Diercke - E. Dorner

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Diercke - E. Dorner
Diercke 360°
UNTERRICHTSEINHEIT
SEKUNDARSTUFE II
Diercke Weltatlas Magazin
zur Autorin: Ina Bartels
Referendarin am Studienseminar Hameln
St. Ulrich (Italien) –
wenn der Tourismus zur Belastung wird
Seit mehr als 100 Jahren besuchen Touristen das weltbekannte Grödnertal
in Südtirol. Grundlegend für diese Entwicklung war zum einen die frühe
Anbindung an das Fernstraßennetz, zum anderen die Grödner Schmalspurbahn (1915/16).
Zu Beginn der touristischen Erschließung gab es nur den einsaisonalen
Sommerfremdenverkehr mit ca. 7000 Übernachtungen. Heute dominiert
der Wintertourismus mit bis zu 1,4 Millionen Übernachtungen (2008/2009)
pro Saison. Diese Entwicklung hat positive wie negative Auswirkungen
auf die Region, ihre Natur, Struktur und die Bewohner.
Das Grödnertal
Das Grödnertal bezeichnet ein ca. 25 km
langes Seitental des Eisacktales, das im
Nordwesten der Südtiroler Dolomiten
liegt (Diercke Atlas Österreich, Seite
20/21). Es erstreckt sich von Waidbruck
(471 m) hinauf bis zum Sellastock bzw.
den Passübergängen Sella- und Grödnerjoch (über 2200 m).
Gemessen an der Einwohnerzahl ist
St. Ulrich mit 5500 Einwohnern das
größte Dorf der Region. Es folgen
Wolkenstein mit 2500 und St. Christina
mit 1760 Einwohnern.
Tourismus im Grödnertal
Zu Beginn der touristischen Erschließung des Grödnertals dominierte der
Sommertourismus, in den 1950er-Jahren
kam der Wintertourismus hinzu. Der
Boom setzte ein mit der Austragung der
Alpinen Skiweltmeisterschaft im Jahr
1970. Aufgrund seiner Höhenlage hat das
schneesichere Wolkenstein heute das
höchste Übernachtungsaufkommen.
In der Saison 2008/2009 übernachteten
im Grödnertal 1,4 Millionen Gäste in der
Wintersaison und 0,9 Millionen Gäste in
der Sommersaison. Die durchschnittliche Übernachtungsdauer liegt bei 5,1
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Nächten. Pro Tag geben die Urlauber 150
Euro für Essen, Unterkunft etc. aus.
1-Stern-Betriebe und Privatzimmer
verzeichneten 2009 im Verhältnis zum
Vorjahr große Einbußen bei den Übernachtungen. Zuwächse sind deutlich bei
den 4- bis 5-Sterne-Betrieben und bei
„Urlaub auf dem Bauernhof“-Betrieben
zu erkennen. Einen neuen Aufschwung
erlebten 2009 auch die Campingplätze,
nachdem diese in den vergangenen
Jahren rückläufige Übernachtungszahlen zu verzeichnen hatten.
Umweltbelastungen durch Tourismus
Mit dem Wandel von der traditionellen,
bäuerlichen Kulturlandschaft zur
„urbanen Erholungslandschaft“ inklusive
des Ausbaus im Tourismussektor
(Herbergen, Infrastruktur etc.) gehen
eine Vielzahl von Umweltbelastungen
einher.
In den Orten St. Ulrich, St. Christina und
Wolkenstein kommt es zu einer starken
peripheren Zersiedlung bei gleichzeitiger Verdichtung der Ortskerne. Das
traditionell gewachsene Ortsbild wird
dadurch stark verändert und überformt.
Wolkenstein um 1900 und 2003
Eine Folge ist die zunehmende Oberflächenversiegelung. Verstärkt werden
diese Tendenzen durch den Bau
flächenintensiver touristischer Anlagen
(z. B. Hallenbäder, Golfplätze). Häufig
werden die neuen touristischen Freizeitanlagen in ökologisch labile Höhen- und
Hangbereiche gebaut.
Untersuchungen der Verkehrsbelastung
im Grödnertal zeigten außerdem, dass
das Verkehrsaufkommen im Vergleich
zum benachbarten Villnößtal zehnmal
höher ist. Im Oberboden des inneren
Grödnertals wurden erhöhte Bleiakkumulationen festgestellt (ca. 275 mg/1000
ppm). Die Tallagen der Urlaubsorte im
Grödnertal begünstigen zudem eine
erhöhte, verkehrsbedingte Schallimmission. Aufgrund der im Winter häufig
vorkommenden Inversionswetterlagen
kommt es außerdem zu einer starken
Luftbelastung. Die ursprüngliche
Erholung der Gäste in den Kurorten ist
durch die steigenden Touristenzahlen
gefährdet.
Problematisch ist im Zusammenhang
mit den steigenden Touristenzahlen
zudem die Entsorgung von Müll und
Abwässern. Zur Erhaltung der Wasserqualität muss daher eine flächendeckende Klärung der Abwässer
durchgeführt werden.
Fallbeispiel: Seilbahnen
Vor allem in Südtirol lassen sich die
landschaftszerschneidenden Auswirkungen der Seilbahnen, deren Standorte
sich in Hochlagen befinden, feststellen.
Ursache ist dabei die Dominanz des
Wintertourismus. Die Folge ist eine
ganzjährige Nutzung der Liftanlagen
(Hauptliftanlagen): im Winter durch den
Skitourismus, im Sommer durch Wanderund Klettertourismus.
Besonders verheerend sind die Auswirkungen der Liftanlagen-Expansion in
den labilen Hochwaldlagen und den
sensiblen Standorten oberhalb der
Baumgrenze. Zwar nimmt der Bestand
an Seilbahnen von 1970 (86 Liftanlagen)
bis heute ab (2008: 78 Liftanlagen), dies
liegt jedoch daran, dass die Investoren
verstärkt auf technologische Neuerungen zur Maximierung der Förderungsleistung setzten – d. h. de facto
gibt es weniger Seilbahnen, die jedoch
mehr Passagiere pro Stunde transportieren können. Mittlerweile ist die Region
Gröden/Seiser Alm dank ihrer Förderkapazitäten von maximal 105 072 Personen
pro Stunde das Skigebiet mit der
höchsten Förderleistung in Südtirol
(2008).
Tourismus versus Umweltschutz
Im Gegensatz zum weltweiten Tourismusboom stagniert der Alpentourismus
seit einigen Jahren. Gleichzeitig steigt
aber der Investitionsbedarf (Schneekanonen, leistungsfähige Liftanlagen,
Neuerschließungen).
Vor diesem Hintergrund planen die
Südtiroler Gemeinden eine neue
Liftverbindung von der Seiser Alm
(Saltria) nach Monte Pana (Gemeindegebiet St. Christina). Der geplante Verbindungslift soll 4 km lang sein und auf 32
Stützen gebaut werden.
Protest gegen diese Planung regt sich
durch die CIPRA*. Der Dachverband für
Natur- und Umweltschutz weist darauf
hin, dass das von der Erschließung
betroffene Gebiet als Puffer- und
Ruhezone zwischen den touristisch stark
erschlossenen Gebieten erhalten
bleiben muss.
* CIPRA (Commission Internationale pour
la Protection des Alpes): Eine nichtstaatliche Dachorganisation von über 100
Organisationen aus dem gesamten
Alpenraum. Sie setzt sich seit über
einem halben Jahrhundert für eine
nachhaltige Entwicklung in den Alpen
ein. Die CIPRA wurde 1952 gegründet.
Vankan, L. (Hrsg.), Rohwer, G., Schuler, S.: Diercke
Methoden – Denken lernen mit Geographie.
Braunschweig 2007. Darin: Kapitel 8, Mystery,
S. 106–120.
Zegler, J.: Seilbahnen in Südtirol 2008. Hrsg.:
Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Amt für
Seilbahnen. Bozen 2009.
Links:
www.valgardena.it/de/
www.groednertal.com
Das Thema im Unterricht
Mysterys eignen sich besonders gut
zum Einstieg in ein Thema.
Mithilfe des Mysterys „Muss Maria
umziehen?“ (M1) können folgende
Themen erarbeitet werden:
• Chancen und Risiken des Skitourismus/Massentourismus
• Welche Interessengruppen gibt es
und in welcher Beziehung stehen
diese zueinander?
• Welche Maßnahmen müssen für
nachhaltigen Tourismus ergriffen
werden?
Kennen die SchülerInnen noch keine
Mysterys, so sollten Sie mit ihnen
zuvor ausführlich die Anleitung (M2)
besprechen.
Im Anschluss an das Mystery bearbeiten die SchülerInnen (evtl. als Haus­
aufgabe) folgende Aufgabe mithilfe
der erarbeiteten Inhalte.
Diskutieren Sie schriftlich unter
Berücksichtigung Ihrer Ergebnisse aus
Aufgabe 1 das Thema „St. Ulrich
(Italien) – wenn der Tourismus zur
Belastung wird“. Gibt es Lösungsansätze für diese Problematik?
Literatur:
CIPRA: Geplante Skigebietserweiterung in Südtirol.
In: CIPRA alpMedia.net. 5/2002, S. 2. (http://www.
cipra.org/pdfs/30_de/)
Meurer, M.: St. Ulrich (Italien) – Fremdenverkehr
und Umweltbelastung. In: Diercke Weltatlas
Handbuch. Braunschweig 2008, S. 203–204.
(s. auch www.diercke.de –> Erläuterungen zur
Atlaskarte Diercke S. 103.4)
Prugger, B., Zuegg, A.: Südtirol in Zahlen. Zahlen
und Fakten 2009. SMG Bozen.
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Autorin: Ina Bartels
Diercke 360° 2/2010 COPY
M 1 Mystery: Muss Maria umziehen?
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Für den Liftbau müssen
Schutzwälder gerodet werden, die
Skipisten zerstören die schützende
Grasnarbe und der Hotelbau zersiedelt die
traditionellen Dörfer.
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Tims Vater hat für alle den „DolomitiSuper-Skipass“ gekauft. Damit können sie
die Kabinenbahn nutzen und müssen
nicht so lange am Sessellift warten.
Herr Graser betreibt ein Skiliftunternehmen und das 4-Sterne-Hotel
„Dolomiti“.
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Dieter und Peter beschließen, an der
Demonstration der CIPRA teilzunehmen,
um für den Erhalt der alten Pension
„Lichtblick“ zu kämpfen.
Damit der Weg zur Skipiste morgens
nicht zu weit ist, wohnen Tim und seine
Eltern in einem Hotel direkt an der neu
eröffneten Kabinenbahn.
Heike und Stefan sind Mitglieder der
CIPRA. Das ist der Dachverband „Naturund Umweltschutz Südtirol“.
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Sollte die Pension „Lichtblick“
abgerissen werden, würden Dieter und
Peter ihren Urlaub nicht mehr in St.
Ulrich verbringen.
Das 4-Sterne-Hotel „Dolomiti“, in dem
Tim und seine Eltern wohnen, hat auch
einen Pool, einen Wellness-Bereich und
eine kleine Diskothek.
Herr Graser besitzt drei Schlepp- und
vier Sessellifte am Pitzberg. Sein ganzer
Stolz ist die neue Kabinenbahn, in der
zwölf Personen gleichzeitig sitzen
können.
Tim (10) und seine Eltern fahren dieses
Jahr mit dem Auto nach St. Ulrich in den
Skiurlaub.
Mithilfe einer Demonstration an
der neuen Kabinenbahn will CIPRA die
Touristen darauf aufmerksam machen,
dass der Tourismus die Natur im Grödnertal stark belastet und zerstört.
Maria will nicht, dass die Pension
„Lichtblick“ abgerissen wird, denn das
Haus ist ihr Zuhause. Außerdem haben
schon ihre Uroma und Oma hier gewohnt
und die Pension geführt.
Tims Mutter war es besonders wichtig,
dass viele Pisten in der Nähe vorhanden
sind, damit es nicht so schnell langweilig
wird.
70 % der Gäste des Grödnertals
schlafen in 3- bis 4-Sterne-Hotels. Die
Übernachtungszahlen in den einheimischen Pensionen sind stark zurückgegangen.
Herr Graser will ein 4-Sterne-Hotel
mit angeschlossener Kabinenbahn ins
neu geplante Skigebiet am Außerraschötz bauen lassen. Das Hotel soll
„Lift&Loft“ heißen.
Marias Mutter kann kein Personal
mehr bezahlen. Sie putzt, kocht und
bedient die wenigen Stammgäste selbst.
Maria hilft ihr dabei.
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Auf dem Grundstück, auf dem Herr
Graser sein Hotel „Lift&Loft“ bauen will,
steht noch die alte Pension „Lichtblick“.
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Wenn weiter so wenige Gäste
kommen, muss Marias Mutter die Pension
verkaufen. Die beiden müssten dann in
eine Wohnung umziehen.
Dieter und Peter benutzen selten
den Lift, sondern machen Skiwanderungen. Sie möchten die Natur genießen,
abseits von den Menschenmassen.
Seit die großen Luxushotels gebaut
werden, kommen immer weniger Gäste
in die einfache Pension „Lichtblick“.
Dieter und Peter fahren schon seit
15 Jahren mit der Bahn nach St. Ulrich und
machen in der Pension „Lichtblick“
Urlaub.
Für das Projekt braucht Herr Graser ein
großes Grundstück, das nah am Berghang
liegt.
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Von dem eingenommenen Geld
kann Marias Mutter nur das Nötigste (z. B.
Reparaturen) bezahlen. Geld für einen
Urlaub oder ein neues Fahrrad, das Maria
braucht, ist nicht übrig.
Pro Fahrgast nimmt Herr Graser
durchschnittlich 30 € pro Tag ein. An
manchen Tagen fahren fast 2000
Personen pro Stunde mit seiner Kabinenbahn.
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bearbeitet von:
Marias Mutter hat ein gutes Angebot
von Herrn Graser bekommen. Der möchte
das 100 Jahre alte Haus abreißen und
seinen neuen Kabinenlift samt Hotel für
die Touristen an diese Stelle bauen.
Jede Wintersaison übernachten ca. 1,4
Millionen Gäste im Grödnertal.
Jeder Tourist bleibt im Durchschnitt
5,1 Nächte und gibt pro Tag ca. 150 €
für Essen, Unterkunft und Sportausrüstung aus.
Im Skigebiet Grödnertal gibt es
insgesamt 79 Lifte (3 Seilbahnen, 7
Kabinenbahnen, 28 Schlepplifte und
41 Sessellifte).
Maria (10) wohnt in St. Ulrich. Ihre
Mutter betreibt dort die kleine Pension
„Lichtblick“. Die Pension ist ein Familienbetrieb und wird seit Generationen
vererbt.
Mit der Demonstration möchte
die CIPRA für nachhaltigen und
sanften Tourismus werben und gegen
das neue Skigebiet am 2282 m hohen
Außerraschötz protestieren.
Autorin: Ina Bartels
M 2 Anleitung Mystery
Die Methode „Mystery“ gilt als Möglichkeit, Prozesse des
vernetzten Denkens, der Analyse von gegebenen Materialien
und der Wissenskonstruktion zu erlernen und zu üben. Das
Mystery folgt dabei der Tradition des problemorientierten
Unterrichts und besteht aus zwei Grundelementen: der
Leitfrage und den Informationskärtchen zum Fallbeispiel.
Aufgabe der SchülerInnen ist es, die Kärtchen sinnvoll in
Beziehung zueinander zu setzten und so komplexe Themen
diskursiv und visuell in der Gruppe zu erarbeiten. Meist gibt es
nicht nur eine richtige Lösung, daher liegt der Schwerpunkt
darauf, dass die SchülerInnen ihre individuelle Lösung schlüssig
begründen.
Vorbereitung (für den Lehrer):
• Z
ur Bearbeitung des Mysterys wird die Klasse in 3er-Gruppen
aufgeteilt.
• Jede Gruppe bekommt alle Informationskärtchen, die vorher
kopiert, ausgeschnitten und in Umschläge gesteckt werden.
Auf den Umschlag wird die Leitfrage „Muss Maria umziehen?“ geschrieben.
• Jede Gruppe benötigt zudem ein DIN-A3-Blatt, auf das sie
die Kärtchen aufkleben kann sowie einen Atlas zur Verortung
des Mysterys.
Diercke 360° 2/2010 COPY
Durchführung (Schüler):
1.Jede Gruppe bekommt einen Umschlag, auf dem die
Leitfrage steht und der 30 Kärtchen enthält.
2.Lest in den Gruppen zu Beginn die Leitfrage vor und
vermutet, wie die Antwort lauten könnte.
3.Öffnet anschließend den Umschlag und legt die Informationskärtchen so aus, dass jeder sie lesen kann. Die Nummern
auf den Kärtchen geben keine Reihenfolge vor, sondern
helfen Euch bei der Benennung der Kärtchen.
4.Schaut euch die Kärtchen kurz an. Gibt es Wörter, die ihr
nicht kennt oder versteht? Klärt sie in der Gruppe oder ggf. in
der Klasse.
5.Schlagt die topographischen Namen auf den Kärtchen im
Atlas nach (Diercke Atlas Österreich, Seite 20/21).
6.Ordnet die Kärtchen auf einem DIN-A3-Blatt so an, dass ihr
die wichtigen Beziehungen darstellt. Ihr könnt die Kärtchen
z. B. nach Personen oder Themen ordnen und mit beschrifteten Pfeilen verbinden. (Achtung! Ihr müsst nicht alle
Kärtchen verwenden – unwichtige Informationen können
weggelassen werden!)
7.Beantwortet zum Schluss die Leitfrage „Muss Maria umziehen?“.
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