Ronda Unterhalb der Brücke, der Puente Nuevo, liegt noch Nebel

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Ronda Unterhalb der Brücke, der Puente Nuevo, liegt noch Nebel
Ronda
Unterhalb der Brücke, der Puente Nuevo, liegt noch Nebel und die Luft ist frisch,
aber die Sonne, die schräg über der Altstadt, „La Ciudad“, steht, wärmt bereits. Die
Ober der Cafés rund um die Plaza de Espańa rücken Tische und Stühle zurecht,
wischen den Tau ab und spannen die Sonnenschirme auf. Der Polizist der Policia
Municipal hat sich vor dem Parador National aufgestellt und wartet auf Verkehr. Ein
Duft von Thymian weht leicht aus dem Tal herauf und mischt sich mit dem von
frischem Kaffee. Die ersten Einheimischen, die nicht in der Churreria sitzen wollen,
haben sich eingefunden. Sie haben ihre Churros aus dem Papier geschlagen und
warten auf den bereits getrockneten Stühlen auf ihren Café con Leche. Die Berge
der Sierra de Las Nieves im Südosten sehen aus als seien sie schneebedeckt. Der
Nebel im Tajo ist fast verschwunden und der tiefe Einschnitt in den Felsen zeigt sich
den ersten Touristen auf der Brücke in seiner ganzen schrecklichen Schönheit. Ein
typischer Frühlingsmorgen in Ronda auf der Plaza de España.
Man sollte sich die Zeit nehmen, in eine der Churrerias zu gehen, entweder in der
Carrera Espinell oder in der Calle Nuevo, sich die Churros einpacken lassen und
dann hier auf dem Platz mit einer Tasse Café con Leche verzehren und dabei
zusehen, wie sich alles langsam belebt. Ebenso schnell, wie sich die Cafés füllen,
die ersten Touristenbusse ankommen und der Polizist langsam beginnt auf seiner
Trillerpfeife Signale zu geben, wärmt die Sonne die umliegenden Häuser, die
Straßen und Gassen. Die Stille weicht in einem langsamen, kaum wahrnehmbaren
Vorgang einer regen Betriebsamkeit. Stimmengewirr, Autohupen, die Trillerpfeife des
Polizisten, Mopedgeknatter, Hundegebell, Lachen oder erschrecktes Kreischen von
der Brücke, die den gähnenden Schlund des Tajo an verschiedenen
Aussichtspunkten angsterregend preisgibt, herrscht nun vor.
Genau an dieser Stelle baute vor 515 Jahren König Ferdinand von Spanien den
zweiten Teil seiner Artillerie auf, um Ronda dem maurischen Herrscher Hamet el
Zegr‘ zu entreißen. Kein Haus, keine Straße gab es in jener Zeit hier. Lediglich La
Ciudad auf der anderen Seite des Tajo. Ronda, die Schöne, die alte Stadt, in denen
schon die Phönizier, danach die Römer, dann wieder die Iberer gelebt hatten, bis
schließlich die Mauren kamen.
Und der spanische König wußte, daß er sie einnehmen konnte. Er wußte, daß seine
Waffen weit genug trugen, um von diesem Punkt aus die Stadt zu beschießen. Er
wußte ebenfalls, daß lediglich der Stellvertreter des maurischen Stadtoberhauptes
zur Leitung der Verteidigung anwesend war. Denn, indem Ferdinand den Spionen
Hamet el Zegr‘s einflüstern ließ, er rüste mit einem großen Heer Malaga zu
überfallen, da war für den maurischen Kriegsmann in Ronda kein Halten mehr. Der
Hafen Malagas war die Lebensader für Madinat Runda, wie die Mauren die Stadt
nannten, also verließ er mit seinen Mannen die Mauern der alten Festung und nur
eine geringe Anzahl seiner Kriegerschar blieb zur Verteidigung zurück.
Auf der anderen, der Südseite der Stadt, im heutigen Viertel San Francisco, da wo
sich die Straßen zur Costa del Sol und nach Algeciras treffen, vor dem Stadttor
„Puerta de Almocabar", hatte Ferdinand die übrige Artillerie stationiert und
bombardierte den hinter dem Stadttor gelegenen Wehrturm. Durch eben dieses Tor
ritt der spanische König nach sieben Tagen der Belagerung und nahm in Besitz, was
gute siebenhundert Jahre zuvor an die Mauren verlorengegangen war. Hamet el
Zegr‘ rief aus, als er vom Fall der Stadt hörte: „Oh mein geliebtes Madinat Runda, du
Unglückliche, warum verließ ich dich so achtlos durch dein Tor Almocabar!“
Die moslemische Bevölkerung wurde aus der Stadt getrieben und Ronda unter den
Adligen aufgeteilt, die an der Eroberung teilgenommen hatten. Fast alle Gebäude die
nach der Rückeroberung gebaut wurden, sind neben den älteren arabischen Bauten
bis heute erhalten geblieben.
Die andere Seite, auf der heute der Polizist mit seiner Trillerpfeife Ordnung zu
schaffen versucht, El Mercadillo (Das Märktchen), wurde erst in den Jahrzehnten
nach der Rückeroberung Rondas gebaut. Die Handelszölle, Steuern und andere
Abgaben für Händler und Kaufleute waren zu hoch, (Die Krone brauchte Geld nach
der Rückeroberung) und so siedelten sich Handeltreibende hier außerhalb der alten
Stadtmauern an und sorgten im laufe der folgenden Jahrhunderte dafür, daß die
Stadt überregionale Bedeutung als Handelszentrum erlangte.
Auf dem Platz vor dem Parador National stehen Busse aus Malaga, Marbella,
Estepona, aus Jaen und Fuengirola. Aus dem Malagabus klettern deutsche Rentner,
bleiben zunächst von der Sonne geblendet stehen und streben dann in Grüppchen
der Brücke zu. Die zeitunglesenden Einheimischen vor den Cafés auf der Plaza de
Espańa sind verschwunden. Sie gehen ihren täglichen Beschäftigungen nach. Einige
Touristen haben sich nun niedergelassen und blinzeln, mit sonnenverbrannten
Gesichtern, in das mittlerweile helle Licht des Tages. Die ersten Antikläden jenseits
des Tajo in der Calle Arminán, der Calle Tenorio und in der Calle Santo Domingo
füllen sich. Der Fluß, gute hundert Meter unter der Brücke, der Rio Guadalevin, fließt
gemächlich und seine Wasseroberfläche glitzert bis hier herauf. Das Bauwerk mit
seinen gemauerten Bogen wurde im ausgehenden 18. Jahrhundert von einem
Architekten mit dem Namen Martin Aldehuela entworfen. Als sein Werk fertig war und
er es besichtigte, wurde ihm der Hut vom Kopf geweht und er versuchte ihn
einzufangen. Dabei stürzte er, so wird es erzählt, in die Tiefe. Eine andere
Geschichte besagt, er sei von seinem Entwurf so beeindruckt gewesen, daß er
meinte, nie wieder in seinem Leben etwas Vergleichbares entwerfen und planen zu
können, und er verzweifelt über diesen Umstand in die Tiefe sprang. Was immer
Martin Aldehuelas Tod verursacht haben mag, er hat der Nachwelt ein einmaliges
Denkmal hinterlassen. In der westlichen Felswand, zum El Mercadillo gelegen sind
Gebäude in schwindelnder Höhe eingelassen. Früher dienten sie als Gefängnis,
heute sind es Restaurants und Cafés. Hemmingway schrieb in seinem „Wem die
Stunde schlägt“, daß man gelegentlich Gefangene aus den alten Gemäuern holte
und lebendig von der Brücke warf.
Die Sonne steht hoch, und es wird heiß. Vor dem Palacio de Mondragon, im Süden
von La Ciudad, vor dem Palacio del Marques de Salvatierra, vor dem Casa del Rey
Moro finden sich Touristen ein. Sie wollen noch vor der Siesta, die um eins beginnt
und bis fünf Uhr dauert, das ein oder andere besichtigen. Das Casa del Rey Moro,
„Das Haus des maurischen Königs“, ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Vom
Garten des Hauses aber geht eine unterirdische Treppe bis hinunter an den Fluß.
Die Stufen wurden von christlichen Sklaven in die Felsen geschlagen und waren für
die Wasserversorgung in Belagerungszeiten gedacht. Das Haus war der örtlichen
Legende nach der Palast eines maurischen Emirs, der dafür bekannt war, seinen
Wein aus den Schädeln seiner enthaupteten Widersacher zu trinken.
Urlauber mit Strohhüten und Baseballkappen kommen die Calle Arminán herunter
und streben dem Tajo zu. Sie haben sich das alte Stadttor angesehen oder Santa
Maria Mayor, die Kirche des Ortes. Sie steht auf der Plaza Duquesa de Parcent, dem
wohl pitoreskesten Platz Rondas, oberhalb des Ayuntamento, der Stadtverwaltung.
In den Zeiten der maurischen Besetzung war es die Mosche für das Freitagsgebet.
Sie ist eine Mischung aus maurischem Baustil, gotischem Baustil und der
Renaissance. Den Glockenturm hat man auf das ehemalige Minarett gesetzt.
Zurück auf der Plaza de Espańa, hat man sich nun unter die Sonnenschirme
geflüchtet und fächelt sich mit einem der in den Andenkenläden erstandenen Fächer
frische Luft zu. Oder man ist bis zur Plaza de Socorro gegangen und sitzt nun in
einer der Tapa Bars und ißt eine Kleinigkeit zu einem eisgekühlten Sherry, einem
„Fino“, der in überfrorenen Gläsern serviert wird.
Wer etwas mehr ausgeben und richtig zu Mittag essen will, der geht ins Pedro
Romero, gegenüber der Plaza de Toros. Inmitten all der großen Matadore, der
Schauspieler und Schriftsteller, die auf hunderten von Fotos die Wände zieren, sollte
er einmal nach Jamon Cerrano de Pata Negra fragen. Das heißt Cerrano Schinken
vom schwarzen Schwein. Wohl der beste luftgetrocknete Schinken den es gibt.
Hemmingway hat hier gespeist, Orson Wales ebenso und Matadore wie Bel Monte
oder El Cordobes, berühmte Stierzüchter und Maler haben ihre Signaturen auf ihren
Konterfeis an den Wänden hinterlassen. Das Restaurant ist gut geführt und Speisen
und Weine überdurchschnittlich gut.
Die gegenüberliegende Plaza de Torros glost in der Sonne. Dennoch sind einige
Touristen im Museum, sehen sich all die Lichteranzüge, die Trophäen, die
präparierten Stierköpfe und anschließend die Maestranza selbst an. Die Legende
erzählt, im frühen achtzehnten Jahrhundert übten sich hier (auf lediglich einem Platz)
einige Adlige im Stierkampf, der zu jener Zeit noch vom Pferd aus geführt wurde. Bei
diesem Spiel wurde einer der Hidalgos vom Pferd geworfen und als er auf dem
Boden lag, kam ein Zimmermann, der dem Geschehen zugesehen hatte, mit seinem
Hut in die Arena gesprungen und lenkte den Stier von dem Gefallenen ab. Aber er
beließ es nicht dabei, er führte einige kunstvolle Figuren mit dem Stier vor, der
seinem Hut folgte. Der Stierkampf, wie wir ihn noch heute sehen können, war
erfunden. Der Zimmermann wurde geadelt und zwei Generationen später legte man
die Regeln schriftlich fest. Bis heute hat sich der strenge Stil Rondas erhalten. Ein
strenges Ballett. Ein Drama choreografiert ohne Schnörkel und Burlesken, ganz im
Gegenteil zu den Stilen Sevillas oder Cordobas. Der Tod besiegt durch das Licht, die
Grazie, die Anmut und die Tapferkeit eines Mannes. Die Maestranza Rondas wird
ihrem Ruf, die schönste und älteste Stierkampfarena Spaniens zu sein, gerecht.
Ganz aus Holz gebaut, mit verspielten Verzierungen und Säulen, ist sie seit nunmehr
225 Jahren Mittelpunkt des Mercadillo Viertels und damit Mittelpunkt der ganzen
Stadt.
Zwischen ein Uhr und fünf Uhr wird es in dieser Jahreszeit ruhig in Ronda. Die
Geschäfte sind geschlossen, bis auf einige Andenkenläden und man genießt einen
Sherry in einer schattigen Bar oder man verbringt die Siesta unter einer der Pinien im
Park um den Mirador El Campillo, dem Aussichtspunkt neben der Plaza de Toros.
Weit kann man von hier aus über das Land sehen, die Olivenhaine, die Felder und
die Sierra.
Die Sonne steht im Westen und die Straßen sind wieder belebter. Ebenso der kleine
Park, und einige Touristen kreuzen die Avenida Poeta Rilke, um einen Blick auf das
Hotel Reina Victoria zu werfen, in dem Rainer Maria Rilke für geraume Zeit
abgestiegen war. Die Begeisterung für den deutschen Dichter schlägt sich nicht nur
in der Namensgebung der Avenida nieder. Man findet den Rilke in Restaurants, Bars
und sogar eine Fahrschule hat sich den berühmten Namen ausgeborgt.
Der Dichter war vom 9. Dezember 1912 bis zum 17. Februar 1913 hier im Hotel
Reina Victoria abgestiegen, einem Hotel, welches die Briten in Ronda unterhielten.
Obwohl er nicht in guter gesundheitlicher Verfassung war, hat er doch einige schöne
Gedichte und „Die sechste Elegie“ hier geschrieben. An Anton Kippenberg schrieb er
am 18. Dezember 1912: „......wunderbar, daß ich Ronda gefunden habe, in dem alles
Erwünschte sich zusammenfaßt: die spanischste Ortschaft, phantastisch und
überaus großartig auf zwei enorme steile Gebirgsmassive hinaufgehäuft, die die
enge tiefe Schlucht des Guadiaro auseinanderschneidet; die starke reine Luft, die
über das weiterhin geöffnete, von Feldern Steineichen und Ölbäumen freundlich
ausgenutzte Flußtal aus den, die spannendste Ferne bildenden Gebirgen
herüberweht......“ In einem anderen Brief stellte er fest, daß es vermutlich die falsche
Jahreszeit gewesen sei, nach Ronda zu kommen. Er wird vermutlich am eigenen
Leibe erfahren haben, wie kalt es im Winter in diesen Bergen werden kann. Selbst
vereiste Straßen sind in den Monaten Dezember und Januar keine Seltenheit.
Es wird kühler und die Schatten werden länger. Viele der Touristen fahren in ihren
Bussen zurück an die Küste. Die Sonne wird in zwei Stunden hinter der Plaza de
Torros untergehen und die Nacht wird wieder kühl und frisch. Ein guter Abend, in der
Bar „Las Bridas“ nachzusehen, ob Flamenco geboten wird, in der spanischsten
Stadt Spaniens, der Tanz, der Rilke zu den Zeilen inspirierte:
Wie in der Hand ein Schwefelholz, weiß,
eh es zur Flamme kommt, nach allen Seiten
zuckende Zungen streckt-:beginnt im Kreis
naher Beschauer hastig, hell und heiß
ihr runder Tanz sich auszubreiten.
Und plötzlich ist er Flamme, ganz und gar.
Mit einem Blick entzündet sich ihr Haar
Und dreht auf einmal mit gewagter Kunst
Ihr ganzes Kleid in diese Feuersbrunst,
aus welcher sich, wie Schlangen die erschrecken,
die nackten Arme wach und klappernd strecken.
Und dann: als würde ihr das Feuer knapp,
nimmt sie es ganz zusamm und wirft es ab
sehr herrisch, mit hochmütiger Gebärde
und schaut: da liegt es rasend auf der Erde
und flammt noch immer und ergiebt sich nicht -.
Doch sieghaft, sicher und mit einem süßen
grüßenden Lächeln hebt sie ihr Gesicht
und stampft es aus mit kleinen festen Füßen.

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