Grundlagen der Technischen Reaktionsführung

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Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
Grundlagen der Technischen
Reaktionsführung
Ergänzendes Skript zur Vorlesung
Prof. Dr. K.-H. Bellgardt, Prof. Dr. D. Hesse
Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
Callinstr. 3
30167 Hannover
Tel. 0511/7623167
E-mail: [email protected]
Inhaltsverzeichnis
1
1.1
1.2
1.3
2
2.1
2.2
2.3
3
3.1
4
4.1
4.2
5
5.1
5.2
5.3
5.4
5.5
5.6
6
6.1
6.2
6.3
6.4
6.5
Bilanz- und Materialgleichungen .................................................................................................................... 1
Bilanzgleichungen .............................................................................................................................................. 1
Materialgleichungen............................................................................................................................................ 5
Die allgemeine Form der lokalen Bilanzgleichung..............................................................................................7
Umsatzverhalten der Grundtypen chemischer Reaktionsapparate bei isothermer Betriebsweise.......... 10
Der ideale Satzrührkessel.................................................................................................................................. 10
Das ideale Strömungsrohr..................................................................................................................................11
Ideale Rührkesselkaskade.................................................................................................................................. 13
Verweilzeitverhalten durchströmter Reaktoren...........................................................................................15
Faltungsintegral zur Berechnung des Verweilzeitverhaltens............................................................................. 16
Reale Reaktoren bei isothermer Betriebsweise.............................................................................................17
Verweilzeitverhalten.......................................................................................................................................... 17
Umsatzverhalten................................................................................................................................................ 18
Nicht-isotherme Betriebsweise chemischer Reaktionsapparate.................................................................. 20
Der adiabatisch betriebene Batch-Reaktor........................................................................................................ 20
Das adiabatisch betriebene ideale Strömungsrohr............................................................................................. 21
Der adiabatisch betriebene ideale Durchflussrührkessel (CSTR)......................................................................23
Der gekühlte ideale Durchflussrührkessel (CSTR)............................................................................................25
Reaktorstabilität bei der Durchführung exothermer Reaktionen....................................................................... 29
Reale Reaktoren bei nicht-isothermer Betriebsführung.....................................................................................30
Beschreibung des Umsatzverhaltens von Festbettreaktoren....................................................................... 33
Das Nutzungsgrad-Konzept............................................................................................................................... 33
Isotherm betriebener Festbettreaktor................................................................................................................. 35
Adiabatisch betriebener Festbettreaktor............................................................................................................ 37
Gekühlter Festbett-Reaktor................................................................................................................................40
Das Konzept des Katalysator-Nutzungsgrades bei nicht-isothermer Reaktionsführung................................... 42
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
1
Bilanz- und Materialgleichungen
1.1
Bilanzgleichungen
1
In der Thermodynamik unterscheidet man bekanntlich zwischen intensiven und extensiven Größen.
Eine Größe heißt intensiv, wenn ihr Wert sich beim Zusammenfügen zweier identischer Systeme
nicht verändert. Hierzu zählen z.B. der Druck und die Temperatur. Größen heißen extensiv, wenn
ihr Wert sich beim Zusammenfügen zweier identischer Systeme verdoppelt. Dies gilt z.B. für die
Masse, die Molzahlen oder auch die Enthalpie. Extensive Größen lassen sich also addieren, d.h.
bilanzieren.
Zur Beschreibung der Prozesse in einem Gerät, in dem eine Grundoperation ausgeführt wird, geht
man in der Regel von den Bilanzgleichungen für die extensiven Größen aus, die für den Prozess
charakteristisch sind. Bei thermischen Trennoperationen, wie z.B. bei der Stofftrennung durch
Adsorption, sind dies die Bilanzgleichungen für die Molzahl und die Wärmemenge. Solche
Bilanzen lassen sich als globale Bilanzen oder als lokale Bilanzgleichungen formulieren.
Sei Ψ eine extensive Größe, z.B. die Molzahl einer Komponente in einem Gemisch, so lautet die
globale Bilanzgleichung für ein gegebenes System:
d
= ̇zu − ̇ ab  ̇ prod
dt
(1.1)
Hierin ist Ψ̇ die dem System zeitlich zugeführte Menge der Größe, Ψ̇ ab die dem System pro
Zeiteinheit entnommene Menge und Ψ̇ Prod die pro Zeiteinheit im System erzeugte Menge von Ψ .
Zur Beschreibung der Prozesse in bestimmten Systemen, z.B. in Rührzellen, sind globale Bilanzen
der angemessene Ausgangspunkt zur Erarbeitung einer Prozessfunktion. Es gibt allerdings viele
Prozesse, wo eine solche Beschreibung zu keiner hinreichenden Aussage über den Prozess führt. So
ist z.B. bei einem Adsorber die Frage interessant, wie sich auf Grund der freigesetzten
Adsorptionswärme die Temperatur lokal im Adsorber verändert. Um auf solche Fragen zur
räumlichen und auch zeitlichen Verteilung von extensiven Größen in einem System eine Antwort zu
finden, hat man lokale Bilanzen zu formulieren. Um dies zu erreichen, fasst man an Stelle der
extensiven Größe Ψ ihre Dichtefunktion ϕ * ins Auge. Sie ist durch die Gleichung
ϕ *=
dΨ
dV
(1.2)
definiert, worin dV ein Volumenelement des Systems ist, das die Menge dΨ von Ψ enthält.
Zudem führt man an Stelle der Ströme Ψ̇ zu bzw. Ψ̇ ab nun Flüsse j ϕ * ein. Es gilt:
j ϕ * =ϕ * u
worin u die lineare Geschwindigkeit des Transports von Ψ bezeichnet.
Zur Formulierung der lokalen
Bilanzgleichungen fasse man
nun ein System ins Auge, das
wie in nebenstehender Skizze
in Richtung z mit der
Geschwindigkeit v durchströmt
wird.
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
(1.3)
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
2
Man denke sich sodann ein Volumenelement ΔV = A Δz an der Stelle z herausgegriffen. Für die
zeitliche Änderung der extensiven Größe Ψ in diesem Volumenelement hat man entsprechend
Gl. (1.1) anzusetzen,
d ΔΨ
= A j ϕ * z− 12 Δz − A j ϕ * z  12 Δz Δ Ψ̇ Prod
dt




(1.4)
wobei ΔΨ die Menge an Ψ in ΔV angibt und Δ Ψ̇ Prod die in diesem Element produzierte
Menge an Ψ bezeichnet.
Mit Hilfe der Taylor-Reihenentwicklung

1 dj ϕ *  z 
Δz
2 dz
1 dj ϕ *  z 
z 12 Δz = j ϕ *  z 
Δz
2 dz

j ϕ * z −12 Δz = j ϕ *  z −
j ϕ*

(1.5)

erhält man für Gl. (1.4)
dj *
d Ψ
=− ϕ Δz AΔ Ψ̇ Prod
dt
dz
(1.6)
Dividiert man diese Gleichung durch ΔV = A Δz , so folgt:
d
dt
 
dj * Δ Ψ̇
ΔΨ
ϕ
Prod
=−

ΔV
dz
ΔV
(1.7)
Bildet man nun den Grenzübergang Δz  0 bzw. ΔV  0 , so wird:
ΔΨ dΨ
=
dV
ΔV 0 ΔV
Δ Ψ̇ Prod d Ψ̇ Prod
lim
=
≡σ̇ ϕ *
ΔV
dV
ΔV 0
lim
(1.8)
Die lokale Bilanzgleichung der extensiven Größe Ψ an der Stelle z im System lautet daher:
*
dj *
dϕ
=− ϕ σ̇ ϕ *
dt
dz
(1.9)
Bei der Formulierung dieser Gleichung haben wir allerdings noch etwas außer Acht gelassen. Wir
haben nämlich darin noch nicht zum Ausdruck gebracht, dass wir die Bilanzgleichung an einer
gegebenen, ortsfesten Stelle z im Auge haben, d.h., dass wir uns für die zeitliche Änderung der
Dichtefunktion ϕ * an der Stelle z interessieren. Mathematisch drückt man dies durch die partielle
Zeitableitung aus. Zudem haben wir zu berücksichtigen, dass uns die Änderung des Flusses j ϕ * in
Richtung z interessiert. Eine solche Ableitung in eine Richtung (Richtungsableitung) wird ebenfalls
durch eine partielle Ableitung ausgedrückt. Unserem Ziel entsprechend muss Gl. (1.9) also korrekt
lauten:
*
∂j *
∂ϕ
=− ϕ σ̇ ϕ *
∂t
∂z
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(1.10)
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
3
Allerdings stellt uns auch dieses Ergebnis noch nicht
zufrieden. Zunächst einmal deshalb nicht, weil ein in
einem System gewähltes Volumenelement ja
keineswegs den ganzen Querschnitt einnehmen muss.
In einem solchen Fall kann es daher vorkommen, dass
das Volumenelement nicht nur in Richtung z
durchströmt wird, sondern der Fluss auch Anteile in
Richtung x und y hat, wobei (x, y, z) die
Koordinatenachsen
eines
kartesischen
Koordinatensystems bezeichnen. Sind die Anteile des
Gesamtflusses in Richtung der Koordinatenachsen jx ,
jy und jz , so lässt sich der Gesamtfluss mit Hilfe der
Vektorrechnung wie folgt darstellen:
j * = j x e1  j y e2 j z e3
ϕ
(1.11)
worin die e i die Einheitsvektoren in Richtung der Koordinatenachsen x, y, z bezeichnen.
Für die zeitliche Änderung der Dichtefunktion ϕ * an einem ortsfesten Raumpunkt (x, y, z) ist also
nicht nur die lokale Änderung von jz in Richtung z von Interesse, sondern auch die von jx in
Richtung x und die von jy in Richtung y. Anstelle der Gl. (1.10) gilt dann:
*
∂ jx ∂ j y ∂ jz
∂ϕ
=−
−
−
σ̇ *
ϕ
∂t
∂ x ∂ y ∂z
(1.12)
wobei der Index ϕ * an den Flüssen der Übersicht wegen – wie schon in Gl. (1.11) – weggelassen
wurde.
Auch dieses Ergebnis stellt noch nicht zufrieden. Der Grund ist, dass die Bilanzgleichung (1.12) auf
der Basis eines speziellen Koordinatensystems, des kartesischen Systems, formuliert wurde. Um
eine solche grundlegende Aussage wie eine Vorschrift zur lokalen Bilanzierung einer extensiven
Größe hinreichend allgemein zu formulieren, sollte sie von der geometrischen Form des Systems
unabhängig sein. Um dies zu erreichen, bedient man sich erneut der Vektorrechnung. Diese führt
a und 
mit der Definition des Skalarproduktes zweier Vektoren 
b eine „Abfragetechnik“ ein, die
uns den Weg zu einer koordinatenfreien Formulierung lokaler Bilanzgleichungen ebnet. Danach
a und 
versteht man unter dem Skalarprodukt von 
b den Ausdruck:
a⋅
b =ab cos α

(1.13)
 ist. Mit α ist der
a und b die von b
worin a die Länge des Vektors 
Winkel zwischen den frei verschiebbaren Vektoren bezeichnet, der
a ,
dadurch festgelegt wird, dass man einen der Vektoren, z.B. 

festhält und den zweiten, also b , auf dem kürzesten Weg in den
ersten dreht, wie es die nebenstehende Abbildung verdeutlicht.
Das Skalarprodukt ist – wie man aus Gl. (1.13) unschwer erkennt –
kommutativ, d.h. es gilt:
a⋅
b =
b⋅a

(1.14)
Wie nützlich die Definition des Skalarproduktes ist, wird deutlich, wenn man den Fluss jϕ * mit
dem Einheitsvektor e1 skalar multipliziert. Da ein orthogonales Koordinatensystem vorliegt, folgt
aus Gl. (1.11):
j *⋅
e1 = j x
ϕ
Ebenso ist:
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(1.15)
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
j *⋅
e2 = j y
j *⋅
e3= j z
und
ϕ
4
(1.16)
ϕ
Setzt man diese Resultate in die Gl. (1.12) ein, so folgt:
∂ϕ *
∂
∂
∂
=−
e1⋅ jϕ * −
e2⋅ jϕ * −
e ⋅ j σ̇ ϕ *
∂t
∂x
∂y
∂ z 3 ϕ*


Klammert man jϕ * aus, so folgt:
*






∂ϕ
∂
∂
∂
=− e1
 e2
e3
⋅ j *σ̇ *
ϕ
ϕ
∂t
∂x
∂y
∂z
(1.17)
(1.18)
da eine Konstante auch vor ein Differential gesetzt werden kann (vgl. Regeln für die Differentiation
eines Produktes). Die in der Klammer angegebene Rechenvorschrift (Operator) heißt NablaOperator, abgekürzt durch den hebräischen Buchstaben ∇ . Der Klammerausdruck in Gl. (1.18) ist
also die Darstellung dieses Vektoroperators in kartesischen Koordinaten. Koordinatenfrei dargestellt
lautet die allgemeine Form einer lokalen Bilanzgleichung daher:
∂ϕ *
=−∇⋅ jϕ *σ̇ ϕ *
∂t
(1.19)
Da der erste Term auf der rechten Seite dieser Gleichung abfragt, ob der Fluss jϕ * beim
Durchsetzen des Volumenelements an einem Ort (x, y, z) konstant bleibt ( ∇⋅ jϕ * =0 ), sich
abschwächt ( ∇⋅ jϕ * 0 ) oder zunimmt ( ∇⋅ jϕ * 0 ), nennt man diesen Term auch die Divergenz
des Flusses:
∇⋅ j * ≡div jϕ *
ϕ
(1.20)
Bei einer gegebenen Aufgabe muss nun bei der Anwendung der lokalen Bilanzgleichung der NablaOperator bzw. der div-Operator der Systemgeometrie (z.B. Zylinder, Kugel,...) entsprechend
angemessen formuliert werden. Hierzu bedient man sich der einschlägigen Formelsammlungen der
Vektoranalysis (vgl. Tabelle 1.1). Gl. (1.19) ist allerdings in der mitgeteilten Form noch nicht mehr
als eine allgemeine Vorschrift, der man bei der Aufstellung einer lokalen Bilanzgleichung folgen
soll. Um sie für die Anwendung auf die uns interessierenden Probleme weiter auszuarbeiten, hat
man sich zunächst daran zu erinnern, dass für den Transport allgemein gesehen drei Mechanismen
denkbar sind:
1. Strömung
2. Leitung
3. Strahlung
Da der Transport durch Strahlung für diese Vorlesung nicht von Interesse ist, setzt sich der Fluss
j * in der weiteren Diskussion nur aus den verbleibenden zwei Anteilen zusammen. Für den
ϕ
u ist dieser Anteil ϕ * 
Stofftransport durch Strömung mit der Strömungsgeschwindigkeit 
u.
J ϕ * , so gilt:
Bezeichnet man den Fluss des Stofftransports durch Leitung mit 
jϕ * =ϕ * 
u
J ϕ*
(1.21)
Gl. (1.19) lautet damit:
*
∂ϕ
=−∇⋅ϕ * 
u −∇⋅
J *σ̇ *
ϕ
ϕ
∂t
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(1.22)
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
1.2
5
Materialgleichungen
Um die allgemeine Bilanzgleichung (1.22) zur Bestimmung der Orts- und Zeitabhängigkeit der
J ϕ * wie
Dichtefunktion ϕ * =ϕ * t ,r  mit dem Ortsvektor r verwenden zu können, muss der Fluss 
*
auch die Produktionsdichte noch mit der Dichtefunktion ϕ in Verbindung gebracht werden, um
eine Differentialgleichung für ϕ * zu erhalten. Dies gelingt an Hand von Materialgleichungen.
Um diese Diskussion nicht abstrakt führen zu müssen, konzentriere man sich im Folgenden auf die
extensiven, skalaren Größen, die für die Technische Chemie besonders wichtig sind. Es sind dies
zunächst die Wärmemenge eines Systems der Masse m und der Temperatur T,
Ψ =Q=c p⋅m⋅T
(1.23)
wobei cp die spezifische Wärme bedeutet. Von Bedeutung ist sodann die Molzahl ni einer
Komponente i in einem Mehrkomponentengemisch:
Ψ =n i
(1.24)
Im ersten Fall ergibt sich für die Dichtefunktion:
ϕ *=
dΨ
dm
=c p T
dV
dV
(1.25)
d.h.
ϕ *= ρ c p T
(1.26)
wobei ρ die Dichte im System bezeichnet. Im zweiten Fall ist:
dΨ dni
=
=c i
dV dV
(1.27)
d.h.
*
ϕ =ci
(1.28)
wobei ci die Konzentration der Komponente i ist.
Geht man im Folgenden davon aus, dass im System weder eine chemische Reaktion abläuft noch
Wärme produziert wird, so gilt für die lokale Wärmebilanz:
ρ cp
∂T
=−div  ρ c p T 
u −∇⋅Jq
∂t
(1.29)
worin Jq den Wärmefluss durch Leitung bezeichnet. Für die Stoffbilanzgleichung ist anzusetzen:
∂c i
=−∇⋅ ci 
u −div Ji
∂t
(1.30)
Hierin symbolisiert Ji den Stofftransport der Komponente i durch Konduktion.
Um nun die Differentialgleichungen für die Temperatur bzw. die Konzentration von i zu
bekommen, benötigen wir Aussagen, wie Jq mit der Temperatur T und Ji mit der Konzentration
ci in Verbindung stehen.
Geht man davon aus, dass als Mechanismus im ersten Fall die Wärmeleitung und im zweiten Fall
die Diffusion die Ursache für den jeweiligen Transport ist, so gilt für Jq das Gesetz von Fourier
und für Ji das Ficksche Gesetz. Es ist also anzusetzen:
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Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
Jq =−λ ∇ T
Ji =−Di ∇ c i
6
(1.31)
Bei den Ausdrücken ∇ T und ∇ c i handelt es sich offensichtlich um Vektoren. Sie geben die Stärke
der lokalen Änderung von T bzw. ci an und weisen in Richtung der stärksten Änderung von T bzw.
ci. Aus diesem Grund setzt man häufig auch:
∇ T =grad T
bzw.
∇ c i=grad ci
(1.32)
und spricht vom Gradient der Temperatur bzw. Konzentration. Der Wärmefluss wie auch der
Stofffluss verlaufen daher vom höchsten Wert der Temperatur T bzw. der Konzentration ci zum
niedrigsten. Wie stark die Flüsse sind hängt neben der lokalen Änderung der jeweiligen Größen
allerdings auch noch von den Materialkonstanten Wärmeleitfähigkeit λ und Diffusionskoeffizient Di
ab. Setzt man die Material- oder Transportgleichungen (1.31) in die Bilanzgleichung (1.29) bzw.
(1.30) ein, so folgt:
ρ cp
∂T
=−∇⋅ ρ c p T 
u ∇⋅ λ ∇ T 
∂t
∂ ci
=−div  ci 
u div  Di grad c i 
∂t
(1.33)
Um an Hand der Gln. (1.33) die Temperaturverteilung T =T t , r 
und die
Konzentrationsverteilung c i=ci t , r  im gegebenen System zu ermitteln, benötigt man noch Anfangs- und Randbedingungen. Dies ist das eigentlich schwierige Problem bei der Anwendung von
Bilanzgleichungen.
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Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
1.3
7
Die allgemeine Form der lokalen Bilanzgleichung
Die allgemeine Form der Bilanzgleichung einer extensiven Größe ψ mit der Dichte
* =
dψ
dV
(1.34)
lautet für ein ortsfestes Volumenelement
∂ *
=−div* 
u −div J* σ̇ *
∂t
(1.35)
J * der diffusive bzw. dispersive Fluss der Größe ψ
Hierin sind v die Strömungsgeschwindigkeit, 
σ̇
und  * die Produktionsdichte der Größe ψ.
Setzt man * =c i , so gewinnt man aus Gl. (1.35) die Stoffbilanzgleichung.
Wählt man * =ρc p T , so folgt die Wärmebilanzgleichung aus Gl. (1.35).
Mit Hilfe der folgenden Tabelle lassen sich die Bilanzgleichungen in den allgemein üblichen
Koordinatensystemen darstellen. Dabei ist φ eine skalare Größe, A steht für eine vektorielle Größe.
Tabelle 1.1: Formeln der Vektoranalysis
Rechtwinklige Koordinaten
Zylinderkoordinaten
Kugelkoordinaten
x=r cos
y=r sin
z=z
x=r cos sinθ
y=r sin sinθ
z=rcosθ
Transformation
auf rechtwinklige
Koordinaten
Gradient
∇φ=
∂φ
∂φ
∂φ
e  e  e
∂x x ∂y y ∂z z
∂φ
1 ∂φ
∂φ
e 
e  e
∂r r r ∂  ∂ z z
∇⋅
A=
∂ Ax ∂ Ay ∂ Az


∂x ∂ y
∂z
1 ∂ rAr  1 ∂ A ∂ Az
∇⋅
A=


r ∂r
r ∂ ∂z
∇ 2 φ=
∂2φ ∂2φ ∂ 2φ


∂ x 2 ∂ y 2 ∂ z2
∇ 2 φ=
Divergenz
Laplace-Operator
∇φ=
 
1 ∂
∂φ
1 ∂2 φ
r
 2
r ∂r ∂r
r ∂ 2
∂2 φ
 2
∂z
∇φ=
∂φ
1 ∂φ
1 ∂φ
e 
e 
e
∂r r r ∂θ θ rsinθ ∂ 
1
∇⋅
A= 2
r
∇ 2 φ=
∂r2 Ar 
1 ∂ Aθ sinθ

∂r
r sinθ
∂θ
∂
A
1


r sinθ ∂
 

1 ∂
∂φ
1
∂
∂φ
r2
 2
sin θ
2 ∂r
∂r
∂θ
r
r sinθ ∂θ
2
1
∂ φ
 2 2
2
r sin θ ∂
Bilanz- und Materialgleichungen als Grundgleichungen zur Auslegung von Reaktoren
Eine zentrale Aufgabe der Technischen Reaktionsführung ist die Bereitstellung des Wissens, das
man benötigt, um Reaktoren auszulegen. Mit diesem Wissen soll allerdings nicht nur der Raum
gebaut werden, in dem die chemische Reaktion ablaufen soll. Es muss vielmehr auch Aussagen über
die Sicherstellung einer ausreichenden Verweilzeit der Reaktionsmasse in diesem Raum zulassen
und die Beherrschung des Wärmehaushalts von Reaktoren ermöglichen. Um dieses Wissen zu
erarbeiten, geht man von der Stoff- und der Wärmebilanz aus, die man bei gegebener Reaktion, z.B.
R1 + R 2 = 2 R3
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(1.36)

Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
8
für den jeweiligen Reaktor zu formulieren hat. Geht man zur allgemeinen Formulierung dieser
Gleichungen davon aus, dass die Reaktion (1.36) in einem Reaktor abläuft, in dem die
Reaktionsmasse das Volumen VR einnimmt, die Zulaufgeschwindigkeit V̇ beträgt, die
Zulaufkonzentrationen c10, c20 und c30 sind sowie die Temperatur im Zulauf T0 ist (siehe Abb. 1.1),
so kann man lokale oder globale Bilanzgleichungen formulieren.
V̇
c
T0
0
1
c
Abb. 1.1:
0
2
c
0
3
VR
Reaktionsraum
Zur Darstellung der lokalen Bilanzgleichungen in einem ortsfesten Koordinatensystem hat man ein
ortsfestes Volumenelement der Größe dVR im Reaktor zu wählen. Beträgt die
u , der
Strömungsgeschwindigkeit der Reaktionsmasse am Ort des gewählten Volumenelements 
diffusive bzw. dispersive Fluss der Komponente 1 an diesem Ort J1 und die
Reaktionsgeschwindigkeit rV = rV(T1, cl, c2, c3), so lautet die lokale Stoffbilanzgleichung:
∂c 1
=−div
u c1 −div J1 1 r V
∂t
(1.37)
Für die lokale Wärmebilanzgleichung hat man anzusetzen:
c P
∂T
=−divc P T 
u −div Jq − R H r V
∂t
(1.38)
Hierin bezeichnen ρ die Dichte und cP die spezifische Wärme der Reaktionsmasse. Jq ist der Fluss
der Wärmeleitung bzw. des dispersiven Wärmetransports und ΔRH steht für die Reaktionsenthalpie
der Reaktion (1.36). Die globalen Bilanzgleichungen ergeben sich durch Integration der lokalen
Gl. (1.37) und (1.38) über das Volumen der Reaktionsmasse.
Zur Auslegung von Reaktoren können die angegebenen Gleichungen allerdings erst dann verwendet
werden, wenn die diffusiven bzw. dispersiven Flüsse J1 und Jq mit den Größen cl und T in
Verbindung gebracht wurden. Gleiches gilt auch für die Geschwindigkeit rV. Tatsächlich ist dies,
neben der Angabe von Anfangs- und Randbedingungen die Voraussetzung dafür, dass die
DGln. (1.37) und (1.38) zur Festlegung der Funktionen
c 1=c 1 t , z 1 , z 2 , z 3 
T =T t , z 1 , z 2 , z 3 
(1.39)
gelöst werden können, wobei die zi in Gl. (1.39) die Ortskoordinaten bezeichnen.
Die oben angesprochene Forderung erfüllen die Materialgleichungen, die für das Reaktionssystem
bekannt sein müssen. Erfolgt der Stoff- und Wärmetransport durch Brownsche
Molekularbewegung, so ist anzusetzen,
J1=−D1 grad c1
J =− grad T
(1.40)
q
wobei D1 den Diffusionskoeffizienten für die Komponente 1 in der Reaktionsmischung und λ die
Wärmeleitfähigkeit in der Mischung bezeichnen. Liegt ein dispersiver Stoff- und Wärmetransport
im Reaktor vor, so sind die Transportkoeffizienten, z. B. der axiale Vermischungskoeffizient Dax
bzw. der axiale Wärmetransportkoeffizient λax über geeignete Verweilzeit-Experimente zu ermitteln.
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Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
9
Zur Bestimmung der Reaktionsgeschwindigkeit rV sind in der Regel kinetische Messungen
durchzuführen, Das erarbeitete Zeitgesetz rV = rV(T, cl, c2, c3) ist dann anhand der stöchiometrischen
Kopplung
c01−c1 c 02−c2 c 03−c3
=
=
1
2
3
(1.41)
auf die gewünschte Darstellung zu transformieren. In Gl. (1.41) bezeichnen die i die
stöchiometrischen Koeffizienten der gegebenen Reaktion, wobei i 0 für Produkte, i 0 für
Ausgangsstoffe und i =0 für Inertkomponenten fest gelegt wurde. Für die Bruttogl. (1.36) ist
daher:
1=−1
 2=−1
 3=2
In der Praxis ist man meistens an einem stationären Reaktorbetrieb interessiert, für den
∂T
=0 und
∂t
∂c1
=0
∂t
gilt. Die Lösungen der beiden nicht-linearen Differentialgleichungen unter den gegebenen
Randbedingungen liefern dann die Profile für die Konzentration cl und die Temperatur T im
Reaktor, der nach der mitgeteilten Wärmebilanz adiatherme Wände hat.
Liegt demgegenüber ein Reaktor vor, bei dem ein Wärmeaustausch zwischen Reaktionsmasse und
einem Heiz- bzw. Kühlmedium durch die Reaktorwand mit einem Wärmedurchgangskoeffizienten
kw erfolgt, so gilt anstatt der Gl. (1.38) die Beziehung:
c P
∂T
=−divc P T v −div Jq − R H r Vak w T K −T 
∂t
(1.42)
Hierbei sind a die Austauschfläche pro Volumeneinheit der Reaktionsmasse und TK die Temperatur
des Kühlmediums. Die Stoffbilanzgleichung (1.37) bleibt bei dieser sogenannten polytropen
Reaktionsführung unverändert.
Da man durch das Lösen der stationären Bilanzgleichungen insbesondere die Konzentration c1E der
Komponente R1 am Reaktorausgang erhält, lässt sich der Umsatz im Reaktor
U=
c 01−c1E
c10
(1.43)
als Funktion der Betriebsbedingungen c10, T0, V̇ , VR angeben. In der Regel ist die Funktion
U = U(c10, c20, c30, T0, V̇ , VR)
allerdings bei nicht-isothermer Betriebsführung nur durch numerische Integration der gekoppelten
nicht-linearen Bilanzgleichungen zu erhalten.
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
2
10
Umsatzverhalten der Grundtypen chemischer
Reaktionsapparate bei isothermer Betriebsweise
Obwohl in der Praxis der chemischen Industrie wie auch im Labor eine Vielzahl unterschiedlicher
Reaktionsapparate verwendet wird, so lassen sie sich dennoch auf wenige Grundtypen,
gegebenenfalls auch Kombinationen dieser Grundtypen, zurückführen.
2.1
Der ideale Satzrührkessel
Der Grundtyp der diskontinuierlich betriebenen Reaktoren ist der diskontinuierlich betriebene
Rührkesselreaktor, auch Satzreaktor oder Batch-Reaktor genannt. Bei ihm wird die Reaktionsmasse
zu Beginn der Reaktion in den Kessel gegeben, auf Reaktionstemperatur gebracht und so intensiv
gerührt, dass im Reaktor keine inhomogene Stoffverteilung auftritt. Nach der Reaktionszeit tE wird
der Kessel entleert und die Reaktionsmasse zur Gewinnung des Produkts R3 aufgearbeitet. Dieser
Satzbetrieb wird bevorzugt bei der Herstellung geringer Produktmengen eingesetzt, da durch die
nicht zu vermeidenden Leerzeiten sonst zu große Produktionsausfälle in Kauf zu nehmen sind.
Die Betriebsbedingungen eines isothermen Satzreaktors sind das Volumen der Reaktionsmasse VR,
die Anfangskonzentrationen ci0 der Reaktionsteilnehmer Ri, die Reaktionstemperatur T0 und die
Reaktionszeit tE. Diese Größen werden stets vorgegeben. Das Problem besteht nun darin, den für
diese Bedingungen erreichten Umsatz
U=
c 01−c1E
(2.1)
c 01
im Reaktor zu bestimmen. Dazu hat man die Stoffbilanzgleichung für den Batch-Reaktor zu lösen,
um c1E zu errechnen. Ausgehend von der allgemeinen Form dieser Bilanzgleichung
∂c i
∂t
=−div  ci⋅u −div Jii r v
(2.2)
u=0 und Ji=0 für jedes Volumenelement im Reaktor die Gleichung
hat man wegen 
∂c i
=i r v
∂t
(2.3)
anzuschreiben. Diese Gleichung lässt sich allerdings nur lösen, wenn das Zeitgesetz der Reaktion
rv = rv(ci) gegeben ist. Im Folgenden werde davon ausgegangen, dass
r v=k⋅c 1
(2.4)
gelte, wobei k durch die Reaktionstemperatur T0 festgelegt wird. Mit diesem Ansatz gilt für i=1 nach
Gl. (2.4):
∂c 1
∂t
=−k⋅c1
(2.5)
Integriert man diese Gleichung über das Volumen der Reaktionsmasse, so wird wegen
∂c
∫ ∂t1 dV R=−k⋅c1∫ dV R
V
(2.6)
VR
R
dc 1
dt
=−k⋅c 1
(2.7)
Um diese Differentialgleichung (DGl) zu lösen, benötigt man eine Anfangsbedingung. Mit c 1=c 01
für t = 0 gilt:
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
E
c1
11
t
E
dc1
=−k
∫0 c
∫dt
1
0
c
(2.8)
1
Also ist:
−kt E
c E1 =c01⋅e
(2.9)
Für den Umsatz wird daher (s. Gl. (2.1)):
−kt E
U=1−e
(2.10)
Da das Argument der Exponentialfunktion die gewählten Betriebsbedingungen charakterisiert, ist es
eine für den gewählten Reaktorbetrieb wichtige Größe. Man nennt sie die Damköhler-Zahl Da, d.h.
es ist:
kt E=Da
(2.11)
Gleichung (2.10) liefert offensichtlich den gesuchten Zusammenhang zwischen Umsatz und
Betriebsbedingungen für den hier behandelten Fall einer Reaktion 1. Ordnung. Für Reaktionen mit
kompliziertem Zeitgesetz ist dieser Zusammenhang zwar komplizierter aber auf analoge Weise zu
berechnen. Der Zusammenhang
U =U Da 
(2.12)
heißt das Umsatzverhalten des Reaktors oder auch seine Design-Gleichung.
2.2
Das ideale Strömungsrohr
Möchte man große Produktmengen pro Zeiteinheit herstellen, hat man kontinuierlich durchströmte
Reaktionsapparate einzusetzen. Als Grundtypen stehen hierfür der kontinuierlich betriebene ideale
Durchfluß-Rührkessel (continuous stirred tank reactor, CSTR) und der kontinuierlich betriebene
ideale Strömungsrohr-Reaktor (plug flow reactor, PFR) zur Verfügung. Diese Reaktoren
unterscheiden sich im Ausmaß der Rückvermischung der in ihnen enthaltenen Reaktionsmasse.
Zur Auslegung von kontinuierlich durchströmten Reaktoren hat man, analog zum Vorgehen beim
idealen Batch-Reaktor, nun den Zusammenhang zwischen Umsatz und Betriebsbedingungen bei
gegebener Kinetik anhand der Stoffbilanzgleichung (2.2) zu ermitteln.
Geht man dazu von der Annahme aus, dass die Reaktion unter isothermen Bedingungen
(Temperatur T0) nach dem Zeitgesetz (2.4) in einem idealen Strömungsrohrreaktor (Länge L,
Querschnitt A) abläuft, wobei die Strömungsgeschwindigkeit u längs der Achse gegeben ist, so folgt
aus Gl. (2.2) für i = 1
∂c 1
∂t
=−
∂
∂
c1 u − J 1 1 r v

∂z
∂z
(2.13)
wobei unterstellt wurde, dass u von der radialen Ortskoordinate nicht abhängt (Kolben- oder
Pfropfenströmung). Da man in der Praxis stets annimmt, dass u auch von der axialen Ortskoordinate
z nicht abhängt, gilt für ein ideales Strömungsrohr, bei dem per definitionem J1 = 0 gilt, im
stationären Zustand:
0=−u
dc 1
−kc1
dz
(2.14)
Mit der Randbedingung
c 1=c 01 für z=0
liefert Gleichung (27) die Lösung:
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
(2.15)
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
z
−k
0
u
c 1 z =c1⋅e
12
(2.16)
Setzt man z = L, so wird
L
−k
E
0
c 1 =c1⋅e u
(2.17)
L
=τ
u
(2.18)
wobei
die gewählte Verweilzeit im Reaktor ist.
Für den Umsatz gilt mithin
U=1−e−kτ
(2.19)
wobei das Produkt k⋅τ analog zum Batch-Reaktor, nun beim Strömungsrohr-Reaktor die
gewählten Betriebsbedingungen (T0,, L, u) zusammenfasst, d. h. es ist
(2.20)
k⋅τ=Da
Wählt man als Reaktionssystem einen idealen Durchflussrührkessel, so gilt für jedes
Volumenelement im Kessel
∂ci
∂t
(2.21)
=−div ci 
u i r v
da man aufgrund des intensiven Rührens von Ji=0 ausgehen kann (idealer Kessel). Setzt man die
Kinetik aus Gleichung (2.4) ein, so wird für i=1 im stationären Zustand:
0=−divc 1 
u −kc 1
(2.22)
Integriert man diese Gleichung über das Reaktorvolumen VR, so wird:
0=−∫ divc 1 
u dV R −∫ kc1 dV R
VR
VR
(2.23)
Da c1 nicht vom gewählten Volumenelement abhängt und auch k örtlich konstant ist, wird
∫ divc1u dV R=−kc1E V R
VR
(2.24)
wobei c E1 die Konzentration der Komponente R1 im Kessel wie auch im Auslauf ist (s. Abb. 2.1).
Um das Integral auf der linken Seite von Gl. (2.24) zu lösen, macht man vom Gaußschen Satz
Gebrauch. Er besagt, dass sich ein Volumenintegral der Form in Gl. (2.24) nach folgender
Vorschrift in ein Oberflächenintegral umformen lässt:
∫div c1 u dV =∫c1 e⋅u dA
V
A
(2.25)
wobei A die Oberfläche bezeichnet, die das Volumen V umschließt und e die Einheitsnormale des
Oberflächenelements dA ist.
Wendet man diese Vorschrift auf das hier interessierende Integral an, so ergibt Gl. (2.24):
−A0 vc01A E vc1E=−kc E1 V R
Mit A0 = AE = A sowie der vorgegebenen Volumengeschwindigkeit V̇ =u A gilt daher:
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
(2.26)
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
13
0
E
c1 =
c1
VR
1k
V̇
Zulauf
(2.27)
0
u c 1
e
A0
AE
Oberfläche A
Abb. 2.1:
e
E
u c 1
Ablauf
Volumen VR
Idealen Durchflussrührkessel mit den relevanten Flächenelementen zum Gaußschen Satz
Da die mittlere Verweilzeit im Kessel durch die Beziehung
τ=
VR
(2.28)
V̇
gegeben ist, wird mit
(2.29)
Da=kτ
schließlich:
U=
2.3
Da
1Da
(2.30)
Ideale Rührkesselkaskade
Setzt man als Reaktionssystem eine Rührkessel-Kaskade aus N gleichen Kesseln ein, von denen
jeder das Volumen V1 besitzt, so gilt bei vorgegebener Volumengeschwindigkeit V̇ des Frischgases
für die mittlere Verweilzeit in einem Kessel:
τ 1=
V1
(2.31)
V̇
Die mittlere Verweilzeit τ in der gesamten Kaskade ist daher:
τ=N⋅τ 1
(2.32)
Zur Berechnung des Umsatzverhaltens der Kaskade bei vorgegebenen Anfangswerten ci0 und
vorgegebener Temperatur T0 hat man nun für die Reaktion mit der Kinetik (2.5) die
Stoffbilanzgleichung für die N gekoppelten Kessel zu lösen.
c i0
ci1
ci2
ci3
V̇
Abb. 2.2:
Rührkesselkaskade aus N gleichen Kesseln
Für den j-ten Kessel gilt analog zu Gl. (2.27)
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
c iN
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
14
j−1
c1
j
c 1=
(2.33)
V1
1k
V̇
wobei c 1j die Konzentration der Komponente R1 im Ablauf und c 1j−1 die im Zulauf des j-ten
Kessels ist.
Für den Umsatz in der Kaskade gilt wegen Gl. (2.2 daher:
N
U=1−∏
j=1
c 1j
=1−
j−1
c1
c 1E
c 01
=1−
1
1kτ 1  N
(2.34)
Mit der Festlegung in Gl. (2.32) gilt daher:
U=1−

1
τ
1k
N

N
=1−
1

Da
1
N

N
(2.35)
Diese Gleichung geht unter der Annahme
V R=N⋅V 1=const .
(2.36)
für N = 1 offenbar in Gl. (2.19) über. Zudem gilt:
  
1
lim U= lim 1−
N ∞
N ∞
1
Da
N
N
−Da
=1−e
(2.37)
Trägt man U gegen Da auf, so ergeben sich die Verläufe, die in Abb. 2.3 dargestellt sind.
U
PFR
N=5
N=2
CSTR
Da
Abb. 2.3:
Umsatzverhalten U = U(Da) für die idealen Reaktoren (schematisch):
PFR, CSTR und Rührkesselkaskade aus gleichen Kesseln für zwei
verschiedene Stufenzahlen N
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Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
3
15
Verweilzeitverhalten durchströmter Reaktoren
Während im idealen CSTR der eingebaute Rührer stets für eine vollständige Vermischung der
Reaktionsmasse sorgt, findet im idealen PFR keine Rückvermischung statt. Ob ein gegebener
Reaktionsapparat sich wie ein CSTR oder ein PFR verhält, lässt sich durch die Aufnahme seines
Verweilzeitverhaltens ermitteln. Unterscheidet sich das aufgenommene Verweilzeitverhalten von
dem der Grundtypen kommt man mit Reaktorkombinationen oft zum Ziel. Eine spezielle
Kombination dieser Art ist die ideale Rührkessel-Kaskade, bei der mehrere, vielfach gleiche Kessel
hintereinander geschaltet werden (Zellenmodell). Die Zahl der Kessel lässt sich aus dem
aufgenommenen Verweilzeitverhalten ermitteln.
Verwendet man zur Aufnahme dieses Verhaltens ein δ-Signal (Dirac-Funktion) mit der Definition
δ t =0 für t≠0
(3.1)
δ t =∞ für t=0
(3.2)
∞
∫ δ tdt=1
(3.3)
−∞
so ermittelt man das Verweilzeitspektrum E(t) des gegebenen durchströmten Reaktors.
Es gilt:
1. für ein ideales Strömungsrohr mit der Verweilzeit τ :
Et =δ t−τ
(3.4)
2. für einen idealen Durchflussrührkessel mit der mittleren Verweilzeit τ :
t
1 −
Et = ⋅e τ
τ
(3.5)
3. für eine Kaskade aus N gleichen Kesseln:

1
t
Et=
 N−1! τ 1
N−1
t
1 −τ 1
⋅e
τ1
(3.6)
wobei τ1 die mittlere Verweilzeit in einem Kessel bezeichnet.
Wählt man als Testfunktion die Sprungfunktion (Heaviside-Funktion) mit der Definition:
ht =1 für t≥0
(3.7)
ht =0 für t0
(3.8)
so gewinnt man die Verweilzeitsummenfunktion F(t).
Es gilt:
1. für ein ideales Strömungsrohr mit der Verweilzeit τ :
F t =ht−τ 
(3.9)
2. für einen idealen Durchflussrührkessel mit der mittleren Verweilzeit τ :
−
F t=1−e
t
τ
3. für eine Kaskade aus N gleichen Kesseln:
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
(3.10)
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
[
16

2
t 1 t
F t=1− 1 
τ 1 2! τ 1
 ]
1
t
. . .
 N−1! τ 1
N−1

e
−
t
τ1
(3.11)
Wie man diesen Resultaten entnimmt, ist
t
F t=∫ Et dt
(3.12)
0
 Et 

PFR
E t =t−
−
4t
Kaskade E t = 2 e

2t

t
1 −
CSTR E t = e

F t

CSTR F t =1−e
Kaskade
−
t

 
F t =1− 1 2t e
−
2t


PFR F t=ht−
t /
Abb. 3.1:
3.1
t /
Verweilzeitverhalten der Grundtypen von Reaktoren: PFR, CSTR und zweistufige Kaskade
Faltungsintegral zur Berechnung des Verweilzeitverhaltens
Die Antwortfunktion y(t) eines linearen Systems hängt mit der dem System aufgeprägten
Testfunktion x(t) über die folgende Integralgleichung zusammen:
t
yt=∫ xt−t ' g t' dt'
(3.13)
0
In diesem so genannten Faltungsintegral bezeichnet g(t) die für das Systemverhalten
charakteristische Gewichtsfunktion, die in der Reaktionstechnik dem Verweilzeitspektrum E(t)
entspricht. Zum Studium des Verweilzeitverhaltens durchströmter Reaktoren werden spezielle
Testfunktionen eingesetzt: die Stoß-Testfunktion δ(t) und die Sprung-Testfunktion h(t).
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Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
4
Reale Reaktoren bei isothermer Betriebsweise
4.1
Verweilzeitverhalten
17
Unterscheidet sich das mit Hilfe eines Dirac-Signals aufgenommene Verweilzeitspektrum von dem
eines idealen Durchflussrührkessels oder von dem eines idealen Strömungsrohrs, so kann man
versuchen, das Messergebnis anhand des Zellenmodells auszuwerten, und das Umsatzverhalten des
Reaktors mit Hilfe einer Rührkessel-Kaskade zu ermitteln. Allerdings ist dieses Vorgehen nur dann
zulässig, wenn es sich um “beidseitig geschlossene Reaktoren“ handelt. Ist diese Annahme nicht
erlaubt, hat man das Dispersionsmodell zu verwenden. Bei diesem Modell geht man vom Modell
für den Strömungsrohr-Reaktor aus, erweitert es allerdings um einen Anteil für Rückvermischung in
axialer Richtung. Für die Rückvermischung mit dem Fluss J1z setzt man analog zum Fickschen
Gesetz:
∂ c1
J 1z=−D ax⋅
∂z
(4.1)
wobei Dax der axiale Vermischungkoeffizient ist, der im allgemeinen nur experimentell zugänglich
ist. Um ihn zu bestimmen, hat man das Verweilzeit-Verhalten zu ermitteln. Dazu geht man von der
Gleichung
∂ cS
∂t
=−u
∂c S
∂z
D ax
∂2 c S
∂z
(4.2)
2
aus, wobei cF die Konzentration an Markierungssubstanz, z.B. Farbe, bezeichnet. Verwendet man
bei dem Experiment ein δ-Signal und liegt ein beidseitig offenes System (siehe Abb. 4.1) mit den
Randbedingungen:
c S 0=c S −0  und
j S 0 = j S −0 
(4.3)
vor, wobei z = 0 durch die Eingabestelle des Signals fest gelegt wird, so wird mit den Abkürzungen:
τ=
L
t
uL
; Θ= ; Bo=
u
τ
Dax
(4.4)
und der Anfangsbedingung:
cS  0 =c 0S
für t = 0

Bo
(4.5)
2
1 Bo − 4Θ 1−Θ 
E 1 Θ = ⋅
⋅e
2 πΘ
(4.6)
Hierin bezeichnet Bo die Bodenstein-Zahl. Für die Varianz der Funktion E1(Θ) ergibt sich:
σ 12=

2
4
1
Bo
Bo

(4.7)
Eine eingehende Diskussion zeigt, dass als Lösung der DGl. (4.2) für hinreichend hohe Werte der
Bodenstein-Zahl, z.B. Bo>50, die Gaußverteilung

Bo
Bo − 4
E 2 Θ=
⋅e
4π
1−Θ 2
(4.8)
erhalten wird, bei der die Varianz durch
σ 2=
2
Bo
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
(4.9)
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
18
gegeben ist. In diesem Fall ist das Verweilzeitspektrum von den Randbedingungen unabhängig, d.h.
es ist gleichgültig, ob der Reaktoreingang und/oder der Reaktorausgang offen oder geschlossen sind.
4.2
Umsatzverhalten
Läuft in einem solchen Reaktor eine Reaktion
R1R2=2R3
mit der Kinetik
r v=k⋅c 1
ab, so hat man zur Festlegung des stationären Umsatzverhaltens (Designgleichung) die
Stoffbilanzgleichung:
∂c 1
∂c 1
∂2c 1
=−u
D ax 2 −k⋅c1=0
∂t
∂z
∂z
(4.10)
zu lösen. Wählt man dazu die sog. Wilhelmschen Randbedingungen:
 
vc 01=c1 u−Dax
∂c 1
∂z
für z = 0
sowie
 
(4.11)

4Da
Bo

(4.12)

(4.13)
z=0
∂c1
=0 für z=L
∂z
so gewinnt man mit den Abkürzungen
z
L
uL
κ= ; τ= ; kτ=Da ; Bo=
L
u
D ax
1
1
λ1= Bo1q; λ2= Bo1−q; q=
2
2
die Lösung:
c01 Bo
c 1 κ=

−λ 2 1−κ
⋅ λ 1⋅e
−λ
−λ
λ12⋅e 2−λ 22⋅e 1
1
−λ 1 1−κ
−λ 2⋅e
Für κ=1 wird daher
c1E
c10
=Bo
λ1−λ 2
−λ
2
2 −λ
λ1⋅e 2−λ 2⋅e 1
(4.14)
Mithin gilt für den Umsatz:
U=1−Bo
λ1−λ2
−λ
−λ
λ21⋅e 2−λ22⋅e 1
(4.15)
Dieser Ausdruck geht für Bo≪1 über in die Beziehung:
U=1−
1
1Da
(4.16)
Für Bo∞ wird aus Gl. (4.15):
U=1−e−Da
Gleichung (4.15) enthält also die idealen Reaktoren Durchflussrührkessel bzw. Strömungsrohr als
Grenzfälle. Der Graph dieser Funktion verläuft also je nach dem Wert der Bodenstein-Zahl im
Umsatz-Damköhlerzahl-Diagramm zwischen der Kurve für das Idealrohr und der für den
Idealkessel. Das Bild ist also analog zu dem für geschlossene Reaktoren.
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Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
19
Während zur Beschreibung des Verweilzeitverhaltens geschlossener Reaktoren das Zellenmodell
(Kaskaden-Modell) verwendet wird, dient das Dispersionsmodell mit geeigneten Randbedingungen
zur Modellierung dieses Verhaltens bei offenen Reaktoren (s. Abb. 4.1).
Geschlossenes System
z=0
Abb. 4.1:
Offenes System
z=0
z=L
z=L
Randbedingung für Strömungsrohr-Reaktoren (Dispersionsmodell)
↑ Eθ(θ)=τE(t)
Bo=200
100
50
10
5
1
=
t

→θ
Abb. 4.2:
Verweilzeit-Verteilung nach dem Dispersionsmodell, Parameter: Bodenstein-Zahl
Das Ausmaß der Rückvermischung in solchen Reaktoren wird durch die Bodensteinzahl
Bo=
vL
D ax
erfasst (s. Abb. 4.2). Der Wert dieser Kennzahl ist aus der Péclet-Zahl

Pe x=
d
⋅Bo
L
zu berechnen, die über die empirische Beziehung:
1 3⋅107 1,35
=

; Re≥2000
Pex Re2,1 Re1/8
aus der Reynolds-Zahl zugänglich ist:
Re=
ρdv
η
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Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
20
5
Nicht-isotherme Betriebsweise chemischer Reaktionsapparate
5.1
Der adiabatisch betriebene Batch-Reaktor
Zur Bestimmung des Zusammenhangs zwischen Umsatz und Betriebsbedingungen bei einem
adiabatisch betriebenen Batch-Reaktor, in dem die Reaktion
R1 + R 2 = 2 R3
(5.1)
mit der Wärmetönung ΔRH nach einer Kinetik 1. Ordnung mit
rV = k c1
(5.2)
abläuft, hat man von der Stoff- und Wärmebilanz, Gl. (1.37) und (1.38), auszugehen. Für einen ideal
u =0 :
gerührten diskontinuierlich betriebenen Kessel gilt dann wegen J1=0, Jq=0 und 
∂c 1
=−k c 1
∂t
(5.3)
und
c P
∂T
=− R H k c 1
∂t
(5.4)
Integriert man diese Gleichung über das Volumen VR des diskontinuierlich betriebenen Rührkessels,
so ist
d c1
V =−k c 1 V R
dt R
(5.5)
und
c P
dT
V =− R H k c1 V R
dt R
(5.6)
Um diese Differentialgleichungen zu lösen, benötigt man Anfangsbedingungen. Es sei
c1=c01 für t=0
T=T 0 für t=0
(5.7)
Da die zeitliche Änderung von c1 entsprechend Gl. (5.3) und (5.4) der von T proportional ist, d. h.
−
dc 1
c P dT
=
dt − R H  dt
(5.8)
gilt, gewinnt man anhand der Integration
c1
∫dc 1=−
0
c1
 cP
T
∫dT
− R H  T
(5.9)
0
die Beziehung
c 1−c 01=−
c P
− R H 
T −T 0 
(5.10)
Mit der Definition des Umsatzes in Gl. (1.43) erhält man daher aus Gl. (5.10) für die
Temperaturänderung im Kessel nach der Reaktionszeit tR:
T E −T 0=
− R H c 01
c P
U
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(5.11)
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
21
Diese sogenannte „Adiabatenbilanz“ besagt, dass bei adiabatischer Temperaturführung die
Temperaturänderung TE – T0 im Kessel dem Umsatz proportional ist. Bei vollständigem Umsatz,
also U=1, ist insbesondere
T E−T 0=
− R H c 01
c P
=T ad
(5.12)
In diesem Fall ist die Temperaturänderung im Kessel gleich der sogenannten adiabatischen
Temperaturänderung ΔTad. Bei (-ΔRH)>0 spricht man in der Praxis von adiabatischer
Temperaturerhöhung.
Um einen Zusammenhang zwischen Umsatz und Betriebsbedingungen beim Batch-Reaktor zu
gewinnen, geht man von der Stoffbilanz Gl. (5.5) aus:
d c1
=−k 0 c 1 e
dt
−E A
RT
(5.13)
In ihr ersetzt man die Temperatur T anhand der Beziehung nach Gl. (5.10) durch die Konzentration
c1:

−
d c1
=−k 0 c 1 e
dt

EA
1
⋅
R
− R H 
T 0−
 c1−c 01 
c P
(5.14)
Nach Trennung der Veränderlichen und Integration erhält man unter Benutzung von Gl. (5.12):
E
c1
∫

0
c1
tR
dc1
−E A
 
R T ad 1−
c1 k 0 e
c1
c01
RT 0
=∫ dt=t R

0
(5.15)
Diese Gleichung lässt sich nicht mehr analytisch lösen. Ein möglicher Lösungsweg ist es, die
Integration auf der linken Seite numerisch durchzuführen und bei vorgegebener Reaktionszeit tR die
Konzentration c1E durch Probieren so lange zu verändern, bis für gegebene Werte von c10, T0, ΔTad
und EA die Gl. (5.15) erfüllt ist. Ist dies der Fall, liegt der nach der Zeit tR erreichte Umsatz fest.
Heutzutage wird man jedoch vorzugsweise die DGl. (5.14) oder direkt das System von Dgln. (5.5)
und (5.6) als Funktion der Zeitkoordinate t über das Intervall t=0 bis t=tR durch numerische
Integration mittels Computer lösen.
5.2
Das adiabatisch betriebene ideale Strömungsrohr
In einem adiabatisch betriebenen idealen Strömungsrohr laufe die Reaktion
R1 + R 2 = 2 R3
(5.16)
mit der Wärmetönung ΔRH nach einer Kinetik 1. Ordnung mit
rV = k c1
(5.17)
ab. Geht man davon aus, dass im Rohr Kolbenströmung vorliegt, so hat man für die Stoff- und
Wärmebilanz nach Gl. (1.37) und (1.38) mit J1=0, Jq=0 anzuschreiben:
∂c 1
∂c
=−u 1 −k c1
∂t
∂z
c P
∂T
∂T
=−c P u − R H k c1
∂t
∂z
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
(5.18)
(5.19)
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
22
Hierin bezeichnet z die axiale Rohrkoordinate und u die Geschwindigkeit der Reaktionsmasse in
axialer Richtung. Im stationären Zustand folgt aus Gl. (5.18) und (5.19) insbesondere
0=−c P u
∂c
∂T
−− R H u 1
∂z
∂z
(5.20)
Mit den Bedingungen
c1=c01 für z=0
T=T 0 für z=0
(5.21)
folgt durch Integration der Differentialgleichung (5.20):
−− R H c 1−c 01 =c PT−T 0 
(5.22)
Aus diesem Ergebnis leitet man die Adiabatenbilanz
T E−T 0=T ad U
(5.23)
her, wobei – wie beim adiabatisch betriebenen Batch-Reaktor – auch hier
T ad =
− R H c 01
(5.24)
c P
gesetzt wurde. TE bezeichnet die Temperatur am Reaktorausgang und U ist der im Reaktor erreichte
Umsatz. Zur Festlegung des Zusammenhangs zwischen Umsatz und Betriebsbedingungen, also den
Größen c10, T0, v und Reaktorlänge L, hat man nun die Stoffbilanz, Gl. (5.18), für den stationären
Zustand,
dc
v 1 =−k 0 c1 e
dz
−E A
RT
(5.25)
unter der Bedingung
c 1=c 01 für z=0
(5.26)
zu integrieren. Dazu muss man zuvor – wie beim adiabatisch betriebenen Batch-Reaktor – die
Temperatur in Gl. (5.25) mit Hilfe der Beziehung nach Gl. (5.22) durch die Konzentration
ausdrücken. Nach der Trennung der Variablen lautet die Differentialgleichung (5.25) dann:
−dc1

−
c1 k 0 e
dz
u
=

EA
1
⋅
R
− R H 
0
T 0−
c1 −c 1 
c P
(5.27)
Integriert man diese Gleichung über die Rohrlänge, so wird:
0
c1
∫
E
c1

−
c1 k 0 e
dc1
L
=

EA
1
⋅
R
− R H 
T 0−
c1 −c 01 
c P
1
L
dz=
∫
u 0
u
(5.28)
Diese Gleichung lässt sich wiederum nicht analytisch, sondern nur durch numerische Integration
lösen. Um den Umsatz als Funktion der Betriebsbedingungen zu erhalten, kann man für eine
L
vorgegebene Verweilzeit = u die obere Grenze des Integrals der linken Seite so lange verändern,
bis die Gleichheit gegeben ist. Der so fest gelegte Wert c1E bestimmt dann über Gl. (1.43) den
Umsatz.
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
23
Alternativ können die Lösungen der Differentialgleichung (5.27) oder des Systems Gl. (5.18) und
(5.19) numerisch als Funktion der Ortskoordinate z im Intervall z=0 bis z=L berechnet werden.
5.3
Der adiabatisch betriebene ideale Durchflussrührkessel (CSTR)
In einem idealen CSTR laufe die irreversible Reaktion
R1 + R 2 = 2 R3
nach einem Zeitgesetz 1. Ordnung in R1 mit der Wärmetönung ΔRH unter adiabatischer
Betriebsbedingung ab. Um für diesen Fall den Zusammenhang zwischen Umsatz und
Betriebsbedingungen zu ermitteln, hat man – wie stets – von der Stoff- und Wärmebilanzgleichung
auszugehen.
Zulauf
e
u c 10
A0
AE
T0
E
u c 1
Ablauf
TE
Oberfläche A
Abb. 5.1:
e
Volumen VR
Festlegung der Normalenvektoren bei der Anwendung des Gaußschen Satzes
Schreibt man diese Gleichungen für ein Volumenelement im idealen CSTR an, so ist:
∂c 1
=−div
u c1 1 r V
∂t
c P
(5.29a)
∂T
=−divc P T 
u − R H r V
∂t
(5.29b)
Bei der Formulierung dieser Gleichungen wurde, dem zugrunde gelegten Reaktionssystem
entsprechend, J1=0, Jq=0 gesetzt.
Geht man vom stationären Zustand aus und integriert über das Volumen VR der Reaktionsmasse, so
wird:
0=−∫div c1 
u dV R1∫ r V dV R
VR
(5.30a)
VR
0=−∫divc P T 
u dV R− R H ∫ rV dV R
VR
VR
(5.30b)
Mit Hilfe des Gaußschen Satzes und der Festlegung der Normalenvektoren e entsprechend
Abb. 5.1 wird dann zunächst:
0=−∫c 1 e⋅
u dA−k c1E V R
(5.31a)
0=−∫c PT e⋅
u dA− R H k c E1 V R
(5.31b)
A
A
wobei das Zeitgesetz eingetragen und i =−1 gesetzt wurde. Geht man davon aus, dass der
Querschnitt der Rohre im Zu- und Ablauf des Reaktors gleich ist und mit A bezeichnet wird, so
liefert die Ausführung der verbleibenden Integration in Gl. (5.31) sodann:
0=c 01 Au−c E1 Au−k c E1 V R
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
(5.32a)
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
0= c P AuT 0−c P AuT E − R H k c E1 V R
24
(5.32b)
In diesen Gleichungen sind TE und c1E für vorgegebene Betriebsbedingungen zu bestimmen. Tut
man dies, so stellt man zunächst fest, dass folgende wichtige Beziehung gilt:
c P V̇ T 0−T E =−− R H  V̇ c 01−c E1 
(5.33)
wobei V̇ =Au gesetzt wurde. Wie bei den bisher behandelten adiabatisch betriebenen Reaktoren,
so gilt auch für den adiabatisch betriebenen idealen CSTR ein linearer Zusammenhang zwischen
Temperatur- und Konzentrationsänderung von R1. Insbesondere ist:
T E −T 0=
− R H c 01
c P
U
(5.34)
T E−T 0=T ad U
(5.35)
Um nun den Zusammenhang zwischen Umsatz und Betriebsbedingungen in dem hier
interessierenden Fall zu finden, geht man von der Stoffbilanz
−E A
RT E
(5.36)
V̇ c 01−V̇ c E1 =V R c E1 k 0 e
aus und ersetzt TE durch die Beziehung in Gl. (5.35). Dann ist für die Exponentialfunktion in Gl.
(5.36) zu schreiben:
e
−E A
RT E
=e
−E A
1
⋅
R T 0 T ad U
=e
−E A
1
⋅
RT 0
T ad
1
U
T0
(5.37)
Unterstellt man, dass
 T ad
U ≪1
T0
(5.38)
ist, so gilt in guter Näherung:
T ad
1
≈1−
U
T0
T ad
1
U
T0
(5.39)
Also wird schließlich:
e
−E A
RT E
=e
−E A E A T ad
⋅
U
RT 0 RT 0 T 0
(5.40)
e
Im Rahmen dieser Näherung gilt damit für Gl. (5.36):
c 01−c E1 =
VR
V̇
c 1E k T 0 e BU
(5.41)
worin gesetzt wurde:
k T 0 =k 0 e
−E A
RT 0
und
B=
E A T ad
⋅
RT 0 T 0
(5.42)
Setzt man zudem:
VR
V̇
=
und
 k T 0 =Da
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
(5.43)
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
25
so folgt schließlich aus Gleichung (5.41):
Da e BU
U=
1Da e BU
(5.44)
Um den Umsatz als Funktion der Betriebsbedingungen, d.h. der Damköhlerzahl Da, zu ermitteln,
muss also U aus der impliziten Gl. (5.44) bestimmt werden. Dies kann z.B. graphisch geschehen,
indem man die Funktion auf der rechten Seite der Gleichung bei gegebenen Werten für Da und B
graphisch darstellt und in diese Darstellung die 45°-Gerade einzeichnet. Der Schnittpunkt beider
Kurven liefert dann den gesuchten Umsatz (siehe Abb. 5.2).
Seite der Gleichung
linke
rechte
1
U
Abb. 5.2: Graphische Bestimmung des Umsatzes in einem adiabatisch betriebenen, idealen CSTR
Wie man der Abb. 5.2 entnimmt, stellt sich in einem adiabatisch betriebenen Kessel für nicht zu
kleine B fast stets ein hoher Umsatz ein, der bei exothermen Reaktionen entsprechend der
Adiabatenbilanz zu einer hohen Übertemperatur (TE – T0) führen und damit die Reaktionsmasse
thermisch stark belasten kann. In einem solchen Fall würde man den Kessel kühlen. Allerdings
treten bei einer solchen polytropen Reaktionsführung eine Reihe von Besonderheiten auf, die man
schon im Hinblick auf eine sichere Reaktionsführung kennen muss.
5.4
Der gekühlte ideale Durchflussrührkessel (CSTR)
Im folgenden gehe man davon aus, dass die exotherme, irreversible Reaktion
R1 + R 2 = 2 R3
nach einem Zeitgesetz 1. Ordnung in R1 in einem gekühlten idealen CSTR ablaufe, wobei die
Temperatur des Kühlmediums TK konstant sei.
Zulauf
0
u c 1
 c 1E
u
VR
T0
Ablauf
TE
Kühlfläche AK
TK
Abb. 5.3: Der gekühlte ideale Durchflussrührkessel
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
26
Die Kühlfläche AK sei gegeben. Der kw-Wert für den Wärmedurchgang durch die Reaktorwand sei
ebenfalls bekannt. Zur Bestimmung des Zusammenhangs zwischen Umsatz und
Betriebsbedingungen hat man zunächst die lokalen Bilanzgleichungen für Stoff und Wärme
anzuschreiben. Unter Berücksichtigung von Gl. (1.42) lauten sie nun:
∂c 1
=−div
u c1 1 r V
∂t
c P
(5.45a)
∂T
=−divc P T 
u − R H r V ak w T K −T 
∂t
(5.45b)
Integriert man diese Gleichungen für den Fall des stationären Zustandes über das Volumen der
Reaktionsmasse, so erhält man unter Verwendung des Gaußschen Satzes die Gleichungen:
0=V̇
c 01−V̇
c 1E−k 0 c E1 V R
0= c PV̇ T 0−c P V̇
e
−E A
RT E
(5.46a)
T E − R H k 0 c E1 V R
e
−E A
RT E
AK k w T K −T E 
(5.46b)
Wie man diesen Gleichungen entnimmt, ist der Zusammenhang zwischen der Änderung der
Konzentration der Komponente R1 und der Temperatur der Reaktionsmasse mit
c P V̇ T E−T 0 A K k w T E−T K =− R H  V̇ c 01−c E1 
(5.47)
nun zwar immer noch linear, aber komplizierter als im adiabatischen Fall. Durch Umordnen der
Terme in der Gleichung und Erweitern mit AK kw (T0–T0) ergibt sich daraus die Beziehung:
c P V̇k w AK T E−T 0 AK k wT 0−T K =− R H  V̇ c01 U
(5.48)
In dieser Gleichung gibt die rechte Seite die beim Ablauf der Reaktion im Kessel pro Zeiteinheit
erzeugte Wärme wieder. Die linke Seite beschreibt die pro Zeiteinheit abgeführte Wärme. Im
stationären Zustand sind beide Prozesse naturgemäß gleich. Dividiert man Gleichung (5.48) durch
− R H V̇ c01 , so wird:

U=
c P
k w AK

0
− R H c 1 − R H V̇ c01

T E−T 0 −
AK k w
− R H V̇ c01
T K −T 0 
(5.49)
d.h., dass U eine lineare Funktion der Kesseltemperatur TE sein soll. Andererseits ist aber auf Grund
der Stoffbilanz, Gl. (5.46a):
V̇
c 01−V̇
c E1 =k 0 c1E V R
e
−E A
RT E
(5.50)
Setzt man
e
−E A
RT E
=e
−E A E A
E

− A
RT 0 RT 0 RT E
(5.51)
so folgt:
e
−E A
RT E
=e
−E A
RT 0
e
 
EA
T0
1−
RT 0
TE
(5.52)
Da man oft in erster Näherung
e
 =e
EA
T0
1−
RT 0
TE
E A T E−T 0
⋅
RT 0 T E
≈e
E A T E−T 0
⋅
RT 0 T 0
setzen kann, folgt dann aus der Stoffbilanz, Gl. (5.50),
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(5.53)
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
V̇ c 01−V̇ c E1 =k T 0 c E1 V R e
B
27
T E −T 0
(5.54)
T ad
wobei folgende Abkürzungen benutzt wurden:
T ad =
− R H c 01
k T 0 =k 0 e
c p
und
B=
E A T ad
⋅
RT 0 T 0
−E A
RT 0
(5.55)
(5.56)
Aus Gl. (5.54) folgt daher mit der Abkürzung Da=k T 0  :
B
U=
T E −T 0
Da e
T ad
B
1Da e
T E −T 0
(5.57)
T ad
Neben der Beziehung (5.49) muss auch Gl. (5.57) erfüllt werden. Zur Festlegung von U als
Funktion der Betriebsbedingungen kann man die Lösung der Gln. (5.49) und (5.57) beispielsweise
wieder graphisch bestimmen, indem man U gegen (TE–T0) aufträgt und den Schnittpunkt der Kurven
bestimmt. Man betrachte dazu z. B. die Grafik in Abb. 5.4.
Bei dem in Abb. 5.4 gezeigten Beispiel stellt sich nicht nur ein hoher Umsatz, sondern auch eine
hohe Übertemperatur im Kessel ein. Um diese Übertemperatur zu reduzieren, hat man die Kühlung
zu verstärken, z. B. durch Vergrößerung der Kühlfläche AK. Dann verläuft die Gerade nach Gl.
(5.49) steiler und man erhält beispielsweise das in Abb. 5.5 gezeigte Bild.
In diesem Fall hat man für gegebene Betriebsbedingungen offenbar drei Schnittpunkte, also drei
stationäre Lösungen, angedeutet durch die drei Vierecke. Dieses neue Charakteristikum im
Umsatzverhalten eines polytrop betriebenen Reaktors mit exothermer Reaktion ist typisch für nichtlineare Systeme und nur eines von mehreren Besonderheiten. Im vorliegenden Fall interessiert die
Frage, ob alle drei Zustände gegenüber Störungen in den Betriebsbedingungen stabil sind. Eine
Stabilitätsanalyse zeigt, dass dies für den mittleren Betriebspunkt nicht zutrifft. Er ist also
gegenüber Störungen instabil.
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Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
28
U
Gl. (6.49)
(13) und
Gl.(6.57)
(5)
Gl.
1
T E – T0
Temperaturerhöhung
−A K k w
− R H  V̇ c10
Abb. 5.4:
T K −T 0 
Graphische Bestimmung des Umsatzes und der Temperaturerhöhung in einem polytrop
betriebenen CSTR
U
Gl. (5) undGl.
(13)
Gl. (6.49)
(6.57)
1
−A K k w
− R H  V̇ c10
Abb. 5.5:
TE – T0
T K −T 0 
Mehrere mögliche Betriebspunkte bei einem polytrop betriebenen CSTR (●)
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
5.5
29
Reaktorstabilität bei der Durchführung exothermer Reaktionen
Bei der Beschreibung des Umsatzverhaltens eines gekühlten idealen Durchflussrührkessels, in dem
die exotherme, irreversible Reaktion
R1 + R2 = 2R3
nach einem Zeitgesetz 1. Ordnung in R1 abläuft, wurde festgestellt, dass die gekoppelten Stoff- und
Wärmebilanzgleichungen drei stationäre Lösungen ergeben. Damit stellt sich die Frage, ob alle drei
Betriebspunkte ohne Weiteres zu nutzen sind. Diese Frage lässt sich an Hand einer
Stabilitätsanalyse eingehender diskutieren. Diese soll hier am Beispiel des idealen
Durchflussrührkessels nur qualitativ erörtert werden. Dazu betrachte man die Wärmeerzeugung im
Reaktor
−E A
RT
Q̇ P=k 0 e E c1E − R H V R
(5.58)
Man fasse sodann die mit Gl. (5.50) umgeformte Wärmeerzeugung
−E A
RT E
Q̇ P=
k0 e
−E A
RT E
c 01 − R H V R
(5.59)
1 k 0 e
im Reaktor sowie die Wärmeabgabe an die Reaktionsmasse und das Kühlmedium,
Q̇ T =c P V̇ T E −T 0 AK k W T E−T K 
(5.60)
als Funktion der Kesseltemperatur TE ins Auge (Abb. 5.6).
Ein solches System, bei dem die
Wärmeerzeugung auf Grund des
Arrhenius-Ansatzes hochgradig nichtlinear von TE abhängt und die
Wärmeabfuhr einer linearen Beziehung
folgt,
kann
unter
bestimmten
Betriebsbedingungen drei stationäre
Zustände haben. So kann sich für diese
Bedingungen im Kessel die Temperatur
TE=T1 oder TE=T2 oder TE=T3 einstellen.
Jeder dieser Zustände hat einen anderen
Umsatz. Im Zustand TE = T3 ist offenbar
der Umsatz vollständig, so dass die
maximal mögliche Wärmeerzeugung
0
Q̇max
P =V̇ c 1− R H 
(5.61)
erreicht wird. Im Zustand TE = T1 ist der
van-Herden-Diagramm für einen gekühlten
Umsatz gering. Mittlere Werte für Abb. 5.6:
idealen Durchflussrührkessel
Temperatur und auch Umsatz werden im
Zustand TE = T2 erreicht. Dieser Zustand
ist allerdings instabil. Eine solche Eigenschaft liegt grob gesprochen dann vor, wenn das System
nach der Einwirkung einer Störung in seinen ursprünglichen Zustand nicht mehr zurückkehrt,
obwohl die Störung nach kurzer Zeit abgeklungen ist. Ein Zustand ist stabil, wenn das System nach
der Einwirkung einer Störung in den Ursprungszustand zurückkehrt, sofern die Störung
abgeklungen ist.
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
30
Der mittlere Betriebspunkt TE = T1 ist in der Tat instabil. Wenn nämlich eine Störung, z. B. in der
Kühlwasserzufuhr, dazu führt, dass die Temperatur im Kessel von T2 auf T2' erhöht wird, so
entnimmt man der Abb. 5.6, dass in diesem gestörten Zustand
Q̇ 'PQ̇'T
(5.62)
ist. Da die erzeugte Wärme in diesem gestörten Zustand nicht vollständig abgeführt werden kann,
heizt sich der Kessel weiter auf, bis er den Wert TE = T3 erreicht hat. Dieser Zustand ist dann, wie
man leicht nachprüft, stabil gegenüber Störungen.
Erzwingt die Störung im Zustand TE = T2 eine Temperaturerniedrigung, z. B. TE = T2'', so wird
dieser Zustand verlassen und der Zustand TE = T1 angesteuert, der dann stabil ist.
Die soeben beschriebene Überlegung bildet die Grundlage der indirekten Methode nach Ljapunov,
die man zur Überprüfung der Instabilität stationärer Lösungen eines nicht-linearen dynamischen
Systems anwenden kann. Die Methode beruht darauf, dass man das Stabilitätsproblem des nichtlinearen Gleichungssystems auf das des linearen Gleichungssystems zurückführt, das man aus dem
erstgenannten durch Taylor-Reihenentwicklung um den jeweiligen stationären Zustand erhält. Führt
man diese Analyse durch, so findet man, dass Instabilität immer dann vorliegt, wenn
d Q̇ P d Q̇ T

dT E dT E
Steigungskriterium für Instabilität
(5.63)
ist. Mit Blick auf Abb. 5.6 erkennt man, dass das sogenannte Steigungskriterium in Gl. (5.63) in der
Tat den mittleren Betriebspunkt als instabil charakterisiert. Der Umkehrschluss gilt jedoch nicht
immer, d. h., das System kann trotzdem instabil sein, auch wenn Gl. (5.63) nicht erfüllt ist. Dieser
Fall tritt insbesondere dann auf, wenn im stationären Zustand die Kurven der Wärmeerzeugung und
Wärmeabfuhr nach Gln. (5.58) und (5.59) sehr ähnliche Steigungen haben. Es können sich dann
Dauerschwingungen um den stationären Zustand ausbilden.
Das Steigungskriterium ist auch nicht ohne Weiteres auf komplexe Reaktionen oder solche
Reaktionen, bei denen die Reaktionsgeschwindigkeit mit steigender Konzentration der Edukte
abnimmt, anwendbar. In diesen Fällen ist es ratsam, zur Beurteilung der Stabilität das
mathematische Verfahren von Ljapunov anzuwenden.
5.6
Reale Reaktoren bei nicht-isothermer Betriebsführung
In der bisherigen Diskussion des Umsatzverhaltens von Reaktoren wurde stets angenommen, dass
der zu Grunde gelegte Reaktor als idealer Batch-Rührkessel, idealer Durchflussrührkessel oder als
ideales Strömungsrohr aufzufassen ist. Die Frage stellt sich, welche Besonderheiten bei realen
Reaktoren zu beachten sind. Um diese Frage zu diskutieren, soll im folgenden ein reales
Strömungsrohr als Beispiel dienen, bei dem das Ausmaß der Rückvermischung durch den axialen
Vermischungskoeffizienten Dax zu charakterisieren ist. Mit dieser Rückvermischung ist allerdings
auch ein axialer Wärmetransport, charakterisiert durch den Transportparameter λax, verbunden.
Läuft im Reaktor eine exotherme Reaktion vom Typ
R1 + R2 = 2R3
nach einer Kinetik 1. Ordnung in R1 und der Wärmetönung (-ΔRH)>0 ab, so lauten im Fall der
adiabatischen Betriebsführung die lokalen Bilanzgleichungen:
∂c 1
∂c 1
∂ 2 c1
=−u
D ax 2 −kc1
∂t
∂z
∂z
(5.64a)
∂T
∂T
∂2T
c P
=−c P u
 ax 2 − R H kc 1
∂t
∂z
∂z
(5.64b)
Im stationären Zustand gilt daher:
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
31
d c1
d 2 c1
0=−u
Dax
−kc 1
dz
d z2
0=−c P u
(5.65a)
dT
d 2T
 ax 2 − R H kc 1
dz
dz
(5.65b)
Die Randbedingungen sind für z=0,
uc10 =u c1 −Dax
dc1
dz
und
uT 0 =uT −
und
dT
=0
dz
 ax dT
c P dz
(5.66a)
und für z=L,
dc1
=0
dz
(5.66b)
Bei örtlich konstanter Rückvermischung wird mithin,


d
1 dc 1
c1−
k c 1=0
Bo d 
d

(5.67a)

− R H 
d
1 dT
T−
−
k c 1=0
Pe d 
d
c P
(5.67a)
worin gesetzt wurde:
=
z
L
=
L
u
Bo=
uL
Dax
Pe=
u L c P
(5.68)
 ax
Zunächst folgt aus Gl. (5.67):



c P
d
1 dc 1
d
1 dT
c1−
=−
T−
Bo
Pe
d
d
− R H  d 
d

(5.69)
Integriert man diese Gleichung unter den in Gl. (5.66) angegebenen Randbedingungen, so wird
wegen
E
c1


c
1 dc
∫d c 1− Bo d 1 =− − PH 
c
R
0
1
TE
∫d
T0

T−
1 dT
Pe d 

(5.70)
schließlich:
c E1 −c01=−
c P
− R H 
T E −T 0 
(5.71)
Also gilt auch im vorliegenden Fall mit
T E −T 0=
− R H c 01
c P
U
(5.72)
die Adiabatenbilanz:
T E−T 0=T ad U
(5.73)
Andererseits liefert die Integration der Gl. (5.69) vom Anfang des Reaktors bis zu einer Stelle κ ≠ l:
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Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
c 1−
32


c P
1 dc1 0
1 dT
−c 1=−
T−
−T 0
Bo d 
Pe d 
− R H 
Also gilt:
c 1−c 01
c P
− R H 
T−T 0 =

c P
d
1
1
c1
T
Pe − R H 
d  Bo
(5.74)

(5.75)
Diese Gleichung lässt sich erfüllen, wenn Bo = Pe gilt und beide Seiten verschwinden, d. h.
T−T 0=
− R H 
c P
c 01−c 1 
(5.76)
wird. Durch Einsetzen dieses Ergebnisses in Gl. (5.65a) kann man die Temperatur eliminieren und
hat dann zur Ermittlung des stationären Umsatzverhaltens die nichtlineare Differentialgleichung 2.
Ordnung,

dc1
d 2 c1
0=v
−D ax 2 k 0 e
dz
dz
−E A
RT 0
1
T ad c01−c 1
1
0
T0
c1

c1
(5.77)
unter den Randbedingungen
v c01 =v c1−Dax
0=
dc1
dz
dc1
dc
für
für
z=0
z=L
zu lösen. Die Lösung liefert das Konzentrationsprofil c1 = c1(z), aus dem dann mit c1E=c1(z=L) der
Umsatz ermittelt wird. Mit Gl. (5.76) ist dann auch das Temperaturprofil T = T(z) im Reaktor
gegeben. Mit der Lösung der Differentialgleichung (5.77) ist also das Verhalten des Reaktors für
gegebene Betriebsbedingungen im stationären Zustand vollständig bestimmt. Diese Lösung ist
allerdings nur numerisch mit Hilfe eines Computers zugänglich.
Alternativ kann man direkt das System von Differentialgleichungen (5.65) mit den
Randbedingungen nach Gl. (5.66) numerisch lösen.
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Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
6
33
Beschreibung des Umsatzverhaltens von Festbettreaktoren
Bei dem im voranstehenden Kapitel behandelte Fall eines realen, adiabatisch betriebenen
Rohrreaktors sind keine mehrfachen stationären Zustände zu erwarten, wenn der Stoff- und
Wärmetransport nach dem gleichen Mechanismus erfolgt (Bo=Pe). Wenn jedoch der
Wärmetransport im Vergleich zum Stofftransport hinreichend hoch ist, können sich auf Grund der
nicht-linearen Kopplung der Volumenelemente im Reaktor Besonderheiten im Umsatzverhalten
zeigen. Dies ist in der Tat bei gekühlten realen Rohrreaktoren oder bei gekühlten Festbettreaktoren
(Abb. 6.8) der Fall, bei denen eine ,,Wärmerückkopplung'' über den Feststoff der
Katalysatorschüttung in hinreichendem Maß möglich wird. Im Folgenden soll das Umsatzverhalten
von Festbettreaktoren anhand des quasi-homogenen Modell diskutiert werden. Bei diesem werden
der Stofftransport und die Reaktion in der Feststoffphase der Katalysatorschüttung nicht explizit
berücksichtigt, sondern man berechnet vereinfacht die effektive Reaktionsgeschwindigkeit anhand
des Katalysatornutzungsgrades aus den Gasraumbedingungen.
6.1
Das Nutzungsgrad-Konzept
Die Gasreaktion
R1 + R 2  2 R 3
(6.1)
werde bei gegebener Temperatur mit einem porösen Trägerkatalysator beschleunigt. Das
Adsorptionsgleichgewicht auf der Katalysatoroberfläche sei eingestellt
und die
Konzentrationsverhältnisse so gewählt, dass die Reaktion dem Zeitgesetz
r v=k⋅c 1
(6.2)
folgt. Der eingesetzte kugelförmige Katalysator habe den Radius R. Unter diesen Bedingungen
lassen sich die im Korn ablaufenden Prozesse zunächst durch zwei Zeitkonstanten charakterisieren:
1.
Die Reaktionszeit
t R=
1
k
(6.3)
gibt die Zeit an, die das System benötigt, um eine vorgelegte Anfangskonzentration c10 auf
1/e dieses Wertes durch Reaktion abzubauen.
2.
Die Diffusionszeit
t D=
R2
Deff
(6.4)
gibt die Zeit an, die das System benötigt, um Konzentrationsunterschiede zwischen der
äußeren Oberfläche des Pellets und seinem Zentrum abzubauen.
Sind die Bedingungen so gewählt, dass
t R >>t D
(6.5)
ist, so liegt das sog. kinetische Gebiet vor, in dem an jedem Ort im Katalysatorkorn der gleiche
Wert für rv angetroffen wird.
Gilt demgegenüber
t R <<t D
(6.6)
so kann die durch die Reaktion verursachte Konzentrationsverarmung im Korn durch die
Stoffnachlieferung durch Diffusion nicht schnell genug ausgeglichen werden. Die Folge ist ein
starker Abfall der Konzentration c1 in Richtung auf das Kornzentrum. Ist r die radiale
Ortskoordinate, so ergibt sich für die über das Kornvolumen gemittelte Reaktionsgeschwindigkeit
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Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
34
zu:
r eff
v
r eff
v =
1
⋅∫ k⋅c 1⋅dV K
VK V
(6.7)
K
Mit der Definition des Porennutzungsgrades
η=
r eff
1
v
=
⋅ k⋅c ⋅dV K
r v r v⋅V K V∫ 1
(6.8)
K
läßt sich rveff aus rv bestimmen, wenn man den η-Wert für das Reaktionssystem bestimmt hat.
Entsprechend Gl. (6.8) gelingt dies dann, wenn das Konzentrationsprofil fc1(r) berechnet wurde.
Dazu hat man die Stoffbilanzgleichung zu verwenden. Sie lautet im vorliegenden Fall im
stationären Zustand:
1 d 2 eff dc1
r D
=k⋅c1
2
dr
r dr
(6.9)
wobei folgende Randbedingungen gelten:
c1 = c10 für r = R, c10 = Konzentration in Kornumgebung
dc 1
dr
=0 für r = 0 (Symmetrie-Bedingung)
(6.10)
Die Lösung der DGl. (6.9) lautet unter diesen Randbedingungen:
r
R⋅c01 sinhφ R 
c 1 r=
⋅
r sinhφ
wobei
φ=R
(6.11)
 
tD
k
=
eff
tR
D
(6.12)
als Katalysator-Kennzahl oder Thiele-Modul bezeichnet wird.
Mit der dimensionslosen Ortskoordinate χ=
1
η=3⋅∫ χ
0
{
sinhφχ 
3
1
1
dχ=
−
sinhφ
φ tanhφ φ
Ähnliche Zusammenhänge leitet
man für andere Korngeometrien
her, wie die nebenstehende
Abbildung verdeutlicht.
r
gilt dann für den Nutzungsgrad (s. Gl. (6.8)):
R
}
(6.13)
η
Φ<1
Φ>3
Kinetische
Kontrolle
Transportkontrolle
Φ
Abb. 6.1: Nutzungsgrad η als Funktion des Thiele-Moduls φ
rot: Platte, grün:Zylinder, blau: Kugel
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Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
35
Die Nutzungsgrade sind für
φ=L
Platte:



5,0
k
tanhφ
; η=
eff
φ
D
4,5
2⋅I 1φ
k
;
η=
φ⋅I 0 φ
Deff
Zylinder:
φ=R
Kugel:
k
3
1
1
φ=R
; η=
−
eff
φ tanhφ φ
D
{
Es gelten folgende Definitionen:
sinh x=
e x−e−x
}
sinh x
3,5
I 0(r)
3,0
I 1(r)
2,5
1,5
−x
e e
x
1,0
2
∞
2n
∑
r
I 0 r =
2n
2
n=0 2 n! 
0,5
0,0
0,0
r 2n−1
2n−1
n!n−1!
n=1 2
I 1 r = ∑
0,5
1,0
1,5
2,0
2,5
3,0
x or r
∞
6.2
cosh x
2,0
2
cosh x=
4,0
Modifizierte Besselfunktion und Hyperbelfunktion
Isotherm betriebener Festbettreaktor
Bei der folgenden Beschreibung des Umsatzverhaltens von Festbettreaktoren wird von einer mit
einem porösen Katalysator (Pelletgröße dp) beschleunigten Reaktion mit Kinetik 1. Ordnung
R1+R2=2R3
r v=k⋅c 1
mit
(6.14)
ausgegangen. Die Porosität der Katalysatorschüttung betrage ε S .Es soll zunächst angenommen
werden, dass die Umsetzung thermoneutral verlaufe und damit im Reaktor isotherme Bedingungen
herrschen. Im Rahmen des quasi-homogenen Reaktormodells geht man nun davon aus, dass man
das heterogene System so beschreiben kann wie einen homogenen Reaktor. Im eindimensionalen
Fall mit der Strömungsrichtung längs der Achse des Reaktors (Ortskoordinate z) hat man im
homogenen Fall nach Gl. (5.64a) anzusetzen:
2
∂c 1
∂c
∂ c
=−u 1 D ax 21 υ1 r v
∂t
∂z
∂z
(6.15)
wobei u die Geschwindigkeit in den Kornzwischenräumen und Dax der axiale Dispersionskoeffizient
sind. Um die Gleichung (6.27) an die Realität anzupassen, muss man zunächst berücksichtigen, dass
der Gasraum im Festbett nur den εS-ten Teil des Reaktorvolumens VR ausmacht. Sodann ist zu
berücksichtigen, dass die Konzentration der Komponente R1 im Korn deutlich von der in der
Gasphase abweicht, d. h. anstelle von rv hat man in der Bilanzgleichung rveff einzusetzen und dabei
zu bedenken, dass die Reaktion nur in der Feststoffphase abläuft, die den (1-εS)-ten Teil des
Reaktorvolumens ausmacht. Zudem wird sich das Ausmaß der Rückvermischung in der Schüttung
ändern. Untersuchungen haben gezeigt, dass der axiale Dispersionskoeffizient im Festbett recht
verlässlich an Hand der Beziehung
1
D eff
ax = d p v
2
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
(6.16)
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
36
zu berechnen ist, wobei v hier die sog. Leerrohrgeschwindigkeit (engl.: superficial velocity) ist, die
mit der Geschwindigkeit u in den Kornzwischenräumen (engl.: intersticial velocity) durch die
Beziehung
v=ε S⋅u
(6.17)
verknüpft ist. Für die Stoffbilanzgleichung eines isothermen Festbett-Reaktors gilt daher:
2
εS
∂c 1
∂c 1
eff ∂ c 1
eff
=−ε S u
D ax
 11−ε S  r v
2
∂t
∂z
∂z
(6.18)
Im stationären Zustand wird daraus unter Beachtung von Gl. (6.17) mit der Beziehung
r eff
v =ηr v=ηkc 1
(6.19)
wobei η der Porennutzungsgrad ist, schließlich:
∂c 1 1
∂2 c 1
0=−v
 d v
1 1−ε S  ηkc1
∂z 2 p ∂ z 2
(6.20)
Der Porennutzungsgrad kann über den Thiele-Modul
=

dp k
2 D eff
1
(6.21)
worin D1eff der effektive Diffusionskoeffizient der Schlüsselkomponente R1 im Porenraum des
Katalysatorpellets ist, folgendermaßen abgeschätzt werden:
{
=
1
3/
3
3
für
Reaktionskontrolle
Transportkontrolle
(6.22)
Wir erhalten mit Gl. (6.20) also eine zum isotherm betriebenen realen Strömungsrohr analoge
Differentialgleichung. Mit den Wilhelmschen Randbedingungen
dc1
v c 01=vc 10−Deff
ax
dz
∣
∣
dc1
=0
dz L
0
(6.23)
und den Festlegungen
τ=
L
v
Da*=1−ε S ηkτ
Bo*=
vL
1
2
d pv
=
2L
dp
(6.24)
ergibt sich auch für den Umsatz eine zum isotherm betriebenen realen Strömungsrohr analoge
Beziehung (siehe GL. (4.15)):
U =1−Bo
λ *1−λ *2
*
*
−λ 2
λ *2
1 e
(6.25)
*
−λ 1
−λ *2
2 e
mit den Abkürzungen
1
λ*1 = Bo* 1q* 
2
1
λ*2= Bo* 1−q* 
2

4 Da
q = 1
*
Bo
*
*
(6.26)
Nun ist in der Praxis dp≈1cm und L≈1000cm, d. h. es ist Bo*≈2000. Da diese Werte für die
Bodenstein Zahl als extrem groß anzusehen sind, gilt für Gl. (6.25) die Näherung:
−Da
U=1−e
*
Ein isothermer Festbett-Reaktor verhält sich also in der Praxis wie ein ideales Strömungsrohr.
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
(6.27)
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
6.3
37
Adiabatisch betriebener Festbettreaktor
Um das Umsatzverhalten eines adiabatisch betriebenen Festbettreaktors mit Rückvermischung zu
beschreiben, kann man in guter Näherung dann vom quasi-homogenen Reaktormodell ausgehen,
wenn sich in den Katalysatorkörnern keine Übertemperatur gegenüber der Gasphase einstellt. In
einem solchen Fall schreibt man wie zuvor die Bilanzgleichung für die Gasphase an und
berücksichtigt, dass diese nur den Teil des Rohrreaktors ausfüllt, der durch die Schüttporosität εS
fest gelegt ist. Wenn man weiterhin davon ausgeht, dass in den Katalysatorkörnern keine
Transportlimitierung vorliegt (η≈1), lautet das um die Wärmebilanz erweiterte Reaktormodell:
2
∂c1
∂c 1
eff ∂ c1
s
=−s u
D ax
−1−s kc1
∂t
∂z
∂ z2
s c P
(6.28a)
∂T
∂T
∂2 T
=−s  c P u
 eff
− R H 1−s kc1
ax
2
∂t
∂z
∂z
(6.28b)
worin D eff
sowie eff
effektive, d. h. von der Eigenart der Schüttung abhängige
ax
ax
Transportkoeffizienten sind. Es gilt in guter Näherung Gl. (6.16) sowie:
eff
eff
ax = 0 0.75 g RePr
(6.29)
Hierin bezeichnet dP den Korndurchmesser und eff
0 die Wärmeleitfähigkeit der Schüttung bei v=0.
λg ist die Wärmeleitfähigkeit der Reaktionsmasse, Re die Reynolds-Zahl und Pr die Prandtl-Zahl.
Für diese Kennzahlen ist anzusetzen;
Re=
vd p
Pr=
g
cP g
(6.30)
g
wobei ρ die Gasdichte, ηg die Gasviskosität und cP die spezifische Wärme des transportierten Gases
sind.
Im stationären Zustand gilt dann für Gl. (6.28):
0=−v
∂c1
∂2 c1
D eff
−1−s kc1
ax
∂z
∂z 2
0=−c P v
(6.31a)
∂T
∂2 T
 eff
− R H 1− s kc1
ax
∂z
∂z2
(6.31b)
Die Wilhelmschen Randbedingungen lauten für z=0,
v c 01=vc 1−Deff
ax
dc 1
dz
und
 eff
dT
vT 0=vT − ax
c P dz
(6.32a)
und
dT
=0
dz
(6.32b)
und für z=L,
dc1
=0
dz
Geht man davon aus, dass der Rohrreaktor hinreichend kurz ist, d. h.
L
50
dp
(6.33)
gilt, so beobachtet man Betriebsbereiche, bei denen für feste Betriebsbedingungen drei stationäre
Zustände möglich sind, was sich durch drei unterschiedliche Austrittstemperaturen TE dokumentiert
(s. Abb. 6.2).
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
Abb. 6.2:
38
Zusammenhänge zwischen T0 und Austrittstemperatur T(L) eines adiabatisch betriebenen Rohrreaktors,
berechnet nach dem eindimensionalen homogenen Reaktormodell mit Kolbenströmung und axialer
Rückvermischung (Raymond, R. L.; Amundson, N. R.: Can. J. Chem. Eng. 42, 173 (1964)
Wicke und Padberg haben diese theoretischen Aussagen am Beispiel der katalysierten COOxidation (dP = 0.33 cm, L = 6 cm) mit der in Abb. 6.3 gezeigten Anordnung experimentell
überprüft und in der Tat die Existenz von drei stationären Zuständen für feste Betriebsbedingungen
nachgewiesen (Abb. 6.4).
Abb. 6.3:
Messanordnung zur Bestimmung von
Temperaturprofilen in einer adiabatischen
Katalysatorschüttung
Abb. 6.4:
Mehrfach stationäre Lösungen bei der
CO-Verbrennung in einer kurzen
Kontaktschicht (u ist hier die
Leerrohrgeschwindigkeit!)
Quelle: E. Wicke und G. Padberg: Chem. Eng. Sci., 22 (l967), l035
Die Eindeutigkeit eines stationären Zustandes ist mit Blick auf Abb. 6.2 genau dann gegeben, wenn
der Temperaturverlauf T0=f(T(L)) keinen Buckel aufweist. Eine hinreichende Bedingung dafür ist,
dass
E A T ad
1
RT 0 T 0
(6.34)
gilt. Geht man zu langen Reaktoren über, bei denen
dP
50
L
(6.35)
ist, so erkennt man anhand der stationären Stoffbilanz, Gl. (6.31a), unter Berücksichtigung von
Gl. (6.16), dass
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
39
dc 1 1 d p d 2 c 1
− 
−1−s k c1=0
d  2 L d 2
(6.36)
gilt. In dieser Gleichung wurde wieder die Normierung
=
z
L
(6.37)
verwendet. Da man Gl. (6.36) auch in der Form
−


d
1 d p dc1
c 1−
−1−s  k c 1=0
2 L d
d
(6.38)
schreiben kann, stellt man fest, dass in allen Fällen, in denen das Konzentrationsprofil nicht zu steil
verläuft, der Einfluss der Rückvermischung auf die 1okalen Werte von c1 bei langen Reaktoren
keinen Einfluss hat. So ist in der Praxis oft dp = 5·10-3 m und L ≈ 20 m, d. h. es ist
1dp
≈10-4
2 L
(6.39)
Da ein Kornzwischenraum auch als kleiner Durchflussrührkessel aufzufassen ist, kann man
feststellen, dass ein Festbettreaktor unter den hier angenommenen Voraussetzungen als ein System
gekoppelter Durchflussrührkessel anzusehen ist, bei dem mehrere tausend Idealkessel
hintereinander geschaltet sind. Ein solches System verhält sich bekanntlich als ideales
Strömungsrohr. Da in einem solchen System keine mehrfach stationären Lösungen unter den
genannten Voraussetzungen möglich sind, unterscheiden sich kurze und lange Festbett-Reaktoren
deutlich im Umsatzverhalten. Dennoch ist auch bei langen, adiabatisch betriebenen FestbettReaktoren Vorsicht geboten, wenn in ihnen exotherme Reaktionen ablaufen.
Ihre Besonderheiten äußern sich darin, dass die stationären Zustände zwar gegenüber Störungen
stabil sind, jedoch empfindlich auf Änderungen der Werte der Betriebsbedingungen, z. B. der
Zulauftemperatur T0, reagieren. Wicke und Padberg haben dies am Beispiel einer CO-Oxidation in
einer 37 cm langen Kontaktschicht (dP = 0,33 cm) untersucht. Die Ergebnisse dieser Messungen
sind für feste Zulauftemperaturen (T0 = 420 K, Molenbruch CO im Zulauf y0 = 0,015) in Abb. 6.5
gezeigt, wobei die Leerrohrgeschwindigkeit (in der Abbildung abweichend von der hier benutzten
Nomenklatur mit u bezeichnet) geändert wurde.
Abb. 6.5:
Stationäre Temperaturprofile in langer
Katalysatorschicht.
Frischgas:T0 = 420 K, y0 = 0,015,
u ist hier die Gasleerrohrgeschwindigkeit
Abb. 6.6: Verhalten der Temperaturprofile in Abb. 6.5
bei stufenweiser Erniedrigung der FrischgasTemperatur. u = 7,7 cm/s, y0 = 0,02.
(Gestrichelt: instationäre, stromabwärts
wandernde Temperaturprofile).
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
40
Um diese Ergebnisse zu verstehen, muss man wissen, dass der verwendete Pt-Katalysator seine
Aktivität erst ab einer Temperatur von 160°C – 170°C voll entfaltet. Wählt man daher für das
Reaktionsgemisch eine Zulauftemperatur, die unter dieser ,,Anspringtemperatur“ liegt, so ist die
Wärmeerzeugung auf Grund der geringen Reaktionsgeschwindigkeit gering. Das Reaktionsgemisch
muss erst eine weite Strecke im Reaktor zurücklegen, bevor durch die Vorreaktion die
„Anspringtemperatur“ erreicht wird. Dieser Fall liegt bei u = 13,1 cm/s vor. Erniedrigt man die
Gasgeschwindigkeit und erhöht dadurch die Verweilzeit, so wird diese Temperatur früher erreicht.
Für hohe Verweilzeiten zündet das Gemisch bereits am Eingang.
Erniedrigt man bei am Eingang gezündeten Gasgemisch die Zulauftemperatur, so passen Ort der
Zündzone und Zulauftemperatur nicht mehr zusammen. Der Beginn der Hauptreaktion muss sich
daher in das Festbett hinein verlagern. Ist die Temperatur so stark abgesenkt, dass der Reaktionsort
außerhalb des Reaktors liegen muss, so wandert diese Zündzone vom Eingang des Reaktors durch
das Festbett. Man erhält eine sogenannte wandernde Brennzone (Abb. 6.6).
Eine solche Zone bleibt nur bei einem charakteristischen Wert für die Gasgeschwindigkeit, für die
Gaskonzentration und die Temperatur T0 ortsfest. Durch Änderung der Betriebsbedingungen kann
eine solche Brennzone im Reaktor daher verschoben bzw. zum Wandern gebracht werden.
6.4
Gekühlter Festbett-Reaktor
Im vorangehenden Abschnitt wurde fest gestellt, dass in den Festbett-Reaktoren der Praxis das
Ausmaß der Rückvermischung auf das Umsatzverhalten praktisch keine Rolle spielt. Solche
Systeme sind also ideale Strömungsrohre. Bei exothermen Reaktionen kann dann im adiabatischen
Betrieb eine sehr hohe Übertemperatur erreicht werden. Reaktionen dieser Art sind etwa die
katalytische Partialoxidation von Benzol zu Maleinsäureanhydrid mit Hilfe von VanadiumoxidKatalysatoren oder die Partialoxidation von o-Xylol zu Phthalsäureanhydrid:
Katalysator: Vanadiumoxid (V2O5)
ΔRH = -1750 kJ/mol
Reaktionstemperatur: 400-450 K, Druck: 2-5 bar
Katalysator: Vanadiumoxid (V2O5)
ΔRH = -1110 kJ/mol
Reaktionstemperatur: 380-410 K
Wird in diesen Fällen die Übertemperatur zu hoch, so wird ein erheblicher Anteil der Edukte wie
auch der Produkte zu CO2 und Wasser umgesetzt. Um dies zu vermeiden, wird man den
Rohrreaktor kühlen, was in der Regel durch Wärmeabfuhr über den Reaktormantel geschieht. Als
Kühlmedium dienen u. a. Salzschmelzen.
Auf der Basis des homogenen Reaktormodells hat man zur Berechnung des Umsatzverhaltens im
stationären Zustand nun von den folgenden Bilanzgleichungen auszugehen,
0=−v
∂c1
−1− s kc1
∂z
0=−c P v
∂T
2
− R H 1−s kc1 k W T K−T 
∂z
R
(6.40a)
(b)
worin εS die Schüttporosität, k die Geschwindigkeitskonstante der katalysierten Reaktion und c1 die
Konzentration des Kohlenwasserstoffs bezeichnen. Welsenaere und Froment haben das Beispiel der
Partialoxidation von o-Xylol eingehend studiert (siehe Chem. Eng. Sci. 25, 1503, 1970) und
festgestellt, dass anstelle von mehrfach stationären Lösungen nun – ähnlich dem Fall langer,
adiabatisch betriebener Festbett-Reaktoren – eine starke Empfindlichkeit der Profile c1(z) und T(z)
gegenüber Veränderungen der Zulaufbedingungen auftritt. Diese sogenannte Parametersensitivität
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
41
äußert sich hauptsächlich in der Ausbildung eines „hot spot“, der meistens eine
Katalysatordesaktivierung zur Folge hat. Abbildung 6.7 verdeutlicht diesen Sachverhalt anhand der
Partialdruckprofile für das o-Xylol (p0) und die Temperatur.
Steigert man den Partialdruck ausgehend von p0=1700pa, so bildet sich ein deutlich ausgeprägter
„hot spot“, der bei geringfügiger Erhöhung zur Ausbildung eines steilen Temperaturprofils führt,
das mit vollständigem o-Xylol-Umsatz einhergeht. Dieser „Runaway“ der Temperatur bei
p0=1920pa wird vermieden, wenn
E A T m−T 0
⋅
1
RT m T m
(6.41)
für T0 = TK ist. Tm bezeichnet den höchsten Wert der Temperatur im Reaktor, den man noch zulassen
kann. Gleichung (6.23) wird als „Runaway Kriterium von Fromment et al.“ bezeichnet.
Wie man der Abb. 6.7 entnimmt, lassen sich Temperaturmaxima in den Temperaturprofilen
gekühlter Festbett-Reaktoren kaum vermeiden. Ursache dafür ist, dass der Wärmetransport in
Schüttschichten auf Grund der geringen Kontaktfläche der Körner untereinander und der Körner mit
der Wand zu gering ist. Bei stark exothermen Reaktionen wird man daher nicht gerade FestbettReaktoren auswählen. Ein Ausweg könnten Wirbelschichtreaktoren sein, in denen auf Grund des
guten Wärmeüberganges eine bessere Temperaturkontrolle möglich ist. Leider wirft der Einsatz
einer Wirbelschicht ein Scale-up-Problem auf. Der Ausweg aus dieser Zwickmühle ist ein
Rohrbündelreaktor, in dem alle Katalysatorkörner gleichzeitig Kontakt zur Reaktorkühlung haben
(s. Abb. 6.8d)
In der Praxis sind in einem solchen Reaktor 10000 und mehr Rohre parallel angeordnet, die vom
Kühlmedium umspült werden. Die oben genannten Partialoxidationen werden heute in solchen
Reaktoren mit Erfolg durchgeführt.
Abb. 6.7:
Partialdruck- und Temperaturprofile über der axiale Ortskoordinate in einem Rohrreaktor,
berechnet für das Beispiel der o-Xylol-Oxidation zu Phthalsäureanhydrid an V2O5Katalysatoren mit Hilfe des elementaren Reaktormodells.
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
a)
Abb. 6.8:
b)
42
c)
d)
Reaktortypen zur Durchführung heterogen katalysierter Reaktionen:
Grundtypen von Festbett-Reaktoren
a) Vollraumreaktor
b) Hordenreaktor
c) Rohrbündelreaktor
d) Radialstrom-Konverter
6.5
Das Konzept des Katalysator-Nutzungsgrades bei nichtisothermer Reaktionsführung
In der bisherigen Diskussion der Beschreibung von Festbettreaktoren wurde angenommen, dass die
Gasphase im Reaktor dieselbe Temperatur wie die Katalysatorphase aufweist. Mit der Angabe der
stationären Bilanzgleichungen (6.31) wurde zudem stillschweigend unterstellt, dass die gesamte
Katalysatorphase für die Reaktion zur Verfügung steht. Es stellt sich allerdings die Frage, ob dies in
der Praxis in jedem Fall zutreffend ist, insbesondere dann, wenn im Korn eine stark exotherme
Reaktion abläuft.
Der Ansatz in Gl. (6.31) ist sicher dann brauchbar, wenn bei der zu Grunde gelegten Reaktion
R1 + R2 = 2R3
mit
rV = k1c1
der Katalysator dieselbe Temperatur wie die Gasphase hat und für die Katalysator-Kennzahl

k 1 R2P
=
3
D eff
(6.42)
gilt. Hierin bezeichnen RP den mittleren Radius der Katalysatorteilchen und Deff den effektiven
Diffusionskoeffzienten für die Diffusion von R1 im Porensystem des porösen Katalysators. Trifft
Gleichung (6.42) zu, so gilt für den Porennutzungsgrad η in guter Näherung:
≈1
Ist die Katalysator-Kennzahl größer als 3, so verarmt das Korn aufgrund der hohen
Reaktionsgeschwindigkeit sehr stark an Komponente R1. Der Katalysator-Nutzungsgrad fällt unter
den Wert von 1 und es gilt in brauchbarer Näherung:
=
3

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(6.43)
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
43
Im Reaktionsterm hat man dann k1 durch k1eff zu ersetzen, wobei
3
eff
k 1 = k 1= k 1

(6.44)
gilt. Die Gleichungen bleiben ansonsten unverändert.
Falls die lokale Gastemperatur und die lokale Korntemperatur im Reaktor gleich sind, erleichtert
das Nutzungsgrad-Konzept die Ermittlung des Umsatzverhaltens eines Festbettreaktors in allen
Fällen, in denen die über das Korn gemittelte Konzentration des Eduktes R 1 erheblich unter dem
lokalen Wert im Gasraum liegt.
Nun ist allerdings zu erwarten, dass die Temperatur in der Umgebung eines Katalysator-Korns dann
nicht mehr mit der Korntemperatur übereinstimmt, wenn im Korn eine stark exotherme Reaktion
bzw. eine stark endotherme Reaktion abläuft. Die Frage stellt sich daher, ob auch diesen Fällen das
Nutzungsgrad-Konzept bei der Ermittlung des Umsatzverhaltens eines Festbettreaktors so helfen
kann, wie in dem genannten Beispiel.
Um dies zu prüfen, hat man nun die Stoff- und die Wärmebilanz für ein einzelnes Katalysator-Korn
vom Radius RP anzuschreiben und zu lösen, d. h. die Profile von c1 und T als Funktion der
Ortskoordinate r im stationären Zustand zu bestimmen. Sie lauten im Fall der Kugelgeometrie:


0=
dc1
1 d
2
r
D
−k 1 c 1
eff
dr
r 2 dr
0=
1 d
dT
r 2  eff
− R H k 1 c1
2 dr
dr
r

(6.45a)

wobei c1 = c1E und T = Tg für r = RP und aus Gründen der Symmetrie
gelten muss.
(6.45b)
dc1
=0
dr
und
dT
=0
dr
für r = 0
Aus Gleichung (6.45) folgt unmittelbar,
 
 
− R H D eff d
dc
d 2 dT
r
=−
r2 1
dr
dr
dr
dr
 eff
(6.46)
woraus durch Integration
r2
− R H Deff 2 dc1
dT
=−
r
dr
dr
eff
(6.47)
folgt. Integriert man diese Gleichung erneut, so folgt aus
T
∫dT =−
− R H D eff
 eff
Tg
c1
∫dc 1
(6.48)
g
c1
sofort
T−T g =−
− R H D eff
eff
c 1−c1g 
(6.49)
Bezeichnet T = Ti die Temperatur im Kornzentrum und c1 = c1i die Konzentration von R1 am selben
Ort, so gilt mit Gl. (6.49) insbesondere
T i−T g=
− R H  Deff
 eff
c g1 −ci1 
(6.50)
wenn das Korn sich gegenüber dem Gasraum mit der lokalen Temperatur Tg aufheizt, so ist dort die
Reaktion häufig so schnell, dass c1i = 0 ist. In einem solchen Fall gilt:
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Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
T i−T g − R H Deff g
=
c1 =
Tg
 eff T g
44
(6.51)
Die relative Kornübertemperatur β ist also umso größer, je höher die Reaktionsenthalpie der
exothermen Reaktion und je kleiner die Wärmeleitfähigkeit des Korns λeff ist.
Da auch im vorliegenden Fall eine der Adiabatenbilanz analoge Beziehung gilt, siehe Gl. (6.49), hat
man zur Berechnung der Profile lediglich eine Bilanzgleichung zu lösen. Verwendet man dazu die
Stoffbilanz, Gl. (6.45a), so erhält man mit der Variablen
c1
y=
(6.52)
c 1g
aus Gl. (6.49) die Beziehung
T=T g  1− y−1
(6.53)
und damit aus der Stoffbilanzgleichung:
−E A
2
d 2 y 2 dy RP k 0 RT g[1− y−1]

=
ye
d 2  d  D eff
(6.54)
Diese Differentialgleichung muss unter den Bedingungen
für =
y=1
dy
=0
d
r
=1
RP
(6.55)
für =0
integriert werden. Hat man y = y(κ) bestimmt, kennt man T(κ) und c1(κ). Da für den Nutzungsgrad η
anzusetzen ist,
=
1
k 1 T g c g1
1
∫42 k 1c1d 
(6.56)
0
worin
−E A
k 1 =k 0 e
RT 
ist, ist dieser bei Kenntnis der Profile anhand von Gleichung (6.56) zu berechnen. Da dies nur
numerisch möglich ist, hilft das Nutzungsgrad-Konzept in diesen Fällen wenig bei der Ermittlung
des Umsatzverhaltens.
Weisz und Hicks haben anhand der mitgeteilten Zusammenhänge den Nutzungsgrad ηN als Funktion
der Katalysator-Kennzahl

(6.57)
EA
RT g
(6.58)
k 1 T g R2P
g=
D eff
für verschiedene Werte von β nach Gl. (6.51) sowie unterschiedlichen Werten für
=
berechnet. Die Ergebnisse zeigt Abb. 6.9.
Es überrascht nicht, dass bei
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover
Grundlagen der Technischen Reaktionsführung
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 g 3
mehrfach stationäre Lösungen für die Differentialgl. (6.54) erhalten werden, liegt doch für ein
Katalysatorkorn eine Kopplung von Wärmeerzeugung und Wärmeabfuhr durch Leitung vor.
Allerdings wird dieser Bereich nur bei geringen Werten für λeff erreicht, d. h. für relativ hohe
positive Werte für β. Weisz nannte dies einmal den ,,Heuhaufen-Effekt“.
Abb. 6.9:
Nutzungsgrad ηN eines nicht-isothermen sphärischen Katalysatorkorns bei einer Reaktion l.
Ordnung als Funktion der Katalysatorkennzahl Φ.
Ergebnisse nach Modellrechnungen von P. B. Weisz und J. S. Hicks, Chem. Eng. Sci. 17, 265.
(1962).
Prof. Dr. Diethard Hesse, Prof. Dr. Karl-Heinz Bellgardt, Institut für Technische Chemie der Leibniz Universität Hannover

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