NZZ 16.06.2015: Die stillgelegte Zeit
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NZZ 16.06.2015: Die stillgelegte Zeit
Neuö Zürcör Zäitung 42 FEUILLETON Die stillgelegte Zeit Meisterwerke aus der Sammlung Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler in der Hamburger Kunsthalle Unter dem Titel «Verzauberte Zeit» ist die schweizerische Sammlung HahnloserBühler in der Hamburger Kunsthalle zu Gast. Die reiche Kollektion entstand in einer Zeit, als Kunst noch nicht als Kapitalanlage diente. Ein Leben und eine Ehe lang sammelten Arthur Hahnloser und seine Frau Hedy Bühler die Kunst ihrer Zeitgenossen, die dann auch zu Freunden wurden. Im Zusammenspiel von Sammlern und Künstlern entstand so eine reiche, im besten Sinne des Wortes grossbürgerliche Sammlung. Ein Segelboot mit drei Menschen an Bord. Aber schon der Terminus «an Bord» klingt übertrieben angesichts dessen, was man hier auf dem Bild von Pierre Bonnard sieht. Links ein Herr im lockeren Sakko, en face, rechts von ihm eine etwas formlose, jüngere Frau, ihm den Rücken zuwendend. Zwischen den beiden, in den Hintergrund gerückt, eine Dame mit Hut und Hund, links neben ihr ein blauer Mast, das ganze obere linke Viertel des Bildes ist eine weisse Fläche, also das Segel. Sieht aber nicht sehr brauchbar aus. Zu der Ehe von Arthur Hahnloser, einem angesehenen Augenarzt, und Hedy Bühler, einer Tochter aus wohlhabendem Haus, gehörte von allem Anfang auch das Interesse an der Kunst, das sich rasch von der Theorie in die Praxis hinein erweiterte. Bildnis einer Familie – Pierre Bonnards «Promenade en Mer» von 1924 zeigt den Sammler Arthur Hahnloser, seine Tochter Lisa und seine Frau Hedy Hahnloser-Bühler. PRO LITTERIS Man kaufte Kunst, vorwiegend der französischen Zeitgenossen, die man auch in Pariser Galerien sah, und viele von ihnen wurden im Laufe der Zeit dann zu Freunden. Zum Beispiel Manguin, Vallotton (der in Paris lebende, gebürtige Schweizer), Maillol, van Gogh, Matisse, Bonnard und Vuillard. Sie wurden, im wahrsten Sinne des Wortes, Freunde des Hauses, denn die Villa Flora, das von dem jungen Paar erworbene, grosszügig ausgelegte Haus der Familie in Winterthur, wurde rasch zur privaten Galerie und zum Treffpunkt der Künstlerfreunde. Die sich aber, wie auf den Fotos zu sehen ist, unauffällig und gesittet verhalten haben. Keine Künstlerexzesse, nirgends. Einmal hat man sich zu einer lustigen Kette nebeneinander aufgereiht, wie bei einem Kindergeburtstag, aber in Erwachsenengarderobe. Realität und Traum Die Sammlung Hahnloser-Bühler, die zwischen 1906 und 1936, dem Todesjahr von Arthur Hahnloser, zu einem Privatmuseum angewachsen war, zeigt das Panorama einer, wie der KunsthallenDirektor Hubertus Gassner (der die Ausstellung zusammen mit Daniel Koeb erarbeitet hat) im Katalog schreibt, «stillgelegten Zeit». Die ihre eigenen Hintergründe und gelegentlichen Abgründe hat. Zu sehen auf Bonnards Segelpartie, die keine ist. Oder bei van Goghs «Sonnenblumen», die, längst abgeblüht, dafür aber voller nahrhafter Kerne, am Boden liegen. Und Manets «Amazone», einer jungen, schmalen, schwarz gekleideten Frau, die mit Zylinder und Reitgerte ausgerüstet ist. – Vor allem aber in den Bildern von Felix Vallotton, dessen Arbeiten sich in der Sammlung Hahnloser-Bühler zu einer Werkgeschichte addieren. Von den frühen, grossbürgerlichen Familienporträts bis hin zu «Die Weisse und die Schwarze» (1913), dem Bild, auf dem ein liegender Jungmädchenakt von einer jungen Schwarzen, die ihrerseits locker dekorativ bekleidet ist und eine Zigarette im Mund hängen hat, herausfordernd betrachtet wird, ist es ein ziemlich weiter Weg des Künstlers, der mit flächenhaften Formen als Illustrator begonnen hatte. Dieser Weg, der aber gar nicht so genau zu verfolgen ist oder gar schlüssig ist, hat nichts mit Revolte im üblichen Sinn zu tun. Dafür aber sieht man sich plötzlich beim handfesten Stillleben «Fleisch und Eier» (1918), nicht zuletzt angesichts eines Messers, einer Küchenidylle der ungemütlicheren Art gegenüber. Und entdeckt auf dem kleinformatigen Bild «Badende im Nachthemd» ein pastellfarbenes Wechselspiel von Farbe und Form, Realität und Traum. Zur Geschichte dieser Sammlung gehört, dass sie zur Stiftung wurde und auch heute noch von den Nachkommen von Hedy und Arthur Hahnloser-Bühler betreut wird. Die Villa Flora, die für die Präsentation der Sammlung umgebaut werden sollte, musste allerdings 2014 wegen mangelnder finanzieller Unterstützung durch die öffentliche Hand geschlossen werden. Eine Enttäuschung. Aber kein Grund, die Kunst der Freunde zu verkaufen. Jetzt gastiert sie erst einmal in Hamburg, wie schön. Verzauberte Zeit – Meisterwerke aus der Sammlung Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler. Hamburger Kunsthalle. Bis 16. August 2015. Katalog € 17.90. NEUE DVD ..................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................... Liebe und Drehbuchschreiben ebs. Es beginnt mit einem erfolglosen Pitching bei einem Hollywoodproduzenten. Der einst gefeierte Drehbuchautor Keith Michaels (Hugh Grant) hat seine besten Zeiten längst hinter sich, und so bleibt dem Mittfünfziger nichts anderes übrig, als einen ungeliebten Job Tausende von Kilometern entfernt von L. A. anzunehmen: in einer Ostküsten-Kleinstadt namens Binghampton soll er am örtlichen College mässig begabte Studentinnen und – einige wenige – Studenten in die Kunst seines Metiers einweihen. Doch natürlich ist der Mann aus Hollywood sich seines immer noch intakten Marktwertes in der Frauenwelt bewusst, und so zeigt er sich an Affären mehr interessiert als an einem seriösen Unterrichtsbetrieb – was sich ändert, als er sich ernsthaft in eine Studentin aus einer anderen Fakultät (Marisa Tomei) verliebt. Nach der belanglosen Beziehungskomödie «Did You Hear About the Morgans», der charmant-selbstironischen Musikkomödie «Music and Lyrics» und dem eher grenzwertigen Spass Aufbrüche und Alterskühnheiten Sir András Schiff spielt «Letzte Sonaten» Synoptische Spannung Familienporträt Von der Theorie zur Praxis Nr. 136 Christian Wildhagen Letzte Werke besitzen eine besondere Aura. Die Nachwelt hat in die späten Schaffenszeugnisse grosser Künstler seit je Botschaften hineingelesen, die von etwas Endzeitlichem, manchmal Jenseitigem künden. Denn die meisten dieser Werke entstanden, so vermutete man, in der Vorahnung des nahen Todes, also gleichsam «sub specie aeternitatis». Erst die gründlich ernüchterte Moderne hat diesen romantischen Blick als Illusion entlarvt. Denn weder der blutjunge Schubert noch der nur wenig ältere Mozart schrieben ihre «späten» Stücke im Bewusstsein ihres baldigen Ablebens. Etliche von ihnen künden vielmehr von einem Aufbruch zu neuen Ufern – zu dem es dann nicht mehr kam. Aus diesem Widerspruch gewinnt eine dreiteilige Konzertfolge ihren Reiz, die der Pianist András Schiff derzeit im Rahmen der Festspiele Zürich gestaltet. «Letzte Sonaten» ist die Reihe in der Tonhalle betitelt, und sie ist den Grossen der Wiener Klassik gewidmet: Haydn und Mozart, Beethoven und Schubert. Petra Kipphoff Pierre Bonnards «Promenade en mer» (1924/25), schon der Titel sorgt für die Ruhe ohne den Sturm, ein im hellen Licht der Cote d’Azur zwischen Himmel und Wasser leicht verschwommenes, wundersam brüchiges Bild, zeigt den Sammler Arthur Hahnloser, seine Tochter Lisa und seine Frau Hedy Hahnloser-Bühler. Bonnard, seit vielen Jahren ein Freund des Sammlerpaares und der Familie, hatte hier das lange gewünschte Familienporträt nach mancherlei Umwegen und Studien vorgelegt. Das einerseits von einer sonnendurchfluteten, meeresblauen Harmonie ist. Andererseits aber flimmert in einer leichten Irritation. Abzulesen daran, dass die Verbindung zwischen den drei Personen eher durch fragende Blicke als durch die gemeinsame Aktivität eines Segeltörns bestimmt ist. Felix Vallotton, ein anderer mit dem Sammlerpaar befreundeter Künstler, hatte 1908/09 zwei Porträts von «le docteur» Hahnloser und Hedy Hahnloser-Bühler gemalt, dazu 1912 ein Doppelporträt von ihren beiden Kindern Hans und Lisa. Welten scheinen zu liegen zwischen diesen drei Bildern, die den korrekt gekleideten, in angespannter Ernsthaftigkeit aus dem Bild schauenden Herrn zeigen, die elegant gekleidete, selbstbewusste Dame mit dem fragenden Blick und die sonntäglich ausstaffierten Kinder, brav konzentriert auf ein Spiel. Und der gut zwanzig Jahre später gezeigten Ferienfamilie (in der Sohn Hans fehlt). Die grossbürgerliche Attitüde hat sich aufgelöst in Gesten der Individualität, hinterfangen von der familiären Gemeinsamkeit. Im Laufe der Jahre und einer langen Freundschaft haben der Maler und die Sammler die Rollenklischees von Künstler und Kunde hinter sich gelassen und sind zu Menschen mit einer Geschichte geworden. Kann man sich eine sinnvollere Wirkung der Kunst vorstellen? Dienstag, 16. Juni 2015 «Two Weeks Notice» ist «The Rewrite» bereits die vierte Zusammenarbeit zwischen dem amerikanischen Regisseur Marc Lawrence und dem britischen Schwiegermütter-Schwarm Hugh Grant. Unter dem verqueren deutschen Titel «Wie schreibt man Liebe?» ist die mit einigem Dialogwitz samt gut gezielten Seitenhieben gegen die Traumfabrik aufwartende romantische Komödie – die trotz grossem Erfolg der drei Vorgängerfilme des Duos Lawrence/ Grant an hiesigen Kinokassen in der Schweiz nicht in die Kinos kam – nun als DVD erschienen. Wie schreibt man Liebe? Regie: Marc Lawrence. Ascot Elite 2015. Die Herzen der jungen Bundesrepublik Hay. Grosse Illusionen, geplatzte Träume – Rainer Werner Fassbinders reiches Œuvre umfasst ein Kabinett gescheiterter Frauen, deren Hoffnung stets zuletzt stirbt. Man denke an jene starke Heldin und Trümmerfrau aus «Die Ehe der Maria Braun» (1979). Obgleich alle Anzeichen gegen sie sprechen, glaubt sie entschlossen an die Rückkehr ihres Mannes aus dem Krieg. Hierin schlägt das eine Herz der Adenauer-Ära, das des Durchhaltens und Aufstehens. Sein an expressionistischer Filmtechnik angelehntes Werk «Die Sehnsucht der Veronika Voss» (1982) berichtet hingegen vom Stehenbleiben in der Vergangenheit. Längst liegen die Erfolgsjahre hinter der titelgebenden und von Hanna Schygulla verkörperten Schauspielerin. Um dennoch im schillernden Gestern zu verweilen, verabreicht ihr eine Nervenärztin tägliche Morphiumdosen. Erst ein verliebter Journalist sucht sie aus den Fängen ihrer geldgierigen Verführerin zu retten. Deutlich vernimmt der Zuschauer in diesem luziden Drama das zweite Herz jener wechselreichen Nachkriegsjahre: das Pochen der Verdrängung. Gemeinsam mit «Lola» (1981) sind nun die beiden Klassiker in der Edition «Fassbinders BRD-Trilogie» erschienen – ein Glanzbeispiel künstlerisch anspruchsvoller Gesellschaftsvermessungen! Fassbinders BRD-Trilogie. Regie: Rainer Werner Fassbinder. Arthaus 2015. Schiff spielt die Klaviersonaten dieser vier Giganten seit Jahrzehnten im Konzert, zum Teil in integralen Zyklen; überdies hat er sie mit Massstäbe setzenden Einspielungen bedacht. In Zürich setzt er sie nun jedoch in ein synoptisches Spannungsverhältnis, das die tradierte Sichtweise und unsere Erwartungen an «letzte» Wahrheiten relativiert. Schon beim ersten der drei Matinee-Konzerte – die weiteren folgen am 28. Juni sowie am 5. Juli – wird dies deutlich. Es ist den jeweils drittletzten Sonaten der genannten Komponisten gewidmet, und unterschiedlicher könnten die vier Werke kaum sein. Namentlich Mozarts «Sonata facile» KV 545 ist in diesem Kontext alles andere als ein EndzeitStück. Schiff stellt sie in seiner geistreichen, spielerischen und völlig unprätentiösen Interpretation vielmehr als abgeklärten Idealtypus hin: Sie ist das Bilderbuch-Beispiel der klassischen Sonate, demgegenüber alle anderen als kreative Abweichungen von der Norm erscheinen. Die Extrempole markieren dabei Schubert und Beethoven. Während Beethoven in seinen drei letzten Sonaten das Satzgefüge über den Haufen wirft und das Gewicht von den Kopf- auf die vielfältig mäandernden Finalsätze verlagert, behält Schubert in seiner finalen Trias zwar die überkommenen Satzmuster bei, sprengt die Form aber von innen heraus auf, indem er sie mit seiner ausufernden Erfindungsgewalt übersättigt. Zumal in der entsprechend schwer zu erfassenden c-Moll-Sonate, die als Gegenentwurf zu den zugespitzten c-Moll-Werken Beethovens lesbar ist, erweist sich Schiff als Meister der Form und des Überblicks. Er spielt diese herbe, kompromisslos in sich selbst versponnene Musik mit kraftvollem, stellenweise geradezu fatalistischem Ton. Das Klischee vom weichlichen, immer und überall dem Lied verhafteten Schubert wird eindrucksvoll widerlegt. Gleichwohl gibt es auch hier jene Entrückungsmomente, die «echter» Schubert sind und in denen man tatsächlich Todesahnungen des 31-Jährigen verspüren kann. András Schiff romantisiert diese Passagen nicht, er lässt sie unmittelbar sprechen. Schiffs Flügel – es ist der Bechstein, auf dem einst Wilhelm Backhaus spielte – verstärkt mit seinem leuchtenden Silberklang das Visionäre solcher Passagen. In Beethovens E-Dur-Sonate op. 109 kommt das Instrument im Diskant dagegen an klangliche Grenzen und tönt in den Triller-Ekstasen der letzten Variation mitunter stählern und hart. So bleibt das Elysische hier auf der Erde, was umso bedauerlicher ist, als Schiff das Werk wiederum formal sehr schlüssig auf dieses Ende hin anlegt; indem er nämlich das eröffnende Vivace, ungeachtet der retardierenden Adagio-Einschübe, als phantasievoll-flüchtiges Präludium zum Gegensatzpaar der beiden folgenden Sätze begreift. Brückenbauer Während die – von Schiff deutlich herausgestellten – Kühnheiten in Beethovens Spätwerk den Gang der Musikgeschichte verändert haben, billigt man Haydn für gewöhnlich keinen solchen Altersavantgardismus zu. Wie grundfalsch das ist, demonstriert Schiff schon eingangs bei der C-Dur-Sonate Hob. XVI:50. Schiff macht sich sogar den Spass, buchstäblich mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf das Kernmotiv des Stückes, den fallenden Dreiklang, hinzudeuten; in allen nur denkbaren Varianten durchdringt und verklammert die Dreitonfolge das Werk. Und nicht nur dieses Motiv-Denken wird bei Haydns Schüler Beethoven fruchten, auch die demonstrative Ausweitung der Durchführung und des Tonarten-Spektrums sind Errungenschaften, auf die spätere Werke wie die «Waldstein»-Sonate hörbar aufbauen. Der Wagemut des Alters, dies zeigt Schiff sehr einleuchtend, baut hier Brücken in die Zukunft – und macht sich gleich auch selber auf den Weg.