Kapitel aus der Tschechischen Geschichte - Stalin

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Kapitel aus der Tschechischen Geschichte - Stalin
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Kapitel aus der Tschechischen Geschichte - Stalin-Monstermonument: Vor 50 Jahren
auf Befehl aus Moskau gesprengt
[ 2012-11-10 ] Autor: Jitka Mládková
Es war als Geschenk und vor allem Danksagung gedacht: das Denkmal des sowjetischen Diktators Josef
Stalin. In aller Ewigkeit sollte Stalin in überdimensionaler Granitgestalt von einer Anhöhe auf Prag
hinabschauen. Enthüllt wurde das Monument mit viel Pomp am 1. Mai 1955. Doch Stalin und das
Figurengefolge blieben nicht, wie eigentlich vorgesehen, für alle Zeiten verewigt auf der Letná. 1962 bereits
wurde der tonnenschwere Granitklotz wieder abgetragen. Im November vor 50 Jahren wurden die
wochenlangen Arbeiten dann beendet. Die Entstehung und Zerstörung des Stalin-Denkmals sowie das
tragische Schicksal des Bildhauers Otakar Švec hat vor einiger Zeit den in Wien lebenden Tschechen Rudolf
Cainer inspiriert, einen Roman zu schreiben. Das Buch hat Cainer vor einiger Zeit in Prag vorgestellt.
Rudolf Cainer
„Ich habe sehr lange Dokumente in verschiedenen Archiven
studiert, wollte aber nicht authentische Daten in einem
Sachbuch zusammentragen. Von Anfang an dachte ich an
einen Roman über die Menschen, die das Stalin-Denkmal
gebaut haben. Die Bauarbeiten waren mit Schwierigkeiten
verbunden, die man sich kaum vorstellen kann. Mit den
Problemen hatte man bis dahin keine Erfahrungen, sie wurden
erst im Lauf der Bauarbeiten gesammelt. Eine Zeitlang galt es
sogar als fraglich, ob der Denkmalentwurf überhaupt
realisierbar ist. Doch die Leitidee der Auftraggeber war
entscheidend. Daher schreckte man weder vor den Problemen
noch vor den Kosten zurück. Statt vorgesehener zwei Jahre
dauerte die Bauzeit fast fünf Jahre. Das spielte allerdings keine
Rolle, weil das Denkmal für die Ewigkeit gedacht war. Hierfür
waren die besten Leute und das beste Material gerade das
Richtige.“
Stalin-Denkmal
Am 18. Dezember 1949 feierte Josef Wissarionowitsch Stalin
seinen 70. Geburtstag. Aus diesem Anlass organisierte die
tschechoslowakische Regierung eine sonderbare
Unterschriftenaktion, bei der innerhalb von vier Tagen rund
neun Millionen Bürger Glückwünsche für Stalin
unterzeichneten. Schon seit geraumer Zeit dachten die
Kommunisten auch daran, ein Denkmal des Sowjet-Herrschers
in Prag aufzustellen. Sein runder Geburtstag passte der seit
1948 herrschenden Staatspartei ins Konzept. Am 22. Dezember
1949 erfolgte die Grundsteinlegung. Die Stalin-Statue sollte als
das europaweit größte Denkmal gebaut werden. Auf die
Spuren seiner Entstehung hat sich Rudolf Cainer begeben, der
1968 nach Wien emigrierte. Er ging dem originellen Gedanken
nach, die in Archiven aufgestöberten Fakten in einem Roman
zu verarbeiten. Warum?
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den von Švec entschieden hatte, atmeten viele seiner Kollegen
auf, weil sie die Hauptverantwortung für das megalomane
Bauwerk nun nicht übernehmen mussten. Es war offenbar ein
Wettbewerb, in dem nur wenige gewinnen wollten. Der
siegreiche Bildhauer geriet folglich unter großen Druck. Er
musste zunächst ein ein Meter hohes und danach ein drei
Meter hohes Modell anfertigen. Dem zweiten Modell sollte
nach Wunsch von Regierungschef Zápotocký bereits
anzusehen sein, dass es sich um ein Denkmal „des mutigen
Mannes“ Stalin handelt. In einem Protokoll über das Treffen
von Regierungsvertretern mit Švec und weiteren Künstlern
hieß es, der Autor des Entwurfs scheine Angst zu haben, seine
Ideen umzusetzen.
Otakar Švec
Die Protagonisten des Romans „Stalin aus Granit“ sind
keineswegs fiktiv. Allen voran der damals 58-jährige
Bildhauer Otakar Švec:
„In der Zwischenkriegszeit war er ein sehr berühmter und
erfolgreicher Bildhauer. Nach der Machübernahme durch die
Kommunisten im Jahr 1948 wurde eine Ausschreibung für das
Stalin-Denkmal in die Wege geleitet. Alle angesprochenen
Bildhauer waren verpflichtet, daran teilzunehmen, unter ihnen
auch Otakar Švec. Seine Idee, nicht nur Stalin allein, sondern
gemeinsam mit einer Gruppe von acht allegorisch dargestellten
Volksvertretern als Monument aufzustellen, hat letztlich den
ersten Preis gewonnen. Danach musste er sein Konzept
umsetzen.“
Roman von Rudolf Cainer
Befragt wurde auch das Volk. Švecs Skizzen, Modelle und
Zeichnungen wurden öffentlich ausgestellt, und auch von
dieser Seite mangelte es nicht an kritischen Stimmen. Das
Konzept des Denkmals wurde bis ins letzte Detail diskutiert.
Zum Beispiel, warum Stalin am Westufer der Moldau stehen
soll, wenn er eigentlich aus dem Osten kam - nämlich in
Vertretung der Roten Armee.
Die Arbeiten an der Figurengruppe, die 1952 aufgenommen
wurden, erwiesen sich in der Tat als außerordentlich harte
Nuss: 30 Meter Gesamthöhe einschließlich des mehrstöckigen
Podestes, davon die Figuren allein 15 Meter hoch. Die Länge
des Denkmals sollte 22 Meter betragen, wobei allein Stalins
Schuh schon 2 Meter maß. Auf Stalin, der in der Figurgruppe
voranschritt, folgten auf der einen Seite symbolisch Vertreter
der Tschechoslowakei: ein Arbeiter, eine Bäuerin, ein Erfinder
und ein Soldat. Auf der anderen Seite von Stalin wurde
wiederum die Sowjetunion repräsentiert: durch einen Arbeiter,
eine Kolchosarbeiterin, einen Wissenschaftler und einem
Rotarmisten.
Otakar Švec mit einem Modell des StalinDenkmals (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Insgesamt 54 Bildhauer und Architekten hatten innerhalb von
einem Dreivierteljahr jeweils einen Entwurf für das StalinDenkmal vorbereitet. Nachdem sich die aus acht Ministern und
dem Premierminister bestehende Regierungskommission für
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wurde sie im vergangenen Jahr beim Londoner Auktionshaus
Sotheby´s für rund 140.000 britische Pfund verkauft. Außer
dem „Motorradfahrer“ hat sich Cainer auch mit anderen
Werken des zum Teil tatsächlich vergessenen Bildhauers sowie
mit dessen Lebensgeschichte vertraut gemacht. Wie war
danach aber der Weg zum Roman „Stalin aus Granit“?
Stalin-Denkmal
Am 1. Mai 1955 war es so weit: Der 17 Tonnen schwere
Beton- und Granitkoloss wurde feierlich eingeweiht. Seine
Maße eigneten sich nicht für eine klassische Enthüllung.
Otakar Švec war allerdings nicht mehr dabei. Vier Wochen
zuvor hatte er Selbstmord begangen. Die Nachricht von seinem
Tod durfte nicht veröffentlicht werden. Auch war sein Name
nicht am Denkmal zu finden. Bei der pompösen
Einweihungsfeier wurde das tschechoslowakische Volk zum
Denkmalautor erklärt. Der in der Zwischenkriegszeit auch
international bekannte Otakar Švec sollte in Vergessenheit
geraten. Womit hat er viele Jahre später dann das Interesse von
Rudolf Cainer erweckt?
Rudolf Cainer: „Stalin aus
Granit“
„Zuerst habe ich nach 20 Jahren zu Besuch in die
Tschechoslowakei kommen dürfen, also nach der politischen
Wende 1989. Im Lauf der Zeit reifte in meinem Kopf die Idee,
ein Buch über das Stalin-Standbild zu schreiben. Ich fing an,
Dokumente und Fakten zu sammeln und anschließend nach
Zeitzeugen zu suchen. Nach 50 Jahren war es schwierig, sie zu
finden. Immerhin, ich habe doch noch etliche Bildhauer
gefunden, die seinerzeit an dem Monsterwerk beteiligt waren.
Heute leben sie nicht mehr. Viele Informationen habe ich auch
von Josef Klimeš bekommen, der die spätere Zerstörung des
Stalin-Standbilds fotografierte.“
Dem Monsterbau, der im Stadtbild der unweit gelegenen
Prager Burg Konkurrenz machen sollte, waren allerdings nur
rund siebeneinhalb Jahre beschieden. Nach dem politischen
Tauwetter in Moskau, ausgelöst durch Chruschtschows Kritik
an seinem Vorgänger, erhielten auch die Genossen in Prag
Signale, dass das Stalin-Monument in ihrer Stadt nicht mehr
erwünscht sei. Darauf reagierte die tschechoslowakische
Führung aber nicht. Auf dem Parteitag von 1961 kritisierte
Chruschtschow erneut Stalin und ließ auch dessen
mumifizierten Körper aus dem Mausoleum an der Kremlwand
entfernen. Anfang des Jahres 1962 kam dann der Befehl aus
Moskau, sich vom Stalin-Denkmal zu verabschieden. Diesen
Befehl konnte man in Prag nicht mehr ignorieren. Auf
Anweisung der Staatsparteiführung mit Antonín Novotný an
der Spitze musste der Standbildriese gesprengt werden.
„Sunshine – der Motorradfahrer“ von Otakar
Švec
„Der Impuls war seine Plastik eines Motorradfahrers, mit der
Otakar Švec den ersten Preis auf einer Ausstellung in Paris
gewonnen hat. Dadurch ist er berühmt geworden. Er hat
wunderschöne Plastiken, Büsten und Statuen geschaffen.
Einige sind heute noch vorhanden, einige wurden aber als
tendenziöse Werke zerstört: zunächst unter den Nazis und
nachfolgend auch unter den Kommunisten.“
Die futuristische Bronzeplastik, die Švec als „Sunshine – der
Motorradfahrer“ bezeichnete, gehört zu seinem Frühwerk. Als
Teil des Privatnachlasses von Norman und Suzan Hascoe
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Allerdings „respektvoll“, wie es offiziell hieß.
Dieser Beitrag wurde am 21. April 2012 gesendet. Heute
konnten Sie seine Wiederholung hören.
Sprengung des Stalin-Denkmals 1962
Es war prinzipiell eine schwierige Aufgabe, den aus
Betonmasse und schweren Granitplatten bestehenden Koloss,
der durch eine Eisenbetonkonstruktion tief im Boden verankert
war, von der Erdoberfläche verschwinden zu lassen. Zunächst
wurden Stalins Kopf sowie die Häupter der restlichen Figuren
mit Presslufthämmern zerstört und erst danach die restliche
Masse mit Dynamit gesprengt. Ein Teil des Podestes blieb
erhalten, weil sonst eine Erosion am Hang der Letná drohte.
Jegliches Fotografieren und Filmen der Sprengung waren
strengstens verboten, an eine offizielle Dokumentation war
schon gar nicht zu denken. Die Originalfotos, die im Buch von
Rudolf Cainer zu finden sind, hat der von Cainer erwähnte
Zeitzeuge Josef Klimeš natürlich illegal gemacht.
Ort des ehemaligen Stalin-Denkmals heute
Die Beseitigung des Stalin-Denkmals dauerte mehrere
Wochen. Erst im November 1962 wurde sie beendet. Einen
Teil der Steine nutzte man für den Straßenbau, der Rest landete
in einem toten Arm der Moldau. 1988 befasste sich das
Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der
Tschechoslowakei mit dem Gedanken, auf der Letná eine neue
Dominante aufzustellen. Der politische Umbruch im
November 1989 machte dem jedoch dann einen Strich durch
die Rechnung.
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