Reisebericht Brasilien 2014

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Reisebericht Brasilien 2014
Reise zum Stamm der Marubo in Brasilien
Ein Bericht von Marion Schneider und Klaus Dieter Böhm
Im Juni des Jahres 2014 besuchten die Ourchild e.V.-Vorstandsmitglieder Klaus
Dieter Böhm und Marion Schneider gemeinsam mit dem Ourchild-Mitarbeiter Paul
Moll (Mancio Lima, Acre, Brasilien) sowie dem Vertreter der Organisation CEIBA
(Centro de Estudos Indígenas da Bacia Amazônica), Prof. Guilherme Werlang (Rio
de Janeiro, Brasilien), dem Anwalt Dr. Fernando Pires, der das CEIBA-Projekt
ebenfalls unterstüzt und der ehrenamtlichen Unterstützerin des Projekts Ancke
Kohlschmidt (Weißenfels, Deutschland) den Stamm der Marubo im
Regenwald Amazoniens. Das Ziel der Reise bestand darin, die Entwicklungen des
Projekts „Rettet die Marubo“ zu verfolgen. Insbesondere der Fortschritt der Schule,
die im Dorf Vida Nova im Stil einer Maloca (traditionelles Lernhaus) gebaut wurde,
stand dabei im Mittelpunkt. Die Erkenntnisse und Erfahrungen, die wir im Rahmen
des viertägigen Aufenthalts bei den Marubo gewinnen konnten, möchten wir im
Folgenden darstellen.
Bildung bei den Marubo
Das brasilianische Schulsystem unterscheidet zwischen der Basisschule, der
Mittelschule und der Hochschule. Die Basisschule umfasst die Klassenstufen 1-9 und
ist in zwei Zyklen aufgeteilt. Den ersten Zyklus bilden die Schuljahre 1-5; den zweiten
Zyklus die Schuljahre 6-9. Dem Besuch der Basisschule schließt sich der Besuch der
Mittelschule für weitere drei Jahre an. Diese wird mit dem Abitur abgeschlossen, das
zum Besuch der Hochschule berechtigt.
Basisschule
1.-5. Schuljahr
6.-9. Schuljahr
Mittelschule
3 Jahre
Hochschule
Für die Schulbildung der Marubo ist das Secretaria de Education (SEDUC) mit Sitz in
Manaus zuständig.
In Vida Nova, dem Ort, der für alle Marubo-Dörfer zentral liegt und an dem die
Maloca gebaut wurde, sind vom Staat Amazonas zwei Lehrer für die Grundschule
eingestellt. Bei einem der Lehrer handelt es sich um den Heiler und Lehrer Benedito,
der bereits im Jahre 2011 Deutschland besuchte. Zum Zeitraum unseres Besuches
im Juni waren Schulferien. Die Ferien werden jeweils mit der vorhandenen
Landwirtschaft abgestimmt, sodass die Schüler die notwendige Hilfe für diese leisten
können. Der erste Zyklus der Basisschule wird von diesen beiden Lehrern
verantwortet und von den Kindern von 6-14 Jahren wahrgenommen. Die Schule
findet von 8:00 -11:00 Uhr morgens statt und alle Kinder des Dorfes nehmen daran
teil. Von 20 Schüler/innen schließen etwa 7-10 Schüler alle Stufen ab.
Nach den fünf Stufen der Grundschulbildung beginnt die Ausbildung in
portugiesischer Sprache und der Fachunterricht. Hier gibt es derzeit 22 Schüler und
drei Lehrer, von denen einer in Vida Nova lebt und die anderen beiden in Atalaia do
Norte. Alle drei Lehrer haben befristete Verträge. Die Schule wird geteilt, und der
Unterricht in der weiterführenden Schule besteht aus drei Schulstunden, die jeweils
40 Minuten dauern und ab 13 Uhr durchgeführt werden.
Beide Schulzyklen der Basisschule werden derzeit nicht im Dorf der Marubo
durchgeführt, sondern im Schulgebäude der Missionare. Dafür müssen die Schüler
und Lehrer jeden Schultag zunächst mit dem Boot den Fluß Itui überqueren und
dann ca. 20 Minuten zu Fuß durch den Regenwald gehen. Der Weg ist gut befestigt,
doch das Aus- und Einsteigen am Ufer, wo sich die Missionare befinden, ist sehr
beschwerlich. Wir haben die Schule bei den Missionaren besucht und festgestellt,
dass sie freundlich eingerichtet ist und luftig im Gesamtkomplex der Mission liegt.
Toiletten sind nicht vorhanden, da die Marubo sich seit Jahrzehnten weigern, diese
zu benutzen. Sie verbinden den Ort des „großen Geschäfts“ mit der Möglichkeit,
böse Geister anzuziehen und möchten dies aus diesem Grund nicht an einem
zentralen Ort durchführen. Die Missionare haben außerdem für das Übersetzen der
Marubo-Sprache in Schrift gesorgt und stellen die dazu passenden Lehrbücher
bereit. Zu Beginn findet der Unterricht also noch in der Sprache der Marubo statt und
erst nach etwa zwei Jahren in Portugiesisch.
Baufortschritt und Zukunft der Maloca
Bei unserem Besuch haben wir festgestellt, dass unsere Maloca noch nicht
vollständig fertig gebaut ist. Es fehlt ein Teil des Daches, da die Aluminiumplatten
noch nicht angeliefert wurden, sowie die Wände, für die das Material ebenfalls schon
erworben wurde. Auch ist der Wassertank noch nicht angeschlossen, jedoch
vollständig aufgestellt. Für diese Tatsache gibt es vielfältige Gründe, die teilweise
auch in der Kultur der Marubo und deren Verständnis verankert sind.
Die Anlieferung von Material zu den Marubo beträgt ca. zwei Tagesreisen, wovon
etwa 30 Kilometer in einem Fußmarsch zu erledigen und schwere Lasten nur durch
Menschenkraft zu transportieren sind. Für die Aluminium- und Seitenplatten hat sich
noch keine Gelegenheit gefunden, sie zu transportieren.
Als Hausbauer hat sich einzig der Marubo Abrao als kundig herausgestellt. Niemand
außer Abrao weiß, wie man eine Maloca in der vorgesehenen Form bauen kann.
Paul Moll, Benedito und Abrao selbst berichteten uns, dass Abrao der einzige ist, der
ehrenamtlich die bisherige Arbeit des Aufbaus der Maloca vollbracht hat. Er zeigte
sich bereit, die Arbeit an der Maloca auch zu vollenden.
Es ist wichtig zu erwähnen, dass die Marubo einen Zeitbegriff haben, der sich von
unserem völlig unterscheidet. Termine werden oft aufgrund von sich ergebenden
anderen Ereignissen trotz Vereinbarung nicht eingehalten, wozu es keine negativen
Sanktionen gibt.
Zudem haben die Marubo einen für unsere Vorstellung extremen Autonomiebegriff.
Kein Marubo kann einem anderen Marubo Vorschriften machen, zumindest was die
Männer anbelangt. Es gibt also keine Anweisungen eines Marubos an einen anderen
und auch keinen „Anführer“. Somit ist es nicht möglich, jemanden fest für eine Arbeit
zu verpflichten, da alles auf Freiwilligkeit beruht.
Diese beiden für unsere Kultur schwer vorstellbaren Prinzipien sind Realität, und wir
sehen es auch nicht als unser Recht an, diese in Frage zu stellen.
Wir können berichten, dass der Schulbau der Maloca einen enormen Schub im
Selbstbewusstsein und auch im Lebensgefühl der Marubo bewirkt hat. Erstmals seit
längerer Zeit wurde wieder etwas Bewegung in ihr Dorfleben gebracht, und neue
Hoffnung ist entstanden. Wir legten klar, dass weiteres Engagement unsererseits nur
dann erfolgen wird, wenn der Schulbau beendet worden ist. Als Termin hierfür gaben
wir die zweite Jahreshälfte 2014 vor und hoffen, dass bis dahin positive
Rückmeldung darüber erfolgt.
Wenn die Maloca komplett wie vereinbart fertiggestellt ist, kann ab Mitte 2015 der
zweite Bauabschnitt in Angriff genommen werden, in dessen Rahmen folgende
Ergebnisse erzielt werden sollen:
-
Die Unterbringung für Lehrer und Schüler – insgesamt 30 Personen
Drei Toiletten für Lehrer, Mädchen, Jungs – bei den Toiletten handelt es sich
um Toiletten mit Wasserspülung und Drei-Kammer-Abwassergrube
Regenwasser-Auffangsystem
Internetverbindung
Hebammenausbildung
Auf einer Versammlung am 12. Juni 2014 erklärten sich die Marubo damit
einverstanden, in der neu gebauten Maloca eine Hebammenausbildung durchführen
zu lassen. Unser Mitarbeiter Paul Moll stellte Ihnen das vorhandene, erfolgreiche
Ausbildungsmodul vor. Eine Krankenschwester und erfahrene Hebamme unterrichtet
in unserem Falle je zwei Geburtshelferinnen aus jedem der 13 Dörfer - also
insgesamt maximal 26 Personen - eine Woche lang mit Unterrichtsmaterialien von
der Universität und ggf. Landesregierung. Der dabei vermittelte Unterrichtsstoff
beinhaltet Hygiene, Geburtsvorgang, Geburtsnachbereitung und andere Themen.
Dabei soll es sich nicht nur um Unterricht, sondern auch um einen
Erfahrungsaustausch handeln, denn etliche der teilnehmenden Frauen können
möglicherweise schon auf viel Erfahrung zurückblicken. Der Kursus richtet sich
ausschließlich an Frauen. Am letzten Tag wird der Gemeinde, die den Kursus
ausrichtet, und anderen Interessierten das Ergebnis mitgeteilt, Zertifikate ausgeteilt
und jede Teilnehmerin erhält ein Erste-Hilfe-Set mit weiteren Materialien.
Medizinische Versorgung
Die noch vor einem Jahr extrem angespannte gesundheitliche Situation der Marubo,
2/3 waren an Hepatitis B erkrankt und mussten geimpft werden, hat sich inzwischen
entspannt. Wir waren positiv überrascht, dass die Marubo durch eine Krankenstation
in Vida Nova inzwischen gesundheitlich betreut werden. Diese Station ist ständig
durch zwei akademisch ausgebildete Krankenpfleger/innen, 2-3 Techniker/innen, die
mit Mikroskop u.ä umgehen können, sowie 2-3 angestellte und ausgebildete indigene
Gesundheitsagenten besetzt, die alle 13 Marubo-Dörfer versorgen. Die
Krankenstation wird von einer NGO geführt, die von der brasilianischen Regierung
bezahlt wird und der presbyterianischen Kirche angehört. In jedem der Dörfer gibt es
ebenfalls je mindestens einen Gesundheitsagenten, der von der Regierungsbehörde
SESAI (Secretaria Saude Indigena) bezahlt wird.
In Vida Nova verfügt die Krankenstation über einen Krankenstationsbau mit Küche,
Toilette und Dusche, Unterbringungs- und Behandlungsraum sowie Wasserzuleitung
und zwei Boote, mit denen die Mitarbeiter/innen zu den meisten Zeiten des Jahres
alle Dörfer bereisen können. Die Dörfer sind mit einer Funkanlage ausgestattet, so
dass gesundheitliche Notfälle schnell behandelt werden können, bei Bedarf auch mit
dem Hubschrauber innerhalb weniger Stunden. Die zentrale Funkanlage befindet
sich in Vida Nova.
Die Marubo wurden inzwischen durch die Regierung unter Einsatz von
Hubschraubern geimpft. Wir gehen davon aus, dass diese Impfungen wirksam sind.
Dass es zu dieser aufwendigen Hubschrauber-Impfaktion kam, ist vermutlich auch
auf die Proteste indigener Gruppen im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft 2014
zurückzuführen. Diese Gruppen haben angesichts der enormen Gelder, die für den
Stadionbau verwendet wurden, immer wieder darauf hingewiesen, dass es um
existentielle Bedrohungen von Leib und Leben der Indigenen in Brasilien – unter
anderem durch Hepatitis B-Erkrankungen – im Amazonasgebiet geht.
Zusätzliches Informations- und Bildmaterial finden Sie unter:
www.ourchild.de/presse/