Andacht für die 1. Woche der Passionszeit (5.3. – 11.3.2014

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Andacht für die 1. Woche der Passionszeit (5.3. – 11.3.2014
Andacht für die 1. Woche der Passionszeit (5.3. – 11.3.2014)
Loslassen – die Freiheit der leeren Hände
Loslassen – so lautet das Thema der ersten Passionsandacht in unserer Reihe „Wochen mit …
oder ohne?“. Das Thema „Loslassen“ hat viele Facetten. Ich möchte Ihnen mit dieser Andacht
Mut machen, sich in der kommenden Woche mit der Bedeutung einiger dieser Facetten für
ihr Leben auseinanderzusetzen.
1. Loslassen gehört zum Leben
„Komm lass los, ich fang dich auf!“. Ich war etwa vier Jahre alt. Meine Mutter war mit meiner
Schwester und mir zum Schuhe kaufen gegangen. In dem Schuhgeschäft gab es eine
wunderbare, gewendelte Rutsche aus Holz. Neugierig war ich die kurze Treppe nach oben
gestiegen. Nun saß ich oben auf der Rutsche krallte mich an ihren Seitenwänden fest und
blickte nach unten. Von hier aus sah die Rutsche doch viel höher und steiler aus als gedacht.
„Komm, lass los, ich fang dich auf!“ rief meine Mutter von unten und hielt die Arme auf, um
mir Mut zu machen. Es hat mehrere Anläufe und viel gutes Zureden gebraucht, bis ich die
Seitenwände losgelassen habe und losgerutscht bin. Was für ein herrliches Gefühl, so durch
die Kurve zu sausen! Und natürlich hat mich meine Mutter aufgefangen, auch wenn das
eigentlich gar nicht mehr nötig war.
Loslassen gehört zum Leben. Sei es als Kind, das die Hand der Eltern loslässt, um die ersten
eigenen Schritte zu tun, als junge Erwachsene das Elternhaus, um sich ein eigenes Leben
aufzubauen, als Mutter die eigenen Kinder.
Loslassen ist eine wichtige Voraussetzung, um im Leben neue Erfahrungen machen zu
können. Nur wer Altes loslässt, kann zu Neuem aufbrechen, hat Raum für neue Erfahrungen.
2. Loslassen bedeutet Sicherheiten aufgeben
Wissen Sie wie die Malachahadi in Afrika Paviane fangen? Sie bohren vor den Augen eines
Pavians ein sehr enges Loch in einen Termitenbau und füllen dieses mit Nüssen. Dann
verstecken sie sich und beobachten den Pavian. Paviane sind von Natur aus sehr neugierig.
Wenn der Pavian sich unbeobachtet fühlt, kommt er und steckt seine Hand in das Loch um
herauszufinden, was sich in dem Loch befindet. Um die Nüsse aus dem Loch zu ziehen macht
er eine Faust. Wenn der Machalahadi kommt um den Pavian einzufangen, versucht der
Pavian zu fliehen, ohne die Nüsse loszulassen. Doch die Faust passt nicht durch das Loch. Die
Paviane haben viel mit uns Menschen gemeinsam. Vielleicht haben Sie beim Lesen dieser
Geschichte gelacht. Aber benehmen sich diese Affen wirklich so anders als wir Menschen?
Auch uns fällt es oft schwer, Dinge loszulassen, selbst wenn wir wissen, dass sie uns schon
lange nicht mehr gut tun. Doch wer neue Wege gehen möchte, kann das nicht mit schwerem
Gepäck.
Ich habe dazu ein Zitat von Andrea Schwarz gefunden: „Auferstehung ist nur möglich, wenn
wir das Leben wagen … wenn wir bereit sind aufzustehen und loszugehen. Wie aber soll
man losgehen, wenn man um sich herum den ganzen Plunder eines Lebens aufgehäuft hat
und argwöhnisch darauf schaut, dass einem niemand was wegnimmt.“ (in. A. Grün;
A.Schwarz; Und alles lassen, weil er mich nicht lässt; Herder 2005).
Welche Gedanken, welche Träume, Wünsche und Lebenseinstellungen, aber auch welcher
Besitz binden mich und hindern wichtige Lebensveränderungen?
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3. Loslassen braucht Vertrauen
Loslassen gehört auch zum Glauben. Die Bibel erzählt viele Geschichten vom Loslassen. Sei
es die Geschichte vom Auszug Abrahams und Sarahs aus Haran, oder die Erzählung vom
Exodus des Volkes Israels aus Ägypten. Die Geschichten erzählen von Menschen, die ihre alte
Umgebung verließen, die das Vertraute losließen und sich auf den Weg ins Unbekannte
machten. Um diesen Schritt zu tun, brauchten sie Vertrauen auf den Gott, der sie ins
Unbekannte rief. Dass das nicht immer leicht war und mit viel Zögern, Stolpern und Fallen
verbunden war, auch davon erzählen diese Geschichten. Aber sie ließen das Altvertraute los,
sie machten neue Erfahrungen und sie erlebten, dass ihr Vertrauen belohnt wurde.
Loslassen braucht Vertrauen. Das fällt uns, je nachdem welche Erfahrungen wir gemacht
haben, unterschiedlich leicht.
Als Jugendliche war ich eher unsicher und hatte oft das Gefühl zu versagen. Da empfand ich
es als unglaublich tröstlich, als mir eines Tages ein Plakat mit einem Gedicht von Rainer
Maria Rilke in die Hände fiel. Es erzählt von der Vergänglichkeit und Zerbrechlichkeit des
Lebens und schließt mit den Worten: „Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich
sanft in seinen Händen hält.“ Gehalten sein, das Vertrauen, dass einer da ist, der mich hält,
auch in den schwierigen Situationen des Lebens. Die Sätze aus dem Gedicht von Rilke haben
mir eine erste Ahnung davon gegeben, wie Gott ist.
4. Loslassen schafft Freiheit
Auch in den Texten des Neuen Testaments geht es immer wieder um das Loslassen von
Sicherheiten, z. B. in den Berufungsgeschichten der Jünger. Mehrfach wird berichtet, wie
Jesus Einzelne auffordert ihm nachzufolgen und diese lassen alles stehen und liegen und
gehen mit. Sie verlassen ihre gewohnte Umgebung, ihre Beziehungen, ihre Sicherheiten,
ohne zu wissen, was sie erwartet. Besonders beeindruckend finde ich die Erzählung über den
Oberzollinspektor Zachäus (Lk 19, 1-10). Nach einer intensiven Begegnung mit Jesus bei
einer Mahlzeit, beschließt Zachäus die Hälfte seines Besitzes an die Armen zu verschenken
und allen, die er betrogen hat das Vierfache zurückzuzahlen. Die Begegnung mit Jesus hat
seine Lebenseinstellung verändert. Er braucht nicht mehr die Sicherheit des Besitzens. Er
kann vertrauen, dass er im Leben nicht zu kurz kommt und so kann er loslassen und mit
anderen teilen.
5. Passionszeit – Zeit des Loslassens?
In der Passionszeit nehmen wir den Weg Jesu ins Leiden und ans Kreuz in den Blick. Der
Hymnus in Philliper 2 beschreibt den ganzen Lebensweg Jesu als Passion, als Weg des
Loslassens. Zum besseren Verständnis zitiere ich aus einer modernen Übertragung:
„Ganz gleich wie Gott war er. Dennoch klammerte er sich nicht daran fest Gott gleich zu
sein. Nein, er gab alles auf und nahm die Gestalt eines Sklaven an. Ein Mensch wurde er,
allen gleich, ja er erwies sich in jeder Hinsicht als ein Mensch. Er stieg noch weiter hinunter.
Ganz gehorsam wurde er, bis zum Tod, dem Tod am Kreuz. Deshalb hat ihn Gott auch über
alles hochgehoben.“ (Phil. 2,6-9; Das Buch).
Der Text beschreibt Jesu Leben als konsequentes Loslassen, bis hin zum Loslassen des
eigenen Lebens.
Wer los lässt tut dies in der Hoffnung, dass das Neue, Bessere, wofür er das Alte loslässt,
gelingt – Gewissheit hat er in diesem Moment nicht. Er gewinnt sie erst später. Auch Jesus
hat sein Leben losgelassen im Vertrauen auf seinen himmlischen Vater. Im Vertrauen, dass
der ihn nicht lässt, der ihn auf diesen Weg geschickt hat. Das war kein leichtfertiges
Vertrauen, es war hart erkämpft, wie Lukas es uns in seinem Bericht über die Nacht im
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Garten Gethsemane überliefert hat (Lk 22,41-45). Und Gott hat sich zu diesem Weg des
Loslassens gestellt, indem er Jesus von den Toten auferweckte.
Loslassen ist oft nicht leicht. Das Loslassen eigener Sicherheiten braucht Vertrauen. Trauen
wir uns alte Sicherheiten und Gewohnheit loszulassen und Neues zu wagen, im Vertrauen
darauf, dass der uns auffängt, der selbst alle Sicherheiten los ließ, um sich auf den Weg zu
uns zu machen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine (los) gelassene Passionszeit 2014.
Sabine Richarz
Loslassen
Was will ich loslassen?
Meine Bequemlichkeit
Meine Gleichgültigkeit
und meine Selbstgenügsamkeit
Was will ich loslassen?
Mein Schweigen über die Ungerechtigkeit
Mein Wegsehen bei Konflikten
Und das Abwenden von den Schwachen und Ausgegrenzten
Was will ich loslassen?
Den Ärger über die verletzenden Worte der Nachbarin
Den Zorn über die ungerechte Behandlung durch die Mitschülerin
Und den Groll über den Vertrauensbruch der Freundin
Was will ich loslassen?
Die scharfen Worte des Vorgesetzten
Das Schweigen der Kollegen
Die Vorwürfe der Kinder
Was will ich loslassen?
Mich selbst und mein ängstliches Streben nach Sicherheit
Immer wieder, immer wieder neu.
Loslassen – manchmal selbst Dich und meine Gewissheiten über Dich
In der Hoffnung, dass Du mich auffängst – mein Gott.
(Sabine Richarz)
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