Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM) Heft 2: Rumänien.

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Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM) Heft 2: Rumänien.
Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM)
Heft 2: Rumänien.
Vor den Toren der Festung Europa.
Verlag der Buchläden
Schwarze Risse - Rote Straße
Berlin / Göttingen, 1996
ISBN 3-924737-28-2
1
Inhalt
Einleitung
3
Diffamiert - entrechtet - abgeschoben.
Der Deportationsvertrag von 1992
9
Die rumänischen Grenzen
24
Sozialgefälle (zu Ungarn)
Abgelegen (zur Ukraine)
Nah dem Krieg (zu Serbien und Moldawien)
Südgrenze (zu Bulgarien)
Seegrenze
Flughäfen. Das Abschiebegefängnis Otopeni
Ökonomie der Migration
Armut, Razzia und Abschiebung
Investitionen von MigrantInnen
Transport
Asylpolitik, Ausländergesetz
UNHCR und NGO´s
Staatliche Stellen und zukünftige Gesetzgebung
31
36
37
39
40
41
49
50
68
76
78
80
85
Minderheitenpolitik und Pogrome
91
Anhang
Statistik zu Asyl und Abschiebungen
Bibliographie
107
111
2
Einleitung
Flughafen Otopeni, Bukarest. Im Frühjahr 1995 gelingt es einem Mitarbeiter der
FFM, in das Abschiebegefängnis hinein zu kommen, das im Herbst 1994 im
Transitbereich des Flughafens eingerichtet wurde. Die Gefangenen sind zu diesem
Zeitpunkt dort zum Teil bereits seit vier, fünf Monaten ohne jede gesetzliche
Grundlage eingesperrt und haben keine Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen. Sie
berichten
von
Polizeiübergriffen
und
beklagen
die
fehlende
medizinische
Versorgung. Die Fluggesellschaft TAROM versorge sie zudem nur unregelmäßig mit
Nahrungsmitteln. Zwei Personen geben in Interviews gegenüber dem Mitarbeiter der
FFM an, mit der Fluggesellschaft TAROM aus Ländern der EU abgeschoben worden
zu sein, einer von ihnen, ein Afrikaner, berichtet von seinem Aufenthalt in
Deutschland:
"Vor einem Jahr bin ich nach Deutschland gekommen. Auf dem Flughafen
Schönefeld bin ich gelandet und habe um Asyl gebeten. Sie haben mir kein Asyl
gewährt. Statt dessen haben sie mich zehn Monate ins Gefängnis gesteckt. [...]
Ärgerlich ist, daß ich die TAROM Fluglinie benutzt habe. Ich hatte einen Transit, und
sie steckten mich [in Berlin] ins Gefängnis, weil ich ohne Visum nach Deutschland
gekommen bin. [...] Nachdem sie mich dort zehn Monate eingesperrt hatten,
brachten sie mich zurück, hierher nach Rumänien. Für die rumänische Regierung ist
es sehr schlecht, daß sie das akzeptiert. Das ist doch nicht deren Problem, sondern
ein deutsches Problem, zwischen mir und Deutschland. Wie kann Deutschland
sagen, daß jemand, der dort ein Jahr festgehalten wurde, nun hierher zurück muß,
daß Rumänien den annehmen muß?"
Unsere Dokumentation über den Abschiebeknast Otopeni fand ein überraschend
großes Medienecho 1. Die Veröffentlichung sorgte zudem für deutliche Reaktionen
offizieller
Stellen.
So
schaltetet
sich
der
UNHCR,
dessen
Bukarester
Verbindungsbüro sich bis dato bedeckt gehalten hatte, von Genf aus ein. Doch der
1 Frankfurter Rundschau, Dokumentations-Seite, 5.5.95; Videoaufnahmen im Rahmen eines
halbstündigen Films ("Bukarester Protokolle"), ausgestrahlt von Kanal 4 am 20.8.95
3
Erfolg ist bescheiden. Das Gefängnis mußte zwar geschlossen werden, die
Gefangenen dürfen die Transitzone auf dem Flughafen jedoch weiterhin nicht
verlassen.
Bei der Recherche wurde deutlich, daß die rumänische Regierung von der
Bundesregierung bedrängt wird, sogenannte Drittstaatler aufzunehmen, obwohl sie
vertraglich dazu nicht verpflichtet ist. Kürzlich wurde darüber hinaus bekannt, daß die
Bundesrepublik Deutschland mit den Regierungen Rumäniens und Albaniens über
sogenannte
Durchbeförderungsvereinbarungen
verhandelt.
Damit
würden
Kettenabschiebungen, die von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen bereits
mehrfach nachgewiesen werden konnten, legalisiert.
Hiermit legen wir nun den gesamten Bericht über unsere Recherche-Aufenthalte in
Rumänien im März/April und August 1995 vor. Im Mittelpunkt der Recherchen stehen
zwei Themen: Die Situation der abgeschobenen RumänInnen, insbesondere der
Roma,
sowie
die
Lebensbedingungen
von
asiatischen
und
afrikanischen
MigrantInnen und Flüchtlingen. Für sie ist Rumänien zu einem unfreiwilligen
Wartesaal geworden.
Zahlreiche Gespräche, Interviews und Beobachtungen, die wir vor allem in den
Regionen Bukarest, Craiova und Braºov machen konnten, bilden die Grundlage für
dieses Heft. Im Unterschied zur Lage im Banat und in Siebenbürgen sind die
Verhältnisse in Südrumänien - in der Hauptstadt Bukarest und der Wallachei - in
Westeuropa kaum bekannt. Für Roma und TransitmigrantInnen sind diese Regionen
jedoch besonders wichtig, als Orte des Aufenthalts und der sozialen Organisation.
Bei der Aufarbeitung des Materials konnten wir nur auf wenige Veröffentlichungen
zum Abschiebesystem der BRD nach Rumänien zurückgreifen. Es ist überraschend,
daß bisher keine Gruppe oder Einrichtung einen Überblick zu den Abschiebungen
nach Rumänien vorgelegt hat.
Die Länder der Europäischen Gemeinschaft haben Rumänien Anfang der 90er
Jahre zum verfolgungsfreien Land erklärt. Damit verschwand es auch aus den
Nachrichten. So gibt es bis heute weder gesicherte Informationen über das genaue
Ausmaß der Abschiebungen nach Rumänien noch über das Schicksal der
Abgeschobenen. Dieses Defizit scheint eine Folge der Abschottungspolitik zu sein:
Rumänien ist das Land, in das der Bundesgrenzschutz und die Ausländerbehörden
der Bundesrepublik die meisten Menschen abgeschoben haben und weiterhin
4
abschieben. So ist es naheliegend, daß jede Aufmerksamkeit den reibungslosen
Ablauf der Massenabschiebungen stören würde. Mehr als die Hälfte aller aus der
BRD Abgeschobenen wurden nach Rumänien deportiert, schätzungsweise 85.000
Menschen. Diesen müssen jedoch mindestens 100.000 Personen hinzugerechnet
werden, die - von der BRD finanziert - von den polnischen, tschechischen und
ungarischen Behörden nach Rumänien zurückgeschoben wurden. 2 Berücksichtigen
wir die Abschiebungen aus Österreich, Frankreich und Italien nach Rumänien, wird
die Zahl inzwischen 200.000 weit überschritten haben. Und noch eine andere
Tatsache ist an dieser Stelle zu nennen: Viele zehntausend Menschen aus
Rumänien sind seit dem 1.11.92 "freiwillig" aus Deutschland ausgereist, um einer
angedrohten Abschiebung zuvorzukommen, die ein fünfjähriges Einreiseverbot für
die Bundesrepublik und die übrigen Schengenstaaten3 nach sich ziehen würde.
Als am 24.9.92 - einen Monat nach dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen - das
deutsch-rumänische Rückübernahmeabkommen unterzeichnet wurde, gab es noch
internationale Proteste. In Vorahnung der damit verbundenen organisierten
Unmenschlichkeit wurde in unterschiedlichen politischen Lagern von einem
Deportationsabkommen gesprochen, denn der Vertrag steht in der Tradition der
berüchtigten Zigeunerprotokolle, mit denen das Deutsche Reich die Zuwanderung
von Roma aus Südosteuropa bekämpft hatte. Um auf den Zusammenhang von
Pogrom und Deportation und auf die Verfolgung von Juden, Sinti und Roma während
der Naziherrschaft hinzuweisen, wollten französische Juden am 19.10.92 am
Rostocker Rathaus eine Gedenktafel anbringen. Dabei wurden drei Personen der
Aktionsgruppe verhaftet und zehn Tage in Haft gehalten. In Paris fanden daraufhin
Tag für Tag Demonstrationen vor der deutschen Botschaft und der Deutschen Bank
statt, bei denen unzählige Scheiben zu Bruch gingen. Der Versuch, auf diese Weise
in Rostock auf den historischen Hintergrund des Abkommens hinzuweisen, blieb
allerdings die einzige Aktion gegen die einsetzenden Massenabschiebungen nach
Rumänien, die größte Abschiebewelle in der Geschichte der Bundesrepublik und
Westeuropas.
2 Als Anhaltspunkte können dienen: 56.179 RumänInnen wurden zwischen 1/1990 und 4/1994 aus
Ungarn abgeschoben (IOM Transit Programme in Hungary, 12/94, S. 17), 39.000 RumänInnen
wurden zwischen 1/1990 und 12/1993 aus Polen abgeschoben (FFM, Gegen die Festung Europa,
Heft 1, S. 20)
3 seit dem 26.3.95, dem Tag des Inkrafttretens des Schengener Abkommens
5
Es sei daran erinnert, daß die Bundesregierung vor 1989 eine andere
Flüchtlingspolitik betrieben und die Auswanderung deutschstämmiger Aussiedler
auch aus Rumänien gefördert hatte, für ein Kopfgeld von 10.000 Mark an
Ceauºescus Regierung. Schließlich hatte die Bundesregierung vor dem Hintergrund
des Ost-West-Konfliktes ein politisches Interesse an der Auswanderung der
Aussiedler.
Die
ökonomisch
durchgerechneten
Kontingente
wurden
in
zwischenstaatlichen Verhandlungen festgelegt. Von 1977 bis 1992 verließen rund
230.000 Rumäniendeutsche das Land. Als im Dezember 1989 auch in Rumänien
über Nacht die Grenzen fielen, erreichte die Auswanderung der Aussiedler im
Folgejahr ihren Höhepunkt. Die Menschen, die ihnen folgten, waren dagegen von
Anbeginn an unerwünscht. Selbst die sogenannten Reintegrationsprojekte, zu deren
Aufbau in Rumänien sich die Bundesregierung verpflichtete, sind in Wirklichkeit nicht
für Abgeschobene und Rückkehrer gedacht. Sie dienen stattdessen dem Ausbau des
wirtschaftspolitischen und kulturellen Einflusses der BRD in Rumänien - speziell im
Banat und in Siebenbürgen, dem Herkunftsgebiet der Rumäniendeutschen.
Die Verdammung in die Armut kennzeichnet seit der 1989er Kehrtwende die
bundesdeutschen Migrationspolitik gegenüber Rumänien. Die Armut am Rande
Europas wurde dabei zum politischen Instrument. Sollten vor 1989 die hungernden
rumänischen Waisenkinder, die durch die bundesdeutschen Medien gingen, noch in
ihrer Darstellung sozialromantisierend wirken und zu Spenden animieren, so haben
ganz ähnliche Bilder in der Zeit nach 1989 eine völlig veränderte Botschaft: Sie
sollen abschrecken. Denn Rumänien ist - neben Albanien - zu einem gefürchteten
Land geworden. Einmal nach Westeuropa gelangt, sehen sich rumänische
Flüchtlinge und MigrantInnen mit dem Stigma der Armut konfrontiert. Die Kampagnen
gegen die sogenannte organisierte Kriminalität, das Betteln und den "Asylmißbrauch"
haben ihren Teil dazu beigetragen, das Verhältnis zur Armut in Westeuropa und
insgesamt gegenüber Südosteuropa zu verändern.
Thema des Heftes ist auch die Stigmatisierung von Flüchtlingen und MigrantInnen,
die aus Asien und Afrika nach Westeuropa kommen. Viele von ihnen nehmen den
Weg über Bukarest, denn Rumänien ist zu einen wichtigen Brückenkopf für
Menschen aus dem Nahen und Fernen Osten geworden. Diese Menschen knüpfen
auf ihre Art an die wirtschaftliche Verbindungen an, die in den 60er und 70er Jahre
entstanden sind. Damals schloß die rumänische Regierung eine ganze Reihe von
Wirtschafts- und Kooperationsverträgen mit der Türkei und anderen Staaten des
6
Nahen Ostens. Ehemalige Studenten und Kleinst-Unternehmer aus verschiedenen
trikotinentalen Ländern haben dort nach 1989 eine minimale selbstständige
Wirtschaftsbasis geschaffen, die den Neuankommenden zum Überleben in Armut
notdürftig reicht. Man halte sich vor Augen: Der durchschnittliche Lohn für
RumänInnen liegt derzeit bei umgerechnet hundert bis hundertzwanzig Mark, die
Preise sind nah den westeuropäischen, und so sind die verwandtschaftlichen
Verbindungen für die Lebensmittelversorgung jeder rumänischen Familie eine große
Stütze. Für TransitmigrantInnen hingegen ist es so gut wie unmöglich, den
Durchschnittslohn zu erlangen, und Verbindungen zur rumänischen Landwirtschaft
haben sie auch nicht - so blieb ihnen vor diesem Hintergrund nicht viel anderes, als
sich die entstehende Kleinökonomie zur kargen Überlebensbasis auszubauen.
Dem ersten Heft der FFM hatten wir die Bemerkung vorausgeschickt, daß
Migrationsbewegungen zugleich defensive und revolutionäre Triebkräfte enthalten.
Sie sind eine Folge von Vertreibung, aber zugleich auch der Suche nach einem
besseren
Leben.
Angesichts
der
miserablen
Verhältnisse,
unter
denen
TransitmigrantInnen aus den drei Kontinenten in Rumänien leben müssen, mag
diese
allgemeine
Feststellung
allerdings
wie
Hohn
erscheinen.
Denn
die
Lebensbedingungen in den Außenbezirken von Bukarest ähneln in ihrer sozialen
Dramatik denen von Istanbul, Teheran oder Buenos Aires. Für viele ist Rumänien
somit zu einer Duchgangsstation geworden, in der das Überleben auf Monate, ja
sogar Jahre in Armut selbstorganisiert werden muß. Je mehr Rumänien in die arme
Peripherie gedrückt wird, desto sicherer wird der Aufenthalt der Reisenden dort nur
vorläufig sein.
Die wirtschaftliche Selbstorganisation der MigrantInnen ist schon jetzt durch
Razzien und Übergriffe gefährdet. Vielen droht permanent die Beschlagnahme von
Handelswaren, bei Festnahme die Abschiebung. Der Export des westeuropäischen
Abschiebesystems - der sogenannte Domino-Effekt -, die restriktiven VisaBestimmungen für "Länder mit hohem Migrationsrisiko", die Carrier Sanctions gegen
Fluggesellschaften sowie die Asyl- und Aufenthaltsgesetze werden bereits jetzt von
deutschen Vorlagen abgeschrieben und institutionalisiert.
Doch trotz aller Restriktionen, Razzien und Abschiebegefängnisse wird Rumänien
als Armutsland auch weiterhin unkontrollierbarer sein als die Kernländer der
Europäischen Union. So wird es für Flüchtlinge und MigrantInnen ein Transitland
zwischen Hunger und Überleben, zwischen Abschieberisiko und Fluchthilfe bleiben.
7
Uns geht es darum, den Aufbruch der Menschen, die die Grenzziehungen
zwischen der verarmten Peripherie im Südosten und dem abgeschotteten
Westeuropa durchbrochen haben, sichtbar zu machen. Die Frage, wie der sozialen
Aufteilung Europas an der Seite der MigrantInnen langfristig entgegengearbeitet
werden kann, steht im Zentrum unseres Interesses. Wir möchten die verschiedenen
Gruppen
(Roma
/
Nicht-Roma-RumänInnen
/
TransitmigrantInnen
und
Pogromflüchtlinge / Armutsflüchtlinge / MigrantInnen) in unserem Bericht nicht in die
Kategorien aufspalten, die Ausländergesetze und nationalstaatliche Vorgaben
nahelegen, denn wir maßen uns nicht an, zwischen Flüchtlingen und MigrantInnen
zu
unterscheiden.
Gerade
angesichts
der
sozialen
und
rassistischen
Ausgrenzungen, die auch in Rumänien seit 1989 enorm forciert wurden, halten wir es
für verhängnisvoll, die offensichtlich transnationalen Gruppen nach ihrem Paß oder
nach ethnischen Zuschreibungen zu kategorisieren. Die vorliegende Darstellung
orientiert sich vor allem an den neuen Grenzrealitäten und -erfahrungen sowie an
dem Zusammenhang von ausgrenzenden Migrationsregimes und sozialem Aufbruch
in Rumänien.
Die organisierte Unmenschlichkeit der deutschen Flüchtlingspolitik - so kann nach
der Recherche in Rumänien festgestellt werden - ist nach Einführung des
Rückübernahmeabkommens Bonn-Bukarest im November 1992 und der Einführung
der Carrier Sanctions gegen Fluggesellschaften am rumänischen Beispiel besonders
deutlich geworden. Rumänien, als sicheres Herkunftsland deklariert, ist entgegen
aller regierungsoffiziellen Beteuerungen nach den Pogromen gegen Roma und den
Abschiebungen
Flüchtlingsarbeit,
fernab
der
die
diese
Öffentlichkeit
Folgen
der
kein
sicherer
europäischen
Zufluchtsort.
Eine
Abschottungspolitik
berücksichtigen will, müßte eine grenzübergreifende Arbeit beginnen und ein
Kontakt- und Kommunikationsnetz mit MigrantInnen und deren Selbstorganisationen
aufbauen. Das wäre die Voraussetzung dafür, daß die Folgen der Abschiebungen
wieder sichtbar werden und Protest entwickelt werden kann, der in aktuelle politische
Prozesse eingreift. Erst dann wird es vorstellbar, daß solidarische Arbeit auf den
Fluchtwegen selbst aktiv wird. So soll dieses Heft - wie auch das zu Polen - nicht nur
der
Gegenöffentlichkeit
dienen,
sondern
auch
der
konkreten
politischen
8
Auseinandersetzung. Die Massenabschiebungen haben nicht das Ende der
Geschichte der Einwanderung eingeleitet, sondern stehen an deren Anfang.
Diffamiert - entrechtet - abgeschoben
Der Deportationsvertrag von 1992
1990
wurden
im
Bonner
Innenministerium
erstmals
Pläne
für
Massenabschiebungen nach Rumänien diskutiert und ab Februar 1991 mit
rumänischen Ministerien abgesprochen.4 Gleichzeitig wurde in der Öffentlichkeit das
Klima dafür vorbereitet. Der Spiegel5 schrieb in einer markigen Titelgeschichte, es
"werden - wie etwa vergangenen Dienstag mit dem Flug LH 1424 - ganze
Flugzeugladungen illegal eingereister Roma wieder in ihr Herkunftsland [Rumänien]
zurückexpeditiert." Der damalige Kanzlerkandidat der SPD, Oskar Lafontaine,
plädierte für eine tiefgreifende Asylrechtsänderung, unter anderem für die Einführung
einer Länderliste. Demnach würden Personen aus Rumänien pauschal als
"unerwünschte Ausländer" auf den Index kommen. Im Sommer starteten nordrheinwestfälische Oberbürgermeister eine Initiative zur Vertreibung der Roma. Ihr Motto:
"Die Städte sind am Ende". Sie verlangten "den sofortigen Stopp des Romatrecks"6.
Im saarländischen Lebach entgingen zur gleichen Zeit 2.400 Roma knapp einem
Pogrom.
In diesem Wechselspiel zwischen Medien, Politikern und offenem Rassismus auf
der Straße wurde in der Bundesrepublik die rasche Illegalisierung rumänischer
4 siehe die "Expertengespräche" zur Migrationsbekämpfung, die das Bundesinnenministerium mit
rumänischen Ministerien ab Februar 1991 geführt hat, aufgelistet in: Protokoll über die Errichtung
von Ausbildungszentren in Rumänien im Rahmen des Rückkehrförderungs- und
Reintegrationsprogramms des BMI der BRD, Bonn 20.1.92
5 3.9.90, Titelgeschichte
6 ebda
9
StaatsbürgerInnen durchgesetzt. Die erste Restriktion war die Visapflicht für
RumänInnen. 7 Von nun ab wurden die Illegalisierten ohne jegliche Rechtsgrundlage
im polizeilichen Schnellverfahren abgeschoben. Anfang Dezember 1990 initiierte der
nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor zudem erneut eine Kampagne
gegen mehrere tausend Roma aus Exjugoslawien, die gegen ihre Abschiebung
kämpften. Doch statt ihnen das Bleiberecht zu gewähren, entwickelte das Land NRW
das sogenannte "Reintegrationsprogramm Skopje". Dieses speziell für Roma
entwickelte Abschiebeprogramm nach Mazedonien, von Schnoor stolz als ´neue
Flüchtlingspolitik´ präsentiert, sollte in den folgenden Jahren völlig scheitern. 8
Auch 1991 gingen die Abschiebungen rumänischer StaatsbürgerInnen ohne
vertragliche Grundlage weiter - direkt nach Rumänien oder nach Polen und in die
Tschechoslowakei. Doch die Nachbarländer der Bundesrepublik sorgten für einen
zeitweiligen Stop dieser Praxis. Die Folgekosten hatten zu diplomatischen
Verstimmungen geführt. So rechnete die Regierung der CSSR im August 1991 vor,
daß sie die Aufnahme von 800 aus der Bundesrepublik abgeschobenen RumänInnen
87.000 Mark gekostet habe.9
Seit April des folgenden Jahres ließ die Landesregierung von MecklenburgVorpommern die Situation an der Zentralen Aufnahmestelle (ZAST) in RostockLichtenhagen eskalieren. Weil die Behörde sich zunächst wochen-, dann monatelang
geweigert hatte, die Flüchtlinge und MigrantInnen anzuhören und unterzubringen,
waren sie gezwungen, auf dem Rasen vor der ZAST zu lagern, die in einem
Wohnblock der Trabantenstadt untergebracht war. Regierung, Neonazis und Medien
schürten den Haß gegen die Zufluchtsuchenden, darunter überwiegend Roma aus
Rumänien. Die Folgen, das Pogrom vom August 1992, sind bekannt.
Im Vorfeld des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen wurden zwei rumänische Roma
erschossen, Grigore Velcu, Vater von sieben Kindern, mit einem Kopfschuß, und
Lagu Idage Calda, der nach wenigen Stunden seinen Schußverletzungen erlag. Der
Ort des Verbrechens: Ein Feld bei Nadrensee in Mecklenburg-Vorpommern, drei
7 Die Visapflicht für Bürger aus Rumänien für die Einreise in die DDR und Westberlin galt ab dem
20.9.90. Für die Einreise in die DDR und West-Berlin hatten bis dahin noch Sonderbestimmungen
gegolten (die BKO 7/67 der alliierten Kontrollmächte hatte garantiert, daß sich TouristInnen aus
Osteuropa ohne Visum 31 Tage lang in Westberlin aufhalten konnten.) Mitte September 1990
beschloß die alliierte Vierergruppe in Bonn, diese Berliner Sonderregelung generell ab 3. Oktober
aufzuheben, für RumänInnen und BulgarInnen aber schon etwas früher, siehe taz 17.9.90
8 Günther Glocksin, Rückkehr oder Rausschmiß, in: blätter des iz3w Nr. 203, Feb. 95, S. 43
9 SZ 2.8.91
10
Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. Die Täter: Zwei Jäger, Gerhard R. und
Werner K. - ein ehemaliger Polizeichef - , mit Fahrer J. Der Hergang ist der
Staatsanwaltschaft bekannt, es gibt viele Zeugen: Eine Gruppe von zwanzig Roma
aus der Stadt Craiova hatte nachts die Grenze überquert. Die Jäger schossen am
Morgen des 29.6.92 auf sie, darunter Frauen und Kinder, als sie sich in einem
Maisfeld verstecken wollten. Nach den Schüssen erhoben die nichtgetroffenen Roma
die Hände und gingen auf die Schützen zu. Diese flohen. Die Überlebenden zogen
sich über die Grenze zurück. Bauern fanden den Toten und den Sterbenden wenige
Stunden später. Kurze Zeit brannte das Feld, auf dem noch die beiden lagen. - Bis
heute wurden die Ermittlungen verschleppt, gegen die Täter wurde kein Prozeß
eröffnet. Die Witwe Velcu und zahlreiche Zeugen leben heute wieder in Craiova.
Mitte September 1992 - wenige Wochen nach dem Pogrom in RostockLichtenhagen - erschien fast zeitgleich mit der Verabschiedung des deutschrumänischen Deportationsabkommens wie auf Bestellung eine Studie des Kölner
Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien über Roma in
Rumänien. 10 Schon in der Vorbemerkung kommt der Autor zur Sache: Das
Begehren nach politischem Asyl sei bei ihnen "zu hundert Prozent unbegründet". Sie
seien auf einer archaischen Stufe stehengeblieben, hätten keine Kulturzeugnisse
vorzuweisen, seien "naive Randfiguren bei allem, was das Land [Rumänien] wirklich
bewegte." Aus der Zeit des 2. Weltkriegs seien keine schwerwiegenden Übergriffe
auf die rumänischen Roma bekannt geworden. Tatsächlich waren der faschistischen
Herrschaft in Rumänien annähernd 36.000 Roma zum Opfer gefallen.
Das von den Innenministern beider Länder, Rudolf Seiters und Victor Babiuc, am
24. September in Bukarest unterzeichnete "Rückübernahmeabkommen" trat bereits
am 1. November 1992 in Kraft. In der langen Reihe vergleichbarer Abkommen nimmt
es eine Sonderstellung ein, denn es ermöglicht die "Rückführung" rumänischer
Staatsangehöriger ohne Grenzübertrittsdokumente. Es genügt ein Zeuge, der die
Staatsangehörigkeit der betreffenden Person glaubhaft machen kann.11 Auch die
kurze Zeitspanne, die zwischen Rückübernahme-Ersuchen und Abschiebung liegt, ist
beispiellos. Es kann, wie es im Artikel 8 des Protokolls zur Durchführung der
10 Wolf Oschlies, ´Romii´ oder ´Tigani´. Versuch über Geschichte, Gegenwart und soziale Probleme
der Zigeuner Rumäniens, Köln 1992
11 BGBl 93, Teil II, S. 222 f.
11
Vereinbarung vom 28.10.1992 heißt, sogar "ohne vorherige Ankündigungen"
abgeschoben werden.12
Die Adresse der Behörde, die auf rumänischer Seite für die Koordination der
Rückübernahmen
zuständig
ist,
hat
sich
im
Zusammenhang
mit
einer
Massenabschiebung von 92 Tamilen und Singhalesen am 17.2.1994 nach Colombo
bereits einen berüchtigten Namen gemacht (siehe unten). In der Bukarester Strada
Nicolae Iorga Nr. 29, dem Sitz der Directia Generala de Pasapoarte ºi a Poliþiei de
Frontiera, laufen die Fäden für Abschiebungen nach und aus Rumänien zusammen.
Dort gibt es entsprechend dem Durchführungsprotokoll des Deportationsvertrages
mit der Bundesrepublik ein rotes Telefon13 zur Koblenzer Direktion des
Bundesgrenzschutzes. Dieser heiße Draht wird häufig benutzt, denn nach wie vor
fliegen fast jeden Tag Maschinen mit Abgeschobenen an Bord von deutschen
Flughäfen nach Bukarest. Neben dem Informationsaustausch über bevorstehende
Abschiebungen sind für den BGS sicherlich auch Abschiebungen aus Rumänien von
Interesse.
"Deutsche Stellen können Rumänen mit der Lufthansa abschieben. Die Lufthansa
fliegt Bukarest fünfmal in der Woche von Frankfurt und täglich von München aus an.
Deutsche
Abschiebungsbehörden
arbeiten
u.a.
mit
rumänischen
Chartergesellschaften wie ´ROMAVIA´und ´JARO´ zusammen [...] Rückschiebungen
bei der illegalen Einreise aufgegriffener Rumänen finden regelmäßig vom Flughafen
Berlin-Schönefeld statt."14
Die Koordination zwischen deutschen und rumänischen Stellen läuft wie
geschmiert: Während vormittags BGS-Busse die Posten der Grenzregionen von
Oder und Neiße abfahren und die Gefangenen einsammeln, startet von Bukarest
eine fast leere Maschine. An Bord sind neben der Crew noch eine Handvoll
Privatpolizisten der Fluggesellschaft. Am Nachmittag treffen die BGS-Busse pünktlich
zur Landung der Flieger in Berlin-Schönefeld ein. Die Maschinen starten zwischen 20
12 Artikel 3: "Im Falle der Übergabe der betroffenen Person auf dem Luftweg ist kein Reisedokument
erforderlich." Artikel 4: Das Rückübernahme-Ersuchen muß folgende Angaben enthalten:
Vorname, Name, Geburtsdatum und Ort sowie letzter Wohnort im Hoheitsgebiet der ersuchten
Vertragspartei, und "die Bezeichnung der Nachweis- oder Glaubhaftmachungsmittel für die
Staatsangehörigkeit". Artikel 7: "Die ersuchte Vertragspartei übernimmt die zu übernehmende
Person im Regelfall unverzüglich, möglichst innerhalb von drei Arbeitstagen." Artikel 8:
"Unbegleitete Rückführungen von bis zu fünf Personen werden ohne vorherige Ankündigungen
vorgenommen."
13 Auf rumänischer Seite: Tel. Nr.: 004000-596611, Fax Nr.: 00400-121500, auf BGS-Seite: Tel. Nr:
0261-399-113 (Sachgebiet I/12), -250 (Fahndungs- und Lagezentrale), Fax Nr.: 0261-399-472.
12
und 22 Uhr von Rampe 3. An manchen Tagen überschreitet die Zahl der
abgeschobenen RumänInnen 200 Personen. Für den Flug nach Bukarest nehmen
die Ausländerbehörden Personen, die abgeschoben werden sollen, nach Möglichkeit
rund tausend Mark ab. Über jede Abschiebung aus der Bundesrepublik wird zudem
akribisch Buch geführt und diese als "Zurückschiebung" oder "Abschiebung" und - in
seltenen Fällen - als "freiwillige Repatriierung" klassifiziert. Der Name und
personenbezogene Daten werden im Ausländerzentralregister (AZR) und im
Schengener-Informations-System (SIS) gespeichert. Neben den Transportkosten
werden auch die genauen Umstände der Abschiebung notiert: Sind BGS-Beamten
mitgereist? Ist Polizei der Länder eingesetzt worden, in die abgeschoben wird? Die
Computerdaten werden bei der Visa-Erteilung abgefragt: Bei Abgeschobenen ist ein
fünfjähriges Einreiseverbot vermerkt.
Trotz behördlicher Datensammelwut war im Herbst 1992 noch nicht abzusehen,
wieviele Menschen dieses Abkommen tatsächlich betreffen würde. Klar war nur, daß
die größte Massenabschiebung in der Geschichte der Bundesrepublik vorbereitet
wurde. Die PDS, die neben vielen anderen Gruppen in der Bundesrepublik gegen
das Abkommen protestiert hatte, rechnete mit 30.00015, die Bildzeitung mit
43.00016, die Deutsche Botschaft in Bukarest mit 60.000 17 und Innenminister
Seiters sogar mit 100.000 Personen, darunter 60.000 Roma18, die infolge des
"Rückübernahmevertrages" direkt abgeschoben würden.
So wurde seit dem 1.11.92 an rumänischen Asylbewerbern in großem Stil
praktiziert, was erst durch die faktische Abschaffung des Asylrechts Mitte 1993
legalisiert wurde: Flüchtlinge, die in die BRD kamen und auf dem Weg zur ZAST vom
BGS festgenommen wurden, hatten in der Regel keine Möglichkeit, einen Asylantrag
zu stellen. Der BGS beförderte sie direkt zum Flughafen. Damit blieb ihnen der
Rechtsweg verwehrt. Doch erst mit der Asylrechtsänderung wurde Rumänien zum
"sicheren Herkunftsland" erklärt.
Der Deportationsvertrag führte nach Berichten von Beratungsstellen auch an den
Grenzen zu einer Brutalisierung der Abschiebepraxis. "Ein Beispiel, das mir als
besonders grausam in Erinnerung ist, ereignete sich im Februar letzten Jahres [1993]
14 Lagebericht des Auswärtigen Amts vom Februar 1995, S.9.
15 Ulla Jelpke, Pressedienst PDS-Linke Liste Nr. 573, 24.9.92
16 Bild, 17.9.92
17 FR 15.11.92
18 New York Times, 25.9.92, ap 24.9.92
13
im Grenzbahnhof Frankfurt/Oder. Ein Zug aus Rumänien fuhr sehr spät abends ein.
Fünf Personen, Mann, Frau und Kind und zwei andere Personen, sprangen aus dem
Gepäckabteil des Zuges. Sofort wurden sie von bewaffneten Beamten des BGS
umringt, denn alle Rumänen, die kein Touristenvisum besitzen, befinden sich illegal
in der BRD. Obwohl es geschneit hatte und sehr kalt war, mußten sich die Leute auf
den Boden legen, auch die Frau, die im achten Monat schwanger war. Wie mir die
Frau später berichtete, mußten sie eine halbe Stunde auf dem Bahnsteig
liegenbleiben, bevor sie zum Polizeirevier abgeführt wurden. Dort mußten sie die
ganze Nacht auf dem Flur verbringen, wurden ab und zu befragt, aber immer wieder
gehindert, einen Asylantrag zu stellen. Als bei der Frau um vier Uhr morgens die
Wehen einsetzten, wurde sie in Frankfurt a.d.O. ins Krankenhaus gebracht. Am
nächsten Tag - ihr Kind kam durch Kaiserschnitt zur Welt - wollte sie ihren Mann und
ihr Kind sehen, worauf man ihr mitteilte, daß diese abgeschoben waren. Nachdem
sie 15 Tage im Krankenhaus gelegen hatte, kamen Polizisten an ihr Bett und sagten,
daß sie mitkommen müsse, da sie ebenfalls abgeschoben werde. Obwohl sie
wiederholt betont hatte, sie möchte einen Asylantrag stellen, was aber nicht
registriert wurde, wurde sie zusammen mit ihrem Baby, das ein Geburtsschild mit der
Aufschrift ´Der Weg ins Leben´ um den Hals trug, zum Flughafen Schönefeld
gebracht. Erst dort reagierte man positiv auf den Wunsch der Frau, die noch geblutet
hat und überhaupt nicht reisefähig war, einen Asylantrag zu stellen. [...] Kollegen
anderer Beratungsstellen, z.B. aus Eisenhüttenstadt, bestätigen, daß ihr mehrmals
ein Asylantrag verweigert wurde." 19
Nach und nach wurde die Praxis, Roma-Familien bei ihrer Ankunft voneinander zu
trennen und auf verschiedene Bundesländer zu verteilen, zur institutionalisierten
Grausamkeit. Selbst schwere Krankheiten, die in Rumänien wegen der miserablen
Gesundheitsversorgung nicht behandelt werden können, gelten nicht mehr als
Abschiebehindernisse. Die Liste der alltäglichen Unmenschlichkeiten ist lang, in jeder
Beratungsstelle in den Großstädten der BRD gehört das Wissen darüber zum Alltag.
Seit Inkrafttreten des Deportationsvertrages ist zudem eine restriktivere Erteilung
von Visa zu beobachten. Die deutsche Botschaft in Bukarest lehne zunehmend VisaAnträgen ab, berichten Beobachter. Obwohl für Fragen der Visarestriktionen
eigentlich die Ausländerreferentenbesprechung des Auswärtigen Amtes zuständig
19 Garrer, Hanneke, "Ihr klaut uns die Erde", Interview, in: Asylrecht in Deutschland und Europa.
Reader zum Basso-Tribunal. Tribunal zum Asylrecht in Europa. 8.-12.12.94, Berlin, S. 35 f.
14
ist, wird ein wachsender Einfluß des Bonner Innenministeriums registriert. So
beschwerte sich das Innenministerium Ende November 1992 beim Auswärtigen Amt
über die angeblich zu großzügige Vergabe von Visa durch die Deutsche Botschaft in
Bukarest. Danach kämen 85 Prozent der Asylbewerber mit einem Visum - also legal ins Land.20
Neben der oben genannten Aktion französischer Juden in Rostock kam es am
28.4.93 zu einer Protestkundgebung gegen den Deportationsvertrag am Flughafen
Berlin Schönefeld. Auch Verbände und Gruppen wie der Roma National Congress
(RNC)
und
56
Abgeordnete
des
amerikanischen
Repräsentantenhauses
protestierten gegen das Vertragswerk. 21. Das Europaparlament 22 bezeichnete das
Abkommen zudem als staatliche Gewalt gegen Roma und bezifferte die deutschen
Gegenleistungen auf eine Milliarde DM.
Auch
in
Rumänien
Deportationsabkommens
gab
zahlreiche
es
anläßlich
kritische
des
Reaktionen
Inkrafttretens
des
und
von
Proteste
Menschenrechtsgruppen. Selbst von offiziellen Stellen waren kritische Stimmen zu
vernehmen: "Der stellvertretende Chef der Einwanderungsabteilung im rumänischen
Innenministerium, Alexandru Iacob, hat die Ausweisung rumänischer Asylbewerber
aus Deutschland als schwere Menschenrechtsverletzung kritisiert." 23 Zugleich
mußte man aber befürchten, daß rumänische Polizeidienststellen die Abschiebung
rumänischer Staatsbürger aus Deutschland zum Anlaß nehmen könnten, um deren
Entrechtung im eigenen Land fortzuführen. Tatsächlich wurde im Bukarester
Innenministerium für die "Repatriierung" ein Sonderkommando zusammengestellt,
"um die Rückkehr der mehreren zehntausend Menschen zu überwachen. Rückkehrer
werden von der Polizei in ihre Heimatorte eskortiert." 24
Im November 1992 gründeten Romani CRISS, die Stiftung Aven Amentza für die
Emanzipation und Integration der Roma, Helsinki Watch, LADO (Liga für die
Verteidigung der Menschenrechte) und der Verein Junge Generation der Roma eine
Gruppe zur Beobachtung des deutsch-rumänischen Abkommens mit dem Ziel, die
Abgeschobenen bei ihrer Ankunft in Bukarest zu befragen und eine kontinuierliche
Gegenöffentlichkeit über die Praxis der Abschiebungen aufzubauen. Nach wenigen
20 Agenturmeldung vom 20.11.92
21 13. August 92
22 April 1994
23 FR 5.11.92
15
Monaten legten sie die ersten Berichte vor: Die Tatsache, daß das Abkommen
Polizisten die Entscheidung freistellt, wer abzuschieben ist, werten die rumänischen
Menschenrechtsgruppen übereinstimmend als Verletzung der Menschenrechte. Das
Abkommen habe eine stark antiziganistische Propagandafunktion, denn während
das Abkommen allgemein als gegen Roma gerichtet aufgefaßt wird, sind die meisten
Abgeschobenen in Wirklichkeit keine Roma.25 Der Deportationsvertrag hat, das geht
aus den Berichten ebenfalls hervor, den Rassismus in Rumänien verschärft. So
hätten Brandstiftungen, Gewalttätigkeiten und Aktionen lokaler Polizeieinheiten
gegen Abgeschobene dramatisch zugenommen. Im einzelnen wird hervorgehoben:
Die meisten Flüchtlinge mußten ihre Flugkosten selbst tragen. Der Flug fand unter
Aufsicht von Einheiten der Antiterror-Spezialeinheit USLA statt. Die Abschiebungen
werden mit Linien- oder Charterflügen der Romavia durchgeführt, seit März 1993
auch mit Maschinen der rumänisch-amerikanischen Fluggesellschaft JARO. Häufig
kommen die Maschinen um Mitternacht in Bukarest an. Viele der Interviewten
wurden auf deutschen Sozialämtern festgenommen, als sie für ihre Sozialhilfe
anstanden. Manche mußten sich ausziehen, wurden an Heizungen gefesselt.
Anderen wurde das Geld abgenommen, ebenso Schmuck und das Auto. Viele
konnten ihre Rechtsmittel nicht ausschöpfen. Manche hatten reguläre Arbeit. Wer an
der Grenze aufgegriffen wurde, konnte in den 24 Stunden der Haft keinen Asylantrag
stellen. Sie mußten Dokumente auf deutsch unterschreiben, die sie nicht verstanden,
einige wurden sogar mit Gewalt dazu genötigt. In der Haft gab es kein Essen und
kein Wasser.
Die wichtigsten Ergebnisse dieser Befragungen übergaben die rumänischen
Gruppen bereits im Februar 1993 deutschen NGOs, Kirchenvertretern und
Einzelpersonen. Diese Berichte über die deutsche Abschiebepraxis blieben aber
letztlich ohne nennenswerte Folgen, die deutschen NGOs waren vor allem an
Erkenntnissen über Rumänien als "sicheres Herkunftsland" interessiert. Weil die
rumänischen Menschenrechtsorganisationen aber von Bukarest aus das InterviewMaterial nicht überprüfen konnten, änderten sie schließlich ihren Arbeitsschwerpunkt
und wendeten sich der Lebenssituation der Abgeschobenen in Rumänien zu.
24 dpa 3.11.92, taz 4.11.92
25 Costache, Norica / Gheorghe, Nicolae / Workgroup for observation the romanian-german
convention / Aven amentza foundation: Bericht vom 10.6.93, via E-mail. Siehe auch Romani
CRISS, Displaced Romanies (Gypsies) within the New Europe. Germ-rom. agreement. CSCE
Human Dimension Seminar, Warschau 20-23.4.93
16
In Bukarest und in kleineren Städten bei Braºov und Craiova konnten wir
ausführliche Gespräche mit mehreren abgeschobenen Familien führen. Ihre
Lebensverhältnisse und Perspektiven unterschieden sich beträchtlich, nicht nur
zwischen Roma und Nicht-Roma. Als Durchschnittsfamilie können Ioan und
Leonora 26 gelten, die in Bukarest leben. Sie waren 1990/91 nach Deutschland
gekommen und hatten mit ihren beiden Kleinkindern drei Jahre in der
Bundesrepublik gelebt, ihre Verwandten vier Jahre. Seit Januar 1995 sind sie wieder
in Rumänien. Bei ihrer Rückkehr erlebten sie einen Schock: Die Lebensverhältnisse
hatten sich dramatisch verschlechtert. So war der Monatslohn für Frauen bei ihrer
Rückkehr auf 65 Mark und für Männer auf ungefähr 120 Mark abgesunken.
Angesichts der hohen Lebenshaltungskosten sind 400 Mark für den Haushalt einer
vierköpfigen Familie das absolute Minimum. Ein Kilo Fleisch kostet 8 Mark. Zum
Glück hatten die Familie ihre Dreizimmerwohnung - wie viele andere - unter
Ceauºescu sehr günstig kaufen können, so daß sie jetzt nur die Nebenkosten zahlen
müssen, immerhin rund 70 Mark.
Die Rückkehr macht vor allem der Frau zu schaffen. Sie war viele Jahre
berufstätig und ist jetzt nicht bereit, für einen Hungerlohn zu arbeiten. So bleibt ihr
nur das Hausfrauendasein. Die Armseligkeit der Ernährung ist für sie kaum zu
ertragen. Konsumartikel, an die sie sich in Deutschland gewöhnt hatten, gibt es in
Bukarest aber nur in teuren Delikatessenläden. Ihr Mann gibt sich dagegen
optimistisch. Er hat sich mit seinem Stiefbruder selbständig gemacht und betreibt ein
kleines Importunternehmen für Nahrungsmittel und Getränke aus Deutschland.
Betrügereien größerer Geschäftspartner und Schikanen der Behörden hätten sie
aber fast ruiniert.
Die Familie hatte die Bundesrepublik "freiwillig" verlassen, um der Abschiebung
und dem fünfjährigen Einreiseverbot zuvorzukommen. Wer nach der behördlichen
Aufforderung "freiwillig" ausreist, erhält schließlich nur ein Jahr Einreiseverbot. Nun
hoffen sie, für drei Monate ein Touristenvisum zu bekommen. Damit könnten sie in
Deutschland zumindest einmal im Jahr mit Schwarzarbeit ihr Einkommen
aufbessern. Zur Zeit warten sie auf den neuen Paß, er gilt als fälschungssicher und
wird bereits ausgegeben. Auf ein Besuchsvisum müssen ältere Leute normalerweise
zwei Wochen warten, die beiden rechnen mit einem Monat Wartezeit. Mit Besorgnis
registrierten sie im März dieses Jahres das Inkrafttreten des Schengener
26 Namen geändert
17
Abkommens, denn nun werden auch die Daten aller bis dahin ausgewiesenen oder
abgeschobenen Asylbewerber den anderen Vertragsstaaten zur Verfügung gestellt,
die ihnen deshalb die Einreise verweigern könnten. Das Leben der Familie ist auf die
zukünftige Emigration ausgerichtet. Auch die Kinder werden darauf vorbereitet. Die
Ältere spricht fließend deutsch, und beide gehen auf eine Schule, an der sie
wöchentlich drei Stunden Deutsch lernen. Zuhause empfangen sie darüber hinaus
via Satellit deutsches Fernsehen, das Programm von RTL.
Eine Roma-Familie bei Braºov berichtete:
- Konnten Sie etwas mitbringen, ein paar Sachen oder Geld, als Sie mit dem
Flugzeug aus Deutschland abgeschoben wurden?
- Nein, nichts. Sie haben uns einfach zum Flugzeug gebracht, so sind wir dann
zurückgekommen. Sie haben uns noch nicht einmal eine Tasche mit Essen gegeben,
nur einmal vor dem Flug haben sie uns zu Essen gegeben, und danach da oben im
Flugzeug. ... Die Möglichkeit, so einfach nach Deutschland zu kommen, werden wir
nicht mehr erhalten, denn wir dürfen nicht mehr nach Deutschland. Sie verbieten uns
jetzt dort den Aufenthalt. Ja, jetzt müssen wir hier weiter in Armut leben. Wehe uns,
denn die Rumänen schlagen uns. Auch die Polizei schlägt und demütigt uns. Sie
verbreitet Rassenhaß. Aber was können wir schon machen?
Hier sind sie [die rumänischen Dorfbewohner] einfach zu uns ins Haus
gekommen, zu den Kindern, Frauen und Männern, und haben uns geschlagen. Wir
sind deswegen zur Staatsanwaltschaft nach Fãgãraº gegangen. Die haben uns zwar
versprochen, daß sie kommen, aber sie sind nicht gekommen. Die Nachbarn haben
uns geschlagen. Die Kinder sind ein oder zwei Tage vor Angst im Wald geblieben.
Sie hatten Hunger. Als wir sahen, daß die Nachbarn es sich in den Kopf gesetzt
hatten, uns weiterhin zu demütigen, haben wir unseren Mädchen nicht mehr erlaubt,
auf die Straße zu gehen. Seitdem gehen Mädchen oder junge Frauen mit nicht mehr
raus. Wir schicken jetzt einfach Kinder und die Älteren auf die Straße zum Einkaufen.
Wir haben Angst, weil wir nur dreißig Familien sind und die Gemeinde groß ist,
Tausende von Menschen. Wie können wir uns da gegen sie durchsetzen? Wir haben
Angst. Wir sind mehr Ältere als Jüngere.
Wohin können wir nach dem 26. jetzt noch gehen [nach Inkrafttreten des
Schengener Abkommens am 26.3.95]? Öffnet sich ein anderes Land für uns? Wir
gehen in andere Länder, wohin auch immer wir können, nur um weg zu gehen! ... Ich
18
bin damals illegal über die Grenze gegangen, bei Zgorzelec. Ich bin in ein
Aufnahmezentrum in Duisburg27 gekommen. Von dort haben sie mich nach
Angermünde gebracht. Dort habe ich Geld bekommen, aber ich wollte arbeiten. Aber
sie haben das nicht erlaubt und immer gesagt, die Migranten dürften das nicht. ... Ich
würde wieder illegal nach Deutschland gehen, aber ich habe Angst, daß sie mich
zurückschicken. Jetzt möchte ich abwarten, ob ein anderes Land ein Visum gibt.
Wenn ich mit einem Paß hinfahren kann, ist es gut, wenn nicht, werde ich es so
versuchen. Ich werde es einfach riskieren, ich gehe trotzdem nach Deutschland oder
Österreich, egal wohin, dorthin, wo ich weniger Geld für den Reiseweg brauche.
Auf den beiden Bukarester Flughäfen werden nach der Abschiebung die
Ankommenden in zwei Gruppen geteilt. Nach Angaben des Chefs der Poliþia de
Frontierã (Grenzpolizei) Otopeni, Colonel A. Munteanu, würden die Personen mit
einem gültigen Paß wie alle anderen Fluggäste durchgelassen. Die, die keine Pässe
haben, würden zunächst festgehalten: Die Grenzpolizei mache dann eine Anfrage
beim burol evidenþa populaþie, dem Landeseinwohneramt, um Name und Wohnort
zu überprüfen. Dann erhielten sie einen behelfsmäßigen Ausweis, der bis zur Ankunft
an ihrem Wohnort gültig sei. Wenn dieses Procedere nicht möglich sei, werde in
einem Verhör die persönliche Identität überprüft. Dafür gebe es einen Extraraum. Die
Anhörung und der damit verbundene Aufwand dauere mindestens eine Stunde. Die
Bukarester Helsinkigruppe APADOR vermutete schon 1994, daß die abgeschobenen
Roma in besonderen Listen erfaßt und anschließend von der Polizei am Wohnort
schikaniert, erkennungsdienstlich behandelt und in einzelnen Fällen verfolgt
würden. 28 Bislang ist unklar, ob das in der Verantwortung lokaler Polizeibehörden
liegt oder auf Anordnungen des Innenministeriums zurückgeht. Rumänische Roma,
die in der BRD zu Staatenlosen wurden, müssen nach ihrer Rückkehr umgerechnet
300
Mark
bezahlen,
um
vom
Ministerium
für
Arbeit
und
Soziales
eine
Arbeitserlaubnis zu erhalten. Medizinische Behandlungen müssen sie selbst
bezahlen.
Die rumänische Regierung ließ sich in dem Abkommen allerdings nicht zur
"Rückübernahme von Drittstaatlern", die über Rumänien in die Bundesrepublik
gelangt sind, verpflichten, wie es die Bundesregierung verlangt hatte. In einem
27 Städtenamen geändert.
28 APADOR Report 1994, S. 33f.
19
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom Februar 1995 heißt es dazu diplomatisch,
"soweit bekannt" habe Rumänien dieses Begehren bisher stets abgelehnt. Nach den
Ergebnissen unserer Recherchen auf dem Bukarester Flughafen Otopeni ist zu
vermuten, daß die Bundesregierung nach anderen Wegen sucht, um Drittstaatler
nach Rumänien zu schleusen. Die sogenannten Carrier Sanctions
gegen
Fluggesellschaften bieten dafür entsprechende Möglichkeiten. Das Haupthindernis
auf
rumänischer
Seite
ist
offenbar
das
Fehlen
eines
funktionierenden
Abschiebesystems und ungeklärte finanziellen Fragen eines solchen Reglements.
Die Bundesregierung ist zur Zeit darum bemüht, weitere Verträge auszuhandeln, um
Kettenabschiebungen
zu institutionalisieren.
Entsprechende
Gespräche
über
sogenannte Durchbeförderungsvereinbarungen befinden sich mit Rumänien derzeit
in einer Sondierungsphase.29
Als politische Gegenleistung für den Abschluß des Deportationsabkommens hatte
die Bundesregierung Rumänien eine schrittweise Annäherung an die EU angeboten.
Rumänien war nach einer mehrjährigen Phase der politischen und ökonomischen
Isolierung erst 1992 vorsichtig in das Westbündnis einbezogen worden. Der
Abschluß des Deportationsvertrags Bonn-Bukarest und der angestrebte Export der
deutschen Abschiebepolitik nach Südosteuropa hatten dabei sicher Signalwirkung.
Die Chronologie der wirtschaftspolitischen Abmachungen und Entscheidungen macht
diesen Umbruch zur Jahreswende 1992/93 deutlich:
17.11.92:
Das
Assoziierungsabkommen
mit
der
EG
wird
mit
Hilfe
der
Bundesregierung paraphiert.
6/1993: Interimsabkommen mit der EG, handels- und kreditrelevante Teile des
Assoziierungsabkommens werden in Kraft gesetzt. 30.
16.9.93 Der "Vertrag zwischen der BRD und Rumänien über freundschaftliche
Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa" tritt in Kraft - eine Art
Grundlagenvertrag, der auch polizeiliche Zusammenarbeit gegen sogenannte
organisierte Kriminalität und illegalen Grenzübertritt einschließt.
30.9.93 Rumänien wird Mitglied im Europarat.
29 Bericht des BMI zur Fortschreibung des Asyl-Erfahrungsberichts 1993. - Asyl-Erfahrungsbericht
1994 - . Bonn, 20.6.95. Im Lagebericht des AA vom Feb. 95, S. 9, heißt es außerdem: "Einen
Beitritt zu dem zwischen Polen und den Schengen-Staaten bestehenden
Rückübernahmeabkommen hat Rumänien bisher abgelehnt."
30 Am 1.2.95 tritt das Assoziierungsabkommen in Kraft und tritt an die Stelle des Handels- und
Kooperationsabkommens.
20
10/1993: Rumänien erhält die Meistbegünstigtenklausel im Handel mit den USA.
5/1994: IWF und Weltbank honorieren die Wirtschafts- und Stabilisierungspolitik mit
einem Unterstützungsabkommen über Kredite in Höhe von 700 bzw. 225 Millionen
Dollar.
Fragen über Ausgleichszahlungen und -leistungen der Bundesrepublik sind aber
nach wie vor offen: Anderen Staaten gab die Bundesregierung für den Abschluß
ähnlicher Rückübernahmeabkommen erhebliche Finanzhilfen zum Ausbau der
Polizeiapparate,
der
Grenzüberwachung
und
zum
Aufbau
einer
Flüchtlingsverwaltung. Mit Rumänien wurden solche Vereinbarungen bisher nicht
getroffen. Vermutlich zeigte sich die rumänische Regierung auf diesem Gebiet nicht
zu einer derart subalternen Polizeikooperation bereit.31
Das Bundesinnenministerium und das Land Nordrhein-Westfalen entfalteten
unterdessen
unter
dem
Vorzeichen
der
Migrationsbekämpfung
rege
wirtschaftspolitische Aktivitäten. Das Bundesinnenministerium konnte bereits beim
Abschluß
des
Deportationsvertrags
auf
den
Aufbau
handwerklicher
Ausbildungszentren in Arad, Timiºoara und Sibiu32 verweisen, Projekte, die als
Hilfsprogramme deklariert werden. Die Bundesregierung ließ sich diese angeblichen
"Reintegrationsprojekte" für "Rückkehrer", die durch Qualifizierung von erneuter
Emigration abgehalten werden sollen, bisher rund 30 Millionen Mark kosten. 33 Die
Fördersumme ist selbst bei einer menschenverachtenden Kosten-Nutzen-Rechnung
außerordentlich niedrig: Sie entspricht nicht annähernd den Einsparungen bei den
Sozialausgaben der Bundesrepublik, die die Abschiebungen bedeuten, oder den
zusätzlichen Sozialkosten, die auf die rumänische Regierung zukommen. Zudem
haben die Abgeschobenen davon nichts, es trägt nicht zu deren "Reintegration" bei.
31 Die Hetzkampagnen im Herbst 1995 gegen die angeblich von der Securitate gesteuerten
rumänischen Panzerknackerbanden sollen wohl eine Unterordnung des rumänischen
Polizeiapparats unter BRD-Interessen erzwingen.
32 Die Reintegrationsprojekte im einzelnen: 1. Landkreis Arad, Gemeinde Vladimirescu, Lehrgänge in
Holztechnik, 2. Landkreis Timiº - Stadt Timiºoara. Lehrgänge in Bauwesen. 3. Landkreis Sibiu Gemeinde Cisnadioara, Lehrgänge in Elektro- und Sanitärhandwerk.
33 Das Deportationsabkommen stand nach Angaben von Innenminister Seiters "im Kontext mit dem
vom Bundesinnenministerium eingeleiteten Rückkehrförderungs- und Reintegrationsprogramm
zugunsten rumänischer Asylantragsteller, das aus der vom Bundeskabinett verabschiedeten
Flüchtlingskonzeption zur Bekämpfung der Fluchtursachen resultiert. [...] In jedem der
Ausbildungszentren sollen rückkehrende Asylbewerber und ortsansässige Rumänen eine
marktwirtschaftlich orientierte berufliche Qualifikation erhalten, die sie befähigt, sich in Rumänien
eine berufliche Zukunft zu sichern. Das Programm hat ein finanzielles Volumen von rund 30 Mill.
DM." Erklärung des BMI vom 24.9.92, Hervorhebung vom Autor.
21
Denn tatsächlich haben zwischen November 1992 und Oktober 1995 nur zwanzig
Rückkehrer 34 an Kurzlehrgängen der Zentren teilnehmen können.35 Das übrige
Lehrgangsangebot der "Reintegrationszentren" ist mit High-Tech-Werkstätten und
Existenzgründungsförderungen36 auf die Ausbildung hochqualifizierter Arbeitskräfte
ausgerichtet und dient der Entwicklung eines unternehmerischen Mittelstandes. In
den drei Ausbildungsstätten wurden in den vergangenen drei Jahren insgesamt nur
1.700 Personen gefördert, ausgelegt waren die Projekte ursprünglich auf 4.000
Teilnehmer pro Jahr. Finanzierung und Leitung der drei Ausbildungszentren sollen
auf Dauer von den rumänischen Seite übernommen werden, als Stiftungen sollen sie
gegenüber der rumänischen Regierung unabhängig sein.37
Zur "konzeptionellen Steuerung" der Reintegrationsprojekte wurde im Juli 1991
bereits eine hochrangig besetzte deutsch-rumänische Kommission gegründet. Ihr
offizieller
Titel:
"rumänisch-deutsche
Arbeitsgruppe
zur
Bewältigung
von
Wanderungsfragen". Damit konnte die Bundesregierung ihren politischen und
wirtschaftlichen Einfluß in Rumänien ausbauen, denn unter der Vorgabe der
Fluchtprävention ist die Arbeitsgruppe tatsächlich am Aufbau arbeitsmarktpolitischer
und marktwirtschaftlicher Instrumente der rumänischen Ministerien beteiligt. Sie setzt
sich aus je zwei Vertretern des rumänischen Innenministeriums und des
rumänischen Ministeriums für Arbeit und Sozialfürsorge sowie zwei Vertretern des
deutschen Innenministeriums und einem Vertreter der GOPA38 zusammen. Zu den
34 inklusive Familienangehörigen 130 bis 140 Personen
35 laut Angaben der Projektleiter der Reintegrationsprojekte gegenüber der FFM. Siehe auch Bonner
General-Anzeiger, 9.7.94. Die Lehrgangsübersichten der rumänisch-deutschen Stiftung Sibiu für
das Jahr 1995 vermitteln nicht das Bild eines vollauf funktionierenden Programms. Ein Teil ist
ausgefallen, ein anderer Teil kann nicht durchgeführt werden, da keine Honorarkräfte zur
Verfügung stehen (nach Unterlagen der GOPA unter der Bezeichnung LJG/Rum-Info/Sibkur95).
Potentielle Rückkehrer können nicht, wie ursprünglich vorgesehen, von den
Wohlfahrtsorganisationen in der BRD beraten werden, da sie sich zwischen Ankunft und
Abschiebung bzw. Rückkehr kaum frei bewegen können. In Rumänien gibt es bisher kaum
Umschulungen etc. in regionaler oder gar landesweiter Planung, so daß die Lehrgangsangebote
ihre Teilnehmer nicht über den lokalen Rahmen hinaus rekrutieren können.
36 siehe Protokoll zur Förderung beruflicher Existenzgründungen in Rumänien, vom
Bundesinnenminister Seiters und dem stellvertretenden Ministerpräsident Rumäniens Popescu am
20.4.93 unterzeichnet. Auch dort heißt es: "Ziel des Programms ist die Reduzierung des
Wanderungsdrucks". Bisher seien 26 kleinere und mittlere Betriebe mit existenzgründenden
Darlehen gefördert worden.
37 Die Mitgliedschaft in den jeweiligen Stiftungen haben inne: Auf rumänischer Seite die Ministerien
für Arbeit u. Sozialfürsorge, des Inneren, des Äußeren, die Präfektur des Landkreises, örtliche
Industrie- und Handelskammer und andere lokale Behörden; auf deutscher Seite sind es der
Bundesminister des Innern und die GOPA.
38 Die Gesellschaft für Organisation, Planung und Ausbildung (GOPA), eine Unternehmensgruppe mit
Sitz in Bad Homburg, erwirtschaftet mit Consulting und Engeneeringprojekten einen jährlichen
22
Sitzungen wird in der Regel auch ein Vertreter des rumänischen Komitees für
Migration eingeladen.
Während die Abgeschobenen aus allen Landesteilen Rumäniens kommen,
konzentrieren sich die Reintegrationsprojekte im Banat und in Siebenbürgen. Das
Herkunftsgebiet
Schwerpunkt
der
des
Rumäniendeutschen
wirtschaftspolitischen
ist
und
zugleich
der
kulturellen
geographische
Einflusses
der
Bundesrepublik in Rumänien. Fast alle Investitionsvorhaben der deutschen
Wirtschaft haben sich in dieser Region angesiedelt, auch die Projekte des Landes
Nordrhein-Westfalen befinden sich hier. Langfristig soll sich das Potential dieser
Region zum Tor deutschen Einflusses auf dem Balkan entwickeln. Mitarbeiter der
GOPA betonten, daß das Reintegrationsprojekt das derzeit wichtigste deutschrumänische Unternehmen sei, "auch wenn die ursprüngliche Zielgruppe [die der
Rückkehrer] verloren gegangen ist."
Die Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen hat in den letzten Jahren in
Rumänien ein Förderprogramm mit ähnlicher Zielsetzung aufgelegt. So sind in den
Kreisen Arad, Timiº und Caras-Severin vor allem berufsbildende Projekte aufgebaut
worden. Der finanzielle Umfang des Landes NRW für die Rumänienhilfe in der
Region beläuft sich in den Jahren 1990 bis 1995 auf insgesamt 23 Millionen Mark,
unter Einbeziehung von Geld- und Sachspenden sind es sogar 50,5 Millionen
Mark. 39 Zwar sind die Ziele dieses Landesprogramms mit denen des Bonner
Innenministeriums weitgehend identisch - präventive Fluchtbekämpfung und
wirtschaftspolitische Verankerung in dieser Schlüsselregion - , allerdings legt die
Düsseldorfer Staatskanzlei entschieden Wert auf informelle und vereinspolitische
Verbindungen nach Banat und Siebenbürgen. Mit Hilfe der Caritas Düsseldorf, des
"Arbeitskreis Banat Ja" und anderer Organisationen hat das Bundesland 1995 einen
Versuch gestartet, die unterschiedlichsten NGO-Rumänienhilfen zu koordinieren. So
betreibt Nordrhein-Westfalen wie bereits in Ex-Jugoslawien auch in Rumänien eine
selbständige Flüchtlings- und Außenpolitik.
Umsatz (1990) von ca. 225 Mio DM, sie hat sich zunehmend auf Privatisierungsberatung und
Implementierung von IWF-Programmen in Osteuropa spezialisiert. Ihr obliegt im Auftrag des BMI
bis 1996 die Geschäftsführung der Reintegrationsprojekte in Rumänien. - Ein Projektleiter der
GOPA berichtete der FFM, daß ihr bereits von rumänischer Seite Wirtschaftsspionage vorgeworfen
wurde. Denn die Ausbildungszentren sind nur drei von vielen Projekten der deutschen ConsultingFirma in Rumänien. Tatsächlich ist sie maßgeblich an der marktwirtschaftlichen Umgestaltung der
rumänischen Wirtschaft beteiligt und berät Politiker, Ministerien und Manager. Die Mehrzahl ihrer
Projekte in Rumänien wird von der Weltbank und PHARE, einem Fonds der EU, finanziert.
23
Die rumänischen Grenzen
Eine der wichtigen Gründe, die zum Sturz Ceauºescus beigetragen haben, war
das Verlangen nach Öffnung der Grenzen in Richtung Westeuropa. Rumänien
gehörte bis 1989 zu den wenigen Ländern auf der Welt, in denen den
LandesbewohnerInnen Auslandsreisen fast vollständig verwehrt wurden. Sogar
Reisen in die benachbarten Länder des Ostblocks waren faktisch unmöglich.
Diese Selbstabschottung stand in merkwürdigem Kontrast zur Außenpolitik des
Regimes. Heute ist es schon fast in Vergessenheit geraten, daß die CeauºescuRegierung seit den RGW-Konferenzen 1960-62 einen offene Wirtschaftskurs
gegenüber dem Westen und den Ländern des Nahen Ostens durchgesetzt hat gegen den Widerstand der UdSSR und der DDR. Der Politik des diversifizierten und
geförderten Außenhandels folgte aber keine Öffnung der Grenzen für den
Personenverkehr, im Gegenteil. Als Ende der 80er Jahre das Handelsvolumen mit
den RGW-Staaten nur noch 50 Prozent ausmachte, hatte die Isolation der
LandesbewohnerInnen ihren Höhepunkt erreicht. Bei dem Versuch, die Grenzen zu
überqueren, kamen unzählige Menschen zu Tode. Viele wurden mißhandelt. Illegaler
Grenzübertritt wurde drakonisch bestraft. Im Gefängnis Popa Sapca in Timiºoara
saßen viele Gefangene, die in Schnell- und Sammelverfahren wegen Fluchtversuch
abgeurteilt waren. Die staatliche Isolation der Bevölkerung erstreckte sich auf alle
Arten
der
Kommunikation.
So
dünnte
das
rumänische
Fernsehen
sein
Informationsprogramm aus. Post und Büchersendungen ins Ausland wurden
eingeschränkt.
Doch die Abschottung war nicht perfekt. Seit den 60er Jahren holte die
rumänische Regierung StudentInnen aus Somalia und anderen befreundeten
Ländern ins Land. Gleichzeitig wurden Vertragsarbeiter nach Lybien und in andere
Länder gesandt. Außerdem konnten Aussiedler aus Siebenbürgen und dem Banat
seit 1977 aufgrund eines bilateralen Abkommens mit der Bundesrepublik
Deutschland das Land verlassen. Seit den 50er Jahren wanderten darüber hinaus
39 Bilanz der Staatskanzlei NRW: 5 Jahre NRW-Aufbauprogramm für Rumänien. Referat II A 3, S. 2.
24
die meisten rumänische Juden und Jüdinnen auf der Grundlage ähnlicher
Vereinbarungen nach Israel aus.
Für die übrige Bevölkerung Rumäniens aber war die Grenze so gut wie
undurchlässig. In vielen Gesprächen, die wir auf unserer Reise führten, nahm die
Erinnerung daran einen herausragenden Platz ein. So waren Freunde unserer
Gesprächspartner, die vor 1989 flüchten wollten, inhaftiert worden. Ein großes
Problem war die Wehrpflicht: Besonders Roma wurden, weil sie auch in den
Jahrzehnten unter Ceauºescu
bestanden,
zur
auf
Grenzüberwachung
ihren
grenzüberschreitenden
eingezogen.
Denn
viele
Traditionen
Roma-Familien
überwanden trotz der scharfen Kontrollen einmal im Jahr die Grenzen und zogen bis
nach Polen oder in die Türkei. So war es auch Roma-Familien zu verdanken, daß
1989 ausländische JournalistInnen über die Ereignisse in Rumänien berichten
konnten. Denn nur mit der Hilfe der Roma gelang ihnen die unbehelligte Ein- und
Ausreise über die scharf bewachten rumänischen Grenzen.
Als 1989 die Grenzen fielen, machten sich buchstäblich über Nacht Zehntausende
aus allen gesellschaftlichen Gruppen auf den Weg ins Ausland. 1990 bildeten die
Aussiedler noch die größte Gruppe unter den MigrantInnen. Roma, die oft aus
denselben Landkreisen stammten, folgten ihnen nach Deutschland. Andere nahmen
den Umweg über die traditionellen Routen in Polen. FacharbeiterInnen gingen mit
ihren Familien nach Italien, Österreich und in die Bundesrepublik. Andere machten
sich zum Einkauf und Handel ins näher gelegene Istanbul oder nach Athen auf.
Israel40 und Argentinien warben ganze Kontingente von rumänischen ArbeiterInnen
an. Auch Jugendliche und StudentInnen gingen auf Reisen und fuhren per Anhalter
nach Berlin. Schließlich waren in den Jahren zuvor viele DDR-Feriengäste aus der
Gegenrichtung gekommen.
1990 erreichte die legale Emigration ihren Höhepunkt. Nach Angaben der
Rumänischen Nationalen Kommission für Statistik lag die Zahl der Auswanderungen
in dem Jahr bei 144.543 Personen. Im gleichen Jahr wurde das Recht auf einen
Reisepaß gesetzlich verankert. In den beiden folgenden Jahren wurden mehr als
sechs Millionen Pässe ausgestellt. Die Auswanderungswelle aus Rumänien hatte
handfeste Gründe. Die plötzliche Öffnung der Wirtschaft für den Weltmarkt um die
Jahreswende 1989/90 hatte zur Folge, daß das Kleingewerbe praktisch über Nacht
40 17.000 Personen sind nach IOM-Angaben in den letzten Jahren nach Israel ausgewandert. Die
IOM begleitet diese geregelte Emigration in Zusammenarbeit mit der israelischen Gewerkschaft.
25
zerstört wurde. Die Roma wurden davon am härtesten getroffen. Auch bei den
Massenentlassungen in der Industrie standen sie neben den Frauen an erster Stelle.
Der Lebensstandard sank für alle Lohnabhängigen auf ein katastrophal niedriges
Niveau. Eine Roma-Großfamilie, von der die meisten Angehörigen zeitweilig in der
Bundesrepublik waren, schilderte die Situation in einem Dorf bei Braºov:
[Eine Frau:] Mein Mann bekommt eine Rente in Höhe von 70.000 Lei [umgerechnet:
50 DM], davon leben wir mit 15 Personen. Ich habe Schwiegertöchter, Söhne, aber
sie haben keine Arbeitsstelle. Jetzt haben sie keine Möglichkeit mehr, eine zu finden.
Denn die Leute werden aus den Fabriken entlassen, so daß sie rumhängen. Wir
leben so, wie wir können. Nirgendwo sonst haben wir irgend etwas, wir haben keine
anderen Häuser, alle leben hier unter diesem Dach, das ist unser Haus [der Raum, in
dem wir das Interview führen, ist zugleich Schlafraum für alle 15 Personen].
- Vor seiner Rente, wo hat er gearbeitet?
- Da oben in dem Kombinat Hoghizi [Zementfabrik].
- In welcher Funktion?
- Als ungelernter Arbeiter.
- Jetzt bei der Rente, womit beschäftigen Sie sich zuhause?
- Mit nichts, es gibt einfach nichts. Wenn wir die Rente nicht hätten, wären wir längst
vor Hunger gestorben. Weil wir viele sind, brauchen wir drei Brote bei einer Mahlzeit,
und das reicht nicht einmal.
[Frage an einen Mann:] Können Sie mir im einzelnen erzählen, womit Sie sich zur
Zeit beschäftigen?
- Ich bin zuhause und sorge für die Tiere.
- Haben Sie einen Beruf? Stellen Sie besondere Sachen her?
- Kehrbleche, Blechfässer, aber jetzt geht es nicht mehr. Eigentlich bin ich
Blecharbeiter.
- Wieviele Romafamilien sind hier im Dorf?
- Dreißig.
- Und gibt es hier einen Bulibascha [traditionellen Chef der Roma]?
- Hier im Dorf? Nein. Es gibt einen Bulibascha, aber der ist in Braºov, das ist der
´große Bulibascha´. Aber er ist allein, er ist nur eine Person. Er ist eigentlich gelehrt.
Aber er ist auch nicht so ganz richtig im Kopf. Er ist nicht fähig, Ordnung zu schaffen.
Er hat sein Geld, seinen Lohn, aber es interessiert ihn nicht, daß wir vor Hunger
26
sterben. Wenn wir ihm das erzählen, interessiert ihn das nicht. Wir wollen auch ein
Stück Land hier, aber sie wollen uns nichts geben. Es gibt Land, aber das Land bleibt
unbebaut.
- Der Bürgermeister will uns kein Land geben. Er sagt, die Zigeuner bräuchten kein
Land. Sie sollten nach Deutschland, nach Polen fahren, und wenn er könnte, würde
er uns umbringen. Wenn er ein Gewehr hätte, würde er uns erschießen.
Die Interviews, die wir in Dörfern und Städten bei Braºov und Craiova sowie in
Bukarest führten, belegen, daß die Probleme der Armut und Flucht eng an die
politischen Verhältnisse geknüpft sind. Der schnelle gewaltsame Umsturz im
Dezember 1989 hatte die politische Klasse Rumäniens weit weniger erschüttert als
der langsame Übergang in anderen osteuropäischen Ländern. Die Nomenklatura
blieb an der Macht. Sie wechselte nur die politische Repräsentationsform, änderte
den Wirtschaftskurs und verschärfte den Nationalismus. Im März 1990 kam es in
Tîrgu Mureº zu ersten Zusammenstößen zwischen nationalistischen Rumänen und
Angehörigen der ungarischen Minderheit. Dabei wurden acht Ungarn auf offener
Straße erschlagen. Die einzigen, die im Anschluß daran verhaftet wurden, waren
Roma. Die im ganzen Land einsetzenden Pogrome gegen Roma wurden von einer
nationalistischen staatlichen Propaganda begleitet. Im Juni 1990 eroberten von der
Regierung aufgehetzte Bergleute die Straßen Bukarests und machten Jagd auf
Roma und Intellektuelle. Mit Beginn der 90er Jahre ist in Rumänien ein
"psychologisches Sarajewo " entstanden, lautet ein gängiges Schlagwort von Roma
und Angehörigen der ungarischen Minderheit. So standen die großen Ausreisewellen
von Anfang an unter dem Vorzeichen der Angst, der Verfolgung und der
wirtschaftlichen Katastrophe. Unsere Gesprächspartnerinnen, darunter Roma und
andere RumänInnen, waren zwischen 1990 und 1992 alle in die Bundesrepublik oder
nach Italien aufgebrochen. Von legaler Emigration, wie der offizielle Sprachgebrauch
sagt, konnte aber keine Rede sein. Es war ein fluchtartiger Aufbruch.
Die Männer der befragten Nicht-Roma-Familien waren früher Facharbeiter
gewesen, aber niemand von ihnen hatte in den großen Staatsbetrieben gearbeitet,
die zunächst noch gewisse Beschäftigungsgarantien über '89 hinaus boten. So war
der Verlust des Arbeitsplatzes des Mannes nicht nur für die Roma der unmittelbare
Auslöser für den Versuch, nach Deutschland zu gelangen.
27
In der Region Braºov und Craiova sahen sich die befragten Romafamilien 1990 mit
einer großen Armut konfrontiert. Die Männer bei Braºov waren - wie bereits zitiert als
erste
aus
einer
nahegelegenen
Zementfabrik
entlassen
worden.
Die
Wohnverhältnisse der aufgesuchten Familien waren unvorstellbar beengt und
armselig. Bei Craiova hatten die Familien ihre Lebensgrundlage, die handwerkliche
Produktion von Ziegelsteinen, bereits so gut wie verloren: Sie wurden immer wieder
mit Gewalt bei der Ziegelanfertigung behindert, und der Ziegelpreis war ins
Bodenlose gefallen. Die ungelöste Landfrage war in beiden Siedlungen ein äußerst
brisantes Problem. Die Roma waren - wie überall im Land - von der Privatisierung
des Landes ausgeschlossen worden. Beide Siedlungen waren seit 1990 wiederholt
Überfällen durch Polizei und Nachbarn ausgeliefert. Den Anlaß boten die
umstrittenen neuen Landbesitzverhältnisse. Die Roma-Familien - so der Vorwand hätten die Erde für den Ziegelbau aus den Lehmgruben genommen, obwohl das
Land Gemeinbesitz sei. Außerdem warf man ihnen vor, Restaurants besucht zu
haben, obwohl sie dort ein generelles Hausverbot gehabt hätten. So waren der
Flucht Morddrohungen und andere Einschüchterungsversuche vorausgegangen. Die
Roma berichteten darüber hinaus auch von alltäglicher Diskriminierung.
1989/90 sei es für sie kein Problem gewesen, über die Grenze zu kommen. Die
Roma gingen den traditionellen Weg über die Ukraine und Polen und machten auf
der Reise Station bei Verwandten und Bekannten. Die anderen nahmen den direkten
Weg - so auch der rumänische Jugendliche, den wir interviewen konnten: Seine
Ausbildung zum Automechaniker hatte er beendet, aber in der Autostadt Rumäniens,
in Craiova, gab es keine Anstellung. Er mußte befürchten, zum Militär eingezogen zu
werden, und machte sich per Anhalter auf den Weg.
Doch schon bald führten verschiedene politische Veränderungen in Europa zu
einer grundlegend anderen Situation an den rumänischen Grenzen. Zunächst die
Folgen
der
Abschottungspolitik
der
Europäischen
Union:
Die
politischen
Auswirkungen des neuen Abschiebesystems waren an den Grenzen unmittelbar zu
spüren, denn die Nachbarländer wurden in der Folge von der Bundesrepublik in die
Pflicht genommen, auf daß sie ähnliche Verträge mit Rumänien abschließen und ihre
Grenzüberwachung ausbauen. Auch führt die Neuaufteilung Europas in Arm und
Reich zu einer verschärften Betonung der Grenzen. Da sich das Sozialgefälle
zwischen Ungarn und Rumänien verfestigte, wurde die Grenze zwischen beiden
Ländern zur Armutsgrenze. Ein weiteres Moment ist in Westeuropa wenig bekannt:
28
Die Auswirkungen der kriegerischen Entwicklungen im ehemaligen Jugoslawien und
in Moldawien/Transnistrien sowie des zweiten Golfkrieges. Die internationalen
Handelsembargos 41 ließen einen Teil des grenzüberschreitenden Verkehrs und
Handels an den rumänischen Grenzen in die illegalisierte Schattenwirtschaft
absinken. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß auch in Rumänien der Streit um
Grenzen und Grenzgebiete nach 1989 geschürt wurde. Das manifestiert sich an den
Grenzen des Landes bisher vor allem in der militärischen Kontrolle des Hinterlandes
und
einer
verschärften
Überwachung
der
jeweiligen
Grenzgebiete.
Eine
Einschränkung des Personenverkehrs haben die Grenzkonflikte bisher noch nicht zur
Folge.
Seit 1992 steht der illegale Grenzübertritt für rumänische StaatsbürgerInnen in
Rumänien wieder unter Strafe. Mit dem Gesetz Nr. 56 vom 4.6.92 "Über die
Staatsgrenze Rumäniens" wurde der unerlaubte Grenzübertritt, seit Dezember 1989
zunächst als Ordnungswidrigkeit geahndet, erneut zu einem Straftatbestand. Gemäß
Artikel 67 dieses Gesetzes wird Fluchthilfe mit Gefängnis von drei Monaten bis zu
drei Jahren bestraft, und "wenn die Tat in einer Gruppe ausgeübt wird, welche
materielle oder andere Vorteile verfolgt", mit Haft von einem bis zu fünf Jahren.
Es gibt noch mehr Hinweise, daß die rumänische Regierung Vorgaben der
Europäischen Union übernommen hat. So führte das Land im Sommer 1991 die
Visapflicht für Personen aus dem südasiatischen Subkontinent ein. Sie müssen
seitdem bei der Einreise ein Rückflugticket und den Besitz von Devisen nachweisen.
Für BewohnerInnen aus der Türkei blieb der visafreie Verkehr jedoch bestehen. 1991
verpflichtete sich die rumänische Regierung zudem, Personen, die bei einem
illegalen Grenzübertritt nach Jugoslawien und Ungarn gefaßt werden, wieder
aufzunehmen.
Die Veränderungen der Grenzregime führten seit der Jahreswende 1991/92 zu
einer statistisch nicht erfaßten Zunahme illegaler Grenzübertritte. Die Zahl der
legalen Auswanderungen sei nach dem Höhepunkt von 1990 in den Folgejahren
wieder auf das Niveau von vor 1989 gerutscht, auf 20.000 bis 43.000 Personen pro
Jahr, berichtete die Rumänische Nationale Kommission für Statistik 1993. Diese
Zahlen stimmen jedoch in keiner Weise mit den in Westeuropa registrierten
41 Verhängung des Handelsembargos gegen den Irak seit dem 6.8.90. Verhängung des
Handelsembargos gegen Restjugoslawien, Blockierung der Donau-Schiffahrt seit Mai 1992
29
rumänischen
Flüchtlingen
und MigrantInnen
überein,
so
daß
sich
daran
Anhaltspunkte für das Anwachsen der irregulären Auswanderung ablesen lassen.
"Niemand läßt uns rein nach Europa. Weiter als nach Ungarn oder Jugoslawien
kommen wir nicht. Unser Paß ist nichts wert. Also kann ich nur träumen. Wenn ich
Europa sage, dann spreche ich von meinen Träumen, von einem Auto, von Disco,
von Freiheit, die mir fehlt. Wir sind jetzt isolierter als unter Ceauºescu, und ärmer sind
wir auch. Nein, wir sind gar nicht Europa, und ich fürchte, wir werden es nie werden",
schreibt ein fünfzehnjähriger Rumäne bereits im Sommer 1991 über die Abschottung
der Grenzen. 42
Auf der rumänischen Seite der Grenze sind zwei Apparate für die Kontrollen
zuständig: Die Grenz- und Paßpolizei kontrolliert Straßen, Bahn und Häfen und fertigt
die Reisenden ab. Die grüne Grenze zwischen den Übergangsstellen wird von der
Nationalen Grenzwächter-Behörde kontrolliert, unter Einsatz von Wehrpflichtigen.
Meistens streifen Viererpatrouillen
an
der
grünen
Grenze
entlang.
Beide
Grenzbehörden unterstehen dem Innenministerium. Die Nationale GrenzwächterBehörde ist in sechs Brigaden auf alle Grenzabschnitte gleichmäßig verteilt. Die
Grenzpolizei hat ebenfalls sechs regionale Verwaltungszonen, drei an der Grenze zu
Ungarn (Arad, Oradea und Timiºoara), eine in Bukarest, eine an der Grenze zu
Moldawien (Iaºi) und eine am Hafen Constanþa. Die Grenzen zur Ukraine und zu
Bulgarien werden lediglich unter ferner liefen mitverwaltet.
Festnahmen werden an der Grenze auf der Grundlage der Artikel 288, 291 und
293 des rumänischen Strafgesetzbuchs vorgenommen, wenn die Reisepapiere nicht
in
Ordnung
sind.
Bei
illegalen
Überschreitungsversuchen
außerhalb
den
Kontrollpunkte erfolgt eine Verhaftung nach dem oben zitierten Gesetz 56/1992 über
die rumänischen Staatsgrenzen.
Die vorläufigen Richtlinien zur Asylpraxis, die im Oktober 1992 in Ermangelung
einer gesetzlichen Grundlage erlassen wurden, sehen vor, daß Flüchtlinge bei
Erreichen der rumänischen Grenze einen Asylantrag stellen können und dann ins
Land gelassen werden. Personen, die über keine ausreichenden Reisepapiere
verfügen und einen Antrag auf Asyl stellen wollen, müssen diesen direkt an der
Grenze stellen und können dann einreisen. Doch diese Rechte stehen nur auf dem
42 Adrian Mihai, taz 4.7.91
30
Papier. Bei den Grenzorganen sind sie weder bekannt noch werden sie respektiert,
berichtet die Menschenrechtsorganisation APADOR-CH in ihrem Report von 1994.
Bei unserem Besuch im Abschiebegefängnis Otopeni berichtete ein junger Iraker von
seiner Fahrt in einem verschlossenen Container über die Grenzen. Weil er nicht
angeben könne, über welches Land er eingereist sei, sei eine unverzügliche
Abschiebung in ein Nachbarland nicht möglich. Er hofft auf die Prüfung seines
Asylantrags. Den hatte aber keine offizielle Stelle annehmen wollen, auch nicht das
Bukarester UNHCR-Büro. Außerdem können Flüchtlinge, die einen Asylantrag in
Rumänien
stellen,
nicht
mehr
in
andere
Länder
weiterreisen.
Weil
der
Flüchtlingsstatus in Rumänien mit einer dramatischen sozialen Unsicherheit und
einer Erfassung der Personendaten verbunden ist, ist er - so lange es noch
Fluchtalternativen gibt - für niemanden erstrebenswert. Kein Wunder, daß niemand
freiwillig an der Grenze einen Asylantrag stellt.
Wer an der Grenze oder im Hinterland verhaftet wird, muß zudem mit dem
Schlimmsten rechnen. Denn Rumänien ist bis heute ein Polizeistaat, Schläge und
Folter sind in der Polizeihaft an der Tagesordnung. Das gilt auch für Festnahmen
wegen
illegalen
Grenzübertritts
durch
die
Paßpolizei.
Vertreter
der
Menschenrechtsorganisation APADOR-CH haben im letzten Jahr bei Besuchen von
Polizeihafträumen MigrantInnen angetroffen, die dort - so die Angaben von Ion Iacoº
- manchmal ein, zwei Monate unter völlig beengten und hygienisch miserablen
Verhältnissen eingesperrt sind. Mindestens 10.000 Personen befinden sich nach
seinen Schätzungen an den Grenzen in Polizeihaft, um von dort abgeschoben zu
werden. Gefangene müssen zwar innerhalb von 24 Stunden einem Richter
vorgeführt werden, in der Regel weisen diese die Haftanträge jedoch nicht zurück.
Sozialgefälle - die Grenze nach Ungarn
Warten in brütender Hitze. Links und rechts des Übergangs vom ungarischen Ort
Nagylak zum rumänischen Nãdlac entsteht eine Mondlandschaft. Bulldozer und
Lastwagen bewegen Landmassen. Die Grenzabfertigung dauert fünf Stunden. Hier
31
wird mit Mitteln des Phare-Programms der Europäischen Union ein neuer
Grenzübergang gebaut. ”For You”, erklärt eine riesige Tafel. Denn zwischen Ungarn
und Rumänien verläuft die neue vorgelagerte Grenze der Festung Europa. Die
sogenannten Višegrad-Staaten - zu ihnen gehört auch Ungarn -
haben die
Flüchtlings- und Abschiebepraxis der EU weitgehend übernommen. In den ersten
Jahren nach dem Fall der Mauer war auch diese Grenze für Menschen aus aller Welt
vorübergehend offen. Doch inzwischen ist hier für viele Flüchtlinge und MigrantInnen
die
Reise
zu
Ende.
Täglich
werden
hier
Gefangene
aus
ungarischen
Abschiebegefängnissen an die rumänische Grenzpolizei übergeben.
Wer auf rumänischer Seite nahe dem Grenzübergang Nãdlac in der Stadt Arad
haltmacht, befindet sich bereits im sichtbaren Universum der Transitmigration. An der
Hauptstraße der Stadt, dem Bulevardul
Revoluþiei, haben sich zahlreiche
Reisebüros etabliert. Sie bieten billige Busreisen nach Berlin, Frankfurt und in andere
westeuropäische Großstädte an. An vielen Ecken dieses Boulevards stehen RomaGruppen. Gleich hinter dem Bulevardul, in dem ehemals bürgerlichen Stadtteil im
österreichisch-ungarischen Stil, vermitteln die verfallenen Straßen und Häuser einen
Eindruck von den armseligen Verhältnissen. Viele Bewohner vermieten zeitweilig
Zimmer in den abbruchreifen Häusern an Durchreisende. Wie in Bukarest hat sich
auch in den grenznahen Großstädten in den letzten Jahren ein paralleler
Wohnungsmarkt etabliert. Aber die Reisenden, die hier für ein paar Tage oder
Wochen Station machen, zeigen sich - im Unterschied zu Bukarest - nicht im
Stadtbild. Denn auf der grenznahen Region lastet ein polizeilicher Druck. Nach
Polizeiangaben wurden 1994 in Arad 300 MigrantInnen ohne ausreichende
Reisedokumente aufgegriffen.43
Einer Delegation von APADOR-CH wurde an der Grenze bei Arad mitgeteilt, 44
daß die rumänische Grenzpolizei pro Monat (genannt wurde der Januar 1994) rund
hundert Leute festnimmt, die sich in LKW-Containern versteckt gehalten haben. Die
meisten kämen über Zwischenstationen aus der Türkei, viele auch aus dem Irak.
Einige
würden
kriminaltechnische
nach
der
Festnahme
Untersuchungen
auf
sofort
freigelassen,
Polizeiwachen
andere
festgehalten.
für
Bei
langwierigen Ermittlungen werden die Festgenommenen ins Gefängnis von Arad
eingeliefert. Als die Menschenrechtsdelegation im Januar 1994 das Gefängnis
43 APADOR-CH, The Activities of the Romanian Helsinki Committee, 1994 Report, S. 67
44 ebenda, S. 70 ff.
32
besuchte, traf sie dort 22 Ausländer an, die wegen Grenzdelikten inhaftiert waren,
siebzehn U-Häftlinge und fünf Verurteilte. Nach Angaben des Gefängnisleiters saßen
1993 dort 173 TransitmigrantInnen wegen Grenzvergehen ein. Die meisten seien vor
einer Anhörung aber wieder freigelassen worden, schließlich ist das Gefängnis
überbelegt. 1.400 Gefangene müssen sich 600 Betten teilen. Die durchschnittlich
Haftdauer von Ausländern beträgt drei bis sechs Monate. Auch in den Gefängnissen
von Timiºoara und Oradea sollen TransitmigrantInnen inhaftiert sein.
Vertreter von APADOR-CH konnten in Arad mit einigen Gefangenen Interviews
machen. Darin berichtet C.D., daß er am 13. Januar 1993 um acht Uhr am
Kontrollpunkt Vãrºand in Ungarn festgenommen wurde. "Er sei in einem LKW
versteckt von Schleusern bis an die Grenze gebracht worden. Seinen türkischen Paß
habe er dabei gehabt. Nachdem die ungarischen Behörden ihn ohne Visum
aufgegriffen hätten, sei er nach Rumänien zurückgebracht und zunächst in einem
Polizeirevier in Arad festgehalten worden. Wie 15 oder 16 andere Verdächtige sei er
einen Monat lang in einer kleinen Zelle eingesperrt worden, mit wenig Luft zum
Atmen. Er konnte sich nicht selbst verpflegen, ihm wurde nur Schweinefleisch
angeboten. Ihm wurde kein Haftbefehl innerhalb von 24 Stunden ausgestellt. Er gab
an, auf der Polizeistation in Arad für einen Verteidiger, den er nie wiedergesehen
habe, 600 DM bezahlt zu haben, als Kaution. Nachdem er bezahlt habe, habe die
Polizei ihm eine Empfangsbestätigung gezeigt, sie aber wieder mitgenommen und
versprochen, sie ihm zurückzugeben. Die Empfangsbestätigung habe er nie
wiedergesehen. 29 Tage lang sei ihm nicht gesagt worden, was passieren würde.
Dann sei er in das Büro eines Staatsanwalts und anschließend ins Gefängnis
gebracht worden. Niemand habe für ihn übersetzt. Er sei mit fünf Jahren Haft bestraft
worden, obwohl er nie vor Gericht gebracht worden sei. Die Anklage kenne er nicht.
Am 16. oder 17. Januar habe er Widerspruch eingelegt, aber bis heute keine Antwort
erhalten. Er fügte hinzu, daß er Post weder erhalten noch absenden kann, nicht
einmal von oder zu seiner Familie.
S.R.G., ein afghanischer Häftling in Arad, gab an, daß er wegen des Krieges und
der russischen Intervention in Afghanistan aufgebrochen sei. Sein Bruder und seine
Schwester seien ermordet worden. Er wurde mit einem Freund am Morgen des 28.
Juli zwischen acht und zehn Uhr bei Vãrºand auf ungarischer Seite festgenommen.
[...] Er sagte, daß er einiges Geld für die Fälschung eines französischen Passes
bezahlt habe, den er bei der Verhaftung bei sich getragen habe. Ungarische
33
Behörden hätten ihn der rumänischen Grenzpolizei übergeben. Danach sei er direkt
in die Zelle auf der Polizeiwache in Arad gebracht worden. Er habe 200 DM für einen
Anwalt bezahlt, ebenfalls als Kaution, am 29. Juli. Aber er habe keine
Empfangsbestätigung erhalten, und der Anwalt sei zu seinem Prozeßtermin nicht
erschienen. Er sei 36 Tage in Polizeihaft geblieben. Dort habe es kein Fenster
gegeben, die Zelle sei für acht Personen ausgelegt, aber sechzehn seien dort
festgehalten worden; Verletzungen seien ihm nicht zugefügt worden. Die Polizei
habe aber nicht vernünftig mit ihm gesprochen. Er habe einen Übersetzer
bekommen. Dann sei er zum Staatsanwalt gebracht worden und anschließend ins
Gefängnis. Er habe Widerspruch eingelegt, aber erinnere sich nicht an das Datum.
Am 17. März habe er einen Brief mit der Nachricht erhalten, daß er verurteilt worden
sei.
Das Gericht in Arad, erfuhren Vertreter von APADOR-CH, habe von Anfang 1994
bis zum 26. Juli 1994 248 Personen wegen Grenzdelikten belastet oder verurteilt. [...]
Schätzungen besagen, daß 90% der verurteilten Ausländer ihre Strafe nicht absitzen
mußten. [...] Der Oberstaatsanwalt von Arad sagte, daß die Behörden stets die
maximale Kaution in Höhe von 100.000 Lei [ca. 80 DM] einzögen, das Minimum liege
bei 10.000 Lei." 45
Da die Migrationsüberwachung in Ungarn mit der Übernahme großer Teile des
westeuropäischen Grenzregimes weitaus fortgeschrittener ist als in Rumänien,
können aus aktuellen Studien und Statistiken des Nachbarlandes Rückschlüsse auf
das Ausmaß der Migration gezogen werden. Jährlich fahren sechs bis sieben
Millionen RumänInnen zu einem Kurzaufenthalt nach Ungarn. Nach Angaben der
Budapester Martin-Luther-King-Organisation ließen sich in der Zeit von 1988 bis
1994 53.000 RumänInnen als Flüchtlinge in Ungarn registrieren, von ihnen erhielten
rund 3.000 den Flüchtlingsstatus nach der Genfer Konvention, und ungefähr 20.000
erhielten als ungarische Aussiedler die Staatsbürgerschaft. 46. - Seit dem Sommer
1990 ist die Grenzüberwachung nach Rumänien dichter geworden, 47 Viele
MigrantInnen werden in Grenznähe festgenommen. "Auf dem 286 km langen
Grenzabschnitt zu Serbien und Rumänien gehen die (ungarischen) grünen Barette
45 ebenda, S. 71 f.
46 MLKO, Report: Refugees in Hungary, Budapest o.J., S. 6 f.
47 Taz 3.9.90
34
mit scharfen Hunden und sowjetischer Waffentechnik auf Kopfjagd. Als Prämie gibt
es Sonderurlaub. Die Motivation der nahkampferprobten Truppe ist hoch: man rettet
Westeuropa vor noch mehr Einwanderermassen", schreibt die Berliner Zeitung.48
Seit 1995 plant die ungarische Regierung, Visapflicht für Personen aus der GUS, aus
Rumänien und den anderen Balkanstaaten einzuführen. Wenn man die Schätzungen
der IOM hinzuzieht, ergibt sich folgendes Bild: In den fünf Jahren 1990 bis 1994
haben über 200.000 Personen - die meisten über Rumänien - versucht, die
ungarischen Grenzen Richtung Westeuropa illegal zu überqueren. Etwa die Hälfte
von ihnen wurde bei dem Versuch festgenommen. Mehr als die Hälfte der
Festgenommen
sind
RumänInnen,
an
zweiter
und
dritter
Stelle
folgen
TürkInnen/KurdInnen und Pakistanis. 49
Diese Zahlen vermitteln allerdings nur ein vages Bild der Migration, über die
Situation der Illegalen sagen sie nichts. Weil die Folgen der westeuropäischen
Abschottungspolitik bereits in Rumänien ihre Spuren hinterlassen, beginnt für
MigrantInnen der Zwang, illegal zu handeln, schon in Bukarest oder einer anderen
rumänischen Großstadt. Schließlich wurde das Land als verfolgungsfreies Drittland
beziehungsweise als sicheres Herkunftsland deklariert, so daß der Transitaufenthalt
in Rumänien zweckmäßigerweise zu kaschieren ist. Außerdem haben die
vorverlegten Kontrollen des BGS, des FBI und anderer EU-Polizeien längst auf
beiden Seiten der ungarisch-rumänischen Grenze begonnen. So werden PaßLasergeräte gestellt, und nach einem Bericht der ARD 50 schulen und beraten
Polizisten der EU die ungarischen Grenzschützer. In dieser Situation sehen sich viele
MigrantInnen gezwungen, Visa zu fälschen und ein lebensgefährliches Wagnis
einzugehen: die Fahrt im versiegelten LKW-Container im direkten Transport bis nach
Deutschland.
Die Grenze zu Ungarn ist zur Armutsgrenze geworden: Der Lebensstandard in
Rumänien, der aufgrund der Austeritätspolitik Ceauºescus ohnehin europäischen
Tiefstand erreicht hatte, sackte nach 1989 noch weiter ab. Die Deindustrialisierung
und wirtschaftliche Peripherisierung des Landes begann; die Löhne pendelten sich
auf ein Fünftel bis ein Siebtel des ungarischen Niveaus ein. Die Auswirkungen dieses
durch die Grenze festgezogenen Lohngefälles auf die ärmere Gesellschaft, auf die
48 18.2.93
49 IOM, Transit Programme in Hungary, 12/94, S. 2 und 17
50 Weltspiegel vom 9.7.95
35
Veränderung der Einkommensbeschaffung, sind bisher wenig untersucht. Auf das
Geschlechterverhältnis wirkt sie sich sehr eindeutig aus. Frauen in der Migration
bleibt, wie die Fahrt an der Fernstraße Dresden-Prag-Budapest zeigt, als
Einkommensquelle oft nur die Prostitution. Schmuggelgeschäfte mit entsprechender
Gangbildung sind dagegen offenbar eine Domäne der Männer.
Abgelegen - die Grenze zur Ukraine
Über die Bergketten der abgelegenen ukrainisch-rumänischen Grenzregion gibt es
keinen großen Grenzverkehr. Vor allem Roma nutzen den Weg durch Maramureº
und die Bucovina, um über die Ukraine nach Polen zu gelangen.
Seit Januar 1993 hat die rumänische Regierung die Einreisemöglichkeiten für
Bürger der früheren SU verschärft, aber keine Visapflicht eingeführt. Formelle
Anforderungen sind seitdem: notariell und durch das rumänische Innenministerium
beglaubigte Einladungen durch rumänische Staatsbürger, Rückreisetickets sowie der
Nachweis über einen Mindestbetrag pro Aufenthaltstag von umgerechnet rund 60
Mark. 51 Von dieser restriktiven Regelung sind nur Bewohner der Republik
Moldawien ausgenommen - und eine nicht unbeträchtliche Zahl von Menschen, die
aus der Ukraine kommend die grüne Grenze überqueren.
36
In der Nähe von Kriegsschauplätzen - die Grenzen zu Moldawien
und zu Serbien
Nicht nur zur Ukraine hin gibt es eine virtually free border, auch für die Grenze
nach Moldawien gilt: " Große Grenzabschnitte sind völlig unkontrolliert."52
Mit
der
Auflösung
des
östlichen
Anrainers
Sowjetunion
kam
es
zu
Auseinandersetzungen um Moldawien und Transnistrien. Seit Oktober 1990 gibt es
Konflikte um Rumäniens Ostgrenze. Rumänische Freiwilligenverbände, finanziert von
Auslandsrumänen, besetzten Grenzübergänge nach Moldawien und forderten die
schnelle Wiedervereinigung und den Aufbau eines Großrumänien. Einem schnellen
Anschluß des rumänischsprachigen Moldawien widersprach aber die ökonomische
Einbindung des Landes in die Wirtschaft der ehemaligen Sowjetunion. Denn die
Austauschwirtschaft mit anderen Ländern der GUS ließ sich 1991/92 nicht von einem
Tag auf den anderen auf die brachliegende rumänische Ökonomie umpolen. So
erklärte die Republik Moldawien am 27.8.91 ihre Unabhängigkeit. Der östliche Teil
Moldawiens, Transnistrien mit seiner bedeutenden Schwerindustrie sowie der 14.
Armee der ehemaligen SU und der russischsprachigen Bevölkerung, bildet seitdem
einen Faustpfand Moskaus gegenüber den Annektionswünschen Bukarests. Als
Ostern
1992
militärische
Auseinandersetzungen
zwischen
Moldawien
und
Transnistrien aufflammten, wurde sichtbar, daß die Interessensgebiete zwischen der
EU und Rußland noch nicht fest abgesteckt sind.
Die Bedeutung der Grenze zwischen Rumänien und Moldawien wird derzeit nur
von moldawischer Seite betont. Die rumänische Seite ist dagegen bestrebt, sie so
weit wie möglich offenzuhalten. Schließlich will sie den Einfluß rumänischer
Organisationen in Moldawien vergrößern. So konnten ukrainische und rumänischmoldawische Gruppen schnell damit beginnen, an dieser offenen Tür Rumäniens
eine Ökonomie des Schmuggels aufzubauen. Die Nähe zur
moldawisch-
transnistrischen Konfliktregion hat dazu geführt, daß in der Grenzgegend neue
Macho-Banden gestärkt wurden, die nicht nur Waffenhandel treiben, sondern die
Gegend in Reviere und Gewinnzonen aufteilen. "Ungefähr hundert Gruppen von
´racketeers´ wurden in Rumänien identifiziert. Sie waren besonders im Nordosten
aktiv,
in
einigen
Moldawien-Regionen,
die
für
die
Ausbreitung
solcher
Operationsgebiete am anfälligsten erscheinen. Unter der allgemeinen Bezeichnung
51 FR 9.1.93
37
´rackets´ operieren kleine Gruppen von bis zu einem Dutzend Männer, die sich auf
den größeren Überlandstraßen mit Waffen zu schaffen machen. Ihre Ziele sind
Touristenbusse aus Moldawien, der Ukraine, Litauen und anderen Ländern im Osten
Rumäniens."53 Viele ehemalige Afghanistan-Kämpfer seien darunter.
Aber auch Menschen auf der Flucht nutzen die Grenze auf den langen
Migrationswegen aus Pakistan oder Kurdistan in beide Richtungen. Die einen
kommen, weil sie den Weg über die Ukraine und die polnisch-deutsche Grenze als
schwierig einschätzen, und begeben sich nach Bukarest. Die anderen gehen, weil
sie die Hürden auf dem Weg über Ungarn für schwieriger halten, und versuchen den
Weg über Kiew und Warschau. "Die bevorzugte Einreise-Route [nach Rumänien]
geht derzeit über Moldawien, von Rußland und der Ukraine aus. Ungefähr 80%
illegaler Transitmigranten nutzen diese Route auf dem Landweg. Eine große Anzahl
von Transitmigranten nutzt die Moldawien-Passage mit dem Zug, mit einem
Transitvisum für Bulgarien. Diese Route wird vor allem von Bangladeshis, Sri
Lankanern, Indern, Pakistanis und irakischen Kurden benutzt." 54
Nach Angaben der Grenzpolizei und der Nationalen Grenzwächter-Behörde
werden MigrantInnen, die die Grenze illegal zu überschreiten versuchen, nach
Moldawien zurückgebracht. Auf Polizeiwachen oder in Gefängnissen in Iaºi und
Albiþa wurden - so die Angaben aus dem letzten Jahr - bisher insgesamt sieben
Pakistanis festgehalten. Die Behörden betonen, daß sie die Grenzprobleme auf
lokaler Basis lösen wollen und Grenzgänger maximal vierundzwanzig Stunden
festhalten. Die örtliche Polizei ermittelt in solchen Fällen nicht.55
Die Grenze zwischen Rumänien und Restjugoslawien wird zum größten Teil durch
die Donau gebildet. Seit Verhängung des Handelsembargos durch die Vereinten
Nationen im Mai 1992 ruht die reguläre Schiffahrt auf dem Fluß. In den grenznahen
Regionen hat sich in den letzten Jahren ebenfalls eine Ökonomie des Schmuggels
herausgebildet. Vor allem Benzin und Diesel wird nach Serbien transportiert,
schließlich kostet der Liter Treibstoff in Rumänien umgerechnet knapp 25 Pfennig, in
Serbien mehr als eine DM. Aber die vom Staat weitgehend geduldete
Schattenwirtschaft kann die Folgen des Handelsembargos für die rumänische
52 IOM, Profiles, S. 17
53 IOM, profiles, S. 26
54 IOM, Transitmigr. romania, S. 14
38
Wirtschaft nicht ausgleichen. Nur die grenznahen Kleinregionen auf beiden Seiten
der Donau boomen. Neue moderne Tankstellen, ein üppiges Warenangebot und
viele neue Häuser zeugen von dem Schmugglerwohlstand. Im ersten Halbjahr 1995
eskalierte allerdings die soziale Situation. Es bildeten sich Großkartelle, die sich
jeweils auf der anderen Flußseite niederließen und das schmuggelnde Fußvolk unter
ihre Kontrolle bringen wollten. So wurde Ende März 1995 ein Deal bekannt, bei dem
die UNO-Mission in Timiºoara mit rund 250.000 US-Dollar bestochen worden sein
soll, um unter der Hand die Ausfuhr von 10.000 Tonnen Diesel zu genehmigen. In
den darauffolgenden Monaten wehrten sich die kleinen Schmuggler gegen die
großen und die mit ihnen paktierenden Grenzer. Sie griffen Grenzschutzboote an
und legten den Schmuggeltransport der Kartelle lahm. Während der reguläre
Personenverkehr weitgehend erlahmt ist, unterliegt der irreguläre Personenverkehr
zu großen Teilen den neuen lokalen Herrschaften.
Die Südgrenze zu Bulgarien
Die Reiserouten von Rumänien über Bulgarien in die Türkei oder nach
Griechenland sind Handelswege der MigrantInnen, sie führen letztlich in Richtung
Westeuropa. Wer erst einmal in Griechenland angekommen ist, kann nach Italien
übersetzen.
Über
Grenzübergänge
eine
nach
Million
RumänInnen
Bulgarien.
Auch
in
nutzen
jährlich
Bulgarien
sind
die
wenigen
die
meisten
GrenzverletzerInnen RumänInnen. Viele versuchen, unerkannt und unkontrolliert bis
in die Türkei durchzukommen. Besonders Istanbul hat sich unter dem Eindruck der
Immigration aus Rumänien und den anderen ehemaligen RGW-Staaten deutlich
verändert. Der Kleinhandel und die osteuropäische Sexindustrie machen riesige
Umsätze in Istanbuler Stadtteilen wie Laleli.56 Rumäninnen haben aufgrund ihrer
Armut den schwersten Stand.
55 APADOR-CH, 1994 Report, S. 68 ff.
56 siehe "Women for Women Human Rights", Pinar Illkkaracan, Leyla Gulcur, The "Suitcase" and Sex
Industry: Experiences of Sexism and Racism of Migrant Women from the Ex-Soviet Union,
Manuskript, Istanbul 1994
39
In umgekehrter Richtung spielt die bulgarisch-rumänische Grenze ebenfalls eine
wichtige Rolle: "Die Route, die [von Transitmigranten] am ehesten - außer der
Moldawien-Strecke - eingeschlagen wird, geht über die Türkei und Bulgarien. [...] Die
türkische Route scheint von Iranern, Irakis, Türken und syrischen Kurden gern
genutzt zu werden." 57 Der Verantwortliche des Kontrollpunkts in Giurgiu gab an, daß
täglich ein bis zwei Ausländer bei der illegalen Einreise gefaßt würden. Nach Zahlung
einer Geldbuße würden illegale Grenzgänger wieder freigelassen und über die
Grenze zurückgeschickt. Bei Nutzung gefälschter Papiere wird eine milde Geldbuße
in Höhe von 1.000 Lei [0,80 DM] fällig.58
Nachts tuckern auch auf diesem Abschnitt der Donau, die hier die Grenze
zwischen Rumänien und Bulgarien bildet, die Boote der Schmuggler und
Fluchthelfer.
Seit
dem
19.6.93
sind
71
Beamte
des
deutschen
BGS
und
der
Bundeszollverwaltung an dieser Grenze eingesetzt, sowohl auf rumänischer Seite in
der Stadt Calafat wie auf bulgarischer Seite in der Stadt Ruse.59 Es handelt sich um
einen Auslandsauftrag im Rahmen der WEU, die dort die Durchsetzung des UNEmbargos gegenüber Restjugoslawien absichern soll. Stolz vermeldet der BGSJahresbericht von 1994, daß seit Beginn der "Mission" BGS und BRD-Zoll an dem
dortigen Grenzabschnitt sowie am ungarischen Oberlauf der Donau 3.592 Kontrollen
durchgeführt habe.
Die Seegrenze
Die Hafenbehörden in Constanþa am Schwarzen Meer sind inzwischen damit
konfrontiert, daß blinde Passagiere entdeckt werden. Noch sei deren Anzahl relativ
57 IOM, Transitmigration Romania, S. 14f.
58 APADOR-CH, 1994 Report, S. 72 f.
59 Möglich ist dies nach Inkrafttreten des neuen BGS-Gesetzes. Vgl. BGS-Jahresbericht 1994, S. 22.
40
gering. Blinde Passagiere gebe es in beide Richtungen: Einige würden versuchen,
auf rumänischen Schiffen das Land zu verlassen, andere würden auf Schiffen aus
dem Nahen Osten und aus Asien entdeckt. 60
Flughäfen. Das Abschiebegefängnis Otopeni
März
1994:
Die
Koblenzer
Direktion
des
Bundesgrenzschutzes
hat
in
Verhandlungen mit dem rumänischen Innenministerium die Abschiebung von
Jugoslawienflüchtlingen über den rumänischen Flughafen Timiºoara durchgesetzt.
Die Flüchtlinge, die aufgrund des UN-Embargos nicht nach Belgrad abgeschoben
werden können, sollen nun bis Timiºoara mit dem Flugzeug und dann per Bus nach
Serbien
transportiert
werden.
Den
Anfang
will
die
nordrhein-westfälische
Landesregierung machen und zunächst 640 Flüchtlinge über diesen Weg
abschieben. Doch der erste Flug, vorgesehen für den 10.3.94, wird kurzfristig
abgesagt. Die rumänische Regierung hat ihre Genehmigung zurückgezogen. Damit
ist dieser Plan gescheitert - vorerst.
Die rumänische Regierung hatte im Rückübernahmeabkommen vom 24.9.1992
nur der Aufnahme von rumänischen Staatsbürgern zugestimmt, nicht aber der
Aufnahme und weiteren Abschiebung von sogenannten Drittstaatlern. Die Gründe,
warum die rumänische Regierung nicht bereit war, Drittstaatler aufzunehmen, liegen
auf der Hand: Massive Kettenabschiebungen über rumänische Flughäfen bedeuten
nicht nur erhöhte Flugkosten, sondern verursachen auch administrative Probleme.
Schließlich ist das rumänische Abschiebesystem bisher lückenhaft, willkürlich, nicht
flächendeckend und wird zudem faktisch ohne gesetzliche Grundlagen gehandhabt.
Falls Massenabschiebungen gestoppt würden - etwa aufgrund ihrer Ungesetzlichkeit
-, müßten größere Abschiebegefängnisse
bereitstehen.
Außerdem
hat
die
rumänische Regierung offenbar kein Interesse daran, die guten diplomatischen
Beziehungen zu seinen Nachbarn, den nächsten Gliedern in der Kette der
Abschiebungen, zu Restjugoslawien, zur Türkei und zu einigen arabischen Staaten,
aufs Spiel zu setzen.
60 IOM, Transitmigr. Romania, S. 15
41
Das kann sich allerdings ändern, schließlich verfügt die Bundesregierung in den
Ländern Ost- und Südosteuropas über erheblichen Einfluß. Mit den sogenannten
Carrier Sanctions verpflichtet sie die Beförderungsgesellschaften, Personen ohne
ausreichende Papiere zurückzubefördern. Damit setzt die Bundesregierung die
rumänische Regierung offenbar unter Druck, auch Drittstaatler vorübergehend wieder
aufzunehmen und anschließend abzuschieben.
Das legt das Ergebnis unserer
Recherchen in Bukarest nahe.
Ende März 1995 erfuhr ein Mitarbeiter der FFM in Gesprächen mit Ion Iacoº von
der Bukarester Menschenrechtsgruppe APADOR - CH (Asociaþia Pentru Apãrerea
Drepturilor Omului în România - Comitetul Helsinki), daß es Anhaltspunkte für die
Existenz eines Abschiebegefängnisses auf einem der beiden Bukarester Flughäfen
gibt. Für den 31.3.1995 erhielt er die Erlaubnis, von 10 Uhr 40 bis 12 Uhr das
Abschiebefängnis auf dem internationale Flughafen Otopeni mit einer Delegation zu
besuchen. Es war möglich, mit den meisten der sechzehn Abschiebehäftlinge zu
sprechen und 35 Minuten lang Interviews mit einer HI8-Kamera aufzunehmen. Dabei
kamen ein Afrikaner, ein Inder, ein älterer Iraker, ein jüngerer Iraker, ein irakischer
Kurde und eine irakische Kurdin zu Wort. Interview-Sprachen waren Englisch,
Rumänisch, Arabisch und Kurdisch.
Es stellte sich heraus, daß auf dem Flughafen Otopeni seit November 1994
Personen inhaftiert werden, deren Identität in Ländern der EU nicht geklärt werden
konnte und die nichts mit Rumänien verbindet, außer dem Vorwurf der
Ausländerbehörden, sie seien mit einem Flug der rumänischen TAROM-Linie nach
Europa gekommen. Des weiteren sitzen dort Personen ein, die in Rumänien gerade
zwischengelandet sind oder sich auf dem Landweg ohne die nötigen Visa nach
Westeuropa durchschlagen wollten, aber bei Razzien aufgegriffen wurden.
Den
Transitbereich
des
Flughafens
teilen
sich
Flug-
und
Abfertigungsgesellschaften mit der Grenz-, der Paßpolizei und mit Spezialeinheiten;
der Raum eignet sich gut für die Verwischung von Verantwortlichkeiten und
Zuständigkeiten. Er wurde im letzten Jahr mit Hilfe deutschen Know-hows umgebaut
- beratend tätig war die große Abfertigungsgesellschaft Lufthansa Tarom Airport
Services (LuTaS).
Ein abschließbarer, abgelegener Bereich wurde umgewidmet und dient seitdem
als Haftkomplex. Die TAROM versorgt "auf freiwilliger Basis" die Häftlinge mit Essen,
das Innenministerium verweist bei der Haft ohne richterlichen Bescheid auf
42
Bestimmungen des Ausländergesetzes aus den 60er Jahren, und das HelsinkiKomitee APADOR hält die ganze Haft-Einrichtung für illegal.
Nach der üblichen Flughafenkontrolle, die bei Betreten des Transitbereichs zu
passieren war, wurde die Delegation zu den nicht frei zugänglichen Hafträumen im
obersten Stockwerk des Flughafens geführt und konnte sich dort ohne polizeiliche
Aufsicht bewegen. Der diensthabende Chef der Poliþia de Frontierã (Grenzpolizei)
Otopeni, Colonel A. Munteanu, stand für ein ausführliches Interview nicht zur
Verfügung. Wie nach dem Aufenthalt zu erfahren war, hatte sich am gleichen
Vormittag eine Absturzkatastrophe in der Nähe von Otopeni ereignet.
Weil ein Teil der Häftlinge noch schlief, bat ein Inder die Delegation zu warten. Der
Besuch war zwar bei der Grenzpolizei angemeldet, die Gefangenen waren aber nicht
benachrichtigt worden. Wie es sich später herausstellte, ist der Tagesrhythmus der
Insassen verschoben, das Essen wird oft erst um Mitternacht ausgeteilt. Der Inder
und ein älterer Iraker vermittelten die ersten Eindrücke, sie seien am längsten hier. Es gibt nur eine Tür zu dem kleinen Komplex. Von dem Flur gehen zwei Räume ab,
die mit zweistöckigen Betten bis auf einen engen Gang vollgestellt sind. Die Räume
haben oben kleine vergitterte Fenster. Für die Männer gibt es eine Toilette mit
Dusche, für die einzige Frau, eine Kurdin mit einem Kind, die sich seit drei Monaten
hier befindet, ebenfalls. Die meisten Gefangenen haben sich mit Pullovern und
Anoraks warm angezogen, obwohl es nicht sonderlich kalt ist. Aber sie haben kaum
Bewegungsspielraum.
Laut Angaben der Häftlinge ist die Fluktuation sehr hoch. In jeder Woche kämen
neue Personen an, während andere abgeschoben würden. Hingegen berichteten
drei Personen, daß sie bereits vier Monate und länger festgehalten würden. Der
Inder:
"Sie können hier nicht raus?" - "Wenn ein guter Polizist da ist, können wir raus, bis
hier vorne, in den Transitbereich. Zum Gucken, Sprechen, Telefonieren. Ich sage,
Freund, gib mir später was zu essen! Bei guten Polizisten können wir raus, bei
schlechten Polizisten ist die Tür jeden Tag zu. Jetzt bin ich vier Tage hier drinnen,
ohne einmal raus zu können. Ich habe Probleme [zeigt auf den Hals] wie alle hier.
Aber sie geben uns keine Medizin, nur ein einziges Medikament."- "Gibt es keinen
Arzt hier?" - "Doch, der gibt aber immer dasselbe Medikament, auch bei den
unterschiedlichsten Beschwerden. Immer dieselbe Tablette. Ein anderer hat gesagt:
43
’Gib mir Geld, dann gibt’s Medizin.’ Ich habe kein Geld. Ich bin vier Monate im Knast
und habe keinen Freund draußen, der mir Geld gibt." - "Sie haben hier keinen
Fernseher, keine Zeitungen, nichts?" -"Nichts. Wenn ich nicht spreche, passiert
nichts. Ich spreche, das ist das einzige. Andere sprechen aber nicht. Sie geben keine
Antwort, sie sagen nichts. Können Sie mir bitte helfen. Ich habe zu viele Probleme.
Vier Monate bin ich hier drinnen. Ich bekomme keine Antwort von draußen, sie
sprechen nicht zu mir, ich weiß nicht, was weiter geschieht."
Die Interviews belegen, daß die Personen, die aus Ländern der EU nach
Rumänien abgeschoben oder im Lande wegen illegalen Aufenthalts aufgegriffen
werden, keine Möglichkeit hatten, einen Asylantrag zu stellen, weder bei der
Verhaftung noch im Lauf der Abschiebehaft. Die Interviewten sehen sich in der
akuten Gefahr, in die jeweiligen Verfolgerstaaten oder in andere Dritt-Länder
abgeschoben zu werden. Manche befinden sich offenbar auf monatelanger, gar
jahrelanger Odyssee.
Als Herkunftsländer wurden genannt: Kurdistan im Nordirak und in der Türkei,
Irak, Burundi, Nigeria, Indien, Pakistan und China. Die Herkunftsländer einiger
weniger Personen wurden mit Absicht nicht genannt, um eine mögliche
Identifizierung zu erschweren. Zwei Personen gaben an, von Berlin-Schönefeld
beziehungsweise Stockholm mit der Fluggesellschaft TAROM abgeschoben worden
zu sein. Der Afrikaner wandte der Kamera aus Sicherheitsgründen den Rücken zu
und berichtete:
"Sie waren in Deutschland?" - "Ja, vor einem Jahr bin ich nach Deutschland
gekommen. Auf dem deutschen Flughafen Schönefeld bin ich gelandet und habe um
Asyl gebeten. Sie haben mir kein Asyl gewährt. Statt dessen haben sie mich zehn
Monate ins Gefängnis gesteckt." - "Woher kommen Sie?" - "Aus Afrika. Ärgerlich ist,
daß ich die TAROM Fluglinie benutzt habe. Ich hatte einen Transit, und sie steckten
mich ins Gefängnis, weil ich ohne Visum nach Deutschland gekommen bin. Ich sagte
denen, daß ich Asyl brauche, sie haben mir aber kein Asyl gegeben. Sie sagten, für
mich gibt es kein Asyl. Aber wir haben in meinem Land gegen die Regierung
demonstriert, das ist das Problem. Zurückzukehren wäre für mich unmittelbar eine
Gefahr. Trotzdem haben sie mich in Deutschland nicht akzeptiert. - Nachdem sie
mich dort zehn Monate eingesperrt hatten, brachten sie mich zurück hierher nach
44
Rumänien. Für die rumänische Regierung ist es sehr schlecht, daß sie das
akzeptiert. Das ist doch nicht deren Problem, sondern ein deutsches Problem,
zwischen mir und Deutschland. Wie kann Deutschland sagen, daß jemand, der ein
Jahr dort festgehalten wurde, nun hierher zurück muß, daß Rumänien den
annehmen muß. - Die deutsche Regierung hat mich hierher geschickt, sie haben
gesagt, daß sie mich nach Afrika bringen wollten. Sie haben mich sogar getäuscht.
Ich wollte nicht in das Flugzeug 'rein, habe denen gesagt, daß ich ein Problem habe.
Aber sie haben zwei Wachleute zu mir gesetzt, die haben mich bewacht und sich im
Flugzeug auf mich gesetzt. So haben sie mich hergebracht."
Mehrere der Interviewten in Otopeni bekundeten, daß sie Asylanträge geschrieben
und an die wachhabende Polizei sowie an das Verbindungsbüro des UNHCR in
Bukarest übergeben hätten, zum Teil in wiederholten Versuchen. Von keiner Seite
hätten sie jemals eine Antwort bekommen. Wenn sie auf ihre Rechte gepocht hätten,
sei ihnen mit Abschiebung gedroht worden.
Ein älterer Iraker, seit fünf Monaten in Otopeni eingesperrt, sei zwischendurch für
zwei Tage in Stockholm gewesen, von dort sei er aber wieder zurück nach Bukarest
abgeschoben worden:
"Und ich habe Familie, zwei Kinder und eine Frau. Ich möchte los. Es reicht. Von
hier erwarte ich nichts mehr. Fünf Monate bin ich hier: warten, warten, warten. Ich
weiß aber nicht, wann es zurück geht." - "Haben Sie geschrieben, daß Sie Asyl
wollen?" - "Ach, drei Monate ist das her ..." - "... geschrieben?" - "Ja, ja, ja! Vor drei
Monaten habe ich das der Polizei gegeben. Die sagten, warte, warte, warte. Bis
wann?" - "Und in Stockholm haben Sie den Asylantrag auch schriftlich abgegeben?"
- "Ja. Und dann bin ich hierher zurückgekommen. Der UNHCR hat gesagt, daß
Rumänien die Genfer Konvention unterzeichnet hat und daß man dorthin gehen und
Asyl beantragen kann. Es hieß, die helfen, sind gastfreundlich. Sie würden dich nach
ein, zwei Tagen in die Stadt Bukarest reinlassen, hieß es. Aber niemand hat uns
respektiert, ich habe das genaue Gegenteil von dem erlebt, was sie uns erzählt
hatten: Sie haben die Tür vor uns verschlossen. Unsere Lage haben wir dem
UNHCR in einem Brief geschildert, vor drei Monaten haben wir ihnen die Briefe
gegeben, im Januar. Und seitdem hieß es warten, warten, warten. Manchmal sind wir
sogar geschlagen worden, und immer machen sie die Tür vor uns zu. Wir wollen Ihre
45
Hilfe, egal unter welchen Umständen. Hauptsache, es kommt jemand und hilft uns in
unserer Situation. - Einmal sind die zwei Frauen vom UNHCR gekommen und haben
gesagt: Wir wissen auch nicht, was werden soll."
Ein irakischer Kurde gab an, er habe bei seiner Verhaftung auf seine Verfolgung
aufmerksam gemacht. Daraufhin sei er dem irakischen Konsul vorgeführt worden.
Die rumänische Polizei habe dem Konsul den Namen des Verhafteten genannt und
ihm ein Foto des Kurden überlassen.
Die
rumänische
Regierung
unterhält
seit
Jahrzehnten
ausgezeichnete
diplomatische Beziehungen mit der Türkei und verschiedenen arabischen Ländern.
Da Rumänien zugleich Transitland für viele Flüchtlinge und MigrantInnen aus
denselben Staaten ist, ergibt sich für diesen Personenkreis eine besondere
Gefährdung, es droht ihnen direkt oder indirekt die Abschiebung in den
Verfolgerstaat, nur Bagdad kann von Bukarest zur Zeit noch nicht angeflogen
werden. Der Afrikaner beschrieb die Abschiebung einer fünfköpfigen Familie zwei
Tage zuvor - am 29.3.95 - folgendermaßen:
"Ein irakisches Paar mit Kindern ist hier im Flughafen angekommen. Das war ein
Mann mit drei Kindern und seine Frau, eine fünfköpfige Familie. Sie sagten, als sie
ankamen: ‘Bitte schickt uns nicht in den Irak!’ Die rumänische Polizei hat sie
festgehalten und geschlagen: ´Geht zurück in den Irak, ab in die Türkei!´ Sie
wandten Gewalt an - ich war Zeuge - , die Frau hat geschrien. Das war sehr traurig:
’Nehmen Sie mich nicht mit, bitte, bringen Sie mich nicht in den Irak!’ Sie sagten, du
mußt in den Irak zurück. Sie haben sie zu einem türkischen Flughafen abgeschoben,
damit sie in den Irak zurückkommen! Das ist sehr schlimm."
Eine irakische Kurdin, die nach unserem Besuch mit ihrem Kind in die Türkei
abgeschoben wurde, hatte mit ihrer Familie bereits vor Jahren ein Aufenthaltsrecht in
Schweden. Nachdem sie nach Irakisch-Kurdistan zurückgekehrt sei, habe sie
schwerste Verfolgungen erlitten: Zwei ihrer drei Kinder kamen um, nun befindet sich
die durch einen Kopfschuß schwer erkrankte Frau mit ihrem dritten, kleinen Kind seit
drei Monaten in Abschiebehaft in Otopeni. Sie hatte zum zweiten Mal auf dem
Landweg versucht, über Rumänien nach Deutschland oder nach Schweden zu
kommen, um sich dort in medizinische Behandlung zu begeben. Ihre Haftsituation
46
wurde nicht zuletzt wegen ihrer epileptischen Erkrankung von allen Gefangenen als
besonders unmenschliche Härte geschildert.
Die Entstehungsgeschichte des Abschiebegefängnisses ließ sich wie folgt
rekonstruieren: Im Sommer 1994 herrschte nach Auskunft von APADOR, dem
Bukarester Helsinki-Komitee, eine gewisse Unübersichtlichkeit am Flughafen
Otopeni. Einer Delegation des Europarats sei aufgefallen, daß im Transitbereich
Personen lagerten, die dort festsaßen und auf ihre Abschiebung warteten. Im
November 1994 ist dann das Abschiebegefängnis auf dem Flughafen Otopeni
heimlich - ohne öffentliche oder politische Diskussion - im Rahmen der genannten
Umbauten etabliert worden. Eine stichhaltige gesetzliche Grundlage für die
Errichtung des Abschiebegefängnisses gibt es nicht, wie uns alle befragten Juristen
und Vertreter von Menschenrechtsgruppen bestätigten. Eine richterliche Anordnung
der Haft oder richterliche Haftprüfungstermine finden nicht statt. Nach allen
verfügbaren Informationen handelt sich um eine Art Polizeihaft, die in einem Fall
bereits über fünf Monate dauerte. Es liegt ganz in der Willkür der diensthabenden
Polizisten, ob die Häftlinge einmal am Tag in ruhigen Momenten die engen Räumen
verlassen dürfen oder ob sie Prügel befürchten müssen. Die Versorgung durch
Nahrungsmittel hat die Fluggesellschaft TAROM freiwillig übernommen, da keine
staatliche oder Nichtregierungs-Organisation dafür aufkommen will.
Direkte
politische
Verantwortung
für
diese
Zustände
trägt
neben
den
verschiedenen Polizeigliederungen des Flughafens und den kooperierenden
Fluggesellschaften
das
interministerielle
"Rumänische
Komitee
für
Migrationsprobleme", das durch Regierungserlaß Nr. 417 am 14.6.91 auf
Staatssekretärs- und Unterstaatssekretärs-Ebene eingerichtet wurde. Beteiligt sind
an diesem Gremium das Ministerium für Arbeit und Soziales, das Außen-, Innen-,
Justiz-,
Wirtschafts-
und
Finanz-,
Gesundheits-,
Erziehungs-
und
Wissenschaftsministerium sowie die kommunale öffentliche Verwaltung.
Nach dem Besuch im Abschiebegefängnis Otopeni haben wir das lokale UNHCRBüro eingeschaltet, das die staatlichen Maßnahmen in Otopeni als "exzessiv"
charakterisierte.
Weitere
Recherchen
ergaben,
daß
das
rumänische
Innenministerium zwei Wochen nach dem Besuch von FFM und APADOR aktiv
wurde: In einer Fernsehsendung bestätigte das Ministerium erstmalig, daß auf dem
Flughafen ein Abschiebegefängnis existiert. Die Kritik an den unmenschlichen
Verhältnissen
wurde
allerdings
zurückgewiesen.
Gleichzeitig
wurde
die
47
schwerkranke kurdische Frau mit ihrem Kind, die sich seit drei Monaten in dem
Abschiebegefängnis befand, in die Türkei abgeschoben. Der Iraker, der dort seit fünf
Monaten festsaß, wurde freigelassen, damit er bei der entsprechenden Behörde in
der Bukarester Innenstadt einen Antrag auf Asyl stellen kann. Damit wurden die
beiden
härtesten Schicksale von der Regierung "entschärft", allerdings zum
dramatischen Nachteil für die irakische Kurdin.
Erst nachdem die rumänischen Behörden aktiv geworden waren, schalteten sich
zwei
Vertreter
des
europäischen
UNHCR-Hauptbüros
aus
Genf
ein.
Der
Abgeschiebetrakt muß seitdem durchgängig seine Türen geöffnet halten, allerdings
dürfen die Gefangenen den Transitbereich nicht verlassen. Die Genfer Vertreter
drängen auf eine auch für die Bukarester NGO´s annehmbare Flughafenlösung,
beabsichtigt ist ein Schnellverfahren nach BRD-Vorbild, in dem ausgewiesenen
NGO-Vertretern das Recht eingeräumt werden soll, die Flüchtlinge vorab zu beraten
und aufzuklären. APADOR-CH lehnte diese Vorschläge allerdings genauso ab wie
das gesamte Flughafenschnellverfahren.
Auch die sieben Sudanesen, die am Abend des 12.9.95 auf Anweisung von
Bundesinnenminister Kanther trotz großer öffentlicher Proteste von Frankfurt/Main
aus abgeschoben wurden, landeten in der Nacht zunächst auf dem Flughafen
Otopeni, in Begleitung von fünfzehn BGS-Beamten. Nach allem, was bekannt ist,
hatten die Sudanesen keine Möglichkeit, dort einen Antrag auf Asyl zu stellen. Am
folgenden Tag wurden sie mit der TAROM-Fluggesellschaft nach Khartoum
abgeschoben.
48
Ökonomie der Migration
Wie organisieren Menschen auf der Flucht, aufgehalten von der nächsten Grenze,
ihr Überleben? Wie besorgen sie sich über die lange Zeit des Wartens ihr Essen und
ein
kleines
Einkommen?
Angesichts
ihrer
individuellen,
familiären
und
gruppenspezifischen Probleme klingen Begriffe wie Transitmigration, selbständige
Schattenökonomie oder informeller Sektor äußerst verharmlosend, über die
Wirklichkeit sagen sie kaum etwas aus.
Die Ökonomie der Migration steht in Rumänien unter ständiger polizeilicher,
militärischer und rassistischer Bedrohung. Während MigrantInnen - aus Kurdistan,
Syrien, Pakistan und anderen Ländern - permanent von Abschiebung bedroht sind,
müssen die Roma in Rumänien - außer der Armut - vor allem Übergriffe durch die
Polizei und die rumänische Bevölkerung fürchten. Außerdem ist die Ökonomie der
Migration auch in Rumänien mit dem Stigma der sogenannten organisierten
Kriminalität versehen worden. Rumänische Politiker und Medien haben von
Westeuropa gelernt; für ihre Hetzkampagnen gegen die um ihre Existenz
kämpfenden KleinhändlerInnen ist ihnen jedes Mittel und jede Verleumdung recht.
Kürzlich war bereits von einem "Krieg" zwischen "Zigeuner- und Araberbanden" die
Rede. Der Hintergrund der Diffamierung: Die Polizei brauchte eine Rechtfertigung für
über sechzig Hausdurchsuchungen in Bukarest.
TransitmigrantInnen und Roma sind der wirtschaftlichen Not in Rumänien
besonders ausgeliefert. Lohnarbeit können sie kaum bekommen, und der
Durchschnittslohn reicht für Alleinstehende nicht aus. Die übrige Bevölkerung lindert
ihre Existenzprobleme, den Einkommensverlust als Folge der Arbeitslosigkeit und
der Inflation, durch die Aktivierung verwandtschaftlicher Beziehungen zum Land.
Offiziell leben dreißig Prozent der Erwerbstätigen von der Arbeit in der
Landwirtschaft. Fünf bis sechs Millionen Menschen - immerhin mehr als ein Viertel
der Bevölkerung - sind durch die Privatisierung des Landes seit dem 19.2.91 zu
überwiegend Minifundienbesitzern geworden. Roma gehören nicht dazu, denn sie
wurden von der Privatisierung des Gemeindelandes ausgeschlossen. Im November
1992 waren bereits siebzig Prozent der bewirtschafteten Fläche in Privatbesitz, 1993
wurden
schon
achtzig
Prozent
der
Agrarprodukte
von
der
privatisierten
49
Landwirtschaft geliefert. Aber bis heute gibt es kein Vergabesystem für preiswerte
Saatgüter oder zinsgünstige Kredite, eine Erneuerung des Maschinenparks ist für die
Kleinbauern unerschwinglich. Unter diesen Bedingungen entwickelte sich ein Teil der
Landwirtschaft zur direkten Versorgungswirtschaft.
So haben Roma und MigrantInnen unter massivem Druck der Repression in den
letzten fünf Jahren eine eigene Wirtschaft aufbauen müssen. Dabei ist es erstaunlich,
daß Repression und tolerierte Schattenwirtschaft koexistieren. Ein beträchtlicher Teil
der rumänischen Ökonomie wird durch die Auslandsinvestitionen der MigrantInnen
aufrechterhalten. Rumänien ist das osteuropäische Land mit den meisten
ausländischen Unternehmen, deren Kapital aber mehr als bescheiden ist. Es handelt
sich
dabei
vor
allem
um
ein
ökonomisch
abgefedertes
Sprungbrett
für
TransitmigrantInnen. Weil die Mauern der Festung Europa für viele unüberwindbar
sind, bleiben sie oft jahrelang in Rumänien, und es bleibt ihnen keine andere Wahl,
als sich als KleinhändlerInnen "selbständig" zu machen. Der Armut können sie so
allerdings nicht entfliehen.
Armut, Razzia und Abschiebung
Zur Methode: Wir sprechen von der Flucht in Armutsverhältnissen oder dem
zeitweiligen
Überleben
der
MigrantInnen
in
Armut,
haben
aber
wenig
Instrumentarien, um soziale Situation zu verstehen und zu beschreiben. Auch die
Sozialwissenschaft kann die Ökonomie der Migration nur unzureichend abbilden. Ihre
Statistiken, in denen üblicherweise die Erwerbstätigkeit, das Einkommen, die
Wohnsituation erfaßt werden - in Beschäftigungsverhältnissen, Geldeinkommen und
Quadratmetern ausgedrückt -, verlieren in Ländern wie Rumänien viel von ihrer
Aussagekraft. Wir stützen uns deshalb vor allem auf biographische Berichte von
Flüchtlingen und MigrantInnen.
In der Ära Ceauºescu wurden die Statistiken zudem häufig gefälscht. Auch heute
kann man Manipulationen nicht ausschließen, schließlich hängen von ihnen
millionenschwere Kredite ab, bilden sie doch die Grundlage für Berichte an den IWF.
50
Über die Armut der 80er Jahre - als Wochenendarbeit Pflicht wurde, Dörfer und
Altstädte niedergerissen und Tausende von WochenendarbeiterInnen in wenigen
Tagen Plattenbauten errichteten, so daß zwar Neubauwohnungen zur Verfügung
standen, aber Strom, Wasser und Nahrung fehlte - sagen die statistischen Angaben
nichts.
Offizielle Statistiken gehen von einem jährlichen Durchschnittseinkommen (1995)
von umgerechnet 1.647 Mark und von Durchschnittslöhnen zwischen 80 und 120
Mark aus. Ein Blick auf die Preise in den Supermärkten reicht aus, um zu wissen,
daß das Lohneinkommen in keiner Weise zum Überleben ausreicht. Andere
Einkommensquellen, die Versorgung mit nichtvermarkteten Lebensmitteln direkt vom
Land und der große Bereich der Schattenwirtschaft, bleiben in den Statistiken außen
vor.
Wie
überleben
nun
Familien
ohne
Lohnarbeit
und
verwandtschaftliche
Verbindungen aufs Land? Ihre Existenz verschwindet nicht nur aus dem Blickwinkel
der Entwicklungssoziologen und Ökonomen61, weil ihr Leben mit Statistiken und
empirischen Erhebungen nicht zu erfassen ist. Sie entzieht sich ihrem Zugriff, weil
die Ökonomie der Migration einer mannigfachen Illegalisierung ausgesetzt ist und
sich vor Mitwissern hütet. Mit ihrem Kleinhandel und ihren wenigen traditionellen
"selbständigen" Beschäftigungen werden Roma und MigrantInnen Opfer von Razzien
und Beschlagnahmen. Ihre Siedlungen werden von Pogromen bedroht, bei denen sie
leicht Haus und Habe verlieren können. So ist die Armut in Rumänien vom
allgegenwärtigen Streß gekennzeichnet, durch die überraschende, gewaltsame
Zerstörung der miserablen wirtschaftlichen Existenz, alles verlieren zu können.
Die biographischen Berichte geben Einblick in Selbstverständnis und familiäre
Einbindung, sie geben Aufschluß über die unmittelbaren Anlässe für Aufbruch und
Flucht, sie berichten authentisch über die Stationen, Gefahren und Schlupflöcher auf
der Flucht. Ihr unschätzbarer Wert besteht darin, daß damit die andere, die
verschwiegene Seite der Abschottung Europas rekonstruiert werden kann.
61 Die einzige empirische Studie, die zur Lage der Roma in Rumänien in den letzten 50 Jahren
vorgelegt wurde, stammt von Anfang 1993. Allerdings bezieht sie sich nicht auf die Gesamtheit der
ca. zwei bis zweieinhalb Millionen Roma in Rumänien. "Die Wissenschaftler aus Bukarest legten
für ihre Erhebung jedoch die ´traditionelle Lebensweise´ als Kriterium zugrunde. Auf diese Weise
ermittelten sie mehr als eine Million rumänische Roma - oder 4,6 Prozent der Bevölkerung. [...] Die
Lebensumstände von 95% der Roma-Bevölkerung bezeichnen die Wissenschaftler als
´dramatisch´. [...] Der Untersuchung zufolge leben mehr als 10% zu fünf Personen in einem Raum.
[...] In mehr als der Hälfte aller Roma-Haushalte fehlten Kocher, Kühlschrank, Radio oder
Fernseher. [...] Mehr als die Hälfte von ihnen [den Männern] sind derzeit arbeitslos." (FR 20.4.93)
51
Die FFM versucht, einen methodischen Anknüpfungspunkt an die biographischen
Erfahrungen zu finden und sie zugleich aus den individuellen Einengungen
herauszulösen. Die Recherchen in Rumänien bezogen sich daher auf bestimmte
Gegenden, in denen eine Vielzahl von Interviews und Einschätzungen zu einer
kollektiven Erfahrung zusammenzutragen waren, zum Beispiel auf die Region
Craiova in Südrumänien. Die dortige Situation konnte ab 1990 nachgezeichnet
werden, der Verlust an Einkommen, der Rückzug auf traditionelle Tätigkeiten, die
Razzien, die vergeblichen Forderungen nach Land und schließlich die Flucht: die
Erfahrungen in Rostock-Lichtenhagen 1992, in Berlin und Brandenburg 1993/94 und
die Auseinandersetzungen vom Sommer 1995 in Lyon um das Bleiberecht im
Schengenland Frankreich - all diese zusammenhängenden Erfahrungen von Armut,
Razzia und Abschiebung ließen sich durch Berichte aus dieser Region erschließen.
Ähnliches, wenn auch aus weniger dramatischer Sicht läßt sich für Nicht-RomaFlüchtlinge aus Rumänien sagen. Die Bedrohung durch Razzien und das Wissen um
die Abschiebungen aus der BRD ist auch hier allgegenwärtig. Alle Interviewten
planen eine neue Reise in die Bundesrepublik. Das Geld, das sie während eines
dreimonatigen Aufenthalts mit Touristenvisum auf dem schwarzen Arbeitsmarkt
verdienen können, kann eine ganze Familie kurzzeitig aus der absoluten Armut
herausreißen. Die Kontakte nach Deutschland sind für viele darüber hinaus zugleich
Handelskontakte für die Zeit nach der Rückkehr.
Die FFM versuchte zudem, durch Interviews und Gespräche die Situation der
TransitmigrantInnen in Rumänien kennenzulernen. Das staatliche Flüchtlingslager in
der Strada Gociu im Süden von Bukarest befand sich zum Zeitpunkt der FFMRecherchen in einer dramatischen Umbruchsituation. Albanische Flüchtlinge wurden
von der IOM und der rumänischen Regierung unter großen Protesten mit Bussen
"freiwillig" nach Tirana abgeschoben. Gleichzeitig wurde eine Gruppe Somalier aus
dem Lager hinausgeworfen, so daß sie fortan ohne diese minimale staatliche
Versorgung auskommen müssen. Ein Iraner befand sich im Hungerstreik, um mit
seiner Familie die Ausreise nach Westeuropa durchzusetzen.
Einen weiteren Einblick in die Lage der TransitmigrantInnen und des parallelen
Wohnungsmarktes konnte die FFM in den Randbezirken Bukarests gewinnen. Es
war relativ einfach, während der Recherchen inoffiziell eine kleine Wohnung in einem
Plattenbau anzumieten, denn in den riesigen Armuts-Stadtteilen werden überall
Wohnungen vorübergehend an Reisende und bleibende TransitmigrantInnen
52
vermietet. Diese bescheidenen irregulären Einkommensquellen verpflichten die
vermietenden Nachbarn trotz des grassierenden Rassismus zur Verschwiegenheit
gegenüber den Behörden.
Zwischen Ziegelbrennerei und Migration - Roma in der Region
Im Sommer 1995 konnten zwölf Romafamilien aus der Region Craiova kurz hinter
der ungarisch-rumänischen Grenze wiederangetroffen werden. Eine Gemeinde im
Brandenburgischen, die einigen von ihnen bis zum Sommer 1994 Kirchenasyl
gewährt hatte, hatte in den Vorwochen Kleidung und alles Denkbare gesammelt und
auf die Reise mitgegeben. In den Sommermonaten wohnten die Romafamilien nun
mehrere hundert Kilometer von Craiova entfernt im Nordwesten Rumäniens nahe
Timiºoara in einer improvisierten Siedlung am Stadtrand. Ihre Hütten bestehen aus
Geäst, Laub und Plastikplanen. Die Familien, auch die heranwachsenden Kinder,
arbeiten in großen selbstangelegten Lehmgruben. Die Erde wird so lange bearbeitet,
bis eine knetartige Masse entsteht, in Holzformen gepreßt, getrocknet. Anschließend
werden die Ziegel gebrannt. Neben den Lehmgruben stehen die weithin sichtbaren,
meterhohen viereckigen Türme, errichtet aus getrockneten Lehmziegeln und
Holzkohle. Einige glühen noch. Drei Tage stehen die Meiler in ihrer Glut. Dann
werden die rotgebrannten Backsteine abgebaut. Hier im Nordwesten Rumäniens
können die Ziegel einfacher und zu höheren Preisen62 als im Süden abgesetzt
werden, außerdem sind die Roma nach Verhandlungen mit dem dortigen
Bürgermeister nicht ständigen Übergriffen wie in ihrem Herkunftsort ausgesetzt.
Die Frauen tragen im Gegensatz zu den Männern traditionelle Kleidung Faltenröcke, bestimmte Stoffe, Kopftücher. Auch Kleinkinder und Alte sind in die
improvisierte Siedlung mitgekommen. Armut und Exotik: Das Folklorebild einer in
sich geschlossenen, sehr eigenen gesellschaftlichen Gruppe drängt sich auf. Doch
62 Der Tagesverdienst ist nicht einfach zu berechnen, da die Erlöse nie brutto berechnet werden. Eine
Wirtschaftseinheit bildet jeweils eine Familie oder ein Paar. Die Reproduktionskosten werden im
Tageshaushalt stets mitberechnet. Die Miete der Lehmgruben wird zum Schluß der Saison durch
Überlassung von 5.000 Ziegel abgegolten. Zum Zeitpunkt unseres Besuchs lag der Verkaufspreis
eines Ziegels bei 100 Lei (7 Pfennig, zum Vergleich: Im Süden liegt der Preis bei 70 Lei. Ein
Industrieziegel kostete 240 Lei). In der Sechstagewoche ergeben sich, wenn man die
Wetterschäden an den Ziegeln abrechnet, täglich im Durchschnitt gut 500 Ziegel in der 2Personen-Produktion. Netto bleiben nach diesen Angaben unter Einbeziehung der Reproduktions-
53
jedes Gespräch durchbricht die Klischees. Fast alle sprechen deutsch. Sie fragen
nach Leuten in Cottbus, in Potsdam, in Berlin. Sie vermitteln mit Nachdruck, daß die
Abschiebung nach Rumänien sie zu dieser "Zwangsarbeit" nötigt. Es gibt keine
Alternativen. Die Ziegelbrennerei während der drei bis vier Sommermonate ist die
einzige größere Einkommensquelle des Jahres. Obwohl die Romafamilien diese
Saisonarbeit schon lange machen und sie sich dementsprechend überregional
organisiert haben, war die Flucht aus diesen Zwängen noch nie so nötig wie heute.
Ein oder zwei Jahre waren die Familien dieser Tradition der saisonalen Maloche
entkommen. Als sie den Aussiedlern nach Deutschland folgten, saß ihnen der
absolute wirtschaftliche Zusammenbruch und der aufflammende Rassismus im
Nacken, denn sie flohen vor Hungersnöten und einsetzenden Pogromen. Als die
Löhne zwischen 1989 und 1993 ins Bodenlose fielen - heute liegt der
Durchschnittslohn umgerechnet bei 120 Mark, Arbeitslosengeld und die Rente bei 25
Mark - , kam es zu lokal begrenzten sozialen Explosionen. Nun hat die wachsende
Selbstversorgung die größte Not aufgefangen.
Nur die Roma gingen leer aus. Sie waren die ersten, die aus den Fabriken
entlassen wurden. Bei der Privatisierung des Landes wurden sie systematisch
übergangen. Fadenscheinige Begründungen wurden herangezogen: Vor der
Kollektivierung seien sie nicht Landeigentümer gewesen, Roma hätten keine Rechte
etcetera. Schätzungen gehen von über zwei Millionen Roma in Rumänien aus, das
sind an die zehn Prozent der Bevölkerung.
Die Massenabschiebungen aus Deutschland stellten die Roma vor kaum lösbare
Probleme. Es waren vor allem die Frauen, die das wirtschaftliche Überleben
organisierten. Von ihrem Herkunftsort im Süden von Rumänien, von Craiova aus,
knüpften die befragten Roma die alten Netze der Ziegelarbeit in verschiedenen
Teilen Rumäniens wieder neu. Nicht alle ziehen für die drei, vier Sommermonate
nach Timiºoara, Sibiu oder Arad. Es sind meist die jungen Familien, Frauenarbeit
überwiegt. Neben der Plackerei in den Lehmgruben kochen sie für die Familien,
versorgen die Kleinkinder, organisieren die sozialen Netze zwischen den Familien
und verteilen das Wenige im Mangel.
In Gheþa, dem Herkunftsort der zwölf Romafamilien in Südrumänien, spitzte sich
die Situation nach 1990 zu. Dort leben insgesamt 730 Romafamilien in einer
geschlossenen Siedlung, ungefähr 3.000 Personen. Die lokale Ziegelbrennerei hatte
und Reisekosten ungefähr sieben DM täglich als Gewinn. Je nach Familie, Saison und Gegend
54
sich zuvor im Besitz der lokalen ländlichen Produktionsgenossenschaft befunden. Mit
der Privatisierung wurde den Roma untersagt, Erde aus den Lehmgruben zu fördern
und zu verarbeiten. Die Fahrt in andere Städte, in andere Lehmgruben, wurde ihnen
häufig verwehrt. Dazu brauchten sie eine "viza flotant", eine behördliche Reise- und
eine Anmeldegenehmigung. Seit 1990 mußten sie entweder Erde "stehlen" oder
illegal zu anderen Orten aufbrechen. Kundgebungen, Demonstrationen, Gespräche
folgten. Sie verlangten Land und Legalisierung ihrer überregionalen Arbeit. Es kam
dort zwar zu keinen Pogromen wie in zahlreichen anderen Orten, es entwickelte sich
jedoch eine Situation permanent drohender Razzien und eines offenen Rassismus.
Eine Chronologie über die Razzien in Gheþa läßt sich aus einem Bericht
erschließen, den Hanneke Garrer und Marieli Lahni nach einer Informationsreise in
Rumänien angesichts der Asyldebatte und der Abschiebungen 1993 für die EKD
erstellten: 63
15. oder 20.5.90: Razzia durch die Polizei, mit Hunden und Gummiknüppeln. Die
Ziganie wird umstellt. 25 Personen werden ohne Angabe von Gründen verhaftet.
Ein Verhafteter stirbt im Gefängnis. Bis heute gibt es darüber keine Aufklärung.
Der Tote weist Spuren ärgster Schläge und Mißhandlungen auf.
Sommer
1990:
Zerstörung
der
nahegelegenen
Lehmziegelproduktion
und
Wasserstellen mit Bulldozern.
9.1.91: Zeugenbericht: "Sie sind um ein Uhr nachts gekommen. Wir haben schon
geschlafen. Wir wurden geweckt. Zehn LKW´s und vier bis fünf kleine Polizeijeeps
mit Militärpolizei und einfachen Polizisten. Die Armeepolizei war bewaffnet. Es
müssen sich etwa 600 Polizisten an der Aktion beteiligt haben. Wir wurden
aufgefordert, in den Häusern zu bleiben, aber viele Männer haben es geschafft
wegzulaufen und sich zu verstecken, bevor ihr Haus durchsucht wurde. Sie hatten
Leuchtkugeln dabei, die wie Handgranaten explodierten. Etwa acht Personen
wurden verhaftet und waren drei Monate lang in Craiova im Gefängnis. Sie
wurden im Eilverfahren abgeurteilt. Nach einem Monat wurde die Haftstrafe wieder
verlängert. Bei Gericht hat man gesagt, sie würden als Provokateure, weil sie
öffentliches Ärgernis erregt haben, verurteilt." 64
schwanken aber die Angaben beträchtlich.
63 Garrer/Lahni, Informationsreise nach Rumänien, EKD, Kirchenamt, Außenstelle Berlin, 1.12.93, S.
5 ff.
64 ebenda, S. 6
55
9./10.5.91: Razzia, Verhaftung von drei oder vier Personen.
Februar 1992: Razzia, Polizisten mit Hunden und Knüppeln umzingeln die Ziganie,
Verletzung von Frauen und Kindern, Verhaftung von zehn bis fünfzehn Personen.
7.5.92:
Razzia,
Zerstörung
der
nahegelegenen
Lehmziegelproduktion
und
Wasserstellen durch Bulldozer.
September 1992: Vor dem zweiten Wahlgang findet eine Protestversammlung vor
dem Rathaus wegen Landforderungen statt. Vierzig bis fünfzig Personen wollen
mit dem Bürgermeister sprechen. Aber der Bürgermeister holt die Polizei, es
kommt zu Auseinandersetzungen.
27.4.93: Razzia, Festnahme von zwei Personen
26.5.93: Razzia. "Ein Zeuge berichtet, er sei bei der Aktion am 26.5.93
festgenommen worden. Mitte September sei er entlassen worden. Bei der
Verhaftung habe die Polizei über seinen Kopf hinweg in die Luft geschossen. Er
sei dazu gezwungen worden, seinen Haftbefehl zu unterschreiben. Es habe keine
Verhöre gegeben. Er berichtete, die Zelle habe die Maße zwei Meter mal drei
Meter gehabt und sei mit zehn Personen belegt gewesen." 65
27./28.9.93: Razzia, eine Person verhaftet.
Romafamilien, die sich beschwerten, wurden von der Polizei unter Druck gesetzt.
Sie flohen daraufhin 1992/93 in die BRD, zur selben Zeit, als auch aus der
benachbarten Großstadt Craiova - aus dem Roma-Stadtteil Fata Luncii - über
tausend Menschen nach Westeuropa aufbrachen. In Craiova hatte es 1990
Massenentlassungen aus einem Chemiekombinat gegeben, und die auf sich
gestellten Roma hatten begonnen, einen Markt mit Kleidung und anderen Produkten
aus der Türkei aufzubauen. Doch Razzien und Übergriffe machten das Überleben
immer schwieriger.
Einige schildern uns ihre Grenzüberquerung über die Oder im Sommer 1992. Sie
berichten von den Schüssen auf eine ihrer Gruppen am 29.6.92 bei Nadrensee in
Mecklenburg-Vorpommern, nahe der Grenze, und von den beiden erschossenen
Roma (siehe oben). Seit ihrer Rückkehr nach Craiova versuchen sie vergeblich, die
deutschen Behörden zu Ermittlungen gegen die namentlich bekannten Täter zu
bewegen. Andere Gruppen aus Craiova ziehen in demselben Sommer anschließend
weiter und kommen im gleichen Sommer (1992) zur ZAST nach Rostock65 ebenda, S.7
56
Lichtenhagen, um dort einen Asylantrag zu stellen. Während sie über Wochen vor
dem Gebäude auf dem Rasen warten müssen, erhalten sie keine Unterstützung,
keine Versorgung, keine Solidarität durch andere Gruppen. Nur wenige werden
schließlich in die ZAST eingelassen. Im August beginnt das Pogrom gegen die Roma
in Rostock-Lichtenhagen. Die einen werden vom Rasen verjagt, die anderen werden
nach mehrtägigigen Angriffen von der Polizei "evakuiert". Ein, zwei Jahre später sind
manche von ihnen wieder in der Region Craiova oder - vorübergehend - in den
Lehmgruben von Arad, Timiºoara oder Sibiu.
1995 habe sich ihre Situation geringfügig verbessert, berichten Roma in Gheþa.
Ihre Arbeit in den Lehmgruben werde geduldet. Die gesellschaftliche Stellung habe
sich für sie aber nicht wesentlich geändert. Die meisten der 25- bis 35-jährigen
Männer hat eine relativ gut Schul- und Berufsausbildung erhalten, aber niemand
könne eine Anstellung finden. In der Frage des Landbesitzes hat sich nichts
geändert. Für die meisten Roma-Kinder sei der Schulbesuch inzwischen unmöglich
geworden, weil sie dort geschlagen und diskriminiert würden. Fenster und Türen
mancher Häuser sind zugemauert, ihre Bewohner sind zur Zeit in den Lehmgruben
anderer Regionen oder emigriert. Siebzig bis achtzig Prozent der 730 Familien seien
in Deutschland.
Manche
Romafamilien
werden
offensichtlich
von
Angehörigen
aus
der
Bundesrepublik mitversorgt. So übernahmen die Frauen die Verteilung der Sachen,
die in der brandenburgischen Gemeinde gesammelt worden waren, genauso, wie sie
sonst die gleichmäßige Versorgung mehrerer Familien sichern: Es wird so lange
aufgeteilt, auch im Streit, bis alles einigermaßen gleichmäßig zwischen den Familien
verteilt ist.
So ist schon mancher Versuch fehlgeschlagen, einzelne Familien oder Personen
gezielt zu fördern, um eine soziale Dynamik in der lokalen Roma-Gesellschaft
einzuleiten, ein Grund, warum auch sogenannte "Reintegrationsprojekte" für
Abgeschobene
nicht
greifen.
Die
Regeln
des
Aufteilens
torpedieren
die
Akkumulation. Die Solidarität untereinander verhindert, daß eine Familie das
Startkapital für ein Unternehmen anhäufen kann. 66
66 Die ersten partnerschaftlich konzipierten Reintegrationsprojekte entstanden 1992/93 aus
kirchlichen Kreisen der Neuen Bundesländer. In Ostdeutschland waren die Folgen des
Deportationsvertrags am deutlichsten zu spüren, außerdem gab es dort aus DDR-Zeiten
engagierte Rumänienexperten. Vom 1.-3.6.93 führte der Arbeitskreis gegen Fremdenfeindlichkeit
in den neuen Bundesländern in Machern bei Leipzig eine deutsch-rumänische Roma-Fachtagung
durch, unter dem Thema: "Arbeit - Perspektiven für die Roma-Bevölkerung Rumänens als
57
In unseren Gesprächen wird klar, wohin die Reise ab kommenden Herbst gehen
wird - nach Deutschland. Inzwischen kennen sie sich aus, kennen die Wege und
fragen nach dem Risiko des Überlebens in Deutschland. Das Schengener
Abkommen ist ihnen wohlbekannt. Für sie stellt es eine Bedrohung dar, doch sie
haben keine Alternative zum abermaligen Aufbruch, auch wenn sie wissen, daß sie
bereits auf der Reise als Illegale gelten. Die jüngeren Kinder wurden bereits in
Deutschland geboren, manche erst nach der Abschiebung. Die künftigen BRDRückkehrerInnen empfinden es als ihr gutes Recht, dorthin zu gehen, wo sie
überleben können. Zwar bietet sich ihnen in Deutschland nur Schwarzarbeit,
Baracken oder die Enge bei Freunden, doch die Abschottung der Grenzen werden
sie nicht akzeptieren, denn die bedeutet für sie: Plackerei, Ausbeutung und
Abschiebung - in die Ziegelgruben von Timiºoara.
Exkurs: Jagdszenen aus Lyon:
Eine Person in den Lehmgruben in Timiºoara berichtete folgendes: Er sei vor
wenigen Tagen aus der Bundesrepublik abgeschoben worden. Weil er völlig mittellos
war, sei er vom Flughafen Bukarest hierher zur Ziegelproduktion nach Timiºoara
gefahren. Seine Geschichte wirft ein Licht auf die Abschottung der EU: Er war nach
einem Aufenthalt in Ostdeutschland 1992/93 schon einmal abgeschoben worden.
Danach habe er mit einer großen Gruppe aus Craiova versucht, nach Frankreich zu
gelangen. Im März 1995 seien sie in Paris angekommen. Weil sie keine
Meldeadresse in der Stadt hatten, wurde ihnen die Abgabe eines Asylgesuchs
verweigert. Sie gelangten schließlich nach Lyon, wo sich eine Gruppe von
Obdachlosen und UnterstützerInnen ihrer annahm. Sie besetzten gemeinsam ein
Haus und machten in der Innenstadt eine Zeltaktion. Am 27.3.95, einen Tag nach
Inkrafttreten des Schengener Abkommens, reichten sie Asylanträge ein. Als nach der
Eingabe ihrer Angaben in Datengeräte des SIS - Schengener Informationssystem ersichtlich wurde, daß in der BRD bereits vor Jahren ein Asylantrag abgelehnt wurde,
ordnete die Behörde in Lyon die Abschiebung an. Ein Gericht stoppte die
Abschiebung jedoch. Man könne ja nicht wissen, so der Richter, auf welcher
transnationale Aufgabe." Soweit auf den Recherche-Reisen der FFM zu erfahren war, sind die
meisten damals initierten unternehmerisch angelegten Reintegrationsprojekte an den
beschriebenen gesellschaftlichen Strukturen der Roma-Gruppen gescheitert.
58
Datenbasis die damalige Entscheidung gefällt worden sei und ob es neue
Fluchtgründe gebe. Er habe Lyon aber verlassen, weil er die rassistische Hetze in
der Stadt nicht mehr ausgehalten haben. Tatsächlich wird in französischen
Großstädten seit Monaten gegen französische Bettler, Obdachlose und rumänische
Roma Stimmung gemacht, die in Gewaltaktionen umzuschlagen droht. So sei er
nach Deutschland aufgebrochen, sei aber nach zwei Wochen verhaftet worden und
nach drei Tagen Abschiebehaft in Bukarest gelandet.
Ein Austausch mit Unterstützergruppen in Lyon ergab, daß tatsächlich im Laufe
des Jahres 1995 rund 2.500 Roma aus Craiova nach Lyon gelangt sind. Ungefähr
300 Personen haben dann Asylanträge gestellt. Manche von ihnen verfügen über
Migrationserfahrung in der BRD. Daher wird sich die Kampagne gegen die Armen in
den französischen Großstädten möglicherweise zu einem Tauziehen um die
Durchsetzbarkeit des Schengener Abkommens erweisen. Denn zu den üblichen
sechs Monaten Antrags-Wartezeit kommen dort nun drei Monate hinzu, in denen
gegenüber der BRD Rückübernahme-Anträge gestellt und diese überprüft werden.
Mehrere Dutzend Roma aus Lyon hat die französische Regierung bereits nach
Rumänien abgeschoben, aber die wahre Auseinandersetzung findet vorher auf der
Straße statt. Höhepunkt war bisher der 16.6.95. Die Polizisten der Stadt erhielten via
Polizeifunk den Befehl: "Nehmen Sie jeden fest, der wie ein Rumäne aussieht!" Mit
Blaulicht begann eine beispiellose Hetzjagd. Vor allem Frauen und Kinder wurden
festgenommen. Es heißt, viele Roma seien inzwischen untergetaucht und nach
Süden weitergewandert.67
Vor der Ausweisung - AlbanerInnen im Flüchtlingslager:
Bukarest, Strada Tudor Gociu 26 A. Kein Stadtplan führt hierhin. Die Adresse
befindet sich an der Peripherie, im Süden der Stadt. Im Flüchtlingshaus warten
AlbanerInnen auf ihre Ausweisung und " Repatriierung".
Die Regierung verwaltet das Heim. Es wurde für die Ärmsten unter den
AsylantragstellerInnen
eingerichtet.
Zur
Zeit
leben
dort
41
Somalier,
20
67 siehe ALPIL, CIMADE, CRARDDA, En visite ches les Roms de Roumanie, Lyon 1995; Le Monde
17.6.95, 17.9.95, 20.9.95; Le Monde Diplomatique, Juni 95, S. 25
59
AlbanerInnen, mehrere Personen aus dem Irak, dem Iran, aus Afghanistan und
Albanien sowie zwei oder drei Personen aus Ex-Jugoslawien, insgesamt 110
Personen. Die Plattenbauten der Großstadtsiedlung haben fünf bis acht Stockwerke,
die Straßen sind nicht asphaltiert und unter Regengüssen aufgeweicht. Im Haus
schräg gegenüber fehlen alle Fensterscheiben. Hohe Bretterzäune grenzen
nahegelegene Gärten ab. Zu der ªoseaua Giurgiului, der Ausfallstraße aus Bukarest
Richtung Bulgarien, sind es nur ein paar hundert Meter. Am Rand der mehrspurig
ausgebauten Straße pulsiert das Großstadtleben. Auf dem großen Markt an der
Kreuzung arbeiten die albanischen Heimbewohnerinnen. Beim Verkauf ihrer Waren
sind sie ständig von Razzien bedroht. Eine Frau berichtet: 68
"1991 sind wir aus Albanien nach Rumänien gekommen. Wir sind dort entwischt,
um ein normales Leben zu finden. Aber hier sind wir auf Schwierigkeiten gestoßen.
Alle Albaner haben damals eine Protestaktion gemacht, weil wir nicht weiter wußten.
[Faktisch waren sie seitdem illegal im Land.] Zwar versicherte uns Frau Moro aus
Genf [UNHCR oder IOM] nach einer Anhörung, daß wir als Flüchtlinge anerkannt
würden, aber wir haben nichts erreicht. Es blieb bei leeren Versprechungen. Nichts
ist uns geblieben, 1992 haben sie alle uns versprochenen Rechte entzogen. Wir
bekamen kein Essen und keine Hilfe mehr. Nichts. Bis 1995 haben wir überhaupt
keine Unterstützung bekommen. Und jetzt sind wir so weit, daß wir abreisen müssen.
Das Gepäck haben wir schon gepackt. Denn die rumänische Regierung hat uns
gesagt: 'Gehen Sie sofort weg von hier! Wir brauchen keine Flüchtlinge! In Albanien
gibt es Demokratie'. Wir wissen, es gibt Demokratie, aber wir haben keine Wohnung,
kein Geld und kein Recht zu arbeiten. Es gibt zwar Demokratie, aber sonst nichts.
Und die rumänische Regierung schickt uns jetzt nach fünf Jahren zurück, mit Bussen
aus Genf [von der IOM]. Sie gaben uns nur eine Woche Zeit zur Vorbereitung.
Unsere Kinder durften die ganzen Jahre nicht zur Schule gehen. Mein Mädchen ist
achtzehn. Sie ist seit vier Jahren hier. Welche Hoffnungen soll ich für sie hegen? Die
Kinder sprechen kein Albanisch mehr. [Die interviewten Personen gehören zur
griechischen Minderheit.] Nach fünf Jahren in Rumänien können sie nicht lesen und
schreiben. Ich kann nicht nach Albanien fahren.
Wir sehnen uns nach unserer Heimat. Jeder sehnt sich danach, nach der Gegend.
Albanien gefällt uns. Es würde uns gefallen, wenn wir die Möglichkeit hätten, eine
68 Interview der FFM vom 22.3.95
60
Wohnung, eine Arbeit zu finden. Aber in Albanien sind alle Fabriken zerstört. Die
rumänische Regierung sagt: ´Das interessiert uns nicht. Wir haben auch
Arbeitslosigkeit und all diese Probleme'. Aber ich möchte nichts von der Regierung,
sondern Menschenrechte, Demokratie. Aber du kannst das nicht erleben, du hast ja
nichts. Ich habe hier in Rumänien gelebt, fünf Jahre, in Demokratie. Fünf Jahre
haben sie uns noch nicht einmal Essen gegeben. Vom Recht auf Arbeit ganz zu
schweigen. Die Polizei hat meine Waren beschlagnahmt, als ich schwarz auf dem
Markt verkaufte. Deshalb hatte ich bei einer rumänischen Person 600.000 Lei
Schulden.
Die Polizei sieht uns hier nur mit einem Auge, nicht mit zwei. Herr Atanasiu [Leiter
des Technischen Sekretariats des Rumänischen Komitees für Migrationsprobleme die für MigrantInnen und Flüchtlinge verantwortliche Stelle] hat mich einmal
geschlagen. Ja, er hat mir mit seinen Händen an den Hals gelangt. Welche Hoffnung,
wenn Herr Atanasiu kommt, doch er schlägt uns. Er sagt: ´Was sucht ihr noch hier?
Geht zurück nach Albanien, in euer Land! Was macht ihr noch hier. Das habe ich
euch schon seit zweieinhalb Jahren gesagt.´ Er brüllt uns an und sagt häßliche Worte
zu uns. Er will uns nicht sehen.
In Albanien war ich oft krank. Auch jetzt habe ich wieder Probleme mit der
Gesundheit. Ich kann nicht schlafen, bin nervös. Ich kann nichts machen für mein
Leben und das meiner Tochter. Wenn wir die Möglichkeit dazu hätten, von Albanien
wieder wegzugehen, wohin könnten wir dann noch gehen: Wir gehen sozusagen ins
Gefängnis. Wir können von dort nicht ohne Visum wegfahren, wir haben kein Geld,
keine Wohnung, wir haben nichts." - "Wer bringt Sie in nach Albanien?" - "Die von
der UNO aus Genf, die von der IOM, Frau Stephan, die bringen uns zurück. Der
Autobus kommt von der IOM, der LKW von der rumänischen Regierung."
Vor zwei Wochen, fügt sie hinzu, habe in dem Flüchtlingsheim bereits eine Razzia
der Grenzpolizei stattgefunden. Frühmorgens seien alle Bewohner aus dem Schlaf
geholt worden. Die AlbanerInnen seien herausgefischt worden. Man wolle wohl alle
registrieren - um ein späteres Untertauchen zu erschweren.
Die IOM hat bereits Erfahrung mit der sog. "freiwilligen Repatriierung" von
AlbanerInnen. Bereits 1993 wurden mit ihrer Hilfe 74 Personen zurücktransportiert. 69
Nach Auskunft von Frau Stephan, der IOM-Mitarbeiterin, wird gerade ein
69 IOM, profiles, S. 29
61
umfangreicheres
Rückkehrprogramm
für
Asylbewerber
vorbereitet,
deren
Fluchtgründe als inzwischen überholt gelten. In einem Bericht der IOM von 1994
werden die Erfahrungen mit "freiwilligen Rückführungen" wie folgt beschrieben:
"Sechzehn geschleuste Migranten sind im Sommer [1994] aus Rumänien nach Sri
Lanka und Bangladesch nach Haus zurückgekehrt. Die Migranten gaben an, daß sie
auf dem Weg nach Italien und Deutschland waren, als sie von ihren Schleusern
verlassen in Rumänien strandeten. Die Rückkehr mit Mitteln der Schweizer
Regierung wurde von der IOM organisiert, nachdem die Migranten in dem Bukarester
Büro der Organisation im Februar um Hilfe nachgesucht hatten.” 70
Frau Stephan erklärt, daß die AlbanerInnen bei ihrer Repatriierung sechs bis
sieben Tonnen Gepäck mitnehmen dürften. Sie betont den Unterschied zur
Abschiebepraxis der Bundesrepublik Deutschland. Ihr lägen Berichte vor, wonach
Abgeschobene morgens um sechs aus den Betten geholt worden wären und keine
Zeit gehabt hätten, ihre Wohnung aufzulösen und ihre Verhältnisse - Autobesitz,
Konto - zu ordnen. Gegen solche Unmenschlichkeiten grenzte sie sich nachdrücklich
ab.
In die Illegalität gedrängt - Somalier in Bukarest:
Im gleichen Haus wohnen etwa vierzig Somalier, zum Teil ehemalige Studenten,
deren Visa ausgelaufen sind und die aufgrund der politischen Situation in Somalia
nicht zurückkönnen, zum Teil Flüchtlinge, die später dazugekommen sind, auch sie
in einer bestürzenden Situation. Aus Protest gegen ihre Lebensbedingungen hatten
die Somalis im Januar 1991 für kurze Zeit das UNDP-Gebäude in Bukarest besetzt,
in dem ein UNHCR-Vertreter gerade seine Arbeit aufgenommen hatte. Die
rumänische
Regierung
sagte
den
Protestierenden
daraufhin
eine
kleine
Sozialunterstützung zu. Nach einer Mitteilung des Komitees für Migrationsprobleme
sollten sie nun - genau vier Jahre später - bis zum 31. März 95 - das Lager
verlassen. Danach würden sie kein Essen und keine Sozialunterstützung mehr
erhalten. Monatlich bekamen sie bis dahin 4.000 Lei, umgerechnet drei Mark. Außer
62
den AlbanerInnen erhalten die Flüchtlinge in der Strada Gociu täglich eine einfache
Lebensmittelration und die genannte Sozialunterstützung. Die gelegentlichen
Leistungen des UNHCR - zwei zusätzliche Essensrationen pro Monat sowie
Shampoo und Seife, und einmal im Jahr Kleidung (Jacke und Hose) - würden sie
ebenfalls verlieren. Aus den Versprechungen des Bukarester UNHCR-Büros,
Wohnungen für sie zu beschaffen und ihnen Zwei- bis Dreimonatsjobs vermitteln,
war bislang auch nichts geworden. So sind die Somalier von Obdachlosigkeit
bedroht. Im besten Fall müssen sie sich mit vielen ein gemietetes Zimmer teilen. Sie
befürchten zudem, daß sie sich in anderen Stadtteilen nicht gegen rassistische
Angriffe wehren können. Selbst in der Strada Gociu würden sie nach Einbruch der
Dunkelheit mit Flaschen aus den umliegenden Häusern beworfen. Manchmal mache
die Polizei Razzien und zähle alle Somalier im Lager. Die Polizei sei mehrfach
gekommen um nachzuprüfen, ob jemand fehle. Denn es seien bereits mehrere
nichtidentifizierte Schwarze in der Stadt erschlagen worden.
Ihr Aufenthalt ist vollkommen ungesichert. Sie sind lediglich mit einem Papier
ausgestattet, das sie als Asylbewerber ausweist. Diesen behelfsmäßigen Ausweis
über "Solicitant de Azil" müssen sie seit fünf Jahren alle 45 Tage verlängern lassen.
Das Papier, eine sogenannte "Legitimaþie Provisorie" des Innenministeriums, kenne
häufig nicht einmal die Polizei. Nur einer der Somalier verfügt über einen Reisepaß
entsprechend der Genfer Flüchtlingskonvention. Er konnte einen triftigen Grund für
eine Reise ins Ausland vorweisen, den die Behörden akzeptierten. In seinem Paß ist
allerdings vermerkt, daß der Inhaber nur Asylantragsteller ist. Der Paß habe 21.100
Lei, etwa 16 Mark, gekostet, werde aber von keiner Botschaft in Bukarest als gültiges
Reisepapier anerkannt.
Faktisch bedeutet der Rauswurf der Somalier aus dem Haus ihre forcierte
Illegalisierung. Sie werden die letzten Verbindungen auch zum UNHCR verlieren und
in der Schattenwirtschaft einen eigenen Einkommenszweig aufbauen müssen. Für
sie wird dies - so ihre Einschätzung - eine verschärfte Verteidigung gegen
gewaltsamen Rassismus bedeuten.
70 IOM, Trafficking in Migrants Nr. 4, 9/94
63
Razzien gegen Illegalisierte und Massenabschiebungen in
Bukarest:
Abschiebungen gehören auch in Rumänien zum Alltag. Ihnen gehen oft Razzien
voraus, Straßenkontrollen, Hausdurchsuchungen und Einsätze von Spezialeinheiten.
Aber zugleich gibt es eine Vielzahl von Schlupflöchern und ökonomischen Nischen,
ein Nebeneinander von Repression und sichtbarer Schattenwirtschaft, Verhältnisse,
die in der BRD unvorstellbar sind.
”Wohl für jede Nacht haben Gruppen illegaler asiatischer Migranten - Afghanen,
Chinesen, Inder, Kurden, Pakistani u.a. - Campingmöglichkeiten neben dem
Rumänischen Opernhaus in Bukarest gefunden; sie warten auf Führer, die ihnen bei
der Durchquerung Rumäniens und weiter behilflich sind”, schrieb am 24.8.94 die
Zeitung "Rumânia Liberã".
Das Bukarester UNHCR-Büro geht davon aus, daß sich in Rumänien mindestens
60.000 Flüchtlinge und MigrantInnen aufhalten, die akute Hilfe brauchen. Da aber
der UNHCR in Rumänien eine sehr zurückhaltende Position einnimmt, sind diese
Angaben mit Vorsicht zu betrachten. Offiziell zählen zu den mittellosen Ausländern
nur
3.000
Personen,
so
das
Technische
Sekretariat
des
Komitees
für
Migrationsprobleme der rumänische Regierung.
"Nach offiziellen Quellen befinden sich insgesamt 42.000 Transitmigranten im
Lande. Diese Zahl bezieht sich auf das sichtbare Kontingent illegaler Migranten,
namentlich auf die derzeit Verhafteten, und auf diejenigen, die in offiziellen Registern
in der einen oder anderen Form erfaßt sind. Demnach leben laut Bukarester
Polizeibüro 20.000 illegale Migranten in der Hauptstadt und ungefähr 10.000 verteilt
auf das ganze Land (d.h. zusammen 30.000). Zu diesen 30.000 kann man die neuen
Zahlen der Grenzpolizei hinzunehmen, nach der 12.000 Ausländer mit Wohnsitz in
Rumänien in illegaler Situation seit Beginn des Jahres aufgegriffen wurden (d.h. ihr
legal erworbenes Visum ist abgelaufen). [...] Anzumerken ist, daß die genannten
42.000 nicht die irregulären Migranten umfassen, denen an der Grenze die Einreise
verweigert wird. So wurden in den ersten zehn Monaten des Jahres 1993 mehr als
15.000 Ausländer wegen illegalen Überschreitens der rumänischen Grenze verhaftet
64
und den Grenzbehörden der jeweiligen Länder übergeben, namentlich Moldawien,
Bulgarien und Ungarn. Unter den Verhafteten waren Sri-Lankaner, Pakistanis und
Chinesen stärker vertreten als alle anderen. Generell ist anzunehmen, daß
schließlich weitere 15.000 illegale Einreisen nicht verhindert wurden. Wenn man auf
die geschätzten 15.000 illegal Eingereisten die 42.000 genannten Personen
hinzuaddiert, von denen wir ausgegangen sind, kommen wir leicht in die Nähe von
60.000. Man kann sich auch den gängigen Satz in Erinnerung rufen, den informell
wohl
alle
rumänischen
Behörden
immer
wieder
sagen,
die
mit
Migrationsangelegenheiten zu tun haben, daß ´man hinter jedem regulären oder
sichtbaren Ausländer sicherlich zehn illegale, ´unsichtbare´ Migranten vermuten
kann.´ - Zusammenfassend lassen die obengenannten Zahlen und Schätzungen
erahnen, daß man mit der Annahme von 60.000 oder 80.000 anwesenden illegalen
Immigranten die Sache wirklich nicht dramatisiert, wie manche Stimmen in der
Debatte über illegale Migration in Rumänien nahelegen", 71 rechnet die IOM vor.
Als häufigste Herkunftsländer von illegalen MigrantInnen, die in den ersten 10
Monaten 1993 von der Grenzpolizei aufgegriffen wurden, sind aufgeführt (mit der
Anzahl der festgenommenen Personen): 72
1. Sri Lanka
2.656
2. Syrien
1.520
3. Iran
1.471
4. China
1.309
5. Jordanien
1.068
6. Bangladesh
992
7. Irak
990
8. Pakistan
910
"Durchschnittlich wird zu jeder Zeit gegen 150 illegale Ausländer in Bukarest
kriminalpolizeilich ermittelt. Täglich werden ungefähr 50 verhaftet." 73 Was erwartet
die Festgenommenen? Helsinki Watch untersuchte 1992/93 die Bedingungen im
71 IOM, Transit Migr. in Romania, S. 8 f.
72 IOM, Transitmigr. in Romania, S. 8
73 IOM, Profiles, S. 24
65
rumänischen Polizeigewahrsam. 74 Offiziell gibt es dort demnach 15.140 Betten, die
fast voll belegt sein sollen. Laut Gesetz kann die Polizei einen Verdächtigen bis zu
24 Stunden lang für eine Befragung festhalten. Danach ist ein richterlicher Haftbefehl
nötig. Viele Personen werden aber drei bis fünf Monate lang festgehalten. Manche
saßen beim Besuch der Delegation von Helsinki Watch sogar seit sieben oder acht
Monaten in Polizeihaft. Außerdem wurde über einen Mangel an frischer Luft und
mangelnde Hygiene berichtet. Es gab keine Seife, Handtücher, Zahnbürsten oder
andere
Toilettenartikel.
Bei
den
Gefangenen
wurden
Atemschwierigkeiten,
Hautausschläge und Tuberkulose diagnostiziert. Alle Häftlinge, die Helsinki Watch
befragen konnte - insgesamt über achtzig Personen - waren geschlagen worden.
"Nach den Berichten von Menschenrechtsanwälten und Inhaftierten passierten die
systematischen und brutalsten Mißhandlungen von Verhafteten unmittelbar nach
ihrer
Festnahme
auf
den
Polizeistationen.
[...]
Körperliche
Brutalität,
das
Kennzeichen des strafrechtlichen Systems unter Ceauºescu, hat im Wesentlichen in
den Arresten abgenommen, setzt sich aber praktisch unverändert während
polizeilicher Verhöre fort. [...] Ketten, Fußfesseln aus Eisen und Isolierrräume werden
weiterhin als Strafe in manchen Arresten gebraucht. [...] Weitaus schmerzhafter für
viele Insassen ist die fast vollständige Isolation von Familie, Freunden und der
Außenwelt. Radios sind verboten, Zeitungen und laufende Lesematerialien häufig
nicht erhältlich und Besuche vollständig abhängig von dem guten Willen des
Staatsanwaltes oder der Polizeibeamten. Vielen Insassen wurden Besuche bis zum
Abschluß der Strafuntersuchung verweigert, welche mehrere Monate dauern kann."
Viele der Verhafteten hätten während der Untersuchungshaft nie einen Anwalt
gesehen. Inhaftierte im Polizeigewahrsam haben in der Regel nie Hofgang oder
Umschluß. Ein Report von amnesty international vom Mai 199575 stellt fest, daß sich
diese Bedingungen im wesentlichen nicht geändert haben.
Wer Geld hat, ist in Bukarest zu hören, findet aber auch Auswege: "Illegale
müssen [der Polizei] lediglich eine bescheidene Summe zahlen, um ihre Visa
74 Helsinki Watch, Lockups in Romania, New York, Washington, 1993. dt.: Arrestgefängnisse in
Rumänien, o.D., S. 1-11
75 amnesty international, Romania. Broken commitments to human rights. Mai 1995. AI Index: EUR
39/01/95. (dt: Leere Versprechungen. Bericht zur Lage der Menschenrechte in Rumänien)
66
verlängert zu bekommen. Abschiebebefehle werden gegen Ausländer verhängt, die
die rumänische Grenze illegal überquert haben oder in kriminelle Aktivitäten
verwickelt sind. Polizeikontrollen, die sonst eigentlich regulär und effizient verlaufen,
enden hierbei häufig nicht mit Inhaftierung, da nicht genügend Gefängnisraum
vorhanden und das Budget begrenzt ist. Erzwungene Repatriierung wird von lokalen
Behörden nicht gerne vorgenommen, da solche Operationen recht teuer sind. Die
Repatriierung von 130 indischen und sri-lankanischen illegalen Migranten im April
1993 hat gezeigt, daß das derzeit für Rumänien eine nicht zu leistende Last ist." 76
Dieser Bericht bezieht sich auf die erste Massenabschiebung in Rumänien im
März 1993. Nachdem bekannt wurde, daß die Abschiebung von 123 sogenannten
Illegalen aus Sri Lanka und Indien von der Festnahme bis zum Abflug vom Flughafen
Otopeni eine reine Polizeiaktion unter Anleitung des Innenministeriums gewesen war,
bei der die Abgeschobenen nicht die minimalsten Chancen auf Asyl oder
Beschwerde hatten, gab es unerwartet große Proteste in der rumänischen
Öffentlichkeit. 77
Bei der nächsten großen Massenabschiebung wurden am 17.2.94 92 Tamilen,
darunter sieben Frauen und ein Kind, mit dem Flug TAROM-RO 1101 direkt nach
Colombo ausgeflogen. Bei der Ankunft in Sri Lanka wurden viele verhaftet. Da diese
Aktion einen stark militärischen Charakter hatte, sickerten die genauen Umstände
und rechtlichen Aspekte erst allmählich durch. In einem Hintergrundartikel berichtete
Andrei Anticã in der angesehenen Tageszeitung "Rumânia Liberã" am 23.7.94 von
der Beteiligung deutscher Botschaftsangehöriger an dieser Operation. Sie hätten die
diplomatischen Kontakte nach Colombo hergestellt. Die UNHCR-Vertreterin, die sich
zum Flughafen begeben hatte, hätte nichts ausrichten können.
Im einzelnen ergab sich demnach folgendes Bild: Am 10.2.94 waren in einem
Wohnheim 92 Personen aus Sri Lanka, darunter sieben Frauen und ein Kind, zum
Teil mit gültigen Einreisevisa oder nachdem sie einen Antrag auf politisches Asyl bei
der zuständigen rumänischen Stelle beziehungsweise beim UNHCR gestellt hatten,
festgenommen worden. Mitarbeiter des Innenministeriums in Zivil brachten sie in das
Bukarester Immigrationsbüro in der Nicolae Iorga Straße. In dem Gebäude befindet
sich außerdem die Zentrale des Grenzschutzes und der Paßpolizei. Hier werden die
76 IOM, Profiles, S. 23
77 Keno Verseck, TAZ, 3.3.93
67
Abschiebungen aus der Bundesrepublik von rumänischer Seite koordiniert (siehe
oben). In diesem Haus wurden die Verhafteten mehrere Tage festgehalten. Obwohl
die Temperatur nachts auf minus 18 Grad sank, wurde die Heizung nur für zwei, drei
Stunden angestellt. Für die 92 Menschen gab es 50 Betten. Die wachhabenden
Soldaten erniedrigten die Gefangenen. Auf Nachfragen hieß es lapidar, daß alles auf
direkten Befehl von Präsident Iliescu erfolge. Die Flüchtlinge hatten keine
Möglichkeit, mit einer offiziellen Stelle zu sprechen, ein Gericht anzurufen oder den
UN-Flüchtlingskommissar zu sprechen. Die Gefangenen begannen daraufhin einen
Hungerstreik. Nach drei Tagen wurden sie mitten in der Nacht mit gelöschten
Scheinwerfern auf einen Militärstützpunkt in der Nähe von Giurgiu an der Grenze zu
Bulgarien gefahren. Am 17.2.94 wurde ihnen um vier Uhr morgens mitgeteilt,
Präsident Iliescu hätte ihren Antrag auf Asyl unterschrieben, und sie würden nach
Bukarest gebracht. Die Busse erreichten gegen sechs Uhr den Flughafen Otopeni,
wo noch mehr Personal aus dem Zentralbüro der Nicolae Iorga Strada war. Es wurde
ihnen gesagt, daß der Flug nach Dakka ginge. Tatsächlich wurden sie über Dubai
und Dakka nach Colombo geflogen.
Am Flughafen war, so hieß es in diesem detaillierten Zeitungsbericht, ein deutscher
Diplomat zugegen. Er hat demnach dann das Abschiebe-Flugzeug bestiegen und ist
mitgeflogen. Die UN-Flüchtlingskommissarin, Egberta Greve, bekam keine
Möglichkeit, mit den Flüchtlingen Kontakt aufzunehmen. Sie wurde von den
rumänischen Beamten über das, was passierte, regelrecht angelogen. Die Behörden
in Sri Lanka waren von der Abschiebeaktion nicht in Kenntnis gesetzt worden und
lehnten eine Einreise der Flüchtlinge zunächst ab. Erst nachdem sich die deutsche
Botschaft in Colombo eingeschaltet hatte, konnten die Abgeschobenen einreisen.
Einige wurden sofort verhaftet.
Investitionen von MigrantInnen
Weil die Löhne auf dem rumänischen Schwarzmarkt - im Unterschied zu Polen
oder der Tschechischen Republik - so niedrig sind, daß sie nicht einmal für das
Notwendigste reichen, bietet das Land auf den ersten Blick äußerst ungünstige
Bedingungen für die Transitmigration. Trotzdem halten sich in Rumänien viele
68
tausend Flüchtlinge auf, manche für Monate, manche für Jahre, bis sie einen Weg
nach Westeuropa gefunden haben.
Die Gründe sind vielschichtig: Erstens ist es in Rumänien relativ einfach, unter der
Hand eine Wohnung zu finden. Schließlich sind viele rumänische Familien dringend
darauf angewiesen, ein Zimmer oder eine Wohnungen zu vermieten. Zweitens hat
die Sonderstellung Rumäniens innerhalb des RGW zur Folge, daß sich dort seit
Jahrzehnten TürkInnen, AraberInnen und andere EmigrantInnen aufhalten, an deren
Kontakte auch Neuankommende anknüpfen können. Aufgrund der großen
wirtschaftlichen
Probleme
duldet
die
rumänische
Regierung
einen
Sektor
ausländischer Kleinstunternehmen, die in der Schattenwirtschaft arbeiten.
So kann Rumänien im Bereich kleiner und mittlerer Betriebe unter allen
osteuropäischen Ländern die größte Zahl ausländischer Unternehmen vorweisen. Im
Vergleich zu Ungarn oder der Tschechischen Republik ist der Umfang der
Auslandsinvestitionen in Rumänien insgesamt aber sehr gering. Die ausländischen
Direktinvestitionen in Rumänien beziffern sich in den Jahren 1990-93 auf:
Investitionen
in Mio US $
Anzahl der
Unternehmen
US $ pro
Unternehmen
1990
107,7
1.529
70.438
1991
156,3
6.368
24.545
1992
269,1
12.780
21.056
1993
227,4
8.457
26.889
Mitarbeiter der Rumänischen Entwicklungsagentur ARD unterscheiden zwischen
"seriösen" Investoren aus dem Westen - die ausbleiben - und "Bischnitzari" - den
"Geschäftemachern" aus den Emigrationsländern. Die Medien greifen je nach
politischer Konjunktur diese rassistische Unterscheidung auf und nutzen sie für
Kampagnen gegen "die Araber" oder "die Türken". Für die Versorgung der Städte mit
Kleinwaren sind diese Unternehmen jedoch unerläßlich, denn sie besorgen den
Import von elektrischen und elektronischen Kleinteilen, Süßwaren und Textilien. Auch
in der Gastronomie sind sie aus Bukarest nicht mehr wegzudenken, die Schawarmaund Kebabimbisse oder die chinesische Küche. Nach Herkunftsländern schlüsseln
sich diese ausländischen Kleinunternehmen wie folgt auf:
69
Investoren aus Emigrationsländern (Investitionsangaben in tausend US $)78
Anzahl
Herkunftsla
durchschnit Gesamtinvest.
Betriebe nd
tl.
8
Investition
627,79
78,47
679,34
14,15
7.513,17
5,88
31,36
5,22
64,76
2.493 Bangladesch
4,98
9.887,56
1.558 Syrien
3,96
4.180,78
856 Jordanien
2,68
2.074,61
963 Iran
2,42
1.917,59
1.091 Irak
1,99
1.823,84
23 China
1,67
36,29
14 Zaire
1,57
21,78
11 Somalia
1,55
12,34
109 Sri-Lanka
1,12
120,27
25 Pakistan
1,10
22,92
9 Nigeria
0,91
3,31
16 Angola
0,66
10,55
9 Vietnam
0,65
1,37
Albanien
0,15
48 Philippinen
1.277 Indien
6 Libanon
13 Afghanistan
Nach 1990 reichten in Rumänien wenige hundert Dollar, um ein ausländisches
Unternehmen zu gründen. Mit dem Ausländerinvestitionsgesetz vom August 1993
sollte diese Mindestsumme aufgestockt werden. Wer aber auf die - je nach Branche
zwei- bis fünfjährige - Steuerfreiheit verzichtet, benötigt die vorgeschriebenen 10.000
US-Dollar Startkapital nicht, sondern nur 330 US $ im Handel, 500 US $ im
Dienstleistungsgewerbe
und
1.000
US
$
in
der
Industrie.
Nennenswerte
Steuerabgaben sind bei diesen Kleinunternehmen ohnehin nicht zu erwarten. Die
IOM weist denn auch darauf hin, daß die "Verbindung von Gesetzeslücken und einer
überaus liberalen Politik" eine Basis darstellt, auf der Migrationswege aufgebaut
78 Rumänische Entwicklungsagentur, zit. n. IOM, Profiles, S. 21
70
werden können, denn die Schaffung von Arbeitsplätzen werde zusätzlich mit
Steuerermäßigungen honoriert.
"So ist es möglich, daß ein pakistanischer oder chinesischer Betrieb fünfzig
Arbeitsstellen oder mehr einrichtet und darangeht, ausschließlich pakistanische oder
chinesische Arbeitskraft zu importieren. Unter Ausnutzung der großzügigen
Steuerbefreiungsklauseln wird hiermit ungewollterweise oder unnötigerweise zu
Immigration ermutigt." 79
Die Voraussetzungen für den Erhalt einer Arbeitserlaubnis sind minimal. Der
Unternehmer
stellt
den
Antrag
auf
der
Grundlage
zukünftiger
Beschäftigungsverhältnisse. Trotz dieser einfachen Prozeduren haben sich nach
Schätzungen des zuständigen Arbeitsbüros nur zehn Prozent der arbeitenden
MigrantInnen registrieren lassen. Als die Gebühren für die Arbeitserlaubnis vor zwei
Jahren von 25 auf 200 US $ angehoben wurden, gingen die Anträge drastisch
zurück. Wer einmal registriert ist, muß sich halbjährlich wieder melden.
Das Jahr 1992, als die Migration nach Westeuropa ihren Höhepunkt erreichte, war
das
Jahr
der
EmigrantInnen-Investitionen.
Die
Anzahl
der
ausländischen
Unternehmen in Rumänien stieg so stark an wie nie zuvor. Gleichzeitig sanken die
Investitionen pro Unternehmen auf durchschnittlich 21.000 US-Dollar. Das Jahr 1994
brachte mit 650 Millionen US-Dollar Auslandsinvestitionen80 einen gewissen
Umschwung. Fünfzig Prozent der Auslandsinvestitionen des Jahres 1994 entfielen
auf den koreanischen Konzern Daewoo. Das Unternehmen kaufte sich in die
Automobilproduktion in Craiova ein und optierte auf die Werftindustrie des Landes.81
79 IOM, Profiles, S. 20
80 Auslandsinvestitionen in Rumänien 1990 -1994
Land
Mio US $
Südkorea
156,0
USA
111,5
BRD
107,5
Italien
97,4
Frankreich
66,5
NL
66,5
Kanada
62,6
(geringere Auslandsinvestitionen aus anderen Ländern: ca. 570 Mio US $)
SUMME
1,25 Mrd. US $
81 Der Autokonzern Daewoo kaufte im November 1994 für 156 Mio Dollar eine 51% Beteiligung am
zweitgrößten rumänischen Automobilproduzenten Oltcit und stieg damit zum größten
Einzelinvestor Rumäniens auf. Bei Oltcit will der Konzern 875 Mio Dollar investieren. 60% der dort
produzierten Autos sollen dann nach Westeuropa. Außerdem hat Daewoo eine 51% Beteiligung an
71
Von den neoliberalen Schocktherapien blieb Rumänien bis jetzt verschont, auch
die Privatisierung geht nur stockend voran, die alte politische Klasse blieb faktisch
am Ruder. Es besteht ein wirtschaftspolitischer Status Quo, in der auch die
Schattenwirtschaft der MigrantInnen erhalten bleibt. Die Auslandsinvestitionen aus
dem Westen waren alles in allem auch nach 1993 bescheiden. - Schätzungen
sprechen von 1,5 Milliarden Dollar, die der Westen seit 1993 jährlich nach Rumänien
pumpt, "damit dort die Industrie eingestampft werden kann, ohne daß es zu einer
sozialen Explosion kommt. [...] Es ist ein gesellschaftliches Patt entstanden. Ein vom
Westen alimentiertes Patt." 82
Es ist hier nicht der Ort, Grundsätzliches über die Blockaden der Verwertung in
den ost- und südosteuropäischen Übergangswirtschaften auszuführen. Aber für die
Ökonomie der Migration ist es durchaus von großer Bedeutung, daß sich neben dem
offiziellen Finanzsystem, begünstigt durch die angespannte Lage auf dem
Finanzmarkt, ein zweites, inoffizielles System etabliert hat, das in seiner Wirkung in
der einschlägigen Literatur als rumänische Finanzblockade bezeichnet wird. Ein
Großteil der Unternehmen zahlt die aufgenommenen Kredite seit Jahren einfach
nicht zurück und bringt damit die Banken in eine prekäre Lage. "Der parallele
Geldmarkt", weiß der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der rumänischen
Zentralbank Razvan Temesan, "hat sich schon viel zu stark gemacht, als daß er
allein durch ein Vorgehen der Zentralbank geschwächt werden könnte." In anderen
Ländern werde ein solches Geschäftsgebaren gerichtlich verfolgt und gegebenenfalls
bestraft. Aber: "Die meisten Unternehmen sind verschuldet, in vielen Fällen auch
untereinander. Wer also gegen die anderen nichts unternimmt, bekommt auch von
deren Seite keine Probleme." Ein Großteil der rumänischen Wirtschaft sei in diesen
Kreislauf verwickelt. Das Problem könne nicht in kurzer Zeit behoben werden.
35 Prozent des Bruttosozialprodukts werden inzwischen privat erwirtschaftet.83
Ein Drittel des neuen Privatsektors stellen Klein- und Familienbetriebe, die "sich in
undurchsichtigen und schwer kontrollierbaren Marktsegmenten bewegen und nur
schwer zur Aufgabe ihrer Gewohnheiten zu bewegen sind", so die Kritik des
einer der größten rumänischen Werften, der ´2. Mai´ in Magalia, erworben, und z.Z. verhandelt der
Konzern mit dem Stahl- und Hüttenkombinat Galaþi über eine Beteiligung.
82 Viorel Roman, jW 15.12.94
83 FR 31.5.95
72
Consulting-Managers George Constantin Paunescu. 84 In den großen und mittleren
Privatbetrieben
sei
die
marktwirtschaftliche
Unternehmensführung
dagegen
angeblich durchsetzbar. Auf lange Sicht bedeutet das Massenentlassungen.
Für den IWF gibt es in Rumänien noch mehr Probleme als die schleppende
Privatisierung der Großbetriebe. (Erst 15 Prozent der etwa 6.600 Staatsbetriebe, vor
allem die kleineren, statt der 1991 gesetzlich verankerten 70 Prozent sind bisher
privatisiert.)85 Der internationale Finanz- und Kapitalmarkt hat offenbar mit
denselben Menschen zu kämpfen, denen schon der IWF-Musterknabe Ceauºescu
vergeblich den Produktivismus beibringen wollte. So ist auch heute schon wieder die
Rede vom rumänischen Binnenmarkt als 'Haifischbecken' für Betriebe und
Investoren. Die Schatten- und Kleinwirtschaft der MigrantInnen in Rumänien ist
offensichtlich nicht der einzige Sektor, der sich nicht gänzlich von den sozialen
Realitäten und Erfordernissen freimachen kann.
Exkurs - die Geschichte der rumänischen
Wirtschaftsbeziehungen mit Ländern in den drei Kontinenten:
Für ein Verständnis der besonderen Beziehungen Rumäniens zu einigen
trikontinentalen
Ländern
ist
ein
Ausflug
in
die
Geschichte
der
Wirtschaftsbeziehungen zu diesen Staaten erhellend.
1989 ging ein wesentlich längerer Produktionszyklus zu Ende, als üblicherweise
angenommen wird. Im Grunde wurde eine Entwicklungsdiktatur begraben, die 1938
unter Carol II. nach den Mustern der Importsubstitution und der Abkoppelung vom
Weltmarkt errichtet wurde. Der Weg der geplanten Entwicklung nahm mit Abschluß
des deutsch-rumänischen Wirtschaftsvertrags im Frühjahr 1939 seine erste
entscheidende Etappe. Denn mit der Soja- und Kornproduktion für das Deutsche
Reich war die Vertreibung der Menschen aus der bäuerlichen Subsistenzproduktion
verbunden. Nach der erfolgreichen Niederschlagung des mit Nazideutschland
verbündeten rumänischen Faschismus sind - bei gesellschaftspolitsch ganz anderer
84 Besitzer der Aktiengesellschaft General Consulting and Procurements GCP, zitiert in Global
Review, FR 8/94
85 Keno Verseck, Wochenpost, 23.3.95
86 Feijtõ, François, Die Geschichte der Volksdemokratien, Bd. II, Frankfurt/M. 1988, S. 30 ff.
73
Ausrichtung - im Wirtschaftskurs gewisse Kontinuitäten feststellbar. Vor allem die SU,
die DDR und die ÈSSR wollten Rumänien zwar in der Rolle des Rohstoff- und
Agrarproduzenten halten, in der rumänischen Regierung konnte sich die
moskauorientierte Gruppe um Ana Pauker jedoch nicht durchsetzen; im Rahmen
einer antisemitischen Kampagne wurde sie in den 50er Jahren aus der Parteileitung
entfernt, die sich nun zunehmend einen nationalen Anstrich zulegte.86 So kam es in
den 50er Jahren zu einem Kurs des nationalen Kommunismus, angeführt von
Gheorghiu Dej. Während Dej damals in allen anderen osteuropäischen Ländern der
Prozeß
gemacht
worden
wäre,
verfolgte
die
rumänische
Regierung
das
eigenständige Ziel der schnellen Industrialisierung durch den Aufbau der
Schwerindustrie.
Seit den frühen 60er Jahren setzte die rumänische KP-Führung einen ökonomisch
und politisch unabhängigen Kurs durch, der sie in wesentlichen Fragen in
Widerspruch
zu
den
übrigen
RGW-Ländern
und
ihrem
Bestreben
nach
wirtschaftlicher Integration mittels länderspezifischer Spezialisierung setzte. 1972 trat
Rumänien als erstes RGW-Land dem IWF bei. 1975 erhielt das Land im Handel mit
den USA die Meistbegünstigungsklausel. Die Kredite aus dem Westen führten in der
Zeit zwischen 1960 und 1980 zu einem enormen Wirtschaftswachstum. Der Anteil
der in der Industrie Beschäftigten stieg in diesem Zeitraum von 20 auf 44 Prozent.
Rumänien erzielte die höchste Wachstumsrate im Bruttosozialprodukt im RGW. Aber
1972 begann auch für Rumänien die Wirtschaftskrise, die mit dem Schlagwort der
Ölkrise nur unzureichend gekennzeichnet wird. Das gesamte Industriemodell geriet wie in den kapitalistischen Ländern - ins Wanken. In dieser Situation wurden der
Nahe Osten als Ergänzungsraum für die rumänische Wirtschaft interessant.
Konnte Rumänien die Ölkrise von 1974 zunächst mit der eigenen Ölproduktion
auffangen, zogen der allmähliche Rückgang der eigenen Ölproduktion, der
wachsende Verbrauch und der Anstieg des internationalen Ölpreises Rumänien mit
in die internationale Finanzkrise hinein. Während die anderen RGW-Länder billiges
Öl aus der UdSSR importierten, war Rumänien inzwischen vom Öl der OPEC-Länder
abhängig. Eine rasante Verschuldung war die Folge: 1980 beliefen sich die Schulden
bereits auf 10 Milliarden US $. Anfang der 80er Jahre begann in Rumänien eine
drastische Austeritätspolitik. Der Ölimport wurde von 16 Millionen Tonnen (1980) auf
6,7 Millionen Tonnen (1984) reduziert. Gleichzeitig wurde die Produktion von
Lebensmitteln für den Binnenmarkt gedrosselt. Ab 1981 wurde die Versorgung mit
74
Lebensmitteln rationiert. Selbst Brot wurde nur noch gegen Bezugskarten verkauft und nur noch an Personen, die im Stadtteil registriert waren. Heizungstemperaturen
mußten auf zwölf bis acht Grad Celsius abgesenkt werden. Elektrizität gab es nur zu
bestimmten Stunden. Die ländlichen Dorfstrukturen wurden mit dem Programm der
"Systematisierung" in vielen Gegenden einfach aufgelöst: Dörfer wurden abgerissen
und -
in einer Art Zwangsarbeit - innerhalb weniger Tage Neubauviertel
hochgezogen. Gleichzeitig wurde die Produktion von Lebensmitteln für den Export
gesteigert, ihre Ausfuhr verdoppelte sich allein zwischen 1985 und 1988.
Als einziges Land der Welt zahlte die rumänische Regierung in den 80er Jahren
die gesamten Schulden an den IWF zurück. Ab 1985 wendete sie sich wieder stärker
der UdSSR zu, um höhere Öl- und Gaslieferungen zu bekommen. Möglich war diese
weltweit einzigartige monetaristische Austeritätspolitik - die Abschaffung der
Haushaltsdefizite - nur mit Mitteln des Staatsterrorismus. Noch im August 1977
hatten die Bergarbeiter aus Petrosani - die sich 14 Jahre später gegen Roma,
Intellektuelle und Schwarzhändler in Bukarest aufhetzen ließen - Ceauºescu
gezwungen, in ihre Bergarbeiterstadt zu kommen. Er versprach ihnen höhere Löhne.
Das polnische Beispiel drohte Schule zu machen, doch die Securitate bannte die
Gefahr.
1980 ging der rumänische Export zu über 20 Prozent in Trikont-Länder. Es waren
gigantische Industriekombinate entstanden, die den Irak und andere Golfstaaten
belieferten, es gab eine Importwirtschaft, die von den Billiglöhnen in der Türkei
profitierte. An den rumänischen Universitäten wurden Curricula für Studenten aus
Somalia, Syrien und dem Iran eingerichtet. Aber mit Ende der 51 Jahre alten
Entwicklungsdiktatur brachen Ende 1989 die staatlich organisierten Wirtschafts- und
Ausbildungsformen schlagartig zusammen. Die internationalen Wirtschaftsembargos
gegen den Irak und gegen Restjugoslawien gaben dem Niedergang des
rumänischen Entwicklungswegs zusätzlich etwas Endgültiges, wie es bisher nur aus
den historischen Umbrüchen in Südamerika bekannt ist.
Die Wirtschaftskontakte überlebten - freilich häufig als individualisiertes Wissen
über
Vertriebs-
und
Nachschubwege.
Aus
entlassenen
Arbeitern
wurden
"businessmen", denen es wirtschaftlich schlechter ging als vorher. Und für die
ausländischen StudentInnen hatte die Verweigerung, das Visum zu verlängern,
einschneidende Folgen: Sie mußten ihr Studium abbrechen, verloren ihre Unterkunft
im Studentenheim und die Mensa-Verpflegung. Sie waren zu Illegalisierten
75
geworden, mußten Razzien befürchten, kannten sich aber aus. Viele wanderten nach
Westeuropa aus, andere wurden zu Kontaktpersonen für Landsleute, die auf der
Flucht waren.
Nach dem Zweiten Golfkrieg waren neben KurdInnen aus der Türkei, dem Irak
und dem Iran auch ehemalige Angestellte der industriellen und hochentwickelten
technischen Betriebe des Iraks auf der Flucht. So brachte die Niederlage des Iraks
und die Unterdrückung der irakischen Opposition Gruppen über die Türkei nach
Südosteuropa,
vor
allem
nach
Rumänien,
die
sich
vorher
verfeindet
gegenüberstanden. Eine direkte Abschiebung festgenommener MigrantInnen wurde
bisher durch das Flugembargo verhindert, aber die Bukarester Regierung schiebt
nach Istanbul und Amman ab. Von dort geht die Kettenabschiebung weiter, bis zur
Übergabe an der irakischen Grenze. So ist Rumänien für viele zwar zum Sprungbrett
nach Westeuropa geworden, doch das Land erweist sich aufgrund der guten
diplomatischen Beziehungen mit der Türkei und arabischen Ländern für viele als
Falle, im Vorfeld der Festung Europa.
Transport
Wer die Mauern der Festung Europa überwinden will, ist gezwungen, in einem
Rutsch in die EU zu gelangen, in verschlossenen Lastwagen oder Containern, sonst
droht - wegen der Drittstaatenregelung - die unverzügliche Abschiebung.
Das ist der Hintergrund der Tragödie, bei der im Juli 1995 achtzehn tamilische und
singhalesische Flüchtlinge in Ungarn den Tod fanden. In Bukarest hatten sie sich mit
zweiundzwanzig weiteren Personen auf den Weg nach Westen gemacht, zunächst
mit einem Bus. Später stiegen sie in einen bulgarischen LKW um, der versiegelt
wurde. Bereits auf der Fahrt sollen siebzehn Männer und eine Frau im Alter zwischen
sechzehn und fünfzig Jahren an Hitze und Sauerstoffmangel gestorben sein. Das
achtzehnte Opfer starb offenbar nach der Ankunft in der ungarischen Stadt Györ.
Erst am darauffolgenden Tag wurde der LKW von der ungarischen Polizei
aufgefunden. Neunzehn Überlebende wurden verhaftet, ein Iraker und zwei
Menschen aus Sri Lanka konnten untertauchen. Die Festgenommenen beantragten
76
politisches Asyl, wurden aber - möglicherweise unter Beteiligung österreichischer
Diplomaten - am 5. August über Sofia nach Colombo abgeschoben. Dies brachte ein
Mitarbeiter der FFM drei Tage später bei einem Besuch im Abschiebegefängnis Györ
in Erfahrung.87 Auch türkische und kurdische Häftlinge berichteten von ähnlichen
Erfahrungen auf der Flucht. Bevor sie vom ungarischen Grenzschutz festgenommen
worden waren, hatten sie sich nach über dreißig Stunden in einem verschlossenen
Container bei Hitze und Wassermangel gerade noch rechtzeitig befreien können.
Mehrere hatten sich bei der Flucht Knochenbrüche und Verstauchungen zugezogen.
Weil das Thema für Ermittlungen und Fahndungen deutscher Behörden von
unmittelbarem Interesse ist, seien im folgenden lediglich einige Zitate aus der bereits
veröffentlichten Schrift "Profiles" der IOM wiedergegeben.
"Gruppen von Bangladeschis, Indern und Afghanen wurden kürzlich an
Rumäniens
Westgrenze
verhaftet,
als
sie
versuchten,
mit
gefälschten
Reisedokumenten die Grenze zu überqueren, die sie auf dem lokalen Markt gekauft
hatten. Auch in Indien kann man falsche rumänische Visa kaufen, gab ein indischer
Asylbewerber an, der mit einem gefälschten Visum in seinem Paß aufgegriffen
wurde. Zuverlässigen Quellen zufolge, die auf illegale Schleuser zurückgehen, sind
manche Dokumente, die im Umlauf sind, derart perfekt, daß die Fälschungen von
den Geräten, mit denen auf dem Flughafen Otopeni die Laserkontrolle durchgeführt
wird, nicht erkannt werden." (S. 24) "Oft betragen die Gebühren der Schleuser für
Passagen von Moldawien nach Rumänien 300 bis 500 US $. [...] Für einen Pakistani
kostete das gesamte Paket nach Rumänien 6.000 US $. Nach Angaben von Irakern
muß auch eine Gebühr für die legale Seite der Reise entrichtet werden: das
Ausstellen eines Blankopasses soll 1.500 US $, ein Transitvisum 100 US $, ein
Touristenvisum für Rumänien 300 US $ und für Rußland 200 US $ kosten. Bei der
Einreise auf den Flughäfen müssen Reisende dieser Länder zusätzlich 100 US $
zahlen. [...] Iranische Reisende können in Rumänien ein 10.000 US $-Paket kaufen,
das einen gefälschten italienischen oder griechischen Reisepaß einschließt, ein
Touristenvisum für Deutschland oder die skandinavischen Länder, ein Flugticket und
schließlich den ´Berater-Service' (den Paß im Flugzeug zerstören,88 bei der Ankunft
um Asyl nachfragen, angeben, daß das Dokument verloren oder gestohlen wurde)."
87 siehe ZAG Nr. 16, Berlin 1995, S. 28-30
88 Inzwischen kopieren die Fluggesellschaften alle Pässe vor Flugantritt.
77
(S. 15) "Der Schleuser wird oft als ruchloses Individuum beschrieben, das Geld
nimmt und verschwindet, bevor sein Job beendet ist, oder auch als ein freundlicher
Mensch, der ´wirklich helfen wollte´. Er ist Ukrainer, Georgier oder Moldawier. [...] An
bestimmten Stellen rund um Bukarest ist der Handel mit Migranten ein florierendes
Geschäft. Auf bestimmten Parkplätzen an der Autobahn zwischen Bukarest und
Braºov sollen LKW-Fahrer angeblich ihr Handelsgut im Packraum verstauen. Meist
haben die Lkws türkische Autoschilder, die Händler sind Türken und Araber. Der
Markt bietet alles, womit man handeln kann, inklusive Menschen. [...] Der Fahrpreis
ist für Rumänen und Asiaten unbezahlbar, rund 300 bis 400 US $ pro Person bis
Paris, mit Dokumenten für die Grenzpassage. Der ´Fahrer´ überläßt die Person
anschließend ihrem Schicksal und nimmt das Dokument wieder an sich, wohl für den
nächsten Gebrauch." (S. 16)
Die IOM berichtet in ihrer Publikation "Transmigration in Romania": "Mitglieder von
exilierten kurdischen, iranischen oder irakischen Communities stehen ihren
Landsleuten vor allem mit Transitausgaben bei, inbegriffen ´Beratung´ und illegale
Grenzüberschreitung. Nach der Erkundungsphase hängen sich die Transitmigranten
westwärts an die irregulären Ströme, in der Regel unter Verwendung falscher
Reisedokumente und Visa."(S. 7) "Es ist nicht ungewöhnlich, in den Anzeigenspalten
größerer Tageszeitungen Visanachfragen zu sehen (siehe România Liberã, Mitte
Oktober, ´Gesucht: Tourist-Visum für Spanien´). Selbstverständlich sind solche
Nachfragen nicht an ausländische Konsulate gerichtet, noch erhalten sie von dort
eine Antwort." (S. 14)
Asylpolitik und Ausländergesetz
Asyl- und ausländergesetzliche Politik befinden sich, juristisch gesehen, zwischen
völkerrechtlichen
Bestimmungen,
innenpolitischen
Koordinaten
und
den
Paragrapheninstrumentarien zur Regulierung des Arbeitsmarkts. Für Flüchtlinge und
MigrantInnen ist dieses Spannungsfeld solange völlig belanglos, wie der Staat in
diesem
Bereich
nicht
über
einen
effektiven
Apparat
verfügt
bzw.
wie
Schattenwirtschaft regelrecht erwünscht ist.
Nach dem Sturz Ceauºescus fielen außer den Grenzkontrollen nach und nach
auch die Sonderbestimmungen für Ausländer. Inzwischen entsteht in Rumänien 78
unter Anleitung westeuropäischer Regierungen und supranationaler Organisationen allmählich ein Apparat zur Kontrolle der Migration, der die repressiven Schengener
Instrumentarien festschreiben soll. Ein neues Ausländergesetz ist jedoch bis heute
nicht in Kraft, ein Asylgesetz nicht verabschiedet. In das allgemein rechtliche Vakuum
der Transformationszeit drängten die sich auf das Völkerrecht berufenden
internationalen Organisationen, ihr Handlungsspielraum ist aber bis heute begrenzt.
Denn der Aufbau eines umfassenden Ab- und Durchschiebesystems, wie er von der
Bundesrepublik gewünscht wird, findet bei einem Teil der rumänischen politischen
Klasse zwar durchaus Beifall, schließlich versucht sie ihre Macht durch eine Politik
der Renationalisierung und des offenen Rassismus zu festigen. Doch diese
Interessen kollidieren mit den Interessen jener Machtgruppierung, die außenpolitisch
auf größere Unabhängigkeit von den wirtschaftlichen und militärischen Blöcken und
auf eine eigenständige Kooperation mit Ländern des Nahen Osten setzt. Dieser
Widerstreit wird nicht kurzfristig beigelegt werden können. Oberste Priorität scheint
dagegen für alle Gruppen, auch für den Westen, die politische Stabilität des
Regierungsapparats zu haben. Daher kann man davon ausgehen, daß das vom
Westen alimentierte politische und gesellschaftliche Patt sicherlich nur ein langsames
Tempo beim Aufbau der neuen Behörden der Asyl- und Ausländerpolitik zuläßt.
Flüchtlinge sind in Rumänien polizeilicher Willkür ausgesetzt, ihr juristischer Status
ist ungesichert. Im Zusammenwirken von UNHCR, IOM, neuen NGO´s und dem
Technischen Sekretariat des Rumänisches Komitees für Migrationprobleme - einer
Regierungsbehörde - wurde eine Art drittklassiges Menschenrecht durchgesetzt und
manchmal
auch
tatsächlich
angewandt.
Die
Regionalisierung
der
Menschenrechtspolitik im Vorfeld der Festung Europas hat - und das läßt sich in
Rumänien beispielhaft aufzeigen - zu abgestuften Standards von "Menschenrechten"
geführt. Konkret bedeutet dies: Wer temporär, maximal für zwei Monate, als
Flüchtling anerkannt wird - die Anerkennung kann jeweils um zwei Monate verlängert
werden -, sieht sich auf einen Lebenstandard abgesenkt, der weit unter dem
Existenzminimum liegt. Und vor allem: Seine Daten sind erfaßt, legal ist für den
Flüchtling Rumänien Endstation. Er wird nicht in ein Land weiterreisen dürfen, wo er
einen höheren Flüchtlingsschutz bekommen könnte. Wer temporär anerkannt ist,
dem haben sich die Grenzen verschlossen.
79
UNHCR und NGO´s
Geraten Flüchtlinge und MigrantInnen in die repressive Maschinerie von Razzien,
Hausdurchsuchungen, Festnahmen und Übergriffen, bleibt ihnen als Hoffnung nur
der UNHCR oder die Adressen kleiner Hilfsorganisationen. Die Aussicht, Hilfe oder
Asyl zu bekommen, sind allerdings minimal. Ein Kontakt zum UNHCR kommt - wie
die Situation am Bukarester Flughafen Otopeni zeigt - meist gar nicht erst zustande.
Schließlich ist die Arbeit des UNHCR in Südosteuropa nicht auf die Errichtung eines
umfassenden Asylschutzes, sondern - in Übereinstimmung mit den Konzepten der
EU - vor allem auf die vorbeugende Migrationsbekämpfung ausgerichtet.
Die Akzeptanz unterschiedlicher internationaler juristischer Standards - bei
Festnahmen, den Haftbedingungen und der Versorgung von Flüchtlingen und
MigrantInnen - scheint sowohl in supranationalen als auch in manchen
nichtstaatlichen Organisationen erschreckend weit vorangeschritten zu sein, meist
wird schulterzuckend auf die allgemein katastrophale Lage in der Polizeihaft und in
den Gefängnissen verwiesen.
Die staatliche Flüchtlingspolitik geht in Rumänien vor allem auf Initiativen des
UNHCR zurück. Die staatliche Flüchtlingspolitik könne durch das Einwirken
supranationaler Institutionen und rumänischer NGO´s aber nur mühsam flankiert
werden, erklärte Hugh Massey, UNHCR-Beauftragter in Bukarest, in einem Gespräch
mit
einem
FFM-Mitarbeiter.
Flüchtlingsschutzes
sei
eine
Die
Geschichte
Chronologie
des
staatlichen
zögerlicher
rumänischen
Regierungs-
und
Parlamentsentscheidungen zur Migrationspolitik.
1991 hatten die UNHCR-Vertreter ihre Arbeit in Bukarest zunächst provisorisch
unter einem Dach mit der UNDP - der Entwicklungsorganisation der UN aufgenommen. Nachdem dreihundert somalische Flüchtlinge im Januar 1991 relativ
erfolgreich das UNDP-Gebäude besetzt hatten, um Sozialversorgung und Asyl zu
erlangen, war der schnelle Aufbau einer minimalen staatlichen und supranationalen
Flüchtlingspolitik vordringlich. Schließlich wurde der Protest der ersten großen
Gruppe von Flüchtlingen, die sich seit 1989/90 im Lande aufhielt, auch von
irakischen und albanischen Flüchtlingen unterstützt.
Für die rumänische Regierung war eine solche Auseinandersetzung völlig neu. In
der Ceauºescu-Ära waren in Rumänien genau bestimmte Kontingente politischer
Flüchtlinge aus Griechenland und Chile aufgenommen und staatlich versorgt worden.
80
Nach dem Sturz des Ceauºescu-Regimes hatten die Medien Hetzkampagnen gegen
sogenannte
"Ausländer-Terroristen"
begonnen.
Es
hatte
geheißen,
die
Scharfschützen auf den Dächern, die die Großdemonstration mit gezieltem Feuer
zerschlagen wollten, rekrutierten sich aus "arabischen Studenten", die Ceauºescu ins
Land gebracht hätte. Diese Behauptungen erwiesen sich später als Lügen, die
vermutlich auf den Securitate-Geheimdienst zurückgingen. Menschen auf der Flucht
wurden nun in Behörden und auf der Straße mit einer von oben geschürten
flüchtlingsfeindlichen Stimmung konfrontiert, staatliche Anlaufstellen für sie gab es
nicht.
Nachdem die rumänische Regierung am 17.8.1991 die Genfer Konvention und
das Zusatzprotokoll kurzfristig unterschrieben hatte, konnte das Bukarester UNHCRBüro Anfang 1992 offiziell seine Arbeit aufnehmen. Am 8.12.1991 war in einem
Referendum die neue Verfassung angenommen worden. In Artikel 20 heißt es: ”Im
Fall von Unstimmigkeiten zwischen Pakten und Verträgen bezüglich grundlegender
Menschenrechte, denen Rumänien zugestimmt hat, und landesinternen Gesetzen
haben die internationalen Gesetze Priorität." Damit schienen weite Teile des
repressiven Ausländergesetzes außer Kraft gesetzt, auch wenn es bis heute keine
neue Gesetzgebung, sondern nur ministerielle Richtlinien zur Asylpraxis gibt.
Die Unterzeichnung der Genfer Konvention, die Etablierung des UNHCR-Büros
und das deutsch-rumänische Deportationsabkommen vom 24.9.1992 bildeten die
Eckpunkte der internationalen Politik, die die rumänische Regierung im September
1992
zur
veranlaßten.
Einrichtung
In
eines
diesem
Technischen
Technischen
Sekretariats
Sekretariat
für
wird
Migrationsfragen
gleichermaßen
die
Immigrations-, Flüchtlings- und Abschiebepolitik koordiniert. Außerdem ist diese
Behörde, die dem interministeriellen Komitee untersteht, für Fragen der Emigration
und für die Rücknahme abgeschobener RumänInnen zuständig. In unregelmäßigen
Abständen lädt das Technische Sekretariat Vertreter des UNHCR, der IOM sowie der
Flüchtlingshilfe-NGO´s
zu
einem
Runden
Tisch
ein,
um
die
gröbsten
Unstimmigkeiten zu glätten und den Unmut der engagierten Gruppen zu besänftigen.
Denn: Das Verhältnis zwischen staatlichen Stellen und Flüchtlingen, die wegen
Asylfragen
und
bevorstehender
Abschiebungen
bei
den
Beratungsstellen
vorsprechen, ist sehr gespannt.
Hugh Massey berichtete darüber hinaus, dem UNHCR sei in Osteuropa die
Aufgabe des NGO-institution-buildings zugefallen. Das heißt, der UNHCR versuche,
81
selbstbewußte und staatlich unabhängige Organisationen aufzubauen. Mit der
Institutionalisierung
osteuropäischer
Regionalkonferenzen
unter
dem
Namen
"Partnership in Action - PARINAC" bemüht sich der UNHCR seit 1994 zudem um
einen organisatorischen Zusammenschluß landesspezifischer NGO´s und die
Formulierung eines konsensfähigen, regional abgestuften Flüchtlingsschutzes.
In Rumänien hat der UNHCR seit 1992 zwei NGO´s konzeptionell und seit 1994
auch finanziell in seine Arbeit einbezogen: Das Helsinki-Komitee APADOR gibt
Rechtsbeistand, und die Menschenrechtsorganisation SIRDO verteilt Essencoupons
für Kantinen in der Stadt, in größeren Abständen auch Kleidung. Darüber hinaus
bieten zwei Ärzte von SIRDO in einem Flüchtlingslager eine notdürftige medizinische
Versorgung. Auch bei der Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt sei der
UNHCR behilflich. Es sei aber extrem schwierig, für sie einen Job zu finden, räumt
Hugh Massey ein.
Neben der Flüchtlingshilfe übernimmt der UNHCR in Rumänien auch Aufgaben,
die nur mit direkter Flüchtlingsabwehr zu beschreiben sind. So arbeitet der UNHCR
im Rahmen von Programmen zur sogenannten freiwilligen Repatriierung mit der IOM
zusammen. Mit dem Grenzschutz führt er zudem ein Trainingsprogramm durch. Der
Datenverbund, in den der UNHCR Personendaten über Flüchtlinge in Rumänien
einspeist, bedeutet für die erfaßten Flüchtlinge ein klares Migrationshindernis. Wer
sich vom UNHCR in Asylfragen beraten läßt - und das Büro wird durchaus
frequentiert -, kann legal nicht weitermigrieren.
"Frühwarnung" und "Prävention" seien mit dem internationalen Flüchtlingsschutz
abzustimmen. So charakterisierte Massey die Aufgabe des Bukarester UNHCRBüros. Rumänien sei sicherlich kein sicherer Drittstaat ("safe country") im Sinne
voller Garantien der Genfer Flüchtlingskonvention. Die Regierung halte nicht
sämtliche sich aus der Konvention ergebende Verpflichtungen ein. Außerdem habe
der UNHCR bereits des öfteren polizeiliche Übergriffe ("cases of excess") auf
Flüchtlinge registriert, aber es dauert Monate, bis das Technische Komitee
entsprechende kritische Hinweise zur Kenntnis nimmt. Eine der wichtigsten aktuellen
Aufgaben des UNHCR in Rumänien sei es, daß die Entwürfe zum Ausländergesetz
und zum Flüchtlingsstatus verabschiedet würden.
Die "Asociaþa pentru Apãrarea Drepturilor Omului în România - Comitatul
Helsinki" (APADOR-CH), eine Menschenrechtsorganisation, die mit einem knappen
82
Dutzend Angestellten in Rumänien arbeitet,89 äußerte sich wesentlich kritischer zur
Flüchtlings- und Asylrealität. Die behördlichen Asylbescheide seien willkürlich und
nicht nachvollziehbar. Zwar gebe es nach den provisorischen Richtlinien bei einer
Ablehnung eine Berufungsmöglichkeit. Weil dem Antragsteller die Ablehnungsgründe
nicht mitgeteilt würden, könne man aber keinen echten Widerspruch formulieren.
Nach der Ablehnung blieben den meisten nur zwei Monate Zeit, um sich notdürftig
irgendwie zu arrangieren. Faktisch könnten nur Geschäftsleute ihren Aufenthalt
legalisieren. Abschiebungen aus Rumänien trügen häufig das Risiko des
Refoulements, der Abschiebung in den Verfolgerstaat, eine Praxis, die eindeutig der
Genfer Konvention widerspricht.
Bemerkenswert sind auch die Hinweise von APADOR-CH auf die systematische
Schikanierung und Erfassung von Roma, die aus der Bundesrepublik nach
Rumänien abgeschoben wurden. In Einzelfällen konnte bereits nachgewiesen
werden, daß Roma, die in ihre Landkreise zurückgekehrt waren, von der Lokalpolizei
zur
erkennungsdienstlichen
Behandlung
vorgeladen
wurden.
APADOR-CH
untersucht nun, ob die entsprechenden Instruktionen zur separaten Registrierung
von der Regierung stammen.
Die "Societateã indepentã rumânã pentru Drepturile Omului" (SIRDO), die
"Rumänische unabhängige Gesellschaft für Menschenrechte, führt im Auftrag des
UNHCR im Flüchtlingslager in der Strada Gociu Sozialbetreuung durch. Die
Organisation,
die
seit
199090
besteht,
will
Flüchtlingen,
die
sich
im
Anerkennungsverfahren befinden, durch eine Unterstützung das soziale Überleben
sichern. So beschrieb Lucia Humaniuc, die Direktorin der Flüchtlingsabteilung, die
Aufgaben der SIRDO. Die Flüchtlinge sollten durch Sprachunterricht und
Requalifizierung integriert werden, und ihnen soll außerdem auf dem Weg zwischen
89 Die Schwerpunkte von APADOR-CH liegen neben der Flüchtlingsarbeit auf folgenden Gebieten:
- Beobachtung der gesetzgebenden Prozesse im Parlament, Beobachtung der Lobbies
- Dokumentation von polizeilichen Übergriffen, Fact-finding-mission in verschiedenen Städten
- Minoritätenthematik: Beratung bei den entsprechenden gesetzgebenden Entwicklungen,
Dokumentation der Übergriffe und Pogrome, Vermittlungstätigkeit zwischen der Regierung und
ungarischen Gruppen in Rumänien (in 1995)
- Klagen in exemplarischen Fällen der Bürgerrechte
- Bildungsarbeit als Menschenrechtszentrum, Seminare für Studenten und angehende Rechtsanwälte
- Dokumentationszentrum mit Bibliothek
90 SIRDO ist zur Zeit neben der Flüchtlingsarbeit in folgenden Bereichen tätig:
- Erziehung in der Schule, Behandlung von Menschenrechtsfragen
- Soziale Reintegration entlassener jugendlicher Gefangener
- Untersuchung und Beratung extrajudiziärer Fälle
- Frauenrechte, insbesondere Gewalt in der Familie
83
der Grenze und dem Technischen Komitee - dem Ort der Asylantragstellung humanitäre Hilfe angeboten werden. Die fehlende Gesetzgebung schränke die Arbeit
von SIRDO aber grundsätzlich ein, denn nur rund 3.000 Personen gälten im Sinne
der Übergangs-Richtlinien als Flüchtlinge. Die Menschenrechtsorganisation betreut
insgesamt 50 bis 70 Flüchtlinge. Wohn- und Geldprobleme von Flüchtlingen, die sich
im Anerkennungsverfahren befinden, könne SIRDO allerdings nicht auffangen. Die
Sozialunterstützung betrage nur drei Mark pro Monat.
In der Praxis beschränkt sich die Arbeit von SIRDO auf die Beratung von
Flüchtlingen,
die
das
Büro
aufsuchen,
und
auf
ein
Besuchs-
und
Betreuungsprogramm im Flüchtlingslager in der Strada Gociu. In der SIRDOFlüchtlingsabteilung arbeiten zwei Ärzte, zwei Rechtsanwälte, zwei Sozialarbeiter
und ein Computerfachmann. Alle zwei Wochen verteilen SIRDO-Mitarbeiter im Lager
Lebensmittelrationen des UNHCR. Ohne eine zusätzliche eigene Verpflegung
können sich Flüchtlinge dort offenbar nicht ausreichend ernähren. Beim Besuch
unseres Mitarbeiters bestand die Grundsubstanz der Verpflegung aus einer breiigen
Masse.
Irritierend war die Haltung der SIRDO-Leiterin gegenüber einem Hungerstreik
eines Iraners. Der Protest sei unberechtigt und in der Art der Artikulation irrational.
Das Familienoberhaupt wisse selbst nicht genau, gegen wen sich sein Protest richte,
anfangs gegen die Regierung, jetzt aber erklärtermaßen gegen den UNHCR. Der
Mann und seine ganze Familie seien im Iran gefoltert und terrorisiert worden, sie
wollten weiter nach Schweden. SIRDO könne ihnen nicht helfen, weil sie als
Asylbewerber in Rumänien registriert seien, so daß alle weiteren Wege
abgeschnitten seien. Gegenüber dem Vertreter der FFM stellte der Mann seine
Gründe dagegen einleuchtend dar. Denn alle staatlichen Verantwortlichkeiten waren
auf den UNHCR übertragen worden. Tatsächlich erschien am Tag des FFM-Besuchs
der UNHCR-Beauftragte bei der iranischen Familie - mit dem Vorsatz, den
Hungerstreikenden zur Aufgabe zu bewegen.
Der "Grupul
Român pentru Apãrarea Drepturilor Omului" (GRADO) - die
Rumänische Gruppe für die Verteidigung der Menschenrechte - hat sich 1994
gebildet, um rumänische und staatenlos gewordene
RückkehrerInnen
und
Abgeschobenen sozial und rechtlich zu unterstützen. Das Zentrum ist noch im
Aufbau und erhält finanzielle und konzeptionelle Hilfe im wesentlichen von einem
84
Fachverband der Caritas, dem Raphaelswerk in der Bundesrepublik, und einer
dänischen NGO.
Das Verbindungsbüro der "International Organization for Migration" (IOM) nahm
1992 in Bukarest seine Arbeit auf. Die IOM berät die rumänischen Behörden beim
Aufbau einer staatlichen Flüchtlingsverwaltung und bei der Ausarbeitung von
Rückübernahmeabkommen Rumäniens mit Ländern "mit hohem Emigrationsrisiko".
Die betreibt eigenständige Forschungen zur Transitmigration und zur Emigration von
RumänInnen nach Westeuropa. Deshalb entwickelte das IOM-Büro - ähnlich wie der
UNHCR - eine Beratung für Flüchtlinge und MigrantInnen, um durch deren
systematisierte Befragungen Erkenntnisse über ihre Motivation und Erwartungen zu
gewinnen. Zum Zweck der Migrationsprävention hat die IOM sogar ein eigenes
Radioprogramm aufgebaut.
Iuliana
Stephan,
die
Leiterin
des
"Information
Programme" der IOM in Bukarest, berichtete auch über aktive Flüchtlingspolitik ihres
Büros. So gab es bereits mehrfach "freiwillige Repatriierungen", die die IOM in
Kooperation mit dem Technischen Büro durchgeführt hat. (siehe oben)
Die Orthodoxe Kirche, die Caritas und das Rote Kreuz zeigt sich nach
Aussagen viele MigrantInnen und Flüchtlinge in Rumänien ihrem Schicksal
gegenüber indifferent.
Staatliche Stellen und zukünftige Gesetzgebung
Die einzige landesweite Annahmestelle für Asylanträge befindet sich in der
Innenstadt von Bukarest. Der Bulevardul N. Bãlcescu, an dem das Technische
Sekretariat des rumänischen Komitees für Migrationsprobleme zu diesem Zweck
eine Außenstelle eröffnet hat, ist die Vorzeigemagistrale, mit Geschäftsleuten,
Flaneuren, StudentInnen und StraßenverkäuferInnen. Die geschlossene Häuserfront
bricht bei der Hausnummer 17-19 auf, man betritt ein Gelände mit mehreren
Schuppen. Geöffnet ist das Büro in einer der Baracken nur mittwochs und
85
donnerstags zwischen zwölf und sechzehn Uhr. Man muß ab sieben Uhr dort
anstehen, um eine Annahmenummer zu erhalten. Unser Mitarbeiter trifft dort an
einem frühen Mittwochmorgen Ende März 1995 auf eine große Ansammlung alter
Menschen. Es herrscht eine wütende Stimmung. Die Menschen beschweren sich,
daß ihre Renten nicht vorschriftsmäßig ausgezahlt würden, - es stellt sich heraus,
daß sich hier zugleich auch der Schalter für Rentenanträge und -anfragen befindet.
Nur vier Flüchtlinge sind unter den Wartenden auszumachen. Flüchtlinge sind in
Rumänien fast vollständig von staatlicher Unterstützung ausgeschlossen. An
Interviews ist in dem Gedränge nicht zu denken.
Diese Regierungsstelle ist eines der wenigen sichtbaren Zeichen der im Aufbau
befindlichen Flüchtlingsverwaltung. Deren Geschichte ist schnell rekapituliert: Aus
den Aktivitäten des UNHCR, der IOM und bundesdeutscher Stellen in den Jahren
1990/91 kann man schließen, daß die rumänische Regierung zum Aufbau einer
Institution gedrängt wurde, die für die internationalen Aspekte der Migrationspolitik
als Ansprechpartner fungieren sollte. Zu diesem Zweck - für Fragen der
Transitmigration und der Emigration sowie für die Reintegration von abgeschobenen
RumänInnen91 - hat die Regierung das interministerielle "Rumänische Komitee für
Migrationsprobleme" auf Staatssekretärs- und Unterstaatssekretärs-Ebene durch den
Regierungserlaß Nr. 417 vom 14.6.91 eingerichtet. An dem Gremium sind das
Ministerium für Arbeit und Soziales, das Außen-, Innen-, Justiz-, Wirtschafts- und
Finanz-,
Gesundheits-,
Erziehungs-
und
Wissenschaftsministerium
und
die
kommunale öffentliche Verwaltung beteiligt. Am 29.9.92 schuf das Rumänische
Komitee für Migrationsprobleme das Technische Sekretariat als Anlaufstelle.
Gleichzeitig gab es Richtlinien zur Durchführung von Asylverfahren heraus. Danach
sollten Asylentscheidungen innerhalb eines Monats fallen. Doch nach Berichten von
APADOR-CH werden diese Richtlinien weder an den Grenzen und Flughäfen noch in
der Innenstadt von dem Büro des Technischen Sekretariats befolgt. Das
Anerkennungsverfahren dauert demnach in der Regel bis zu zwei Jahren. Die
Richtlinien sehen keine eigentliche Anhörung des Antragstellers vor. Weil keine
Gründe für eine Ablehnung mitgeteilt werden, ist die Anrufung einer Revisionsinstanz
- einer Unterkommission desselben Sekretariats - eine Farce. Anerkannte
91 Obwohl Art. 3.1. des Erlasses vom 14.6.91 bestimmt, daß die Hauptaufgabe des Komitees ist, die
Rückkehr nach Rumänien zu erleichtern und die soziale und die berufliche Reintegration zu
befördern, ist über diesbezügl. Aktivitäten nichts bekannt, außer der Teilnahme des Komitees an
der deutsch-rumänischen Arbeitsgruppe zur Bewältigung von Wanderungsfragen (siehe oben).
86
Asylbewerber in der Stadt zeigten unserem Mitarbeiter ihre behelfsmäßigen
Ausweise: Ihr Aufenthalt muß mit diesem Papier alle zwei Monate verlängert werden.
Mit dem Visum sitzen sie in Rumänien fest, denn sie können kein Visum für ein
anderes Land mehr bekommen
Bis Ende 1994 wurden nach Angaben des Technischen Sekretariats 2.400
Asylanträge angenommen, ungefähr 120 pro Monat. Fünfzig Flüchtlinge sollen den
Flüchtlingsstatus bekommen haben; der UNHCR-Beauftragte sprach dagegen nur
von sechzehn iranischen Personen, deren Asylbegehren entsprochen wurde.92 Fast
die Hälfte aller Asylantragsteller (1.100 Personen) sind inzwischen untergetaucht
oder haben auf unbekannten Wegen das Land verlassen.
Asylantragsteller in Rumänien, nach Hauptherkunftsländern
Quelle: Techn. Sekretariat, Rumänisches Komitee für Migration, Herbst 1993.
Herkunftsland Asylanträge
Bangladesh
368
Albanien
323
Somalia
323
Pakistan
174
Irak
150
Sri Lanka
109
Indien
59
Iran
50
Bosnier
18
Derzeit erhalten in Rumänien weniger als hundert Flüchtlinge Unterkunft,
Verpflegung und eine monatliche Unterstützung von 4.000 Lei (umgerechnet drei
Mark) vom Staat beziehungsweise durch den UNHCR. Sie sind in dem Lager in der
Strada Gociu 26 A untergebracht. Massey betonte, daß es für sie freien
Schulbesuch, gewisse Arbeitsmöglichkeiten und eine Basis-Gesundheitsversorgung
in ein oder zwei Krankenhäusern gebe. Die Interviews, die die FFM in dem
92 Die Reisedokumente, die anerkannte Asylbewerber erhielten, würden laut Hugh Massey von
Drittländern nicht anerkannt, sie seien faktisch nur für die Rückkehr benutzbar.
87
Bukarester Flüchtlingslager führen konnte, lassen aber starke Zweifel daran
aufkommen.
Das Flüchtlingsstatut, das als Gesetzentwurf Nr. E 119 am 30.8.1993 der
Abgeordnetenkammer vorgelegt wurde, ist noch nicht verabschiedet. Nach
geringfügigen
Veränderungsvorschlägen
der
juristischen
Kommission
der
Abgeordnetenkammer vom 6.10.1993 ist es im parlamentarischen Betrieb
verschwunden. Dabei ist die rumänischen Regierung seit der Unterzeichnung der
Genfer Konvention zu seiner Verabschiedung verpflichtet. In der Begründung des
Entwurfs nahm Premierminister Vacãroiu Bezug auf die legislative Beratung durch
den UNHCR und internationale Organisationen, die der rumänischen Regierung
dieses Artikelwerk nahegelegt hatten. Das Statut sieht für Asylbewerber ein
Anhörungs- und Appellverfahren sowie soziale Beihilfen in Höhe eines Minimallohns
für maximal sechs Monate vor. In Artikel 21 ist festgelegt, daß der Flüchtlingsstatus
höchstens für fünf Jahre gewährt wird. Eine Prüfungskommission kann eine
Verlängerung um weitere drei Jahre aussprechen. Das Statut orientiert sich mit
dieser temporären Begrenzung an den regionalisierten Minimalstandards des
UNHCR. Auffällig ist, daß in Artikel 4 (Absatz e) die aus früheren Zeiten bekannte
Nationale Sicherheit als Einschränkung bei der Erteilung des Flüchtlingsstatus
genannt wird. In dem Entwurf ist immerhin als Pflicht des rumänischen Staats
benannt, daß er dem anerkannten Flüchtling ein Identitätspapier ausstellen muß, mit
der er auch in andere Länder reisen kann.
Das neue Ausländergesetz, das neben einigen wenigen Rechtsgarantien auch
die abschreckenden EU-Normen und Altbestände des staatlichen Sicherheitswahns
institutionalisieren wird, hat ebenfalls lange - seit dem 21.7.1993 - in den Schubladen
gelegen und am 13.3.1995 den Senat passiert. Bis zu seiner endgültigen
Verabschiedung werden nach Meinung rumänischer Beobachter noch mehrere
Monate vergehen. Um einen Eindruck von den Restriktionen zu vermitteln, seien im
folgenden einige Artikel aufgeführt.
Art. 2: "Ausländer können auf dem Territorium Rumäniens keine politischen
Parteien oder andere Organisationen oder Gruppen gründen, sie können nicht
Mitglied in politischen Parteien, Organisationen und Gruppen werden, die es im Land
88
gibt, sie dürfen nicht Demonstrationen und Versammlungen mit politischem
Charakter initiieren oder organisieren und sie können keine öffentlichen, zivilen und
militärischen Funktionen bekleiden."
Art. 9: Folgende Visa können erteilt werden:
- Diplomaten Visum und Geschäftsvisum für vereinbarte Zeit
- Handelsvisum (6 Monate)
- Arbeitsvisum (6 Monate)
- Studienvisum (1 Jahr)
- Touristenvisum (bis zu 60 Tage)
- Transitvisum (3 Tage)
Art. 10: Ein Visum kann verweigert werden, wenn die nationale Sicherheit tangiert
ist oder wenn der Ausländer angibt, Rumänien durchqueren zu wollen, aber kein
Visum für das Zielland vorweisen kann.
Art. 13: "Die Beförderung von Ausländern nach Rumänien, die die Bedingungen
betreffs Visum nicht erfüllen oder kein gültiges Reisedokument besitzen, durch
Reisegesellschaften ist verboten. Im Falle der Nichtbeachtung dieser Vorschrift
kommt die betreffende Reisegesellschaft für den Transport des Ausländers auf sowie
für Unterbringungen und Verpflegung."
Art. 14: "Ausländern aus Ländern mit deutlichen Emigrationstendenzen kann nur
von den diplomatischen Vertretungen ein Visum gewährt werden, Voraussetzung
dazu ist eine schriftliche Einladung. Der beglaubigten Einladung, die vom
Innenminister befürwortet werden muß, muß die Verpflichtung enthalten, daß die
einladende Person den Ausländer in den Angelegenheiten seines Aufenthaltes in
Rumänien unterstützt, sowie evtl. auch für seine Reise aufkommt."
Art. 15: "Ausländer, die das Gebiet Rumäniens betreten haben, sind verpflichtet,
sich innerhalb von 48 Stunden bei der örtlichen Polizei zu melden. Die Person oder
Organisation, die einem Ausländer eine Wohnung oder aber einen Platz für die
Aufstellung von mobilen Unterbringungsmöglichkeiten zur Verfügung stellt, ist
verpflichtet, dies innerhalb von 48 Stunden bei der örtlichen Polizei zu melden. Bei
der Unterbringung in Hotels oder ähnlichen Orten ist der Ausländer verpflichtet, die
notwendigen Formalitäten zu erfüllen, damit die Verwaltung ihrer Pflicht, innerhalb 24
Stunden die vorgesehenen Daten der örtlichen Polizei zu melden, nachkommen
kann."
89
Art. 19: "Der Innenminister kann das Aufenthaltsrecht eines Ausländers begrenzen
oder aufheben, wenn er die nationale Sicherheit gefährdet."
Art. 20: "Wenn das Aufenthaltsrecht entzogen wird oder ein Ausländer für
unerwünscht erklärt wird, muß er spätestens 48 Stunden, nachdem er davon in
Kenntnis gesetzt wurde, das Land verlassen."
Art.
21:
Abschiebungen
werden
in
das
Herkunfts-
oder
das
Zielland
vorgenommen. Die Ausweisungen werden vom Innenminister ausgesprochen. "Bis
zur Umsetzung dieser Maßnahme (Abschiebung) wird der Ausländer, der nicht über
die nötigen Mittel verfügt, in speziell für diesen Fall eingerichteten Orten
untergebracht. Die Abschiebung wird durch gerichtlichen Beschluß angeordnet. Um
eine Abschiebung zu erwirken, ruft der Innenminister das zuständige Gericht an. (...)
Die Kammer verhandelt innerhalb von 7 Tagen nach Antragstellung. Das Urteil muß
spätestens 7 Tage nach Verkündung schriftlich fixiert sein." Eine Appellationsinstanz
ist vorgesehen: "Im Hinblick auf die Abschiebung kann der Innenminister den
Ausländer 24 Stunden lang festhalten. Auf Antrag des Innenministers oder eines
anderen Amtes kann die Kammer Abschiebehaft verhängen. Diese Maßnahme darf
nicht länger als 30 Tage dauern."
Art. 45: Illegale Einreise von unerwünschten oder abgewiesenen Personen wird
mit 1-5 Jahren Gefängnis bestraft, im Wiederholungsfall mit 2-10 Jahren.
Eine Arbeitserlaubnis stellt das Arbeitsministerium aus. Erforderlich ist der
Nachweis der künftigen Beschäftigung. Außerdem muß angegeben werden, wieviel
Personen in dem Betrieb angestellt sind.
90
Minderheitenpolitik und Pogrome
Seit 1989 kam es in allen Landesteilen Rumäniens immer wieder zu Pogromen
gegen Roma. Der Rassismus, die alltäglichen Übergriffe und das Schweigen
beziehungsweise die Mittäterschaft der Behörden zählen zu den wichtigsten
Gründen für den Aufbruch der Roma nach Westeuropa.
Der Rassismus richtet sich aber nicht nur gegen Roma; auch MigrantInnen, von
denen sich viele seit Jahren in Rumänien aufhalten, berichten von zunehmenden
Attacken. Die Somalier, die wir trafen, sprachen sogar von faktischen Sperrzeiten,
denn sie wagten sich in Bukarest abends und nachts nicht mehr auf die Straße.
Sobald es dunkel wird, würden sie vor ihrem Heim in der Stada Gociu aus
umliegenden Häusern mit Flaschen angegriffen. Die Studentenunruhen, die 1993
wegen der Wohnraumknappheit ausbrachen, richteten sich zum ersten Mal auch
gegen
ausländische
Studenten
und
andere
Ausländer,
die
ohne
formale
Berechtigung in Studentenwohnheimen leben.
An dieser Stelle kann der Zusammenhang von Austeritätspolitik, Transformation
und Renationalisierung nicht umfassend dargestellt werden. Im Hinblick auf
Flüchtlinge, MigrantInnen und die Romabevölkerung sollen im folgenden aber die
wichtigsten Stichpunkte der offiziellen nationalistischen Politik benannt werden.
Schließlich deutet vieles darauf hin, daß die Ausgrenzung der Roma und von
Flüchtlingen und MigrantInnen zum Schrittmacher für die Umgestaltung der
rumänischen Gesellschaft wird. Das gilt nicht nur für die sinn- und identitätsstiftenden
Elemente dieser demagogischen Politik, sondern vor allem für die Auflösung der
sozialen Solidaritätsstrukturen und für die gesellschaftliche Akzeptierung der
absoluten Armut.
Die Überhöhung der rumänischen Nation pflegte bereits die rumänische
kommunistische Partei, besonders seit den 60er Jahren. Zu Beginn der 70er Jahre
proklamierte Ceauºescu das nationale Bekenntnis zur dakischen Herkunft der
Rumänen, ein Rückgriff in die Mottenkiste einer - angeblich - zweitausendjährigen
glorreichen Geschichte. Dieser Schritt war politisch wohl kalkuliert. Er leitete eine
91
aktive Bevölkerungspolitik ein - die Unterwerfung der Frauen unter einen allgemeinen
Gebärzwang. Daneben bereitete er den Boden für eine staatsterroristische
Zerstörung sozialer Netze, wie sie dann in den 80er Jahren als Programm der
"Systematisierung" Gestalt annahm. Dabei wurden unzählige Dörfer zugunsten
"agroindustrieller Zentren" von Bulldozern niedergemacht.
Das Ziel war die Unterwerfung der Landbevölkerung unter die Lohnarbeit. Am
Wochenende stand für sie zusätzliche unbezahlte Wochenendarbeit auf dem Plan:
Auf den Baustellen an den Stadträndern und in neuen Siedlungen wurden Tausende
standardisierter
Wohnungen
hochgezogen.
So
war
das
Programm
der
"Systematisierung" zunächst durchaus mit sozialen Verbesserungen verbunden, aber
in den neuen Wohnungen funktionierte kaum etwas. Mal fiel der Strom, mal die
Heizung oder die Wasserversorgung aus. Mit dem Programm der "Systematisierung"
wurden unter dem Diktat des IWF auch die staatlichen Sozialausgaben rigoros
gestrichen. So standen die Vertriebenen aus den Dörfern am Ende ärmer da als je
zuvor, denn ohne Land blieb ihnen nicht einmal der Obst- und Gemüsegarten.
Ein weiteres Element der Homogenisierung der rumänischen Gesellschaft war die
Stigmatisierung der Romabevölkerung seit den 70er Jahren. Mit dem Dekret Nr.
153/1970 konnten Menschen wegen "parasitären Lebenswandels" und traditionellen
Kleinhandels, der vom Staat nicht genehmigt war, bis zu sechs Monaten ohne
Strafprozeß inhaftiert werden. Die Roma, die sich nicht so einfach zu Lohnarbeitern
machen ließen, wurden von Soziologen und Polizisten systematisch erfaßt, ihre
Ökonomie zerstört. In den 80er Jahren geriet auch der Besitz von Goldmünzen ins
Visier der Securitate. Neben dem Kleinhandel spielt die Vererbung von Goldmünzen
für viele Roma ökonomisch eine große Rolle. Bei den Razzien der Securitate wurde
ihnen - als Finazierungsbeitrag zur Staatssanierung - oft der einzige Besitz
genommen, viele Roma wurden zu Tode geprügelt oder erschossen.93
Am 7.2.1983 stellte die Progaganda-Sektion des ZK der KP Rumäniens (KPR) ein
Grundsatzprogramm vor, das die Arbeitsvermittlung und "soziale Integration" der
Roma regeln sollte.94 Es ist ein besonders aussagekräftiges Dokument ihrer
Unterdrückung. Darin heißt es unter anderem:
93 Nicolae Gheorghe, pogrom 154, Göttingen 1990, S. 25-28.
94 abgedruckt im Anhang von Helsinki Watch, Destroying Ethnic Identity, The Persecution of Gypsies
in Romania, New York, Washington, Sept. 1991, S. 108 ff.
92
"In mehreren Regionen wurden als Ergebnis der 1977er Analyse der
Zigeunerbevölkerung Kommissionen für soziale Integration und Resozialisierung
eingerichtet. [...] Zigeunern wurde Land gegeben, auf dem sie sich Häuser bauen
konnten. Es wurde ihnen Hilfe geboten, sowohl bei der Materialbeschaffung wie beim
Hausbau. [...] Nomadisierende und halbnomadisierende Zigeunerbevölkerung wird
1977 auf 66.500 Personen geschätzt, und nur ungefähr 5.600 Personen arbeiten für
das Wohl der Gesellschaft. [...] Die Zahl der Zigeuner, die das Gesetz nicht achten,
wächst beständig. Dokumente des Innenministers geben an, daß der Anteil von
überführten Zigeunern von 2% 1979 auf 3,3% 1982 gestiegen ist. [...] In Bukarest
und anderen Städten wurden Zigeunerfamilien Wohnungen gegeben, entweder weil
ihre Häuser abgerissen wurden oder weil sie einen Job bekommen hatten. Die
Häuser, hauptsächlich Wohnblöcke, befinden sich in Regierungsbesitz. Leider haben
die Zigeuner viele Wohnungen zerstört, sie ´unbewohnbar´ gemacht und in vielen
Fällen nicht für Miete, Elektrizität usw. gezahlt. [...] Es gibt Fälle, daß Kinder und
Jugendliche bis zu 18 Jahren keine Geburtsurkunde haben. Ungefähr die Hälfte
dieser Zigeuner sind nicht ihrer Wehrpflicht nachgekommen.[...] Wenn man die
Auswirkungen des Kindergelds, der finanziellen Hilfe für Mütter mit vielen Kindern
und Zuschüsse bei der Geburt auf Zigeunerfamilien analysiert, ist festzustellen, daß
das gegebene Geld das Gebären von vielen Kindern in Zigeunerfamilien - verglichen
mit Familien von anderen ethnischen Gruppen - stimuliert. [...] Die Exekutivkomitees
des Regionalen Volksrats oder des Bukarester Rathauses werden zusammen mit
den lokalen Milizkommandostellen und den Gesundheits- und Erziehungseinheiten
die numerische Situation und den sozialen Status der Zigeunerbevölkerung an jedem
einzelnen Ort aufzeichnen; das wird auf der Basis primärer statistischer Angaben
über die Bevölkerung erfolgen. [...] Zigeuner, die nicht sozial registriert sind oder
keinen klaren sozialen Status haben, sollen mit den notwendigen Identitätskarten
ausgestattet werden. [...] Auf den Identitätsausweisen müssen Wohnort und
Arbeitsstelle vermerkt sein. [...] Das Transport- und Telekommunikationsministerium
sollte harte Bedingungen für Pferdegeschirr- und Pferdtransporte auf der Bahn
durchsetzen, um die Zigeunerfamilien an der Weitermigration zu hindern. [...] Das
Arbeitsministerium wird mit Hilfe seiner lokalen Einheiten und der Miliz eine genaue
Bevölkerungsübersicht erstellen bezügl. der Zigeuner, die arbeitsfähig, aber
arbeitslos sind. Die regionalen Stellen für Arbeit und Sozialversorgung sowie ihre
Zentralstellen in Bukarest sollten wie die Miliz sehr strikt und verschärft das Dekret
93
25/1976 anwenden. [...] Zigeunerbürger mit hohem Bürgersinn und einer positiven
Einstellung zur Arbeit sollten gefördert und bei Wahlen aufgestellt werden."
Auf Beschluß der KPR bildeten sich lokale Komitees, die einer sogenannten
Demographiekommisssion zuarbeiten sollten. Diese lokalen Komitees bestanden aus
Erziehern, Gesundheitsverantwortlichen, Repräsentanten der KPR und der Polizei.
Dazu Nicolae Gheorghe, der diese Arbeit aus eigener Erfahrung kennt:
"Die Polizisten waren das aktivste Element. Sie arbeiteten, um große Gruppen von
Roma zu zerstreuen. Zerstreuung wurde als der beste Integrationsweg der Roma in
die Gesellschaft angesehen." 95
Der Umbruch vom Dezember 1989 bedeutete für die Roma das Ende der
staatlichen "Integrationspolitik". Sie waren nun die ersten, die überall entlassen
wurden. Gleichzeitig liefen in den Medien Kampagnen gegen Schwarzhandel an - mit
eindeutig antiziganistischer Stoßrichtung. Daß die Roma bei der Privatisierung der
Landwirtschaft generell übergangen wurden, ist bereits geschildert worden. Wenn
heute viele von ihnen die Ceauºescu-Zeit wieder herbeiwünschen - an deren
Beendigung sie bedeutenden Anteil hatten - , so ist das ein deutlicher Hinweis auf
ihre Verfolgung und absolute Verarmung.
Bereits im Dezember 1989 begann die rumänischen Regierung eine aktive
Minderheitenpolitik, gleichzeitig mit den in den meisten Landesteilen einsetzenden
Pogromen gegen Roma. Von da an konstituierten sich auch die Selbstorganisationen
und Verbände der Minderheiten nach nationalen und ethnischen Kriterien. Während
die verschiedenen Gruppen, für die Rumänisch nicht die Muttersprache war, in den
70er Jahren nur nominell als nationale Minderheiten Rumäniens galten und Roma in
offiziellen Statistiken nur unter etcetera auftauchten und nicht gesondert aufgeführt
wurden, setzte sich die Ethnisierung nun überall durch.
Die Minderheitenverbände der Roma96, Serben, Ukrainer, Armenier, Türken,
Griechen, Bulgaren und Slowaken, die nach 1989 gegründet wurden, spielen im
95 Gheorghe, Nicolae, zit. nach Helsinki Watch, Destroying, S. 19.
96 u.a. Ethnische Föderation der Roma, Partidul romilor (Roma-Partei), DURR (Demokratische Union
der Roma in Rumänien), Partidul romilor nomazi si calderari din Romania (Partei der nomadischen
und Kalderash-Roma in Rumänien), Sozialdemokratische Partei der Roma in Rumänien. - Zur Zeit
gibt es fünf Roma-Zeitungsprojekte. - Viele Roma-Initiativen knüpfen seit 1990 an syndikalistische
und verbandspolitische Erfahrungen der Roma aus den 30er Jahren an, die sich damals von
94
Vergleich zu den großen ungarischen Verbänden kaum eine Rolle. Die ungarische
Minderheit beziffert ihre Bevölkerung auf 1,7 Millionen Menschen. Insgesamt hat
Rumänien 23 Millionen Einwohner, davon zählen 2 bis 2,5 Millionen als Roma. Die
Selbstorganisationen sind vor allem im kulturellen und medienpolitischen Bereich
aktiv, die ungarische Minderheit entwickelt darüber hinaus auch bedeutende
parteipolitische Aktivitäten.
Das politische Spannungsverhältnis, in dem sich die nationalen Minderheiten seit
1989 bewegen, wurde mit dem wachsenden Nationalismus bereits benannt. Darüber
hinaus rücken außenpolitische Konflikte beziehungsweise Grenzstreitigkeiten mit
Ungarn, Moldawien und Rußland zunehmend in den Vordergrund der rumänischen
Politik. Die nationalen Minderheiten gelten in diesem ethnisierenden Machtspiel als
fünfte Kolonnen.
Beunruhigend ist, daß fast die gesamte rumänische politische Klasse - ob links
oder rechts, ob an der Regierung oder in der Opposition - die neuen nationalistischen
Spielarten auf das schnellste gelernt hat und in unterschiedlichem Grad anwendet.
Ihre Beherrschung wird offenbar als Garant für den Machterhalt beziehungsweise als
probates Mittel zur Erlangung derselben angesehen. Selbst der Führer des
faschistischen
Kollaborationsregimes,
Marschall
Antonescu,
wurde
in
der
rumänischen Öffentlichkeit rehabilitiert und Ende April 1991, aus Anlaß des 45.
Jahrestages seiner Exekution, mit einer Schweigeminute im Parlament geehrt. Auch
ein Teil der Bürgerrechtsbewegung war an der Rehabilitierung Antonescus
beteiligt, 97 der bis zu seinem Sturz 1944 für die Verfolgung und Deportation der
rumänischen Juden und Roma verantwortlich war.
Zur
zentralen
Metapher
der
nationalen
Formierung
des
gesamten
Parteienspektrums wurde die sogenannte Nationale Sicherheit. Sie werde von den
Roma,
den
Juden,
der
ungarischen
Minderheit,
den
Homosexuellen
und
"Kriminellen" gleichermaßen bedroht. Nur mit Hilfe des (alt-neuen) Geheimdienstes,
Bukarest und Craiova aus ausgebreitet hatten. - Bisher kann man sicherlich nicht von den Roma in
Rumänien als einer homogenen Gruppe sprechen, wie es die Konzepte der Ethnisierung
nahelegen: "Man muß sich vor Augen halten, daß obwohl die Roma vor sechs Jahrhunderten als
ein Volk nach Europa kamen, es heute nicht möglich ist, von den Roma als einer ethnisch
vereinigten Gesamtheit zu sprechen. Auch gibt es keine einheitliche Roma-Kultur." Hancock, AntiGypsyism, 1992, S. 616. In Rumänien gibt es ungefähr viezig verschiedene Roma-Gruppen mit
sprachlichen Unterschieden, ungefähr sechzig Prozent von ihnen sprechen Romanes. (Nicolae
Gheorghe, nach Helsinki Watch, Destroying, S. 7.)
97siehe entsprechende Zeitungsartikel in der Zeitung der oppositionellen Bürgerrechtsbewegung
"romania libera" und "22", der Zeitschrift der "Gruppe für den sozialen Dialog", in den Jahren
1990/91. (William Totok wies in der FR vom 17.10.90 auf diese beispielhafte Entwicklung hin.)
95
der Polizei und des Militärs sowie den nationalistischen Sammlungsbewegungen wie
den PUNR und der Vatra Româneascã könne die Nationale Sicherheit gewährleistet
werden - so heißt es allenthalben. Der ideologische Mechanismus ist bekannt: Jede
Kritik, jede Offenlegung von Mißständen, jede aufmüpfige Initiative wird als
Schädigung des Rumänienbilds im Ausland aufgefaßt und tendenziell zum Delikt.98
Von vielen Gruppen, mit denen wir sprachen, wird die Bedrohung durch die
Geheimdienste als reale Gefahr beschrieben.
Die Pogrome gegen Roma begannen im Dezember 1989. Diese Kette der Gewalt
fällt mit der Ethnisierung und der Renationalisierung der rumänischen Politik
zusammen. Darin liegt die eigentliche Dramatik und Tragik der blutigen Ereignisse.
Die lokalen Bündnisse, die zu den Pogromen anstacheln, verstehen die Übergriffe
nicht nur als Kollektivbestrafung für die vermeintlichen Delikte einzelner, sondern
auch als Auftakt für eine endgültige Vertreibung und als Vernichtung der
Lebensgrundlagen der Roma. Auffallend ist, daß sich viele Pogrome gegen RomaSiedlungen richten, die erst in den vergangenen Jahrzehnten am Rande der Dörfer
und Städte zwangsweise eingerichtet worden waren.
Lokale Behörden, Politiker und Kirchenvertreter, die nachweislich an Pogromen
beteiligt waren, kamen fast immer ohne Strafe davon. Polizisten unterliegen
schließlich nach wie vor der korporativistischen Militärjustiz. Auch im Nachhinein
übernehmen die staatlichen Organe keinen glaubwürdigen Schutz für die
Angegriffenen, Verletzten und Geschädigten sowie für die Angehörigen der
Ermordeten.
"Die Ermittlungen und die justizielle Bearbeitung all dieser Fälle kollektiver Gewalt,
die gegen Roma Familien und Communities in Rumänien seit Dezember 1989
begangen wurden, ist extrem langsam und ziemlich ineffizient. Von insgesamt 24
solcher
Vorkommnisse
destruktiver
Mengengewalt,
die
von
rumänischen
98 Das "Gesetz zum Schutz der Nationalen Sicherheit", das am 25.7.1991 verabschiedet wurde,
ermöglicht weitreichende Eingriffe der rumänischen Geheimdienste in die Grundrechte. - Am
2.2.94 nahm der Senat ein Gesetz an, das von der PUNR vorgeschlagen worden war, nach dem
die ”öffentliche Diffamierung Rumäniens und der rumänischen Nation” strafbar wird: Es drohen
Gefängnisstrafen zwischen einem und fünf Jahren. Noch ist das Gesetz nicht von der
Abgeordnetenkammer verabschiedet. - In seinem Rechenschaftsbericht, den der rumänische
Geheimdienst SRI am 15.10.94 dem Parlament vorgelegt hat, nimmt er vehement gegen die Arbeit
bestimmter regierungsunabhängiger Roma-Organisationen Stellung, die, so wörtlich, "durch die
Fälschung und Verunglimpfung der Lage in unserem Land, zu Aktionen aufhetzten, die das Image
Rumäniens im Ausland beeinflußten und gleichzeitig zu destabilisierenden und gegen die
Verfassung gerichteten Akten anstachelten." (zit. n. ai, Leere Versprechungen, S. 6)
96
Jusitzkommissionen, von der Roma-Föderation und von internationalen NGO´s
untersucht wurden, ist nur ein einziger Fall vor Gericht gekommen, es kam zur
Verurteilung wegen Zerstörung von Romaeigentum. In keinem Fall wurde den Opfern
eine rechtliche Entschädigung zugesprochen. Keiner der vier Fälle, wo eine
gewalttätige Menschenmenge Roma tötete, wurde bisher vor Gericht verhandelt. Alle
Personen mit Romaherkunft, die im Zusammenhang mit solchen Vorkommnissen
kriminelle Handlungen begangen haben, wurden ermittelt, es wurde Anklage gegen
sie erhoben, sie erhielten einen Prozeß und wurden verurteilt." 99
Die folgende Dokumentation der Pogrome in Rumänien ist sicherlich nicht
vollständig. Wir verdanken diese Angaben zum größten Teil Romani CRISS 100 und
der Föderation der Roma in Rumänien, d.h. Roma-Selbstorganisationen, die einen
bedeutsamen Beitrag für die Gegenöffentlichkeit und den Wiederaufbau zahlreicher
abgebrannter Häuser geleistet haben. Die kleine Gruppe von Soziologen und
Studenten mit Sitz in Bukarest hat in zahlreichen Hilferufen den verschiedensten
Menschenrechtsorganisationen,
Flüchtlingsinitiativen
Romagruppen,
Informationen
zukommen
ausländischen
lassen
und
Kirchen
sich
und
an
die
supranationalen Institutionen wie den Europarat und die KSZE/OSZE gewandt.
Inzwischen sind diese Organe seit 1993 von der offiziellen rumänischen
Regierungsposition abgerückt und bemühen sich zu vermitteln.
Unter dem Druck der Pogrome bilden die Roma lokale Selbstorganisationen und
Projekte, die sowohl parteipolitisch als auch basisdemokratisch orientiert waren.
Daraus entwickelte sich ein Geflecht von lokalen SprecherInnen, Bürgermeistern und
Lokalpolitikern, die auch über Verbindungen zu supranationalen Stellen und neuen
entwicklungspolitischen NGOs verfügen.
99 Romano Lil, Impunity, S. 3
100 Romani CRISS (Centrul Romilor pentru interventie sociala ºi studii - Roma-Zentrum für Soziale
Interviention und Studien). Siehe auch Reemtsma, Katrin, Roma in Rumänien. Hrsg. v.
Gesellschaft für bedrohte Völker. Menschenrechtsreport Nr. 9. Göttingen 1992
97
Dokumentation von Pogromen und Übergriffen auf Roma in
Rumänien
Dez. 89, Vârghiº, Region Covasna: Circa 200 Personen verfolgen eine Gruppe
Roma, von der eine Person erschlagen wird, zwei Häuser werden abgebrannt.
Mehrere Verurteilungen zwischen 5 Monaten und 3 bis 6 Jahren folgen.
Entschädigungen gibt es nicht.
10/11.1.90, Turu Lung, Region Satu Mare: Circa 1.000 Personen brennen 38 Häuser
der Roma ab, drei weitere Häuser werden schwer beschädigt. Erst zwei Stunden
danach tauchen 40 Polizisten auf. Die Roma flüchten nach Satu Mare. Später
erhalten sie als Entschädigung 5.000 Lei pro Kind, 10.000 pro Erwachsenen, um
sich wieder Häuser aufbauen zu können. Roma, die Anzeigen stellen wollen,
werden bedroht. Die Ermittlungen sind noch nicht beendet beziehungsweise
wurden eingestellt.
29.1.90, Reghin, Region Mureº: Etwa 400 bis 500 Personen gehen gegen ein
Gruppe Roma vor, zwei ihrer Häuser werden beschädigt. Keine Strafverfolgung.
5.2.90, Lunga, Region Covasna: 200 bis 250 ungarische Rumänen zünden sechs
Häuser von Romafamilien an. Vier Roma werden gelyncht. Niemand wird
vorgeladen oder verhört, die Ermittlungen dauern an.
19./20.3.90,
Tîrgu Mureº
(Marosvásárhely
/
Neumarkt):
Von
rumänischen
Nationalisten inszenierte Zusammenstöße zwischen Rumänen und Ungarn. Die
Bilanz: mehrere Tote. Einige Roma werden im Anschluß unter Anwendung des
Dekrets 153/1970 inhaftiert.
April 90, Seica Mare: Acht Roma-Häuser werden zerstört, sieben Bewohner
verhaftet.
Mai 90, Gaiseni: Zwei Roma-Häuser zerstört.
Mai 90, Lebotin: 25 Romafamilien überfallen.
13-15.6.90, Bukarest, Stadtteile Ferentari, Tei, Rahova, Pantellimon, Sulea: Die
Opposition demonstriert ununterbrochen im Zentrum der Hauptstadt, die soziale
Situation spitzt sich zu. Präsident Iliescu befindet sich innenpolitisch in einer
schwierigen
Situation
und
gewährt
den
Bergleuten
aus
dem
Jiu-Tal
Lohnerhöhungen und mehr Urlaubstage. Im Gegenzug fordert er die Bergarbeiter
auf, in Bukarest gegen
"Drogenabhängige und Kriminelle, die vom Ausland
bezahlt werden" vorzugehen. Sie wüten zwei Tage in der Hauptstadt. Passanten,
Oppositionelle, Studenten, die einen zentralen Platz besetzt halten, und Roma
98
sind Opfer ihrer Prügelorgien. Romafrauen werden vergewaltigt, mindestens
sieben Menschen erschlagen, über 300 Verletzte werden registriert. Die
Bergleute, so stellt sich später heraus, wurden von Polizisten angeführt, die ihnen
Roma-Häuser zeigten. Nach dem Pogrom dankt Iliescu den Bergleuten. Über 200
Roma wurden festgenommen.
20.7.90,
Câlnic,
Region
Alba:
Dorfpolizisten
nehmen
an
rassistischen
Ausschreitungen gegen Roma und an der Zerstörung an ihrer Häuser teil.
12.8.90, Caºinul Nou, Region Harghita: Rund 400 ungarische Rumänen zerstören
und brennen 23 Häuser der Roma nieder, etwa 150 Roma können fliehen. Einige
Wochen später kehren sie zurück. Die Ermittlungen, zunächst eingestellt,
schließlich wiederaufgenommen, sind noch nicht beendet.
29.8.90, Huedin, Region Cluj: Etwa 100 Personen gehen unter den Augen der Polizei
auf Roma los. Die Bilanz: 10 bis 15 Verletzte.
7.10.90, Cuza Vodã, Region Constanþa: Eine Gruppe Rumänen geht mit Steinen
gegen Roma vor und zündet deren Häuser an.
20.9.90, Huedin, Region Cluj: Circa 100 Personen gehen gegen ein Dutzend Roma
vor, schlagen sie, vier werden verwundet. Die vier anwesenden Polizisten greifen
nicht ein. Die Ermittlungen werden eingestellt.
9.10.90, Mihai Kogãlniceanu, Region Constanþa: Die Land- und Dorfpolizisten sollen
zu einem Feldzug gegen Roma aufgestachelt haben. Die Menge wird von der
Polizei
und
dem
Bürgermeister
angeführt.
25
Roma-Häuser
werden
niedergebrannt, 8 weitere zerstört. 200 Roma müssen fliehen. (Einige der Häuser
werden später wiederaufgebaut.) Niemand wurde festgenommen, die Ermittlungen
laufen noch.
9.12.90, Basarab: Zerstörung von zwei Roma-Häusern.
7.4.91, Bolintin Deal, Region Giurgiu: Mit Kirchenglocken wird eine Menge von über
1.000 Personen zu einem Angriff auf die Häuser der Roma zusammengerufen.
Die Roma werden verjagt, ihre Häuser in Brand gesteckt. Einen Monat später
versuchen einige Roma zurückzukehren. Abermals läuten die Kirchenglocken eine
große aggressive Menge zusammen. Dabei werden weitere 5 Roma-Häuser
niedergebrannt, die am 7.4. noch nicht vollständig zerstört worden waren. Kein
Haus wird anschließend wiederaufgebaut, viele Roma müssen wegziehen. Die
Ermittlungen
werden
eingestellt,
erst
nach
Untersuchungen
von
Menschenrechtsorganisationen müssen sie im März 1994 wiederaufgenommen
99
werden. Gegen den Priester und den Dorfvorsteher wird ermittelt. Die lokalen
Behörden verhindern jedoch die Rückkehr der Roma.
17.5.91, Ogrezeni, Region Giurgiu: 21 Roma-Häuser werden vollständig zerstört und
niedergebrannt, alle Roma aus dem Ort gejagt. Anschließend wird kein Haus
wiederaufgebaut, die Roma kehren nicht zurück. Die Ermittlungen werden
eingestellt. Die lokalen Behörden verhindern auch später die Rückkehr der Roma.
18.5.91, Bolintin Vale, Region Giurgiu: Das Pogrom von Ogrezeni dehnt sich aufs
Nachbardorf aus. Mindestens 11 Roma-Häuser werden verbrannt, die Bewohner
verjagt. Niemand erhält eine Entschädigung. Einige wenige kehren zurück. Sie
müssen seitdem in Baracken leben.
5.6.91, Gãiseni, Region Giurgiu: Ausweitung der Pogrome auf dieses Nachbardorf. 9
Roma-Häuser werden zerstört und abgebrannt. Bis heute gibt es keinen Prozeß
gegen die Täter. Einige Roma sind inzwischen ins Dorf zurückgekehrt, haben aber
weder
eine
Entschädigung
erhalten
noch
konnten
sie
ihre
Häuser
wiederaufbauen.
9.6.91, Plãieºii de Sus, Region Harghita: 27 Roma-Häuser werden von ungarischen
Rumänen abgebrannt. Viele Roma kommen später zurück und bauen die Häuser
wieder auf. Rund 450 Personen werden in der Folge verhört, die Ermittlungen
laufen noch.
Juni 91, Cãrpiniº, Region Timiº: 9 Roma-Häuser werden zerstört.
3.7.92, Bukarest, Rahova-Platz: 40 uniformierte Militäroffiziere der Einheit UM.02180,
einige sollen sogar maskiert sein, verfolgen Roma-Straßenhändler auf dem Platz
bis in die umliegenden Straßen und zerstören ein von Roma besuchtes
Restaurant. Anwesende Polizisten schreiten nicht ein. Mehrere Roma lassen sich
ärztliche Atteste ihrer Verletzungen ausstellen, aber niemand wird belangt.
Ermittlungen werden nicht aufgenommen.
13.8.91, Valeni Lapusului: 150 Roma-Häuser niedergebrannt.
Nov. 92, Comãneºti, Region Bacau: Eine Polizeipatrouille dringt widerrechtlich in ein
Roma-Haus ein, die Polizisten legen ihre Gewehre an, erschießen zwei Roma und
verletzen einen dritten. Die Staatsanwaltschaft eröffnet kein Ermittlungsverfahren.
17.3.93, Cãrpiniº, Region Timiº: Angriffe auf Roma, Beschädigung von 5 RomaHäusern. Noch keine Prozeßeröffnung.
Juni 93, Bolentin Vale: Drei Personen aus Bolentin Vale werden wegen bewaffneter
Bedrohung und der Zerstörung von Romaeigentum zu Strafen zwischen 6
100
Monaten und einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Zur Zeit läuft ein Prozeß
gegen 25 Personen wegen ihrer Teilnahme an den Ausschreitungen in Gaiseni.
20.9.93, Hãdãreni, Landkreis Cheþani, Region Mureº: 400-500 Rumänen und
Ungarn aus Hãdãreni und Umgebung versammeln sich vor dem Haus eines
Roma. Er soll an einem tödlich verlaufenen Streit beteiligt gewesen sein. Als zwei
der Bewohner fliehen wollen, werden sie von der Polizei verhaftet. Die Polizisten
lassen zu, daß die Menge sie lyncht. Die beiden sterben auf dem Weg ins
Krankenhaus. Ein weiterer Bewohner des Hauses traut sich nicht heraus und stirbt
in den Flammen. Viele der 170 ortsansässigen Roma fliehen. Mehrere Stunden
später werden weitere 12 Roma-Häuser in Gegenwart der Polizei angezündet.
Anfang Oktober beraten die Bewohner von Hãdãreni in einer Versammlung, ob die
Roma zurückkommen dürfen. Am 5.10.93 schreiben sie einen offenen Brief an
den Staatspräsidenten, das Parlament und an die Regierung. Darin äußern sie
den Wunsch, in Zukunft nicht mehr mit Roma zusammenzuleben. Sie würden eine
Schwarze Liste mit im Dorf unerwünschten Personen aufstellen. Als am 29.10.93
circa 20 der vertriebenen Roma einer Einladung folgen, zusammen mit einem
Regierungsvertreter an einer Versammlung der Lokalbehörden teilzunehmen,
werden sie nicht eingelassen. Glockengeläute bringt eine Menge von 60 Rumänen
zusammen, die mit Stöcken und Gerätschaften gegen die Roma vorgehen. "Die
blutigen Zigeuner müssen weg", singt der Mob. Gleichzeitig befinden sich mehrere
hochrangige Polizisten in der Stadt, aber keiner der Angreifer wird entwaffnet. Die
Roma können nicht an der Versammlung teilnehmen. Es ist das erste Pogrom,
das Rumänien international zu schaffen macht, denn es findet zeitgleich mit dem
Beitritt zum Europarat statt. Die Regierung mußte die erste Erklärung, in der sie
die Roma als Schuldige benannte, zurückziehen. Die zweite Erklärung verteilte die
Schuld auf beide Seiten und betonte, daß - zum ersten Mal - Konsequenzen
gezogen
werden
müßten.
Doch
Untersuchungskommission
werden
"aggressiven,
und
kriminellen
die
im
Abschlußbericht
Ausschreitungen
desintegrativen
als
Lebensweise"
der
Folge
der
der
Roma
bezeichnet. Die Reaktion der Dorfbewohner sei "unter den gegebenen Umständen
erklärlich",
wenn
auch
"legal
nicht
zu
rechtfertigen".
Selbst
die
Kommisssionsmitglieder der Opposition - mit Ausnahme der ungarischen Vertreter
101
- stimmten für den Bericht.101 Der Rat für Nationale Minderheiten engagierte sich
bei den Vorhaben, die Häuser in Hãdãreni wiederaufzubauen und zwischen den
Bevölkerungsgruppen zu vermitteln. Bis auf 4 Familien kehrten die Roma zurück.
4 der abgebrannten 13 Häuser wurden wiederaufgebaut.
Oktober 93, Ogrozeni: Überfälle auf Roma. Acht Erwachsene und drei Jugendliche
werden zu Ermittlungen vorgeladen. Der Prozeß ist noch immer nicht
abgeschlossen.
25.5.94, Racºa, Landkreis Oraºul Nou, Region Satu Mare: Ewa 800 bis 1.000
Rumänen überfallen die Romasiedlung, die sich 2 Kilometer außerhalb des Ortes
befindet. Die Bewohner fliehen, ihre 9 Häuser werden geplündert und angezündet.
Eine zufällig anwesende Polizeipatrouille (3 Polizisten) aus Negreºti bleibt untätig.
Haftbefehle, kurzfristig gegen 13 Verdächtige ausgestellt, werden wieder
aufgehoben. Der Prozeß ist noch nicht abgeschlossen. Die geflüchteten Roma
trauen
sich
nicht,
in
ihren
Ort
zurückzukehren,
obwohl
ihre
Häuser
wiederaufgebaut werden sollen. Sie sehen sich nicht durch Polizei geschützt.
8.1.95, Bâcu: Kirchturmglocken bringen eine Menge zusammen. Am Vortag waren
bereits zwei Roma angeschossen und schwer verletzt worden, die meisten Roma
geflohen. Nun werden vier Roma-Häuser geplündert und angesteckt, drei völlig
niedergebrannt. Ungefähr 20 Polizisten, auch höherrangige, beobachten untätig
das Geschehen. Vier oder fünf Tage später kehren die Roma in ihre Häuser und
Ruinen zurück, in der Hoffnung, daß die Gendarmerie zu ihrem Schutz im Dorf
bleiben wird. Sie trauen sich nicht, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Die
Staatsanwaltschaft von Giurgiu ermittelt, aber bisher ist niemand vorgeladen
worden. 102 Bâcu liegt in einer Gegend, in der es seit 1991 viermal zu Pogromen
gegen Roma kam. Bis heute wurde niemand zur Rechenschaft gezogen.
Rumänien und der Westen: Es bleibt die Frage, welchen Einfluß die allmähliche
Westanbindung Rumäniens auf den Prozeß der nationalistischen Formierung, der
Pogrome und der rassistischen Übergriffe hat. Seit 1992/93 arbeitet die Iliescu-
101 taz 6.10.93 und 12.11.93. Amnesty international protestierte am 28.9.93 bei Präsident Iliescu
gegen die Straflosigkeit unter Bezug auf die Ausschreitungen in Hãdãreni. Siehe auch amnesty
international 4.10.93 ("Romania: Police fail to protect three Roma from public lynching", London).
102 Amnesty international schrieb am 21.2.95 an Präsident Ion Iliescu, um ihn zur Ergreifung von
Schutzmaßnahmenfür die Roma in Bâcu und gegen die Straflosigkeit zu bewegen.
102
Regierung mit der Europäischen Union zusammen und hat sich dabei - insbesondere
von der Bundesrepublik Deutschland - abhängig gemacht. Rumänien ist inzwischen
Vollmitglied im Europarat und hat als erstes Land des ehemaligen Warschauer
Paktes mit der NATO die ”Partnerschaft für den Frieden” vereinbart. 103 Wegen des
Handelsembargos gegen Restjugoslawien genießt Rumänien zudem international
eine zuvorkommende Aufmerksamkeit.
Während sich die Regierungen der USA und Frankreichs für institutionell
verankerte Minderheitenrechte stark machen, setzt sich die Bundesregierung nur
zugunsten der Rumäniendeutschen ein. So wurde auf Drängen der USA und
Frankreichs in dem Vertrag mit Ungarn, der die Grenzstreitigkeiten zwischen den
beiden Ländern beilegte, auch ein Minderheitenschutz verankert. Der Vertrag war auf
diplomatischen
Druck
der
Clinton-Administration
und
der
französischen
Präsidentschaft zustandegekommen. 104 Die Bundesregierung ließ immer wieder
Zweifel an einer gemeinsamen Strategie des Westens aufkommen. So stemmte sich
die deutsche Delegation in der UNO-Menschenrechtskommission gegen die
Verabschiedung einer Resolution, die die Gleichstellung und den Schutz von Roma
festschreiben sollte. Selbst einer Kompromißresolution versagte die deutsche
Delegation ihre Zustimmung,105 Kein Wunder, schließlich war im gleichen Jahr der
Deportationsvertrag
Bonn-Bukarest
abgeschlossen
worden.
Die
Menschenrechtskommission des US-Kongresses hatte sich dagegen gegen jegliche
Wirtschaftshilfe an Rumänien ausgesprochen, solange dort Gewalt gegen Roma und
andere Minderheiten geduldet werde.106
Die Minderheitenpolitik, die der Europarat107 und die KSZE/OSZE 108 in Bezug
auf Rumänien vorschlagen, könnte nach unserer Einschätzung die Pogrome als
103The Economist, 9.7.94. Die PFF war im Januar 1994 ins Leben gerufen worden, um Länder des
ehemaligen Warschauer Pakts in die NATO-Einflußsphäre einzubinden.
104 Siehe die Balkaninitiativen des US-Beauftragten Richard Holbrooke im Frühjahr 1995, sowie die
Konferenz über die Stabilität in Europa am 20./21.3.95 in Paris.
105 Resolution "Schutz der Roma", Menschenrechtskommission der UN, Genf, 5.3.92, siehe FR
6.3.92. Vgl. auch die beschönigenden und Roma-feindlichen Darstellungen im Lagebericht des
Auswärtigen Amts der BRD zu Rumänien vom 28.2.95.
106 Protest-Nachricht an den rumänischen Präsidenten Iliescu vom 13.8.92
107 Rumänien wurde im Oktober 1993 als Vollmitglied in den Europarat aufgenommen, unter der
Voraussetzung, daß mehrere Gesetze in Übereinstimmung mit der Europäischen
Menschenrechtskonvention novelliert werden. U.a. müsse die Minderheitenpolitik auf Prinzipien
gründen, die in der Empfehlung 1201 (1993) des Europarats festgehalten worden ist. Demnach ist
als staatliche Verfolgung anzusehen, wenn Übergriffe stattfinden, es keinen Polizeischutz gibt und
die Täter mit Straflosigkeit rechnen können. Der Ausschuß für politische Angelegenheiten und der
Ausschuß für Recht und Menschenrechte der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
103
Mittel der ethnisierenden Politik durchaus wirkungsvoll ächten. Bei genauerer
Betrachtung ist aber zu befürchten, daß die Anregungen und Interventionen dieser
supranationalen Einrichtungen die Ethnisierung der Politik nicht stoppen werden, im
Gegenteil: Das "Europa der Regionen", d.i. eine neue Machtdynamik zwischen den
Regionen, wird die Spaltung entlang sozialer und ethnischer Linien fördern, wenn
auch auf dem Verhandlungsweg. Die neuen Regionen der nationalen Minderheit sind
bekannt: Es sind die Gebiete, die früher zur K.u.K.-Monarchie bzw. zu Ungarn
gehörten, es sind mit dem Banat und Siebenbürgen auch die Herkunftsgegenden der
Rumäniendeutschen. Da die jeweiligen Siedlungsgebiete der Minderheiten zugleich
auch Zonen unterschiedlicher Armut sind, droht die Minderheitenpolitik zum Vehikel
einer regional gestaffelten sozialen Differenzierung des Landes zu werden. Je mehr
sich diese Zonen des kleinen Wohlstands aus dem Zugriff des Zentralstaats lösen
können, desto mehr werden ethnische Kriterien zu Zugangskriterien für die
Verwaltung und das öffentliche Leben. Eine Minderheitenpolitik dieser Art ist daher
nicht per se mit einer Demokratisierung gleichzusetzen, schließlich wird sie "von
oben"
gemacht.
Die
Machtverhältnisse
bleiben
in
ihren
Grundstrukturen
unangetastet. Ein beredtes Beispiel dafür liefert der Begnadigungsakt aus Anlaß des
Beitritts zum Europarat: Während acht rumänische Ungarn, die im Dezember 1989 in
den Gemeinden Zetea und Dealu Polizisten ermordet hatten und deshalb zu
langjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren, auf Drängen des Europarates am
24.3.94 begnadigt wurden, kamen im Gegenzug alle stellvertretenden Mitglieder des
erhielten den Auftrag, Rumäniens Fortschritte hinsichtlich der gestellten Bedingungen zu
überprüfen und bis zu deren Erfüllung alle sechs Monate Bericht über die Lage zu erstatten
(Weisung 488/1993). Die Berichterstatter der genannten Ausschüsse besuchten Rumänien jedoch
nur einmal im März 1994. - Im Juni 1994 ratifizierte Rumänien die Europäische Konvention zum
Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und erkannte gleichzeitig das in Artikel 25
verankerte Individualrecht auf Gesuche an die Europäische Kommission für Menschenrechte und
die obligatorische Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (Art. 46)
durch entsprechende Erklärungen an. - Im Oktober 1994 ratifizierte die rumänische Regierung die
Europäische Konvention zur Beseitigung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender
Behandlung, die am 1.2.95 in Kraft trat. Dadurch ergibt sich für die entsprechenden
Menschenrechtsbeauftragten die Möglichkeit, alle Haftanstalten und Polizeigewahrsame in
Rumänien zu besuchen und die Verhältnisse dort zu überprüfen. - Amnesty international
resümierte im Mai 1995 besonders in Hinblick auf die Situation der Minderheiten in Rumänien:
"Menschenrechtsverletzungen nehmen in Rumänien kein Ende, obwohl die politische Führung
dieses Landes im Oktober 1993 bei der Aufnahme in den Europarat zugesichert hat, den
Menschenrechten gemäß international anerkannten Grundsätzen Geltung zu verschaffen. [...]
Landesweit kommt die Polizei ihrer Pflicht, die Roma-Minderheit vor rassistischen Übergriffen
nachhaltig zu schützen, nicht nach." (ai, Leere Versprechungen, S. 1) Und weiter heißt es, daß
"Sicherheits- und Ordnungskräfte in Rumänien mit Straflosigkeit rechnen können, wenn sie
Menschenrechtsverletzungen begehen." (ebda, S.5)
108 In der Resolution vom 10.7.92 verurteilte die KSZE die Diskriminierung und den Rassismus gegen
Roma, mit heftiger Kritik an den jeweiligen Regierungen.
104
ehemaligen politischen Exekutivkomitees des ZK der RKP frei, die zu hohen
Haftstrafen verurteilt waren.
Die gesetzlich geregelte Minderheitenpolitik knüpft in ihrem Geist an den
Friedensvertrag von Trianon (1920) und den Pariser Friedensvertrag (1947) an, auch
an deren Schwierigkeiten. Denn die Gebietsgewinne Rumäniens wurden damals mit
Verträgen
zwischen
den
jeweiligen
Nachbarländern
und
entsprechenden
innenpolitischen Garantien abgesichert, umgesetzt wurden die Minderheitenrechte
allerdings immer nur für kurze Episoden. Auch heute gibt es dagegen wieder
wachsende Widerstände. Die Gesetze, die den nationalen Minderheiten Rechte
einräumen und ihre politische Vertretung regeln, sind in den letzten Jahren
angesichts der wachsenden politischen Spannungen steckengeblieben. Zwar waren
die
beiden
grundlegenden
Gesetze
zum
Minderheitenschutz
1993
der
Abgeordnetenkammer vorgelegt worden, doch bis heute wurden sie nicht
verabschiedet. Der "Rat der Minderheiten", der am 24.3.93 mit großer öffentlicher
Aufmerksamkeit per Regierungsbeschluß Nr. 137/1993 ins Leben gerufen worden ist,
hat keine Entscheidungsbefugnisse. Denn das Gremium, in dem außer vierzehn
Beauftragten der Regierung auch alle siebzehn registrierten Minderheiten mit je drei
Personen vertreten sind, ist nur mit beratender Stimme ausgestattet. Schon im
September 1993 - nach dem Pogrom in Hãdãreni - geriet der Rat in die Krise, weil
sich die Roma-Vertreter und die Ungarische Demokratische Föderation Rumäniens
(HDUR) mit Verweis auf die ausschließlich kosmetische Funktion des Rates
zurückgezogen hatten. Als im Frühjahr des Jahres 1995 die Spannungen zwischen
der rumänischen Zentralregierung und den Bürgermeistern der ungarischen
Minderheit eskalierten, setzte Bukarest kurzerhand 137 Bürgermeister ab. Seit
Sommer 1995 ist darüber hinaus der Schulsprachenstreit offen ausgebrochen.
Nach dem Muster der institutionalisierten Minderheitenpolitik werden sich die
Menschen in fernerer Zukunft nach nationalen Kriterien definieren müssen, um
Zugang zu Beruf und staatlichen Leistungen zu erhalten. Vor allem die ungarische
Minderheit hat erste Schritte auf diesem Weg bereits gemacht. Sie fordert Quotierung
und kommunale Autonomie.
Nur die Roma werden bei der Minderheitenpolitik leer ausgehen. Als Gruppe ohne
Land und Landesgrenzen, ohne Staat und Kommunen beginnen unter ihren
Intellektuellen
Diskussionen
über
die
Perspektiven
einer
transnationalen
Gesellschaft. Neue Bündnisse auch über die Grenzen hinweg werden gesucht. Es ist
105
aber zu befürchten, daß der wachsende rumänische wie ungarische Nationalismus
den Antiziganismus genauso festschreiben wird wie die soziale und polizeiliche
Ausgrenzung
von
"Ausländern".
Nicht
zum
ersten
Mal
fallen
bedeutende
Minderheiten wie die Roma oder Menschen ohne rumänische Staatsbürgerschaft aus
dem Minderheitenschutz heraus. Auch in der Zwischenkriegszeit hatte die
Minderheitenregelung faktisch die jüdische Bevölkerung Rumäniens - immerhin die
drittgrößte jüdische Gemeinde Europas - aus wichtigen Teilen des öffentlichen
Lebens ausgeschlossen. So konnten sie nicht an Wahlen teilnehmen und ihre
Bürgerrechte wahrnehmen, weil der regierungsamtliche Antisemitismus ihnen
zumeist die Staatsbürgerschaft verweigerte.
Der offizielle Antiziganismus wird seit 1994/95 mit regelrechten Kampagnen gegen
die sogenannte Zigeunerkriminalität geschürt, flankiert von einer Spionagepsychose
und der ständig wiederholten Unterstellung, die Roma konspirierten gegen die
rumänische Nation. Anfang Mai 1995 wurde zudem bekannt, daß ein vom
Außenminister verfaßtes und vom Premierminister abgezeichnetes geheimes
Memorandum im Kabinett kreiste und schließlich trotz internationaler Proteste
abgezeichnet wurde. Demnach sind in allen offiziellen Dokumenten Roma als
"Zigeuner" ("þigan") zu bezeichnen, weil - so die Begründung - das Wort "rom" im
Ausland zu Verwechslungen mit der Bezeichnung "Rumäne" führe und dies dem
Image Rumäniens schade.109 Diesen Erlaß werten Roma-Vertreter als Ankündigung
einer härteren rassistischen Gangart des Staats.
109 Erlaß H 3/169/1995, siehe Rromani Lil Mai 95, Evenimentele Zilei, 2.5.95, taz 5.5.95
106
Statistische Übersicht:
Asylbegehren und Abschiebungen von RumänInnen in der BRD
Asyl von Rumänen in der BRD110
Jahr
beantragt
anerkannt
abgewiesen
Quote
Anerkg.
1989
3.120
50
2.700
2%
1990
35.350
50
7.720
1%
1991
40.500
120
29.430
0%
1992
103.790
80
47.480
0%
1993
73.850
130
95.710
0%
1994
9.581
5
15.058
0%
1995
5.000 (ca.)
0 (ca.)
6.000 (ca.)
0%
435
204.098
SUMME (ca.) 271.191
Zusammensetzung der Asylsuchenden aus Rumänien
Schätzungen gehen von 40% Roma unter den Rumänien-Flüchtlingen aus. 1991/92
verzichteten viele Roma vor allem in Nordrhein-Westfalen auf ihre rumänische
Staatsbürgerschaft,
sie
gingen
davon
aus,
daß
sie
aufgrund
ihrer
Verfolgungssituation auf keinen Fall nach Rumänien zurückkehren würden. Zudem
brachten sie damit ihren politischen Anspruch auf Anerkennung von Menschen ohne
Nationalstaat
offensiv
in
die
öffentliche
Debatte.
Die
Bestimmungen
des
Deportationsvertrags - die Glaubhaftmachtung der rumänischen Staatsbürgerschaft
110 Angaben von 1989 bis 1993 aus: UNHCR, Regional Bureau for Europe and Food and Statistical
Unit. Angaben von 1994 aus: Bericht des BMI zur Fortschreibung des Asyl-Erfahrungsberichts
1993. Asyl-Erfahrungsbericht 1994, S. 19. Unter den Abgewiesenen aus dem Jahr 1994 sind
zusammengefaßt: Offensichtlich unbregründet: 11.039. unbegründet: 1.335. Einstellung /
Rücknahme: 2.684. Angaben für 1995: Schätzungen.
107
durch Zeugen - und die faktisch durchgängige Ablehnung der Asylanträge bereiteten
dieser Bewegung der Staatenlosen eine Niederlage.
Asyl für Rumänienflüchtlinge in Westeuropa, incl. Skandinawien und Schweiz111
Zwischen 1988 und 1993 beantragten ca. 350.000 RumänInnen Asyl in Westeuropa,
das waren ca. 13% aller Anträge in den Ländern. Anerkannt wurden ca. 8.800
Personen. Frankreich hatte 1989 noch eine Anerkennungsquote von 53%, 1990 21%
und 1994 4%. Belgien 1989 80%, 1990 67% und 1994 8%. In Westeuropa lag die
Anerkennungsquote von RumänInnen 1988 noch bei 30%, 1992 war sie auf 0%
gedrückt worden.
Ablehnungen
1989
4.410
1990
13.290
1991
48.960
1992
61.570
1993
105.590
1994
ca. 36.923
SUMME
270.743
Abschiebungen von RumänInnen
Von
den
Abgeschobenen/Zurückgeführten
haben
20%
keine
Grenzübertrittsdokumente.112
1. Luftweg (entspricht 90% der Abschiebungen/Rückschiebungen):
111 UNHCR, Center for Documentation on Refugees (CRD), Background Paper on Romanian
Refugees and Asylum Seekers. Genf, Nov. 1994
108
11-12/92
1.591
93
38.490
50% Absch., 50% Rücksch.
94
25.636
60% Absch., 40% Rücksch.
1-7/95 (ca.)
7.000
60% Absch., 40% Rücksch.
SUMME ca.
72.817
2. Landweg (entspricht 10%)
8.100 (ca.)
81.000 (ca.) 113
SUMME
Abschiebungen über den Flughafen Schönefeld 114
Meist einmal täglich werden etwa 60 aufgegriffene RumänInnen über den Flughafen
Schönefeld ab-/rückgeschoben
Abschiebungen 1-7/95
3.607
Rückschiebungen
4.560
SUMME 1-7/95:
8.167
davon RumänInnen
6.421
Anteil abgeschobener/zurückgeschobener RumänInnen (Luftweg) im Vergleich
zur Gesamtzahl der Abschiebungen/Rückschiebungen115
1993
1994
Ins Herkunftland
60.404
56.620
in ein Drittland
[unbekannt]
33.000
RumänInnen
38.490
25.636
112 BGS-Tätigkeitsbericht 92
113 Nach Auskunft des BGS Koblenz, 2.6.95. Angaben zu 1-7/95 nach Auskunft des BGS Berlin,
23.8.95. Rück und Abschiebungen über Schönefeld Jan. bis Juli 95: 8.167 . Davon nach
Rumänien: 6.421. (Von den 8.167 sind 3.607 Abschiebungen und 4.560 Rückschiebungen.
114 Nach Auskünften von BGS Berlin, 23.8.95
115Bericht des BMI zur Fortschreibung des Asyl-Erfahrungsberichts 1993. Asyl-Erfahrungsbericht
1994, S. 11
109
Zurückweisungen an der Grenze
158.730116
1992
1994 außer Grenze zu Frankreich u. Benelux 146.847117
1994 insges.
150.000 (ca.)
"Von den im ersten Halbjahr 1992 wegen illegaler Einreise an den Grenzen vorwiegend zu Polen und zur CSFR - aufgegriffenen rund 18.000 Ausländern wurden
allein 10.351 Rumänen zurückgewiesen." 118
Der Anteil von RumänInnen an den Zurückgewiesenen ist nicht bekannt. Gehen wir
aus von einer niedrigen Schätzung von 20% aus, handelt es sich jährlich um 30.000
RumänInnen, die direkt an der Grenze zurückgewiesen werden.
Rückkehr von Rumänen aus der BRD nach Rumänien, gefördert durch die
IOM 119
1991
835
1992
2.735
1993
2.855
1994
963
SUMME
7.388
116 Anfrage von Guenter Graf (SPD), Antwort des Staatssekreärs Franz Kroppenstedt vom 13.4.93
117 Bericht des BMI zur Fortschreibung des Asyl-Erfahrungsberichts 1993. Asyl-Erfahrungsbericht
1994, S. 10
118 Erklärung des Bundesministers des Innern, Rudolf Seiters, 24.9.95
119 Die IOM-Rückkehrhilfen bestehen aus Flugtickets oder Busfahrscheinen, ggf. Taschengeld in
Höhe von 150,- DM, vermittelt durch das Sozial- oder Ausländeramt, durch Träger der freien
Wohlfahrtspflege und den UNHCR. Voraussetzung für die Inanspruchnahme dieses Zuschusses
ist, daß der Antragsteller seinen Asylantrag zurückzieht oder im Besitz einer gültigen
Aufenthaltsgestattung oder Duldung ist.
110
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