Das elfte Gebot - Andreas Sommer

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Das elfte Gebot - Andreas Sommer
Das elfte Gebot
Verliert er, muss er leben.
Theaterstück, 90 Minuten
HR 3 M, 1 F
NR 2 M
Autor: Siehe letzte Seite.
Synopsis
Konrad Münch hätte ein zweiter Jan Ulrich werden können.
Doch er wurde zum Verbrecher.
Der Gutachter gibt eine verheerende Prognose ab.
Zwingend also, Münch lebenslänglich zu verwahren.
Er ist jetzt zweiunddreißig.
Damit beginnt das Stück:
Eben hat ihm sein Psychologe, Dr. Weimar,
ein Indoor-Bike in die Zelle stellen lassen.
Darauf trainiert er nun jede Nacht den Spurt
auf den legendären Mont Ventoux.
Und er verliert sich in Selbstgespräche ... versucht es mit Poesie ...
fordert von Gott Antworten auf Fragen,
die ihm Pfarrer Fürth gestellt hat.
Bis ihm ein Geistesblitz einen lichtvollen Ausweg zuspielt:
Sein Leben ist noch viel wert. Ziemlich genau sieben Millionen!
Und Konrad Münch macht der Gesellschaft ein
Angebot, das sie nicht ablehnen kann ...
Die Resonanz in den Medien ist gewaltig.
Die Öffentlichkeit ist für ihn, der Staat jedoch stellt sich gegen ihn.
Konrad Münchs Versuch,
seinem Leben doch noch einen Sinn zu geben,
endet in einer Katastrophe - pardon: in einem Triumph!
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Konrad Münch
Dr. Anton Weimar
Cornelia Wagner
Manfred Fürth
Reto Clavadetscher
Paul
2
Täter
Psychologe
frühere Freundin
Pfarrer
Gefängnisdirektor
Häftling
Das elfte Gebot
Version September 14
von AMS
»Auch du bist lebenslänglich verwahrt - in deinem Schicksal.
Die gerichtliche Verwahrung ist bloß eine transparentere Variante.«
Personen
Konrad Münch
Dr. Anton Weimar
Cornelia Wagner
Manfred Fürth
Reto Clavadetscher
Paul
Täter
Psychologe
frühere Freundin
Pfarrer
Gefängnisdirektor
Strafgefangener
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Strafanstalt. Zelle. Nacht. Konrad (Koni) Münch allein.
Fußballübertragung Champions League.
Ein Tor fällt, Ausgleich in der letzten Minute.
Verlängerung, sagt der Kommentator.
KONI: Idioten! Jetzt werde ich gleich rausgeworfen.
Nach einer Weile schaltet das Gerät ab (22.30 Uhr).
Licht gedimmt.
KONI: Sadisten.
Wutanfall. Fluchen. Schlägt auf TV ein.
Zellenlicht auf Nachtstufe.
Alle guten Gaben, die wir alle haben - nein - alle guten Gaben, alles
was wir haben - alle guten Gaben, alles was wir haben, Dank sei
dir - mmh - kommt oh Gott von dir, Dank sei dir dafür! Alle guten
Gaben - Dank sei dir dafür! Derrr Dank! Dafürrr! Dirrr!
Musik. Wie immer, wenn sich eine Nacht hinzieht.
Manchmal sanft, manchmal infernalisch.
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Zelle. Koni. Psychologe (Dr. Anton Weimar)
WEIMAR: Radrennfahrer. Tour de France. Dabei sind wir letztes
Mal stehen geblieben, ja?
KONI: WEIMAR: Herr Münch, Sie waren ja ein guter Fahrer. Erfolgreich
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in der Amateurklasse. Können Sie sich an Ihren ersten Erfolg erinnern? Wie Sie erstmals eine Medaille um den Hals kriegten? Sie,
oben auf dem Podest. Unten die Fans. Wie alt waren Sie da, nicht
mal siebzehn, ja?
KONI: Wollen Sie mich wahnsinnig machen?
WEIMAR: Man könnte Ihnen so ein Tretding reinstellen, wie in den
Fitnessstudios. Ich kenne mich da nicht aus. Aber das könnte ich,
sag ich mal, durchbringen.
KONI: Dann bringen Sie mal, Herr Weimar.
WEIMAR: Bitte! Das ist keine Nötigung.
KONI: Den Mont Ventoux hinauf ? Hier drin?
WEIMAR: Es geht um die Bewegung. Um die Energie.
KONI: Welche Bewegung? Auf dem Ventoux machst du eine einzige falsche Bewegung und dich knallt's in den Abgrund. Nur das ist
Bewegung. Wenn's drauf ankommt. Aber ja doch, Sie meinen es ...
Sie wollen es gut mit mir meinen. Die Umstände sind nun mal nicht
ideal. Sie machen nur Ihren Job.
WEIMAR: Glauben Sie das wirklich?
KONI: Was glauben Sie denn? Sie sind der Psychologe.
...
WEIMAR: Ich glaube, dass wir uns im Kreis drehen.
...
KONI: Das wäre immerhin eine Bewegung, Herr Weimar!
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Zelle. Koni. Paul (Häftling aus Nachbarzelle). Mühlespiel.
Konrad Münch
Dr. Anton Weimar
Cornelia Wagner
Manfred Fürth
Reto Clavadetscher
Paul
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Täter
Psychologe
frühere Freundin
Pfarrer
Gefängnisdirektor
Häftling
PAUL: Wie machst du das? Schon wieder hast du mich am Arsch.
KONI: Ich verliere nicht gern, Paul.
PAUL: Schröpfkopf!
KONI: Ich sag's dir immer wieder: Es kommt auf die ersten drei
Steine an. Wenn du die versiebst, hat dich der andere schon im
Schwitzkasten.
PAUL: Ich habe meine genau so gelegt wie du deine zuvor.
KONI: Aber ich habe anders reagiert. Darauf kommt es auch an:
was der andere macht. Du bist nicht allein auf dem Brett.
PAUL: Hältst du mich für blöd? Klugscheißer.
KONI: Kaum. Sonst wäre ich nicht hier. Ich sogar ein bisschen län-
ger als du. Noch eine? Du kannst noch mal beginnen. Jetzt pass aber
auf deine Dreiecke auf! Paule!
PAUL: Die ersten drei Steine ... kann ich die mal gleichzeitig? Zack,
zuck und zock!
KONI: Du hast sie ja nicht alle! Dafür kriegst du noch zwei Jahre
drauf! (Schmeißt zwei Steine weg).
4
Besuchsraum. Koni. Seelsorger Manfred Fürth,
mit schwerer Mappe.
KONI: Kommen Sie mir nicht mit IHM! Das war ich allein!
FÜRTH: Ich bin Ihnen noch nie mit Gott gekommen. Doch Ihr
Brief hat mich betroffen gemacht. Ob die Familie ihn annimmt,
steht natürlich auf einem andern Blatt. Doch das wissen Sie, Herr
Münch. Vielleicht kommt er zu früh. Darüber haben wir gesprochen. Aber Sie schreiben gut. Und mein Eindruck ist, Sie schreiben
ehrlich.
KONI: Fragen Sie IHN! Er sieht doch alles.
FÜRTH: Vermutlich ja.
KONI: Und, was sagt er Ihnen?
FÜRTH: Sie haben jetzt mit Gott angefangen ... Er verrät niemanden.
KONI: Von mir aus kann er Sie einweihen. Ins Vertrauen ziehen. Er
könnte Ihnen sagen, wie es in mir drin aussieht. So etwa: Hören Sie,
mein lieber Pfarrer Fürth! In diesem Mörder und Vergewaltiger sieht
es grauenvoll aus.
Schlimmer als im Teufel. Eine pechschwarze kranke Fantasie. Zu
Recht wird er lebenslang verwahrt. Dieser Teufel soll nie mehr in
den Genuss meines Sonnenlichts kommen. Jeder Strahl wäre eine
Verschwendung.
FÜRTH: Das sagen Sie. Nicht er.
KONI: Dann ist er ein Feigling.
FÜRTH: Kennen Sie ihn so gut, dass Sie ihn beurteilen können?
KONI: Eins zu null für Sie. Aber Sie kennen ihn. Dann sagen Sie
mir doch, was er von mir hält?
FÜRTH: Ich nehme mal an, er versucht Sie zu verstehen. Mit Ihnen
Kontakt aufzunehmen.
KONI: Und wie bitte stellt er das an?
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Konrad Münch
Dr. Anton Weimar
Cornelia Wagner
Manfred Fürth
Reto Clavadetscher
Paul
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Täter
Psychologe
frühere Freundin
Pfarrer
Gefängnisdirektor
Häftling
...
FÜRTH: Herr Münch! Für mich ist das kein Spiel. Ich gebe gern
zu, dass Sie mich manchmal überfordern. Sie sind ein intelligenter
Mann. Sie können sich ausdrücken wie selten einer hier drin. Aber
deshalb will ich Ihnen auch einiges zumuten. Weil ich weiß, dass Sie
Ihre Fähigkeiten, Ihre Wirkung kennen. Wir müssen uns also nichts
vormachen. Ich komme Ihnen nicht mit Gott. Und Sie kommen
mir bitte nicht mit dem Teufel. Sie sind keiner. Sie sind ein Mensch
namens Konrad Münch. Und kein Mensch ist ein Teufel. Menschen
können teuflisch handeln. Ihre erste Tat war teuflisch, wie man so
sagt. Ihr Rückfall war aus Menschensicht noch teuflischer, weil dabei
ein Mensch umkam ...
KONI: Sagen Sie es doch, sagen Sie es - erwürgt wurde!
FÜRTH: Zwei Frauen mussten unsagbar leiden, und eine ist gestorben. Und nun sage ich Ihnen etwas für Sie erschreckend Religiöses:
Gott verdammt den Teufel. Er hat ihn aus dem Himmel geschmissen. Er weiß, Teufel bleibt Teufel. Menschen dagegen können
teuflisch handeln, bleiben aber Mensch. Und ein Mensch kann auch
anders als teuflisch handeln, auch nachdem er vieles falsch gemacht
hat. Ich will Sie ja nicht bedrängen: Doch das steht alles hier drin
(zieht übergroße, abgenutzte Bibel aus der Mappe).
KONI (nimmt und beschaut sie, prüft sie wägend): Und warum verwahrt
man mich denn lebenslänglich? Weil man weiß, dass ich immer ein
Teufel bleiben werde. Ist es nicht so?
FÜRTH: Menschen mögen das glauben. Gott sieht das nicht so.
KONI: Sie sind doch so ein Mensch. Wie sehen Sie es denn?
...
FÜRTH: Meinetwegen. Ich will mich nicht verstecken. Meine Frau
ist entsetzt, dass ich Sie betreue. Sie findet, ich hätte mich selbst verraten. Als Ihr Fall in den Zeitungen war, diese zweite Sache, da habe
ich im Affekt genau wie meine Frau gesagt: So einer dürfte eigentlich nicht weiterleben. Der hat sein Leben verwirkt. Das habe ich
gesagt. Ich war tief entsetzt, dass ein Mensch einem andern so etwas
zufügt, wiederholt zufügt. Ihn schändet, quält und tötet, weil ihm das
eine perverse Genugtuung oder was immer verschafft KONI: Bitte fahren Sie fort, Herr Pfarrer.
FÜRTH: Das ist außerhalb meiner Vorstellungskraft ... Wir haben
zwei Kinder, elf und dreizehn. Beide wissen, dass ich bei Ihnen
vorbeikomme. Und sie wissen, was ihre Mutter davon hält. Also
löchern sie mich mit Fragen: Papa, ist das nicht gefährlich? Papa,
ist das ein böser Mensch? Und mein Sohn fragte vor Kurzem voll
zornig: Papa, warum schlägst du ihn nicht einfach zusammen? KONI: Da bin ich ja mal gespannt!
FÜRTH: Ich konnte ihm keine Antwort geben. Aber ich habe ihm
eine versprochen. Wenn Sie so wollen, arbeite ich gegenwärtig an
meiner Antwort.
KONI: Und dabei soll ich Ihnen helfen? Wohlan!
FÜRTH: Vielleicht sind Sie deshalb kein Teufel, weil Sie manchmal
schlicht ein Arschloch sind.
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Zelle. Nacht. Dunkel. Musik, die leiser wird ...
Koni allein.
Das muss man richtig genießen. Er nennt mich Arschloch. Und er
unterscheidet Arschlöcher von Teufeln. Wobei ein Pfarrer von Teufeln mehr versteht als von Arschlöchern. Wenn er sagt, ich sei kein
Teufel, dann wird das wohl stimmen. Der Herr Pfarrer übersieht nur
eines: Verwahrung, lebenslängliche Verwahrung - bis dass der Tod
mich von diesem Kabäuschen hier scheidet - das ist die Hölle! Und
in der Hölle lebt es sich besser als Teufel.
Musik wieder laut.
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Besuchszimmer. Koni und
Cornelia Wagner (Freundin aus Gymnasiumszeit, selbstbewusste,
attraktive, erfolgreiche Frau.)
KONI: Was denkst du? Verstehst du, dass ich lange nicht wollte?
CORNELIA: Kein guter Anfang. Komm mal her und lass dich umarmen. Elf Jahre ist es her. Klassentreffen in Stuttgart.
KONI: So?
CORNELIA: Das gehört sich einfach. Du bist mir zwar ein Rätsel,
ein schreckliches Rätsel. Aber deshalb bin ich vielleicht hier. Nicht
aus Sentimentalität. Das ist nicht mein Ding.
KONI: Ich bin also was zum Knobeln? Du kannst mich ja googeln.
CORNELIA: Sehr witzig. Du hast es also mitbekommen.
KONI: SPIEGEL. SPIEGEL-Leser wissen unweigerlich mehr. Cor-
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Konrad Münch
Dr. Anton Weimar
Cornelia Wagner
Manfred Fürth
Reto Clavadetscher
Paul
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Täter
Psychologe
frühere Freundin
Pfarrer
Gefängnisdirektor
Häftling
nelia Wagner, mit zweiunddreißig Chefin von Google Deutschland.
Dazu ein super Foto. Du sahst verdammt gut aus, trotz BusinessVerkleidung. Und ich war neidisch, vermutlich wir alle.
CORNELIA: Ich habe mich natürlich gefragt, warum ich damals
nichts bemerkt habe. Dabei bilde ich mir was ein auf meine Menschenkenntnis. Sonst wäre ich jetzt nicht da, wo ich bin.
KONI: Ich hätte das wissen müssen ... Du gehst voll drauf, voll
drauf.
CORNELIA: Sieh es mal so: Wir hatten fünf gute Monate. Dann
habe ich dich verlassen. Ich bin nun mal kein anhänglicher Typ.
Aber vielleicht bin ich ja auch ein wenig schuld an deinem Absturz.
KONI: Absturz ...
...
CORNELIA: Koni, Koni. Eigentlich ist es unfassbar.
KONI: Unfassbar ist, dass du hier bist. Du spinnst. Was gibt es
schon zu bereden. Was bin ich in deinen Augen? Krank? Machst du
einen Krankenbesuch? Oder willst du einfach erfahren, ob du mir
damals einen irreparablen Schaden zugefügt hast? Hast du nicht!
CORNELIA: Und das weiß ich auch. Wir hatten eine gute Zeit.
Brauchst du irgendwas? Ich meine, ich bin nicht hier, um über dich
zu richten. Das tun andere und das finde ich auch gut so. Aber ich
will dazu stehen, dass wir kurz mal ein Paar waren. Also? Gibt es
was?
...
KONI: Im Grunde bist du das größere Rätsel, Cornelia.
CORNELIA: Blödsinn. Ich mache mein Ding und das bringt allen
was. Und du machst ein Ding, das keiner versteht. Ich will jetzt nicht
auf dir rumhacken. Aber du warst klug. Dein Elternhaus war okay.
Und es ist mir nicht peinlich zu sagen: Du warst ein guter Lover.
Mein Gott! Was habe ich übersehen? Ein einziges Mal, daran erinnere ich mich, bist du ausgerastet. Du bist wirklich fuchsteufelswild
geworden. Den Grund weiß ich nicht mehr. Du hast eine Flasche
voll in meinen PC geschmettert. Doch, ich weiß es noch: Du hast
drin rumgestöbert und dabei ein paar Mails entdeckt. Und du hast
dir eingebildet, ich hätte da was laufen. So war es doch?
KONI: CORNELIA: Und am gleichen Abend hast du - und wir hatten uns
schon versöhnt und waren bei dir zu Hause - da hast du plötzlich,
wirklich aus dem Nichts heraus, einen Aschenbecher in den Bildschirm deines PCs geknallt. Einfach so.
KONI: CORNELIA: Und du wolltest Literatur studieren.
KONI: Ich habe auch begonnen.
...
CORNELIA: Soll ich dir Bücher schicken?
KONI: Einfach keine Psychologie.
CORNELIA: Wirst du behandelt?
KONI: Alle behandeln mich anständig, wenn du das meinst.
...
CORNELIA: Alle? Wer sind alle?
KONI: Die Beamten. Ein Psychologe. Mein Anwalt. Ein Seelenretter - der Knastpfarrer.
CORNELIA: Dein Bruder? Dein Vater? Sie kommen ...
KONI: Nicht, dass ich wüsste.
CORNELIA: Deine Mutter wäre gekommen.
KONI: Das sagt man so. Aber ich will die beiden eh nicht sehen.
...
CORNELIA: Ich will dich mal was fragen. Das ist mir wichtig ...
Koni, hattest du sie damals schon, diese Fantasien, damals mit uns?
KONI: Also deshalb bist du hier ... du wirst keine Ruhe geben.
CORNELIA: Hattest du sie?
...
KONI: Ja.
...
KONI: Ja.
...
CORNELIA: Genauso ... so brutal.
...
KONI: Nicht genauso. Aber ziemlich heftig, ja.
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Zelle. Nacht, Nachtlicht. Musik.
Koni (nackt) auf Fahrrad. Langsam. Schluchzt.
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Zelle. Tag. Koni mit Weimar, dem Psychologen.
KONI: WEIMAR: Es kann überprüft werden!
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Konrad Münch
Dr. Anton Weimar
Cornelia Wagner
Manfred Fürth
Reto Clavadetscher
Paul
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Täter
Psychologe
frühere Freundin
Pfarrer
Gefängnisdirektor
Häftling
KONI: Nach fünfundzwanzig Jahren oder was!
WEIMAR: Ich würde mal schätzen, nach fünfzehn, achtzehn.
Darum will ich ja, dass Sie in die Weiße Gruppe kommen. Das wird
alles mal eine Rolle spielen. Kooperation! Ihre Anstrengung, die hat
Gewicht.
KONI: Gestern bin ich auf den Mont Ventoux gespurtet. Fast in
der Zeit von Ulrich, fast.
WEIMAR: Und? Was ist anstrengender für Sie? Ein Spurt auf den
Ventoux oder eine Therapie?
KONI: Da gibt's einen Bergpreis, auf dem Ventoux.
WEIMAR: KONI: Alles ist kahl da oben. Der Berg dampft, die Sonne verbrennt dich. Da kotzen wir uns rauf, wie auf einen Turm in einem
Riesen-Backofen, einen Kilometer hoch! Simpson hat es erwischt kollabiert, tot, verreckt. Merckx schafft es lebend, muss aber unters
Sauerstoffzelt.
Pantini! Poulidor! Thévenet! Sieger auf immer. Das ist was! Verstehen Sie, Herr Weimar?
WEIMAR: Es ist eine Überwindung, ja. Sich überwinden ist eine
Herausforderung, vielleicht die größte. Verstehen Sie mich, Herr
Münch?
KONI: Also gut, Herr Verkäufer. Nehmen wir an, ich überwinde
mich. Kotze mich aus. Stülpe mein Inneres raus. Danach warte ich
fünfzehn Jahre, ob ich unter Umständen, unter verflucht gnädigen
Umständen, einen Preis abholen darf. Das wollen Sie mir doch verkaufen! Die Weiße Gruppe! Weiße Gruppe ...
WEIMAR: Die haben nun mal ihre Namen.
KONI: Ein sauberer Name! Die Verwahrten gehen in die Weiße
Gruppe. Soll ich Ihnen sagen, warum die Weiße heißt? Weil niemand weiß, ob sie einen Sinn macht. Was ist los mit euch PsychoDoktoren? Warum tauft ihr die Gruppe für Lebenslängliche nicht
Schwarze Gruppe?
WEIMAR: Womit wir uns mal wieder im Kreise drehen. Ich bitte
Sie, mal nur meine Fragen zu beantworten. Rennfahrer sprechen
doch von Prüfungen. Sagen, diese oder jene Etappe war eine schwere Prüfung. Stimmt das?
KONI: Sie sagen es.
WEIMAR: Also ist der Ventoux eine schwere Prüfung?
KONI: Berg! Bergprüfung!
WEIMAR: Eine Prüfung ist eine Herausforderung, ja?
KONI: Geste
WEIMAR: Wer eine Herausforderung besteht, hat also eine Prüfung
bestanden. Dafür erhält er ein Diplom, Zeugnis oder Attest ...
KONI: ... oder ein Armutszeugnis.
WEIMAR: Eben nicht. Er hat bewiesen, dass er etwas kann. Er!
Können! Beweis!
KONI: Können kommt von Kotzen, stimmt.
WEIMAR: Meinetwegen auf dem Ventoux. Aber es gibt nun mal
noch andere Prüfungen. Andere Diplome. Nicht nur Bergsieger-Diplome. Die beweisen auch etwas. Beweisen auch ein Können. Und
darum geht es bei der ... Gruppe. Wer teilnimmt, wer mitmacht, sich
drauf einlässt und durchhält bis zum Ende, bis ganz oben, der liefert auch
einen Beweis ab KONI: Gute Beweisführung.
WEIMAR: Diese Therapie ist Ihre Chance. Ihre einzige. Das ist
keine Drohung. Das ist eine Prüfung, die die Justiz und die Gesellschaft Ihnen abverlangt. Das ist auch ein Mont Ventoux!
...
KONI: Was kostet denn so eine Therapie, ich frage ja bloß.
WEIMAR: Sie bezahlen sie ja nicht.
KONI: Aber sie kostet bestimmt ne Menge. Was kriegen Sie? Hundertfünfzig die Stunde? Oder wegen erschwerter Umstände zweihundert?
WEIMAR: Sie lenken ab.
KONI: Glauben Sie? Ich entdecke da gerade etwas ... Wohin fließt
das Geld, wenn ich nicht mitmache? Wenn ich also keine Kosten
verursache - krieg ich was davon ab?
WEIMAR: (Ringt Zorn nieder.)
KONI: Sagen wir mal: Fünfzehn Jahre zu vier Stunden. Fünfzig
Wochen - mal fünfzehn - 750 Wochen - mal vier. 3000 Stunden mal 200 - Wahnsinn: 600 Tausend! So viel geben die aus, damit ich
- vielleicht! - mal einen Bergpreis hole.
WEIMAR: ... - ... Rechnen können Sie. Diesen Test haben Sie
schon mal bestanden. Aber dann wollen wir konsequent rechnen.
Vergessen Sie die Raumkosten nicht - Heizung, gepolsterte Stühle,
Strom. Ihre Zelle. TV-Gerät. Das ganze Haus überhaupt. Die Löhne
der Aufseher. Küche, Mahlzeiten, Ihre Schlaftabletten. Macht Ihnen
das Spaß? Wollen wir weiterrechnen?
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KONI: Ja. Durchaus.
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Zelle. Nacht, Nachtlicht. Musik.
Koni nackt auf Fahrrad. In der Dunkelheit keuchend sein Monolog.
... und Armstrong stürzt. Rutscht aus in der Kurve und stürzt.
In den Pyrenäen, glaub ich. Für Ulrich die Chance! Jetzt kann er was
rausholen. Sonst immer nur Zweiter. Im Duell um die Tour immer
nur Zweiter. Jetzt einen Vorsprung rausholen! Und was tut er? Was
macht dieser Wahnsinnige? Ulrich hält an. Ulrich wartet. Will nicht
profitieren von Armstrongs Unglück. Das ist geil. Das ist wirklich
geil. Das ist Größe. Ulrich wird wieder nur Zweiter. Aber jetzt ist
er größer als Armstrong. Ich schwärme nicht so leicht. Aber das
bewundere ich. Nur Zweiter. Kein Sieg. Aber doch gewonnen.
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Besprechungszimmer. Direktor Clavadetscher.
Psychologe Weimar kommt rein,
später Seelsorger Fürth.
Konrad Münch
Dr. Anton Weimar
Cornelia Wagner
Manfred Fürth
Reto Clavadetscher
Paul
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Täter
Psychologe
frühere Freundin
Pfarrer
Gefängnisdirektor
Häftling
CLAVADETSCHER: Wie immer! Das Budget! Zasterus! Tut mir ja
leid. Tag, Herr Weimar.
WEIMAR: Guten Tag. - Als Direktor können Sie nicht anders, ist
mir klar. Wir nennen das Fixierung ...
CLAVADETSCHER: (Ha.) Wir wollen nicht viel Zeit damit ... Ich
bin mir sicher, Sie haben das im Griff. Nur können Sie das Sportgerät für unseren Konrad Münch nicht über Ihre Weiße Gruppe
abrechnen. Was also tun wir mit diesen - eh - tausendachthundertsiebzig ... ? Weil er nämlich nicht zur Gruppe gehört.
WEIMAR: Über kurz oder lang wird er drin sein. Das Geld liegt
sozusagen für ihn bereit.
CLAVADETSCHER: Was für ein monströses Ding ist das überhaupt? Für zweitausend kriegen Sie doch einen halben Gerätepark!
WEIMAR: Also nicht über die Gruppenrechnung. Und über meine
Einzeltherapie? Ich mach keine Doppelstunden mit ihm, weil er das
nicht will. Mein Honorar halbiert sich also. Das könnte man doch ...
CLAVADETSCHER: Ja. Nein. Gar nicht. Honorare, Anschaffungen, die Buchhaltung trennt das scharf, das ist Ihnen doch bekannt. Also klären Sie das direkt. Wir wollen nicht zu viel Zeit ... das
ist nicht der Zweck unseres Gesprächs. Ob sich bei ihm was bewegt,
darum geht es. Nach fast einem Jahr, ja? Wie weit sind wir gekommen - sind Sie gekommen?
WEIMAR: Er blockiert sich ... nein, er verstrickt sich in der eigenen
Schlauheit. Münch, der Fuchs. Er ist vielleicht sogar zu schlau für
sich selbst. Und sogar das durchschaut er vermutlich. Das Monsterding ist im Übrigen ein Fahrrad.
CLAVADETSCHER: Zum Treten. Für zweitausend ...
WEIMAR: Indoor Cycling nennt sich das. Auf dem Rad war er mal
top: Elite-Amateur. Voller Leidenschaft. In der nationalen Auswahl. Dann crashte er mit achtzehn in einen Linienbus. Nein, kein
Hirnschaden, obwohl das fast zu wünschen wäre. Dann hätten wir
zumindest diesen Ansatz CLAVADETSCHER: Nach zwölf Jahren Erfahrung in dieser Anstalt bin ich mir sicher: Es gibt nur einen gefährlichen Ort auf der
Welt. Einen einzigen! Das Gehirn. Ihr Gehirn. Meines. Jedes Gehirn!
WEIMAR: Sein linkes Knie war Brei. Das war die Zäsur. Er schaffte
noch das Abitur. Danach beginnt sein Chaos. Nichts ist mehr stabil.
CLAVADETSCHER: Dieses luxuriöse Tretding da in seiner Zelle
- und klären Sie das bald mit der Buchhaltung! Damit schieben Sie ihn zurück in die Zeit vor dieser Zäsur ...
WEIMAR: Schieben? Meinetwegen. Sehen Sie - dieser ganze Wust
seiner Bilder, seine Fantasien, dieser ganze omnipotente Wahn, den
wir in den Akten und Gutachten finden - das war ja damals schon
da. Aber er hatte dafür eine Projektionsfläche: der größte Rennfahrer aller Zeiten zu werden! Siege! Prominenz! Weltruhm!
Klopfen. Fürth tritt ein.
Sein zermatschtes Knie machte dem ein Ende! Und kurz danach
starb seine Mutter, die ihn sehr unterstützt und wohl auch bewundert hat.
CLAVADETSCHER: Bitte, Herr Fürth. Sie wissen ja: Wegen Konrad Münch.
WEIMAR: Damit wir uns verstehen: Diese beiden Ereignisse ma-
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chen seine Taten nicht ein Promille erträglicher. Sie bleiben unerträglich. Darf ich ehrlich sein: Ich empfand noch bei keinem anderen Täter so viel Abscheu! Aber das ist mein Problem, dieser Ekel ist
mein Problem.
CLAVADETSCHER: Ekel?
FÜRTH: Ekel, ja, Herr Clavadetscher, Ekel. Und der wird nicht weniger, wenn meine Frau mir wie gestern zu verstehen gibt, ich solle
mit diesen Besuchen aufhören. Es beginne sie zu grausen - langsam
auch vor mir.
CLAVADETSCHER: Ich hoffe doch, Sie beide sind professionell
genug, um damit korrekt umzugehen ...
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Zelle. Nacht. Musik - leiser.
Koni im Dunkeln.
Ich bin viel wert. Ich bin verdammt viel wert. Die ganze Anstalt. Gebäude, Land. Die ganzen Leute. Mein Duschgel. Der Seelenklempner
ist auch nicht gratis. Honorare. Gehälter. Direktorengehalt. Werkstattleitergehalt. Alles ist ein Teil von mir. Privatstunden mit Weimar,
Dr. Anton Weimar als Leithengst der Weißen Gruppe. Kosten! Ich
koste viel. Was kostet, hat einen Wert. Was viel kostet, hat einen
großen Wert.
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Zelle. Koni mit Mithäftling Paul.
Konrad Münch
Dr. Anton Weimar
Cornelia Wagner
Manfred Fürth
Reto Clavadetscher
Paul
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Täter
Psychologe
frühere Freundin
Pfarrer
Gefängnisdirektor
Häftling
PAUL: Ich spiele nicht. Nicht heute.
KONI: Pech für mich. Und du schadest dir.
PAUL: Arschgeige. Ich schade mir, wenn ich immer verliere.
KONI: Nein, du schadest dir, wenn du nicht übst. Training macht
den Champion. Verlierer sind Verlierer, weil sie faule Säcke sind.
PAUL: Ha! Du bist also mein Coach. Der Jogi Löw des Mühlespiels.
KONI: So ist es. Es ist keine Schande, bei einem Meister zu lernen.
Nur Verlierer verpassen ihre Chance.
...
PAUL: Dann zeige mir deine Tricks.
KONI: Was sind sie dir denn wert? Angenommen, ich mache dich
zum weltbesten Spieler?
PAUL: Im Mühlespiel. Was kackst du für Witze! Poker, das wäre
was wert.
KONI: Dann Poker.
...
PAUL: Was ist los mit dir? Ich brauche keinen, der mir ein Pokerface vormacht.
KONI: Falsch. Poker ist Rechnen. Ist Wahrscheinlichkeit. Ich bringe
es dir bei. Und du bezahlst mich dafür.
PAUL: Und wovon, du Raffgriffel?
KONI: Du dealst hier drin. Da kommt was zusammen.
...
PAUL: Du brauchst also Knete? Wofür?
KONI: Ich komm an mein Vermögen nicht ran. Genügt dir das?
...
PAUL: Dein Vermögen! Goldbarren. Oder noch schöner: Schatzbriefe. Todsicher! Oder hat dir jemand das Sparschwein versteckt?
...
KONI: Er rückt es nicht raus. Noch nicht. Aber das kommt noch.
Willst du nun pokern können oder nicht?
...
PAUL: Einer von uns ist verrückt. Ich bin es schon mal nicht ...
Also Pokern. Für jeden Trick einen Zehner. Okay?
KONI: Ich habe eine bessere Idee, Paul. Wir spielen um Geld. Du
machst dein Pokerface und ich meines. Und ich werde dich ausnehmen. Du hast keine Chance. Noch keine! Denn ich erkläre dir nach
jedem Spiel, wie du hättest gewinnen können.
PAUL: Du nimmst mich aus?
KONI: Aber du lernst. Du gewinnst also in jedem Fall. Verlierst du,
hast du was gelernt. Und solltest du gegen deinen Meister gewinnen,
ist die Kohle eh bei dir. No risk, but profit.
PAUL: Und wo ist der Haken?
...
KONI: Dass du klüger, aber ärmer wirst.
...
PAUL: Du bist ein Scheißkerl, das weißt du. Aber du bist ein sehr
seltsamer Scheißkerl. Du versteckst es nicht mal. So ein Schlitzohr
ist mir noch nie untergekommen. Ist ein Scheißkerl und Schlitzohr
und gibt es auch noch zu.
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KONI: Und? Was macht das mit dir?
PAUL: Uuaaahh! Kotz mich nicht an. Du bist vielleicht ein Psycho,
aber wir sind hier nicht in der Gruppe.
KONI: Ja, ich gebe es zu. Ich vertraue dir sogar. Ich brauche dreitausend Euro. Das ist mein Ziel ... Drei volle Tausender! Das findest du doch auch: Selbst verdient hat mehr Wert! Nimm an,
einer erbt eine Million und schenkt dir davon fünfzigtausend. Du
wirst sagen: Danke! Sehr freundlich! Aber du denkst, er hat dafür
nichts getan. Das ist ihm einfach so in den Schoß gefallen. Aber
wenn dir einer einen Tausender schenkt, für den er sich abgerackert
hat, dann denkst du: Selbstloser Typ! Das ist eine wahre Spende!
Der hat echt auf was verzichtet.
PAUL: Sag ich doch: Ich bin es nicht, der hier spinnt. Ich nehm'
lieber die Fünfzigtausend.
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Zelle, Nacht, Nachtlicht. Musik.
Koni nackt auf Fahrrad bis zur Erschöpfung.
Er spielt Dialog von »Kind mit Gott«.
MÜNCH/KIND: Lieber Gott. Mach diesen Mann tot. Er hat meine Mami getötet. Mach ihn auch tot.
»Gott«: Ich bin barmherzig, sehr barmherzig.
MÜNCH/KIND: Nein, mach diesen bösen Mann tot. Er ist böse,
lieber Gott.
»Gott«: Töten ist keine Lösung. Ich bin das ewige Leben, nicht der
ewige Tod.
MÜNCH/KIND: Nein, nein, nein. Mach ihn tot.
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Zelle. Koni. Seelsorger Fürth.
Konrad Münch
Dr. Anton Weimar
Cornelia Wagner
Manfred Fürth
Reto Clavadetscher
Paul
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Täter
Psychologe
frühere Freundin
Pfarrer
Gefängnisdirektor
Häftling
KONI: Und, kommen Sie voran mit der Antwort für Ihren Sohn?
FÜRTH: Manchmal sind Sie nur zynisch!
KONI: Besser als Selbstmitleid, müssen Sie doch zugeben.
FÜRTH: Da wäre ich mir nicht so sicher, Herr Münch. Selbstmitleid
kann auch ein Anfang sein. Daraus kann Mitleid werden, ein Mitgefühl für andere.
KONI: Da habe ich was für Sie. Heute ist ein großer Tag. Ich habe
meine Gefühle geprüft. Mein Psychologe sagt mir zwar, für diese
Prüfung brauche es eine Therapie. Da täuscht er sich aber FÜRTH: Einfach keinen Zynismus!
...
KONI: Nein, Humanismus! Ich will sterben. Darauf habe ich ein
Recht. Ich will diese Gesellschaft von mir befreien. Ich weiß, was sie
von mir hält. Und ich muss ihr recht geben. Das ist eine Frage der
Logik. Ich bin eine Zumutung. Das will ich aber nicht sein. Das ist
mir zu wenig. Verstehen Sie mich?
...
FÜRTH: ...
KONI: Ich! Will! Sterben!
FÜRTH: Es gibt keine Todesstrafe. Es gibt sie nun mal nicht, und
das ist auch gut so. Das ist Humanismus!
KONI: Humanismus ist also: Voll ausgereiftes Sanierungsprogramm
für den Täter. Die Opfer sollen selbst schauen.
FÜRTH: Mein Gott! Ersparen Sie mir Ihr höhnisches ... Gelabber.
Sie sind der Letzte, der sich darüber ein Urteil erlauben darf.
...
KONI: Einverstanden. Dennoch: Vierzig Jahre in einer Zelle vegetieren soll humaner sein als ein Stromstoß ? Könnte es sein, dass
euer Humanismus etwas sadistisch ist? Ein Vorschlag zur Güte:
Human ist, dass keiner von euch ran muss, mich umzubringen. Euer
Humanismus schützt nur euch!
FÜRTH: Töten als Strafe ist zu Recht ein Tabu, wer immer es tut.
KONI: Blamieren Sie sich nur nicht. Ich bestrafe mich ja nicht. Ich
verurteile mich nicht zum Tod. Hören Sie genau zu: Ich belohne
mich. Ich befreie mich. Das ist keine Strafe! Und gleichzeitig befreie
ich meine Opfer ein für alle Mal von meiner Präsenz auf diesem
Planeten Freut sich diese Frau, die überlebt hat, dass ich noch lebe? Nein!
Freut sich der Mann jener Frau, die gestorben ist, freut sich ihr
Junge, dass ich noch lebe? Nein, tun sie nicht. Sehen Sie! Da wird
niemand bestraft. Da werden alle belohnt. Es gibt nur Gewinner!
FÜRTH: Vielleicht ist jetzt etwas in Bewegung geraten. Das kann
17
Konrad Münch
Dr. Anton Weimar
Cornelia Wagner
Manfred Fürth
Reto Clavadetscher
Paul
18
Täter
Psychologe
frühere Freundin
Pfarrer
Gefängnisdirektor
Häftling
ein Anfang sein. Ein Weg zum Mitgefühl - ich glaube, dass Mitgefühl die stärkste Lebenskraft ist .
KONI: Nehmen Sie mich eigentlich ernst? Oder sind Sie einfach ein
Schwätzer? Ich will sterben! Und das ist eine fröhliche Nachricht!
Das ist Ihre famose frohe Botschaft, einfach ein wenig anders.
...
FÜRTH: Sie wissen doch gar nicht, was Sie sagen! Haben Sie eine
Ahnung, was Todesangst ist? Wie Sie empfinden, wenn es ernst,
todernst würde? Wenn die letzte Stunde ...
KONI: Ist das meine oder Ihre letzte Stunde? Und habe ich behauptet, es falle mir leicht? Und geht es Sie was an, wie viel Überwindung es mich kostet?
Das habe ich nämlich begriffen in diesem Leben: Ein Sieg muss
errungen werden. Und ich muss mich besiegen. Ich wünschte mir
auch einen leichteren Gegner ... Aber ich werde das schaffen! Eine
Bedingung habe ich allerdings. Und Sie werden mir dabei helfen.
Das heißt, ich bitte Sie, mir dabei zu helfen. Ich hoffe nur, dass Sie
Rückgrat haben. Haben Sie? Können Sie kämpfen? Können Sie für
eine gute Sache kämpfen? Denn es ist eine gute Sache. Die beste, die
ich bieten kann.
FÜRTH: Sie reden und reden ... Was ist denn in Ihren Augen eine
gute Sache?
KONI: Gerechtigkeit!
FÜRTH: Gerechtigkeit? Was wissen wir schon, was gerecht ist ...
KONI: Jeder weiß es im Grunde. Vielleicht Ihr Gott nicht, sonst
hätte er ...
Werde ich noch vierzig Jahre verwahrt, kostet das die Gesellschaft
sieben Millionen. Das sind Fakten. Das stand in der ZEIT. Hat mir
eine frühere Freundin recherchiert. Ein Strafgefangener wie ich
kostet pro Monat gute 14 Tausend, im Jahr 170 Tausend, in vierzig Jahren rund sieben Millionen. Ist das gerecht? So viel Geld für
einen, den niemand will? Macht das Sinn?
Könnte man nicht etwas Besseres, etwas Schöneres damit anfangen?
Ja, man kann. Deshalb will ich, dass die Hälfte dieser sieben Millionen dieser Frau und diesem Mann und seinem Jungen ausbezahlt
wird. Die andere Hälfte schenke ich dem Staat. - Sie verstehen! Ich
werde mich töten. Befreie mich und alle. Und alle, alle haben einen
Nutzen davon - morgen beginne ich meinen Hungerstreik. Aber
was Schriftliches will ich schon. Mein Angebot ist fair. Ich biete viel:
mein Verschwinden. Da darf ich von der Gegenseite auch Fairness
erwarten. Und das wäre ein himmelschreiend ungerechter Staat, der
diese 7 Millionen für sich einsacken würde. Nein! Die Hälfte für ...
Sarah, Meinrad und Tobias.
...
FÜRTH: Das ist ... monströs, Herr Münch. Um Geld geht es doch
nicht, mein Gott!
KONI: Monströs ist nur, was Sie eben gesagt haben. Haben Sie das
aus diesem monströsen Buch, das Sie immer bei sich tragen?
FÜRTH: Schwer ist es, ja ... weil es Gewicht hat.
KONI: Sie würden es mir gerne ausleihen, ja?
FÜRTH: Das ist meine Bibel, seit Studienzeit. Aber wenn Sie wollen, beschaffe KONI: Ich sage es Ihnen, wenn ich so weit bin.
15
Zelle. Nacht. Keine Musik. Koni.
Im Dialog mit jemandem. Fragen mit verstellter Stimme,
die er mit normaler beantwortet.
Frage: Wie konnten Sie so leben, Konrad Münch?
Antwort: Leben trifft es nicht besonders genau.
F: Wie konnte es so weit kommen?
A: Das müssen Sie Herrn Münch direkt fragen.
F: Sie sind doch Konrad - Koni - Münch?
A: Woraus schließen Sie das? Aber wenn Sie meinen F: Sie haben doch ein Geständnis abgelegt? Sie, als Konrad Münch!
A: Gegenüber wem?
F: Sie! Vor dem Richter! In beiden Prozessen!
A: Das zählt doch nicht. Gegenüber einem Fremden zählt es nicht.
F: Herrgott! Natürlich gilt es. Behörden sind keine Fremden.
A: Wenn Sie meinen. Aber es zählt nicht. Nur ein Geständnis von
Münch zu Münch zählt. Nur, was ich mir selber gestehe, ist ein
Geständnis.
19
16
Zelle. Koni. Frühere Freundin Cornelia Wagner.
Medizinische Geräte. Infusionseinrichtung.
Konrad Münch
Dr. Anton Weimar
Cornelia Wagner
Manfred Fürth
Reto Clavadetscher
Paul
20
Täter
Psychologe
frühere Freundin
Pfarrer
Gefängnisdirektor
Häftling
CORNELIA: Dein Anwalt ? War er wieder hier?
KONI: Nock? Er kommt jeden Tag. Immerhin werde ich vorläufig
nicht verlegt. Solange ich mich dort zweimal fünf Stunden dranhängen lasse - ich werde vollgetropft.
CORNELIA: Und er sagt dir jeden Tag dasselbe.
KONI: Ja.
CORNELIA: Keine Chance, sagt er, ja?
KONI: Kein Staat lässt sich erpressen. Nicht von einem wie mir.
CORNELIA: Was bekommst du mit?
KONI: Presseartikel durch Nock. Die Juristen bilden eine einzige
Abwehrfront. Nur mein Entscheid zur Selbsttötung wird manchmal
respektiert. Bloß gehe das eben rechtlich nicht. Doch viele Leserbriefe sind für mich. Die Talkshow gestern Nacht konnte ich hier
drauf (sein TV) nicht sehen. Technische Panne, erklärten sie mir, ha.
CORNELIA: Ausgerechnet! Anne Will, ja. Die habe ich gesehen.
Das war heftig. Die hätten sich fast umgebracht. Sprangen einander
an die Gurgel. Doch am Ende schlug das Pendel eher auf deine
Seite. Plötzlich war Verständnis da für deinen Todeswunsch. Ein
Verwahrter müsse ein Anrecht auf diesen Weg haben. Das hatte
beinahe was Schwärmerisches. Deine Idee, das eingesparte Geld den
Opfern zukommen zu lassen, faszinierte sie ...
KONI: Das ist kein Todeswunsch. Das ist eine Lösung.
CORNELIA: Fraktion eins waren zwei Juristen: No Chance! Sie
sagten: Weder Anrecht auf Selbsttötung noch Anrecht auf Geld.
Punkt. Aber niemand hörte denen zu. Fraktion zwei argumentierte:
Humanistisch gesehen müsse man deinen Wunsch respektieren,
zumal er nicht eigennützig sei. Dein Versuch zur Sühne möge verzweifelt sein. Doch gerade deshalb müsse man ihn respektieren. Es
sei sogar eine gewisse Größe darin. Und Fraktion drei meinte: Was
du vorschlägst, sei wahnsinnig, aber logisch. Und sei sowohl eine
Lösung wie eine Erlösung.
KONI: Denen trete ich mal bei.
...
CORNELIA: Angenommen ... das wäre doch verständlich. Ich zum
Beispiel würde es nie wollen. Ich meine, wenn sie ... wenn diese drei
dein Geld nicht annehmen würden?
KONI: Wer sagt das! Hat man sie gefragt?
CORNELIA: Sie geben keine Interviews. Ich nehme ja an, sie werden vom Boulevard belagert.
KONI: Schweinehunde. Sie können es brauchen.
CORNELIA: Hör doch auf! Was anderes hätten sie brauchen können.
KONI: Danke.
CORNELIA: Es hat halt auch was Arrogantes. Als ob du dir einbildest, dich freikaufen zu können. Das können sie gar nicht annehmen. Weil es von dir kommt, bleibt es ein ... Scheißgeld.
KONI: Es kommt nicht von mir. Ich mache bloß den Tresor auf.
Peng, und die Türe ist offen. Ich bin nicht mal dabei.
CORNELIA: Trotzdem hat es was Anrüchiges. Ein Trost ist es
jedenfalls nicht, falls du dir das einbildest.
KONI: Ja, kein Trost. Aber weniger Sorgen! Ein Haus. Eine gute
Ausbildung für den Jungen, was weiß ich. Vielleicht eine kleine Unterstützung zu einem Neuanfang. Eine Therapie bei einem genialen,
also sauteuren Heiler, etwas Freiheit ...
CORNELIA: Du kommst schlicht nicht durch. Brich das ab, Koni!
Sie lassen dich eh nicht. Sie werden dich zwangsernähren, weil sie
müssen. So ist das Gesetz.
KONI: Toll! Und dumm. Reines Mittelalter. Wenn sie einen Lebensmüden aus dem Fluss retten konnten, haben sie ihn so lange aufgepäppelt, bis sie ihn zur Strafe für seine Todsünde an den Galgen
hängen konnten. Krank. Total krank.
Dagegen ist meine Forderung total gesund. Ich sage doch nur: Spart
euch die Millionen für einen eh Unheilbaren. Gebt sie den Versehrten, für die noch Hoffnung ist.
Es geht nicht um Trost, nicht um Wiedergutmachung. Nur um den
gesunden Menschenverstand.
CORNELIA: Den du ganz besonders hast.
KONI: Nein, behaupte ich nicht. Sonst wäre ich nicht hier. Aber ich
kann ihn erkennen. Du zum Beispiel hast noch Reste davon. Auch
wenn es total unvernünftig ist, mich zu besuchen. Für den Pfarrer ist
es eine Amtspflicht. Für dich ja nicht. Du kommst freiwillig, nehme
ich mal an.
CORNELIA: Willst du mich das fragen?
KONI: Möchtest du denn darüber sprechen?
21
CORNELIA: Aal! Ein aalglatter Schlangenaal! Könntest du nicht
mal etwas zögern ... mal um eine Antwort verlegen sein? Stottere
mal, Herrgott! Immer gleich eine Pirouette! Und das war damals
nicht so.
KONI: Ich hatte ja auch nicht abgeschlossen mit meinem Leben.
CORNELIA: Siehst du! Schon wieder!
...
KONI: Du hast ja recht. Ich möchte dich was fragen. Sonst bleibe
ich wehrlos. Sonst kommt nie Schwung in die Sache.
17
Besprechungszimmer. Seelsorger Fürth. Psychologe Weimar.
Direktor Clavadetscher.
Konrad Münch
Dr. Anton Weimar
Cornelia Wagner
Manfred Fürth
Reto Clavadetscher
Paul
22
Täter
Psychologe
frühere Freundin
Pfarrer
Gefängnisdirektor
Häftling
FÜRTH: Etwas geht in ihm vor, das ist mal sicher.
WEIMAR: Da spüren Sie mehr als ich.
FÜRTH: Diese Frau, diese Cornelia Wagner, hat einen mäßigenden
Einfluss auf ihn, daran besteht kein Zweifel. Ich hatte ein gutes
Gefühl, hatte ein längeres Gespräch mit ihr. Weil Sie es inständig
wünschte.
WEIMAR: Das Verhalten dieser Dame wäre eine besondere Studie wert. Worin soll ihr guter Einfluss bestehen? Münch hebt doch
immer mehr ab. Die Presse schreibt ihn ja vom Täter zum Wohltäter
hoch. Für einen Narzissten ist das Gift, und er ist einer.
FÜRTH: Aber die Resonanz ist eindrücklich. Es soll auf Facebook
zig Gruppen geben, sagt mein Sohn. Und haben Sie mal verfolgt,
was die Umfrage auf der Homepage von BILD ergeben hat? Achtzig Prozent für Münch! Bei über drei Millionen Klicks, das ist mehr
als repräsentativ WEIMAR: Als Theologe müssen sie es ja wissen. »Kreuzige ihn!«,
forderte das Volk schon damals. Im Übrigen sind sie heute Mittag
schon bei sechskommafünf Millionen Klicks angelangt. Mit 87 Prozent Zustimmung. Stimmt, Münch kommt an.
FÜRTH: Das Volk schrie eben gerade nicht »Kreuzigt ihn«, sondern
»Respektiert ihn!«.
WEIMAR: Mit Verlaub, sie schreien: »Kreuzigt den Rechtsstaat!«
FÜRTH: Ich glaube einfach, dass Gesetze nur von Menschen
gemachte Leitgedanken sind. Sie können nie die ganze Vielschichtigkeit und Fülle des Lebens in Prinzipien fassen. Sogar die zehn Gebote sind nicht die ganze Wahrheit. Und was ist schon sakrosankt?
Und was spricht dagegen, dass ein Mensch, der tief gestürzt ist, das
Letzte, was ihm geblieben ist, nämlich sein Leben, gleichsam in die
Waagschale wirft? Sagen Sie es mir!
CLAVADETSCHER (mit Akte): Danke, dass Sie es so kurzfristig
einrichten konnten. Jetzt kommt es knüppeldick. Düsseldorf. Das
Kind ...
FÜRTH: Das zerstückelte Mädchen, das von letzter Woche ...
CLAVADETSCHER: Sie haben den Täter. Eben hat mich der
Oberstaatsanwalt angerufen. Ja, um diesen Mord geht es. Er war
bei uns. Sie kennen ihn beide. Sie (zu Weimar) haben ihn seinerzeit
begutachtet - Rebhagen!
FÜRTH: Rebhagen? Linus?
CLAVADETSCHER: Solche Rebhagens, die wir rauslassen, gibt
es ja zuhauf! Wir werden dafür geradestehen müssen. Auch vor der
Presse. Die Staatsanwaltschaft lädt uns vor. Morgen! So! Stopfen Sie
sich was in die Ohren. Das gibt einen Aufschrei.
WEIMAR: Auch Professor Emmerich kam zum Schluss ...
FÜRTH: Linus! Ich fasse es nicht. Ich hätte ja nicht gerade meine
Hand ins Feuer ...
CLAVADETSCHER: Wissen Sie was? Halten Sie einfach den
Mund. Auch Sie kommen in der Rebhagen-Akte vor. Suchen Sie
sich mal Ihren Brief raus, den Sie dem Gutachten unbedingt beifügen wollten. Wohlwollend, ein Plädoyer für Ihren Linus, vor vier
Jahren. Läuterung kommt dreimal vor. Und wie die tiefe Einsicht des
Herrn Rebhagen ins begangene Unrecht Sie berührt hätte! Das lesen
Sie morgen mal der Journaille vor.
WEIMAR: Ausgerechnet jetzt. Wasser auf Münchs ...
CLAVADETSCHER: ... Problem erkannt! Und Steinschlag auf
uns. Rebhagen beweist genau, was Münch sagt: Verwahrung mit der
Chance, irgendwann einmal doch rauszukommen, ist unsinnig und
dumm, weil ich lebensgefährlich bleibe.
Verwahrung ohne Chance dagegen ist bösartig und dumm, weil ihr
mir bei lebendigem Leib das Leben nehmt. Was seid ihr für Heuchler und Feiglinge. Lasst mich doch Schluss machen.
WEIMAR: Da halte ich dagegen! Diese Chance muss es einfach geben. Selbst wenn sie klein ist, aus humanistischen Gründen muss es
23
Konrad Münch
Dr. Anton Weimar
Cornelia Wagner
Manfred Fürth
Reto Clavadetscher
Paul
24
Täter
Psychologe
frühere Freundin
Pfarrer
Gefängnisdirektor
Häftling
sie geben. Und wir lassen sie uns gerne was kosten, Ethik darf was
kosten, was sage ich, sie hat überhaupt keinen Preis.
FÜRTH: Wir müssen nur endlich aufhören, von Gewissheiten zu
reden. Ein Stück weit sind wir immer auf Hoffnung und Vertrauen
angewiesen. Wir betonen den Begriff Risiko nur falsch, als ob Risiko nur negativ wäre. Er ist aber ein Zweiklang: Risiko und Vertrauen.
Vertrauen ist die Quelle für jegliche humanistische Regung. Daran
will ich glauben. Rebhagen hatte ein Recht auf Entlassung.
CLAVADETSCHER: Das werden Sie morgen der Presse erzählen,
ja? Dann steinigt man Sie wegen Unlogik:
Rebhagen hat ein Recht auf die gefährliche Entlassung mit Todesfolge
für ein Kind.
Münch dagegen hat kein Recht auf eine ungefährliche Selbsttötung mit
Wohltaten für seine Opfer.
Sagen wir das morgen? Dass wir das gefährlichere Recht verteidigen
und das ungefährliche verhindern wollen. Wegen eines Prinzips?
FÜRTH: Ich verteidige doch kein Prinzip. Ich rede von der Einsicht, dass der Mensch unvollkommen ist und es sein darf.
CLAVADETSCHER: Und dass er sich zu läutern vermag ... Entschuldigen Sie. Wenn das nicht bald aufhört, lasse ich mich beurlauben.
Meine Schwester nannte mich gestern einen sturen Beamtenarsch
ohne jegliche Flexibilität.
Ich meinte: Sag das nicht mir, sag das dem Gesetzgeber.
Sie sagte: So haben auch SS-Schergen argumentiert. Dumpfe Befehlsempfänger. Du kannst was tun. Zumindest dem Münch zu
einem selbstbestimmten Abgang verhelfen.
Wieder ich: Wie denn?
Sie sagte: Nur schon, wenn du ihm ermöglichst, in der sechsten Etage aufs Dach zugelangen ... dann, ... Ihr versteht? Die Leute spinnen
doch. Was da in den Leserbriefen steht!
Ich wieder: Du spinnst ja.
Und sie schrie: Und du bist ein Feigling.
FÜRTH: Schrecklich. Auf so was muss man erst kommen. Mit dem
Dach, meine ich.
WEIMAR: Ich habe Münch mal darauf angesprochen, wie er sich
das vorstellt, die Selbsttötung, methodisch, meine ich. Er sagte nur:
Das beschäftigt mich erst, wenn meine Bedingungen erfüllt sind. Ich
werde einen Weg finden, der niemanden belastet, sagte er. Bloß: Das
glaube ich ihm nicht. Da verdrängt er was. Wer eine Selbsttötung ins
Auge fasst, der beschäftigt sich sehr intensiv mit der Methode, darin
ist sich die Psychologie einig. Es könnte also sein, dass er gar nie mit
einem Erfolg gerechnet hat. Dass alles nur ein narzisstisches Spiel
ist.
FÜRTH: Vom Dach! Wahnsinn! Und doch hat es mit Respekt zu
tun, was Ihre Schwester da sagt. Aber von Ihnen als Direktor wird
natürlich eine konsequente, sprich: strikt legale Haltung erwartet,
wohl zu Recht, Herr Clavadetscher.
WEIMAR: Rebhagen! Dieses Aas! Nicht mit mir!
18
Zelle. Nacht. Nachtlicht. Koni Münch nackt auf Fahrrad.
Improvisierend ...
Gedicht.
Von Konrad Münch.
Die Mutprobe
...
Ich habe gestanden
mir selbst
dass ich es war
...
Ich bitte mich
um Mut
...
zu signieren
mein Geständnis
vor mir.
Heil!
Gedicht ... anderes Gedicht.
Heilung - komm scho-hohn.
...
Heiland - gut gemeint, schlechter Lo-hohn.
...
Heil - bro-honn.
Haile Selassie - Teufel auf dem Thro-hoon.
25
Heilkraut - für den Gno-om.
....
Heil - Hoohn!
Letztes schlechtes Gedicht ... Titel ... Selbstmitleid.
...
Nicht mal die Kakerlake
muss selbst sich zertreten.
19
Zelle. Koni. Mitgefangener Paul.
Pokerspiel.
Konrad Münch
Dr. Anton Weimar
Cornelia Wagner
Manfred Fürth
Reto Clavadetscher
Paul
26
Täter
Psychologe
frühere Freundin
Pfarrer
Gefängnisdirektor
Häftling
PAUL: Ich verdopple.
KONI: Bist du dir sicher?
PAUL: In Panik, was?
KONI: Ja.
PAUL: Dann bist du's also nicht. Solltest du aber.
KONI: Ich steige aus.
PAUL: Ha! Man dankt! Mit zwei Paaren!
KONI: Gutes Gefühl?
PAUL: Was hast du?
KONI: Du sagtest es ja: Panik.
PAUL: Zeig schon! - Was: Full house! Du verarschst mich!
KONI: Nein, ich mache auf Psychologie.
PAUL: So doof spielen nicht mal Psychologen. Dir steigt doch der
Ruhm in die Birne. Ich meine, ich gönne ihn dir ja. Muss mich wohl
geschmeichelt fühlen, dass du noch mit mir spielst. Danke, Herr
Konrad Münch.
KONI: Ich komme damit nicht durch.
PAUL: Daran bist du wohl nicht gewöhnt.
KONI: Ich will aber durchkommen.
PAUL: Du hast ja ganz nett abgesahnt.
KONI: Reue? Genau zwei-fünf-vier-null. Zweieinhalbtausend. Und
das gebe ich dir jetzt zurück.
PAUL: Doofer Witz.
KONI: Ich brauch was von dir.
PAUL: Noch mehr. Und noch was und noch was. Mein Geld hast
du ja schon.
KONI: Das! (gefalteter Zettel). Dafür kriegst du dein Geld zurück.
PAUL: Unmöglich! Das bringt keiner rein.
KONI: Ums Reinbringen geht es nicht. Das läuft ohne dich. Ums
Beschaffen geht es. Kannst du?
PAUL: Und damit willst du dich umbringen? Wie, in den Kopf ? Du
hast nur eine einzige Chance, das weißt du. Und ich bekomme von
dir den ganzen Zaster dafür. Nehmen wir mal an, ich beschaff sie
dir. Dann kriege ich aber das Geld vorher. Nachher ist dein Gedächtnis vielleicht nicht mehr das beste.
KONI: Du kriegst es jetzt. Das ist mein Risiko.
PAUL: Nix gelernt im Knast! Du hast nichts in der Hand. Also, gib
schon her.
KONI: Da. Alles.
PAUL: Und was habe ich mir den Kopf zerbrochen, wieso du unbedingt diese dreitausend haben musst. Hättest doch gleich um eine
Knarre spielen können.
KONI: Du erinnerst dich? Dass ich gesagt habe, sauer verdientes
Geld sei mehr wert. Das war das Ziel: Ich wollte was Eigenes dazulegen. Sie sollten nicht nur die Staatsknete erhalten - Sarah, Meinrad
und sein Junge, Tobias. Seine Mutter, die ich ...
PAUL: Erspar mir die Namen. Deine paar Scheinchen hätten die
eh nicht gekümmert, wenn sie doch eine Million oder so kriegen.
Du bist einfach so was von verkachelt, dass dich nie einer verstehen
wird. Ich meine, plötzlich respektieren dich alle hier. Manche sind
sogar stolz, neben dir den Fraß zu fassen. Nur wissen die halt nicht,
wie meschugge du bist. Aber gut. Für draußen sorg ich. Und wo
lasse ich das Ding liegen? Vor der Pforte mit einem Zettel dran - für
Herrn Münch persönlich? Ich sage ja nicht, dass du nicht ein Freund
bist. Dein Pokerkurs war okay. Meine Leute übernehmen also bis an
die Mauer. Und dann? Das willst du mir nicht verraten, ja?
KONI: Jemand wird Gleiches mit Gleichem vergelten. Und manche
Bibeln sind sich nur äußerlich ähnlich. Genügt dir das?
PAUL: Das ist schweinisch, in einer Bibel. Und deine Lady soll das
machen, das gibst du zu.
KONI: PAUL: Das Ding muss also zu ihr.
KONI: (2. Zettel): Ja. Zeit und Ort. Für die Übergabe.
PAUL: An der Bushaltestelle beim ...? Ich habe dich voll in der
Hand.
27
KONI: Das kann man so sagen.
PAUL: Und ich sage dir, nicht mal meine Freunde wären je so blöd
gewesen ...
KONI: Dann hast du keinen Freund.
20
Direktionszimmer. Direktor Clavadetscher. Seelsorger Fürth.
Psychologe Weimar.
Monitore zeigen Besuchszimmer / Eingangsbereich etc.
Cornelia Wagner an einen Stuhl gebunden. Türfalle blockiert.
Koni mit Pistole.
Konrad Münch
Dr. Anton Weimar
Cornelia Wagner
Manfred Fürth
Reto Clavadetscher
Paul
28
Täter
Psychologe
frühere Freundin
Pfarrer
Gefängnisdirektor
Häftling
CLAVADETSCHER (dreht am Monitor Ton aus): Das ist Terror. Ich
kann es nicht mehr hören, diese Stille, dieses heimtückische Schweigen Vier Mann vor der Tür! In voller Montur. Nützt auch nichts. Und
sechs im Flur. Und ich will gar nicht wissen, wie viele TV-Kameras
draußen auf uns zielen. Ich frage mich ja, warum meine ältere
Schwester wieder mal recht haben muss. Ihre Idee mit dem Dach
hätte mir vielleicht einen Zwangsurlaub eingebracht. Das hier aber
bedeutet Ab-in-die-Wüste. Zwangsbeurlaubung. Dass er an die Waffe kam, dafür hängen sie mich.
FÜRTH: Ich will noch mal versuchen, mit ihm zu reden. Es geht
jetzt nur um die Geisel.
Telefon klingelt, CLAVADETSCHER nimmt ab: Ja, versuchte sie. Nein, kein Widerstand mehr. - Einmal, ein Schuss nur. - Deutlich an
ihr vorbei, ja. - Strikt seinen Anweisungen. - Natürlich ist sie eingeschüchtert. - Aber Sie wissen offenbar nicht, wie schmal dieser Flur
ist. - Hören Sie, da ist kein Platz für irgendwelche Vorbereitungen.
- Im Ministerium? Nein, Weimar ist hier. - Nein, noch niemand.
Danke (hängt ein). Scheint, dass sie stürmen wollen. Tür aufsprengen, Blend- oder
Rauchgranate und rein. Das ist Wahnsinn. Sturm auf einen, der eh
nicht überleben will. Der erschießt die Frau einfach. Wenn man so
will, hat der eh schon gewonnen, die Hälfte seiner Forderung ist
schon erfüllt. Er kann endlich mit sich Schluss machen. Aus seiner
Sicht ist das Lösegeld ja bereit und gehört eigentlich ihm. Und er hat
es längst freigegeben, für beste Zwecke. Wahnsinn.
WEIMAR: Ja, so ist das. Der will kein freies Geleit. Damit stellt er
alles, was Geiselnahmen ausmacht, auf den Kopf. Was könnte ihn
einschüchtern? Nichts! Der will ja gar nicht entkommen. Da können
sie lange ihre Szenarien durchspielen. Wenn sie eindringen, verurteilen sie die Frau zum Tod. Für diesen Akt hat er in jedem Fall Zeit
genug.
FÜRTH: Ich versuch es noch mal. Ich gehe mal wieder runter vor
die Tür.
WEIMAR: Besser, Sie halten sich raus, und ich gehe rein. Und ich
nehme meinen Laptop mit und schalte die TV-Sender auf. Das suggeriert ihm, dass wir immerhin auf eine Zusage hoffen.
Weimar verschwindet.
Clavadetscher stellt Ton am Monitor laut. Fürth zum Telefon.
Unzählige Mal das Klingeln aus dem Besuchszimmer. Münch reagiert nicht.
Das Stück endet mit den drei aneinander gereihten
Schlussvarianten.
Statt via Monitor können die Szenen im
Besuchszimmer natürlich auch live zu sehen sein.
Ende A, erster Teil
21 a
Besuchszimmer. Münch. Cornelia Wagner.
Weimars Stimme durch die Tür.
WEIMAR: Ich stehe hier vor Ihrer Tür. Sonst ist keiner mehr im
Flur. Hören Sie mich? Frau Wagner? Herr Münch, hören Sie mich?
Sie haben viel erreicht, Herr Münch. Sie haben draußen viel Sympathie erworben. Sie sind ungeheuer populär. Man bewundert Ihre
Idee: alles Geld, das man an Ihnen spart, den Opfern zukommen zu
lassen. Da ist eine große Diskussion in Gang gekommen. Zerstören
Sie jetzt nicht, was Sie erreicht haben ...
MÜNCH (leise): Schwätzer. Aber dieses Rennen gewinne ich.
WEIMAR: Hören Sie mich überhaupt? Wenn Frau Wagner etwas
zustößt, verlieren Sie das wieder. Lassen Sie uns über eine andere
Lösung sprechen. Es gibt eine Lösung, ohne dass Frau Wagner
sterb ... Schaden nimmt, da bin ich mir sicher. Denken Sie an unsere
29
Gespräche. Das waren gute Gespräche. Lassen Sie uns unser Gespräch wieder aufnehmen. Wenn Sie mich reinlassen, werde ich mich
Ihren Anweisungen genau fügen ... und wir können gemeinsam die
TV-Nachrichten - ich habe einen Laptop mit ...
Koni (leise): Dann wollen wir mal. Stell dich zur Tür! Sofort!
Wagner springt auf, geht zur Tür, Münch hält ihr Pistole an die Schläfe.
Koni (leise): Keine Sentimentalitäten. Dauerte länger als ich vorsah.
(Laut): Ich öffne. Hände oben, sofort geradeaus zum Tisch gehen.
Entfernt Stuhl unter Türfalle, schließt auf. Weimar verhält sich wie
befohlen. Wagner mit Sprung draußen.
Koni wirkt kurz irritiert. Schließt sogleich, Waffe auf Weimar gerichtet.
KONI: Dann sterben eben Sie mit mir. Man hat halt doch seine Anhänglichkeiten. Gehen Sie zum Telefon. Gespräche können wir uns
schenken. Zwei Todgeweihte haben keine sinnvollen Themen.
Sagen Sie denen da oben: Meine Forderung gilt ohne Abstriche.
Öffentliche Erklärung durch Regierungsmitglied, dass mein Geld an
die Geschädigten ausbezahlt wird. Mein Ultimatum verkürze ich auf
heute Nacht 12 Uhr.
WEIMAR: Sie können uns oben hören.
KONI: Wird so sein. Rufen Sie dennoch an. Dann passen Sie sich
den Gepflogenheiten hier an. Wir schweigen zusammen.
WEIMAR (am Telefon): Sie haben es mitbekommen? - Mitternacht
also. Nein. - Danke. Ich schalt mal die Sender auf.
Ende A, zweiter Teil
22 a
Direktionszimmer. Direktor Clavadetscher. Seelsorger Fürth.
Monitore zeigen Besuchszimmer / Eingangsbereich etc.
Weimar auf Stuhl. Tür wieder blockiert.
Koni mit Pistole.
Konrad Münch
Dr. Anton Weimar
Cornelia Wagner
Manfred Fürth
Reto Clavadetscher
Paul
30
Täter
Psychologe
frühere Freundin
Pfarrer
Gefängnisdirektor
Häftling
FÜRTH: Es ist nicht zum Aushalten.
CLAVADETSCHER: Und ich bleibe dabei, die Dame war eingeweiht. Oder sonst jemand.
FÜRTH: Dann bleiben Sie dabei. Meine Meinung interessiert Sie
eh nicht. Und wenn? Wenn er Hilfe gehabt hätte, was würde das
ändern?
CLAVADETSCHER: Was weiß ich? Wer weiß denn noch, was richtig ist? Das etwa? Das?
Am Monitor:
Tür kracht aus den Angeln. Rauch.
Drei in Kampfmontur, die hereinstürmen. Chaos. Schüsse.
Weimar stürzt zu Boden, zuckt, leblos.
Münch getroffen, taumelt der Wand entlang,
sinkt in Hocke, hält sich an Kopf und Schulter.
Schreie. Rufe.
Der verletzte Münch wird hinausgetragen.
Jemand beugt sich über Weimar, brüllt: »Der ist tot.«
FÜRTH: Nein!
CLAVADETSCHER: Was haben Sie denn erwartet? Dann wollen
wir uns mal darauf einstellen, dass uns Münch erhalten bleibt. Am
Ende gar invalid oder geistig behindert - vierzig Jahre!
Ende B, erster Teil
21 b
Besuchszimmer. Münch. Cornelia Wagner.
Weimars Stimme durch die Tür.
WEIMAR: Ich stehe hier vor Ihrer Tür. Sonst ist keiner mehr im
Flur. Hören Sie mich? Frau Wagner? Herr Münch, hören Sie mich?
Sie haben viel erreicht, Herr Münch. Sie haben draußen viel Sympathie erworben. Sie sind ungeheuer populär. Man bewundert Ihre
Idee: alles Geld, das man an Ihnen spart, den Opfern zukommen zu
lassen. Da ist eine große Diskussion in Gang gekommen. Zerstören
Sie jetzt nicht, was Sie erreicht haben ...
MÜNCH (leise): Schwätzer. Aber dieses Rennen gewinne ich.
WEIMAR: Hören Sie mich überhaupt? Wenn Frau Wagner etwas
zustößt, verlieren Sie das wieder. Lassen Sie uns über eine andere
Lösung sprechen.
Es gibt eine Lösung, ohne dass Frau Wagner sterb ... Schaden
nimmt, da bin ich mir sicher. Denken Sie an unsere Gespräche. Das
waren gute Gespräche. Lassen Sie uns unser Gespräch wieder auf-
31
nehmen. Hören Sie, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass niemand
sonst vor der Türe ist, mein Ehrenwort. Wenn Sie mich reinlassen,
werde ich mich Ihren Anweisungen genau fügen ... und wir können
gemeinsam die TV-Nachrichten - ich habe einen Laptop mit ...
MÜNCH (laut): Dann wollen wir mal. Stell dich zur Tür! Sofort!
Wagner springt auf, geht zur Tür,
Münch hält ihr Pistole an die Schläfe.
MÜNCH (leise): Keine Sentimentalitäten. Dauerte länger als ich
vorsah. (Laut) Ich öffne. Sofort geradeaus und schnell zum Tisch
gehen.
Entfernt Stuhl unter Türfalle, schließt auf.
Weimar verhält sich wie befohlen.
Wagner mit Sprung draussen. Münch wirkt kurz irritiert.
Schließt sogleich, Waffe auf Fürth gerichtet.
MÜNCH: Dann sterben halt Sie mit mir. Gehen Sie zum Telefon.
Gespräche können wir uns schenken. Zwei Todgeweihte haben
keine sinnvollen Themen. Sagen Sie denen da oben: Meine Forderung gilt ohne Abstriche. Öffentliche Erklärung durch Regierungsmitglied, dass mein Geld an die Geschädigten ausbezahlt wird. Mein
Ultimatum verkürze ich auf heute Nacht 12 Uhr.
WEIMAR: Sie können uns hören. Starten wir doch mal die Sender
auf.
MÜNCH: Wird so sein. Rufen Sie trotzdem an. Dann passen Sie
sich an die Gepflogenheiten hier an. Wir schweigen.
WEIMAR (am Telefon): Sie haben es mitbekommen? - Mitternacht
also. Nein. - Danke. Ich schalt mal die Sender auf.
Konrad Münch
Dr. Anton Weimar
Cornelia Wagner
Manfred Fürth
Reto Clavadetscher
Paul
32
Täter
Psychologe
frühere Freundin
Pfarrer
Gefängnisdirektor
Häftling
Am Monitor:
Tür kracht aus den Angeln. Rauch. Drei in Kampfmontur, die hereinstürmen.
Schüsse. Weimar wirft sich auf den Boden.
Münch wird getroffen, taumelt der Wand entlang,
sinkt zusammen, reglos. Weimar rappelt sich auf.
Schreie. Rufe.
Jemand beugt sich über Münch, brüllt: »Der ist - nichts mehr - der ist tot.«
Ende B, zweiter Teil
22 b
Direktionszimmer. Direktor Clavadetscher. Seelsorger Fürth.
FÜRTH: Nein! Wahnsinn! Wussten Sie, dass sie jetzt stürmen ...?
CLAVADETSCHER: Was haben Sie denn anderes erwartet? Dass
sie ihn erst mal in Handschellen legen?
FÜRTH: Sie mussten doch nicht gleich losballern!
CLAVADETSCHER: Halten Sie den Mund! Das zählt jetzt nicht.
FÜRTH: Wir sind immer noch ein Rechtsstaat!
CLAVADETSCHER: ... ein Staat, der sein Recht durchsetzt, genau!
Seien wir dankbar, dass er lebt, Weimar, meine ich. Münch musste
wissen, auf was er sich einlässt. Stellen Sie sich mal vor, er wäre
nicht tot, sondern gelähmt. Vierzig Jahre volle Pflege. Mein Gott.
Wollen Sie noch behaupten, das wäre Ihnen lieber?
FÜRTH: Ich werde nicht schweigen!
Ende C, erster Teil
21 c
Besuchszimmer. Münch. Cornelia Wagner.
Weimars Stimme durch die Tür.
WEIMAR: Ich stehe hier vor Ihrer Tür. Sonst ist keiner mehr im
Flur. Hören Sie mich? Sie haben viel erreicht, Herr Münch. Sie haben draußen viel Sympathie erworben. Sie sind ungeheuer populär.
Man bewundert Ihre Idee: alles Geld, das man an Ihnen spart, den
Opfern zukommen zu lassen. Da ist eine große Diskussion in Gang
gekommen. Zerstören Sie jetzt nicht, was Sie erreicht haben ...
MÜNCH (leise): Dieses Rennen gewinne ich.
WEIMAR: Hören Sie mich überhaupt. Lassen Sie uns erst mal
Geduld haben. Es soll niemand Schaden nehmen. Denken Sie
an unsere Gespräche. Ich bringe jetzt einen Laptop rein. Es gibt
vielversprechende Anzeichen. Warten wir mal auf die offizielle
Stellungnahme. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass niemand
sonst vor der Türe ist. Wenn Sie mich reinlassen, werde ich mich
Ihren Anweisungen genau fügen ... und wir können gemeinsam die
Tagesschau ...
33
MÜNCH (leise): Dann wollen wir mal. Stell dich zur Tür! Sofort!
Wagner springt auf, geht zur Tür, Münch hält ihr Pistole an die Schläfe.
MÜNCH (leise): Keine Sentimentalitäten. Dauerte länger als ich
vorsah. (Laut): Ich öffne. Sofort geradeaus und schnell zum Tisch
gehen.
Entfernt Stuhl unter Türfalle, schließt auf. Weimar verhält sich wie
befohlen. Wagner mit Sprung draußen.
Münch wirkt kurz irritiert. Schließt sogleich, Waffe auf Weimar gerichtet.
MÜNCH: Gespräche können wir uns schenken. Zwei Todgeweihte
haben keine sinnvollen Themen. Mein Ultimatum gilt. Spätestens bis
Mitternacht muss die Erklärung da sein. Starten Sie dieses Ding. Danach passen Sie sich an die Gepflogenheiten hier an. Wir schweigen.
Ende C, zweiter Teil
22 c
Direktionszimmer. Direktor Clavadetscher. Seelsorger Fürth.
Monitore zeigen Besuchszimmer / Eingangsbereich etc.
Weimar auf Stuhl. Tür wieder blockiert.
Koni mit Pistole.
FÜRTH: Es ist nicht zum Aushalten.
CLAVADETSCHER: Und ich sage es nochmals, die Dame war
eingeweiht. Oder sonst jemand.
FÜRTH: Dann bleiben Sie dabei. Meine Meinung interessiert Sie
eh nicht. Doch wenn? Wenn er Hilfe gehabt hätte, was würde das
ändern?
CLAVADETSCHER: Wer weiß denn noch, was richtig ist?
FÜRTH: Im Grunde hätte man über Facebook, Twitter eine Spendensammlung - ich meine, wenn der Staat nicht zahlen will oder
kann - fast neunzig Prozent erklären sich mit Münchs Forderung
einverstanden ... Dann sollen die mal was tun!
Konrad Münch
Dr. Anton Weimar
Cornelia Wagner
Manfred Fürth
Reto Clavadetscher
Paul
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Täter
Psychologe
frühere Freundin
Pfarrer
Gefängnisdirektor
Häftling
Auf Monitor im Direktionszimmer
Justizminister Mayenhofer verliest soeben eine Erklärung:
»Das Justizministerium geht auf die Forderungen des Konrad
Münch n i c h t ein. Dem Ministerium liegt aber eine rechtsverbindliche Zusicherung der Reetsma-Stiftung vor. Danach erhalten die
von Herrn Münch nachhaltig geschädigte Frau sowie der hinterlassener Partner mit Kind eine Summe von drei Millionen Euro zur
gleichberechtigten Aufteilung zur Verfügung gestellt. Die Stiftung
betont die Einmaligkeit dieser Stiftungsaktivität, die auch völlig
unabhängig vom künftigen Verhalten des Konrad Münch umgesetzt
wird.«
Auf Monitor:
Münch am Tisch wie erstarrt.
Springt auf, dirigiert Weimar an Wand neben Tür.
MÜNCH: Dann geht das ja seinem Ende zu ...
Ihre Gruppe, Ihre Gruppe für Lebenslängliche, wie wird sie künftig
heißen?
WEIMAR: Wie meinen Sie ...
MÜNCH: Ihre Gruppe, Ihre Weiße Gruppe. In Zukunft nennen Sie
diese Gruppe wie? Sagen Sie es mir!
WEIMAR: Sie meinen ... Schwarze?
MÜNCH (nickt)
WEIMAR: Schwarze!
MÜNCH: Lauter!
WEIMAR: Schwarze Gruppe.
Münch mit vorgehaltener Waffe zu Weimar,
lässt ihn Türe öffnen, stößt ihn hinaus.
Verriegelt. Setzt sich. Scheint unschlüssig.
...
Klappt Laptop zu.
...
Erschießt sich.
FÜRTH: Nein! Wahnsinn!
CLAVADETSCHER: Was haben Sie denn anderes erwartet? Das
musste man doch erwarten dürfen! Zumindest das! Was wäre Ihnen
denn lieber, Herrgott!
Kleine Anmerkung - als Frage - zur Inszenierung: Ende A mit Ende C austauschen?
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Zum Autor
Andreas Sommers Romane
erscheinen für den deutschen
Sprachraum
bei der Verlagsgruppe
LangenMüller/Herbig in München:
2007 Der Kuss des Messias
2010 Der Drache am Himmel
2012 HerzSchläge
Zahlreiche Übersetzungen.
Der Roman Freunde wird 2015
erscheinen.
2014 die zwei ersten
publizierten Theaterstücke:
Das elfte Gebot
Die Parzen
A.S. lebt in F-30190 Bourdic und
CH-3006 Bern
(00 41) (0) 79 617 69 37
www.andreassommer.ch
[email protected]
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