Individueller geht`s nicht. Globalisierter auch nicht!

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Individueller geht`s nicht. Globalisierter auch nicht!
Dachverband FairWertung e.V.: Im Blickpunkt 2008
Individueller geht’s nicht. Globalisierter auch nicht!
Afrikanisches Design auf gebrauchten T-Shirts aus Europa, hergestellt in Asien
Billigtextilien aus China, Gebrauchtes aus Europa oder umgearbeitete SecondhandKleidung: Das Angebot ist in vielen afrikanischen Städten weit gefächert. Modische
und preiswerte Neukleidung aus Asien kommt besonders bei jungen Leuten an. Doch
auch Secondhand hat nach wie vor große Marktanteile. Das gute PreisLeistungsverhältnis und neue Trends, wie Secondhand-Mode von afrikanischen Designern, sind einige Gründe dafür.
Von Francisco Mari
Secondhand-Kleidung beherrscht nach wie vor
den Bekleidungsmarkt und die Kleidungsstile in
den meisten afrikanischen Ländern. Der Anteil
an Gebrauchtkleidung ist jedoch mittlerweile
zugunsten asiatischer Neukleidung gesunken.
Sie ist besonders gefragt, weil sie der aktuellen
Mode in den Industrienationen entspricht und
gleichzeitig sehr preiswert ist. Häufig tragen
diese Kleidungsstücke zudem die „Label“ international bekannter Firmen und Designer.
Das spricht besonders die modebewussten
städtischen Jugendlichen an. Die „trendige“
Mode hat aber auch Ihre Nachteile: Um die
Produkte besonders preisgünstig auf den afrikanischen Markt bringen zu können, werden
nur minderwertige Kunstfasern verarbeitet. Sie
sind zum einen chemisch schwer belastet und
zum anderen entsprechen sie nicht den klimatischen Bedingungen. Trotzdem gehört die
asiatische Neukleidung zum Standartangebot
auf den städtischen Märkten in Afrika. Besonders groß ist das Angebot in afrikanischen
Staaten, die bilaterale Handelsverträge mit der
Volkrepublik China abgeschlossen haben. Aufgrund dessen dürfen sie nur sehr niedrige oder
gar keine Zölle auf die aus China importierte
Kleidung erheben.
Eine Studie der Friedrich Ebert Stiftung1 zeigt,
dass die lokale Produktion von Bekleidung in
den vergangenen Jahren weiter zurückgegangen ist. Denn chinesische Kleidung ist nicht nur
auf den lokalen Märkten für die afrikanischen
Produkte eine enorme Konkurrenz, sondern auch auf den weltweiten Exportmärkten. Einzig
Unternehmen und Kleinmanufakturen, die Stoffe und Frauenkleidung mit afrikanischen Mustern herstellen, Schuluniformen anfertigen oder sonstige Nischen besetzen, verzeichnen einen Zuwachs am Markt.
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Herbert Jauch/Rudolf Traub-Merz (Hrsg.) The Future of the Textile and Clothing Industry in Sub-Saharan Africa. FriedrichEbert-Stiftung, Bonn 2006
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Dachverband FairWertung e.V.: Im Blickpunkt 2008
Gute Secondhand-Kleidung setzt sich durch
Inzwischen hat sich die anfängliche Begeisterung für Mode aus asiatischer Produktion allerdings ein wenig gelegt. Den jugendlichen Käufer/-innen, vor allem aber den Eltern, die diese
Kleidung bezahlen, ist bewusst geworden, dass die trendige Kleidung schon nach dem ersten Waschen gar nicht mehr so trendig aussieht. Flecken und Risse lassen sich auf den
dünnen Kunstfaserstoffen kaum beheben und die in Afrika übliche Handwäsche tut ihr übriges, um die Lebensdauer dieser Kleidungsstücke weiter zu verkürzen. Häufige Neukäufe
sind die Folge und der vermeintlich günstige Kauf entpuppt sich damit letztlich als recht teuer.
Das ergaben auch unsere Gespräche mit Händlern von Secondhand-Kleidung in Tansania
und Kamerun in den Jahren 2007 und 2008. Die Händler erklärten, ihr Geschäft sei nicht
mehr von der chinesischen Neukleidung bedroht. Sie betonten, der Import von minderwertiger asiatischer Neukleidung führe dazu, dass die Kund/-innen die vergleichsweise gute Qualität der Secondhand-Bekleidung zu schätzen lernten.
Solche Berichte und Erfahrungen bestätigen noch einmal die Ergebnisse des „Dialogprogramms Gebrauchtkleidung in Afrika“2, wonach der Import von Gebrauchtkleidung überwiegend positiv bewertet wird und das Tragen von Secondhand-Kleidung zum Alltag der
Menschen gehört.
Neue afrikanische Modetrends
Das geringe Angebot an qualitativ hochwertiger Neuware zu angemessenen Preisen hat auf
dem Secondhandmarkt verschiedenste Trends hervorgebracht. Die Schneider/-innen haben
sich der Situation angepasst, indem sie aus gebrauchter Kleidung neue Sachen fertigen.
Besonders in den armen ländlichen Gebieten hat sich das Redesign* etabliert, also das Umarbeiten und Veredeln von SecondhandWare. Aus gebrauchten Kleidungsstücken Erwachsener entstehen beispielsweise Kindersachen, die ansonsten auf den Märkten relativ selten
angeboten werden und daher verhältnismäßig teuer sind. Fraglich ist, ob diese Entwicklung
Auslöser für den in Europa ebenfalls zu beobachtenden Trend des Redesigns war oder umgekehrt (siehe Artikel auf Seite 9/10).
Flickendesign-Mode
Einer der bekanntesten afrikanischen Trendsetter ist Lamine Kouyaté. Er avancierte inzwischen zum Pariser Stardesigner. Seine Biographie macht in besonderer Weise den fruchtbaren Austausch zwischen Nord und Süd deutlich (siehe Infokasten Seite 8). Inspiriert durch
seine eigene „Patchwork“-Identität entwickelte er ein so genanntes Flickendesign für Kleidung. Für sein Label „Xuly.Bet“ entwirft er Mode aus gebrauchter Kleidung. Sein besonderes
Markenzeichen: Die ursprünglichen Kleidungsstücke erhalten eine neue Funktion. Aus einem
kurzen Rock wird so ein Top oder aus verschiedenen Hemden eine Hose.
Mittlerweile hat das Design vom Top- Label Xuly.Bet auch im Senegal Nachahmer gefunden.
Hier gilt Baye Fall als Begründer einer eigenen Flickenmodebewegung. Im Gegensatz zum
Design von Lamine Kouyaté ist seine Mode allerdings kein Ausdruck von persönlichkultureller Identität, sondern das Zeichen einer religiös-politischen Bewegung. Baye Fall ist
Schüler einer vom Sufismus beeinflussten islamischen Glaubensströmung, die einem christlichen Orden gleich, selbstlos von Gaben leben. Die Anhänger dieser Glaubensströmung
2
Zwischen 2003 und 2005 führte der Dachverband FairWertung in Kooperation mit dem Evangelischen Entwicklungsdienst das „Dialogprogramm Gebrauchtkleidung in Afrika“ durch. Dabei ging es um die Bedeutung der SecondhandKleidung auf afrikanischen Märkten.
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arbeiten in bürgerlichen Berufen und verteilen ihre Gehälter unter den Armen. Ihre „Ordenstracht“ ist die Flickenkleidung, die sie in Eigenarbeit aus Gebrauchtkleidung herstellen.
Dieser Kleidungsstil ist inzwischen in der Region so bekannt, dass immer mehr Jugendliche
die Flickenkleidung als Ausdruck des Protestes gegen neokoloniale Abhängigkeiten tragen.
Die umgearbeitete westliche Kleidung symbolisiert dabei ihre Forderung, den materiellen
westlichen Lebensstils zugunsten einer eigenen afrikanischen Identität und Entwicklung zu
„recyceln“. Ironischerweise ist jedoch gerade diese Kleidung wegen des hohen Arbeitsaufwands wesentlicher teurer als Neukleidung aus Stoffen mit afrikanischen Mustern. Ein senegalisches Textilunternehmen hat darauf reagiert und stellt seit einiger Zeit Stoffe mit aufgedrucktem Flickenmuster her. Die hieraus produzierte „Flickenkleidung“ wird inzwischen zu
günstigeren Preisen angeboten als die Originale aus Gebrauchtkleidung.
T-Shirts mit Applikationen
Eine andere aktuelle Modeströmung kommt aus Ostafrika. Hier zieren modische Applikationen die Secondhand-Kleidung. Den Trend initiierte ein junger Designer, der Baseballmützen
eine besondere Note gab, indem er eigene Kreationen auf die Mützen stickte.
Diese Mode wurde in Nairobi so populär,
dass sich Dutzende lokale Designer/innen davon inspirieren ließen. Sie begannen, modische Applikationen auch auf
T-Shirts zu sticken. Besonders begehrt
sind dabei Kleidungsstücke mit Mustern in
den Landesfarben. Inzwischen sind die
neuen, gebrauchten T-Shirts so beliebt,
dass sie auch in die afrikanische Diaspora
nach England exportiert werden.
Ebenfalls sehr gefragt sind in Ostafrika
neu gestaltete Secondhand-T-Shirts mit
aufgestickten oder aufgeflockten Botschaften. Dieser Trend basiert auf den Sprichwörtern, Beschimpfungen und Liebesschwüren auf ostafrikanischen Kangas,
In Ostafrika immer beliebter: T-Shirts mit Applikationen
traditionellen Baumwolltüchern, die von
Frauen getragen werden. Zunehmend
beliebt sind auch politische Aussagen auf den T-Shirts. Sie spielten während der Proteste
bei den Präsidentschaftswahlen in Kenia zu Beginn dieses Jahres eine wichtige Rolle.
Auch ein Protest gegen westlichen Lebensstil
Richard Wilk beurteilt Modeströmungen, die westliche Kleidung verformen und umarbeiten
als Protest gegen westlich-kapitalistische Mode und Lebensformen: „Erst wenn die Menschen anfangen, sich den Konsumströmungen aus kolonialer Zeit zu entziehen, fangen sie
wirklich an, dem kolonialen System zu widerstehen.“3 Victoria Rovine4 vergleicht diese Mode
mit dem von Mahatma Ghandi getragenen weißen Baumwollgewand. Er protestierte damit
gegen die britischen Kleiderimporte nach Indien.
3
Wilk, Richard (1990): Consumer Goods as Dialogue about Development in Culture and History 7, Seite 79ff (Übersetzung.
Francisco Mari)
4
Rovine, Victoria: Working the Edge: XULY.Bet. In: Palmer&Clark (Hrsg): Old Clothes, New Looks, New York, 2006, S. 227
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Ein weiterer, jedoch unpolitischer Grund für das Umarbeiten von gebrauchter Kleidung sind
unterschiedliche Größenanforderungen. Häufig ist die von Europäerinnen oder Amerikanerinnen stammende Secondhand-Kleidung zu klein für die afrikanischen Frauen. Vor allem bei hochwertigen Stücken, die afrikanische Mittel- und Oberschichtfrauen tragen, gibt es
Probleme mit den Konfektionsgrößen. Diesen Umstand machen sich immer mehr Designer/innen in den afrikanischen Städten zunutze. Sie arbeiten die Kleidung passgenau um und
ergänzen sie durch andere Kleidungsstücke und Applikationen.
Positive Impulse
Diese unterschiedlichen neuen Modetrends beweisen, wie sich Afrikanerinnen und Afrikaner
mit viel Kreativität und Erfindungsreichtum einer von europäischen Exportkritikern heraufbeschworenen kulturellen und sozialen Anpassung widersetzen. Gleichzeitig begründen sie
damit neue Trends, die wiederum europäische Modeströmungen beeinflussen. Ein Beispiel
dafür, wie sich Kulturen und Lebensformen in einer globalisierten Welt gegenseitig positiv
beeinflussen können.
Lamine Kouyaté
Designer des Labels Xuly.Bet
Lamine Kouyaté ist in seinem Leben schon viel herumgekommen: In Bamako/Mali geboren, floh er nach einem
Militärputsch 1998 nach Paris. Später zog er zusammen
mit seinen Eltern nach Dakar, wo er aufwuchs. Anfang der
1990er Jahre kehrte Kouyaté nach Frankreich zurück und
begann in Straßburg ein Architekturstudium. Zu dieser Zeit
fing er an, aus Altem etwas Neues zu schaffen. Grundlage
für diese Idee, die ihn letztlich in die Modewelt führte, waren seine afrikanischen Erfahrungen: „ [ ... ] es ist eine afrikanische Philosophie, die überall in der so genannten Dritten Welt gelebt wird, dass Dinge wieder verwendet werden. Nichts wirft man endgültig weg, sondern aus Altem
entsteht Neues.“5
Das ist auch die Philosophie seines Labels Xuly.Bet, mit
dem er 1992 die Pariser Modewelt überraschte. Gebrauchte Kleidungsstücke als Stoffbasis für Designerkleidung zu
nutzen, war damals eine Provokation, die aber dennoch
sehr schnell Akzeptanz und mutige Kund/-innen fand. Ein
besonderes Markenzeichen der Kollektionen sind nach wie vor die außen auf den Kleidungsstücken deutlich sichtbaren Nähte. Viktoria Rovine6 beschreibt Kouyatés Stil folgendermaßen: „Seine Kollektionen sind wie geheilte Wunden, die Narben hinterlassen haben.
Das alte Leben der Kleidungsstücke verwandelt er in neue Formen.“ Für seine Kollektion
„100% recycelt“ erhielt der Designer 1996 den angesehenen Modepreis „Tropeé de la
Mode“.
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Interview mit Patricia Jacobs. In: Essence, 15, 1994, 144
Rovine, Victoria: Working the Edge: XULY.Bet. In: Palmer&Clark (Hrsg): Old Clothes, New Looks, New York, 2006, S.219
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Aber nicht nur die Art der Kleidung provoziert, sondern auch die Art ihrer Präsentation, abseits der herkömmlichen Modebühnen. In öffentlichen Parks zur Musik von Jimi Hendrix oder
mitten auf den Straßen New Yorks präsentieren Models ganz ohne Glanz und Glamour die
Designerstücke. Denn Kouyaté will die Kleidung dahin zurückbringen, wo sie herkommt, zu
den „gewöhnlichen“ Menschen auf den Straßen.
Dachverband FairWertung e.V., Hoffnungstraße 22, 45127 Essen
E-Mail: [email protected]
www.fairwertung.de
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