Teil 4
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Teil 4
SUPREME COURT OF THE UNITED STATES, GRAHAM v. FLORIDA, No. 08–7412. Argued November 9, 2009—Decided May 17, 2010 Petitioner Graham was 16 when he committed armed burglary and another crime. Under a plea agreement, the Florida trial court sentenced Graham to probation and withheld adjudication of guilt. Subsequently, the trial court found that Graham had violated the terms of his probation by committing additional crimes. The trial court adjudicated Graham guilty of the earlier charges, revoked his probation, and sentenced him to life in prison for the burglary. Because Florida has abolished its parole system, the life sentence left Graham no possibility of release except executive clemency. He challenged his sentence under the Eighth Amendment’s Cruel and Unusual Punishments Clause, but the State First District Court of Appeal affirmed. Sanktionenrecht SS 2011 Page 1 Jugendliche und lebenslange Freiheitsstrafe in den USA 2008 6,807 Jugendliche verbüßen lebenslange Freiheitsstrafen – Davon 1,755 lebenslang ohne Bewährungsmöglichkeit – 77% afro-amerikanische Jugendliche – Davon knapp 10% für andere Delikte als Mord Zum Vergleich: am 31. 3. 2008 befanden sich insgesamt 663 Jugendliche in Deutschland in Jugendstrafvollzugsanstalten (zur Verbüßung einer Jugendstrafe) – Davon 13 mit einer voraussichtlichen Vollzugsdauer zwischen 5 und 10 Jahren Nellis, A., King, R.S.: No Exit. The Expanding Use of Life Sentences in America. The Sentencing Project, Washington, July 2009 Sanktionenrecht SS 2011 Page 2 Aus den Gründen 8. Zusatz zur Verfassung: Verbot grausamer und ungewöhnlicher Strafen “Embodied in the cruel and unusual punishments ban is the precept . . . that punishment for crime should be graduated and proportioned to the offense The Court first considers “objective indicia of society’s standards, as expressed in legislative enactments and state practice” to determine whether there is a national consensus against the sentencing practice at issue An examination of actual sentencing practices in those jurisdictionsthat permit life without parole for juvenile nonhomicide offenders, however, discloses a consensus against the sentence. Nationwide,there are only 129 juvenile offenders serving life without parole sentences for nonhomicide crimes. Because 77 of those offenders are serving sentences imposed in Florida and the other 52 are imprisoned in just 10 States and in the federal system, it appears that only 12 jurisdictions nationwide in fact impose life without parole sentences on juvenile nonhomicide offenders The inadequacy of penological theory to justify life without parole sentences for juvenile nonhomicide offenders, the limited culpability of such offenders, and the severity of these sentences all lead the Court to conclude that the sentencing practice at issue is cruel and unusual Sanktionenrecht SS 2011 Page 3 CASE OF KAFKARIS v. CYPRUS (Application no. 21906/04) JUDGMENT, STRASBOURG, 12 February 2008 The imposition of a sentence of life imprisonment on an adult offender is not in itself prohibited by or incompatible with Article 3 or any other Article of the Convention … At the same time, however, the Court has also held that the imposition of an irreducible life sentence on an adult may raise an issue under Article 3. In determining whether a life sentence in a given case can be regarded as irreducible the Court has sought to ascertain whether a life prisoner can be said to have any prospect of release. An analysis of the Court's case-law on the subject discloses that where national law affords the possibility of review of a life sentence with a view to its commutation, remission, termination or the conditional release of the prisoner, this will be sufficient to satisfy Article 3. Sanktionenrecht SS 2011 Page 4 Persönlichkeitsschutz und Resozialisierung BVerGE 35, S. 202ff: Lebach Fall – Rundfunkfreiheit und Resozialisierung – Täterberichterstattung ist unzulässig, wenn sie die Wiedereingliederung gefährdet » Nähe der Sendung zur Entlassung » Durch die Berichterstattung wird eine selbständige und neue Beeinträchtigung ausgelöst Sanktionenrecht SS 2011 Page 5 Die Vermögensstrafe §43a (1) Verweist das Gesetz auf diese Vorschrift, so kann das Gericht neben einer lebenslangen oder zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren auf Zahlung eines Geldbetrages erkennen, dessen Höhe durch den Wert des Vermögens des Täters begrenzt ist (Vermögensstrafe)…. (3) Das Gericht bestimmt eine Freiheitsstrafe, die im Fall der Uneinbringlichkeit an die Stelle der Vermögensstrafe tritt (Ersatzfreiheitsstrafe). Das Höchstmaß der Ersatzfreiheitsstrafe ist zwei Jahre, ihr Mindestmaß ein Monat. Sanktionenrecht SS 2011 Page 6 BVerfGE 2 BvR 794/95 20. 3. 2002 §43a des Strafgesetzbuches ist mit Art. 103 II GG unvereinbar und nichtig. – Das Gebot der Gesetzesbestimmtheit gilt (Art. 103 Abs. 2 GG) auch für die Strafandrohung. Strafe als missbilligende hoheitliche Reaktion auf schuldhaftes kriminelles Unrecht muss in Art und Maß durch den parlamentarischen Gesetzgeber normativ bestimmt werden, die für eine Zuwiderhandlung gegen eine Strafnorm drohende Sanktion muss für den Normadressaten vorhersehbar sein. – Bei der Entscheidung über die Strafandrohung darf der Gesetzgeber nicht nur Bestimmtheit und Rechtssicherheit anstreben. Er muss auch das rechtsstaatliche Schuldprinzip hinreichend berücksichtigen und es dem Richter durch die Ausgestaltung der Sanktion ermöglichen, im Einzelfall eine gerechte und verhältnismäßige Strafe zu verhängen. Schuldprinzip und Rechtsfolgenbestimmtheit stehen in einem Spannungsverhältnis, das in einen verfassungsrechtlich tragfähigen Ausgleich gebracht werden muss. – Hinsichtlich des Maßes der in Frage kommenden Strafe hat der Gesetzgeber einen Strafrahmen zu bestimmen, dem sich grundsätzlich das Mindestmaß einer Strafe ebenso wie eine Sanktionsobergrenze entnehmen lassen. – Führt der Gesetzgeber - wie bei der Vermögensstrafe nach § 43a StGB - eine neue Strafart ein, die zudem einen intensiven Grundrechtseingriff zulässt, so ist er gehalten, dem Richter - über die herkömmlichen Strafzumessungsgrundsätze hinaus - besondere Leitlinien an die Hand zu geben, die dessen Entscheidung hinsichtlich der Auswahl und der Bemessung der Sanktion vorhersehbar machen. Sanktionenrecht SS 2011 Page 7 Literatur Tiedemann, K.: Verfassungsrecht und Strafrecht. Heidelberg 1991 Lagodny, O.: Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte. Mohr: Tübingen 1996. Arnold, J.: Der Einfluss des BVerfG auf das nationale Straf- und Strafverfahrensrecht. StraFo 2004, S. 402407. Sanktionenrecht SS 2011 Page 8 Das System strafrechtlicher Sanktionen Kriminalstrafen – Geldstrafe (§40) – Freiheitsstrafe (§§38, 39) – Verwarnung mit Strafvorbehalt (§59 StGB) – Strafmodifikationen: Strafaussetzung zur Bewährung (§56 StGB) – Nebenstrafe: Fahrverbot (§44) Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§63 ff) – Freiheitsentziehend: Unterbringung in Psychiatrie, Entziehungsanstalt und Sicherungsverwahrung (§§63, 64, 66) – Nicht freiheitsentziehend: Führungsaufsicht, Berufsverbot, Fahrerlaubnisentzug – Verfall und Einziehung (§§73ff) Nebenfolgen (§45) – Verlust bürgerlicher Rechte Sanktionenrecht SS 2011 Page 9 Die Einbettung strafrechtlicher Sanktionen Strafverfahrensrecht – Einstellungen §§153ff StPO Strafvollstreckungsrecht – Vollstreckung der Geldstrafe und der gemeinnützigen Arbeit Strafvollzugsrecht – Vollzugsformen » Offener Vollzug » Freigängervollzug » Geschlossener Vollzug Gnadenrecht und Amnestie Sanktionenrecht SS 2011 Page 10 Determinanten strafrechtlicher Sanktionen Grundrechte und Verfassungsrecht Internationale Standards Sanktions- und Verfahrensökonomie Rechtspolitische Überzeugungen und Trends Sanktionenrecht SS 2011 Page 11 Verfahren und strafrechtliche Sanktionen Staatsanwaltschaftliche Einstellungen – §153 StPO – §153a StPO – §31a BtMG Strafbefehlsverfahren §§407 ff StPO Sanktionenrecht SS 2011 Page 12 §153 StPO (1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichtes bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind. Jugendstrafrecht §45 JGG Sanktionenrecht SS 2011 Page 13 §153a StPO (1) Mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten kann die Staatsanwaltschaft bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen und Weisungen erteilen, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Als Auflagen oder Weisungen kommen insbesondere in Betracht, – 1. zur Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens eine bestimmte Leistung zu erbringen, 2. einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen, 3. sonst gemeinnützige Leistungen zu erbringen, 4. Unterhaltspflichten in einer bestimmten Höhe nachzukommen, 5. sich ernsthaft zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich) und dabei seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wieder gut zu machen oder deren Wiedergutmachung zu erstreben, oder 6. an einem Aufbauseminar nach § 2b Abs. 2 Satz 2 oder § 4 Abs. 8 Satz 4 des Straßenverkehrsgesetzes teilzunehmen. Sanktionenrecht SS 2011 Page 14 §31a BtMG (1) In Fällen des §29 … kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre, kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht und der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut … oder besitzt. Vgl. hierzu BVerfGE 90, 145 (Cannabis Entscheidung) Sanktionenrecht SS 2011 Page 15 Länderrichtlinien zur Einstellung bei §31 a BtMG Regelungsbereiche » Cannabis » Harte Drogen: teilweise nicht erfasst, teilweise ausgeschlossen, teilweise geregelt Regelungscharakter » Teilweise Festlegung einer Grenze für zwingende Einstellung bei (in der Regel) 6 Gramm (Berlin 10 Gramm) » Teilweise Kann-Regelungen, Einzelfallbetrachtung Mengenregelungen » Cannabis: von drei Konsumeinheiten bis 15 Gramm, gewisse Tendenz zur 6 Gramm Grenze (Brandenburg, Schleswig Holstein, allerdings Berlin 2005 10 g) » Heroin: 0,5 – 1 Gramm » Tendenz zu Bruttogewicht Ausschluss der Einstellung – Fremdgefährdung (weitgehend einheitlich) » » » » Nachahmungsgefahr (Nähe zu Schule etc.) Demonstratives Konsumverhalten Anzeichen für Gefährdung des Straßenverkehrs, Arbeitsstätte Bestimmte Räume (beispw. Strafvollzug, Schule) – Wiederholungsfälle/gelegentlicher Konsum » Teilweise ausgeschlossen, teilweise irrelevant, unterschiedliche Zeitintervalle, abhängig auch von Suchtproblemen Polizeilicher Ermittlungsaufwand » Teilweise berücksichtigt, teilweise nicht » Bei Berücksichtigung: Sicherstellung, Feststellung des Gewichts, Vortest, Beschlagnahme und Kurzvernehmung Hilfsmaßnahmen: Information über Hilfsangebote, Einschaltung sozialer Dienste Sanktionenrecht SS 2011 Page 16 Menge (in Gramm) und Einstellungsregelungen 35 30 25 20 15 10 5 0 BW BY BB TH SN HH NRW RP Obligatorisch Sanktionenrecht SS 2011 ST SL Ermessen HB BE HE NI SH Ausnahme Page 17 Mengenverteilung bei Cannabis(konsum)delikten Quelle: Schäfer, C., Paoli, L.: Drogenkonsum und Strafverfolgungspraxis. Berlin 2006. 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Bayern bis 1 g Sanktionenrecht SS 2011 1-3 g Berlin 3-6 g Hessen 6-10 g NRW 10-15 g Sachsen Schleswig Holstein 15-30 g >30 g Page 18 Tatorte bei Konsumentendelikten Quelle: Schäfer, C., Paoli, L.: Drogenkonsum und Strafverfolgungspraxis. Berlin 2006. Spielplatz, Schule etc. Disko, Lokal etc. Kaserne Strafvollzug Privater Ort Öffentlicher Raum 2-4% 2-7% >1% >1% 12-20% 53-70% Geringer Anteil von Verfahren mit Bezügen zum Straßenverkehr (ca. 3%) Sanktionenrecht SS 2011 Page 19 Einstellung des Verfahrens bei Drogenkonsumdelikten Quelle: Schäfer, C., Paoli, L.: Drogenkonsum und Strafverfolgungspraxis. Berlin 2006. Bundeslandspezifische Analysen lassen erkennen – denselben Merkmalen kommt unterschiedliche Bedeutung in den Bundesländern zu » Beispiel: Vorbelastung, Alter – Besondere Unterschiede bei der Erledigung von Jugendstrafverfahren (NRW 30% Anklagen, Berlin 7%, Schleswig Holstein 2%) Bei Mengen bis zu drei Gramm Cannabis Anwendungsquote §31a zwischen knapp 40% (Bayern) und knapp 100% (Berlin) Bei Mengen zwischen 6 und 10 Gramm: §31a Quote zwischen 5 und 65% Bei Mengen zwischen 10 und 15 Gramm: §31a Quote zwischen 0 und ca. 63% Entsprechende Unterschiede bei anderen Drogen Sanktionenrecht SS 2011 Page 20 Wo wird gleichmäßig entschieden? Quelle: Schäfer, C., Paoli, L.: Drogenkonsum und Strafverfolgungspraxis. Berlin 2006. Bei Eigenkonsum Bis zu 6 g Keine Vorstrafe Keine sonstigen Hinweise auf Fremdgefährdung Einzeltat Diese Gruppe macht etwa 20% der Konsumententäter aus Im Übrigen unterschiedliche Behandlung Sanktionenrecht SS 2011 Page 21 Geringfügigkeitseinstellungen: Begründungen Verfahrensökonomie Verhältnismäßigkeit Vermeidung von Stigmatisierung Sanktionenrecht SS 2011 Page 22 Voraussetzungen Vergehen Verurteilungswahrscheinlichkeit (wenn die Schuld als gering anzusehen wäre), Abgrenzung zu §170 StPO Geringe Schuld – Anknüpfungspunkte in §46 StGB – BGH 3 StR 444/06 - Beschluss vom 16. Januar 2007 (lange Verfahrensdauer) Fehlendes öffentliches Interesse – Spezial- und Generalprävention (allerdings werden spezialpräventive Überlegungen jedenfalls teilweise bereits bei der Schuld berücksichtigt, z.B. Vorstrafen) – Gleichbehandlung Keine Zustimmung erforderlich: – Vergehenstatbestand sieht keine Mindeststrafe vor – Verursachte Folgen sind gering Sanktionenrecht SS 2011 Page 23