Falltext C 800 30.06.2014 P ist ehemalige Landrätin und

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Falltext C 800 30.06.2014 P ist ehemalige Landrätin und
Falltext
C 800
30.06.2014
P ist ehemalige Landrätin und Abgeordnete im Landtag des Bundeslandes B. Sie wurde im Jahre 2006
über die Landesgrenzen hinaus bekannt, weil sie als Mitglied der regierenden C-Fraktion des Landtags
den Rücktritt des amtierenden Ministerpräsidenten des Landes B verlangte, obwohl dieser selbst der
C-Fraktion angehörte. P wurde daraufhin aus der C-Fraktion ausgeschlossen und gehört seitdem als fraktionslose Abgeordnete dem Landtag des Landes B an.
Ende 2006 posierte P für das Gesellschaftsmagazin „P. A.“. In der Fotostrecke wird P u.a. leicht bekleidet in
Latex-Handschuhen gezeigt. Kurz nach dem Erscheinen der Fotos in dem Magazin „P. A.“ veröffentlichte
das Online Medium der B-GmbH auf ihrer Internetseite unter der Rubrik: „Post von …“ folgenden Text der
Redaktion:
Liebe Latex-Landrätin,
im goldenen Minikleid (ohne Höschen, weil es unfotogen durchdrückt) „begraben Sie Ihre Karriere
in der P. A.“… . Auf sechs Doppelseiten der Zeitschrift „P. A.“ lassen Sie sich in Domina-Posen – mit
Latex-Handschuhen und gespreizten Beinen – fotografieren. Die Fotos sind klassische Pornografie.
Der pornografische Voyeur lebt in der Qual, Ihnen die Kleider vom Leib zu reißen. Kein Foto löst in
mir den Impuls aus, Sie zu lieben bzw. zärtliche Worte mit Ihnen zu flüstern. Kein Mann liebt eine
Frau in einem Pornofilm.
Auf all diesen Fotos sind Sie angezogen, nichts Nacktes. Sie sind die Frau dazwischen. Warum machen Sie das? Warum sind Sie nach Ihrem Triumph nicht die brave, allein erziehende Mutter geblieben? Warum lassen Sie sich so fotografieren?
Ich sage es Ihnen: Sie sind die frustrierteste Frau, die ich kenne. Ihre Hormone sind dermaßen
durcheinander, dass Sie nicht mehr wissen, was wer was ist. Liebe, Sehnsucht, Orgasmus, Feminismus, Vernunft.
Sie sind eine durchgeknallte Frau, aber schieben Sie Ihren Zustand nicht auf uns Männer.
Herzlichst
Ihr F.J. W.
P erhob Klage vor dem Landgericht in T und beantragte die B-GmbH zu verurteilen es zu unterlassen, sie
als „durchgeknallte Frau“ und die Fotos als „klassische Pornografie“ zu bezeichnen sowie im Zusammenhang mit den Fotos von „Domina-Posen“, „Pornofilm“ und „pornografischem Inhalt“ zu sprechen. Gleichzeitig beantragte sie eine angemessene Geldentschädigung von mindestens 5.000,- €. Das Landgericht
verurteilte die B-GmbH zur Unterlassung, nicht aber zur Zahlung einer Geldentschädigung. Auf die Berufung hin wies das OLG (letztinstanzlich) die Berufung zurück und änderte das Urteil des Landgerichts ab.
Die Klage der P wurde insgesamt abgewiesen. Das OLG betonte, die Äußerungen griffen zwar die Ehre
der P an, sie wären aber als Werturteile von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt. In der erforderlichen
Abwägung sei zu berücksichtigen, dass P durch den durch die Rücktrittsforderung gewonnenen Bekanntheitsgrad viele Karrierechancen gehabt hätte. Der Autor des Textes „Post von …“ hätte vor diesem
Hintergrund die Frage gestellt, "wie man so was machen kann". Insoweit handele es sich nicht um eine
reine Schmähkritik, die nicht mehr von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gedeckt wäre. Das BVerfG habe in einer Entscheidung vom 12.05.1999 die Bezeichnung als „durchgeknallter Staatsanwalt“ nicht beanstandet und als
von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt angesehen.
P erhebt gegen das letztinstanzliche Urteil Verfassungsbeschwerde. Sie rügt die Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Der Beitrag lasse jegliche sachliche Auseinandersetzung vermissen. Vielmehr zeichne er sich dadurch aus, dass er die Beschwerdeführerin auf ganz privater Ebene unter Bezugnahme auf ihre inneren Gedankengänge und ihr Gefühlsleben angreife und herabwürdige.
Hat die Verfassungsbeschwerde Erfolg?
Fortsetzung des Falltextes C 800
Vermerk für die Bearbeitung:
1. Der Sachverhalt ist unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu begutachten.
Wer die Verfassungsbeschwerde für unzulässig hält, hat zur Begründetheit ein Hilfsgutachten zu erstellen.
2. Der Beschluss des BVerfG vom 12.05.2009 – 1 BvR 2272/04 (NJW 2009, 3016) ist korrekt wiedergegeben.
Darin ging es um eine Äußerung eines Journalisten in einer Fernseh-Talkrunde, in der der Journalist einen
Staatsanwalt als „durchgeknallt“ bezeichnete, da dieser im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens vorläufige Ergebnisse einer Durchsuchung bei einem bekannten Fernsehmoderator an verschiedene Zeitungen
weitergegeben hatte.