Der gute Mensch von Sezuan 14+

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Der gute Mensch von Sezuan 14+
Schauspiel Staatstheater Braunschweig
Spielzeit 2012/2013
www.staatstheater-braunschweig.de
Theaterpädagogin
[email protected]
Tel. (0531) 1234 553
Dramaturg
[email protected]
Tel. (0531) 1234 102
Der gute Mensch von
Sezuan 14+
Parabelstück von Bertolt Brecht I Musik von
Paul Dessau
Materialmappe
Ist es möglich in dieser Welt ein guter Mensch zu sein? Wer ist für dich ein guter Mensch und wie ist das von Brecht gemeint?
Was Ist Moral?
Wo handelst du unmoralisch und was heißt das für dein Leben?
Welchen Anteil spielst du in der Verwirklichung einer guten Welt?
Was erwartest du von einer guten Gesellschaft?
Würdest du dich beruflich selbstständig machen? Was spricht dafür und was
dagegen?
Welche Regeln/ Vorsätze hättest du für dich, wenn du als Chef ein großes Unternehmen leiten würdest?
Was erwartest du von einem guten Theaterabend?
Mit dieser Mappe möchten wir Anregungen zur Vor- und Nachbereitung eines
Theaterbesuchs von »Der gute Mensch von Sezuan« unterbreiten, dabei beschäftigen wir uns mit verschiedenen Schlaglichtern unserer Inszenierung.
Die Materialsammlung ist eine dramaturgisch und theaterpädagogisch aufgearbeitete Sammlung an Hintergrundwissen und Arbeitsangeboten vor allem für
die Lehrerschaft und für ihren Unterricht. Die Bausteine sind frei kombinierbar.
Nicht alle Informationen dienen dazu detailliert an die Schülerinnen und Schüler weitergegeben zu werden. Es ist ihnen überlassen, wie viel Sie verraten
wollen und welche Übungen Sie von dem praktischen Vor- oder Nachbereitungsblock im Unterricht einsetzen.
Wir wünschen einen anregenden Theaterbesuch, sind auf Meinungen zum
Stück und zu dieser Mappe gespannt.
Angelika Andrzejewski & Axel Preuß
Herausgeber Staatstheater Braunschweig,
Am Theater, 38100 Braunschweig
Generalintendant Joachim Klement
Redaktion und Gestaltung Angelika Andrzejewski, Axel Preuß, Laura
Zielinski
Fotos Volker Beinhorn
Redaktionsschluss 27.09.2013 / Änderungen vorbehalten
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Besetzung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Musikalische Leitung
Dramaturgie
Michael Talke
Barbara Steiner
Ellen Hoffmann
Peter M. Glantz
Axel Preuß
Regieassistenz und Abendspielleitung
Theaterpädagogik
Ausstattungsassistenz
Inspizienz
Soufflage
Regie- und Kostümhospitanz
Regiehospitanz
Julian van Daal
Angelika Andrzejewski
Katharina Lackmann
Simone Großmann
Katja Gliese
Mit:
Chen Te – Shui Ta / Ein Gott
Bea Brocks
Yang Sun, ein stellungloser Flieger /
Der Neffe / Ein Gott
Philipp Grimm
Frau Yang / Yang Suns Mutter /
Die Frau des Teppichhändlers /
Die Frau / Erster Gott
Martina Struppek
Die Witwe Shin / Der Polizist /
Der Brudern / Ein Gott
Nientje Schwabe
Der Schreiner Lin To /
Der Barbier Shu Fu / Der Großvater /
Ein Gott
Raphael Traub
Die Hausbesitzerin Mi Tzü /
Der Arbeitslose / Die Schwägerin /
Ein Gott
Tobias Beyer
Wang / ein Wasserverkäufer /
Der Mann / ein Gott
Mathias Bleier
Musiker
Sebastian Albert, Peter M.
Glantz, Stefan Stürmer
Hospitanz
Marvin Hellwig-Zöller
(Dramaturgie)
Juliane Förster (Ausstattung)
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Ausstattungsleitung / Technische Direktion Ralf Wrobel - Technischer
Inspektor Oliver Neumeyer - Bühneneinrichtung Katja Briesemeister /
Lothar Krüger - Leiter Beleuchtungsabteilung Frank Kaster - Licht Benedikt
Kreutzmann - Leitung Tontechnik Burkhard Brunner - Toneinrichtung
Matthias Brückner - Leitung Requisite Guido Amin Fahim - Requisite
Yvonne Oehlschläger, Gesche Gebert, Anke Vorwick - Leitung
Kostümabteilung Ernst Herlitzius – Leitung Maskenabteilung Nicolas Guth Maske Julia Markow, Veronika Suteu, Ingelore Mitlehner-Syren- Leitung
Ausstattungswerkstätten Petra Röder - Produktionsingenieur Stephan
Busemann - Leitung Schlosserei Armin Zühlke - Leitung Malsaal Sonja
Bähr - Leitung Tischlerei Peter Kranzmann - Leitung Deko - und
Möbelabteilung Axel Schneider
Premiere 14.09.2013 im Großen Haus
Aufführungsdauer 2 Stunde 40 Minuten, eine Pause
Das Fotografieren, Film-, Video- und Tonaufnahmen sowie die Benutzung
drahtloser Kommunikationsmittel während der Aufführung sind nicht gestattet.
Bitte schalten Sie Ihre Mobiltelefone für die Dauer der Vorstellung aus.
Zum Stück
»Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss! / Es muss
ein guter da sein, muss, muss, muss!«
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Inhalt
Drei Fremde kommen nach Sezuan. Sie sind auf der Suche nach einem Menschen, der nicht nur moralisch gut ist, sondern zugleich auch gut leben kann.
Doch zunächst brauchen die Götter einen Schlafplatz für die Nacht. Sie werden überall abgewiesen. Wang, der freundliche Wasserverkäufer, vermag es
nicht, auch nur einen Bürger in Sezuan zu finden, der die drei Fremden bei
sich übernachten ließe. Selbst die Prostituierte Shen Te weist die göttliche Anfrage zunächst ab, weil sie einen Freier erwartet. Doch dann lässt sie sich
doch erweichen. Am nächsten Morgen danken es ihr die Götter mit einem
großzügigen Geldgeschenk. Für Shen Te bietet sich damit die einmalige Gelegenheit, endlich aus der Prostitution auszubrechen. Sie kauft sich einen Tabakladen und hofft auf gute Umsätze. Doch sie hat die Rechnung ohne die
Verschlagenheit ihrer Mitbürger gemacht. Die Witwe Shin, die ihr den Laden
verkauft hat, bettelt bei ihr fortan um Reis. Der Schreiner Lin To macht Ausstände für Regale geltend, die die Witwe Shin beim Verkauf verschwiegen hat.
Die Hausbesitzerin Mi Tzü, in deren Gebäude sich der Tabakladen befindet,
will eine unverschämt hohe Miete im Voraus haben und eine obdachlose, vielköpfige Familie nistet sich bei Shen Te im Laden ein und fängt an, die Tabakbestände zu dezimieren. So weit so schlecht: Noch ehe das Geschäft Shen
Tes in Schwung kommt, ist es auch schon ruiniert.
In ihrer Verzweiflung erfindet sich Shen Te einen Verwandten. Maskiert als
Shui Ta spielt Shen Te einen Vetter, den alle Eigenschaften auszeichnen, die
Shen Te fehlen, die aber ein Geschäftsmann zur Durchsetzung seiner Interessen braucht. Das Tabakgeschäft könnte nun endlich in Schwung kommen.
Doch kaum scheint die Rettung des Geschäfts in Sicht, verliebt sich Shen Te
in den Piloten Sun - und selbst ihr böses Alter Ego Shui Ta scheint sie nicht
mehr vor dem hinterhältigen Geliebten bewahren zu können! Doch Shen Te
kämpft sich zurück ins Geschäftsleben. Von Sun schwanger und von den Nackenschlägen der allgegenwärtigen Niedertracht erschüttert, schlüpft sie erneut in die Rolle Shui Tas. Mithilfe der Grundeigentümer Shu Fu und Mi Tzü
macht sie aus dem kleinen Tabakhandel eine florierende Tabakfabrik. Der soziale Preis dafür ist hoch, denn die Arbeitsbedingungen der Fabrik erinnern an
jene heutiger Sweatshops. Die Arbeiterinnen und Arbeiter müssen für Hungerlöhne unter unmenschlichen Bedingungen schuften, damit Shui Tas Fabrik einen maximalen Profit erwirtschaften kann. Doch dann gerät Shui Ta unter
Verdacht, Shen Te ermordet zu haben. Denn die wird seit Shui Tas kometenhaftem Aufstieg zum »Tabakkönig von Sezuan« vermisst.
Shui Ta wird der Prozess gemacht. Als Richter fungieren die Götter, die ebenso verzweifelt wie die Menschen von Sezuan die gute Shen Te suchen. Auf
ihrer langen Suche nach einem guten Menschen sind sie gescheitert. Nur
noch Shen Te bleibt ihnen zum Erhalt der Hoffnung, dass sie die sozialen und
ökonomischen Zustände so belassen können wie sie sind.
Als sich Shui Ta als die vermisste Shen Te zu erkennen gibt, flüchten sich die
Götter auf eine rosa Wolke und schweben gen Himmel davon. Das Elend der
Welt und das Dilemma Shen Tes, das Gute opfern zu müssen, um nicht selbst
in den Strudel von Armut und Entwürdigung zu geraten, ignorieren die Götter:
»Und lasset, da die Suche. nun vorbei / Uns fahren schnell hinan! / Gepriesen
sei, gepriesen sei / Der gute Mensch von Sezuan.«
Das Schicksal Shen Tes sowie der Gesellschaft von Sezuan bleibt also offen.
Diesem offenen Schluss hat Brecht seinen berühmten Epilog beigestellt, in
dem das Publikum aufgefordert wird, selbst eine Lösung für die drängenden
sozialen, ökonomischen und moralischen Probleme zu finden.
Theorie und Praxis
Brechts zeitloses Parabelstück steht in der Tradition der Aufklärung, in dem es
die Zuschauerin und den Zuschauer zu aktiven Beteiligten macht, die animiert
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werden, die Handlung zu reflektieren und konstruktiv weiterzudenken. Immanuel Kants (1724- 1804) berühmter Wahlspruch der Aufklärung lautete: »Habe
Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.« Bei Brecht wird daraus
eine Theorie und Praxis des »epischen Theaters«, das die Zuschauerin und
den Zuschauer ernst nimmt. Im Parkett nehmen die Zuschauer als Bürger
Platz, die sich durchaus amüsieren dürfen, zugleich aber auch das künstlerische Bühnengeschehen gedanklich begleiten sollen. Damit verbindet sich die
Hoffnung, dass die Zuschauer sich nicht als passive Rezipienten, sondern viel
mehr als aktive Subjekte der realen Gesellschaft erfahren. Im Zentrum des
Gedankens steht hierbei die Veränderbarkeit von Mensch und Gesellschaft.
In der kleinen Parabel »Das Wiedersehen« aus Brechts »Geschichten vom
Herrn Keuner« findet dieser Gedanke seinen pointierten Ausdruck:
»Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn
mit den Worten: ›Sie haben sich gar nicht verändert.‹
›Oh! ‹ sagte Herr K. und erbleichte.‹
Um die Lust am Mit- und Weiterdenken zu stimulieren, hat der Autor eine Reihe von Elementen in sein Stück eingebaut, die die Handlung immer wieder unterbrechen und auch kommentieren. Dazu gehören die Lieder Paul Dessaus
mit den Texten Brechts, lyrische Einlagen, das direkte Ansprechen des Publikums seitens der Schauspieler oder der schon erwähnte offene Schluss des
Stücks mit seinem Epilog.
Inszenierung
All dies finden wir in der Inszenierung von Michael Talke wieder. Aufgegriffen
und inszenatorisch pointiert wird auch Brechts Idee von der offenen Verwandlung der Schauspieler auf der Bühne. Im Stück ist vorgesehen, dass sich die
Schauspielerin der Shen Te vor den Augen des Publikums in Shui Ta verwandelt. Hier knüpft die Inszenierung an, indem alle wichtigen Haupt- und Nebenfiguren von nur sieben Darstellern verkörpert werden, die erkennbar für das
Publikum von einer Rolle in die nächste schlüpfen. Von den Regisseuren seines Stücks wünschte sich der Autor Leichtigkeit. Brecht verstand sein Parabelstück durchaus als Komödie und verwandte eine Reihe von Mitteln, deren
das Genre bedarf. Hierzu zählen die Doppelrolle Shen Te – Shui Ta, letztere
als Hosenrolle gehalten für die Darstellerin der Shen Te, oder der stete Wissensvorsprung, den das Publikum den Figuren auf der Bühne voraus hat. Den
stückimmanenten Aspekt des Spiels im Spiel sowie die tragikomische Ignoranz der Wirklichkeit, die den Göttern von Anfang an deutlich eingeschrieben
ist, greift die Inszenierung durch Elemente aus Unterhaltungsformaten auf. Im
Stück entziehen sich die ignoranten Götter der rauen sozialen Wirklichkeit, in
dem sie auf einer rosa Wolke davon schweben. In der Inszenierung ist es fast
wie im richtigen Leben: Wenn wir das Elend auf dem Bildschirm nicht mehr
aushalten, muss jemand ganz schnell anfangen zu singen – oder wir schalten
um.
Aufführungen
Uraufgeführt wurde das Stück 1943 am Schauspielhaus in Zürich. Die deutsche Erstaufführung folgte 1952 in Frankfurt am Main. Der Verleger Peter
Suhrkamp schrieb Brecht nach der Premiere: »Die Aufführung des »Guten
Menschen von Sezuan« gestern Abend war vor dem Premierenpublikum ein
besonders guter Erfolg. Allerdings bin ich zweifelhaft, ob er vor dem Durchschnittspublikum andauern wird. Die Leute hier lassen sich nicht gern Unannehmlichkeiten sagen, sondern entziehen sich dem natürlicherweise.«
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In Braunschweig wurde der »Gute Mensch von Sezuan« bislang zweimal aufgeführt: in der Spielzeit 1958 / 1959 und zuletzt vor über 20 Jahren in der Saison 1991 / 1992.
Bertolt Brecht
Zum Autor
Bertolt Brecht
kam am 10. Februar 1898 in Augsburg zur Welt. Sein Geburtsname lautete
Eugen Berthold Friedrich Brecht. Die Eltern riefen ihren Sohn »Aigin«, er
selbst verwendete früh »Bert«, glich aber später seinen Vornamen an jenen
des befreundeten Dramatikers Arnold Bronnen an und nannte sich »Bertolt«.
Sein Vater Berthold Friedrich Brecht (1869 – 1939) arbeitete als Prokurist einer Augsburger Papierfabrik. Schon als Kind litt Brecht an Herzproblemen.
Früh zeigte sich aber auch sein künstlerisches Talent, indem er Verse schrieb
und mit seinem Puppentheater Aufführungen gab. Als Schüler gab er die
Schülerzeitung »Die Ernte« heraus. Geprägt von den Erfahrungen des Ersten
Weltkrieges und den sozialen Verhältnissen der Arbeiter, sollte Brecht bald
aus der bürgerlichen Welt seiner Familie ausbrechen: »Ich bin aufgewachsen
als Sohn / Wohlhabender Leute. Meine Eltern haben mir / Einen Kragen
umgebunden und mich erzogen / In den Gewohnheiten des Bedientwerdens /
Und unterrichtet in der Kunst des Befehlens. Aber / Als ich erwachsen war und
um mich sah, / Gefielen mir die Leute meiner Klasse nicht, / Nicht das Befehlen und nicht das Bedientwerden. / Und ich verließ meine Klasse und gesellte
mich / Zu den geringen Leuten.« 1917 macht Brecht ein kriegsbedingtes
»Notabitur« und beginnt ein Medizinstudium in München. Vor allem aber interessiert er sich für Literatur. Er lernt den Dramatiker Frank Wedekind kennen
und befreundet sich mit Karl Valentin. Es entstehen die frühen Stücke »Baal«,
»Trommeln in der Nacht« und »Im Dickicht der Städte«. Brecht wird Drama-
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turg an den Münchner Kammerspielen und schreibt Theaterkritiken für den
»Volkswillen«, eine Zeitschrift der USPD.
1923 lernt Brecht seine zweite Frau, die Schauspielerin Helene Weigel kennen. Zu diesem Zeitpunkt ist er noch mit Marianne Zoff verheiratet, mit der er
eine Tochter hat. Als Brecht Weigel 1929 heiratet, ist er auch schon mit Elisabeth Hauptmann bekannt, die später seine Mitarbeiterin und Geliebte wird.
1932 trifft er auf Margarete Steffin. Sie ist Schriftstellerin und Schauspielerin.
Auch sie wird seine Mitarbeiterin, begleitet ihn mit Helene Weigel ins Exil (wo
sie mit ihm am »Guten Menschen von Sezuan« arbeitet) und wird seine Geliebte.
Von 1924 bis 1933 lebt Brecht in Berlin. Einem Angebot des berühmten Max
Reinhardt folgend, arbeitet er zusammen mit Carl Zuckmayer als Dramaturg
am Deutschen Theater. Er beginnt Marx’ »Kapital« zu lesen und entwickelt die
Theorie des »epischen Theaters«. 1927 lernt er den Komponisten Kurt Weill
(1900 – 1950) kennen, der die Musik zu Brechts »Dreigroschenoper« schreibt.
Die Uraufführung erfolgt 1928 im Berliner Theater am Schiffbauerdamm. Die
»Dreigroschenoper« ist vermutlich das erfolgreichste deutsche Stück des 20.
Jahrhunderts. Bereits in der Spielzeit 1928 / 1929 sollen 4.000 Aufführungen
in 200 Inszenierungen verzeichnet worden sein. Die Nazis verbieten das
Stück später genauso, wie sie am 11. Mai 1933 Brechts gesamtes Werk verbieten. Einen Tag zuvor sind seine Bücher bereits Opfer der berüchtigten öffentlichen Bücherverbrennungen geworden. Brecht, dessen Aufführungen ab
1930 von den Nazis immer wieder gestört werden, gelingt am 28. Februar
1933, einen Tag nach dem Reichstagsbrand, die Flucht ins Exil. Gemeinsam
mit seiner Familie und Freunden führt ihn sein Weg über Prag, Wien, Zürich
und Paris nach Dänemark, wo er bei Svendborg im Sommer 1933 ein Haus
kauft. In diesem Jahr lernt er auch die dänische Journalistin und Schauspielerin Ruth Berlau (1906 – 1974) kennen. Auch sie wird seine enge Mitarbeiterin,
u. a. am »Guten Menschen von Sezuan« - und seine Geliebte.
1939 zieht es Brecht mit Helene Weigel, den gemeinsamen Kindern sowie
den Mitarbeiterinnen Ruth Berlau und Margarete Steffin nach Schweden und
Finnland, 1941 erhalten sie endlich Visa für die Vereinigten Staaten, wo sich
Brecht im kalifornischen Santa Barbara niederlässt. Seine Briefe vermitteln einen unmittelbaren Eindruck von den Lebens- und Produktionsumständen
während der langen Jahre im Exil, vor allem aber auch von Brechts Arbeit und
der Sorge um sein Werk und dessen Wirkung.
15.3.39 - vor ein paar tagen habe ich den alten entwurf von »Der gute Mensch
von Sezuan« wieder hervorgezogen (in berlin begonnen als »Die Ware Liebe«). es existierten fünf szenen, vier davon sind zu brauchen. es ist scharadenarbeit, schon der umkleide- und umschminkakte wegen. ich kann aber dabei die epische technik entwickeln und so endlich wieder auf den standart
kommen. für die schublade braucht man keine konzessionen.
6.5.40 - kleine leere wohnung in tölö für einen monat ergattert. helli fuhr mit
einem lastenauto herum und holte sich in zwei stunden die nötigen möbel zusammen, fünf leute borgten sie, die wir gestern nicht kannten. wir zogen in der
letzten april (woche) ein, und ich nahm die arbeit an »Der gute Mensch von
Sezuan« ernstlich auf. das stück ist in berlin begonnen, in dänemark und
schweden aufgenommen und beiseitegelegt worden. ich hoffe es hier fertig zu
bekommen.
25.1.41 - lange unlust, dann gretes krankheit haben die arbeit am »Der gute
Mensch von Sezuan« hinausgeschoben. jetzt beende ich ihn. da das stück
sehr lang ist, will ich es noch mit poetischem versehen, einigen versen und
liedern. es mag leichter und kurzweiliger werden dadurch, wenn es schon
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nicht kürzer werden kann. das stück beweist, dass die neuere dramatik eine
kürzung der arbeitszeit verlangt. es kann leicht sein, dass sogar mittagsstunden für sie frei gehalten werden müssen. die klassische griechische dramatik
bediente sich der tagesstunden, auch die elisabethanische; so hatte sie mehr
intelligenz und frische zur verfügung. - man sieht, es gibt einige hindernisse,
welche nur weltkriege hinwegräumen könnten.
20.4.41 - »Der gute Mensch von Sezuan« ist in zahlreichen exemplaren seit
monaten an freunde (in der schweiz, in amerika, in schweden) verschickt, und
noch nicht ein einziger brief darüber ist eingelaufen, die bajonette der sieger
von 1870 mögen das ’kapital’ in europa zum sieg geführt haben, die tanks der
sieger von 1940 begraben unter sich den »Guten Menschen von Sezuan«. mit
jedem siegesrapport hitlers verliere ich an bedeutung als schriftsteller. Am 8.
Mai 1945 endet für Europa der Zweite Weltkrieg mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht. 1947 schließlich kehrt Brecht mit seiner
Familie aus dem Exil zurück. Via Zürich zieht es ihn 1948 nach Ostberlin. Hier
darf er mit Helene Weigel 1949 das berühmte »Berliner Ensemble« (BE) im
Theater am Schiffbauerdamm gründen, wo er seine Ideen von einem zeitgenössischen Theater verwirklichen kann. Seine Frau steht fortan nicht nur in
großen Rollen auf der Bühne des BE, sondern fungiert auch viele Jahre als
dessen Intendantin. Am 14. August 1956 stirbt Brecht an einem Herzinfarkt. Er
wird auf dem Berliner Dorotheenstädtischen Friedhof beigesetzt.
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Epilog
Vor den Vorhang tritt ein Spieler und wendet sich
entschuldigend an das Publikum mit einem Epilog.
Verehrtes Publikum, jetzt kein Verdruss:
Wir wissen wohl, das ist kein rechter Schluss.
Vorschwebte uns: die goldene Legende.
Unter der Hand nahm sie ein bitteres Ende.
Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen
Den Vorhang zu und alle Fragen offen.
Dabei sind wir doch auf Sie angewiesen
Dass Sie bei uns zu Haus sind und genießen.
Wir können es uns leider nicht verhehlen:
Wir sind bankrott, wenn Sie uns nicht empfehlen!
Vielleicht fiel uns aus lauter Furcht nichts ein.
Das kam schon vor. Was könnt die Lösung sein?
Wir konnten keine finden, nicht einmal für Geld.
Soll es ein andrer Mensch sein? Oder eine andre Welt?
Vielleicht nur andere Götter? Oder keine?
Wir sind zerschmettert und nicht nur zum Scheine!
Der einzige Ausweg wär aus diesem Ungemach:
Sie selber dächten auf der Stelle nach
Auf welche Weis dem guten Menschen man
Zu einem guten Ende helfen kann.
Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss!
Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!
Bertolt Brecht: Der gute Mensch von Sezuan
Zu den Masken
Eine prominente Rolle spielen in der Inszenierung von Michael Talke die Masken. Sie werden von den Schauspielerinnen und Schauspielern getragen, die
die Großfamilie verkörpern. Bei der Familie hatte Shen Te Unterschlupf gefunden, als sie einst vom Land in die Stadt zog. Nun ist die Familie selbst obdachlos geworden und hält sich durch Betteln, Diebstahl und Hehlerei über
Wasser. Obwohl die Familie seinerzeit Shen Te wieder vor die Tür setzte, obwohl diese keine neue Wohnung in Aussicht hatte, nimmt sie alle Familienmitglieder in ihrem kleinen Tabakladen auf. Die Familie breitet sich in dem Laden
aus, immer mehr Mitglieder kommen herbei und leben in dem Ladenraum, der
viel zu klein ist, um allen Platz zu bieten. In der Familie spiegelt sich das für
Brecht wichtige Motiv der Niedertracht aus Armut. Die Menschen können nicht
anders. Sie müssen stehlen, lügen und betrügen, um sich am Leben zu erhalten. Shen Te erkennt ihren moralischen Mangel als Defekt einer Gesellschaft,
die es nicht vermag, allen Mitgliedern menschenwürdige Rahmenbedingungen
zu verschaffen. Darum nimmt Shen Te alle Mitglieder der Familie auf, obwohl
es jeder betriebswirtschaftlichen Vernunft widerspricht. Die Kostümbildnerin
Ellen Hofmann hat sich für die Gestaltung der Masken von dem französischen
Künstler Baru inspirieren lassen. Auf den folgenden beiden Seiten sind Eindrücke aus Barus graphischer Novelle »Elende Helden« dokumentiert. Baru
selbst adaptierte für seinen Comic einen Roman von Pierre Pelot.
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Armutszeugnis für
Deutschland
von Jakob Augstein
Die Bundesregierung hat versucht, den Armutsbericht zu schönen –
dennoch zeugt er von der sozialen Misere im Land. Zehn Jahre nach
Verkündung der Agenda 2010 ist die Ära der sozialen Marktwirtschaft am
Ende. Eine große Enteignung hat stattgefunden. Aber in Deutschland
sind nicht die Reichen enteignet worden. Sondern das Volk.
Der »Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung«, der in der vergangenen Woche vorgelegt wurde, legt davon Zeugnis ab. Man muss genau hinsehen, um die traurige Botschaft des Berichts zu entziffern. Die Regierung hat
sich in den vergangenen Monaten viel Mühe gegeben, die Lage zu schönen
und zu manipulieren.
Aber an der Wahrheit konnte sie nichts ändern: Deutschland ist ein ungerechtes Land. 1970 besaß das oberste Zehntel der (West)-Deutschen 44 Prozent
des gesamten Nettogeldvermögens. 2011 waren es 66 Prozent. Die – von der
Masse der Menschen getragenen – Lohn-, Umsatz- und Verbrauchsteuern ergeben 80 Prozent des gesamten Steueraufkommens, die Unternehmens- und
Gewinnsteuern machen nur zwölf Prozent aus. Fast acht Millionen Menschen
in Deutschland arbeiten für Niedriglöhne. Etwa zwölf Millionen leben an oder
unter der Armutsgrenze. 25 Prozent der Beschäftigten in Deutschland haben
sogenannte prekäre Jobs: Leiharbeit, Zeitarbeit, Werkverträge, Praktika. Jeder
zweite neu zu besetzende Arbeitsplatz ist befristet.
Man könnte immer weiter solche Statistiken vortragen, manche stecken in
dem Bericht, andere wurden von Sozialwissenschaftlern zusammengetragen.
All das ist in Wahrheit längst bekannt. Aber die Mehrheit der Leute zuckt nur
gleichgültig mit den Schultern. »Es bleibt bisher eine offene Frage, weshalb
sich nur geringer Widerstand gegen die maßlose Einkommens- und Vermögenssteigerung regt«, sagt der Sozialhistoriker Hans-Ulrich Wehler. Dabei
müsste Wehler die Antwort kennen: Was sind schon Zahlen im Vergleich zu
Interessen? Und was ist schon die Wirklichkeit im Vergleich zu den Strukturen
der Macht? Die Industrie, die regierenden Parteien, große Teile der Medien,
willfährige Forscher und Institute – sie alle helfen, die Tatsachen zu leugnen,
zu relativieren, zu ignorieren. Das Kartell der Profiteure ist so stark, dass es
auf die Wirklichkeit keine Rücksicht mehr nehmen muss. Es schafft sich seine
eigene Wirklichkeit.
Und wenn gar nichts mehr hilft, kommt das Argument, dass Geld ja nicht
glücklich macht. So wie es neulich der Abgeordnete Matthias Zimmer für die
Unionsfraktion vorbrachte, als der Bundestag über den bevorstehenden Armutsbericht debattierte: »Die ganze Debatte wird ohnehin zu sehr mit Blick auf
lediglich materielle Faktoren geführt.«
Währenddessen können wir den Niedergang dieser Gesellschaft längst mit eigenen Augen sehen. Die Schulen verfallen, die Städte verrotten, die Straßen
verkommen, an den Kreuzungen klauben Menschen Pfandflaschen aus den
Mülleimern. Aber man hat uns beigebracht, unseren Augen nicht mehr zu
trauen und Ungerechtigkeit für Notwendigkeit zu halten und Unsinn für Vernunft. Alles dient dem Zweck, die Erträge, die unten erwirtschaftet werden,
nach oben fließen zu lassen und gleichzeitig zu verschleiern, dass es sich so
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verhält. Die Gesetze, das Steuergefüge, die Werte – das System. Es ist ein
System der Lüge. Die Ideologen des Neoliberalismus reden gerne von Leistung, die sich lohnen soll. Aber wir leben nicht in einer Leistungsgesellschaft,
sondern in einem Ständestaat. In seiner Agenda-Rede hatte Schröder vor
zehn Jahren gesagt: »Es darf nicht so bleiben, dass in Deutschland die Chance des Gymnasialbesuchs für einen Jugendlichen aus der Oberschicht sechsbis zehnmal so hoch ist wie für einen Jugendlichen aus einem Arbeiterhaushalt.« Und heute sagt Sigmar Gabriel im Bundestag immer noch: »Dieser Sozialstaat muss alles dafür tun, damit ererbter Status nicht zum Schicksal wird.
Wir wollen nicht, dass die Frage der Herkunft das Schicksal der Menschen
bestimmt.« Die sozialpolitischen Ziele wurden verfehlt. Die wirtschaftspolitischen wurden erreicht. Die Agenda-Politik, die Schröder erfunden hat und die
Merkel fortsetzt, hat Deutschlands Wirtschaft gestärkt, aber die Deutschen
geschwächt.
An seiner erschütterndsten Stelle zeigt der Armutsbericht, wie wenig Illusionen sich die Menschen über die deutsche Wirklichkeit machen. Wenn man sie
nach den Gründen für Reichtum in der Gesellschaft fragt, nennt gerade mal
ein Viertel besondere Fähigkeiten oder harte Arbeit. Eine viel größere Anzahl
dagegen führt die Herkunft an (46 Prozent) oder das soziale Netzwerk (39
Prozent). Die ganz Enttäuschten halten gleich Unehrlichkeit (30 Prozent) oder
die Ungerechtigkeit des Wirtschaftssystems (25 Prozent) für die Wurzeln des
Wohlstands.
Was ist erschreckender: der Realismus der Menschen oder ihre Passivität?
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Selbst Denken
Eine Anleitung zum
Widerstand
von Harald Welzer
Warum Sie immer noch glauben anders zu sein, als Sie sind
Wahrscheinlich haben Sie auch die meiste Zeit Ihres Lebens geglaubt, Teil einer im Großen und Ganzen guten Welt zu sein, einer besseren jedenfalls als
die meisten der anderen da draußen, in Asien, Afrika oder sonst wo. Das
glauben die meisten Menschen in diesen anderen Ländern allerdings auch,
weshalb es auch von daher eine irrtümliche Annahme ist, irgendjemand, sei
es ein Chinese oder eine Inderin, wollte so sein »wie wir«. Nein, sie wollen natürlich so sein wie sie selbst, aber nach Möglichkeit besser leben als jetzt. Das
Kulturmodell, das dafür eine Perspektive liefert, ist dasselbe, dem »wir« nachstreben. Aber wie sich dieses Streben jeweils mit der Geschichte und Tradition der jeweiligen Gesellschaften verbindet und sich in Strategien übersetzt,
fällt höchst differenziert aus. Selbst wenn Kulturen sich in wirtschaftlicher und
konsumistischer Hinsicht entdifferenzieren, bleiben doch Eigentümlichkeiten in
den Mentalitäten und im Habitus ihrer Mitglieder erhalten. Ethnologie und
Anthropologie haben eine Fülle von Material zusammengetragen, das auf unterschiedliche Art und Weise Auskunft darüber gibt, dass Menschen in ihren
Wahrnehmungen, Deutungen und Schlussfolgerungen nicht nur von physiologischen und physikalischen Faktoren geleitet werden, sondern von den kulturellen Mustern, in denen sie gelernt haben, ihre Welt wahrzunehmen, zu deuten und in ihr zu handeln. Diese kulturelle Prägung von Welt und Selbst reicht
von so überraschenden Befunden wie dem, dass sich ein autobiographisches
Gedächtnis bei Asiaten später entwickelt als bei Westeuropäern oder dass japanische Babys erst erlernen müssen, dass »l« und »r« eine unterschiedliche
Lautung haben, bis zu dem nicht weniger verblüffenden Sachverhalt, dass die
durchschnittliche Lebenserwartung von Menschen in den reichen Gesellschaften seit 1840 um sagenhafte 40 Jahre gestiegen ist (und sich damit in etwa
verdoppelt hat, während sie in manchen Teilen Afrikas auch heute nur bei
rund 40 Jahren liegt). Warum scheinen die ersten beiden Befunde überraschender als der dritte? Weil der dritte zu »unseren« kulturellen Erwartungen
gehört und die meisten Leserinnen und Leser dieses Buches davon ausgehen, dass ihr erwartbares Lebensalter die 39 Jahre locker überschreitet, die
sie andernorts oder zu anderen Zeiten hätten erwarten dürfen. Gesellschaften
entwickeln sich nicht nur ungleich, sondern auch ungleichzeitig. Das jeweils
existierende Universum des Erwartbaren wird einem aber nur dann bewusst,
wenn der stetige Fluss der Ereignisse durch abrupte, radikale Veränderungen
unterbrochen wird. Wenn man einen Krieg erlebt, ein verlustreiches Erdbeben,
eine nukleare Katastrophe – irgendetwas, das den kontinuierlichen Verlauf der
Lebens unterbricht – ist das Erwartbare nicht eingetreten, und erst das macht
klar, wovon man eigentlich immer ausgegangen war. Das Universum des
Erwartbaren, die »assumptive world«, wie der Phänomenologe Alfred Schütz
das genannt hat, besteht aus Voraussetzungen, die einem gerade deshalb
nicht bewusst werden, weil sie von Beginn eines individuellen Lebens an die
Welt definiert, in der man ist und zu der man gehört.
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Die Textur der Erwartungen an die Welt
Der amerikanische Soziologe Harold Garfinkel hat mit seinen Studierenden in
den 1960er Jahren eine wissenschaftliche Schule entwickelt, die er mit dem
Namen »Ethnomethodology« versehen (und ihre Popularität damit nachhaltig
verhindert) hat. Ethnomethodologie befasst sich mit den Grundregeln unseres
Alltagslebens und -handelns. Worin diese bestehen, können Sie leicht ausprobieren, indem Sie beispielsweise in einem Gespräch im Zugabteil oder an
der Hotelbar langsam, aber konsequent beginnen, den Abstand zwischen der
Nase Ihres Gegenübers und Ihrer eigenen zu verringern. Sobald Sie eine bestimmte Distanz, sagen wir 30 bis 35 Zentimeter, unterschreiten, werden Sie
bemerken, dass Ihr Gesprächspartner höchst beunruhigt sein wird, und wenn
Sie ihm noch näher kommen, wird sich auch Ihre eigene Aufgeregtheit beträchtlich steigern. Ihr Puls wird sich beschleunigen, Ihre Handflächen werden
feucht werden. Sie verletzen nämlich gerade eines der zahllosen Gesetze, die
das Sozialverhalten regeln, ohne dass es einem im Normalfall bewusst würde
und vor allem: ohne dass man es jemals bewusst gelernt hätte. Die soziale
Welt ist voll von solchen Regeln von der angemessenen Lautstärke beim
Sprechen über das Nicht- Anblicken im Fahrstuhl bis hin zu Normen des SichAnstellens in Menschenschlangen. Wie folgenreich solche Regeln des Alltagshandelns werden können, erschließt sich etwa daran, dass relativ mehr
Briten als Amerikaner unter den Opfern des Untergangs der Titanic waren,
weil Erstere aus Höflichkeit dazu neigten, anderen den Vortritt in das Rettungsboot zu lassen. Soziale Konventionen sorgen dafür, dass Menschen
eher in Kauf nehmen, in einem Haus zu verbrennen, als ohne Hose auf die
Straße zu laufen (wie Stanley Milgram einmal formuliert hat), oder dass harmlos gemeinte Gesten als tödliche Beleidigung aufgefasst werden, wenn sie im
falschen kulturellen Rahmen gebraucht werden. Die Welt, in der man aufwächst, ist die Welt, wie sie ist. Ihre Textur bildet die kulturelle und soziale
Grundierung unserer jeweiligen Existenz, und ihre Regeln sind gerade deshalb so wirksam und wirklichkeitsbestimmend, weil sie praktisch nie Gegenstand bewusster Reflexion werden. Was einem nicht bewusst ist, kann man
auch nicht kritisieren oder in Zweifel ziehen. Die sozialen Regeln des Alltagslebens bilden aber keineswegs den einzigen unbewussten Hintergrund unserer Orientierungen und Erwartungen. Insbesondere moderne Gesellschaften
sind bis in die Tiefe strukturiert durch institutionelle Verregelungen und Infrastrukturen jeglicher Art. Die assumptive world, in der man lebt, prägt nicht nur
Wahrnehmungen und gibt Deutungen vor, sondern legt einem damit zugleich
kulturelle Verpflichtungen auf und stellt Bindungen her, die gleichfalls unbewusst bleiben. Jede Kultur stattet ihre Mitglieder mit Verhaltens-, Erwartungsund Gefühlstandards aus, die ihre Wirksamkeit gerade daraus beziehen, dass
man sich gewöhnlich nie Rechenschaft über sie abgelegt hat. Daher erreichen
Bemühungen um die Veränderung solcher Standards überhaupt nichts, wenn
sie nur auf der kognitiven Ebene ansetzen – also dort, wo etwas der Erfahrung
bewusst zugänglich ist. Die Prägung meiner Zukunftsgewissheit durch »Micky
Maus« und »Hobby« ist ja ebenfalls kein bewusstes Ergebnis kognitiver Operationen, sondern verlief im Wesentlichen als ein emotionaler Aneignungsprozess. Deshalb kann ich mich bis heute auch nicht der Faszination »schöner«
Autos, Motorräder oder Flugzeuge entziehen. Weil Habitusprägungen jenseits
der Bewusstseinsschwelle verlaufen, bleibt es in der Regel auch erfolglos, an
»Einsicht« und »Vernunft« zu appellieren. Die Welt funktioniert kantianisch nur
in dem schmalen Ausschnitt, den das wache Bewusstsein erfasst; Einsicht
dringt meist nicht bis zum Verhalten vor, weil das Verhalten nicht auf Einsicht
beruht. So einfach ist das.
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Tiefe Industrialisierung
Wenn Gesellschaften sich zum Beispiel durch ein neues Energieregime wandeln und sich damit andere Produktionsverhältnisse und Wirtschaftsformen zu
etablieren beginnen, betrifft das nie nur die äußeren Lebensverhältnisse.
Soziogenese und Psychogenese bilden zwei Seiten desselben Vorgangs;
wenn die Außenwelt sich wandelt, transformiert sich auch die Innenwelt. So
haben sich die mit der industriellen Revolution entstandenen Vorstellungen
von einem prinzipiell unbegrenzten Wachstum und von der Wichtigkeit von
»Energie« auch in unsere Selbstvorstellungen übersetzt. Man kann das »tiefe
Industrialisierung« nennen: So wie die Produktionsstandorte, die Verkehrswege, die Kraftwerke, die Kaufhäuser, die Stromversorgung etc. unsere Außenwelt strukturieren, so bestimmen die Kategorien der unbegrenzten Expansion
unser Innenleben. In der expansiven Moderne geht es auch hinsichtlich der
individuellen Existenz um Vergrößerung und Wachstum. »In sich soviel Welt
als möglich zu ergreifen«, so hatte das programmatisch Wilhelm von Humboldt formuliert, und heute ist es uns zur zweiten Natur geworden, dass man
»aufsteigen«, »sich entwickeln«, »weiterkommen«, »lebenslang lernen«
muss. Probieren Sie mal aus, wie Ihre Umwelt reagiert, wenn Sie mitteilen,
dass Sie jetzt nichts mehr lernen möchten, es sei nun mal genug. Oder nicht
mehr verreisen möchten, Sie hätten schließlich genug gesehen. Und überhaupt wollten Sie sich nicht mehr entwickeln, sie seien nun einfach fertig. Die
Vorstellung, dass Lebensläufe identisch seien mit einer permanenten Aufschichtung von mehr Wissen, mehr Erfahrung, mehr Erlebnissen ist auf das
Engste daran gebunden, dass unser Kulturmodell ein expansives ist bis dahin,
dass eine Kategorie wie »Wachstum« inzwischen zivilreligiöse Qualität hat:
Wenn man einem, sagen wir, neunjährigen Kind erklären würde, dass die Erde den Ressourcenhunger der Weltbevölkerung nicht stillen kann, und es
nach einer Lösung fragen würde, könnte es zum Beispiel sagen: »Erfindet etwas, das die Menschen kleiner macht, dann reicht die Menge an Ressourcen,
die die Erde bietet, für alle.« Ein Erwachsener dagegen würde sagen: »Wir
müssen wachsen! Ohne Wachstum haben wir keine wirtschaftlichen Möglichkeiten, die Umweltprobleme zu bewältigen!« Zwei gegensätzliche Konzepte:
schrumpfen oder wachsen, was ist realistischer, wenn für alle zu wenig da ist?
Der Erwachsene ist ganz offensichtlich logisch auf dem falschen Dampfer,
aber er braucht gar nicht eigens zu begründen, wofür Wachstum ausgerechnet im Angesicht umfassender Knappheit taugen - soll es ist eben längst zu
einer fraglosen Glaubenstatsache geworden, das Wachstum, und Gläubige
argumentieren nicht. Kurt Bock, Chef der BASF, teilte unlängst in einem FAZInterview sogar mit: »Wenn wir Wachstum verhindern, verbieten wir den Menschen zu denken.« Die Bundeskanzlerin paraphrasiert sogar ein Sprichwort, in
dem es eigentlich um Liebe geht, und teilt mit: »Ohne Wachstum ist alles
nichts.«
Man sieht: Erwachsenwerden bedeutet leider oft: dümmer werden. Ist das
Konzept des Kindes auch biologisch unmöglich, so weist es doch den intelligenteren Weg: Überleben kann nur, wer sich rechtzeitig auf die Schrumpfung
des Angebots an Nahrung, Wasser, Fischbeständen, fruchtbaren Böden einstellt. Aber ganz kontrafaktisch dazu gilt Wachstum als wirtschaftliches und
politisches Allheilmittel – es soll gegen weltweite Armut, nationale Arbeitslosigkeit, regionale Strukturschwäche und immer wieder gegen den Eurocrash
helfen. So wichtig Wachstum heute daherkommt: Als ökonomisches Konzept
ist es historisch verblüffend neu. Zum ersten Mal prominent wird es in der Bekämpfung der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren, später, im Kalten
Krieg, wird es zu der entscheidenden Maßeinheit der Systemkonkurrenz:
Mehr Wirtschaftsleistung gleich überlegenes System. Und in den westeuropäischen Ländern war Wachstum das Mittel des sozialen Ausgleichs par excellence. Wenn der wirtschaftliche Fahrstuhl nach oben fährt, sind noch lange
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nicht alle Insassen gleich, aber alle bekommen von den Wohlstandsgewinnen
etwas ab. Zum Wachstumsparadigma in der Wirtschaft trat das in der Politik:
Wachstum wurde zur Staatsaufgabe. Aber auch in den Innenwelten der Menschen breitete sich die Idee vom Wachstum aus - eine Vorstellung, die vor der
Industrialisierung völlig unmöglich gewesen wäre. Psyche und Mentalität der
Menschen, die zu Zeiten des Feudalismus gelebt haben, sahen in fast jeder
Hinsicht anders aus als die heutiger Menschen: Es existierte überhaupt keine
Vorstellung, dass man verantwortlich für sein eigenes Leben sei – sie hätte
keinen Sinn gemacht, weil es kaum soziale Mobilität im Sinn des Aufstiegs
von einer Schicht in eine höhere gab. Lebensläufe im modernen Sinn entwickeln sich erst mit dem Industriekapitalismus: Kategorien wie Selbstverantwortung, Disziplin, Wille werden in dem Augenblick für heranwachsende Individuen bedeutsam, wo man nicht nur »etwas aus sich machen« konnte, sondern
eben auch musste. Denn wie der Lohnarbeiter nun frei war, sich jenseits feudaler Zwänge dort zu verdingen, wo es für ihn am günstigsten war, so war er,
wie es bei Marx heißt, zugleich frei, »seine Haut zu Markte zu tragen« – er
war also auch die Orientierungs- und Versorgungssicherheit los, die seine zuvor unfreie Existenz als landloser Bauer, Feldarbeiter, Knecht usw. bot. Das
Programm seines Lebens war nicht mehr voreingestellt und alternativlos, sondern musste selbst geschrieben werden. Dieser Prozess heißt Individualisierung. Er kennzeichnet die expansive Moderne bis heute. Tiefe Industrialisierung bedeutet auch die Veränderung der Wahrnehmung von Zeit. Der industrielle Zeittakt schuf einen von den Jahreszeiten und den landwirtschaftlichen
Zyklen unabhängigen, immer gleichen Rhythmus von Arbeits und Erholungszeit. Dazu setzte mit dampfgetriebenen Fortbewegungsmitteln im 19. Jahrhundert eine Industrialisierung der Raum- und Zeiterfahrung ein, eine beständige Beschleunigung der Bewegung im Raum, eine unaufhörliche Steigerung
von Mobilität und Geschwindigkeit, die bis heute anhält. Damit wandelt sich
die Wahrnehmung: Führte die Fahrt mit einer der frühen Eisenbahnen bei vielen Passagieren wegen der Geschwindigkeit (von 15 Stundenkilometern) zu
Wahrnehmungsstörungen und zur Übelkeit, gelten heute gigantische Baumaßnahmen als gerechtfertigt, um eine Schnellstrecke mit 300 statt mit 250
Kilometer pro Stunde befahren zu können. Auch die Lebenserwartung wuchs,
wie gesagt: Lag sie um 1800 bei 30 Jahren, betrug sie im Jahr 2000 im weltweiten Durchschnitt bereits 67 Jahre, mit deutlichen Ausschlägen nach oben
in den Industriegesellschaften. Die innere Zeit wird quantifiziert: Man kann sie,
wie Geld, nutzen, sparen, akkumulieren, und damit wird auch die biographische, die Lebenszeit, eine andere. Der Lebenslauf ist ein unabgeschlossenes
Projekt, der der eigenen und der gesellschaftlichen Gestaltung unterliegt. Pädagogik, allgemeine Schulpflicht, Verlängerung von Ausbildungs-Zeiten, Ausweiten der Bildungsansprüche sowohl in das vorschulische wie in das Pensionsalter: All dies sind Kennzeichen des bis heute unabgeschlossenen Prozesses, in dem das eigene Leben als Wachstumsprojekt gestaltet und empfunden wird. Stets muss mehr Wissen, mehr Kompetenz, mehr Qualifikation
angehäuft werden, niemand wird mehr fertig. Ein erreichter Zustand ist immer
nur die Vorstufe eines Selbst, das sich zur nächsten biographischen Station
aufzumachen hat. Interessanterweise hat nicht nur die Überwindung zeitlicher
und räumlicher Begrenztheiten ihre mentale Entsprechung, sondern mehr
noch die Kategorie der Energie, wie sie im 19. Jahrhundert prominent wird:
Der Wechsel des Energieregimes in den frühindustrialisierten Ländern von Biomasse auf Kohle und später auf Öl prägte nicht nur eine tiefe Unterschiedlichkeit zwischen den westlichen und allen übrigen Ländern der Erde aus,
sondern führte auch zu einer systematischen Aufwertung des »Energetischen«, wie sie in anderen Weltteilen nicht anzutreffen war: »Der energiereiche und sich selbst als ›energisch‹ entwerfende Westen trat der übrigen Welt
auch so entgegen. Die Kulturheroen der Epoche waren nicht kontemplative
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Müßiggänger, religiöse Asketen oder stille Gelehrte, sondern Praktiker einer
energiegeladenen vita activa: nimmermüde Eroberer, unerschrockene Reisende, ruhelose Forscher, imperatorische Wirtschaftskapitäne. Überall, wo sie
hinkamen, beeindruckten, erschreckten oder blufften okzidentale Kraftnaturen
mit ihrer persönlichen Dynamik, in der sich der Energieüberschuss ihrer Heimatgesellschaften widerspiegeln sollte.« Dass damit ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber »faulen«, »unpünktlichen«, »apathischen« Angehörigen
anderer »Rassen« einherging, verwundert nicht; die zeitlich parallel aufkommende Rassenlehre ordnet denn auch die »Rassen« nicht nur nach körperlichen Merkmalen, sondern auch nach ihrer vermeintlichen Leistungsfähigkeit
und Energie. Heute wird entwicklungspolitisch der Begriff der »Energiearmut«
in vermeintlich kritischer Absicht verwendet, woran man die nachhaltige Tiefenwirkung mentaler Prägungen gut erkennen kann. Auch die entstehende
Psychologie ist durchsetzt mit den Energiebegriffen des Industriezeitalters:
Fast vergessen ist heute, dass eine historische Leistung der Psychologie des
19. Jahrhunderts darin lag, dass Nervenaktivität gemessen werden konnte,
weil man entdeckte, dass sie auf elektrischer Energie beruhte; Helmholtz
konnte nachweisen, dass ihre Leitung eine bestimmte Zeit erforderte. Die frühe experimentelle Psychologie beschäftigte sich mit der Messung von Reizintensitäten und der dafür aufgewendeten Energie; die aufkommende Psychophysik erwarb sich große Verdienste um die optimale Anpassung des Bedienpersonals an die Anforderungen technischer Apparaturen. Aber es wäre völlig
verkehrt, die energetischen Vorstellungen vom Mentalen allein auf der naturwissenschaftlichen Seite der Psychologie zu verorten. Das komplette Werk
Sigmund Freuds ist durchzogen von der Mechanik, Hydraulik und Energetik
des Industriezeitalters: Der Begriff der (freien und gebundenen) »Energie«
spielt in der Psychoanalyse eine genauso große Rolle wie der »Trieb« und
seine »Dynamik«; andere prominente Begriffe sind die »Verdrängung«,die
»Stauung«, die »Verschiebung«, die »Verdichtung«, übrigens auch die »Ökonomie« des Seelenlebens. Noch im berühmten »Vokabular der Psychoanalyse« heißt es ganz ingenieurhaft, »dass die psychischen Vorgänge im Umlauf
und in der Verteilung einer messbaren Energie (Triebenergie) bestehen, die
erhöht oder verringert werden und anderen Energien äquivalent sein kann«.
Die Pädagogik bildete in dieser Zeit nicht nur die Vorstellung aus, dass Menschen sich entwickeln, sondern in vielfältiger Weise in dieser Entwicklung gefördert bzw. gestört werden können. Dabei spielen Vorstellungen über die Beherrschung und Steuerung von (vor allem sexuellen) Energien eine wichtige
Rolle. Die Erfindung der Schule als Erziehungs- und Bildungsinstitution für alle
Mitglieder einer Gesellschaft ist ebenfalls eine Entwicklung der frühindustrialisierten Länder, wobei neben der Vermittlung von Wissen vor allem die erzieherische und disziplinierende Funktion im Vordergrund stand. Hier wurden jene Tugenden eingeübt, die – wie Pünktlichkeit, Reinlichkeit, Sorgfalt, Ordnung
etc. – einen Sozialcharakter prägten, der in hoch arbeitsteiligen Gesellschaften funktionsfähig, d. h. unter allen Bedingungen mit vorgegebenen
Zeittakten synchronisierbar war.
Ein nicht gering zu veranschlagender Effekt der Verschulung war auch die
Einübung von Konkurrenzverhalten und Wettbewerbsfähigkeit sowie die Messung der individuellen Leistungen über Notensysteme. Das alles hält noch
heute an: Nicht nur, dass die Einschulungsquoten und Alphabetisierungsraten
als zentrale Kennzeichen von »Entwicklung« gelten, auch die Durchstrukturierung aller Aspekte von Lernen und Bildung durch messbare Leistungskriterien
hält, seit »Bologna« und »G 8« mehr denn je, unvermindert an. Heute können
sich Schülerinnen, Schüler und Studierende kaum mehr vorstellen, dass es
zweck- und verwertungsfreie Inhalte von Bildung und Lebensläufe jenseits von
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Wettbewerb und Leistungsnachweisen geben könnte. Lernen erscheint demgemäß als Aneignung und Speicherung von so viel Wissen und Information
wie möglich.
Die industrielle Revolution, die Arbeitsteilung, die Pädagogik, die Individualisierung und Biographisierung, die Universalisierung des Energiebegriffs – all
das sorgt im Ergebnis für eine erstaunliche Verwandlung von Substantiellem
in bloße Durchlaufzustände: Jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorläufer
des nächsten, jedes Produkt der Vorgänger des folgenden, jeder Arbeitsgang
nur der vorläufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiederholungen. Kein
Zweck wird je erreicht, aber das Geld ist unendlich vermehrbar und die Produktivität grenzenlos steigerungsfähig. So wie die Arbeit im Kapitalismus unaufhörlich wird, so wird jeder Augenblick im Leben, jede Stufe im Lebenslauf,
jeder Euro auf dem Konto lediglich zur Vorstufe jedes nächsten Abschnitts, jedes weiteren Euro.
Nichts von all dem muss einem bewusst sein, um seine Wirksamkeit zu entfalten. Gerade darum wirkt ein kulturelles Modell so tief auf den Habitus der
Menschen. Die Textur der Außenwelt hat ihre genaue Entsprechung im Wollen und Wünschen und in den Selbstbildern der Menschen, die in einer solchen Kultur aufwachsen und leben: Das ist ihre kulturelle Bindung.
Mentale Infrastruktur
Vor diesem Hintergrund wird klar, dass es nicht nur materielle und institutionelle Infrastrukturen gibt, die unsere Existenz prägen und unsere Entscheidungen anleiten, sondern auch mentale. Anders gesagt: Das meiste von dem,
was wir wahrnehmen, deuten und tun, entzieht sich dem Bereich des Bewusstseins. Das ist »tiefe Industrialisierung« - ein Verhältnis zur sozialen und
physikalischen Welt, das durch die Veränderungen in den Produktions- und
Reproduktionsweisen der letzten zweihundert Jahre geprägt wurde. Der notwendige Umbau nicht nur der materiellen und institutionellen, sondern eben
auch der mentalen Infrastrukturen muss das in Rechnung stellen – es handelt
sich hier nicht einfach um ein kognitives Problem, das mit Aufklärung und Einsicht zu lösen wäre, sondern um die Trägheit von Geschichte und Lebenswelt.
Und wie wir alle wissen, hinken
Gewohnheiten und Routinen dem besseren Wissen oft hinterher und halten
einen mit zäher Beharrlichkeit fest im stabilen Gefüge der assumptive world
und der zu ihr gehörigen kulturellen Bindungen.
Dies ist exakt der Punkt, an dem Aufklärung an ihre Grenze stößt und immer
gestoßen ist: Sie erreicht nämlich lediglich den kognitiven Teil unseres Orientierungsapparats; der weitaus größere Teil unserer Orientierungen, der über
Routinen, Deutungsmuster und unbewusste Referenzen - soziologisch gesprochen: über den Habitus - organisiert ist, bleibt davon völlig unberührt. Wäre das anders, würde ich selbst noch viel seltener fliegen, hätte meinen Wohnraum im Lauf meines Lebens nicht ständig vergrößert und hätte schon gar
kein Auto in der Garage. Ich selbst bin das Problem, das gelöst werden muss,
wenn unsere Welt zukunftsfähig werden soll. Seit mir das klargeworden ist,
habe ich intensiv darüber nachgedacht, was eine Transformation der mentalen Infrastrukturen eigentlich bedeutet. Jedes Produkt, vom VW Scirocco bis
zu einem beliebigen Duschgel, erzählt in Konsumgesellschaften eine Geschichte über seinen Nutzer, wie eben ein Autobahnsystem. Eine Geschichte
über unsere Vorstellungen von Mobilität und ein Autohaus eine Geschichte
über unsere libidinösen Bedürfnisse erzählt. So betrachtet ist die Welt des angeblichen Homo oeconomicus eine Welt der Gefühle, Wünsche, gelernten
Bedürfnisse und nur zu begrenzten Teilen von Rationalität geprägt, und so
handfeste Dinge wie die Wachstumsraten eines Unternehmens und das Funktionieren eines Arbeitsmarktes hängen von solchen nur scheinbar weichen
Faktoren wie Emotionen ab.
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Deshalb ist die Geschichte, die man gegen den Status quo setzen könnte,
grundsätzlich ganz unvollständig und unrettbar hilflos, wenn sie die Geschichten, die die Produkte und ihre Infrastrukturen immer schon erzählen, ignorieren zu können glaubt. Die Geschichte, die die Aufklärung erzählt, setzt auf der
kognitiven und meist leider auch auf der moralischen Ebene an und hat die
wenig überzeugende Botschaft mitzuteilen, dass das Leben zwar weniger
lustvoll, aber für künftige Generationen aussichtsreicher wäre, wenn man es
veränderte. Das ist kaum attraktiv, da scheint die Welt des ALLES IMMER erheblich mehr zu bieten zu haben. Deshalb kann man noch so viel »Bildung für
nachhaltige Entwicklung« machen und sich wundern, dass die Entwicklung
moderner und sich modernisierender Gesellschaften ihre Richtung nicht
wechselt: weil wir uns in einer Geschichte befinden, die uns in den Begriffen
von Fortschritt, Wettbewerb und Wachstum erzählt. Bevor wir etwas gegen
diese Geschichte einwenden können, sind wir immer schon Teil von ihr.
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Vorbereitung
Hier finden Sie einige Anregungen für die Vorbereitung des Theaterbesuchs im Unterricht.
Maskenspiel
Wie bewegt man sich mit Masken? Trial and error
Fertigen Sie zweidimensionale Masken an und lassen Sie die Schülerinnen
und Schüler in Kleingruppen ausprobieren und sich gegenseitig Feedback geben, was man beim Maskenspiel beachten muss und welche Körperlichkeit
gut wirkt. Zu dritt probieren die Schüler zunächst verschiedene Bewegungen
aus und auch wie Sprache und Bewegung zu koordinieren sind und beurteilen
in der Kleingruppe, was möglich ist und welche Bewegungsabläufe mit welchen kleinen Textsequenzen (Begrüßung, Vorstellung, kleiner Dialog, etc.) sie
präsentieren wollen. Sie erarbeiten eine kleine Szene bzw. reicht auch eine
kleine Etüde, die sie dann der großen Gruppe zeigen. Diese gibt auch Feedback zur Wirkungsweise und Körperlichkeit der Figuren mit Maske, die sie beobachten konnte.
Die Ebenen:
die Götter
Wang (Wasserverkäufer)
Shen Te/ Shui Ta,
Yang Sun (ein stellungsloser Flieger)
die Frau des Teppichhändlers
Yang Suns Mutter, Frau Yang
die Witwe Shin
der Polizist
der Schreiner Lin To
der Barbier Shu Fu
die Hausbesitzerin Mi Tzü
der Arbeitslose
Die Obdachlosen:
der Neffe
die Frau
der Bruder
der Großvater
die Schwägerin
der Mann
Gesang/Musik/ Band
die Schauspielerebene
Wie gestaltet man die Figurenwechsel? Probieren sie anhand eines
Schauspielers/einer Schauspielerin und ihrer Rollenzuweisungen (s. Besetzung auf Seite 3) die Rollenwechsel
Teilen sie die Schülerinnen und Schüler in Kleingruppen ein und lassen sie sie
mit Requisiten und Kostümteilen improvisieren (Sie können einen Fundus an
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Requisiten und Kostümteilen zusammenstellen, es ist aber auch möglich mit
dem zu arbeiten, was sich die Schüler im Klassenraum zusammensammeln;
eine Mischung aus beidem wäre wahrscheinlich optimal). Jede Kleingruppe
aus drei bis vier Schülern sucht sich drei bis vier Schauspieler aus und erfindet eine Szene, in der pro Schauspieler mindestens zwei Rollenwechsel vollzogen werden. Wie kann das funktionieren und für den Zuschauer sichtbar
gemacht werden? Dies gilt es in der Arbeit zu erforschen, auszuprobieren und
sich dann für eine Darstellung zu entscheiden, die präsentiert wird.
Vorgänge in Kleingruppen spielen
Teilen sie die Vorgänge auf Gruppen aus; Masken können eingesetzt werden
und auch andere Requisiten und Bühnenideen, die zur Verfügung stehen. Es
geht nicht um eine psychologische Rolleneinfüllung, vielmehr um vereinfachte
Rollenskizzen und um die Erzählung fürs Publikum; die Spielweise kann Slapstick-Charakter haben.
1) Die Götter kommen und suchen einen guten Menschen
zu spielen: Die Götter/ Wang und Shen Te
Alle Götter wollen Shen Te spielen und streiten sich darum. Der Erste Gott
entscheidet dann, wer sie spielt und es geht los: Wang erklärt Shen Te,
worum es geht, dass die Götter ein Quartier suchen und sie die letzte ist, die
sie aufnehmen könnte. Sie meint einen Freier zu erwarten, worauf Wang sie
ermahnt dies vor den Göttern geheim zu halten. Shen Te beklagt ihre
Situation, sie könne an nichts anderes denken, als daran ihren Hunger zu
stillen. Wang wendet sich zum Publikum und meint, auch Shen Te wäre nicht
bereit die Götter aufzunehmen. Es ist ihm peinlich, dass er kein Quartier für
die Götter auftreiben kann. Wie eine Comicfigur geht er ab.
Shen Te meldet sich bei den Göttern und will sie nun doch aufnehmen, sie
gehen in ihr Haus.
2) Shen Te versucht gut zu sein, es werden ihr Steine in den Weg gelegt
zu spielen: Shen Te, Frau Shin, Die Familie: Mann, Frau, Neffe
Shen Te sitzt in ihrem neuen Tabakladen und erzählt, dass sie von nun an viel
Gutes tun will. Da kommt die frühere Besitzerin Frau Shin. Sie unterhalten
sich darüber, wie der Laden läuft. Frau Shin erzählt, dass keine Kundschaft
kommen wird, das sei immer so gewesen. Shen Te ist enttäuscht, da man sie
nicht vor dem Kauf darauf aufmerksam gemacht habe. Frau Shin jammert
über die Armut, die ihrer Familie mehr und mehr zu schaffen macht. Sie bittet
Shen Te um Geld. Diese hat Mitleid und gibt ihr etwas Reis. Frau Shin
jammert weiter und droht Shen Te, da taucht plötzlich Die Familie auf. Shen
Te erklärt Frau Shin, dass es die Familie ist, die sie aufgenommen hat,als sie
vom Land in die Stadt kam. Sie haben sie rausgeschmissen, als sie nicht
zahlen konnte und jetzt sind sie selbst Obdachlos. Shen Te heißt sie
Willkommen.
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3) Shen Te gerät so sehr unter Druck, dass sie den Vetter ins Spiel
bringt.
zu spielen: der Schreiner Lin To, Shen Te, die Frau, der Neffe, der
Mann
Der Schreiner Lin To kommt. Er sucht die neue Ladenbesitzerin und erzählt
Shen Te, dass die Regale, die sie gerade einräumt, noch nicht bezahlt sind.
Shen Te ist fassungslos, weil sie dachte, sie gehören zur Einrichtung. Der
Mann unterstellt Shen Te eine Lügnerin zu sein und mit der vorherigen
Besitzerin unter einer Decke zu stecken. Er verlangt viel Geld von Shen Te,
die ihm erklärt, dass sie so viel Geld nicht aufbringen könne.
Sie versucht gut auf ihn einzureden und einen Kompromiss auszuhandeln,
doch der Schreiner hat eine Familie zu ernähren. Er kann auf das Geld nicht
verzichten. Da mischt sich die Mutter der Familie ein und macht
augenzwinkernd den Vorschlag, dem Vetter die Angelegenheit zu überlassen.
Der Schreiner reagiert zunächst misstrauisch, doch als der Mann und der
Neffe bestätigen, dass es diesen Vetter gibt, willigt Lin To ein, ihm eine
Rechnung zukommen zu lassen.
4) Der Vetter taucht auf und es weht ein anderer Wind.
zu spielen: Die Familie, Shen Te als Shui Ta, ein Polizist, der
Schreiner Lin To
Die obdachlose Familie schläft. Alle erwachen als es an der Tür klopft und die
Person sich als Shen Tes Vetter vorstellt. Dieser fordert die Familie auf, den
Laden zu verlassen. Die Familie ist verwundert, weil sie denken, der Laden
gehöre Shen Te. Doch Shui Ta, der Vetter, besteht darauf, dass sie gehen
und wird dabei immer bestimmter und wütender. Die Familie weigert sich zu
gehen, woraufhin Shui Ta ihnen damit droht die Polizei zu verständigen. Als
sie nicht reagieren, kommt plötzlich ein Polizist. Die beiden plauschen mit
Blick auf die Familie über das Wetter. Shui Ta stellt die Familie dem Polizisten
als entfernte Bekannte vor, die ohnehin im Begriff seien zu gehen. Schließlich
geht die Familie.
Der Schreiner erscheint und spricht Shui Ta sofort auf die Schulden an, die
Shen Te bei ihm hat. Dieser weigert sich das viele Geld zu bezahlen. Alle
Argumente von Lin To haben für ihn keine Bedeutung. Und so beginnt er den
Schreiner runterzuhandeln. Da der Schreiner sich das nicht gefallen lässt,
ordnet Shui Ta an, die Regale wieder abzubauen. Da der Schreiner die
Regale nirgendwo anders einbauen kann, muss er Shui Tas Angebot
annehmen.
5) Wang berichtet von Shen Tes Situation, die Götter hören zu und
halten sich zurück.
zu spielen: Wang, die Götter, eventuell andere Personen
Wang berichtet den Göttern das Shen Te ganz die Alte ist. Die Götter sind
begeistert. Weiter erzählt Wang, dass sie jetzt einen Freund hat und es ihr
wirklich gut geht. Die Götter hoffen, dass es sie in ihrem Streben Gutes zu tun,
bestärkt. Begeistert stimmt Wang zu, dass sie so viele Wohltaten tut wie sie
kann, obwohl sie geschäftliche Probleme hatte, die sie nur durch die grobe
Hand ihres Vetters lösen konnte. Trotz der Worte des Schreiners, sei Shen Te
allgemein als der »Engel der Vorstädte« bekannt. Die Götter horchen auf und
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haken nach, was denn das Problem des Schreiners sei und Wang erklärt,
dass Shen Te ihn nicht bezahlen konnte. Die Götter reagieren verzweifelt.
Wenn die Menschen es kaum schaffen ihr Überleben zu sichern, wie sollen
sie dann noch Kraft finden, gute Taten zu vollbringen? Wang meint, das Shen
Te selbst sich nichts hat zu Schulden kommen lassen und verteidigt auch den
Vetter. Die Götter verstehen nichts von Geschäften und gehen schließlich
besänftigt ab.
6) Wer das Geld hat, hat die Macht und was haben die Armen?
zu spielen: Der Barbier Shu Fu, der Arbeitslose, Wang, Shen Te,
Teppichhändlerin
Der Barbier Shu Fu meckert Wang an, dass er seine Lieder nicht mehr vor
seinem Geschäft singen soll und schlägt auf seine Hand ein. Der Arbeitslose
meint, dass man dem Barbier dafür anzeigen könne. Auf einem
morgendlichen Spaziergang, bei dem Shen Te über das verliebt sein
schwärmt, beschließt sie sich ein neues Kleidungsstück zu gönnen. Der
Barbier bewundert ihre Schönheit und schlägt Wang ein weiteres Mal, um ihn
zu verscheuchen. In einem Geschäft kauft Shen Te der schwerhörigen
Teppichhändlerin einen Schal ab. Diese erinnert sie an die Miete für das
Geschäft, die bald ansteht. Die Teppichhändlerin und ihr Mann haben
beschlossen, Shen Te das Geld zu leihen. Begeistert will sie ihrem guten
Freund Wang, dem Wasserverkäufer, die gute Nachricht überbringen. Doch
erschrocken erkennt sie, dass dieser mit einer blutenden Hand auf dem
Boden liegt. Shen Te erklärt ihm, dass er zum Arzt muss.
7) Es kommt raus, dass Yang Sun Shen Te ausnutzen will. Das kränkt
Shen Te.
zu spielen: Shen Te als Shui Ta , Yang Sun
Shen Te als Shui Ta fragt Yang Sun, ob sein Geld für die Reise nach Peking
reichen würde, wenn Shen Te ihren Laden verkauft und ihm das Geld zur
Verfügung stellt. Woraufhin Yang Sun ihm erklärt, er würde das restliche Geld
schon irgendwie auftreiben. Shui Ta glaubt ihm nicht, dass er es schafft diese
Summe aufzutreiben, da die Reise für zwei Personen sehr teuer wird. Doch
Sun wendet ein, dass er das Mädchen ohnehin hierlassen würde. Sofort fragt
Shui Ta wovon seine Kusine dann leben soll, ohne ihren Laden und ohne ihn.
Sun geht davon aus, dass Shui Ta Shen Te finanziell unterstützt, worüber
dieser sich aufregt. Sun versucht ihn zu beruhigen. Er ist sich seiner Sache
sicher. Die Hochzeit soll stattfinden und irgendwie klappt das schon mit dem
Geld.
8) In der Fabrik
zu spielen: Frau Yang, Shui Ta, Yang Sun, Aufseher
Frau Yang beschließt Shui Ta in seiner Fabrik zu besuchen. Sie will ein gutes
Wort für Sun einlegen, da er sein Heiratsversprechen gebrochen hat. Da
taucht Sun auch schon auf und erklärt, dass er die 200 Silberdollar, die er von
Shen Te bekommen hat, nicht mehr besitzt. Shui Ta gibt ihm noch eine
Chance und bietet ihm einen Job in der Fabrik an, um seine Schulden zu
begleichen. Sun stellt fest, dass er keine Wahl hat und sonst ins Gefängnis
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muss. Er fängt mit der Arbeit an. Weil er später den Aufseher verpetzt, steigt
er selbst zum Aufseher auf.
9) Am Ende trotz aller Leiden und Verbrechen soll alles gut sein…
zu spielen: Yang Sun, der Polizist, Wang, Shen Te als Shui Ta
Shen Te wird vermisst und Shui Ta beschuldigt, etwas mit dem verschwinden
zu tun zu haben, die Polizei nimmt ihn ins Visier. Wang ruft die Götter, um das
Verbrechen aufzuklären.
Shui Ta fällt in Ohnmacht, als er die Götter sieht, die erklären ihm, warum er
angeklagt wird, doch er bekennt sich nicht schuldig. Wang glaubt ihm nicht.
Shui Ta beteuert er sei Shen Tes einziger Freund gewesen, da sie ihren
Laden ohne ihn niemals hätte halten können. Schließlich offenbart Shen Te,
dass sie Shui Ta war und entschuldigt sich für ihre Tat. Die Götter sind nur
glücklich sie wieder gefunden zu haben, tun ihre Taten als Verwirrungen ab
und sagen es sei alles in Ordnung.
Theaterknigge
Es ist empfehlenswert, die Schülerinnen und Schüler über bestimmte Theaterrituale und Regeln vor dem Vorstellungsbesuch zu informieren.
Ein Theater ohne Publikum ist wie …
… Braunschweig ohne den Löwen.
… ein Schwimmbad ohne Wasser.
… ein Märchen ohne »Es war einmal …«.
… ein Witz ohne Pointe.
Daher freuen wir uns darüber, dass ihr da seid!
Da es im Theater ein paar Regeln zu beachten gibt, haben wir dieses kleine
Lexikon als Hilfe für euch zusammengestellt:
Abendkleid, das: Viele Menschen ziehen sich gerne schön an, wenn sie ins
Theater gehen. Sie wollen den SchauspielerInnen, SängerInnen und MusikerInnen ihren Respekt erweisen oder selber auch ein bisschen glitzern, falls
jemand zu ihnen in die Loge schaut. Es macht sicherlich Spaß, einmal die
schönsten Teile aus dem Kleiderschrank hervorzuholen. Heutzutage ist schicke Kleidung im Theater aber keine feste Regel mehr.
Essen, das: Ihr könnt euch vorstellen, wie sehr es stören würde, wenn in
ganz leisen oder traurigen Szenen plötzlich jemand im Publikum in einen knackigen Apfel beißen würde. Und dann stellt euch vor, dass jemand neben
euch eine fürchterlich knisternde Tüte auspackt oder nur ein Bonbonpapier…
versucht ihr es auch noch so leise, irgendjemand hört es ganz bestimmt und
wenn es nur der Sitznachbar ist… Deshalb ist das Essen im Theater grundsätzlich nicht erlaubt.
Handy, das: Wie sollen sich denn die SchauspielerInnen und SängerInnen
auf ihren Text und ihre Töne konzentrieren, wenn ständig irgendwo ein Handy
klingelt oder eine Kamera blitzt? Und auch das beleuchtet Display des Handys
stört die Sitznachbarn und die Zuschauer oben in den Rängen. Also schaltet
bitte vor dem Zuschauerraum das Handy aus, bevor man von allen Seiten
vorwurfsvoll angesehen wird. Auch das Fotografieren ist während der Vorstel25
lung nicht erlaubt. Schöne Fotos von den Stücken findet ihr aber auch im Internet.
Klatschen, das: Der Applaus spielt für die DarstellerInnen eine ganz besondere Rolle. Es ist eine Form, die Schauspieler für ihre Arbeit zu würdigen und
sich von ihnen zu verabschieden. Nachdem die Vorstellung vorbei ist, kommen die DarstellerInnen auf die Bühne und alle können heftig applaudieren.
Scheue dich also nicht, laut und ausgiebig zu klatschen, auch wenn du die
Eindrücke erst sacken lassen musst.
Programmheft, das: Ein Programmheft mit Hintergrundwissen zur Inszenierung könnt ihr an der Kasse oder beim Einlasspersonal für 3,- erwerben. Dort
findet ihr z.B. Interviews mit der Regie oder Informationen zum Stück und zum
Autor. Im Internet findet ihr auch zu jedem Stück eine kurze Inhaltsbeschreibung.
Quasseln, das: Das Quasseln mit den SitznachbarInnen ist strengstens untersagt. Warum? Für eine gute Theateraufführung müssen sich Zuschauende
und Darstellende konzentrieren. Wenn ihr mit eurer Sitznachbarin oder eurem
Sitznachbar quatscht, dann stört das nicht nur die auf der Bühne, sondern
auch alle anderen, die zuschauen wollen.
Vorstellungsdauer, die: Wie lange ein Theaterstück dauert und ob es eine
Pause gibt, kann man an der Kasse und beim Einlasspersonal erfragen oder
im Programmheft nachlesen. Um einen Theaterabend im Vollen zu beurteilen,
ist es wichtig ihn bis zum Schluss zu erleben. Vorzeitiges Verlassen des Saals
stört Schauspieler und Zuschauer.
Wir wünschen euch viel Spaß im Theater!
Nachbereitung
Bevor Fragen geklärt werden, können die Schülerinnen und Schüler ihre Augen schließen und dann reihum ihre intensivste Erinnerung, ihr intensivstes
Bild aus der Inszenierung beschreiben. Darüber entfacht sich schon viel. Und
man findet viele Anknüpfungspunkte, um ins Gespräch zu kommen. Beim
Nachgespräch geht es nie um richtige Antworten, sondern ums Beschreiben
von dem, was man gesehen und empfunden hat sowie um die Beschreibung
der theatralen Mittel.
Was hat wie und warum, wodurch gewirkt und gibt es Bezüge zur heutigen
Gesellschaft, Jugend, Welt?
zusätzliche Fragen zur entfachten Diskussion
Wie waren die Kostüme, beschreibt einzelne Figuren? Waren Symbole in den
Kostümen erkennbar? Wie wurde mit dem Kostüm gespielt? Was sagt das
Kostümbild über diese Gesellschaft aus?
Wie war das Bühnenbild, welche Spielmöglichkeiten hat es den Spielern geboten? Wie verändert sich die Bühne im Laufe des Stücks?
Mit welchen Requisiten, Bühnenbildelementen, Kostümen wurde die Erzählung modernisiert? Hat das gestört? Wie wurde das angenommen?
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Was erzählt diese Geschichte über die Gesellschaft heute? Gibt es Bezüge zu
heute?
Welche Atmosphären herrschten in der Inszenierung? Beschreibt bitte einzelne Sequenzen und Bilder.
Welche Rollen, DarstellerInnen sind dir am stärksten in Erinnerung und warum?
Beschreibe die Zeichnung/ Darstellungen einzelner Figuren bzw. der Götter im
Stück.
Welche Ästhetik, welches Genre hatte das Stück? Warum hat man sich für
diese Spielweise entschieden, deiner Meinung nach?
Wie war das Ende der Inszenierung? Hast du das so erwartet? Hast du andere Ideen für das Ende?
Warum wird das Stück heute noch gelesen und/oder gespielt?
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