René Magritte – Der Schlüssel der Träume

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René Magritte – Der Schlüssel der Träume
Medienmitteilung
René Magritte
Der Schlüssel der Träume
7. August – 27. November 2005
Die Fondation Beyeler zeigt eine grosse Retrospektive des Werkes von René Magritte, einer
der rätselhaftesten und faszinierendsten Künstler der Moderne. Seit vielen Jahren ist dies die
erste Werkschau René Magrittes in der Schweiz. Die Ausstellung ist in Zusammenarbeit mit
dem BA-CA Kunstforum Wien, der Fondation Magritte und dem ehemaligen Direktor des
Louisiana Museum of Modern Art bei Kopenhagen, Steingrim Laursen, entstanden. Sie zeigt
eine Auswahl von rund neunzig Werken aus allen Perioden von Magrittes Schaffen, neben
vielen der legendär gewordenen Bilderfindungen auch Gemälde aus Privatsammlungen, die
zuvor kaum jemals ausgestellt wurden.
An René Magritte beeindruckt besonders seine Virtuosität im Umgang mit alltäglichen Bildmotiven, die er in oft schockierender Weise verändert. Damit stellt er nicht nur unsere Sehgewohnheiten in Frage, sondern er beschäftigt sich mit der Funktion des Bildes in einer auch
für die zeitgenössische Kunst bahnbrechenden Weise.
Auf den ersten Blick fällt die Besonderheit der faszinierenden Serie von Gemälden, die den
Titel L’ Empire des lumières (Das Reich der Lichter, Kat. 77, 88 und 89) trägt, gar nicht auf.
Erst bei längerer Betrachtung erkennt man, dass die dargestellte nächtliche Strassenszene
mit dem Schein der Strassenlaternen und den beleuchteten Fenstern von einem hellen,
mittäglich blauen Sommerhimmel überstrahlt wird. Erst langsam wird, bei einem anderen
Gemälde, Le Mois des vendanges (Der Monat der Weinlese, 1959, Kat. 83) der beklemmende Kontrast zwischen einem leeren Zimmer und einer Ansammlung fast identisch
aussehender, die berühmte Magrittesche Melone tragender Männer deutlich, die durch das
geöffnete Fenster in den Raum hineinblicken.
Dieser Prozess des allmählichen Erkennens, zu dem der Künstler sein Publikum geradezu
zwingt, der Vorgang der unausweichlichen Auseinandersetzung mit dem Bild, ist das grosse
Faszinosum von Magrittes Kunst. Besonders wichtig ist dies auch für zeitgenössische
Künstler wie Robert Rauschenberg und Jasper Johns, die aus ihren Sammlungen Werke
Magrittes für die Ausstellung zur Verfügung gestellt haben (Kat. 37, 42). Nach Ansicht
Magrittes ereignet sich bei dieser notwendigen Beschäftigung mit den Bildern ein »Mysterium«, das ausschliesslich zwischen der Individualität des Betrachters und dem Bild selbst
stattfindet, also nicht erklärbar ist. Dass er darüber hinaus Fragen der Bildfunktion behandelt,
die von allgemeiner Bedeutung und gerade heute, im Zeitalter der Bildmanipulation, von
grösster Brisanz sind, zeigt seine Aktualität und sein immer wieder erstaunliches Gefühl für
brennende kulturelle Fragen, die er in seinen Bildern aufgreift. Ein besonders gutes Beispiel
dafür ist eines seiner berühmtesten Werke, das als Leihgabe aus dem Los Angeles County
Museum of Art bei uns zu sehen ist: La Trahison des images (Der Verrat der Bilder , Kat.
35). Diese in den Jahren 1928/29 entstandene Ikone der Bildkritik zeigt nichts anderes als
eine Pfeife unter der geschrieben steht »Ceci n’est pas une pipe«, also »Das ist keine
Pfeife«.
Kurz vor seinem Tod äusserte Magritte sich zu diesem Gemälde: »Die berühmte Pfeife ...
Man hat sie mir zur Genüge vorgehalten! Und trotzdem ... können Sie sie stopfen, meine
Pfeife? Nein, nicht wahr, sie ist nur eine Darstellung. Hätte ich also unter mein Bild >Dies ist
eine Pfeife< geschrieben, so hätte ich gelogen!« Mit seiner geradezu entwaffnend einfachen
Bild- und Schriftformel hat Magritte nicht nur gezeigt, dass jedes Bild Abstraktion ist, er hat
auch die Wirklichkeit der Bilder relativiert und zwar in beide Richtungen: Weder existiert
Sache als Bild, ohne Form zu sein, noch Form als Bild, ohne Sache zu sein. Der »Verrat der
Bilder« besteht darin, dass Bilder fortwährend so tun, als würden sie etwas Reales zeigen,
obwohl sie doch »nur« ein Bild oder ein Abbild von etwas sind.
René Magritte wurde 1898 in Lessines in Belgien geboren. Er stammte aus einem kleinbürgerlichen Milieu vordergründiger Wohlanständigkeit, hinter dem er die eigene Person Zeit
seines Lebens versteckte. Die stets korrekte Kleidung, die Melone, die kleine, bescheidene
Wohnung mit dem Atelier im Wohnzimmer, das war die sorgfältig gehütete Fassade, die
»Leichen im Keller« vermuten lässt. Von diesen Abgründen erzählt seine zu Bildern
gewordene Phantasie. Ein in seinen Werken immer wieder verarbeitetes, bestimmendes
Erlebnis seiner Kindheit war die Depression und der Selbstmord seiner Mutter, die sich 1912
in die Sambre stürzte und deren Leiche erst Wochen später mit über den Kopf gezogenem
Nachthemd gefunden wurde. Es ist anzunehmen, dass Gemälde wie L’Invention de la vie
(Die Erfindung des Lebens, 1928, Kat. 27) und La Ruse symétrique (Die symmetrische List,
1928, Kat. 28) von der Erinnerung an dieses Ereignis beeinflusst worden sind.
Früh zeigte sich Magrittes künstlerische Begabung und früh verliess er sein Elternhaus, um
mit Unterbrechungen von 1916 bis 1921 an der Brüsseler Académie royale des Beaux-Arts
zu studieren. Während seiner Studienzeit und der darauf folgenden Jahre schlug er sich als
Werbegraphiker durch und scheint als Künstler verschiedene avantgardistische Stilrichtungen regelrecht ausprobiert zu haben. Durch die Begegnung mit dem Schriftsteller und seinem späteren Mentor Paul Nougé erhielt Magritte Kontakt zu den belgischen Surrrealisten.
Als Maler angeregt vor allem durch Giorgio de Chirico, begann Magritte Mitte der zwanziger
Jahre seine persönliche Bildsprache und seine charakteristischen Motive zu entwickeln.
Eines seiner frühesten surrealistischen Bilder ist Le Jockey perdu von 1926 (Der verlorene
Jockey, Kat. 1); dort tauchen zum ersten Mal die später immer wieder gemalten gedrechselten Holzkegel auf, die »bilboquets«, wie sie der Maler nach einem alten Geschicklichkeitsspiel benannt hat. Kurze Zeit später sieht man auf seinen Bildern die ersten Männer mit
Melone (Le Sens de la nuit, Der Sinn der Nacht, 1927, Kat. 8).
Von 1927 bis 1930 lebte Magritte mit seiner Frau Georgette bei Paris und stand in Verbindung mit André Breton und den französischen Surrealisten. Durch die Anregungen in Frankreich scheint Magritte sein Selbstbewusstsein als Maler gefunden zu haben. Er hat unmittelbar vor, während und nach dem Parisaufenthalt, der bis zu seinem Tod in Uccle bei Brüssel
im Jahr 1967 sein einziger längerer Auslandsaufenthalt bleiben sollte, die verschiedensten
Bildmöglichkeiten erprobt, von denen einige bis an sein Lebensende variiert werden: die
»abstrakten« Objekte wie in Le Brise-lumière (Der Lichtbrecher, 1927, Kat. 26), die quasi
figurativen Gemälde mit verschiedenen Bildebenen wie Les Figures de nuit (Die Gestalten
der Nacht, 1927, Kat. 16) und die ersten Sprachbilder wie L’ Espoir rapide (Die rasche Hoffnung, 1927, Kat. 22).
Die beklemmende und latente Erotik wie etwa in Les Jours gigantesques, (Die gigantischen
Tage, 1928, Kat. 30) wird zum weiteren Markenzeichen Magrittes. Obwohl er immer verneint
hat, von der modernen Psychoanalyse beeinflusst worden zu sein, scheint seine Bildserie La
Clef des songes (Der Schlüssel der Träume, 1930, Kat. 39 und 1935, Kat. 42) doch den Kern
der Sache zu treffen: Bildern von Objekten werden Bezeichnungen zugeordnet, die nicht zu
ihnen passen scheinen.
René Magritte war kein Künstler, der in seinen Bildern zu politischen Themen offen Stellung
bezogen hätte. Trotzdem lassen etwa einige seiner Berglandschaften (Le Domaine d’Arn-
heim, Die Domäne von Arnheim, 1938, Kat. 50), seine »versteinerten« Bilder (Le Château
hanté, Das Spukschloss, 1950, Kat. 68) oder das unheimliche Bild eines Jägers, der von
einer Mauer verschluckt wird (La Gravitation universelle, Die universelle Schwerkraft, 1943,
Kat. 53), die angespannte Stimmung während der schwierigen Zeiten vor und nach 1945
erkennen. Auch hier zeigt sich Magritte als ein Künstler, der zwar durch makellos »glatte«
Malerei etwas unmittelbar Deutliches zu sagen scheint, dessen eigentlicher Sinn sich aber
erst im Prozess des Verstehens ergibt oder als das Magrittesche »Mysterium« offenbart.
Der Katalog ist im Ludion Verlag, Gent, erschienen. Er enthält Beiträge von Steingrim Laursen,
Siegfried Gohr und Michel Draguet sowie einen umfangreichen Tafelteil mit Bildkommentaren von
Evelyn Benesch und Ulf Küster. Der Band umfasst 204 Seiten mit 125 Abbildungen in Farbe und
kostet CHF 49.–.
Kontakt/Presse: Catherine Schott, Tel.: + 41 (0)61 645 97 21, Fax.: + 41 (0)61 645 97 39; [email protected]
www.beyeler.com (Presse) – Pressebilder zum Download unter www.beyeler.com/press-images
Öffnungszeiten der Sonderausstellung: täglich 10 – 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr