Lothar Trolle

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Lothar Trolle
Lothar Trolle
Sie leben! Sie leben! Sie leben noch immer!
Berliner Märchen
(c) henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2013. Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt.
Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufsund Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung,
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Da ist die Geschichte von IHM (dem DROGISTEN AUS DER PRENZLAUER ALLEE) PRENZLAUER ALLEE
ECKE … STRASSE EIN DROGIST verliebt sich eines Tages in ein junges Mädchen, das in sein
Geschäft gekommen war, weil die Mutter waschen will, aber es ist kein Waschmittel mehr im
Haus, und da ihm die 16-jährige besser gefällt, als ihm bis dahin eine Frau, auch die eigene,
gefallen hatte, benutzt er von nun an jede Gelegenheit, mit der Kleinen zusammen zu sein. Die
beiden gehen zusammen ins Kino, fahren mit der S-Bahn ins Grüne oder ... und so ist jedem, der
von der Sache weiß, bald klar, das ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der Herr sich scheiden
lässt, um danach seine Angebetete zu heiraten. Nur die Frau des Drogisten hofft lange, die
Affäre wird sich schon eines Tages von selbst erledigen, doch dann, ihr Mann hatte ihr
angekündigt, er fährt übers Wochenende zu Verwandten aufs Dorf und kommt Sonntagabend
zurück, doch dann kommt er erst Mittwochabend zurück und - wie sie später herausgekriegt war er auch nicht zu den Verwandten gefahren, sondern die halbe Woche mit der Kleinen in Binz
verbracht) muss ihr keiner mehr erklären, die Sache wird ernst und sie rennt („Du, ich muss
einmal eine Stunde weg! Im Geschäft ist ja im Augenblick nicht ...!“ (usw.) zum Pfarrer der
Zionskirchgemeinde, steht dort fast eine Stunde im Flur vor dem Büro des Pfarrers herum und als
der endlich aus seinem Büro tritt und seine Bürotür abschließen will, geht sie da im Flur des
Gemeindehauses vor dem Pfarrer auf die Knie und bettelt den Pfarrer an: „Herr Pfarrer, helfen
Sie mir! Herr Pfarrer, mein Mann hat eine andere und wird mich eines Tages verlassen! Bitte,
bitte, Herr Pfarrer, machen Sie meinen Mann wieder in mich verliebt!“ Der Pfarrer, der es
eigentlich eilig hat,- die Frau hatte schon Bescheid gesagt, man wartet mit dem Abendbrot, bleibt tatsächlich stehen, drückt sich nicht an dieser fremden Frau, die da diesen etwas
merkwürdigen Auftritt hatte, vorbei, mustert sie, die da vor ihm kniet sogar einen Augenblick,
denkt dann eine Weile nach, runzelt auch die Stirn und sagt dann: „Hm“, und sagt dann noch
einmal: „Hm“. Und dann zieht er vom Zeigefinger seiner rechten Hand einen Ring und sagt:
„Nehmen Sie diesen Ring. Er besitzt Zauberkraft, er ist imstande im Herzen eines Mannes Liebe
zu entfachen und diese an sich zu binden.“ Die Frau, die da am Boden knieend den Pfarrer nicht
aus den Augen gelassen hatte, „na, na, und was fällt dem Herrn Pfarrer jetzt ein,“ hört, kaum
dass der Pfarrer den Ring von seinen Fingen gezogen hatte, sofort auf mit ihrer Bettelei, ist
augenblicklichst wieder auf den Beinen, grapscht sich den Ring und sperrt noch vor den Augen
des Pfarrers da im Korridor des Gemeindehauses ihren Mund auf und bettet den Ring vorsichtig
unter ihre Zunge. Und wie der Pfarrer ihr versprochen hatte, geht ihr Mann, kaum dass sie unter
der Zunge den Ring ihr Geschäft in der PRENZLAUER ALLEE betritt, nun seinerseits, und das vor
den Augen der Kunden, die in diesen Momenten gerade im Geschäft sind, vor ihr auf die Knie und
fleht sie mit emporgestreckten Händen an: “Verzeih mir diese dumme Geschichte! Von heute an
liebe ich nur dich und das wie in den ersten Tagen unserer Liebe.“, und von da an leben die
beiden glücklich wie in den besten Wochen ihrer Ehe, nur dass der Drogist sich hin und wieder
wundert, warum fällt es meiner Frau immer so schwer bestimmte Worte auszusprechen und
warum gefällt es ihr überhaupt nicht, küsse ich sie auf den Mund. Doch dann stirbt die Frau, und
da sie unter ihrer Zunge noch immer den Ring trägt, sitzt der Drogist nun Tag und Nacht neben
ihrem offenen Sarg und lässt nicht zu und … und … und so vergehen Wochen und schon erzählt
man sich, der Drogist hätte aus Schmerz über den Tod seiner Frau den Verstand verloren und
dass man etwas unternehmen müsse. Und so hört schließlich auch der Pfarrer der
Zionskirchgemeinde von der Geschichte und - was hab ich da angerichtet, diese Frau, besser, ich
hätte ... mein Ring! ... bekommt Mitleid mit dem Drogisten und verschafft sich, und das genau
an dem Tag, an dem die Polizei anrückt, die Sache auf ihre Weise zu lösen, Zutritt zur Wohnung
des Drogisten und während der damit beschäftigt ist, seine Wohnung vor der Polizei zu
verbarrikadieren, geht der Pfarrer ins Schlafzimmer, wo die Tote liegt und entfernt mit einem
raschen Zugriff aus dem Mund der Toten den Ring, seinen Ring, den er ihr damals überlassen
hatte und plötzlich hat der überhaupt nichts mehr dagegen, dass die Polizei in Aktion tritt,
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öffnet völlig unerwartet, draußen vor der Wohnungstür die Besatzungen der beiden
Funkstreifenwagen hatten schon aufgehört, ihn dazu aufzufordern, hatten nun schon
angefangen ..., von sich aus die Wohnungstür, erteilt den Polizisten sogar Ratschläge, wie sie sie
den Sarg mit der Toten am besten aus der Wohnung bugsieren könnten und er (wer staunt
darüber mehr, als er selber) verspürt auch nicht die geringste Lust, die sterblichen Überreste
seiner Frau nach Baumschulenweg ins Krematorium zu begleiten. Und der Pfarrer, was machte
der, der fragt, kaum dass die Polizei mit der Leiche abgerückt war den Drogisten, ob der nicht
Lust hätte, mit ihm nach Weißensee zu fahren, Eis essen und bei einem Spaziergang um den
Weißenseer See die ganze Angelegenheit vergessen. Und die beiden sind noch auf ihrer ersten
Runde um den See, als der Pfarrer, hinter dem Rücken des Drogisten, in seine Westentasche fasst
und den Ring, den er in seiner Westentasche bei sich getragen hatte, heimlich, verstohlen - jetzt
wird doch keiner sehen, was ich mache, und wenn jemand doch etwas sieht, kapiert der auch,
was ich hier mache, den Ring aus seiner Westentasche hervorzuholen, um ihn - weg damit, weg,
weg, Zauberei hat noch nie etwas Gutes angerichtet - mit einer weiten Armbewegung in den See
zu werfen und sich danach “ Also ich muss jetzt ...!“ (usw.) eiligst von dem Drogisten zu
verabschieden. Und was macht (nun endgültig allein) der Drogist? Der kuckt (von dort wo man
sich getrennt hat) zu, wie der Pfarrer langsam aus seinem Blickfeld verschwindet, der ist jetzt
oben in der Buschallee bei der Straßenbahnhaltestelle angekommen, und da fährt auch schon
eine Straßenbahn vor und er, der Herr Pfarrer, …. und setzt sich dann auf eine der Bänke, die
da am Weißenseer See stehen, setzt sich und fängt an wie ein Verliebter auf den See zu kucken.
Und auch noch Stunden später, als es immer dunkler wird und immer seltener Leute an ihm und
der Bank vorbei spazieren, und am Vormittag danach und auch noch am nächsten Nachmittag
und auch noch am Tag danach sitzt er auf dieser Bank ... und ... und ... und wenn er inzwischen
nicht gestorben ist, dann sitzt er auch heute da auf seiner Bank und kuckt ganz verliebt auf den
Weißenseer See oder wirft hin und wieder dem See eine Kusshand zu oder steht auf, geht zum
See und kniet sich, am Ufer angekommen, hin und versucht, die kleinen Wellen, die da gegen das
Ufer schwappen, zu streicheln, manchmal sogar zu küssen. Oder watet bis zu den Knien in den
See, taucht dann den Kopf ins Wasser und küsst den Grund des Sees, und ihn wird es wohl am
allerwenigsten stören, dass die Leute ihn einen Idioten nennen, der eigentlich ins St.-Joseph
Krankenhaus ... dieser Idiot, der gehört doch eigentlich ins St. Joseph-Krankenhaus ... dieser
Idiot, der gehört doch eigentlich ins St. Joseph-Krankenhaus ... usw.) und das ist eine von den
Geschichten (die sich die fünf, sechs, sieben, acht, neun, (die da (tröpfchenweise (d.h. in
Minuten,- bzw. halbe-Stunden-Abstand war man aus einem Hauseingang getreten (bzw. von
drüben aus der ... straße bzw. der ... straße gekommen, (und jeder von ihnen hatte dabei nur
ein Ziel vor Augen gesehen (?), das Etablissement (die Einrichtung, die Niederlassung), vor der
man noch gestern Nachmittag (die Rechte an seiner Flasche STERNBURGER?) bis zum
Dunkelwerden auf schmalen Bänken an schmalen Tischen gesessen hatte (?)), ECKE ... bzw. ECKE
... STRASSE (EINE EINFACHE STRASSE MIT EINFACHEN HÄUSERN IN DENEN EINFACHE LEUTE
WOHNEN) (nun wie lange schon) herumstehen, herumsitzen) erzählen, (zuhören wie ein anderer
sie erzählt ) (und eine andere handelt von einem Busfahrer der BVG, der monatelang vor
Kopfschmerzen nicht schlafen konnte (IN MOABIT IN DER TURMSTRASSE EIN BUSFAHRER DER BVG
litt nun schon seit Monaten an Kopfschmerzen und kein Arzt, nicht einmal der berühmte
Professor …, konnten ihm erklären, woher diese Schmerzen kommen. Und so quälte sich der
Mann Nacht für Nacht herum, schlief keine Nacht mehr durch, verfluchte sich, seinen Kopf, die
Ärzte und war nur neidisch auf seine Frau, die da neben ihm im Bett lag. Ja, die weiß
wahrscheinlich nicht einmal was Kopfschmerzen sind, die hatte, wie man hören konnte, einen
gesunden Schlaf. Und so lag er wieder einmal, er hatte Frühdienst, nachts in seinem Bett
,fluchte leise vor sich, als ihm plötzlich auffiel, da ganz langsam und unhörbar schiebt sich die
Schlafzimmertür auf und, obwohl er dergleichen nicht sehen konnte, spürte er doch deutlich,
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jemand ist gerade dabei, das Schlafzimmer zu betreten. Und bevor er sich aber klar werden
konnte, was könnte das bedeuten, hörte er auch schon von der Schlafzimmertür eine Stimme
leise reden: „Geh in den Friedrichshain und finde dort das Denkmal von Siegfried dem
Drachentöter, und dann grabe neben diesem Denkmal genau unter Faffners erhobener
Vordertatze in die Erde ein Loch.“ Und bevor er fragen konnte, wer hatte da zu ihm gesprochen
und ob ihn da nicht doch jemand hereinlegen wollte, konnte er sehen, wie sich die
Schlafzimmertür langsam wieder zu schob und nun war deutlich zu spüren, jemand verlässt
gerade das Schlafzimmer. Und obwohl der Mann nicht wusste, was er von all dem halten sollte,
sprang er trotzdem rasch aus dem Bett, zog sich leise,- das fehlte noch seine Frau wacht jetzt auf
und fragt, was er vorhat,- an, sein Kopf dröhnte wie seit Monaten, nahm aus der Küche eine
Kohlenschaufel und fuhr mit einem Taxi hin zum Friedrichshain. Dort irrte er in der Nacht über
eine Stunden durch den Friedrichshain, bis er endlich im Gebüsch hinterm Ententeich das
Denkmal gefunden, von dem die Stimme gesprochen hatte und kaum, dass der Mann, wie ihm
von der Stimme empfohlen worden war, unter Faffners Vordertatze ein drei Kohleschaufeln tiefes
Loch gegraben hatte, tauchte vor ihm im Erdreich ein Totenschädel auf. Und nun kannte der
Mann kein zurück mehr, buddelte hastig weiter, bis der Schädel da vor ihm im Loch soweit frei
lag, dass er sehen konnte, mitten durch den Totenschädel, hinein durch die rechte Augenhöhle
und hinaus durch den Hinterkopf, bahnte sich eine Baumwurzel ihren Weg, ja, die Wurzel hatte
bereits angefangen, den Schädel auseinanderzutreiben, zudem war der ganze Schädel über und
über von kleinen Wurzeln überwachsen. Natürlich brauchte der Mann nicht lange, um zu
begreifen, dass seine Kopfschmerzen etwas zu tun haben mit dem Schädel, der vor ihm in der
Erde lag, dass der völlig von Wurzeln über- und durchwachsene Schädel vielleicht sein eigener
Kopf aus einem früheren Leben war und wütend auf seine Kopfschmerzen, entfernte er rasch alle
Wurzeln, die da den Totenschädel umklammert hielten, zog vorsichtig die Wurzel, die durch den
Schädel gewachsen war, heraus und - atmete erleichtert auf, denn kaum, dass er mit seiner
Arbeit fertig war, spürte er deutlich, in seinem Kopf die Schmerzen lassen nach und sind nach
Minuten völlig verschwunden. „In unserem Leben hängt also doch viel mehr zusammen, als man
ahnt“, dachte da der BVG-Schaffner aus der Mulackstrasse, „doch jetzt wird dieses Monstrum
wieder verbuddelt und und dann ... dann fahre ich nach Hause ... und dann wird erst einmal ...
wird erst einmal …“ (usw.) und eine andere wiederum von ( ), aber was sind das eigentlich für
Leute, was sind das für „einfache Leute (wie heißen sie, wie haben sie den Vormittag zuvor
verbracht … usw.), und was haben sie eigentlich vor, dass es sie offensichtlich nicht stört, sich
heute umsonst auf den Weg gemacht zu haben, (denn dort, wo sie noch gestern gesessen und ihr
Bier getrunken haben, stehen nun keine Bänke, keine Tische mehr auf den Gehweg und vor der
Ladentür, die für sie so etwas war wie der Eingang zum Paradies, die Jalousie ist
heruntergelassen) dass es für sie Anlass genug ist (?), dass man hier Ecke ...(einer Straßenecke,
die sich durch nichts unterscheidet, von der Straßenecke eine Straße weiter, bzw. der Ecke ...
(und an der natürlich auch noch andere Leute unterwegs sind, (und da ist nicht nur ER ... bzw.ER
..., da ist auch ...)) zu siebent, acht, neunt, zehnt … (und weiß man, ob sich nicht da bald ein
kleiner Volksauflauf bildet) den schmalen Gehweg bevölkert (und es ist mit vielem zu rechnen,
nur nicht damit ,dass eine gewisse Jalousie nun doch wieder nach oben gezogen wird, auf dem
Gehweg bald wieder Tische und Bänke stehen) um sich so eine Geschichte zu erzählen (die da
neulich erst passiert ist (?)(ER (AUF SEINEM NACHHAUSEWEG AUS DER ... IN DER RYKESTRASSE)
sieht jetzt sie (die drei), die ihm von da von der Sredzkistraße entgegenkommen JEDER VON
IHNEN TRÄGT EINEN HUT, DANN DIE LANGEN (SCHWARZEN) BACKENBÄRTE, ABER WIE TRAGEN SIE
NUN DIE HOSENBEINE ... UMGEKREMPELT ODER ... UND grüße ICH DIE NUN ODER ... WAS
SOLLS)„Schalom!“ und ... doch da.(„He Jude!“ (BESSER ICH BLEIBE JETZT STEHEN UND DREH
MICH UM) doch auch die drei sind stehen geblieben und mustern ihn aus ca. 5 Meter Entfernung)
„Also Jude, wen von uns drei hast du eben gegrüßt?“ (HMM HMM, WAS NUN ...) „Na wen schon,
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denjenigen, der von euch dreien der Dümmste ist.“ „Also, wenn da so ist, kannst du nur mich
gegrüßt haben, ich, und das muss ich euch nicht erklären, bin doch ein kompletter Idiot.“ - „Du?
Wenn einer von uns Grips hat, dann doch du! Also, wenn hier einer von sich behaupten kann, er
ist blöd, dann bin es doch ich!“ - „Du? Du hältst dich für blöd! Da kann man doch nur lachen!
Wenn einer von uns so richtig blöd ist, dann doch nur ich! Oder!“ - „Oder!“ – „Oder soll ich dir
jetzt ...!“ - „Aufhören! Aufhören! Die Bärte könnt ihr euch später immer noch ausreißen! Das
muss doch raus zu kriegen zu sein, wer von uns der Allerblödeste ist. Ich bin blöd, das habt ihr ja
eben erlebt, als ich euch gegrüßt, doch wer von euch kann es in dieser Beziehung mit mir
aufnehmen. Also erzählt etwas von euch, was ihr einmal erlebt habt und was bestimmt kein
anderer hätte erleben können, als derjenige, der es erzählt. Na los, fangt schon an!“ - „Also, ich
war einmal Prediger in einem Nest 20 Kilometer östlich von Sahla, ihr wisst, wo das liegt und saß
eines Abends in meiner Behausung bei Kerzenlicht, damals war noch Krieg und Stromsperre war
die Regel, und dachte nach ... dachte nach ... und was predige ich nun morgen meinen Gläubigen
..., also gut, erzähle ich ihnen etwas von der Wichtigkeit einer richtigen Bartlänge, dass der Bart
eines echten Gläubigen nicht länger sein darf, als seine Hand breit ist ... und betrachte bei
Kerzenschein meinen eigenen Bart … o, o, der war nicht nur über zwei Handbreit lang, der war
lang wie ... wie ... wie ... was nun, eine Schere besaß ich nicht, also hätte ich mir die Barthaare
einzeln auszureißen ... und stehe dann da als Bartloser ... also… also ... also nahm ich meine
Kerze, mit der ich nun schon den zweiten Abend und mit der ich vermutlich auch noch einen
dritten Abend hätte verbringen können ... eine Kerze ist doch auch Feuer ... also hielt ich meine
Kerze mit ihrer kleinen Flamme ... so blöd kann man sein ... an meinen viel zu langen Bart, ...
und die kleine Kerzenflamme sengte auch die untersten Haare meines Bartes weg, doch dann
sprang das Feuer über auf den Rest des Bartes und im nächsten Augenblick war mein ganzer Bart
verbrannt und mein Gesicht war auf seiner Linken völlig geschwärzt und auf seiner Rechten rot
wie ein Granatapfel ... trete ich also morgen geschminkt wie ein Clown vor meine Gläubigen ...
noch in derselben Nacht bin ich ... und bin gerannt, gerannt, gerannt, und bin … und kam so bis
nach Moabit in die Erasmusstraße, wo ich noch heute wohne und ihr wisst jetzt, wie blöd ich
bin.“ - „Und ich war Lehrer in einem Vorort von Jerash, der Name sagt ja alles, und saß an einem
Frühlingstag bei dem Brunnen, in dem sich die Gläubigen unserer Gegend die Hände und Füße
mit Wasser benetzen ... ich saß da, um mich meine Schüler und da, um auch meine Waschung
vorzunehmen, beuge ich mich über den Brunnenrand, doch da ... was ist das, ist da etwa jemand
in dem Brunnen, ... ein anderer Langbart, der, weil er nicht gesehen werden will, sich jetzt weg
duckt ... der hockt in dem Brunnen hier bei unserer Schule und wartet auf eine Gelegenheit, mir
meine Stelle wegzunehmen, ... ich wär weg und er wär da ... also fange ich an, auf ihn
einzureden: „Was wollen Sie hier! Hier in dieser Schule bin ich der Lehrer! Also verschwinden
Sie!“ Der aber denkt nicht daran, meiner Aufforderung Folge zu leisten, also wende ich mich an
meine Schüler“. Kuckt euch einmal diesen Feigling an! Der will mich aus meinem Amt
verdrängen. Aber jetzt zerre ich den aus seinem Versteck, doch ihr, meine Schüler, bewaffnet
euch inzwischen mit Stöcken oder mit etwas, was man als Stock benutzen kann und habe ich den
dann nach oben geholt, dann lasst ihn mit euren Stöcken spüren, was ihr davon haltet, dass er
mich aus meinem Amt vertreiben will ... und wenn er dann behauptet, er wär euer neuer Lehrer,
dann haut noch kräftiger zu ... also, ich klettere jetzt in den Brunnen und hole den Kerl
heraus.“... Was habe ich eben gesehen ... in dem Brunnen ist keiner ... Wie blöd muss man sein,
wenn man schon Gespenster sieht ... also klettere ich zurück nach oben, doch da beweisen mir
meine Schüler, dass sie meine Schüler sind ...“. Hört auf! Hört auf! Ich bin doch euer Lehrer!“ ...
aber ich habe ich Ihnen nicht selber gesagt, und wenn er dann behauptet, er ist euer Lehrer,
dann ... und mit blutender Nase, blutüberströmt, mache ich, dass ich davon komme ... und renne
... und renne ... und ... und ... und blöd wie ich bin, komme ich bis in den Wedding, in die
Soldiner Straße, dort muss ich aber bald ausziehen, wisst ihr vielleicht, wo es hier noch billige
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Wohnungen gibt ... .... ....“ „Und ich galt in Medenine, euch muss ich ja nicht erklären, von
welcher Schönheit ich jetzt rede, als der Mann, der von seiner Großmutter das Talent geerbt hat,
er heilt jede Krankheit ... man bringt zu mir eine zweifache Mutter, die … hätte, ich reiche der
Frau meine Rechte, lege ihr meine Linke auf den Kopf und so flüstere ich mir über eine Stunde
die unterschiedlichsten Gebete und zwei Tage später höre ich dann, „meiner Frau gehts schon
wieder viel viel besser!“, ... man bringt zu mir eine Sechsjährige, die seit Monaten ..., ich nehme
das Kind in meine Arme, es kuschelt sich an mich und ich und das Kind singen stundenlang ganz
leise Lieder, und was passiert ... ich muss nicht lange warten, bis mich ihr Vater aufsucht, um
mir mitzuteilen, unser Kleinod ist nicht wieder zu erkennen, gestern wollte sie sogar von sich
aus wieder auf die Straße, um mit den anderen Kindern zu spielen, ... und natürlich zeigte sich
dieser Vater, wie all die anderen, die mir so viel zu verdanken hatten, durchaus erkenntlich ... ich
in Medenine, ich war ein rund um zufriedener Mann, der durchaus eine gewissen Achtung genoss
... und mich sucht eines Tages diese Schönheit auf, bei deren Anblick ich nur noch stammeln
kann ...“ Balsam ihre Augen, ihre Brüste Eier aus Karneol, eine Vogelfalle aus rotem Holz ihre
Stirn ...“, und dazu dieser Mann, der sie mir („meine Frau, die hat ..., sie wissen schon, von was
ich rede ... und natürlich werde ich ...“ gebracht hatte, übrigens eine der einflussreichsten
Persönlichkeiten unserer Stadt ... “ ihre Augen dunkel wie der Schatten eines Tuba-Baumes ...
und wenn sie redet, ihre Stimme wie das Murmeln der Kanthar- Quelle im Herzen des Paradieses
...“ - „Meine Dame setzen wir uns zur Therapie in den Schatten eines Tuba-Baumes, dort wo wir
ganz allein sind, wo kein anderer uns Gesellschaft leistet, als das Murmeln eines Baches, ...“ ihre
Haare schwärzer, als die Schwärze der Nacht, als Weintrauben und Feigen, ebenmäßig wie Kerne
ihre Zähne und ihre Brüste in Oberarmhöhe ...“, sie kamen zu zwölft, „wo steckt denn unser
Doktor! ... dem werde ich ... nach zwei Stunden ist alles überstanden ... gesegnet der Sohn, den
sie bald empfangen werden ...“. In Medenine kann ich mich seitdem nicht mehr blicken lassen
und ich, der in seinem Garten ein Schwimmbad aus besten Cararar-Mamor hatte, wohne jetzt
drüben in der Duncker, Quergebäude Parterre, ein Zimmer, aber das kann ich wenigstens
bezahlen, jetzt sagt ihr, einen größeren Idioten als mich gibt es doch nicht.“ - „Nein, nein, nein
... (und so stehen sie noch immer da (Ryke- Ecke Sredzkistrasse) zusammen) „... wenn hier
einer von sich behaupten kann, er ist ein Idiot, dann ich! Nein ich! Nein, mich hat der Jude
gegrüßt! Jude, jetzt sag du, wen von uns hast du gegrüßt! (Ich grüße überhaupt keinen, ich
grüße nur mich selber ...! usw.), aber wer sind die, wer sind die, die nun schon ... Stunden an
einer Straßenecke verbringen und das machen, was man macht, verbringt man ... Stunden an
einer Straßenecke (sich aber dabei noch Geschichten erzählen wie (IN DER EBERTYSTRASSE EINE
FRAU kuckte, war sie von ihrer Arbeit nach Hause gekommen war (sie arbeitete als ... bei ... )
jeden Nachmittag jeden Nachmittag, stundenlang stundenlang (und an den Sonnabenden und
Sonntagen ganze Vormittage und Nachmittage lang, aus dem Fenster ihrer Wohnung oben im
vierten Stock, lehnte sich ganz weit aus ihrem Fenster und hielt Ausschau, sie muss doch
zurückkommen, sie muss doch zurückkommen ... weiß sie nicht, wie sehr ich auf sie warte.
Kinder spüren doch meistens, wenn eine Mutter auf sie wartet, ... nach ihr, die sie seit dem
Freitag (und es zwar der Tag an dem sie ... ihre Prüfung als Facharbeiterin für … bestanden
hatte) an dem sie, ihren kleinen Rucksack auf dem Rücken, zu ihr, der Mutter, ins Wohnzimmer
getreten war, zu ihr, die meistens zu dieser Zeit, Fernsehen gekuckt hatte und zu ihr gesagt
hatte: „Mutter, ich fahre übers Wochenende mit ... nach … wir wollen ein bisschen abhängen.
Aber spätestens Sonntagabend bin ich zurück, ich muss ja Montag wieder arbeiten.“ Und die sie
seitdem nicht mehr gesehen hatte und über deren Aufenthaltsort ihr keine Polizei … erteilen
konnte ... ihre …, wo und was für Leute hatte sie die Nacht von diesem Freitag verbracht ... und
dann den Sonnabend danach … und was sie noch alles erlebt, in all den Jahren, in denen ihre
Mutter hier auf sie gewartet ... „Wo soll die schon sein! Die ist abgehauen in den Westen und
jetzt meldet sie sich nicht mehr ...!“ Ihre …, war sie inzwischen verheiratet ... und hatte sie
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vielleicht schon selber Kinder? ... Und dann sahen die beiden Frauen sich eines Tages doch
wieder. Es war an einem Dienstagnachmittag kurz nach 16 Uhr und sie, die Mutter, war gerade
auf ihrem Weg von der Arbeit mit der S-Bahn am S-Bahnhof Landsberger Allee angekommen und
war gerade dabei, mit all den anderen, die mit ihr aus der S-Bahn gestiegen, die Treppe des SBahnhofs nach oben zu gehen und da hörte sie hinter sich eine Stimme: „Mutter! Mutter! So
warte doch!“ Und als sie sich umdrehte, stand da hinter ihr inmitten des Gedränges, kein
anderer als sie, auf die sie so lange gewartet hatte. Sie stand keine zwei Schritt von ihr entfernt
auf dem Treppenabsatz, hielt ihr einen kleinen Krug hin und sagte: „Kuck her, Mutter, mein Krug
ist fast voll. Das hier Mutter sind all die Tränen, die du um mich geweint hast und die ich hier in
meinem Krug gesammelt habe. Denn du sollst wissen, dass ich immer, immer bei dir war. Ich war
bei dir, damals, als ich durch die Spree geschwommen bin, ich war bei dir, als ich dann in
Kreuzberg, später in Neukölln heimisch wurde, ich war bei dir, in all den Jahren, in denen ich es
aufgegeben, irgendwo heimisch zu werden und ich war bei dir, in den vier Tagen, in denen ich im
Roosevelt Krankenhaus lag und keiner mir erklären wollte, wie es um mich steht, und jetzt weine
Mutter, weine, weine, noch ist mein Krug nicht voll ...“ (usw.), aber wer sind sie, ... wer sind sie
... was haben sie vor, (die sich dann sogar (aus Freude / Enttäuschung dass es hier nun kein Bier
mehr gibt (?) ) zu zweit, zu dritt, zu ... da am Rand des Gehwegs als Chor postieren (?) und
(minutenlang/ stundenlang) Lieder singen (wie RAUCHEN KANNSTE, DU KANNST RAUCHEN,/ UND
VERGNÜGT SEIN PFEIFCHEN SCHMAUCHEN,/ ZIGARR ODER ZIGARETT`/ FIND ICH FÜR DEN MANN
SEHR NETT ... //TRINKEN KANNSTE, DU KANNST TRINKEN,/ WENN DER TRAUBE SÄFTE WINKEN,/
LACHT DER GERSTENSAFT DIR ZU,/ TRINKEN VOLLER SEELENRUH ... SINGEN KANNSTE,/ DU KANNST
SINGEN/ LIEDER, DIE ZUM HERZEN DRINGEN,/ LIEDER, VOM HUMOR GEWÜRZT,/ WEIL DAS LIED
DAS LIED VERKÜRZT ... // LACHEN KANNSTE, DU KANNST LACHEN,/ DENN EIN FROH GESICHT ZU
MACHEN,/ RÄUM ICH DIR VON HERZEN EIN,/ LUSTIG KANN MAN IMMER SEIN! ... // KÜSSEN
KANNSTE, DU KANNST KÜSSEN, / JEDER WIRD GESTEHEN MÜSSEN, / MAL SO`N ALLERLIEBSTER
KUSS / IST EIN WAHRER HOCHGENUSS. usw.) ... oder erzählen die, wenn sie erzählen (ICH (DA
WAR DIESE FAHRT MIT DER S-BAHN UND DANN (MIT DEM FAHRRAD) DIE FAHRT NACH ... bin nun
(an diesem späten Donnerstagvormittag (meinem freien Tag, ich bin Altenpfleger in ...) dort
angekommen, wo ich bereits bei meiner Anfahrt (über diesen asphaltierten Radweg, der um den
See führt) sehen kann, vor dem Ufer Gebüsch, das nur einen schmalen Durchgang zum See frei
lässt (und davon ist auszugehen, geht man hier in den See, tritt man zunächst in Morast) hier
bleibst du (mindestens bis zum Abend) allein, ich habe inzwischen mein Fahrrad abgestellt an
einem der Baumstämme) gehe jetzt nach vorn zum See, und trete jetzt (die Zweige, die ich
beiseite schieben musste, um zum Seeufer zu kommen, sind jetzt hinter mir), an das Seeufer, da
unten vor seinen Füßen diese Historie, kleine Wellchen schieben sich (das tun sie seit wann
eigentlich seit 1354?, 1582?, 1729? (...?) auch heute in diese kleinen, handbreit hohen Höhlen,
die da gebildet werden, weil sich Land (d.h. Sand, den dünnes Gras und dünne, nackte Wurzeln
zusammen hält) eine Hand breit weit in den See hinausschiebt, immer wieder, immer wieder,
immer wieder ganz flüchtig, ganz flüchtig, einen Zentimeter vor, einen Zentimeter zurück ...,
aber gleich, gleich fährt da draußen etwas Motorisiertes vorbei, da geht es hier hoch her,
schwappen hier richtige Wellen gegen das Ufer, schwapp, schwapp, schwapp, und da kann man
auch hören, dass Wellen gegen das Ufer schwappen, schwapp, schwapp, schwapp und die kehren
mit ganz anderer Beute zurück in den See ... (O BRANDENBURG, BRANDENBURG, UND WANN
HABEN DEINE SEEN DICH GEFRESSEN ... ) und dann (nachdem ich mich doch einige Zeit im Wasser
aufgehalten habe) liege ich mit nackten Rücken im Gras, bzw. auf dieser von einer dünnen
Grasnarbe bewachsenen Sandfläche) und dann … dann (nach seiner Entscheidung, heut Nacht
wird es bestimmt nicht ..., also bleibe ich ...) steht er unweit des Sees in der Dunkelheit in den
Kiefern, nebenan auf dem Müggelheimer Damm ist durchaus noch Fahrzeugverkehr, nähert sich
immer wieder ein Fahrzeug und hebt mit seinem Scheinwerferlicht die Stämme der Bäume als
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