Sumo-Ringer gegen Leichtgewicht – wer gewinnt?

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Sumo-Ringer gegen Leichtgewicht – wer gewinnt?
Carmen Sulzenbacher
Mitschrift nach Notizen, 30.04.
MEDIENLANDSCHAFT SÜDTIROL
Veranstaltungsreihe der sh.asus und dem Institut für Politikwissenschaft mit
Unterstützung der Südtiroler Sparkasse
Vortrag Arnold Tribus (Die neue Südtiroler Tageszeitung):
Sumo-Ringer gegen Leichtgewicht – wer gewinnt?
Dienstag 29. April 2008, Sowi-Hörsaal 1
Entstehungsgeschichte der „Tageszeitung“
Am 1. Oktober 1996 erschien zum ersten Mal „Die neue Südtiroler Tageszeitung“ (im
Folgenden auch oft kurz als „Tageszeitung“ bezeichnet).
Die Tageszeitung „Dolomiten“ ist ein wunderbares Provinzblatt, besser als manch andere
in Europa – aber sie ist auch Inbegriff von politischer Macht und politischer
Machtverstrickung. „Die neue Südtiroler Tageszeitung“ wurde daher nicht gegründet um
daraus Kapital zu schlagen, sondern um von der Einfalt („Dolomiten“) zur Vielfalt in
Südtirol zu gelangen. Sie soll eine Alternative zur „Dolomiten“ darstellen, da diese (um in
Farben
zu
sprechen)
grau
ist
und
deren
vorgegebene
Meinung
sich
zwischen
Parteidisziplin, Parteivorgaben und Klerikalität bewegt. Die politische Landschaft in
Südtirol ist eigentlich aber sehr bunt, so wie es auch eine kulturelle Vielfalt gibt, was aber
in der „Dolomiten“ keinen Niederschlag findet. Die „Dolomiten“ ist eine elegante und
legale Medienmonokultur – sie ist niemandem eine Rechenschaft schuldig, z.b. können
PolitikerInnen der Grünen noch so viel im Landtag vorbringen, die „Dolomiten“ wird
davon nichts berichten und übt so Macht aus.
Vor den letzten Wahlen in Italien waren auf den Leserbriefseiten der „Dolomiten“
haufenweise Leserbriefe der Freiheitlichen, deren Inhalt hauptsächlich ausländerfeindlich
war. Dies war ein klares Signal der „Dolomiten“ an die SVP, weshalb Roland Atz wieder
für die SVP kandidieren wird.
„Die neue Südtiroler Tageszeitung“ ist also ein „kleines Würstchen mit wenig Geld,
welche ein freies, liberales, nicht-klerikales […] Forum der Vielfalt im Lande sein
möchte“. „Die neue Südtiroler Tageszeitung“ ist keine Parteizeitung, auch wenn viele
LeserInnen die Meinung vertreten (s. Briefe an den Herausgeber), dass sie zu
Durnwalder-lastig sei.
„Die neue Südtiroler Tageszeitung“ hat eine neue Öffentlichkeit geschaffen, es ist
heute eine Selbstverständlichkeit über Themen zu reden, die von der „Tageszeitung“
angestoßen wurden und nun öffentlich diskutiert werden.
In Südtirol gibt es ca. 200 Presseorgane und ca. 10-20 private Rundfunkanstalten,
welche
ihre
Nachrichten
von
der
Landespresseagentur
beziehen.
Eine
derartige
Berichterstattung ist aber weit entfernt von freier Presse und freier Information. „Die
neue Südtiroler Tageszeitung“ ist stets bemüht, auch ungewohnte Themen an die
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Öffentlichkeit zu bringen (s. Postenschacher, Gehälter der PolitikerInenn usw.). Auf der
Titelseite war daher unlängst ein Gehältervergleich zwischen Luis Durnwalder und Angela
Merkel
–
und
der
Südtiroler
Landeshauptmann
verdient
mehr
als
deutsche
Bundeskanzlerin. Nachdem die „Tageszeitung“ darüber berichtet hatte, zogen auch
andere Printmedien wie der Corriere und die Repubblica nach und berichteten ebenfalls
über das „Prassertum des Systems Südtirol“.
Daraus kann man sehen, dass auch eine kleine Zeitung viel bewegen kann – obwohl sie
in ihrer Anfangszeit sehr verpönt war und viele ihr eine kurze Lebensdauer gaben (u.a.
auch Hans Karl Peterlini). Jetzt hat sich „Die neue Südtiroler Tageszeitung“ aber etabliert,
obwohl es auch ein langer Leidensweg war mit vielen Gerichtsprozessen: Michl Ebner
allein hat die „Tageszeitung“ mindestens 10-mal geklagt. Die Linie der Ebner’schen war:
„Die machen wir fertig!“ Beim ersten Prozess hat Ebner 1 Milliarde Lire gefordert wegen
Beleidigung, Schmähung, Diffamierung und Rufschädigung (nicht nur in Südtirol, sondern
– als Europaparlamentarier – in ganz Europa). Die „Tageszeitung“ hat diesen Prozess
gegen Ebner verloren, musste ihm letztendlich aber „nur“ 15 Millionen Lire zahlen.
Finanzierung
„Die neue Südtiroler Tageszeitung“ ist so klein, so winzig, und sie sind alles Habenichtse,
aber die „Tageszeitung“ ist ein Nischenprodukt mit großer Wirkung: Sie gibt die Linie vor
und die anderen schreiben nach. Mittlerweile gehört sie zum Medienestablishment des
Landes Südtirol. An ihrer Winzigkeit muss sie aber aus finanziellen Gründen stehen
bleiben, da sie von staatlichen Geldern finanziert wird. Dort wird aber vorgeschrieben,
dass die Einnahmen aus Werbung 30 % der Gesamteinnahmen nicht überschreiten
dürfen; daher ist die Werbung in der „Tageszeitung“ begrenzt und die Gehälter an ihre
zehn RedakteurInnen sind gering. Zum Vergleich: Die „Dolomiten“ erhält 400.000 € pro
Jahr, die „Tageszeitung“ 40.000 € pro Jahr – die öffentliche Hand schafft also eine
evidente Ungleichbehandlung (vom großen Kuchen kriegt die „Tageszeitung“ nur die
Rosinen).
Noch eine Geschichte dazu aus dem Werbemarkt: Per Gesetz müssen alle Gemeinden
Änderungen im Bauleitplan öffentlich in Tageszeitungen bekannt geben; eine Handvoll
Bürgermeister tat dies in der „Tageszeitung“, wo es auch etwas billiger ist als in der
„Dolomiten“. Michl Ebner schrieb daraufhin diese Bürgermeister an und erklärte ihnen,
dass es „nicht rechtens“ sei, dies in der „Tageszeitung“ zu veröffentlichen, weil dort nur
eine ungenügend große LeserInnenschaft vorhanden sei. Man sieht also, wie Partei und
Information zusammenhängen.
Die „Dolomiten“ ist also irgendwie so wie ein „großer Bruder“ – man kommt nicht mehr
davon weg, die enorme Machtstruktur fängt einen ein und es ist enorm schwer,
außerhalb zu stehen.
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Auflage
„Die neue Südtiroler Tageszeitung“ hat eine Auflage von 9.000 bis 10.000 Exemplaren
pro Tag, am Anfang waren es 600. Laut Umfragen hat die „Tageszeitung“ ca. 40.000
LeserInnen.
Information und Boulevard
„Die neue Südtiroler
Tageszeitung“
ist
kein politisches Parteiblatt,
sondern
will
informieren – aber anders. Sie bringt immer auch einen zweiten Standpunkt in die
Informationen mit ein und schafft so eine Vielfalt von Meinungen, woraus dann jeder
selbst sich für eine entscheiden kann.
Die „Tageszeitung“ bewegt sich zwischen Boulevard und Sonntagsblatt, sie hat entdeckt,
dass die „leichte Kost“ sehr gut ankommt und dass die Leute gierig sind nach Skandalen.
Manche sprechen von einer Vulgarisierung der „Tageszeitung“ (bez. sich auf die vielen
Sex-Skandale, von denen sie berichtet und die der „Tageszeitung“ „etwas teuer
kommen“) – sie zeigt dabei aber die Kehrseite der Südtiroler Verlogenheit auf: Südtirol
ist ein Sündenpfuhl. Im Zuge dessen gibt es auch starke Konflikte mit FeministInnen,
aber die „Tageszeitung“ versucht, die gewisse Prüderie in Südtirol zu liberalisieren. Daher
auch die „dumme BILD-Verwegenheit“ mit Bildern von Nackten usw. Südtirol braucht
eine gewisse Leichtigkeit, Ironie.
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Diskussion
„Die neue Südtiroler Tageszeitung“ sieht sich als Alternative zur „Dolomiten“ und will
Medienvielfalt schaffen. Toni Ebner hat letztes Mal gesagt, er sei eigentlich erfreut
darüber – herrscht derzeit nicht eine Art Pseudo-Pluralismus? Wie sehen Sie das
Verhältnis der Printmedien untereinander?
Arnold Tribus: Es gibt nach wie vor ein Medienmonopol, welches so gigantisch und so
beherrschend ist, dass „normale“ BürgerInnen es gar nicht bemerken. Die „Tageszeitung“
ist zwar präsent, aber sie ist Ausdruck einer eher urbanen Gesellschaft – ihre
LeserInnenschaft ist „aufgeklärt“. Toni Ebner hat eine eher folkloristische Idee der
„Tageszeitung“, diese will aber nicht sein schändliches Produkt unterstützen. Roland Atz
kandidiert wieder, daran sieht man, wenn die „Dolomiten“ will, dann will sie. „Die neue
Südtiroler Tageszeitung“ kann an dieser großen Machtstruktur wenig rütteln.
Mein Traum ist es, zwei Presseorgane im Land zu haben, welche die verschiedenen
Positionen vertreten: die klero-faschistische und die liberal-demokratische.
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Wäre es möglich, in Innsbruck für die Studierenden auch so eine Art Abhol-Abo zu
machen, wie es die „Dolomiten“ anbietet?
Tribus: Bin dafür nicht zuständig, leite es aber gerne weiter und orientiere mich an die
Preise der „Dolomiten“ – die „Tageszeitung“ wird dann 10 Cent weniger kosten als diese.
Ist der Verkauf für die „Tageszeitung“ so wie bei anderen Tageszeitungen nur zu 20 %
wichtig? Stellt auch bei der „Tageszeitung“ die Haupteinnahmequelle die Werbung dar?
Tribus: Bei der „Tageszeitung“ ist das mit den 20 % noch nicht so, da die staatliche
Finanzierung sie stark an begrenzte Werbung bindet. Auch muss die „Tageszeitung“
mindestens 10.000 Exemplare verkaufen, um Zuwendung zu kriegen. (-> MIDAS: Ebner
wollte das Gesetz nach Beschluss dahingehend abändern, dass pro Minderheit nur EINE
Zeitung unterstützt wird, und zwar jene mit der höchsten Auflage. Tribus hat dann
interveniert und durch Unterstützung der Rechten und der Linken konnte diese Änderung
abgewehrt werden.)
Die „Tageszeitung“ lebt viel vom Verkauf, will aber von der Staatsförderung loskommen,
zurzeit gibt es nur maximal zehn RedakteurInnen, die jeden Tag die Zeitung machen,
was schon hart ist. „Die neue Südtiroler Tageszeitung“ ist aber vom Erscheinungsbild
eine der schönsten Italiens.
Was sagen Sie zur Behauptung von Hans Karl Peterlini, Durnwalder nehme „Die neue
Südtiroler Tageszeitung“ als Sprachrohr?
Tribus: Das ist eine infame Lüge! Dass Durnwalder im Visier der „Dolomiten“ ist, ist eine
alte Sache – Michl Ebner wollte früher einmal Landeshauptmann werden und so hat die
„Dolomiten“ Durnwalder abgeschossen. Daraufhin gab es aber wieder eine Phase der
Stabilität und der Ruhe. Jetzt herrscht in der SVP aber wieder die Meinung, dass die
letzte Wahlniederlage auf Durnwalder zurückzuführen sei – Durnwalder solle daher nicht
mehr kandidieren und das Feld für Elmar Pichler-Rolle räumen.
Wenn ich mich zwischen Ebner und Durnwalder entscheiden müsste, würde ich mich für
Durnwalder entscheiden. Durnwalder hat „Die neue Südtiroler Tageszeitung“ nie
boykottiert, sondern von Anfang an als Gesprächspartnerin ernst genommen. Ich kenne
Durnwalder von früher (war selbst bei den Grünen im Landtag) und zwischen uns gibt es
ein normales freundschaftliches Verhältnis, ich bin aber nicht sein Busenfreund.
Durnwalder hat die „Tageszeitung“ in ihrer ersten Zeit legitimisiert, sonst wäre nach drei
Monaten Schluss gewesen. Er hat am Anfang bereitwillig Interviews gegeben, Gespräche
geführt, und so sind andere SVP-PolitikerInnen ihm nachgezogen und die Mauer des
Schweigens in der SVP konnte durchbrochen werden. „Sprachrohr für den Durnwalder“
ist die „Tageszeitung“ aber nicht, siehe Berichterstattung über die Gehälter, „Warum ich
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den Luis liebe“ (Interview mit der „jungen“ Heike Müller, worauf Durnwalder zu Tribus
gesagt hatte: „Das hättest du dir sparen können.“).
In der Tradition des Frage-vom-Vorredner-Beantwortens eine Frage, die Toni Ebner uns
aufgegeben hat an Sie zu stellen: Wie ist die Blattlinie der „Tageszeitung“ – haben Sie
einmal gesagt, dass das „Vermischen“ von Sprachen in Südtiroler Medien ohnehin
niemand wolle und man damit aufhören solle? Wenn ja, warum?
Tribus: Die Uridee der „Tageszeitung“ war es, eine zweisprachige Zeitung zu machen.
Das war eine gut gemeinte Hypothese, die ich in der Theorie geglaubt habe. Es wurde
dann eine kleine Umfrage in der Südtiroler Gesellschaft gemacht, deren Ergebnisse
katastrophal waren: 10 % der deutschsprachigen und 5 % der italienischsprachigen
SüdtirolerInnen würden eine zweisprachige Zeitung kaufen. Ich war selbst bei einer
interethnischen Partei (Grüne) und habe geglaubt. dies sei die normale Entwicklung
Südtirols zu einer interethnischen Gesellschaft. Jetzt habe ich diesen interethnischen
Traum ausgeträumt – seit der Volksabstimmung in Bozen zum „Siegesplatz“. Ich dachte,
Bozen sei reif für die antifaschistische Wende, aber die Mehrheit der Stadt klammert sich
an das Siegesdenkmal (unter bei dieser Mehrheit sind auch linke Wähler darunter). Dies
hat gezeigt, dass das System Volkspartei/Alfons Benedikter der Trenngesellschaften
funktioniert („je klarer wir trennen umso besser verstehen wir uns“). Heute gibt es in
Südtirol eigentlich keine Partei mehr, die interethnisch ist, die Alexander-Langer-Phase
ist vorbei, auch bei den Grünen. In der Bevölkerung sinkt die Zweisprachigkeit, es gibt
zudem eine bedenkliche Entwicklung: Vor allem die junge Bevölkerung weicht der
zweiten Sprache (Italienisch oder Deutsch) mit Englisch aus. Alle Vereine sind
einsprachig, mir fällt gerade nur die „sh“ mit ihrem „asus“ ein, die noch zweisprachig ist.
Kennen Sie die zweisprachige Zeitung „Der Erker“ aus Sterzing?
Tribus: In Eppan/Kaltern hatte man auch mal beschlossen, die lokale Zeitung
zweisprachig zu machen – sie wurde dann nach einem Jahr eingestellt, aus ökologischen
Gründen („Papierverschwendung“ – die Deutschen lesen eh nur das Deutsche und die
ItalienerInnen nur das Italienische). Die SterzingerInnnen ziehen das durch; es kommt
darauf an, mit welcher politischen Vehemenz man das macht. „Die neue Südtiroler
Tageszeitung“ ist halt keine pädagogische Anstalt, sie muss schauen, über die Runden zu
kommen.
Toni Ebner hat letztes Mal behauptet, die Geschichten der „Tageszeitung“ stimmen nicht.
Was sagen Sie dazu?
Tribus: Diesen Vorwurf kann er ruhig machen, ich weise ihn aber zurück. Wahrscheinlich
hat er dies in Bezug auf die Sexualgeschichten gebracht – aber dort gibt es eine
Wahrheit, die ich kenne, und auf der anderen Seite eine Prozesswahrheit, die eine
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„politische Wahrheit“ ist (Zeugen sind vom Prozess abgesprungen – hier kann man
wieder das Machtsystem Südtirol erkennen: Es war ein Bürgermeister verwickelt, und
daraus
wurde
eine
Politaffäre.).
Dass
es
manchmal
Ungenauigkeiten
in
der
„Tageszeitung“ gibt, dafür stehe ich, aber dies sind keine bewussten Unwahrheiten.
Weshalb mussten Sie die Sex-Geschichte in allen Details veröffentlichen, nach dem
Gerichtsprozess?
Tribus: Das war eine ganz wunderbare Sex-Geschichte aus einem Tal: Eine lebenslustige
Bedienung soll wiederholt Sexualverkehr gehabt haben, ist dann schwanger geworden,
wobei eine Vaterschaft aber nicht so schnell nachgewiesen worden konnte. Ich bin jetzt
in einem Gerichtsprozess, wo ich 120.000 € zahlen muss, und jetzt kommen
wahrscheinlich noch einmal 100.000 € hinzu (zivilrechtlich). Im Urteil war festgesetzt,
dass ich den Auszug aus dem Urteil in der „Tageszeitung“ veröffentlichen muss. Die
„Tageszeitung“ hat aber nie einen Namen veröffentlicht (wegen Schutz der Privacy) – im
Gegensatz dazu haben Alto Adige und Corriere mit Namen veröffentlicht.
Unabhängig von Wahrheit und Unwahrheit – muss man diese Geschichte veröffentlichen?
Tribus: In diese Geschichte verwickelt waren auch Bürgermeister und Gemeinderat dieser
Gemeinde – sie haben sich in dieses Etablissement begeben und im ersten Stock „etwas
mehr als Bier trinken“ getan. Somit ist dies eine Polit-Geschichte geworden, und diese
unterliegt nicht der Privacy.
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