50 Jahre "Gantenbein" von Max Frisch - Max Frisch

Transcription

50 Jahre "Gantenbein" von Max Frisch - Max Frisch
»Ich probiere Geschichten an wie Kleider!«
50 Jahre »Gantenbein« von Max Frisch
Nach einer vierjährigen Schaffensphase legt Max Frisch im September 1964 seinen
neuen Roman „Mein Name sei Gantenbein“ der Öffentlichkeit vor. Zusammen mit
»Stiller» und »Homo faber« zählt er zum zentralen Prosawerk von Frisch. Anlässlich
des 50-Jahr-Jubiläums zeigt das Max Frisch-Archiv an der ETH-Bibliothek ab dem
22. September 2014 Trouvaillen zur Textgenese und Rezeption eines Romans, der
bis heute in 35 Sprachen übersetzt wurde.
Leicht ist ihm das Schreiben nicht gefallen. Während der vierjährigen Schaffensphase
bekennt Max Frisch wiederholt gegenüber Freunden und Vertrauten, dass es mit dem
Roman nur langsam vorangehe, weil dieser einem Sandhaufen ähnle, der kein Turm zu
werden vermag. Dennoch lasse ihn die »irre Spielerei» nicht los. Bereits Ende 1959 verfügt er über eine erste handschriftliche Ideensammlung, die er mit »Der Blindgänger« betitelt. Ein Jahr später veröffentlicht er in der Weltwoche den Text »Unsere Gier nach Geschichten«, der zu einem programmatischen Entwurf für den neuen Roman wird. Nicht die
Biografie eines Helden steht im Zentrum des Textes, sondern die Vielfalt an Entwürfen zu
einem Ich. Der Ich-Erzähler hat die Möglichkeit, Geschichten wie Kleider anzuprobieren
und zu einer Spielfigur, zu Variationen von Existenzmöglichkeiten zu werden. Gleichzeitig
macht Gantenbein die Erfahrung der eigenen Vergänglichkeit. Diese Erkenntnis weckt in
ihm das Bedürfnis, sich Rechenschaft abzulegen sowie Versäumtes und noch Mögliches
zu erkunden.
Eine erste Fassung des Romans, die Frisch im Mai 1963 beendet, trägt den Namen »Lila
oder Ich bin blind«. Auch Ingeborg Bachmann, mit der Frisch von 1958 bis 1962 zusammenlebt, liest das Manuskript. Auf Grund ihrer Eindrücke überarbeitet Frisch das Manuskript noch mehrere Male. Seinem Schriftstellerkollegen Martin Walser gegenüber bekennt er die Sorge, „dass Lila-Gantenbein gleichgesetzt werde mit Bachmann-Frisch. Das
wäre schrecklich. Ich musste auf vieles, Erfundenes, deswegen verzichten.“ Als er im
März 1964 die vorerst letzte Fassung an seinen Verleger schickt, entscheidet er sich für
den Titel »Mein Name sei Gantenbein«.
Mit Bangen sieht Frisch ersten Reaktionen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis entgegen. Er befürchtet, dass das Buch wegen „der lustig getarnten Trostlosigkeit“ ein Misserfolg werden könnte. Entgegen dieser Erwartung löst der Roman nach seinem Erschei-
nen eine grosse Resonanz bei den Lesern aus. So steht er von Oktober 1964 bis Februar
1965 auf Platz 1 der Bestseller-Liste der Zeitung Die Zeit. Bereits wenige Monate nach
der Erstausgabe wird die Auflage von 100'000 überschritten. In der zeitgenössischen Literaturkritik hingegen findet das Buch vielfach skeptische bis ablehnende Aufnahme.
Neben Frischs erster Ideensammlung zu „Gantenbein“ zeigt das Max Frisch-Archiv in
seiner Ausstellung Originalbriefe von Martin Walser, Joachim Kaiser und Kurt Hirschfeld,
bei denen Max Frisch während seines Schreibprozesses kollegiale Ermunterung fand.
Und neben Dokumenten zur Rezeptionsgeschichte dürfen natürlich auch Blindenbrille und
Pfeife nicht fehlen.
Margit Unser
Ort der Ausstellung:
Max Frisch-Archiv an der ETH-Bibliothek
Rämistrasse 101
CH-8092 Zürich
Laufzeit der Ausstellung:
22. September 2014 – 30. Januar 2015
Montag - Freitag, 10:00 – 17:00
Eintritt frei