht. Rumänien ist inzwischen Vollmitglied im Europarat und hat als erstes Land des ehemaligen Warschauer Paktes mit der NATO die ”Partnerschaft für den Frieden” vereinbart. 103 Wegen des Handelsembargos gegen Restjugoslawien genießt Rumänien zudem international eine zuvorkommende Aufmerksamkeit. Während sich die Regierungen der USA und Frankreichs für institutionell verankerte Minderheitenrechte stark machen, setzt sich die Bundesregierung nur zugunsten der Rumäniendeutschen ein. So wurde auf Drängen der USA und Frankreichs in dem Vertrag mit Ungarn, der die Grenzstreitigkeiten zwischen den beiden Ländern beilegte, auch ein Minderheitenschutz verankert. Der Vertrag war auf diplomatischen Druck der Clinton-Administration und der französischen Präsidentschaft zustandegekommen. 104 Die Bundesregierung ließ immer wieder Zweifel an einer gemeinsamen Strategie des Westens aufkommen. So stemmte sich die deutsche Delegation in der UNO-Menschenrechtskommission gegen die Verabschiedung einer Resolution, die die Gleichstellung und den Schutz von Roma festschreiben sollte. Selbst einer Kompromißresolution versagte die deutsche Delegation ihre Zustimmung,105 Kein Wunder, schließlich war im gleichen Jahr der Deportationsvertrag Bonn-Bukarest abgeschlossen worden. Die Menschenrechtskommission des US-Kongresses hatte sich dagegen gegen jegliche Wirtschaftshilfe an Rumänien ausgesprochen, solange dort Gewalt gegen Roma und andere Minderheiten geduldet werde.106 Die Minderheitenpolitik, die der Europarat107 und die KSZE/OSZE 108 in Bezug auf Rumänien vorschlagen, könnte nach unserer Einschätzung die Pogrome als 103The Economist, 9.7.94. Die PFF war im Januar 1994 ins Leben gerufen worden, um Länder des ehemaligen Warschauer Pakts in die NATO-Einflußsphäre einzubinden. 104 Siehe die Balkaninitiativen des US-Beauftragten Richard Holbrooke im Frühjahr 1995, sowie die Konferenz über die Stabilität in Europa am 20./21.3.95 in Paris. 105 Resolution "Schutz der Roma", Menschenrechtskommission der UN, Genf, 5.3.92, siehe FR 6.3.92. Vgl. auch die beschönigenden und Roma-feindlichen Darstellungen im Lagebericht des Auswärtigen Amts der BRD zu Rumänien vom 28.2.95. 106 Protest-Nachricht an den rumänischen Präsidenten Iliescu vom 13.8.92 107 Rumänien wurde im Oktober 1993 als Vollmitglied in den Europarat aufgenommen, unter der Voraussetzung, daß mehrere Gesetze in Übereinstimmung mit der Europäischen Menschenrechtskonvention novelliert werden. U.a. müsse die Minderheitenpolitik auf Prinzipien gründen, die in der Empfehlung 1201 (1993) des Europarats festgehalten worden ist. Demnach ist als staatliche Verfolgung anzusehen, wenn Übergriffe stattfinden, es keinen Polizeischutz gibt und die Täter mit Straflosigkeit rechnen können. Der Ausschuß für politische Angelegenheiten und der Ausschuß für Recht und Menschenrechte der Parlamentarischen Versammlung des Europarates 103 Mittel der ethnisierenden Politik durchaus wirkungsvoll ächten. Bei genauerer Betrachtung ist aber zu befürchten, daß die Anregungen und Interventionen dieser supranationalen Einrichtungen die Ethnisierung der Politik nicht stoppen werden, im Gegenteil: Das "Europa der Regionen", d.i. eine neue Machtdynamik zwischen den Regionen, wird die Spaltung entlang sozialer und ethnischer Linien fördern, wenn auch auf dem Verhandlungsweg. Die neuen Regionen der nationalen Minderheit sind bekannt: Es sind die Gebiete, die früher zur K.u.K.-Monarchie bzw. zu Ungarn gehörten, es sind mit dem Banat und Siebenbürgen auch die Herkunftsgegenden der Rumäniendeutschen. Da die jeweiligen Siedlungsgebiete der Minderheiten zugleich auch Zonen unterschiedlicher Armut sind, droht die Minderheitenpolitik zum Vehikel einer regional gestaffelten sozialen Differenzierung des Landes zu werden. Je mehr sich diese Zonen des kleinen Wohlstands aus dem Zugriff des Zentralstaats lösen können, desto mehr werden ethnische Kriterien zu Zugangskriterien für die Verwaltung und das öffentliche Leben. Eine Minderheitenpolitik dieser Art ist daher nicht per se mit einer Demokratisierung gleichzusetzen, schließlich wird sie "von oben" gemacht. Die Machtverhältnisse bleiben in ihren Grundstrukturen unangetastet. Ein beredtes Beispiel dafür liefert der Begnadigungsakt aus Anlaß des Beitritts zum Europarat: Während acht rumänische Ungarn, die im Dezember 1989 in den Gemeinden Zetea und Dealu Polizisten ermordet hatten und deshalb zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren, auf Drängen des Europarates am 24.3.94 begnadigt wurden, kamen im Gegenzug alle stellvertretenden Mitglieder des erhielten den Auftrag, Rumäniens Fortschritte hinsichtlich der gestellten Bedingungen zu überprüfen und bis zu deren Erfüllung alle sechs Monate Bericht über die Lage zu erstatten (Weisung 488/1993). Die Berichterstatter der genannten Ausschüsse besuchten Rumänien jedoch nur einmal im März 1994. - Im Juni 1994 ratifizierte Rumänien die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und erkannte gleichzeitig das in Artikel 25 verankerte Individualrecht auf Gesuche an die Europäische Kommission für Menschenrechte und die obligatorische Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (Art. 46) durch entsprechende Erklärungen an. - Im Oktober 1994 ratifizierte die rumänische Regierung die Europäische Konvention zur Beseitigung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, die am 1.2.95 in Kraft trat. Dadurch ergibt sich für die entsprechenden Menschenrechtsbeauftragten die Möglichkeit, alle Haftanstalten und Polizeigewahrsame in Rumänien zu besuchen und die Verhältnisse dort zu überprüfen. - Amnesty international resümierte im Mai 1995 besonders in Hinblick auf die Situation der Minderheiten in Rumänien: "Menschenrechtsverletzungen nehmen in Rumänien kein Ende, obwohl die politische Führung dieses Landes im Oktober 1993 bei der Aufnahme in den Europarat zugesichert hat, den Menschenrechten gemäß international anerkannten Grundsätzen Geltung zu verschaffen. [...] Landesweit kommt die Polizei ihrer Pflicht, die Roma-Minderheit vor rassistischen Übergriffen nachhaltig zu schützen, nicht nach." (ai, Leere Versprechungen, S. 1) Und weiter heißt es, daß "Sicherheits- und Ordnungskräfte in Rumänien mit Straflosigkeit rechnen können, wenn sie Menschenrechtsverletzungen begehen." (ebda, S.5) 108 In der Resolution vom 10.7.92 verurteilte die KSZE die Diskriminierung und den Rassismus gegen Roma, mit heftiger Kritik an den jeweiligen Regierungen. 104 ehemaligen politischen Exekutivkomitees des ZK der RKP frei, die zu hohen Haftstrafen verurteilt waren. Die gesetzlich geregelte Minderheitenpolitik knüpft in ihrem Geist an den Friedensvertrag von Trianon (1920) und den Pariser Friedensvertrag (1947) an, auch an deren Schwierigkeiten. Denn die Gebietsgewinne Rumäniens wurden damals mit Verträgen zwischen den jeweiligen Nachbarländern und entsprechenden innenpolitischen Garantien abgesichert, umgesetzt wurden die Minderheitenrechte allerdings immer nur für kurze Episoden. Auch heute gibt es dagegen wieder wachsende Widerstände. Die Gesetze, die den nationalen Minderheiten Rechte einräumen und ihre politische Vertretung regeln, sind in den letzten Jahren angesichts der wachsenden politischen Spannungen steckengeblieben. Zwar waren die beiden grundlegenden Gesetze zum Minderheitenschutz 1993 der Abgeordnetenkammer vorgelegt worden, doch bis heute wurden sie nicht verabschiedet. Der "Rat der Minderheiten", der am 24.3.93 mit großer öffentlicher Aufmerksamkeit per Regierungsbeschluß Nr. 137/1993 ins Leben gerufen worden ist, hat keine Entscheidungsbefugnisse. Denn das Gremium, in dem außer vierzehn Beauftragten der Regierung auch alle siebzehn registrierten Minderheiten mit je drei Personen vertreten sind, ist nur mit beratender Stimme ausgestattet. Schon im September 1993 - nach dem Pogrom in Hãdãreni - geriet der Rat in die Krise, weil sich die Roma-Vertreter und die Ungarische Demokratische Föderation Rumäniens (HDUR) mit Verweis auf die ausschließlich kosmetische Funktion des Rates zurückgezogen hatten. Als im Frühjahr des Jahres 1995 die Spannungen zwischen der rumänischen Zentralregierung und den Bürgermeistern der ungarischen Minderheit eskalierten, setzte Bukarest kurzerhand 137 Bürgermeister ab. Seit Sommer 1995 ist darüber hinaus der Schulsprachenstreit offen ausgebrochen. Nach dem Muster der institutionalisierten Minderheitenpolitik werden sich die Menschen in fernerer Zukunft nach nationalen Kriterien definieren müssen, um Zugang zu Beruf und staatlichen Leistungen zu erhalten. Vor allem die ungarische Minderheit hat erste Schritte auf diesem Weg bereits gemacht. Sie fordert Quotierung und kommunale Autonomie. Nur die Roma werden bei der Minderheitenpolitik leer ausgehen. Als Gruppe ohne Land und Landesgrenzen, ohne Staat und Kommunen beginnen unter ihren Intellektuellen Diskussionen über die Perspektiven einer transnationalen Gesellschaft. Neue Bündnisse auch über die Grenzen hinweg werden gesucht. Es ist 105 aber zu befürchten, daß der wachsende rumänische wie ungarische Nationalismus den Antiziganismus genauso festschreiben wird wie die soziale und polizeiliche Ausgrenzung von "Ausländern". Nicht zum ersten Mal fallen bedeutende Minderheiten wie die Roma oder Menschen ohne rumänische Staatsbürgerschaft aus dem Minderheitenschutz heraus. Auch in der Zwischenkriegszeit hatte die Minderheitenregelung faktisch die jüdische Bevölkerung Rumäniens - immerhin die drittgrößte jüdische Gemeinde Europas - aus wichtigen Teilen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen. So konnten sie nicht an Wahlen teilnehmen und ihre Bürgerrechte wahrnehmen, weil der regierungsamtliche Antisemitismus ihnen zumeist die Staatsbürgerschaft verweigerte. Der offizielle Antiziganismus wird seit 1994/95 mit regelrechten Kampagnen gegen die sogenannte Zigeunerkriminalität geschürt, flankiert von einer Spionagepsychose und der ständig wiederholten Unterstellung, die Roma konspirierten gegen die rumänische Nation. Anfang Mai 1995 wurde zudem bekannt, daß ein vom Außenminister verfaßtes und vom Premierminister abgezeichnetes geheimes Memorandum im Kabinett kreiste und schließlich trotz internationaler Proteste abgezeichnet wurde. Demnach sind in allen offiziellen Dokumenten Roma als "Zigeuner" ("þigan") zu bezeichnen, weil - so die Begründung - das Wort "rom" im Ausland zu Verwechslungen mit der Bezeichnung "Rumäne" führe und dies dem Image Rumäniens schade.109 Diesen Erlaß werten Roma-Vertreter als Ankündigung einer härteren rassistischen Gangart des Staats. 109 Erlaß H 3/169/1995, siehe Rromani Lil Mai 95, Evenimentele Zilei, 2.5.95, taz 5.5.95 106 Statistische Übersicht: Asylbegehren und Abschiebungen von RumänInnen in der BRD Asyl von Rumänen in der BRD110 Jahr beantragt anerkannt abgewiesen Quote Anerkg. 1989 3.120 50 2.700 2% 1990 35.350 50 7.720 1% 1991 40.500 120 29.430 0% 1992 103.790 80 47.480 0% 1993 73.850 130 95.710 0% 1994 9.581 5 15.058 0% 1995 5.000 (ca.) 0 (ca.) 6.000 (ca.) 0% 435 204.098 SUMME (ca.) 271.191 Zusammensetzung der Asylsuchenden aus Rumänien Schätzungen gehen von 40% Roma unter den Rumänien-Flüchtlingen aus. 1991/92 verzichteten viele Roma vor allem in Nordrhein-Westfalen auf ihre rumänische Staatsbürgerschaft, sie gingen davon aus, daß sie aufgrund ihrer Verfolgungssituation auf keinen Fall nach Rumänien zurückkehren würden. Zudem brachten sie damit ihren politischen Anspruch auf Anerkennung von Menschen ohne Nationalstaat offensiv in die öffentliche Debatte. Die Bestimmungen des Deportationsvertrags - die Glaubhaftmachtung der rumänischen Staatsbürgerschaft 110 Angaben von 1989 bis 1993 aus: UNHCR, Regional Bureau for Europe and Food and Statistical Unit. Angaben von 1994 aus: Bericht des BMI zur Fortschreibung des Asyl-Erfahrungsberichts 1993. Asyl-Erfahrungsbericht 1994, S. 19. Unter den Abgewiesenen aus dem Jahr 1994 sind zusammengefaßt: Offensichtlich unbregründet: 11.039. unbegründet: 1.335. Einstellung / Rücknahme: 2.684. Angaben für 1995: Schätzungen. 107 durch Zeugen - und die faktisch durchgängige Ablehnung der Asylanträge bereiteten dieser Bewegung der Staatenlosen eine Niederlage. Asyl für Rumänienflüchtlinge in Westeuropa, incl. Skandinawien und Schweiz111 Zwischen 1988 und 1993 beantragten ca. 350.000 RumänInnen Asyl in Westeuropa, das waren ca. 13% aller Anträge in den Ländern. Anerkannt wurden ca. 8.800 Personen. Frankreich hatte 1989 noch eine Anerkennungsquote von 53%, 1990 21% und 1994 4%. Belgien 1989 80%, 1990 67% und 1994 8%. In Westeuropa lag die Anerkennungsquote von RumänInnen 1988 noch bei 30%, 1992 war sie auf 0% gedrückt worden. Ablehnungen 1989 4.410 1990 13.290 1991 48.960 1992 61.570 1993 105.590 1994 ca. 36.923 SUMME 270.743 Abschiebungen von RumänInnen Von den Abgeschobenen/Zurückgeführten haben 20% keine Grenzübertrittsdokumente.112 1. Luftweg (entspricht 90% der Abschiebungen/Rückschiebungen): 111 UNHCR, Center for Documentation on Refugees (CRD), Background Paper on Romanian Refugees and Asylum Seekers. Genf, Nov. 1994 108 11-12/92 1.591 93 38.490 50% Absch., 50% Rücksch. 94 25.636 60% Absch., 40% Rücksch. 1-7/95 (ca.) 7.000 60% Absch., 40% Rücksch. SUMME ca. 72.817 2. Landweg (entspricht 10%) 8.100 (ca.) 81.000 (ca.) 113 SUMME Abschiebungen über den Flughafen Schönefeld 114 Meist einmal täglich werden etwa 60 aufgegriffene RumänInnen über den Flughafen Schönefeld ab-/rückgeschoben Abschiebungen 1-7/95 3.607 Rückschiebungen 4.560 SUMME 1-7/95: 8.167 davon RumänInnen 6.421 Anteil abgeschobener/zurückgeschobener RumänInnen (Luftweg) im Vergleich zur Gesamtzahl der Abschiebungen/Rückschiebungen115 1993 1994 Ins Herkunftland 60.404 56.620 in ein Drittland [unbekannt] 33.000 RumänInnen 38.490 25.636 112 BGS-Tätigkeitsbericht 92 113 Nach Auskunft des BGS Koblenz, 2.6.95. Angaben zu 1-7/95 nach Auskunft des BGS Berlin, 23.8.95. Rück und Abschiebungen über Schönefeld Jan. bis Juli 95: 8.167 . Davon nach Rumänien: 6.421. (Von den 8.167 sind 3.607 Abschiebungen und 4.560 Rückschiebungen. 114 Nach Auskünften von BGS Berlin, 23.8.95 115Bericht des BMI zur Fortschreibung des Asyl-Erfahrungsberichts 1993. Asyl-Erfahrungsbericht 1994, S. 11 109 Zurückweisungen an der Grenze 158.730116 1992 1994 außer Grenze zu Frankreich u. Benelux 146.847117 1994 insges. 150.000 (ca.) "Von den im ersten Halbjahr 1992 wegen illegaler Einreise an den Grenzen vorwiegend zu Polen und zur CSFR - aufgegriffenen rund 18.000 Ausländern wurden allein 10.351 Rumänen zurückgewiesen." 118 Der Anteil von RumänInnen an den Zurückgewiesenen ist nicht bekannt. Gehen wir aus von einer niedrigen Schätzung von 20% aus, handelt es sich jährlich um 30.000 RumänInnen, die direkt an der Grenze zurückgewiesen werden. Rückkehr von Rumänen aus der BRD nach Rumänien, gefördert durch die IOM 119 1991 835 1992 2.735 1993 2.855 1994 963 SUMME 7.388 116 Anfrage von Guenter Graf (SPD), Antwort des Staatssekreärs Franz Kroppenstedt vom 13.4.93 117 Bericht des BMI zur Fortschreibung des Asyl-Erfahrungsberichts 1993. Asyl-Erfahrungsbericht 1994, S. 10 118 Erklärung des Bundesministers des Innern, Rudolf Seiters, 24.9.95 119 Die IOM-Rückkehrhilfen bestehen aus Flugtickets oder Busfahrscheinen, ggf. Taschengeld in Höhe von 150,- DM, vermittelt durch das Sozial- oder Ausländeramt, durch Träger der freien Wohlfahrtspflege und den UNHCR. Voraussetzung für die Inanspruchnahme dieses Zuschusses ist, daß der Antragsteller seinen Asylantrag zurückzieht oder im Besitz einer gültigen Aufenthaltsgestattung oder Duldung ist. 110 Bibliographie amnesty international, Romania. Broken commitments to human rights. Mai 1995. AI Index: EUR 39/01/95. (dt: Leere Versprechungen. Bericht zur Lage der Menschenrechte in Rumänien.) amnesty international, Romania: Police fail to protect three Roma from public lynching, London, 4.10.93 Andreescu, Gabriel / Stan, Valentin / Weber, Renate, Study on the Concetion of Democratic Alliance of Hungarians in Romania on the Rights of National Minorities. 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