Der besondere Reiz der Eisenkugeln
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Der besondere Reiz der Eisenkugeln
Sport.Pétanque. | Samstag, 27. Juli 2013 | Seite 36 Der besondere Reiz der Eisenkugeln Was gibt es Besseres im Sommer, als eine Partie Pétanque zu spielen – die BaZ stellt fünf Plätze in Basel vor Schützenmattpark. Der Spielort ist einsteigerfreudlich und liegt unter lauschigen Bäumen, darum trifft man im Schützenmattpark auch öfters Leute an. Von Tobias von Rohr (Text) und Michael Koller (Fotos) Basel. Sommer, ein kleines Dorf ir- gendwo im französischen Niemandsland. Die Hitze hat die Bewohner in die Häuser verbannt. Nur vom Dorfplatz, kiesig und mit alten Schatten spendenden Bäumen gesäumt, hört man ab und an ein klackendes Geräusch hinüberfliegen. Eisenkugeln treffen auf Eisenkugeln – daneben wird heftig diskutiert und gestikuliert, beobachtet von Kiebitzen. Man spielt die Boule-Variante Pétanque. Es ist eine typische Szenerie: Das Dorfzentrum gehört ganz dieser Sportart, die man so eng mit Frankreich verbindet. Sie ist für die Leute dort in etwa so sinnstiftend wie das Schwingen in der Schweiz. Aber noch etwas integrativer. Denn Pétanque kann jeder spielen. Egal ob jung oder alt. Die Einstiegshürde ist tief: Man braucht Kugeln, ein Zielkügelchen sowie einen Kiesplatz und schon kann es losgehen. Komplizierte Regeln gibt es keine, wer näher dran ist, bekommt einfach Punkte. «Der Reiz daran ist: Pétanque ist schnell erlernbar und man kann es überall spielen. Es ist kein Hochleistungssport, darum müssen wir uns um Ozonwerte auch nicht so Gedanken machen», sagt Christian Keller, der Präsident des Pétanque-Club Basel. unzählige Plätze, auf denen sich täglich Leute im Zielwerfen messen. «Es passt zu Basel, zum Lebensgefühl hier», ist sich Keller sicher. An Spielplätzen mangelt es in Basel nicht: Als schönster gilt gemeinhin natürlich der Münsterplatz (vgl. Beispiele unten). Bekannt, weil an der Flanierzone liegend, ist auch das Kiesbett unten an der Kaserne am Rheinufer. Neben den offensichtlichen Plätzen verstecken sich in der Stadt aber noch einige andere Perlen. Wie zum Beispiel das kleine Plätzchen an der Ecke Schalerstrasse/ Benkenstrasse, in der Nähe der Schützenmatte. «Mein Geheimtipp», erzählt Keller, der gerne mit Spielkollegen auf die Suche nach unentdeckten Kiesplätzen geht, die sich fürs Pétanque eignen. Das Klischee, dass sich vor allem älteren Leute dem Spiel mit den Kugeln widmen, wurde längst widerlegt: Auch an Ausgangsorten wie dem Sommerdeck auf dem nt/Areal oder bei der Dreisrosen-Buvette existieren Bahnen, um dort bis spätabends noch einige Kugel zu werfen, natürlich am liebsten mit einem erfrischenden Getränk in der Hand. Der Vorteil an diesen Lokalitäten: Das Spielgerät muss man da nicht selber mitnehmen. Wer hingegen selber Pétanque-Kugeln kaufen will, hat die Qual der Wahl. Ein Sechser-Set gibts im Detailhandel schon für unter 100 Franken. Für Spielgeräte von hoher Qualität muss man aber tief in die Taschen greifen. Wettkampfkugeln kosten schnell mal 200 Franken pro Stück. Spitzenspieler in einem Verein Bei der starken Verbreitung des Pétanques in Basel würde man mit einem mitgliederstarken Verein rechnen. Aber der Basler Club zählt nur 62 Leute, die sich abwechselnd im Kannenfeldpark, Schützenmattpark und im Dalbeloch auf einige Kugeln treffen. Der Grund ist einfach: Wer Pétanque als Breitensport betreibt, der verzichtet oft, sich einem Verein anzuschliessen. Auf Gleichgesinnte trifft man in der Stadt immer irgendwo. Dazu kommt: Die Spielorte in der Stadt sind öffentlich und bis auf die Kugeln ist keine spezielle Ausrüstung nötig. In einem Verein sind darum oftmals die Spieler mit höheren Ambitionen, die mit einer Lizenz an Meisterschafts-Turnieren antreten möchten. Ja, auch Pétanque-Spitzensport existiert. Wobei Club-Präsident Keller erklärt, dass die Romands den Deutschschweizer Kollegen regelmässig den Schneid abkaufen. Aber überraschend ist das ja nicht. Clubs in Basel > Pétanque-Club Basel (E-Mail: [email protected]) > Pétanque–Club Bachgraben Basel (E-Mail: [email protected]) petanque-basel.ch Dalbeloch. Wer einmal in historischer Umgebung die Kugeln werfen will, der ist im Dalbeloch genau richtig. Beim letzten Stück der ehemaligen Stadtmauer am Rhein gibts auf dem Letziplatz einen grosses Spielfeld. Bei grosser Hitze allerdings nicht zu empfehlen, weil die schattenspendenden Bäume fehlen. Voltaplatz. Wo vor nicht allzu langer Zeit noch das Tram durchfuhr, steht jetzt ein hübscher Kiesplatz mit Wasserpumpe. Am Ende der Gasstrasse, gleich beim Voltaplatz, lassen sich in urbaner Umgebung einige Kugeln werfen. Wegen der Tische des Restaurants Florida und der ContoBar kommt sogar ein wenig Piazza-Feeling auf. Boccia, Boule oder Pétanque? Basel. Ja, wie heisst es denn nun? Dieses Spiel mit der einen kleinen Zielkugel und den vielen grossen Kugeln? Der französische Begriff «Boule» bedeutet übersetzt ganz einfach «Kugel». Es existieren mehrere Varianten des Boules-Spieles. Einerseits in Frankreich, andererseits auch in anderen Ländern Europas. Die Spielarten unterscheiden sich in der Art der Kugel (Metall oder Holz) und beim Gewicht sowie bei den Spielregeln. Die bekannteste Variante aus der «Grande Nation» ist das Pétanque. Wenn bei uns vom Kugelspiel auf öffentlichen Plätzen die Rede ist, dann ist meistens diese Variante gemeint. Vor allem weil dabei die Unterlage unerheblich ist und sich das Spiel sowohl für Einsteiger als auch Profis eignet. Die italienische Variante Boccia wird mit Holzkugeln gespielt – in der Region Basel gibt es dafür sogar spezielle Hallen. Weniger bekannt ist die englische Variante Bowls mit ovalen Kugeln, die auf einem Green (Rasen oder synthetisch) praktiziert wird. tvr Erfunden wegen Rheuma Die Einfachheit, die das in der «Grande Nation» beliebte Spiel auszeichnet, ist eng mit der Herkunft von Pétanque verbunden: Entwickelt wurde diese Variante natürlich von einem Franzosen Anfang des 20. Jahrhunderts. Einem, der wegen eines Rheumaleidens an einen Rollstuhl gefesselt war. Um Chancengleichheit herzustellen, passten sich seine Mitspieler an: KannenfeldBeim Werfen der Kugeln verzichteten park. Die grösste sie auf den damals üblichen Anlauf Pétanque-Arena Basels steht (wie es bei anderen Varianten des mit Sicherheit im KannenfeldBoules-Sportes heute noch vorpark. Zumindest lässt sich von den kommt), sie spielten mit den Füsverwachsenen Steintreppen im hinsen streng parallel. teren Teil der Grünanlage ein Blick Vom französischen «pieds tanauf die Spielstätte erhaschen. Der qués» ergab sich auch der Name. flache Kiesplatz, in dessen hinteSeither hat diese vereinfachte Varirem Teil noch drei Pingpongante des Kugelspiels einen beachtliTische stehen, ist ideal für chen Siegeszug hinter sich. Einen, alle Spieler-Stufen. den die heute bekannteste Spielvariante sogar bis nach Basel gebracht hat. «Wir haben hier eine riesige Szene», sagt Christian Keller. In der Stadt gibt es Münsterplatz. Er gilt ja als schönster Platz der Stadt und trotzdem wird er meist nur bei Spezialanlässen von den Einwohnern Basels so richtig ausgiebig genutzt. Mit einer grossen Ausnahme: An den Wochenenden treffen sich oft die Pétanque-Liebhaber unter den schattenspendenden Bäumen, um zu spielen. Bei dieser Kulisse ist das ja auch kein Wunder.