Zu »Fuck Polyamory« von Iris Dankemeyer

Transcription

Zu »Fuck Polyamory« von Iris Dankemeyer
Replik von Oliver Schott
Replik von Oliver Schott – Autor von Lob der offenen Beziehung –
auf »Fuck Polyamory« von Iris Dankemeyer in konkret 8/2010
Iris Dankemeyer hat in der aktuellen Ausgabe der konkret
(08/2010) einen Artikel – eine Rezension kann man es eigentlich nicht nennen – über Polyamory. Eine Erinnerung
(Schmetterling Verlag) von Thomas Schroedter und Christina Vetter sowie über den von mir verfassten Band Lob der
offenen Beziehung. Über Liebe, Sex, Vernunft und Glück (Bertz +
Fischer) veröffentlicht. Leider ist dieser Artikel nicht dazu
angetan, die Debatte zum Thema in irgendeiner Weise
voranzubringen, vermittelt dafür aber ein völlig falsches Bild
vom Inhalt der beiden besprochenen Bücher. Ich möchte
diese grob irreführende Darstellung nicht unwidersprochen
lassen, auch weil es mir stets eine Freude ist, auf unsachliche
Polemik mit polemischer Sachlichkeit zu antworten. Ich
1
Replik von Oliver Schott
beschränke mich dabei weitestgehend auf die Teile von Dankemeyers Artikel, die meinen
Text betreffen, da ich nicht für Schroedter und Vetter sprechen kann und, ähnlich wie die
Rezensentin, deren Buch nicht gut genug kenne, um viel Gehaltvolles dazu sagen zu können.
Alle Zitate im Folgenden stammen aus Dankemeyers Artikel.
Iris Dankemeyer bespricht zwei sehr unterschiedlich angelegte Texte, aber sie schreibt, als
verträten Schroedter/Vetter und ich dieselbe Position nur mit etwas unterschiedlichen
Worten und Schwerpunkten. Das ist aber keineswegs der Fall. Zugleich sieht Dankemeyer
in Schroedter und Vetter ebenso wie in mir nichts als Propagandisten dessen, was sie für
Polyamorie hält, und Sprachrohre der deutschen »Poly-Szene«. Diese Gleichsetzung nutzt
sie einigermaßen schamlos für ihre Polemik: Sie agitiert (wenn auch ausschließlich auf
Grundlage platter Vorurteile und Ressentiments) gegen eine »Szene«, die es in dieser Homogenität und Geschlossenheit ohnehin gar nicht gibt, und erweckt den Eindruck, bei den
von ihr besprochenen Texten handle es sich um völlig unkritische Werbeschriften für Polyamorie. Dies ergibt bei Schroedter und Vetter wenigstens insofern einen gewissen Sinn, als
diese ihr Buch unter den Titel »Polyamory« stellen und sich positiv, wenn auch, entgegen
Dankemeyers Darstellung, keineswegs unkritisch und undifferenziert auf diesen Begriff be2
Replik von Oliver Schott
ziehen. Ich selbst dagegen spreche stattdessen bewusst von »offenen Beziehungen«. Mein
Buch enthält ein Kapitel, dass der kritischen Auseinandersetzung mit Polyamorie gewidmet
ist. Dort erkläre ich, warum ich den Begriff der Polyamorie nicht für meine Position verwende und nehme viele der Kritikpunkte Dankemeyers vorweg (wenn auch auf einem anderen inhaltlichen und sprachlichen Niveau). Dankemeyer ignoriert dies einfach und kritisiert mich für Positionen, die ich nicht nur nicht vertrete, sondern explizit kritisiere. Leider
funktioniert so ziemlich die gesamte Kritik, die sie vorbringt, nach diesem Schema.
Dankemeyer schreibt, in meinem Buch werde »die Polyversion als Optimierung menschlichen Sozialverhaltens gefeiert«. Polyversion wovon, wird man fragen, aber schon auf diese
einfache Frage liefert Dankemeyers Satzbau keine Antwort. Man beachte die Stoßrichtung
der Kritik, die in der polemischen Verwendung der Formulierung »Optimierung menschlichen Sozialverhaltens« zum Ausdruck kommt. Mit der simplen Feststellung, dass es eine
gute und keine schlechte Sache ist, menschliches Sozialverhalten, zumal das eigene, zu
verbessern, ist Dankemeyers Polemik eigentlich hinreichend beantwortet, denn die Autorin
löst den Anspruch, den sie hier implizit erhebt – nämlich mir ein technokratisches oder
sonstwie verkürztes oder kritikwürdiges Verständnis davon nachzuweisen, auf welche Wei3
Replik von Oliver Schott
se und nach welchen Maßstäben Sozialverhalten verbessert werden soll – im weiteren Verlauf ihres Artikels in keiner Weise ein.
Dankemeyer kommt schnell auf das Problem zu sprechen, wie in offenen Beziehungen mit
Eifersucht umzugehen sei. »Im Zuge der Debatte« um diese »szenezentrale Frage« zeige
sich, »wie die Verunsicherung darüber, plötzlich nicht mehr exklusives Objekt der gesteigerten Aufmerksamkeit der oder des Liebsten zu sein, mit einer Kuschelideologie kompensiert wird.« Man kann die Empörung der Autorin gut verstehen, denn emotionale Verunsicherungen in intimen Beziehungen mit Kuscheln zu kompensieren, ist natürlich total indiskutabel. Da Dankemeyer am Ende ihres Artikels deutlich macht, dass sie von einer Kompensation durch verbale Kommunikation ebenfalls nichts hält, scheint sie der Auffassung zu
sein, Verunsicherungen hätten in Beziehungen gar nicht erst aufzutreten und dies sei dadurch zu gewährleisten, dass man sich gegenseitig zum »exklusive[n] Objekt der gesteigerten Aufmerksamkeit« erhebt. Es wäre fair gewesen, klarer zu machen, dass dieser raffinierte Lösungsvorschlag außer einer monogamen Beziehung natürlich auch noch ein untätiges
Rentiersdasein ohne Beruf, Freundschaften, familiäre Beziehungen, Hobbys und sonstige
Aufmerksamkeitsfresser erfordert.
4
Replik von Oliver Schott
Die »Polys« aber verweigern sich der allein seligmachenden, gegen Umwelt und Gesellschaft sich abkapselnden Zweierbeziehung und wählen einen fatalen anderen Weg: Wie die
Autorin zu berichten weiß, flüchten sie sich in den sektenartigen Zusammenhalt innerhalb
der Szene. »Zurückweisungen werden sozial abgepolstert, immerhin sind alle Polys quasi
ständig auf dem Antiheiratsmarkt verfügbar.« – Es gehört schon einiges dazu, Polyamorie
ausgerechnet dafür zu kritisieren, dass unter diesem Label Vertreter unkonventioneller Beziehungsmodelle sozialen Rückhalt finden können. Dankemeyer polemisiert allen Ernstes
dagegen, dass Menschen, die ein nonkonformes Beziehungsleben führen, Akzeptanz und
Unterstützung bei Gleichgesinnten suchen, anstatt die damit einhergehende Diskriminierung in ihrer vollen Härte als vereinzelte Subjekte auf sich zu nehmen.
Die der Sache nach alberne Behauptung, »alle Polys« seien »quasi ständig« auf Partnersuche
bzw. »auf dem Antiheiratsmarkt verfügbar« wie die Autorin auf dem Antikritikmarkt, bedient das üble Klischee, demzufolge jede Opposition gegen die herrschende Sexualmoral
auf maßlose Lüsternheit und Bindungsunfähigkeit zurückzuführen sei. Bedenklich ist auch
die Implikation dieser Unterstellung: Sexuelle oder emotionale Unverfügbarkeit kann sich
die Autorin offenbar nicht als Folge einer autonomen Entscheidung vorstellen, wie sie ja
5
Replik von Oliver Schott
auch ein Polyamorist jederzeit treffen könnte. Vielmehr bedarf es eines in den Regeln des
Beziehungsmodells festgeschriebenen Verbots – um den ansonsten offenbar nicht zu bewältigenden Drang zur Verfügbarkeit einzudämmen? Oder beruht Dankemeyers Vorliebe für
exklusive Beziehungsmodelle vielleicht doch nur auf dem Wunsch, sich vor Verletzungen
der eigenen Eitelkeit zu schützen und einer Auseinandersetzung mit den eigenen Ressentiments und dem eigenen Besitzdenken aus dem Weg zu gehen? Dies legt die Autorin jedenfalls nahe, wenn sie allen Ernstes schreibt: »Auffällig in beiden Publikationen ist die Tendenz,
die zu erleidenden Kränkungen, die ein Treuebruch nun mal bedeutet, vollständig wegzurationalisieren.« Offene Beziehungen zu kritisieren auf Grundlage der Prämisse, dass in ihnen
Treuebrüche und mithin persönliche Kränkungen erlaubt und gewollt seien, unterbietet das
intellektuelle Niveau, das eine ernsthafte Antwort möglich machen würde. Es ist in etwa, als
würde man gegen Linksverkehr mit dem Hinweis argumentieren, dass das ja bedeuten
würde, auf der falschen Straßenseite zu fahren.
Dass die Auseinandersetzung mit Eifersucht möglicherweise nicht ganz einfach und mühelos
vonstatten geht, hält die Autorin für eine unerträgliche Zumutung, gerade so, als ermögliche
Monogamie mühelose Harmonie und eine Beziehungsführung fernab aller emotionalen
6
Replik von Oliver Schott
Schwierigkeiten. Sie beschwert sich, bei mir sei »Eifersucht nichts als ›monogames Ressentiment‹: Ein bißchen ›Selbstdisziplin‹ sei schon nötig, die ›neue Einsicht‹ müsse schließlich
erst ›mühsam verinnerlicht‹ werden.« Es wäre der Erwähnung wert gewesen, dass ich von
Eifersucht in einem speziellen, engeren Sinn spreche, den ich etwa von Verlustangst unterscheide – aber an solch feinsinnigen Differenzierungen hat Dankemeyer kein Interesse. Sie
macht sich nicht einmal die Mühe, auch nur anzudeuten, was Eifersucht denn ihrer Meinung
nach mehr ist als monogames Ressentiment. Ohnehin ist die Art und Weise, in der Dankemeyer den Komplex der Eifersucht ins Zentrum rückt, ganz unangemessen. Ich selbst habe
nirgendwo behauptet, dass jeder Mensch Eifersucht überwinden könne oder müsse, sondern weise lediglich darauf hin, dass sie nicht per se ein unüberwindliches Hindernis für offene Beziehungen darstellt und auch keine Rechtfertigung für Exklusivitätsansprüche liefert.
Dankemeyer dagegen argumentiert, als seien alle Menschen von Natur aus eifersüchtig und
als sei jedes Beziehungsmodell, das Eifersucht eher als Laster denn als Tugend ansieht, von
vornherein als unmenschlich zu verurteilen.
Dass die Autorin es sich nicht verkneifen kann, mich in polemischer Absicht mit dem Wort
»Selbstdisziplin« zu zitieren – als sei damit ja wohl klar, dass ich nichts als technokratische
7
Replik von Oliver Schott
oder sonstwie totalitäre Ideologie verbreite –, ist ein intellektuelles Armutszeugnis angesichts der Tatsache, dass ich genau auf diese regressive Polemik in meinem Text ausführlich
eingegangen bin (vgl. dort s. 37 ff.) mit Argumenten, die sich eins zu eins auf die Position der
Autorin anwenden lassen und denen sie offenbar nichts entgegenzusetzen hat.
Dankemeyer fährt in ihrer Wiedergabe meiner Position folgendermaßen fort: »Aber die
Konditionierung zahlt sich aus, am Ende erfolgt die ›neue Verhaltensweise‹ ebenso ›spontan
und mühelos‹ wie die vorangegangene (also im Grunde ebenso unreflektiert und automatisch).« Die polemische Spitze dieser Formulierung lässt eigentlich eine Kontrastierung von
»Konditionierung« mit anderen, positiv bewerteten, insbesondere autonomen oder emanzipatorischen Formen der Persönlichkeitsentwicklung erwarten. Doch davon findet sich
keine Spur. Der Autorin ist offenbar schon die bloße Tatsache, dass überhaupt irgendeine
Arbeit an sich selbst befürwortet wird, Gegenstand der Empörung. Auch hier zeigt sich
deutlich, dass Dankemeyer keine kritische, sondern eine dezidiert antikritische, konservative Argumentation formuliert: Ihre Rhetorik lässt nur den Schluss zu, dass sie jede Form von
Selbsterziehung oder selbstbestimmter Persönlichkeitsentwicklung ablehnt; demnach soll
8
Replik von Oliver Schott
nicht das Individuum selbst, sondern die Gesellschaft, die es hervorbringt, über dessen Lebensform und Charakter entscheiden.
Offenbar um diese Konsequenz ihrer Argumentation zu verschleiern, verwendet die Autorin in Klammern plötzlich die Begriffe »unreflektiert und automatisch« in polemischer Absicht. Es ist aber beim besten Willen nicht zu erkennen, was sie hier sagen will. Meine Position, gegen die sie sich wendet, lautete grob zusammengefasst, man solle seine Verhaltensweisen reflektieren und sie dem Ergebnis solcher Reflexion entsprechend revidieren. Dieses
(wenn man so will) Durchbrechen des Automatismus unreflektierter, ansozialisierter Verhaltensmuster erfordert natürlich, wie man ehrlicherweise zugeben sollte, in vielen Fällen
auch ein gewisses Maß an Selbstdisziplin. Nun ist die Autorin, trotz ihrer Ablehnung von
Selbstdisziplin, offenbar für Reflexion und will mir daher nachweisen, dass in meiner Position von Reflexion in Wahrheit keine Spur zu finden sei. Dafür muss nun bemerkenswerterweise meine Feststellung herhalten, dass im Endergebnis des von mir propagierten Reflexionsprozesses Spontaneität und Mühelosigkeit zu finden sein sollen. Dass ein spontanes und
müheloses Verhalten reflektiert sein könne, erscheint Dankemeyer demnach unmöglich. In
welcher Weise sie die Denunziation von spontanem und mühelosem Verhalten mit der Ab9
Replik von Oliver Schott
lehnung von Selbstdisziplin unter einen Hut bringen will, bleibt ihr Geheimnis. Vielleicht sollte man ihre Bemerkungen aber auch einfach nicht so ernst nehmen, weil die zum Selbstzweck erhobene Polemik die Auseinandersetzung mit der Sache völlig in den Hintergrund
treten lässt.
Die Autorin wischt meine ausführliche Argumentation gegen das monogame Ressentiment
einfach vom Tisch mit der lapidaren Bemerkung: »Wer nicht mehr ›mononormativ‹ denken
will, muß eben die ›Partei der Freiheit‹ ergreifen – so als könne man sich seine Psychologie
selbst erfinden.« Kinkerlitzchen, dass das bescheuerte Wort »mononormativ«, mit dem ich
hier zitiert werde, in meinem Text nicht vorkommt. Wichtiger ist, dass mit diesem unmittelbar konservativen, apologetischen Argument ganz nebenbei jede Kritik an gleich welchen
Ressentiments in die Tonne gekloppt wird: Der Sexist, der Rassist, der Antisemit, sie alle
können sich »ihre Psychologie« und mithin ihr Ressentiment ja leider, leider nicht aussuchen. Den Hinweis darauf, dass Monogamie nicht mit Argumenten verteidigt werden kann,
die ebensogut zur Verteidigung beliebiger Formen von Ressentiment und etablierter Ideologie geeignet sind, hätte Dankemeyer übrigens auch schon meinem Buch entnehmen kön-
10
Replik von Oliver Schott
nen, in dem ich mich ausführlich mit exakt derselben Art von Einwänden auseinandersetze,
derer sich die Autorin hier bedient (vgl. dort S. 38 f., S. 46, S. 53 f.).
Welche Relevanz das alles für meine Argumentation haben soll, bleibt unklar, denn ich richte mich ja überhaupt nicht an Menschen, die ohnehin keine offenen Beziehungen führen
wollen, weil sie der Meinung sind, dass sie das nicht können bzw. dass »ihre« verdinglichte
Psychologie ihnen das unmöglich macht.
Im Anschluss formuliert Dankemeyer eine einigermaßen abenteuerliche Interpretation von
Satzfetzen aus Schroedters und Vetters Buch, um dann fortzufahren, als könne man Kritik
an diesen auch nahtlos auf mich übertragen: »Dumm die ›GefühlsfundamentalistIn‹ (Schott),
die sich unvernünftigerweise an das bestimmte Objekt verliert, von Affekten und Triebstruktur hinreißen und ergreifen läßt und sich ganz unvernünftig dem Zwecklosen, Rauschhaften, Ungesicherten hingibt. Denn aus solcher Gefühlsduselei könnte glatt eine RZB werden – eine romantische Zweierbeziehung.« Wiederum lege ich Wert darauf, dass ich entgegen dem falschen Eindruck, den die Autorin hier in offenbar böswilliger Absicht erweckt,
solche grauenvollen, eine Verlorenheit im begriffslosen Denken bezeugenden Sprachverhunzungen wie das Kürzel »RZB« nirgendwo verwende. Auch der Sache nach ist spätestens
11
Replik von Oliver Schott
hier die Grenze zwischen (wenn auch inkompetenter) Polemik und offener, absichtlicher
Fälschung überschritten. Die in meinem Buch (auf S. 33) als Gefühlsfundamentalistin bezeichnete Figur aus dem Kapitel »Vernunft und Gefühl« steht gerade nicht dem positiv bewerteten, stets kontrollierten und beherrschten Vernunftmenschen gegenüber. Vielmehr
steht sie als Vertreterin eines verkürzten, antirationalen Gefühlsbegriff neben einer ebenso
negativ bewerteten Vernunftfundamentalistin, die einen antiemotional verkürzten Vernunftbegriff verficht. Die von mir in diesem Kapitel vertretene Lösung liegt darin, die falsche Entgegensetzung von Vernunft und Gefühl zurückzuweisen und zu zeigen, dass Vernunft- und
Gefühlsmensch, richtig verstanden, in eins fallen. Nirgendwo in meinem Text gibt es die
geringste Grundlage dafür, mir irgendeine Opposition gegen das »Zwecklose, Rauschhafte,
Ungesicherte« zu unterstellen. Wenn Dankemeyer diese pauschal als »unvernünftig« bezeichnet und unterstellt, ich teilte eine solche Kategorisierung, zeigt sie nicht nur einmal
mehr, dass sie meinen Text nicht gelesen oder jedenfalls nicht verstanden hat. Sie bedient
sich auch erneut einer reaktionären, weil antiaufklärerischen, irrationalistischen und somit
unvermeidlich antiemanzipativen und antihumanistischen Rhetorik.
12
Replik von Oliver Schott
Ich argumentiere ganz explizit so, dass, wenn man mit der »Gefühlsduselei« wirklich ernst
machen will, was mir keineswegs unsympathisch ist, dabei eben gerade keine monogame
oder sonstwie exklusive Beziehung herauskommt. Das kann Dankemeyer ja anders sehen,
aber dann sollte sie ihre Meinung wenigstens gegen meine Argumente verteidigen, anstatt
mir einfach eine Idiotenposition zu unterstellen, die ich nicht nur nicht vertrete, sondern
explizit kritisiere. Aber auch rein immanent scheint die Position der Autorin keinerlei Sinn
zu ergeben: Ausgerechnet aus dem Rauschhaften und Ungesicherten soll sich eine von Dankemeyer ja offensichtlich als naturgemäß monogam unterstellte »romantische Zweierbeziehung« entwickeln – und nicht vielmehr eine den Rahmen von Monogamie und konventioneller »RZB« gerade sprengende amour fou? Wenn es bei Liebe, wie Dankemeyer meint, tatsächlich um die Hingabe an das »Zwecklose, Rauschhafte, Ungesicherte« geht, wie soll dann
daraus das monogame Reglement der Liebe mit seinen Verboten und Exklusivitätsansprüchen folgen – und nicht gerade, im Gegenteil, die Ablehnung solchen Reglements, mithin die
offene Beziehung, wie ich sie in meinem Buch beschreibe und verteidige?
»Das ›romantische Liebesideal‹ gilt gemeinhin als Erzfeind«, will Dankemeyer herausgefunden haben, wobei sich »gemeinhin« auf die intellektuell gleichgeschaltete »Poly-Szene« be13
Replik von Oliver Schott
zieht, zu der natürlich auch ich selbst zu rechnen bin: »Für Schott ist es zu kompliziert und
ambivalent, schließlich haben Beziehungsmodelle ›praktizierbar zu sein und glücklich zu machen‹. Dabei sollte niemand sich von sentimentalen Konventionen verleiten lassen, die ›nur‹
abgelegt werden müssen.« Die zitierte Wendung steht in meinem Text auf S. 30. Dort vertrete ich die Auffassung, dass das Urteil, ob ein Beziehungsmodell vernünftig ist oder nicht,
nicht unabhängig davon ist, wozu das Beziehungsmodell da ist. Da das Beziehungsmodell
nicht dazu da ist, eine schöne Theorie abzugeben, sondern dazu, praktiziert zu werden,
ergibt es keinen Sinn, ein unpraktizierbares Modell als vernünftig zu bezeichnen. Was das
Glück angeht, so ist es eine weit verbreitete und irgendwie schwer zurückzuweisende Position, dass der Maßstab dafür, wie man zwischenmenschliche Beziehungen führen sollte,
letztlich etwas mit menschlichem Glück zu tun haben muss; in diesem Punkt steht sogar die
»sentimentale Konvention« auf meiner Seite. Dankemeyer reißt hier eine Formulierung bewusst aus dem Kontext, um mir einen Technokratengeist zu unterstellen, den ein sinnwahrendes Zitat nicht aufweisen würde. Es drängt sich außerdem die Frage auf, was denn für
die Autorin die in Beziehungsfragen anzulegenden Maßstäbe sind, wenn sie nichts mit Praktizierbarkeit und Glück zu tun haben.
14
Replik von Oliver Schott
Ich lege im Übrigen Wert darauf, dass ich mich in meinem Buch gerade nicht primär gegen
ein wie auch immer geartetes »romantisches Liebesideal« wende, sondern gegen Monogamie und exklusive Beziehungsmodelle. Während die falsche Darstellung dieses Punktes
noch als Schlampigkeit oder Missverständnis durchgehen kann, ist die Behauptung, ein solches Liebesideal sei mir »zu kompliziert und ambivalent«, wenn man der Autorin keine bewusste Lüge unterstellen will, eigentlich nur als Auswuchs ihrer Fantasie zu bezeichnen. Ich
behaupte nirgends, dass die von mir propagierte Praxis weniger kompliziert oder ambivalent sei als die konventionelle. Ich weise, im Gegenteil, an verschiedenen Stellen darauf hin,
dass mit dem Übergang zum offenen Beziehungsmodell Komplikationen und Ambivalenzen
entstehen oder aus der Verdrängung, in die sie im monogamen Raster verbannt sind, auftauchen können. Ich bezeichne die Reduktion von Kompliziertheit und Ambivalenz nirgendwo, weder explizit noch implizit, als erstrebenswert und schon gar nicht als Vorzug
meiner Position. Der Sache nach ist es in höchstem Maße absurd, dem stereotypen, unflexiblen Beziehungsmodell der Monogamie eine besonders ausgeprägte Affinität zu Kompliziertheit und Ambivalenz zuzuschreiben und dies als Vorzug gegenüber einem offenen Beziehungsmodell anzupreisen. In dieser durch nichts begründeten und jeder argumentativen
15
Replik von Oliver Schott
Unterfütterung baren, ja selbst dem unkritischsten »gesunden Menschenverstand« hohnsprechenden Parteilichkeit für das etablierte Beziehungsmodell kommt der Konservatismus
der Autorin besonders krass zum Ausdruck. Bemerkenswert ist auch hier wieder die Rhetorik, die wohlgemerkt von der Autorin stammt und eben nicht, wie man eigentlich erwarten sollte, aus meinem Text oder wenigstens aus dessen polemischer Überspitzung: Exklusivitätsansprüche werden euphemistisch als »romantisches Liebesideal«, das Konventionelle
wird als »sentimental« verklärt und verharmlost. Als sei das Sympathische am Sentimentalen
nicht gerade sein antikonventioneller Gehalt und als sei die Konvention nicht gerade dem
»Zwecklosen, Rauschhaften, Ungesicherten« und dem Komplizierten und Ambivalenten
entgegengesetzt!
Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass ich nirgendwo behaupte, Konventionen
müssten »nur« abgelegt werden wie ein nasser Regenmantel. Ich weise explizit darauf hin,
dass es sehr schwer und im Extremfall unmöglich sein kann, Konventionen hinter sich zu
lassen. Nur weigere ich mich – im Gegensatz zur Autorin –, mich von der Unbequemlichkeit einer Veränderung des Etablierten dumm machen zu lassen.
16
Replik von Oliver Schott
Der letzte Satz von Dankemeyers Artikel lautet: »Wer jeden One-Night-Stand emotionalisiert und jede Freundschaft sexualisiert, hat allerdings nicht nur viel zu besprechen, sondern
tatsächlich auch jede Menge brainfuck.« Nicht uninteressant, dass die Autorin ihren Text
mit einem Appell an die geistige Bequemlichkeit beschließt. Man mag vereinzelt Polyamoristen treffen, die wenn schon nicht jede Freundschaft sexualisieren, so doch jeden Sex
emotionalisieren wollen – was daran so schlimm wäre, erschließt sich ohnehin nicht –, aber
insgesamt argumentiert Dankemeyer hier gegen »Polyamoristen«, wie Guido Westerwelle
gegen »Kommunisten« argumentiert. Denn mit den von Schroedter und Vetter sowie mir
selbst vertretenen Positionen hat das jedenfalls herzlich wenig zu tun.
Doch auch, worauf Dankemeyer selbst hinauswill, was ihr Punkt ist, was sie dem Kritisierten entgegenzusetzen gedenkt oder auch nur, woher sie die Maßstäbe ihrer Kritik bezieht,
bleibt vollkommen schleierhaft. Was lehnt sie ab? Emotionalität ebenso wie Rationalität,
Selbstdisziplin ebenso wie Spontaneität. Kommunikation ist ihr so verdächtig wie sozialer
Rückhalt. Reflexion findet sie gut, aber nur, wenn sie alles so lässt, wie es ist, und nicht etwa
zu einer unbequemen Kritik des Konventionellen und Etablierten führt. Streben nach Praktizierbarkeit und nach Glück lehnt sie ebenso ab wie Moralisieren, zugleich fordert sie aber,
17
Replik von Oliver Schott
dass ein Beziehungsmodell Verunsicherungen und Kränkungen zuverlässig ausschließen und
einem dabei auch noch die Zumutung, das eigene Verhalten und die eigenen Gefühle irgendwelcher Kritik auszusetzen oder gar zu verändern, ersparen möge. Die Freiheit, Sex
ohne Gefühl zu haben, hält die Autorin (hier, auch wenn sie es verschweigt, mit mir einer
Meinung) für eine große emanzipatorische Errungenschaft, die Zumutungen eines offenen
Beziehungsmodells findet sie dagegen inakzeptabel, aber für totale Bindungslosigkeit mag
sie offenbar auch nicht eintreten, dafür sind ihr zwangsläufig mit neurotischen Eifersuchtsattacken gepaarte romantische Gefühlswallungen zu sympathisch. Ein Hauch von Bemühen,
all diese Widersprüche zu vermitteln, ja selbst von Bewusstsein dieser Widersprüche ist im
Text leider nicht zu erkennen. Letzten Endes scheint die Autorin den Regress in die
Infantilität wenn nicht zu propagieren, so doch intellektuell zu vollziehen: Sie möchte alles
für alle, und zwar umsonst. Ihr begriffsloser Furor gilt den Überbringern der gar nicht so
schlechten Botschaft, dass sich Beziehungsleben nicht in einem unmittelbar verfügbaren,
ungesicherten, aber gleichwohl permanenten Zustand zweckloser Ekstase erschöpfen kann.
18
Replik von Oliver Schott
»Wie dieser Hokuspokus ohne jede Form bestimmter Kritik funktioniert?« Diese an
Schroedter und Vetter gerichtete Frage hat sich mir mit Bezug auf Iris Dankemeyers eigenen Text auch aufgedrängt.
Oliver Schott
Lob der offenen Beziehung
Über Liebe, Sex, Vernunft und Glück
Sexual Politics 1
108 Seiten
Paperback, 10,5 x 14,8 cm
¤ 7,90 [D] / ¤ 8,20 [A] / SFr 13,90
ISBN 978-3-86505-704-4
Bertz+Fischer Verlag
http://www.bertz-fischer.de/
19

Documents pareils