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Dieter Mann / Hans-Dieter Schütt
Schöne Vorstellung
DIETER MANN
Schöne Vorstellung
Eine Autobiographie
in Gesprächen mit Hans-Dieter Schütt
Mit 46 Fotos
®
MIX
Papier aus verantwortungsvollen Quellen
www.fsc.org
FSC® C083411
ISBN 978-3-351-03637-9
Aufbau ist eine Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG
1. Auflage 2016
© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2016
Einbandgestaltung ZERO Werbeagentur, München
Satz und Reproduktion LVD GmbH, Berlin
Druck und Binden CPI books GmbH, Leck, Germany
Printed in Germany
www.aufbau-verlag.de
Inhalt
Dieter Mann: Schöne Vorstellung . . . . . . . . . . . . .
Hans-Dieter Schütt: So verrückt wie möglich, so
gebändigt wie nötig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Man sollte im Leben nichts so beginnen, als
hätte man schon Erfolg gehabt . . . . . . . . . . . .
II. Wat denn, Männlein! Schauspieler? Bist du bekloppt? So wie du aussiehst! . . . . . . . . . . . . . .
III. Leere Garderobe und der Satz: »Ab heute isset
Arbeit.« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Am Straßenrand stand ich, hörte noch immer
das Knallen der Türen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V. Am Ende aber, ganz am Ende fällt der Vorhang, und dahinter wird aufgeräumt . . . . . . .
Nach-Sätze von Hans-Dieter Schütt . . . . . . . . . . .
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Anhang
Dieter Mann: Curriculum vitae . . . . . . . . . . . . . .
Rollenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Lesungen auf CD (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . .
Filmographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ziegen, und dort steht tatsächlich eine kleine steinerne
Stele mit dem Kopf von Odysseus. Ein winziges Dorf,
aber mit einem Blumenladen. Ich kaufte eine Rose, legte
sie nieder, verbeugte mich. In einem Café gegenüber saß
ein Priester, mit einem schwarzen Hut auf dem Kopf, und
fragte, was mich an Stele und Stelle so bewege. Wir verständigten uns mühsam auf englisch, um uns herum die
brettspielenden Männer des Dorfes, und zum Schluss zitierte ich ein paar Zeilen aus dem Stücktext von Botho
Strauß. Der Priester lauschte andächtig. Es war ein schöner, berührender Moment. Und später dann dieses Stirnband-Geschenk an den Dichter. Er schrieb mir zurück:
»Jetzt, da sich mir das Theater entfernt hat, gibt es Augenblicke, da ich es als Versäumnis empfinde, gewisse Stücke
von mir, manche Aufführung nicht gesehen zu haben.
Damals war das nötig, denn ich wollte ja weiter fürs Theater schreiben, aber die eigene Unvollkommenheit auf der
Bühne zu sehen, wäre sicherlich hinderlich gewesen. Wie
gut aber und wie stärkend die Erinnerung daran, dass es
das Langhoff-Theater mit Dieter Mann einmal gab! Und
Sie beide, mir unvergesslich, haben Hofmannsthals ›Turm‹
neu entdeckt!«
Also ein Teil Ihrer Lebensfreude nach dem Mauerfall: die
offenen Meere. Wasser hatte nun keine Schlagbäume mehr –
gibt es atmosphärische Schwingungen, wenn man in Berlin
den Odysseus spielen wird, vorher aber im Griechischen segelt?
Ja, und da fällt mir Benno Besson ein, der bei der Probe
zu »Ödipus« die Käthe Reichel manchmal anfuhr: »Überlegen Sie, was Sie tun, werden Sie nicht metaphysisch!«
Doch, mitunter muss man metaphysisch werden. Ich war
es bei fast jedem Segeltörn. Es gibt zwischen Korfu und
Albanien eine sehr schmale Durchfahrt, die ist höchstens
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zwei oder drei Meter breit. Es wimmelt von Steinen, man
muss nautisch gut Bescheid wissen, um heil da durchzukommen. Ich bin für solche Situationen nicht besonders
geeignet, und der Freund, mit dem wir gemeinsam auf
dessen Yacht segelten, sagte: »Dieter, jetzt sind wir mal
ganz still, jetzt müssen wir genau Kurs halten.« Wenn
man vom Wasser aus diese Inseln sieht, gleichsam von der
Nullebene aus, man schaut also immer auf zu den Felsen – das ist ein erhebendes Erlebnis. Wenn in solcher
Landschaft eine Stunde auf dem Wasser vorbei ist, ist
nichts passiert, als dass eine Stunde vorbei ist. Du schaust
dem Wetter zu, siehst, was dem Meer und dem Himmel
für ihre Farbspiele so alles zur Verfügung steht. In meiner Kindheit erschien mir selbst eine halbe Stunde Warten endlos lang. Auf dem Wasser aber, beim Segeln, hast
du nichts dagegen, dass die Zeit scheinbar stehenbleibt.
In dieser Minute, jetzt, lebe ich …
Ja, und das ist doch mehr als nichts, das ist doch das,
was zählt, etwas anderes nicht unbedingt. Man ist nicht
wichtig, aber geduldet, und schon kommt man sich ein
wenig gerechtfertigter vor. Mich ernährt so etwas an der
Seele.
Mit was für einem Bootstyp segelten Sie?
Königsklasse. Fünfzehner Jollenkreuzer.
Aha.
Sie kennen sich aus?
Ach was! Keine Ahnung … Der Dieter Mann nach dem
Ende der DDR – das war für viele Fernsehzuschauer der
Leiter des Institutes für Gerichtsmedizin, Prof. Dr. Sigmar
Bondzio, in der ZDF -Serie »Der letzte Zeuge«.
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Ich bin weder Objekt von Schwärmereien noch von fieberhafter Neugier geworden. Auch die Nullen von Geldsummen kullerten nie in Überfülle auf mich zu. Ein Kindertraum ging also nicht in Erfüllung. (Lacht.)
Kindertraum?
So etwa als Zehnjähriger, bei irgendeiner Dampferfahrt
mit der Schule über Berliner Gewässer, stand ich neben
meiner Mutter an der Reling und schaute auf die Grundstücke am Ufer und auf die dazugehörigen Boote und
dachte: Das sind die Reichen!
Sie haben ein Grundstück am See, ein Boot …
Mein Reichtum, glauben Sie mir, ist ein anderer …
Meine Fernsehrollen jedenfalls konzentrierten sich, grob
gesagt, auf sonore Chefs. Arbeit fürs Zubrot. Wogegen
nichts zu sagen ist, wenn man sein Handwerk vor der Kamera solide, ehrenwert ausüben darf und mit angenehmen
Kollegen dreht. Beides schien mir dort, wo ich eine Rolle
übernahm, gegeben zu sein. Und natürlich war »Der letzte
Zeuge« mit Uli Mühe, Jörg Gudzuhn, dem Autor Gregor
Edelmann und Regisseur Bernhard Stephan eine kleine
Ost-Enklave. Bei dieser Serie lautete die Absprache, dass
ich in jeder Folge mit zwei, drei Drehtagen drin bin. Sauber geschriebene Szenen, in denen ich mir selber – wenigstens ein bisschen – auffällig werde. Als wir uns im Team
mal darüber unterhielten, dass Uli Mühe zum Gott hochgeschrieben würde, nahm man das wohl zum Anlass, mir
eine sehr berührende Episode zu schreiben: den Tod meiner Frau, verursacht durch einen Klinikfehler. Aber ansonsten, auf Dauer, nur der Satz: »Ulla, bring mir mal
einen Kaffee«, und dann schließe ich wieder die Tür. Als
Ulrich Mühe gestorben war, überlegte der Sender, die
Serie in irgendeiner Form wieder aufzulegen. Aber für den
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Kaffee und das Schließen der Tür wollte ich keine Gage
mehr haben. Eine Rolle darf mir auf Dauer nicht peinlich
werden, wenn ich sie übernehme. Eine Weile saß ich im
Fernsehen nur in dieser Chefetagenscheiße und drehte
einzig in dunkelblauen Nadelstreifen. Ich wurde in den
Filmen zumeist von einem Chauffeur gefahren und verhielt mich nobel – lieber hätte ich mal einen Taxifahrer
mit frecher Schnauze gespielt. Den Laden in Berlins Wilmersdorfer Straße, wo die vom Fernsehen immer die guten Anzüge kauften – ich konnte ihn schon nicht mehr sehen. Auch missfiel mir die Art, wie man als Schauspieler
im Film, ja: verwendet wird. Jane Fonda gründete eine
eigene Schnittfirma, weil sie für sich entschieden hatte:
Ich will mich nicht länger kaputtschneiden lassen. Diese
dramaturgisch und produktionstechnisch bedingte Willkür, die man als Schauspieler empfindet, die traf in den
letzten Jahren zusammen mit einer unangenehmen Tendenz zum Schnellverfahren. Quotendruck und Zeitdruck
vernichten Ideen, weil Ideen Hemmungslosigkeit und Risikofreude voraussetzen – Forschung, die sich nicht irren
darf, kommt an kein Ziel. Die Sender begreifen nicht,
dass sie vielen Schauspielern so die Gesichter stehlen. Als
wir die ersten Folgen von »Der letzte Zeuge« in den Gemäuern der alten Charité drehten, da waren für einen
Film vierzehn Tage Zeit, später wurde das auf siebeneinhalb Tage verkürzt. Die Frage, was zählt, ist verdrängt
worden von der Frage, wie sich alles rechnet.
Immerhin: Eines Tages bekamen Sie einen Berliner »Tatort«Kommissar angeboten.
Ich habe über dieses Angebot nachgedacht, und mir
wurde auch bereitwillig die Zeit für ein langes Bedenken
der Sache eingeräumt. Aber ich lehnte ab. Es hätte ein
anderes Leben bedeutet, einen anderen Rhythmus, unge270
wohnte Abhängigkeiten, ein Aufspalten der Energien.
Übrigens sagte ich ab, obwohl ich wusste, dass meine
Hoch-Zeit am Deutschen Theater im Grunde vorbei war.
Aber gerade das verstärkte meine ablehnende Haltung. Es
klingt jetzt mächtig philosophiekitschig …
Philosophiekitschig. Schönes Wort.
Es kam mir so vor, als würde ich meinem Leben untreu. Man denkt in solchen Augenblicken – auch weil es
um eine Menge Geld geht – etwas grundsätzlicher über
den Beruf nach. Ich weiß nicht, ob ich wirklich ein guter
Filmschauspieler gewesen wäre. Mir kommt die Frage immer auch dann in den Sinn, wenn ich einen alten DDRFilm sehe – ich werde ja des Öfteren wiederholt im Spätabendprogramm, und sei es in einem »Polizeiruf«, wo ich
dann amüsiert die damaligen Interieurs und die dicken
Mitropa-Tassen betrachte. Ich habe bei mir immer den
Eindruck, grob gesagt, dass ich beim Spiel aussteige und
neben mir stehe und zuschaue, was ich da treibe.
Kino ist die Illusion einer Realität, die einen förmlich aufsaugt, gegen die man keine Chance der Distanz hat. Film
vernichtet Abstände. Daher lebt der Film in besonderem
Maße von Gestalten, mit denen man sich identifizieren,
gleichstellen kann.
Das war mir möglicherweise nie gegeben. Was zum
Beispiel Manfred Krug machte, als Schauspieler, das ist
mir zu keiner Zeit möglich gewesen. Dieses Urbild von
Natürlichkeit. Vielleicht wirkte ich stets zu distanziert, so
als stünde ich tatsächlich neben mir und beobachtete, was
ich da spiele. Das ist sehr unbeholfen beschrieben und
vielleicht auch zu rigoros gedacht. Aber es ist egal, weil es
eh vorbei ist.
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Gibt es eine andere Kunst, in der Sie sich gern ausgedrückt
hätten?
Ich wäre gern Pianist geworden. Vielleicht hängt es mit
meinem Defizit an Bildung zusammen, das mich zum
Wort drängte, und sei das Wort in fremden Texten. Aber
Musik ist doch der Seelenstoff pur. Alles ist in einem besonderen Maße schön, was nicht der Worte bedarf. Wie
die bildende Kunst – eine Weile lang träumte ich auch davon, Bildhauer zu sein. Ich bewunderte Hrdlicka, von dem
wir schon gesprochen haben. Wenn ich in Paris war, etwa
zu einem Gastspiel, rannte ich geradezu in das Haus von
Auguste Rodin. Es traf mich zutiefst, was ich da sah. Dieses Äußerste an menschlicher Erfahrung. Diese zitternde
Balance zwischen Abgrund und Rettung.
Dieter Mann, sind Sie ein Familienmensch?
Ich bin sehr gern allein, aber nicht immer. Ich bin mitteilsam, aber nicht immer. Mein Auto stand abends vor
meiner Wohnung, aber nicht immer.
Dieter Mann, sind Sie ein Familienmensch?
Ich bin sehr gern allein, aber nicht immer. Ich …
Also letztlich doch ein Familienmensch?
Ich bin es über viele Jahre wohl eher nicht gewesen. Ich
weiß nicht, ob ich allen Menschen, die sich mit mir nah
und näher einließen, je das gegeben habe, was möglich
und vielleicht sogar nötig war. Ich weiß es wirklich nicht.
Ihre Eltern leben nicht mehr.
Der Tod meines Vaters, er war Jahrgang 1905, war
schnell und wahrscheinlich leicht. Er hatte Krebs. Er starb
zehn Jahre vor meiner Mutter, die 1910 geboren wurde.
Sie war ein sehr herber Mensch. Nachdem mein Vater ge272
storben war, ließen mein Bruder und ich ihre Wohnung
renovieren, kauften ihr einen Fernseher, ein neues Radio,
und natürlich bekam sie regelmäßig Geld von mir. Es
ging ihr gut. Zum Ende hin kam sie in ein Pflegeheim in
Pankow, sie hatte ein eigenes Zimmer, sie bestand auf
Alleinsein. Als das Heim renoviert wurde, besorgte ich ihr
einen Heimplatz, ebenfalls in Pankow, am Bürgerpark.
Sie war aber unzufrieden, wurde unbeherrscht, dafür
mussten irgendwann gar keine Gründe mehr herhalten.
Meine Mutter hat sich zu Tode genörgelt.
Haben Sie als junger Mensch viel über den Tod nachgedacht?
Immer. Wir haben schon darüber geredet: Ich bin kein
sehr optimistisches Gemüt. Von all meinen Lesungen übrigens hat mich Tucholsky besonders erschüttert: »Wenn
tot, werde ich mich melden«, die letzten Briefe. Letztlich
kommt das wahre, tiefe Nachdenken über den Tod ganz
ohne Philosophie aus, für mich besteht es in dem Satz: So
schnell kann’s gehen!
Der Satz fordert Konsequenzen für jede Stunde, die man
lebt?
Unmöglich. Man zieht solche Konsequenzen nicht
wirklich. Man ist dazu gar nicht in der Lage. Man müsste
einzig nur konzentriert leben – wie soll einem das gelingen?
Wie sagt der Schauspieler? »Das Sterben fiele einem leichter,
wenn das Publikum dabei wäre.«
Na ja … Der Anekdotenblock ist durch … Das Leben
ist meistens Gewöhnung, Routine, Gleichmaß, und genau dort nistet sich auch der Tod ein.
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Willkommen im Teufelskreis.
Tucholsky hat ja auf die Frage »Was würden Sie sagen, wenn Sie heute sterben müssten?« geantwortet: »Das
war alles? Und: Ich habe es nicht so richtig verstanden.
Und: Es war alles ein bisschen laut.« Erst schmunzelt,
dann erschrickt man – wie man eben vor einer Wahrheit
erschrickt.
2008 starb Ihr Bruder.
Er war bereits schwer krank, und die Gespräche kreisten schon um die Frage, wo er beigesetzt würde. Er sagte,
er habe in Deutschland kein Zuhause, war aber einverstanden mit einem Grab auf Usedom, dort, wo ich ein
kleines Haus habe. Ein Grab mit einem Felsstein.
Nähe zwischen Menschen erweist sich ganz wesentlich auch
im Streit. Hatten Sie je nennenswerte Streitpunkte miteinander?
Selbst für Spannungen zwischen uns war kaum Zeit.
Es gibt nicht mal gemeinsame Fotos. Otto hat wenig gesprochen, er war meinem Vater sehr ähnlich: Bevorzugt
schwieg er. Aber wenn er doch mal ins Erzählen kam,
konnte er sehr witzig sein, sehr eloquent. Er konnte phantastisch gut erzählen. Und er besaß eine wunderbare Gelassenheit, das war eindeutig die Folge seines Lebens in
Asien. Er drehte einfach am Globus, zeigte auf das gigantische China und dann, weit entfernt, auf das kleine
Pünktchen DDR . Damit war für ihn manches relativiert,
was wir hierzulande aufgeregt zum großen Problem aufgepustet hatten. In der Zeit, da es also um letzte Dinge
ging und wir Gespräche miteinander hatten wie vorher in
unserem gesamten Leben nicht, sagte Otto unvermutet:
»Du warst immer der Stärkere von uns beiden.« Mir ist
nie klar geworden, was er damit meinte, ich habe mich
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