Odyssee: Penelope1 Jetzo ging aus der Kammer - gottfried

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Odyssee: Penelope1 Jetzo ging aus der Kammer - gottfried
Odyssee: Penelope1
Jetzo ging aus der Kammer die kluge Penelopeia | Artemis gleich an Gestalt und der
goldenen Aphrodite | Neben das Feuer setzte sie ihren gewöhnlichen Sessel | Welcher, mit
Elfenbein und Silber umzogen, ein Kunstwerk | Von Ikmalios war; der Schemel unter den
Füßen | Hing daran, und ein zottlichtes Fell bedeckte den Sessel | Allda setzte sich nun die
kluge Penelopeia (…)
[Penelopes Gespräch mit dem als Bettler verkleideten Odysseus] Ihm antwortete drauf die
klugePenelopeia | Fremdling, die Tugend des Geistes und meine Schönheit und Bildung |
Raubten die Himmlischen mir am Tage, da die Argeier | Schifften gen Troja, mit ihnen mein
trauter Gemahl Odysseus | Kehrete jener von dannen und lebt’ in meiner Gesellschaft | Ja,
dann möchte mein Ruhm wohl größer werden und schöner | Aber jetzo traur ich; denn
Leiden beschied mir ein Dämon | Alle Fürsten, so viel’ in diesen Inseln gebieten | Same,
Dulichion und der waldbewachsnen Zakynthos | Und so viele hier in der sonnigen Ithaka
wohnen | Alle werben um mich mit Gewalt und zehren das Gut auf2 | Darum kümmern mich
Fremdling’ und Hilfeflehende wenig | Selbst die Herolde nicht, des Volks geheiligte Diener |
Sondern ich härmemich ab um meinen trauten Odysseus!
Jene treiben die Hochzeit, und ich ersinne Verzögrung | Erst gab diesen Gedanken ein
Himmlischer mir in die Seele | Trüglich zettelt ich mir in meiner Kammer ein feines |
Übergroßes Geweb und sprach zu der Freier Versammlung | Jünglinge, die ihr mich liebt,
nach dem Todedes edlen Odysseus | Dringt auf meine Vermählung nicht eher, bis ich den
Mantel | Fertig gewirkt (damit nicht umsonst das Garn mir verderbe!) | Welcher demHelden
Laërtes zum Leichengewande bestimmt ist | Wann ihn die finstere Stunde mit
Todesschlummer umschattet | Dass nicht irgend im Lande mich eine Achäerin tadle | Läg er
uneingekleidet, der einst so vieles beherrschte | Also sprach ich mit List und bewegte die
Herzen der Edlen | Und nun webt ich des Tages an meinem großen Gewande | Aber des
Nachts, dann trennt ich es auf beim Scheine der Fackeln (…)
[Odysseus erzählt die Geschichte seiner Irrfahrt aus der Perspektive eines Dritten] Also
täuscht’ er die Gattin mit wahrheitsgleicher Erdichtung | Aber die horchende Gattin zerfloss
in Tränen der Wehmut | Wie der Schnee,den der West auf hohen Bergen gehäuft hat | Vor
dem schmelzenden Hauche des Morgenwindes herabfließt | Dass von geschmolzenem
Schnee die Ströme den Ufern entschwellen | Alsoflossen ihr Tränen die schönen Wangen
herunter | Da sie den nahen Gemahl beweinete. Aber Odysseus | Fühlt’ im innersten Herzen
den Gram der weinenden Gattin | Dennoch standen die Augen wie Horn ihm oder wie
Eisen| Unbewegt in den Wimpern; denn klüglich hemmt’ er die Träne (…)
[Erkennungsszene: das Ehebett]3 Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia | Wunderlicher,
mich hält so wenig Stolz wie Verachtung | Oder Befremden zurück; ich weiß recht gut, wie
1
Odyssee, XIX, 53 ff. Homer: Odyssee. Vollständige Ausgabe in der Übertragung von Heinrich Voß. München
1980
2
vgl. das Bild „Betthupferl für meine Jungs!“ das wie eine postmodern-ironische Paraphrase dieser Textstelle
wirkt: Internet | http://data5.blog.de/media/886/2709886_597a4e2a0b_m.jpeg
3
Odyssee, XXIII, 173 ff.
du aussahst | Als du von Ithaka fuhrst im langberuderten Schiffe | Aber wohlan! Bereite sein
Lager ihm, Eurykleia | Außerhalb des schönen Gemachs, das er selber gebauet | Setzt das
zierliche Bette hinaus und leget zum Ruhen | Wollichte Felle hinein und prächtige Decken
und Mäntel | Also sprach sie zum Schein, den Gemahl zu versuchen. Doch zürnend | Wandte
sich jetzt Odysseus zu seiner edlen Gemahlin | Wahrlich, o Frau, dies Wort hat meine Seele
verwundet | Wer hat mein Bette denn anders gesetzt? Das könnte ja schwerlich | Selbst der
erfahrenste Mann, wo nicht der Unsterblichen einer | Durch sein allmächtiges Wort esleicht
von der Stelle versetzte | Doch kein sterblicher Mensch, und strotzt’ er in Kräften der Jugend
| Könnt’ es hinwegarbeiten! Ein wunderbares Geheimnis | War an dem künstlichen Bett;
und ich selber baut’ es, kein andrer | Innerhalb des Gehegs war ein weitumschattender
Ölbaum | (…) Schnitzt ihn zum Fuße des Bettes und bohrt ihn rings mit dem Bohrer | Fügete
Bohlen daran und baute das zierliche Bette | Welches mit Gold und Silber und Elfenbeine
geschmückt war | Und durchzog es mit Riemen von purpurfarbener Stierhaut | Dies
Wahrzeichen sag ich dir also. Aber ich weiß nicht | Frau, ob es noch so ist wie vormals, oder
ob jemand | Schon den Fuß von der Wurzel gehaun und das Bette versetzt hat | Also sprach
er. Der Fürstin erzitterten Herz und Kniee | Als sie die Zeichen erkannte, die ihr Odysseus
verkündet | Weinend lief sie hinzu, und fiel mit offenen Armen | Ihrem Gemahl um den Hals,
und küsste sein Antlitz (…)

Hesiod: Von der Schwierigkeit, die richtige Frau zu wählen4
Zutraun hat schon genauso wie Misstraun Männer vernichtet | Lass nicht ein Weib deinen
Sinn, das den Steiß dreht, listig betören | Gleisnerisch süß dich beschwatzens, den Blick auf
den Vorrat im Hause | Wer einem Weibe vertraut, der Mann hat Vertrauen zu Gaunern.
Und im richtigen Alter ein Weib ins Haus dir geleiten: | Lass an dem dreißigsten Jahr nicht
allzuviele dir fehlen | Noch gib viele dazu; dann passt das Alter zur Hochzeit | Aber das Weib
sei vier Jahre mannbar, freie im fünften.5 | Nimm eine Jungfrau zum Weib, sie richtigen
Wandel zu lehren | Und eine solche am besten, die nah bei dir selber zuhause | Doch schau
in allem dich um, sonst schaffst du den Nachbarn Vergnügen | Denn es erlost sich ein Mann
nichts Besseres als eine Gattin | Die etwas taugt, doch nichts so Grausliches als eine
schlechte | Gierig auf Fraß; und die ihren Mann, so kräftig er sein mag | Absengt ohn eine
Fackel und vor der Zeit ihn zum Greis macht.6

Antike Grabinschrift auf eine gute Ehefrau7
“Die spätestens 9 v. Chr. Verstorbene war 41 Jahre vermählt; sie ist, obschon jünger, vor
ihrem Gemahl verstorben. Sein an sie gerichteter Nachruf hat sich ungefähr zur Hälfte
4
Erga kai Hemerai, V. 372 ff.; 695 ff. Hesiod: Sämtliche Gedichte – Theogonie. Erga. Frauenkataloge. Übersetzt
und erläutert von Walter Marg. Darmstadt ²1984 (Zürich –München 1970), S. 323; S.339
5
Also: der Mann soll bei der Heirat (fast) doppelt so alt wie die Frau sein, nämlich um die Dreißig, die Frau noch
ein Mädchen von fünfzehn bis sechzehn Jahren.
6
Erga kai Hemerai, V. 695 ff.
7
Bernhard Kytzler: Frauen der Antike. Von Aspasia bis Zenobia. Zürich 1994, S. 167 f.
erhalten, doch lassen sich die meisten Ergänzungen mit hoher Sicherheit erschließen. Es
entsteht das Bild einer außergewöhnlichen Römerin: Sie ist noch als Verlobte durch die
Ermordung ihrer Eltern Waise geworden, wusste aber selbst die Bestrafung der Täter zu
erwirken. Auch einen juristischen Angriff auf ihre Erbschaft vermochte sie selbständig
abzuwehren. Sie wartete auf ihren Gatten, der am Bürgerkrieg zwischen Caesar und
Pompeius auf der unterliegenden Seite teilgenommen hatte und hernach vom Sieger
begnadigt wurde. Ihres Eheglückes sich zu erfreuen war ihnen nicht lange vergönnt: Das
Zweite Triumvirat proskribierte den Mann, seiner Frau gelang es, ihn versteckt zu halten und
seine Begnadigung seitens Oktavians, des späteren Augustus, zu erwirken. Doch musste sie
die Verwirklichung der Rehabilitierung durch den zu Rom kommandierenden Lepidus unter
entwürdigenden Umständen, Schlägen und Stößen erflehen. Der Ehe blieben Kinder versagt.
Die Frau sah sich selbst als ursächlich und ‘schuldig’ an; sie schlug – nach vergeblichen Kuren
– die Scheidung vor, so dass der Mann in neuer Ehe Nachkommen haben könnte und sie ihm
wie eine Schwester oder Schwiegermutter zur Seite stehen werde. Er lehnte den Vorschlag
energisch ab. Als besondere Tugend der Gestorbenen rühmt die Rede ihre Großzügigkeit,
libertas (…). Daneben preist ihr Gatte ihre Züchtigkeit, Nachgiebigkeit, Freundlichkeit,
Umgänglichkeit, ihr Interesse an Handarbeit mit Wolle, ihre unauffällige Kleidung und
bescheidene Lebensführung sowie ihre Hingabe an den Glauben, ohne dem Aberglauben zu
verfallen.”

Das Gegenteil einer guten Hausfrau – Sallust (86 – 35 v.u.Z.) über Sempronia, einen
Ausbund an weiblicher Freiheitsliebe, Eigensinn und Selbständigkeit
Sempronia stammt aus vornehmer Familie, ist gut verheiratet (mit Decimus Iunius Brutus,
Konsul des Jahres 77 v.Chr.) und hat Kinder (unter diesen Decimus Brutus Albinus, später
einer von Caesars Legaten und Mördern). Darüber hinaus sieht sie gut aus, ist geistvoll und
kennt sich in der griechischen wie lateinischen Literatur bestens aus. Allerdings versteht sie
auch zu singen und zu tanzen, besser,als es ihrem Rufe guttut und einer wohlanständigen
Dame ansteht. Mit dem Geld nimmt sie es nicht so genau, wartet auch nicht, bis Sex ihr
angeboten wird, sondern sucht selbst danach.8

Die Stellung der Frau in der Antike
“Es ist eine allgemeine Einrichtung des Altertums, des Orients wie der griechisch-römischen
Welt, dass die Frau am politischen Leben keinen Anteil hatte. Wie sie keinen Kriegsdienst
leistete, so hatte sie auch keinen Zugang zur Magistratur und zum Rat. Das fast überall auch
heute noch9 geltende mulier taceat in ecclesia10 hatte sein Vorspiel in einer Zeit, als Ekklesia
noch die politische Gemeinde bedeutete. Auch in Familie und Ehe musste sich die
griechische Frau des klassischen Zeitalters mit einer untergeordneten Stellung abfinden. Die
feierliche Form der Eheschließung kannte die Frau gar nicht als handelnde Person; die
daneben vorkommende unförmliche Ehe, die auf beiderseits freiwilligem Zusammenwohnen
8
Sallust: Die Catilinarische Verschwörung, 25; 40,5 – zit. nach Bernhard Kytzler: Frauen der Antike, S. 151
Der Aufsatz erschien erstmals 1960.
10
“Die Frau schweige in der Kirche”: Paulus über die Rolle der Frau in der christlichen Gemeinde.
9
beruhte, war selten und gewann kaum einen Einfluss auf die gesellschaftliche Geltung der
Frau. In den meisten Staaten stand sie ein Leben lang unter Vormundschaft, ob diese nun
der Vater, der nächste männliche Verwandte oder der Gatte innehatte. Der Vater bestimmte
den Bräutigam für seine Tochter, persönliche Neigung spielte dabei so gut wie keine Rolle,
wohl aber die Standesgemäßheit und die Höhe der Mitgift; war die Tochter das einzige Kind,
so konnte der nächste Erbberechtigte des Vaters ihre Hand verlangen. Monogamie war die
Regel, ebenso war man sich darin einig, dass die Ehe lediglich der Erzeugung rechtmäßiger
Kinder und der Gewinnung einer verlässlichen Hausverwalterin diente. Die Führung der
Hauswirtschaft, die Aufsicht über die sklavischen Hilfskräfte, die Sorge für die kleinen Kinder
– dies alles gehörte zur unbestrittenen Domäne der Frau, doch diese Domäne war streng
abgeschlossen. Wir hören jedenfalls von der athenischen Frauenwohnung, dass kein fremder
Mann Zutritt hatte, dass Frauen als Besucherinnen ungern gesehen wurden und dass die
Herrin, wenn sie ausging, sich nicht ohne Begleitung auf der Straße bewegen durfte, es sei
denn, dass ein religiöses Fest die Bande lockerte. An der Berufsarbeit und geistigen Welt des
Mannes hatte die Frau kaum einen Anteil, selbst die Erziehung der Kinder wurde ihr in den
entscheidenden Jahren der Entwicklung entzogen, bei deren Verheiratung hatte sie nicht
mitzureden; sie wurde auch nicht gefragt, wenn der Vater die Aussetzung eines
Neugeborenen entschied. Diese Unterdrückung menschlicher Regungen musste sie
hinnehmen, stand doch im Falle des Konfliktes die Scheidung von seiten des Mannes
(αποπομπή) drohend über ihr. Sie selbst aber konnte nur unter großer Förmlichkeit beim
Magistrat die Trennung beantragen, besonders in dem Fall, dass der Mann im Rechtssinne
Ehebruch begangen, d.h. die Gattin eines freien Mannes zu seinem Weibe gemacht und
damit fremdes Eigentumsrecht verletzt hatte.”11

Eine Menage à trois – in Hellas und in Al-Andalus
“Unter den Reden des Demosthenes findet sich aus den Jahren vor 339 v. Chr. als Nr. 59 ein
50 Seiten umfassendes Plädoyer […, dessen delikate Details der Darstellung] durchaus von
Interesse [sind]. Es geht um Neaira, die als junges Mädchen mit sechs anderen von Nikarete
in Korinth angekauft, aufgezogen und als Hetäre ausgebildet worden war. Nikarete verdiente
gut an ihnen; zu den Kunden der Neaira zählten der Dichter Xenokleides und der
Schauspieler Hipparchos. Phrynion half ihr beim Freikauf und brachte sie nach Athen, von
wo sie nach zwei Jahren nach Megara floh. Stephanos brachte sie zurück; sielebte als Hetäre
und unterstützte ihn; er hingegen erkannte ihre Kinder als seine eigenen, also als
freigeborene Bürger an und suchte auch Neairas Status zu dem einer freien Person zu
machen. Erst nach langen heftigen Auseinandersetzungen einigten sich Stephanos und
Phrynion, dass sie abwechselnd zu gleich langen Zeiten auf Neaira Anspruch haben
sollten.”12

11
Joseph Vogt: Von der Gleichwertigkeit der Geschlechter in der bürgerlichen Gesellschaft der Griechen (1960).
In: Andreas Karsten Siems (Hg.): Sexualität und Erotik in der Antike. Darmstadt 1994, S. 120 ff.
12
Bernhard Kytzler: Frauen der Antike, S. 118 f.; siehe dazu auch Debra Hamel: Der Fall Neaira. Die wahre
Geschichte einer Hetäre im antiken Griechenland. Darmstadt 2004
Die eigensinnigste, ja spektakulärste Vita einer muslimischen Frau des Mittelalters hat
sicherlich Hafsa bint al-Hadjdj ar-Rakuniya aufzuweisen. Geboren 1135 in Granada, hat sie
ihr ereignisreiches Leben 1191 in Marrakesch beendet. Dazwischen lagen Jahre des Ruhms
und der Freizügigkeit. Der moderne Literaturhistoriker liefert dazu folgende Charakteristik.
Hafsa bint al-Hadjdj ist „eine der berühmtesten Dichterinnen Andalusiens, die sich in der
Literaturgeschichte vor allem durch ihre tragische Liäson mit dem Dichter Abu Dja’far ibn
Sa’id einen Namen gemacht hat.“13 Hafsa genießt eine ausgezeichnete Erziehung: dass sie
hoch gebildet ist, kann man ihrem literarischen Nachlass – ihren dichterischen und
pädagogischen Schriften – entnehmen. „Schon bald hatte sie sich dank ihrer Schönheit und
ihrer intellektuellen Fähigkeiten eine bedeutende Position bei Hofe erworben, und damals
war es auch, dass sie Abu Dja’far ibn Sa’id kennen lernte, eine der brillantesten
Persönlichkeiten der Stadt – zu dem sie alsbald eine leidenschaftliche Beziehung aufnahm.
Ihre Biographen (Ibn al-Khatib, al-Maqqari, Ibn Sa’id) haben die poetische Zwiesprache,
worin eines der berühmtesten Paare der spanisch-arabischen Literaturgeschichte einander
huldigte, überliefert.“14 Tragisch wird die Beziehung in dem Moment, wo sich auch der
Almohaden-Gouverneur Abu Sa’id, Sohn des Kalifen ‘Abd al-Mu’min, in Hafsa verliebt.
„Hafsa versuchte die Situation durch eine Dreiecksbeziehung zu retten, mit dem Effekt, dass
sich Abu Dja’far, einst ein guter Freund des Abu Sa’id, aus Eifersucht gegen diesen wandte
und sich einer Rebellion gegen die Almohaden anschloss. In Málaga festgenommen, wurde
er auf Befehl Abu Sa’ids eingekerkert und im Jahr 1163 hingerichtet.“15 Diese Tragödie führt
zum vorübergehenden Rückzug Hafsas aus der höfischen Politik. Erst Jahre später, nachdem
sie schon begonnen hat, sich als Erzieherin einen Namen zu machen, nimmt sie wieder eine
offizielle Berufung an und geht als Prinzenerzieherin an den Hof des Kalifen Ya’qub alMansur nach Marrakesch. In dieser Stadt lebt sie von 1184 bis zu ihrem Tode. Ihr Oeuvre
besteht vorzugsweise aus Liebeslyrik, aber auch satirische Schriften stammen von ihr, beides
an ihren Geliebten gerichtet. An den Gouverneur Abu Sa’id richten sich einige Elogen Preislieder, die man natürlich im Zusammenhang mit Hafsas Liäson mit diesem Politiker
lesen muss, so wie sie andrerseits Elegien über ihres ersten Geliebten, Abu Dja’fars
Gefangennahme und tragischen Tod verfasst hat. „Ihre Dichtung zeichnet sich vor allem
durch Sensibilität und Spontaneität aus, zwei Eigenschaften, die an sich in der spanischarabischen Poesie eher selten sind – dabei in formaler Hinsicht ohne Fehl und Tadel, ein
Beweis ihrer hervorragenden literarischen Bildung.“16

Die Stellung der Frau im vorislamischen Arabien
‘Urwa Ibn az-Zubair berichtet, ‘Â’isha, die Frau des Propheten (S), habe erzählt: In
vorislamischer Zeit gab es vier verschiedene Formen der Heirat und Ehe. Eine von ihnen
entspricht der heutigen Heirat. Ein Mann hält bei einem anderen Mann um dessen Tochter
oder Schutzbefohlene an. Das Brautgeld wird festgelegt, und dann heiratet er sie. Eine
andere Art der Ehe war folgende: Der Mann sagte zu seiner Frau, wenn ihre Menstruation
vorüber war: „Halte dich an den Soundso und geh eine Beziehung mit ihm ein!“ In der
Folgezeit blieb der Ehemann ihr fern und rührte sie nicht an, bis sie von jenem anderen
13
José Ortega / Celia del Moral: Diccionario de Escritores Granadinos, Siglos VIII – XX. Granada 1991, S. 94 f.
José Ortega / Celia del Moral: Diccionario, S. 95
15
José Ortega / Celia del Moral: Diccionario, S. 95
16
José Ortega / Celia del Moral: Diccionario, S. 95
14
Mann ein Kind erwartete. Wenn Sicherheit über ihre Schwangerschaft bestand, konnte er ihr
wieder beiwohnen. Dieser Art der Ehe lag der Wunsch nach einem Kind von besonders
edlem und vornehmen Blute zugrunde. Bei der dritten Kategorie von Ehe hatte eine Gruppe
von nicht mehr als zehn Männern sexuelle Beziehungen zu einer Frau. Oft wurde sie
schwanger und brachte ein Kind zur Welt. Einige Tage nach der Entbindung rief sie ihre
Liebhaber zusammen, und keiner von ihnen hatte das Recht, dieser Zusammenkunft
fernzubleiben. Sobald alle versammelt waren, sagte sie: „Ihr wisst, warum ihr hier seid! Ich
habe ein Kind geboren, und es ist dein Kind, o Soundso!“ Dabei nannte sie nach Belieben den
Nmen eines der Männer. Das Kind war damit diesem Mann zugewiesen, und er hatte nicht
sie Möglichkeit, die Vaterschaft zurückzuweisen. Bei der vierten Art von Ehe verkehrten viele
Männer mit einer Frau. Diese Frauen waren Prostituierte, sie verweigerten sich keinem.
Über den Türen ihrer Häuser befestigten sie Fahnen als Zeichen für die Männer, und wer mit
ihnen schlafen wollte, begab sich zu ihnen. Wenn eine solche Frau ein Kind zur Welt brachte,
wurden alle ihre Liebhaber zusammengerufen und die Physiognomen eingeladen. Diese
Gelehrten ordneten das Kind jenem Mann zu, den sie als den Vater erkannten. Ihm wurde
das Kind zugesprochen, und es galt als sein Kind, ohne dass er etwas dagegen unternehmen
konnte. Als Muhammad (S) gesandt wurde, um die göttliche Wahrheit zu verkünden,
schaffte er diese Bräuche aus vorislamischer Zeit ab. Es blieb nur die Art von Heirat und Ehe,
die heute üblich ist.17

Arbeitende Frauen im Mittelalter – die Kölner Handwerkerinnen18
„Die hohe Rechtsfähigkeit der Frauen bot eine Voraussetzung dafür, dass sie in den Zünften
zu Meisterwürden aufsteigen konnten. Es gab kaum Wirtschaftszweige, in denen sie nicht zu
finden waren. Nur Schneider, Harnischmacher und Tuchscherer legten Frauen
Arbeitsbeschränkungen auf und auch das nur zeit- bzw. teilweise. Die Frauen dominierten
als Garnmacherinnen, Goldspinnerinnen und im Seidengewerbe.19 ‚Coelsch garn, fil de
Cologne‘ war ein Kölner Markenartikel, ein leinener, meist blau gefärbter Zwirn, beliebt
wegen seiner Appretur und Farbenechtheit. Die Appretur des von den Garnzwirnern
gezwirnten Leinengarns wurde in Köln von den Garnmacherinnen besorgt, die eine wohl
schon vor 1397 bestehende Zunft bildeten. (…) Der 1397 bestätigte Amtsbrief setzt die
Lehrzeit auf vier Jahre fest, die Lehrfrau durfte einmal gewechselt werden, jede neue
‚leirmeit‘ [Lehrmädchen] musste innerhalb von acht Tagen dem Garnamt gemeldet und in
das Lehrtöchterbuch eingetragen werden. Hatte die Lehrtochter ausgelernt, [… konnte sie]
gegen Zahlung einer Gebühr von 2 Gulden sich zu Hause eine eigene Werkstätte
einrichten.“20

17
Sahîh al-Bukhârî: Nachrichten von Taten und Aussprüchen des Propheten Muhammad. Edition: Dieter
Ferchel. Stuttgart 1991, S. 342 f.
18
Edith Ennen: Frauen im Mittelalter. München 1994, S. 159 ff.; vgl. auch M. Wensky: Die Stellung der Frau in
der stadtkölnischen Wirtschaft im Spätmittelalter. Köln – Wien 1980
19
Vgl. damit die ähnlich bedeutende Stellung der Frau im spanisch-arabischen Granada des Spätmittelalters ,
ebenfalls als Produzentin im Seidengewerbe, und deren auffallend gute rechtliche Position – Gottfried Liedl:
Dokumente der Araber in Spanien. Wien 1993, S. 253 ff.
20
Edith Ennen: Frauen im Mittelalter, S. 159
„Die Gewerbeaufsicht übten vom Rat betraute ‚Herren zu den Garnmacherinnen‘ aus. Mit
den Garnzwirnern, die umLohn das Garn auf Rädern,d.h.auf Zwirnmühlen zwirnten, gerieten
die Garnmacherinnen wiederholt in Tarifauseinandersetzungen (..). Unter den zunächst acht
Kölnern, die insgesamt 12 Räder in Pacht hatten, war auch eine Frau. Unter 14 namentlich
bekannten Garnradpächtern der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts waren fünf Frauen. (…)
Wie bei anderen Kölner Textilgewerben betrieben die Ehemänner oft den Absatz, den
Garnhandel; die im Garngewerbe tätigen Frauen waren nämlich vielfach Ehefrauen, keine
alleinstehenden Frauen. An der städtischen Anleihe von 1418 beteiligte sich eine
Garnmacherin mit 50 Gulden. Größere Vermögen waren in diesem Gewerbe im allgemeinen
nicht zu gewinnen.“21

„Ausschließlich Frauenarbeit war zunächst die Seidenstickerei. (…) Eheliche Geburt war keine
Voraussetzung der Aufnahme in die Zunft. Die Hauptseidenmacherin, die ‚heuftvrauwe‘,
hatte ihre Werkstatt im eigenen Haus, wo sie eigene Töchter und fremde junge Mädchen
ausbildete; auch die fremden Lehrtöchter wohnten bei ihr und waren bei ihr in Kost. (…) Die
Hauptseidmacherinnen wählten jährlich zwei Frauen zu Zunftmeisterinnen und zwei Männer
zu Zunftmeistern. Eheleute durften nicht gleichzeitig Zunftmeister sein. Voraussetzung für
die Wählbarkeit war eheliche Geburt.“22

„Fygen Lutzenkirchen wurde 1474 Hauptseidmacherin und nahm bis 1497 insgesamt 25
Lehrtöchter auf. Ihr Ehemann Peter Lutzenkirchen war ein bedeutender Kölner Kaufmann
(…) Er bezog über die Ravensburger Seide aus Valencia, als Gegengut lieferte er Kölner
Goldgespinste, die für Genua und Venedig bestimmt waren. Er saß mehrmals im Rat. Fyge
war öfters im Vorstand des Amtes. Mit einigen Unterbrechungen saß das Ehepaar
abwechselnd 18 Jahre lang imZunftvorstand. Peter Lutzenkirchen besuchte die Brabanter
Messen in Bergen op Zoom, in Antwerpen und die Frankfurter Messe. Seine Frau scheint sich
an den Handelsgeschäften ihres Mannes beteiligt zu haben. Sie hat sich auch im
Weingeschäft betätigt. Mit dem Tod ihres Mannes hat sie anscheinend ihren Betrieb
eingestellt, vielleicht hat sie die Seidenweberei ihrer Tochter Lysbeth überlassen, die 1496
als Hauptseidmacherin zugelassen wurde. Das Ehepaar Fygen und Peter Lutzenkirchen muss
sehr vermögend gewesen sein; sie besaßen mehrere Häuser.“23

„Es gab auch bedeutende Kölner Kauffrauen, auch sie meist Ehefrauen, die auf
eigenverantwortlicher Gewinn- und Verlustbasis tätig waren. Der Anteil der Frauen am
Kölner Gewürzimport lag 1460/68, je nach Gewürz verschieden, zwischen 1,2 und 19,6
Prozent. Auch im Handel mit Metallen und Metallwaren fällt der Frauenanteil ins Gewicht.
Unter den Messinghändlern machten fünf Frauen 14 Prozent der Importeure aus und
bestritten 19,2 Prozent der Messingeinfuhren (…). Für den Zeitraum von 1452 bis 1459
beträgt der Frauenanteil 30,3 Prozent. Der Stahlimport der Cathringen Broelmann (149721
Edith Ennen: Frauen im Mittelalter, S. 160
Edith Ennen: Frauen im Mittelalter, S. 160 f.
23
Edith Ennen: Frauen im Mittelalter, S. 161, 163
22
1501, 1506-1509) stand mit einem Marktanteil von 19,8 Prozent nur geringfügig dem des
größten Stahlimporteurs, Gerhard Betgin mit 22 Prozent nach. Hohen Anteil an den
Importen der Metalle und Metallwaren haben oft Handwerkerfrauen, die für ihre
Ehemänner die Rohstoffe besorgten.“24

„Beträchtlich war der Anteil der Frauen am Gewandschnitt. Unter den sieben Frauen, die für
mehr als 100 Tuche Akzise zahlten, sind fünf Nachfolgerinnen ihrer Ehemänner; Stin van
Waveren hat über 20 Jahre lang den Tuchhandel ihres Mannes Wilhem auf voller Höhe
unterhalten; ihr durchschnittlicher Anteil amKölner Gewandschnitt lag bei 19,2 Prozent im
Jahr; sie war auch im Weinhandel tätig. Doppelberufe sind – wie im Mittelalter allgemein –
oft festzustellen. Die Weinhändlerinnen waren zu einem großen Prozentsatz – bis zu 40
Prozent – Mitglieder von Ratsfamilien. Ein Überblick über die Organisationsformen der
weiblichen Handelstätigkeit belegt häufig Beteiligungen an Handelsgesellschaften,
Handelsreisen – allerdings mit engerem Reisehorizont als dem der Männer – und eine der
männlichen ebenbürtige Führung von Rechnungs- und Haushaltungsbüchern. Grietgen van
der Burg, Kauffrau in den verschiedensten Handelssparten, besaß um 1487/92 im guten
Viertel St. Alban 13 Häuser.“25

„Ein Gegenstück zu Köln ist Paris. Schon Etienne de Boileau schildert in seinem undatierten
Livre des métiers, das nach 1252 und vor 1271 entstand, die dominierende Bedeutung der
Frauen im Seidengewerbe. Höppner konnte für Paris sechs reine Frauenzünfte
nachweisen,alle im Seidengewerbe: die Seidenspinnerinnen mit großen, die
Seidenspinnerinnen mit kleinen Spindeln, die Seidenwirkerinnen, die Wirkerinnen von
seidenen Hauben und Mützen für Damen, die Hutmacherinnen, die Seidenhüte mit
Goldstickereien für Damen anfertigten, die Börsenmacherinnen, die seidene Geldbeutelchen
für Damen herstellten. Bei den Seidenspinnerinnen fungierten zwei Männer,wohl
Ehemänner von Meisterinnen, als Geschworene; sie übten die Gewerbeaufsicht aus, aber
ohne richterliche Kompetenz. Jede Meisterin konnte zwei bis drei weibliche Lehrlinge halten,
die Lehrzeit dauerte sieben Jahre. Einige kapitalkräftige Spinnerinnen verarbeiteten eigene
Rohseide zu Seidengarn, das sie selbst in den Handel brachten. Viele arbeiteten für Verleger;
in Paris waren das – anders als in Köln – die Kurzwarenhändler (merciers). Sie lieferten die
Rohseide und nahmen die fertig gezwirnte Seide ab. (…) Die übrigen Frauenzünfte des
Seidengewerbes galten ausgesprochenen Modeberufen. In der Zunft der Wirkerinnen von
kleinen Mützen und Hauben wurden die Ämter der drei Geschworenen nur mit
Meisterfrauen besetzt.“26

„In vielen anderen Zünften waren Frauen vollberechtigte Genossinnen, so in den Zünften der
Bortenmacher, Bändermacher, Sticker und Kurzwarenhändler. (…) Auch im Leder-, Metall24
Edith Ennen: Frauen im Mittelalter, S. 163
Edith Ennen: Frauen im Mittelalter, S. 163 f.
26
Edith Ennen: Frauen im Mittelalter, S. 164 f.; vgl. M. Höppner: Die Frauenarbeit in Paris im Mittelalter. Diss.
Göttingen 1922
25
und Nahrungsmittelgewerbe standen ihnen manche Berufe offen; verboten waren ihnen die
Schlächterei und die Getreidemesserei. Als Chirurgen, Barbiere und Bader waren sie
vollberechtigt, als Arzneihändler beschränkt berechtigt. Nicht erwähnt werden Frauen bei
den Gerbern, Schustern, Sattlern, Tischlern, Zimmerleuten, Dachdeckern, Goldschmieden
und –schlägern, Bildhauern, Müllern, Getreidehändlern, Fischern und Schmieden. Höppner
betont, dass unter den gewerblich tätigen Frauen verheiratete im gleichen Ausmaß beteiligt
waren wie ledige.“27

„Interessant ist aber nun, dass die Frauen sich nicht nur als Hilfskräfte in einem vom Mann
geleiteten Betrieb finden lassen, sondern häufig ihre eigenen Werkstätten haben. (…) Hier
wird die wichtige Frage der wirtschaftlichen Position vor allem der mittleren Schichten
angesprochen. Dass alleinstehende Frauen oft nur als Hökerin, Wäscherin, Magd usw. der
blanken Not entgehen, das Existenzminimum bestenfalls gewinnen konnten, also der
Unterschicht zuzurechnen sind, dürfte feststehen. (…) In Köln hat sich die Berufstätigkeit der
Ehefrau offensichtlich nicht auf Unterschicht und untere Mittelschicht beschränkt. Die
Kölner Verhältnisse legen vielmehr die Vermutung nahe, dass die selbständig als
Handwerksmeisterin und Kauffrau tätige Ehefrau Familien der Mittelschicht insgesamt einen
mehr oder minder großen Anteil am hohen Lebensstandard des Spätmittelalters gewährte.
(…) Ermöglichte die weibliche Berufstätigkeit, das Doppelverdienertum vielleicht in manchen
Fällen nicht auch dem Ehemann die jetzt breiteren Kreisen zugängliche politische Karriere?
Die Ratsämter waren Ehrenämter, das machte es z.B. einem Handwerker so schwer, in den
Rat zu gehen, auch wenn es in seiner Stadt möglich war. (…) Trifft unsere Vermutung zu, so
entspräche das durchaus unseren modernen Verhältnissen, wo viele männliche Laufbahnen
erst durch die Berufstätigkeit der Ehefrauen finanziert werden ebenso wie der hohe
Lebensstandard breiter Schichten.“28

Eine Alleinerzieherin als Vormund ihres Sohnes29
Im Namen Allahs, des Mildtätigen und Barmherzigen! Gott segne Muhammad und
Muhammads Familie. Gelobt sei Er, der die Menschen aus Lehm erschuf. Er hieß sie zu den
Quellen des Lebens hinabsteigen und erschuf die Ehe. Er lud sie ein, diesen Stand zu wählen
und verkündete dessen Vorzüge. Und in Seinem Buch – dessen Herrlichkeit gepriesen sei –
erteilte Er ihnen diesen Auftrag: „Verheiratet euch, je nach eurer Neigung, mit ein, zwei, drei
oder vier Frauen!“30 Beten wir für den Frieden Seines Propheten Muhammad und dessen
Familie, seiner Verwandten, Freunde und Gefährten und aller, die ihm treu ergeben sind.
Nun verheiratet Ali ibn Musa ibn Ibrahim ibn Ubayd Allah al-Lakhmi seine jungfräuliche
Tochter Fatima – die zwar bereits verlobt ist, aber immer noch unter seiner dadurch in
keiner Weise eingeschränkten väterlichen Gewalt steht – mit dem jungen Scheich Abu Ishaq
27
Edith Ennen: Frauen im Mittelalter, S. 165
Edith Ennen: Frauen im Mittelalter, S. 165 f.
29
Granadinischer Ehevertrag, datiert mit 11.11.1438 – siehe Gottfried Liedl: Dokumente der Araber in Spanien.
Wien 1993, S. 253 ff. (Dokument Nr. 43)
30
Koran, Sure 4, Vers 4
28
Ibrahim ibn Ahmad, genannt „al-Hakim“31, wobei der Brautpreis sechshundert Silberdinare
beträgt.32 Davon erhält der Vater der Braut [sofort] 375 Dinare in bar, wofür dem Bräutigam,
Ibrahim, eine Quittung ausgestellt wird. Für den Rest des vereinbarten Betrages, der sich auf
225 Dinare beläuft, akzeptiert er einen Zahlungsaufschub von zwei Jahren, gerechnet vom
Tag der Abfassung dieses Dokuments.
Aisha bint Abd Allah ibn Muffaddal, Mutter und gesetzlicher Vormund des Bräutigams,
stimmt diesem Ehekontrakt zu und gibt ihrer Hoffnung Ausdruck, dass er den
Vertragspartnern zu Erfolg und Wohlergehen gereichen möge und dass sie mit ihrer
Unterschrift den Grundstein zu allgemeiner Zufriedenheit lege.33 Als Morgengabe, nihla,
übergibt der Bräutigam seiner zukünftigen Ehefrau einen in der Almunia [von Baza]
gelegenen Garten, der im Süden an den Besitz der Schwester des Kontrahenten, im Norden
an das Grundstück des Abu-l-Hasan, im Osten an das des Erben des Abu-l-Hasan al-Murid
und im Westen an den Besitz des Abd Allah ibn Musharrif und seines Sohnes grenzt. Die
nihla ist mit dem Ehekontrakt rechtlich garantiert.
Die unterzeichneten Vertragszeugen geben eine jederzeit geltend zu machende Bestätigung
ab: einesteils für den gesetzlichen Vertreter und Vater der Braut, Ali, und zwar bezüglich der
Rechtmäßigkeit und Rechtswirksamkeit seiner vormundschaftlichen Gewalt –, andrerseits
für den Bräutigam Ibrahim und seine Mutter, [nämlich] bezüglich der Vormundschaft,
welche sie über ihn hat und die sie in dieser Ehevertragsangelegenheit auf rechtmäßige und
rechtswirksame Weise ausübt.
Was den Kontrakt als solchen betrifft, [so legen die Unterzeichneten Zeugnis darüber ab],
dass sowohl der Kontrahent [der Vater der Braut] als auch die Berechtigte [die Mutter des
Bräutigams] den Vertrag vollinhaltlich akzeptieren. Am Samstag, dem 18. Djumada (II) 842
[Unterschriften unleserlich].

Literatur zum Thema „Männer und Frauen der Renaissance“
Gasparino fand, dass die Aussage der Amme mit jener des Boten übereinstimmte, und
zweifelte nach so vielen Beweisen nicht länger an der Wahrheit des Gehörten, und da er
wohl Grund hatte, sich der Behandlung des jungen Menschen zu schämen, beschloss er, um
Scacciato zu entschädigen, ihm seine schöne elfjährige Tochter mit einer großen Mitgift zur
Frau zu geben. Nachdem die Verlobung mit vieler Feierlichkeit vollzogen war, bestieg er mit
den jungen Brautleuten, der Amme, dem Boten ein wohlbewaffnetes Fahrzeug und sie
31
Arzt, Gelehrter, Philosoph
Nach heutiger Kaufkraft rund 30.000 Euro
33
Der im Dokument gebrauchte einfache Terminus hadjr (
), „Beschränkung“, ist bemerkenswert, deutet er
doch auf einen dahinter liegenden undifferenzierten Personenbegriff, der die im islamischen (Ehe- und
Erbschafts-) Recht üblicher Weise hochkomplexe Kasuistik (je nachdem, ob die Vormundschaft Mann oder
Frau, Sohn oder Tochter, Ehe-, Pflegschafts- oder Vermögensverhältnisse betrifft) „geschlechtsneutral“ ersetzt.
Man wird hier einen gewissen Einfluss des Römischen Rechts auf die Sharia annehmen dürfen. Besonders
gravierend erscheint dieser Umstand vor dem Hintergrund der Tatsache, dass im vorliegenden Ehevertrag auch
die „Vermögensvormundschaft“ (wilayat al-mal), die normaler Weise nur vom Vater, Großvater oder einem
anderen männlichen Verwandten des Kindes, bei Abwesenheit eines solchen von einem (männlichen) Organ
der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, der Mutter zusteht.
32
segelten nach Lerici, wo sie alle von Currado mit vielen Ehren empfangen wurden (…). Alle
vereinten sich nun mit dem jungen Brautpaar und setzten sich mit frohem Sinn zur
Hochzeitstafel, aber auch die nächsten Tage wurden mit Festen gefeiert, an welchen nebst
Currado viele Freunde teilnahmen.34

Nur sehr schwer, meine holden Damen, sind wir im Stande, zu erkennen, was uns am besten
frommt. (…) Da nun wir Männer oft in unsern Wünschen sündigen, und auch ihr, meine
lieben Frauen, in euren Wünschen oft viel zu weit geht und euch allzu große Schönheit
wünscht, nicht mit der zufrieden, mit der euch die Mutter Natur doch so reichlich
ausgestattet hat, so will ich euch die Abenteuer einer jungen Sarazenin erzählen, die ihrer
großen Schönheit wegen in der Zeit von vier Jahren neun Mal ihren Herrn wechseln musste.
(…) [Nachdem die Sultanstochter nach vielen Irrungen und Wirren endlich wieder bei ihrem
Vater angekommen war, wollte dieser] nun die geplante Vermählung zu Stande bringen,
schrieb dem König von Algarbien, was geschehen sei, und verlangte zu wissen, ob er noch
gesonnen sei, sich mit Alatiel zu vermählen. Diesen erfreute die Nachricht gar sehr und er
ließ sie mit allen Ehren abholen. Sie aber, die von acht Männern vielleicht tausende Male
umarmt und geliebt worden war, gab sich ihm als Jungfrau hin, indem sie ihn glauben
machte, sie sei es wirklich, und lebte mit dem König lange und glücklich. Darum sagt das
Sprichwort: „Geküsster Mund wird nicht wund, und wird wie der Neumond gleich wieder
frisch und gesund.“ Die Damen waren sehr bewegt, während sie die Abenteuer der schönen
Alatiel anhörten. Nachdem diese Erzählung zu Ende und auch viel belacht worden war,
wandte sich die Königin an Elisa und bat diese, mit einer Erzählung fortzufahren.35

Ein Urteil über die Frauen von Al-Andalus (Islamisch Spanien)
„Wie uns zahlreiche Quellen übereinstimmend versichern, war es in den Wohnvierteln des
einfachen Volkes von Al-Andalus durchaus üblich, daß Männer und Frauen einander in der
Öffentlichkeit trafen, und zwar nicht nur zum Gebet in der Moschee oder anläßlich von
Hochzeitsfeierlichkeiten; eine Tendenz, die bereits auf die Almoravidenzeit zurückgeht.“ 36

Über die sprichwörtliche „Sittenlosigkeit“ islamischer Mädchen und Frauen in Spanien
In Al-Andalus sind die Männer von einer Freizügigkeit, die es der Gattin erlaubt, sich in
Gegenwart Fremder zu entschleiern.37
34
Il Decamerone, Zweiter Tag, Sechste Erzählung: Die Leiden einer Mutter. Giovanni Boccaccio: Decameron.
Aus dem Italienischen übertragen und zeitgemäß bearbeitet von Nora Urban. Klagenfurt 2005, S. 74 f.
35
Il Decamerone, Zweiter Tag, Siebente Erzählung: Irr- und Umwege der schönen Sultanstochter auf ihrer
Brautfahrt. Giovanni Boccaccio: Decameron, S. 75 f.; S. 88
36
Rachel Arié: L’Espagne musulmane au temps des Nasrides (1232-1492). Paris 1973, S. 366
37
Aus dem Memorandum eines Muhtasib, eines Polizeioffiziers – vgl. Ibn ‘Abd ar-Ra’ûf: Hisba. Edition: Évariste
Lévi-Provençal (Hg.): Documents arabes inédits sur la vie sociale et économiques en Occident musulman au
Moyen Age, 1e série, Trois traités hispaniques de hisba (texte arabe). Kairo 1955, S .87; frz. Übers.: Rachel Arié,
in: Hespéris-Tamuda (Rabat 1960 ff.), vol.I., fasc.1, S. 32 (S. 5-38)
Die Bäder suchen sie [die Frauen] aus einem von zwei Gründen auf: um sich zu prostituieren
oder um Ehebruch zu begehen.38
Sie ging nur rasch ins Bad und kam nach sieben Tagen wieder.39
Küsse sie und zwick sie ruhig in den Po – den Ort, der ihrem Ehemann gehört, den lass in
Ruh.40
Vertraue deiner Frau und du bist gehörnt. Obwohl ich den Schlüssel in der Tasche habe, sind
fremde Männer in meinem Haus.41
Wenn ein alter Mann ein junges Mädchen heiratet, freuen sich alle jungen Burschen des
Dorfes.42
Der Ärger mit jungen Mädchen endet erst im Grab.43

„In biographischen Quellen lesen wir sehr häufig, dass viele Frauen jungfräulich verstorben
sind, da sie niemals verheiratet waren. Dass ein fehlendes Eheleben die Garantie für die
Jungfräulichkeit war, muss hier entschieden angezweifelt werden.“44

Ibn al-Khatib (1313-1375) über die Frauen seiner Heimat Granada
(Al-Andalus | Islamisch Spanien)
Sie mischten sich unverschleiert unter die Männer und gemeinsam drängten sie sich durch
die Pforte zum königlichen Palast. (...) Man konnte sich kaum entscheiden, was man mehr
bewundern sollte: das Blitzen der königlichen Waffen oder das Funkeln der Mädchenaugen,
das Rot der Standarten oder das Rouge auf den Wangen der Damen.45
38
Ibn ‘Abdûn: Hisba. Edition: Évariste Lévi-Provençal: Seville musulmane au début du XIIe siècle. Paris 1947, S.
110
39
Sprichwort über voreheliche Praktiken junger Mädchen in Al-Andalus – vgl. Nadia Lachiri: Andalusi Proverbs
on Women, in: Manuela Marín / Randi Deguilhem (Hg.): Writing the Feminine. Women in Arab Sources. London
– New York 2002, S. 44
40
Spanisch-arabisches Sprichwort über Petting mit verheirateten Frauen – Nadia Lachiri: Andalusi Proverbs, S.
44
41
Nadia Lachiri: Andalusi Proverbs, S. 45
42
Nadia Lachiri: Andalusi Proverbs, S. 45
43
Arabisches Sprichwort über die Freiheiten unverheirateter junger Mädchen in Al-Andalus – vgl. Nadia Lachiri:
Andalusi Proverbs, S. 43
44
Nadia Lachiri: La vida cotidiana de las mujeres en al-Andalus y su reflejo en las fuentes literarias, in: Celia del
Moral (Hg.): Árabes, Judías y Cristianas. Mujeres en la Europa Medieval 103-121, Universidad de Grananda
1993, S. 120
45
Über ein persönliches Erlebnis des Dichter-Wesirs anlässlich der Festivitäten beim Besuch des Sultans Yusuf I.
in Guadix. Ibn al-Khatib: Khatrat at-tayf fî rihlat ash-shitâ‘ wa-s-sayf. Edition: A. M. al-‘Abbâdî, S. 50
Die Frauen von Al-Andalus stellen ihre reizvoll-üppigen Formen und das prächtige lange
Haar gern offen zur Schau, ihre Konversation ist lebhaft, ihre Ausdrucksweise gepflegt – nur
schade, dass großgewachsene Frauen unter ihnen eher selten sind.46
In unserer Zeit sind sie [die Damen von Granada] an einem Punkt angelangt, wo sie ihre zum
Äußersten gesteigerte Kunstfertigkeit, sich zu schmücken, wohl kaum mehr wesentlich
steigern können. Allein die Art und Weise, wie sie ihre Garderobe aus farblich auf einander
abgestimmten Einzelteilen harmonisch zusammenstellen und im Gebrauch
golddurchwirkter Seiden und Brokate wetteifern. Unübertrefflich auch die
Geschmackssicherheit, mit der sie ihren Schmuck auszuwählen verstehen.47

Dialog zwischen Mann und Frau (1): 48
Hier kommt mir der Gedanke, die Geschichte des berühmten Satirikers Abu Bakr alMakhzumi zu erzählen, von dem Ibn al-Khatib in der Ihâta sagt, er sei blind und von heftigen
Hustenanfällen geplagt gewesen, bösartig, ein Meister der Satire, von dem der gute Ruf
seiner Mitmenschen abhing, ein schlagfertiger, scharfsinniger und kluger Wortfechter, ein
Sieger auf dem Felde der Satire, der aber, wenn er sich als Panegyriker [Verfasser von
Lobgedichten] versuchte, meist versagt haben soll. Als er eines Tages mit seiner Schülerin
Nazhûn beim Gouverneur von Granada, Abu Bakr ibn Sa’id, eingeladen war, und der Duft
von Ambra, Aloe und Blüten ihn erregte, sprach er folgende Verse: „Ist dies Sa’ids Palast
oder das Paradies? Wonach das Herz Verlangen spürt, das Herz genießt’s! Die Gläser füllt
mit Ambrawein ein Wolkenbruch, vom Instrumenten-Donnerschlag heraufgeführt ...“ So
wäre das wohl endlos weiter gegangen, wenn den Blinden nicht plötzlich ein fürchterlicher
Hustenanfall geschüttelt hätte. „Auf baldiges Ersticken!“ ließ sich sein ehemaliges
Sängermädchen, die jetzige Geliebte des Gouverneurs, fröhlich vernehmen. „Wer ist diese
Dirne?“ keuchte der Blinde. „Deine mütterliche Matrone“. „Freunde, hört ihr, wie frech
dieses Mädchen lügt? Wenn das die Stimme einer Matrone ist, bin ich König Salomon. Nein,
nein! Ich vernehme den Ton einer dreisten Dirne, deren ‚Blumenstrauß‘ meilenweit zu
riechen ist!“ „Aber Meister,“ schaltete sich der Wezir, Nazhûns Geliebter, ein. „Wie kannst
du so etwas sagen. Du sprichst mit der gebildeten Dichterin Nazhûn.“ – „Mashallah! Hab‘
schon von ihr gehört. Das ist doch die, von der es heißt, sie singe am liebsten das Lied von
der durchgerittenen Bettstatt.“ Darauf die Dichterin: „So ein dummer alter Scheich.
Freunde! Wo doch jeder weiß, dass es für ein Mädchen nichts Besseres gibt als eine weiche
Bettstatt mit was Hartem drauf.“ Und dann setzte sie noch eins drauf: „Dem Flegel sag‘ ich
nun ein Wort, das bis zum Jüngsten Tag lebt fort: Dein Lied kommt aus ‘nem Kuhdorf her,
der reinste Mist, nur stinkt es mehr. So geht’s, wenn Tölpelei sich regt und stolz den runden
Steiss bewegt. An dein Lied häng ich meines an. Nun sage, wer es besser kann. Dem Leib
nach bin ich zwar ein Weib, beim Dichten aber wie ein Mann!“49

46
Ibn al-Khatib: Al-Lamha al-badriyya fî d-dawla an-nasriyya, Edition: Kairo 1347 H., S. 29
Ibn al-Khatib: Al-Lamha al-badriyya, S. 29; Ibn al-Khatib: Al-Ihâta, Teil-Edition: Kairo 1375 H. / 1955, S. 146
48
Der Bericht aus dem 15. Jahrhundert bezieht sich auf ein Ereignis im 12. Jahrhundert. Al-Maqqari: Nafh attib min ghusn, I, S. 117-119, nach Wilhelm Hoenerbach: Islamische Geschichte Islamische Geschichte Spaniens.
Übersetzung der A’mâl al-a’lâm und ergänzender Texte. Zürich - Stuttgart 1970, S. 496 ff
49
Nachdichtung Gottfried Liedl: Mediterraner Islam (2 Halbbände). Wien 2007, Halbband 2, S. 124 ff.
47
Dialog zwischen Mann und Frau (2): 50
Also, meine noblen Kameraden, Gefährten und Freunde – die Sache ist die ... Neulich, ich
hatte eben mein Haus betreten, um wie gewöhnlich dort mein Mahl einzunehmen – was
glaubt ihr, bekomme ich von der Hausfrau, der Hüterin des heimischen Herdes zu hören?
„Du hast vielleicht Nerven, hierher zu kommen! Was willst du überhaupt noch bei mir?“ –
„Ich komme,“ erwidere ich, „wegen diesem und jenem – zum Beispiel: Was gibt’s zu essen?“
– „Gar nichts. Nicht für dich! ... Wenn ich da an den Mann der Nachbarin denke …“ – „Der
Mann unserer Nachbarin?“ – „Ja. Der hat an das Fest51 gedacht. Wie sie es feiern werden.“
Ich: „Wie recht du hast! Die Wahrheit selbst redet aus deinem Munde. Gleich mach’ ich mich
auf den Weg und auf die Suche nach dem Gewünschten! ... Dein Wunsch ist mir Befehl, ohne
Fleiß kein Preis, wie man so sagt.52 Soll sich vielleicht das Weib um den Einkauf des Bratens
kümmern und der Mann sitzt zu Hause am Spinnrad?“ Darauf sie: „Worte drechseln, das
kannst du. Und mit irgendwelchen Windbeuteln zusammenhocken ... Man sieht dich ja nur
mehr in Begleitung von Vagabunden. Wenn dir schon deine Ehefrau egal ist, könntst du
wenigstens an deine Familie denken ...“ So in der Art eben. Ihr kennt das ja: das Weib keift
wie der Teufel. Bis mir der Kragen platzt: „Hervorragend. Hast du‘s wieder geschafft – ich
hab’ die Nase voll von dir und deinem Gemecker.“ Darauf sie: „Dass du’s nur weißt: Sollte ich
je wieder so dumm sein, dich in mein Bett zu lassen, will ich zur Strafe ein Jahr lang fasten.“
Aber da war ich schon glücklich auf der Straße, während sie hinter mir weiter Grimassen
schnitt.

Honoré de Balzac über Katharina von Medicis „Harem“, den diese ihrem Gemahl, dem König
von Frankreich eingerichtet hatte:
[Zu diesen Nymphen gehörte die] Crème de la Crème [des westeuropäischen Adels:] Miss
Flemming […], eine Verwandte ihres Oheims, des Herzogs von Albany, die schönste Person,
die man sich vorstellen kann, blond und weiß, dann eine ihrer Verwandten, Clarissa Strozzi,
eine wundervolle Italienerin mit herrlichen schwarzen Haaren und Händen von seltener
Schönheit, dann Fräulein Lewiston, Maria Stuarts Ehrendame, Maria Stuart selber, Madame
Elisabeth von Frankreich, die nachmals unglückliche Spanienkönigin, und Madame Claudia.
Elisabeth war neun, Claudia acht, Maria Stuart elf Jahre alt. Der König widerstand nicht.53

Blick auf die großen Frauen der Renaissance aus der Perspektive eines modernen
Kulturhistorikers (1):
50
Ibn al-Murâbi’ al-Azdî: “Maqâma des Festes”, Edition: Fernando de la Granja: Maqâmas y Risâlas andaluzas.
Madrid 1976, S. 187 ff.
51
‘Îd al-adhhâ, das islamische Opferfest.
52
wörtl.: „Ernsthaftigkeit ist nicht in der Posse (zu finden)“.
53
Honoré de Balzac: Geschichte der Katharina von Medici, zit. nach Wilhelm Rüdiger: Die Welt der Renaissance.
München 1977, S. 199
Die Aragonesen von Neapel waren die Bastardlinie des Hauses (…), der große Federigo von
Urbino war vielleicht überhaupt kein Montefeltro. [Über die] acht Bastarde vom Haus Este
[lässt sich berichten, dass einer von ihnen] der regierende Herzog Borso [war, wozu noch]
zwei uneheliche Söhne seines ebenfalls unehelichen Bruders und Vorgängers Leonello
[kamen]. Letzterer hatte außerdem eine rechtmäßige Gemahlin gehabt, und zwar eine
uneheliche Tochter Alfons’ I. von Neapel, von einer Afrikanerin.54
Dieses Geschlecht Sforza gewährt überhaupt das Interesse, dass man die Vorbereitung auf
das Fürstentum von Anfang an glaubt durchschimmern zu sehen. (…) Francescos bereits
hochberühmter Vater Jacopo hatte zwanzig Geschwister, alle rau erzogen in Contignola bei
Faenza … Die ganze Wohnung war lauter Arsenal und Wachstube, auch Mutter und Töchter
völlig kriegerisch. (…) Jacopo, als er in verschiedenen Diensten allmählich emporkam, zog
auch seine Angehörigen nach sich und genoss durch dieselben die nämlichen Vorteile, die
einem Fürsten eine zahlreiche Dynastie verleiht. Diese Verwandten sind es, welche die
Armee beisammenhalten, während er im Castel nuovo zu Neapel liegt; seine Schwester
nimmt eigenhändig die königlichen Unterhändler gefangen und rettet ihn durch dieses
Pfand vom Tode.55

Blick auf die großen Frauen der Renaissance aus der Perspektive eines modernen
Kulturhistorikers (2):
Die modernen Männer von damals wünschten sich Frauen – wenn auch nicht die eigenen –
von anderem Zuschnitt, sie hielten nicht mehr so viel vom heiligmäßigen Lebenswandel und
schielten eher nach Vorbildern, die, am Moralkodex gemessen, gar nicht vorbildlich
gewesen waren: die Gefährtinnen großer Männer des Altertums, die Hetären waren das
Wunschbild der Renaissanceherren. (…)
[Imperia, die Mätresse des Papstes, war] zu allen sonstigen Vorzügen obendrein eine
hochgebildete Person, die griechisch und lateinisch las, Sonette dichtete und Musik machen
konnte. (…) „Bildung“ gehörte wie Schönheit und Juwelen zur Ausstattung einer
Edelkurtisane: Aretino berichtet von einer „Buhlerin“, die den ganzen Petrarca und
Boccaccio auswendig kannte und Verse aus Vergil, Ovid und Horaz zu zitieren wusste. 56

Briefe aus der Toskana über Mädchen, Konkubinen und Ehefrauen
„Margheritas Briefe lassen auf eine starke und unkomplizierte Persönlichkeit schließen. Dem
weiblichen Idealtyp der Zeit entspricht sie jedoch in keiner Weise: Sie war keine Beatrice und
sie war keine Griselda. Sie war ein junges Mädchen, das mit sechzehn an einen Mann
verheiratet wurde, den das Leben bereits ausgelaugt und aller Illusionen beraubt hatte, und
der von ihr vor allem anderen das erwartete, was sie ihm nicht geben konnte: ein Haus voller
Kinder. (…) Dem lebhaften und temperamentvollen Mädchen, das sie trotz allem geblieben
54
Jacob Burckhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. [Neudruck der Ausgabe von 1860, hgg.
von Konrad Hoffmann]. Stuttgart 1985, S. 13 f.
55
Jacob Burckhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien, S. 16
56
Wilhelm Rüdiger: Die Welt der Renaissance, S. 184
war, ging natürlich das ewige Nörgeln und Jammern ihres Mannes über geschäftliche Sorgen
auf die Nerven, und sie ärgerte sich gründlich darüber. Und doch suchte sie, als allem immer
das Beste zu machen. (…) Und als sie jede Hoffnung aufgegeben hatte, selbst Kinder zu
bekommen, willigte sie zu guter Letzt sogar ein, das uneheliche Kind ihres Mannes zu
adoptieren und aufzuziehen, obwohl seine Mutter nur eine Sklavin war.“ 57

Ich glaube Dir kein Wort von dem,was Du schreibst. Ich würde schwören, dass Du mir über
alle anderen Dinge niemals Lügen auftischt, aber darüber, dass Du Dir eine Hure hältst [hier
ist die Seite zerrissen! Anm. Iris Origo], über dieses Thema könnte ich schwören, hast Du mir
noch nie die Wahrheit gesagt … Dass Du mit mir Frieden schließen möchtest, freut mich; ich
hatte nie Krieg mit Dir. Ich weiß nicht, was Du für ein Geschenk mitbringen wirst. Wenn ich
es habe, werde ich mich bedanken. Es ist ja sonst nicht gerade Deine Gewohnheit, mir zu
viele Geschenke mitzubringen, wenn Du heimkommst.58

Was Dein Fernbleiben bis Donnerstag angeht, so tue, was Du für richtig hältst, denn Du bist
ja der Herr im Haus, was ein schönes Amt ist, das aber mit Maß und Ziel ausgeübt werden
will. Ich bin durchaus bereit, mit Dir zusammenzuleben, solange es Gott gefällt. Mehr sage
ich dazu nicht, denn ich bin im Recht. Das kannst Du mir auch dadurch nicht nehmen, dass
Du schreist und schimpfst.59

Schicke morgen früh durch Nanni da Santa Chiara den Rebzweig mit den Weinbeeren und
das Brot. Und schicke das Fass Essig … und denk daran, dem Maultier die Beine bis zu den
Hufen hinunter mit heißem Wasser abzuwaschen, und lass es gut versorgen. Sorge dafür,
dass mir Strumpfhosen gemacht werden und lass sie von Meo besohlen. Und gib der alten
Mähre etwas von der Hirse, die Du noch hast, und sorge dafür, dass sie gut zerquetscht wird
für sie. Und mach, dass Du schnellstens die zwei Fässer Wein verkaufst, die in Bettinos Haus
stehen, und lass alle übrigen großen Fässer im Gewölbe mit dem schon angebrochenen
weißen Wein nachfüllen.60

Du erzählst von Guido, dass seine Frau ihm noch nie Verdruss bereitet habe. Ich glaube ja,
dass er die Wahrheit sagt; aber ich glaube, er hat ihr noch weniger Verdruss bereitet, als sie
ihm. Und Guido kann nicht nur eine Frau regieren, er regiert ja eine ganze Stadt. Ich habe
mich recht genau bei Ser Lapo und bei seiner Schwiegertochter erkundigt, die hier war, wie
57
Iris Origo: „Im Namen Gottes und des Geschäfts“. Lebensbild eines toskanischen Kaufmanns der
Frührenaissance. München 1986, S. 145
58
Monna Margherita an ihren Ehemann Francesco di Marco Datini, zit. nach Iris Origo: „Im Namen Gottes und
des Geschäfts“, S. 148
59
Monna Margherita an ihren Ehemann Francesco, zit. nach Iris Origo: „Im Namen Gottes und des Geschäfts“,
S. 149
60
Briefliche Anweisungen Francesco Datinis an seine Ehefrau Margherita, zit. nach Iris Origo: „Im Namen
Gottes und des Geschäfts“, S. 154
Guido zu Hause so ist. Guido kann man nicht mit anderen Männern vergleichen; er
behandelt sein Weib wie eine Herrin und nicht wie eine Gastwirtsfrau.61

Man sagt, es zieme sich nicht für einen Mann, seine eigene Frau zu preisen. Das stimmt
schon, falls der Mann sich mit seiner Frau brüstet. Aber bei passender Gelegenheit finde ich
es nur gut und aufrichtig, von ihren Tugenden zu sprechen – natürlich nicht in ihrer
Gegenwart. Du rühmst Margherita, dass sie Dir gegenüber ehrerbietig und gehorsam ist (…).
Meiner Treu, dasselbe kann ich von Francesca sagen. Sie ist eine wirkliche Ehefrau, und da
ich von Anfang an die Zügel immer fest in der Hand hatte, musste ich nie mit der Trense
nachhelfen. Sie ist mein Weib, ich liebe sie als mein Weib, und das ist ihr und mir genug. (…)
Wenn Margherita einen unserer Söhne zu sich nehmen wollte, so wäre Francesca damit
einverstanden, aber nur, wenn sie ihn wieder zurückgibt, sobald sie selbst einem Kind das
Leben schenkt. Francesca hat ja drei und ist mit einem vierten schwanger.62

Ratschlag eines Priesters, wie eine Tochter zu erziehen sei:
Wie du sie fütterst, spielt keine Rolle, solange sie nur am Leben bleibt. Halte sie nicht zu fett.
(…) Bringt ihr alles bei, was sie zur Führung eines Haushalts können muss: wie man Brot
backt, einen Kapaun zubereitet, Mehl siebt, Kochen und Waschen, Bettenmachen und
Spinnen, auch wie man französische Beutel webt, Seide bestickt, Linnen und Wollstoff
zuschneidet, Strümpfe mit Filz oder Stoff besohlt und dergleichen mehr. Kein Mann, dem Ihr
sie zur Frau gebt, soll einmal sagen können: „Sie kommt aus den Wäldern.“ (…) Habt Ihr
Weiber im Hause, haltet sie in Furcht und Zittern.63

Bei seiner Tochter Ginevra (der Tochter einer Sklavin, Margherita sebst blieb
kinderlos) verfuhr Francesco freilich nicht nach den Ratschlägen des Priesters: “Kurz nach
ihrer Ankunft machte Francesco in seinem privaten Ausgabenbuch einen Eintrag über 2 lire
10 soldi für den Kauf eines Tambourins für Ginevra. (…) Auch wurde ihr ganz sicher das Lesen
beigebracht, denn im Jahr 1401, als sie neun Jahre alt war, trug Francesco in sein Buch ein:
‘Für Ginevra ein Goldgulden, frisch geschlagen, den sie ihrer Lehrerin geben soll, die sie
dasLesen lehrt.’ (…) Zweifellos hätte er es gern gesehen, wenn sie eine gute Partie in Florenz
gemacht hätte, aber immerhin war ihre Mutter nur eine Sklavin, und es galt allgemein als
unklug, ein Mädchen zu hoch über ihrem Stand zu verheiraten. ‚Von einer Frau, die nach
einem höheren Stand trachtet als dem ihren oder nach einem Ehemann, der sie nur wegen
ihres Geldes nimmt, kann man sagen,‘ heißt es bei Frau Giovanni Dominici, ‚dass sie sich zu
61
Monna Margherita an ihren Ehemann Francesco, zit. nach Iris Origo: „Im Namen Gottes und des Geschäfts“,
S. 156
62
Niccolò dell‘ Ammanato an Francesco di Marco Datini, Brief vom 28. Februar 1381, zit. nach Iris Origo: „Im
Namen Gottes und des Geschäfts“, S. 165
63
Fra Giovanni Dominici über die Erziehung junger Mädchen, zit. nach Iris Origo: „Im Namen Gottes und des
Geschäfts“, S. 165 f.
dem ihr von Natur bestimmten Joch noch ein weiteres auflädt. Deshalb sagt Euren Söhnen
und Töchtern: ambula cum tuis.‘“64

Sei so gut und kaufe mir dort drüben eine kleine Sklavin. Sie soll jung und von derbem Schlag
sein, so zwischen acht und zehn Jahre alt, kräftig gebaut und so stark, dass sie viel schwere
Arbeit aushält, außerdem von gesunder und gutartiger Natur, so dass ich sie mir nach
meinem Geschmack erziehen kann. Sie soll hier nur Geschirr spülen, Holz und Brot zum
Backofen tragen und dergleichen Arbeiten mehr verrichten … denn ich habe schon eine
Sklavin da, die gut im Brotbacken, im Kochen und Servieren ist. (…) Die Schiffe aus der Türkei
und Rumänien müssen doch um diese Zeit jetzt eingelaufen sein; die bringen oft gute
Ware.“65

Aus Rumänien ist bis jetzt noch kein Schiff gekommen, das welche [nämlich Sklvinnen] an
Bord hatte; aber jetzt kann es nicht mehr lange dauern, bis sie eintreffen, so dass ich Euch
und Margherita wunschgemäß beliefern kann. Die Sklavinnen, die hier jetzt zum Verkauf
stehen, sind nicht empfehlenswert, denn sie sind Gebrauchtware.66

Denk daran, beizeiten zu Bett zu gehen und früh aufzustehen, und sorge ja dafür, dass die
Tür des Hauses nicht geöffnet wird, bevor Du auf bist. Und kümmere Dich um alles. Lass
deine Leute nicht müßig umhergehen. Du weißt, wie Bartholomea [eine Sklavin oder
Dienerin] ist – immer sagt sie, dass sie da und da hin geht, und dann geht sie ganz woanders
hin. Die Ghirigora hat auch nicht eben viel Verstand; du musst ständig hinter ihr her sein.
Gerade wenn ich nicht da bin, musst Du noch viel wachsamer sein als sonst … Also verhalte
Dich so, dass ich nicht zürnen muss (…) Nun bemühe Dich, kein Kind mehr zu sein, sondern
eine erwachsene Frau zu werden. Schließlich gehst du ja schon bald in dein 25. Jahr.67

Ich sehe in ihr [einer jungen Frau, die er zum Weiterverkauf erworben hatte] nur eine Ware
wie jede andere, mit der man beim Wiederverkauf manchmal Verlust, manchmal Gewinn
macht. Darüber brauchen wir also kein Wort mehr zu verlieren.68

64
Iris Origo: „Im Namen Gottes und des Geschäfts“, S. 170
Francesco Datini an seinen Geschäftsfreund Andrea di Bonanno in Genua, zit. nach Iris Origo: „Im Namen
Gottes und des Geschäfts“, S. 175
66
Andrea di Bonanno an Francesco Datini, zit. nach Iris Origo: „Im Namen Gottes und des Geschäfts“, S. 175
67
Francesco Datini an seine Frau Margherita, Brief vom 23. Februar 1394, zit. nach Iris Origo: „Im Namen
Gottes und des Geschäfts“, S. 176
68
Francesco Datini an einen Geschäftsfreund in Pistoia, zit. nach Iris Origo: „Im Namen Gottes und des
Geschäfts“, S. 177
65
Paparos Frau [Paparo aus Pistoia war der „Endabnehmer“ der „Ware“] beklagt sich bitter
über Euch, und mehr noch über Monna Margherita [also über Francescos Frau!], dass sie es
überhaupt zulassen konnte, dass Ihr ihm eine so junge und hübsche Sklavin schicktet. Sie
sagt, sie selbst würde ihr so etwas nie angetan haben, und dass Frauen sich davor hüten
sollten, sich so etwas gegenseitig anzutun.69

Die (von Francesco vermittelte?) Sklavin eines Kunden hat ein Kind geboren:
Und da nun der Vater nicht ausfindig gemacht werden konnte, nahm ich es an und gab es zu
einer Amme fort. Aber meine Monna Lucia wurde von Eifersucht gepackt und behauptete,
das Kind sei von mir. Und obwohl ich ihr beteuerte, dass es nicht mehr von mir ist, als ein
Kalb von einem Mann ist, dem eine Kuh gehört, sie will mir einfach nicht glauben, ob ich es
nun hoch und heilig gelobe oder ihr gut zurede … Und sie hat sich schließlich durchgesetzt,
denn die Sklavin wurde hinausgeworfen, und jetzt haben wir ein altes Weib, das mehr wie
eine Hexe aussieht als wie ein weibliches Wesen. So ein Leben führe ich also jetzt.70

„Zu all ihren anderen Pflichten im Haushalt übertrug Francesco Margherita schließlich noch
eine schwierige Aufgabe: sie sollte für etliche Florentiner Säuglinge Ammen (balie) aus Prato
auswählen und überwachen. Es war allgemein Brauch, die Säuglinge zum Stillen an Ammen
zu geben, die meist Mädchen vom Land mit einem unehelichen Kind waren, oder auch
Bauersfrauen, die genug Milch für zwei Kinder hatten. Und anscheinend hatte Prato den Ruf,
gute Ammen hervorzubringen (…). Tatsächlich haben so viele seiner Briefe an Margherita
zum Inhalt, sie solle gute Ammen ausfindig machen, dass man fast im Zweifel sein könnte, ob
diese Aufträge lediglich als Freundschaftsdienst ausgeführt wurden oder ob es sich dabei
nicht vielmehr um eine weitere Sparte seiner vielfältigen geschäftlichen Aktivitäten
handelte.“71

Die Amme könnte nicht besser sein, weil sie nie vor 28 oder mehr Monaten wieder
schwanger wird und jetzt erst seit zwei Monaten stillt, so dass sie leicht ein Kind reichlich
säugen kann.72

Sie [die guten Ammen] scheinen vom Erdboden verschwunden, denn ich habe keine einzige
auftreiben können. Und die eine, die ich an der Hand hatte, weil ihr eigenes Kind zu dem
69
Stefano Guazzalotti an Francesco Datini, Schreiben vom 2. Oktober / 13. Dezember 1392, zit. nach Iris Origo:
„Im Namen Gottes und des Geschäfts“, S. 177
70
Schreiben eines Geschäftsfreundes an Francesco Datini, zit. nach Iris Origo: „Im Namen Gottes und des
Geschäfts“, S. 180
71
Iris Origo: „Im Namen Gottes und des Geschäfts“, S. 181
72
Margherita an ihren Ehemann Francesco Datini, zit. nach Iris Origo: „Im Namen Gottes und des Geschäfts“, S.
182
Zeitpunkt gerade im Sterben lag, deren Kind ist wieder gesund geworden. (…) Ich habe auf
der Piazza delle Pieve eine gefunden, die seit zwei Monaten stillt, deren Kind aber todkrank
ist und wahrscheinlich heute Nacht sterben wird. Die hat mir fest zugesagt, dass sie sofort
kommt, sobald sie es begraben hat.73

Die Entdeckung des Mutterrechts: Johann Jakob Bachofen74
„Das Mutterrecht ist eine
vollständige Revolution“ (Friedrich Engels)
Aus dem Vorwort von Hans-Jürgen Heinrichs:
„Das Mutterrecht ist (…) das Prinzip des gynaikokratischen (frauenherrschaftlichen) Zeit- und
Weltalters, wie dies Bachofen in kosmischer Erweiterung sagt. (…) Geschichtlichkeit und
Wesensbestimmtheit des Mutterrechts – das ist für Bachofen Basis und Ausgangspunkt für
die Rekonstruktion der Vorwelt; Zusammenhalt gibt die Strukturalistische Perspektive:
‚überall System‘. – ‚Wenn es irgendwo Gesetze gibt, muss es überall welche geben‘. (…)
Mutterrecht ist einmal eine ethnologisch-ethnographisch beschreibbare Größe. Sie lässt
noch keineswegs auf Gynaikokratie schließen, aber in der Gynaikokratie wirkt sich das
Mutterrecht politisch und dessen Wesen gesamtgesellschaftlich aus. Dies ist die Auswirkung
des Muttertums als eines Prinzips, dessen Erscheinungsformen (Liebe, Frieden, Freiheit,
Gleichheit, Brüderlichkeit, Humanität, Allgemeinheit u.a.) das Leben nicht entarteter
gynaikokratischer Völker bestimmt haben sollen. Mutterrecht wird also auch auf eine ihm
eigene Gesinnung hin untersucht.
Das wichtigste Merkmal, das von dieser Gesinnung in der Gynaikokratie zum Tragen
gekommen sei, ist für Bachofen der ‚Religionscharakter des Weibes‘ und die ‚religiöse Weihe
des Muttertums‘. (…) Das wahre religiöse Muttertum sei in der ‚ehelichen Gynaikokratie‘ zur
vollen Blüte gekommen. Die Menschheit wächst (…) zur ‚Gesittung‘, zu einem ‚geregelten
Dasein‘ empor, und diese Stufenleiter der ‚notwendigen Erziehungsperiode der Menschheit‘
stellt sich in der Abfolge von der hetärischen zur ehelichen Gynaikokratie dar – nach dem
Vorbild des Übergangs vom Sumpfleben zum Ackerbau.“75

„Der damaligen akademischen Welt erschien Bachofen insgesamt als ‚bedauernswertes
Opfer der symbolischen Verwirrungen‘, man spottete über seine ‚Symbolwut‘ oder über
seinen ‚höheren Blödsinn‘. (…) Die Wissenschaft, von der Bachofen einmal sagte, dass man
sie nicht wähle,sondern von ihr auserkoren würde, stand ihm also nicht gerade bei. (…)
73
Margherita an ihren Ehemann Francesco Datini, zit. nach Iris Origo: „Im Namen Gottes und des Geschäfts“, S.
182
74
Johann Jakob Bachofen: Das Mutterrecht. Eine Untersuchung über die Gynaikokratie der alten Welt nach
ihrer religiösen und rechtlichen Natur. Eine Auswahl herausgegeben von Hans-Jürgen Heinrichs. Frankfurt am
Main 1980 (Stuttgart 1861)
75
Vorwort von Hans-Jürgen Heinrichs. Johann Jakob Bachofen: Das Mutterrecht, S. XII ff.
Der Reiz des Religiösen, die organischen Naturkräfte, die Erdmütter und Sumpfvegetationen
(= ‚natürlicher Prototyp der Regellosigkeit hetärischer Zeugung‘) (…) sind einige der Klippen,
die man zu überspringen hat, will man sich vom heutigen Erkenntnisinteresse her wieder
dieser so überreichen Materialsammlung und aus den Mythen und Künsten, Papyri und
Grabinschriften schöpfenden Geistes- und Naturgeschichte nähern. Und andre, wie Engels,
Kelles-Krauz oder Bloch, Morgan, Benjamin, Fromm oder Reich, haben dies ja auch
vorgemacht.“76

„Ist Bachofens Forschung aktuell bzw. begründet zu aktualisieren? Trotz des Rückgangs auf
altes Recht und Wesen der Frauen und Mütter deckt der eingeschlagene Weg der
Betrachtung und Reetablierung bei ihm so gar nicht den Kampf der unterdrückten Frauen.
Bachofen schwankt zwischen der Anerkennung der weiblichen aktiven Rolle sowie großer
fraulicher Fähigkeiten, wie sie manche Autoren den Frauen zuschreiben (…), und dem Pathos
für das männliche geistige Prinzip, für die Loslösung vom stofflichen weiblichen Prinzip. (…)
Einerseits stellt Bachofen positiv die aktive Rolle der Frau heraus (sie wählt ihren Mann, ja
ihre Männer, denn sie sei nicht da, ‚um in den Armen eines Einzelnen zu verwelken‘),
andererseits möchte er ihren Wirkungsbereich so eng wie möglich eingegrenzt wissen: an
einer ‚Philosophie physischer Grundlage‘ könne sie sich beteiligen, obwohl sie eigentlich der
Philosophie nicht würdig sei und zum’Ausschwatzen‘ neige; ‚vor des Mannes höherer Kraft‘
beuge sie sich ‚gerne‘.“77

„Ziel ist die ‚erotische Geisteskultur‘, die veredelte, verfeinerte ‚erotische Glut der Seele‘.
Deren Theorie und Praxis werden (…) ausgeführt. (…) Angezogen und abgestoßen von der
Lust entwickelt Bachofen Theorie und Praxis der ‚religiösen Natur dieser Erregung‘, des
‚heiligen Eros‘, der ‚Überschreitung‘, des ‚Festes‘, der ‚Organisation der Lust‘; ‚die
Ausschweifung ist das Gegenteil der Zügellosigkeit‘, ‚die Religion fordert ihrem Wesen nach
die Überschreitung der Verbote‘. (…) Nach außen hin verhält sich Bachofen wie einer, der
ständig die Hände nach verbotenen Früchten ausstreckt und sich gleich darauf selbst auf die
Finger schlägt. (…) ‚An das Weib knüpft sich (zwar) … der Genuss jedes höheren Gutes an‘,
aber die Zuneigung zu Apollo, der sich ‚vollständig von jeder Verbindung mit dem Weibe‘
befreite und zu Dionysos, dem ‚Väterlichen‘ ist unverkennbar. Erst das Geistige erhebe den
Vater über die ihm im Mutterrecht bloß zukommende Funktion des ‚Besamers‘, des
‚Sämanns, der, wenn er den Samen in die Furche gestreut, wieder verschwindet‘. (…) Und
dieserart würde letztlich, wie im ‚Schlussakt der Tragödie‘, das Weib ihrer eigentlichen
Bestimmung (‚Liebe und Befruchtung‘) wieder zugeführt – ‚müde ihrer amazonischen
Heldengröße‘.“78

76
Vorwort von Hans-Jürgen Heinrichs. Johann Jakob Bachofen: Das Mutterrecht, S. XVI f.
Vorwort von Hans-Jürgen Heinrichs. Johann Jakob Bachofen: Das Mutterrecht, S. XVII f.
78
Vorwort von Hans-Jürgen Heinrichs. Johann Jakob Bachofen: Das Mutterrecht, S. XX f.
77
Spuren des Matriarchats (1): Die Antike79
„Ich muss befürchten, dass selbst die Leser, denen es gelang, sich den Weg durch das
klassifikatorische Verwandtschaftssystem zu bahnen, an den Folgen dieser genealogien zu
tragen haben. Das ist bedauerlich, aber nicht zu ändern. Wollen wir begreifen, wie wir zu
dem geworden sind, was wir heute sind, müssen wir uns daran gewöhnen, die Dinge vom
Standpunkt unserer weit zurückliegenden Vorfahren zu betrachten, die, da ihr Leben in
erster Instanz von der Verwandtschaft bestimmt war, eben überall Verwandtschaft
erblickten. (…) Der Erholung halber soll das vorliegende Kapitel80 durch eine Untersuchung
beschlossen werden, ob in einem Teil von Hellas (…) das Mutterrecht hinreichend lange
bestanden hat, um ins Licht der Geschichte einzutreten.
Lokroi Epizephyrioi war eine griechische Kolonie an der Stiefelspitze Italiens. Sie wurde zu
Anfang des siebenten Jahrhunderts v. d. Z. von Lokris aus gegründet, einer Stadt in
Mittelgriechenland, deren erste Einwohner von Aristoteles als Leleger bezeichnet werden.
Polybios sagt von der Kolonie, wie sie sich ihm im zweiten Jahrhundert v. d. Z. darbot,
folgendes: ‚Alle ihre angestammten Ehren werden durch die Frauen weitergereicht, wie z.B.
die hohe Stellung, deren sich die Nachkommen der Hundert Familien erfreuen.‘ Aus anderen
Quellen erfahren wir, dass die Leute von Lokroi wie die Lyder und Etrusker die voreheliche
Promiskuität pflegten.81 Ihre Stadt soll ferner der erste griechische Staat gewesen sein, in
dem Gesetze aufgezeichnet wurden. Dadurch wird erklärlich, dass sie durch die formale
Verfestigung ihrer Institutionen, die zu einem ungewöhnlich frühen Zeitpunkt erfolgte, auch
die matrilineare Erbfolge beibehalten konnten. Die Hundert Familien waren die
Nachkommen des aus dem Mutterland stammenden Adels. Als Ursache der Auswanderung
und Koloniegründung wird ein Skandal bezeichnet, den diese hochgeborenen Damen durch
ihren ungebundenen Verkehr mit Sklaven hervorgerufen hätten. Zu ihrer Verteidigung kann
man anführen, sie seien nicht schlechter als Omphale oder Tanaquil oder die Königinnen der
Bantu in Afrika gewesen.“82

„Lokroi Epizephyrioi mag eine Ausnahme dargestellt haben,was den schlechten Auftakt
anbelangt. In dieser Gegend gab es aber noch andere Kolonien, die im gleichen Zeitraum
gegründet wurden und deren Bedingungen in ökonomischer Hinsicht, wenn nicht sogar in
moralischer, durchaus ähnlich waren. Taras (Tarentum), das am Stiefelabsatz Italiens liegt,
war noch älter als Lokroi. Es wurde von einigen Männern aus Sparta gegründet, die
Partheniai, ‚Mädchensöhne‘, genannt wurden. Als die Spartaner mit der Eroberung von
Messenien (…) beschäftigt waren, trösteten sich ihre Frauen (…) und diese ‚Mädchensöhne‘
waren das Ergebnis. Ihre Väter werden als daheimgebliebene Spartaner bezeichnet. (…)
Wenn die Übeltäter freigeborene Spartaner waren, dann taten sie etwas, was (…) kein
Vergehen darstellte.83 (…) Darüber hinaus kann der Grund, dass sie ‚Mädchensöhne‘ genannt
wurden, nur der sein, dass ihre Mütter unverheiratet waren. In Wahrheit scheinen ihre Väter
79
Georges Thomson: Frühgeschichte Griechenlands und der Ägäis. Berlin 1960 (London 1949)
„Die matriarchalischen Völker der Ägäis“: Georges Thomson: Frühgeschichte Griechenlands, S. 113 ff.
81
Das erinnert an gewisse sexuelle Freiheiten, wie sie Berbermädchen und –frauen in gewissen Regionen
Nordafrikas bis in die jüngste Gegenwart von der Gesellschaft zugestanden wurden.
82
Georges Thomson: Frühgeschichte Griechenlands, S.155 f.
83
In Sparta gab es bis in die Spätzeit eine Art staatlich gelenkter Promiskuität der Geschlechter
80
seit ehedem Leibeigene gewesen zu sein – Leibeigene mit einer privilegierten Stellung, wie
sie die innehatten, die sich der Gunst der lokrischen Damen erfreuten. Bisher hatten die
Sprösslinge solcher Vereinigungen ein Anrecht auf das mütterliche Vermögen besessen. Jetzt
aber, da die reiche Ebene Messeniens zur Besitzergreifung einlud,wurde das bisherige
Verfahren aufgegeben. Somit wurden diejenigen, die nur auf mütterlicher Seite Spartaner
waren, gezwungen, ‚stolz ihr Geburtsrecht auf dem Rücken tragend‘ ihr Glück jenseits des
Meeres zu suchen. Die Gründung von Taras wie auch die von Lokroi war nur eine Episode in
dem Konflikt, der im Mutterlande wegen des Erbrechts an Grund und Boden andauerte –
dem Kampf um das Land.“84

Spuren des Matriarchats (2): Die Berberinnen Nordafrikas85
„Laqqût […] wurde besiegt und von den Männern des Abû Bakr getötet. Seine Frau, Zaynab
an-Nafzâwiyya, die vorher schon die Konkubine des Yûsuf ibn ‘Alî gewesen war, […] wurde
jetzt die Frau des Abû Bakr und sollte künftig eine wichtige Rolle im Leben jener Männer
spielen, welche die Expansion der Almoravidenmacht so tatkräftig vorantrieben. […Denn]
nachdem er […Abû Bakr] einige Monate mit Zaynab zusammengelebt hatte, zog es ihn
wieder in die Wüste. Und so entließ er seine Gattin, damit sie sich nach der vom islamischen
Gesetz vorgesehenen Frist wieder verheiraten könne, und zwar mit seinem Vetter Yûsuf ibn
Tâshufîn, dem er für die Zeit seiner Abwesenheit den Befehl über einen Teil seiner Truppen
und die Herrschaft über ganz Marokko überlassen hatte. […] Die schöne Zaynab, die zuerst
Gattin des Laqqût, dann des Abû Bakr gewesen war, entfaltete nun [in der Reorganisation
und Verwaltung der neu eroberten Gebiete] ihr Geschick als Ratgeberin ihres neuen
Mannes, auf den sie einen starken Einfluss hatte. […Nach seiner Rückkehr] wollte Abû Bakr
Zaynab neuerlich heiraten um sich auch jenes Teils des Heeres, den er Yûsuf ibn Tâshufîn
anvertraut hatte, zu versichern. […] Zaynab jedoch blieb ihrem jetzigen Gefährten eine gute
Ratgeberin und spielte ihre Karten geschickt aus, um ihm zu helfen. […Sie erreichte von Abû
Bakr, dass er seinem Vetter] die ganze Macht überließ und selbst für immer in die Wüste
zurückkehrte […].“86

Bis heute haben sich die Berberinnen eine Unabhängigkeit vom – islamischen – Moralkodex
bewahrt, welche die erstaunlichsten Blüten treibt, zum Beispiel die ‘azriya:
[Die ‘azriya] sind Frauen, die einmal verheiratet gewesen waren, dann aber ihren Mann
verloren oder sich von ihm getrennt hatten [und jetzt] entweder bei ihren Eltern oder allein
[leben]. Bevor sie sich wiederverheiraten, also in der Zeit zwischen zwei Ehen, genießen sie
häufig einen Sonderstatus. Sie werden hofiert und mit Aufmerksamkeiten überschüttet, und
wenn sie in dem elterlichen Haus leben, werden ihnen die angenehmsten Aufgaben
84
Georges Thomson: Frühgeschichte Griechenlands, S.156 f.
Allgemein zur Lage der Frau im Maghreb Camille Lacoste-Dujardin: Mütter gegen Frauen. Mutterherrschaft
im Maghreb. Zürich 1990; siehe auch Isabella Grünbeck: Die islamische Frau im Mittelalter unter besonderer
Berücksichtigung ihrer Sonderrolle im Herrschaftsharem, im Maghreb und in al-Andalus. Wien 2009
(Diplomarbeit)
86
Jacinto Bosch Vilá: Historia de Marruecos. Los Almorávides. Tetuán 1956, S. 90 ff., vgl. Ibn Khaldun: Histoire
des Berbères, 3 Bde. Hgg. von M. G. de Slane. Paris 1925-56 (Algier 1852-56), Bd. 2, S. 71 f., Bd. 3, S.272 f.
85
zugeteilt. Es gibt kaum ein Fest in der Nachbarschaft, zu dem sie nicht eingeladen werden,
um an den Gesängen und Tänzen teilzunehmen. Besonders gefragt ist ihre Anwesenheit bei
den Erntefesten und anderen ländlichen Geselligkeiten. Da sie über eine große
Bewegungsfreiheit verfügen, können sie sich auch über die Barrieren der sexuellen
Segregation hinwegsetzen. Man kann sie sogar in den Cafés mit den Männern Karten spielen
sehen. Sie besitzen das „Auftreten großer Damen“ und gleichen eher „Kurtisanen, die von
ihrer Umgebung hofiert werden, als gemeinen Dirnen“.87 Die Kinder aus außerehelichen
Verbindungen werden gleichberechtigt in die mütterliche Sippe integriert. Und ihre Töchter
haben dieselben Chancen auf dem Heiratsmarkt wie alle anderen. [In diesem
Zusammenhang sollte man] auch die zeitweilige Freiheit erwähnen, die den nayalat und den
hamzaiât des Djebel Amour im Süden Algeriens eingeräumt wird. Die jungen Mädchen
dieser Region machen ihre ersten sexuellen Erfahrungen schon während der Zeit, in der sie
ihre Mitgift zusammentragen, die sie später einmal als ordentliche Ehefrauen benötigen. Es
handelt sich dabei schon fast um Prostitution, da sie aus ihrer sexuellen Freiheit finanzielle
Vorteile ziehen; sie beschränkt sich jedoch auf die Zeit vor der Hochzeit. […] Die Frauen des
Aurès, die wieder frei sein wollen, um von dem Status einer ‘azriya zu profitieren,
provozieren häufig eine Verstoßung, damit sie nicht mehr die Bevormundung durch ihren
Ehemann ertragen müssen.88

Friedrich Nietzsche über Platons Bild der griechischen Frau89
Wie Plato den innersten Zweck des Staates aus allen seinen Verhüllungen und Trübungen
an's Licht zog, so begriff er auch den tiefsten Grund der Stellung des hellenischen Weibes
zum Staate: in beiden Fällen erblickte er in dem um ihn Vorhandenen das Abbild der ihm
offenbar gewordenen Ideen, vor denen freilich das Wirkliche nur Nebelbild und
Schattenspiel war. Wer, nach allgemeiner Gewöhnung, die Stellung des hellenischen Weibes
überhaupt für unwürdig und der Humanität widerstrebend hält, muss sich mit diesem
Vorwurf auch gegen die platonische Auffassung dieser Stellung kehren: denn in ihr ist das
Vorhandene gleichsam nur logisch präcisirt. Hier wiederholt sich also unsre Frage: sollte
nicht das Wesen und die Stellung des hellenischen Weibes einen notwendigen Bezug zu den
Zielpunkten des hellenischen Willens haben?
Freilich giebt es eine Seite in der platonischen Auffassung des Weibes, die in schroffem
Gegensatze zur hellenischen Sitte stand: Plato giebt dem Weibe völlige Theilnahme an den
Rechten, Kenntnissen und Pflichten der Männer und betrachtet das Weib nur als das
schwächere Geschlecht, das es in allem nicht gerade weit bringen werde: ohne ihm doch
deshalb das Anrecht auf jenes alles streitig zu machen. Dieser fremdartigen Anschauung
haben wir nicht mehr Werth beizulegen als der Vertreibung des Künstlers aus dem
Idealstaate: es sind dies kühn verzeichnete Nebenlinien, gleichsam Abirrungen der sonst so
sichren Hand und des so ruhig betrachtenden Auges, das sich mitunter einmal, im Hinblick
auf den verstorbenen Meister, unmuthsvoll trübt: in dieser Stimmung übertreibt er die
87
M. Gaudry: La femme chaouia de l’Aurès. Paris 1929, S. 123
Camille Lacoste-Dujardin: Mütter gegen Frauen, S. 165; 167 f.
89
Friedrich Nietzsche: Nachträge aus einer erweiterten Form der Geburt der Tragödie (1871). § 13. Das
griechische Weib. Musarion-Ausgabe der Gesammelten Werke Nietzsches, III. Berlin 1922, S. 295 ff.
88
Paradoxieen desselben und thut sich ein Genüge, seine Lehren recht excentrisch, bis zur
Tollkühnheit, im Uebermaass seiner Liebe, zu steigern.
Das Innerste aber, was Plato als Grieche über die Stellung des Weibes zum Staate sagen
konnte, war die so anstössige Forderung, dass im vollkommnen Staate die Familie aufhören
müsse. Sehen wir jetzt davon ab, wie er, um diese Forderung rein durchzuführen, selbst die
Ehe aufhob und an deren Stelle feierliche von Staatswegen angeordnete Vermählungen
zwischen den tapfersten Männern und den edelsten Frauen setzte, zur Erzielung eines
schönen Nachwuchses. In jenem Hauptsatze aber hat er eine wichtige
Vorbereitungsmaassregel des hellenischen Willens zur Erzeugung des Genius auf das
deutlichste – ja zu deutlich, beleidigend deutlich – bezeichnet. (…) Das Weib bedeutet
demnach für den Staat, was der Schlaf für den Menschen. In seinem Wesen liegt die
heilende Kraft, die das Verbrauchte wieder ersetzt, die wohlthätige Ruhe, in der sich alles
Maasslose begrenzt, das ewig Gleiche, an dem sich das Ausschreitende, Ueberschüssige
regulirt. (…) Wer daraus sofort die Stellung des Weibes bei den Griechen als unwürdig und
allzuhart zu erschliessen sich gedrungen fühlt, der soll nur ja nicht die Gebildetheit des
modernen Weibes und deren Ansprüche zur Richtschnur nehmen, gegen welche es einmal
genügt, auf die olympischen Frauen sammt Penelope Antigone Elektra hinzuweisen. Freilich
sind dies Idealgestalten, aber wer möchte aus der jetzigen Welt solche Ideale erschaffen
können? - Sodann ist doch zu erwägen, was für Söhne diese Weiber geboren haben und was
für Weiber es gewesen sein müssen, um solche Söhne zu gebären!

Sigmund Freud zur weiblichen Sexualität90
Wenn wir die ersten psychischen Gestaltungen des Sexuallebens beim Kinde untersuchten,
nahmen wir regelmäßig das männliche Kind, den kleinen Knaben, zum Objekt. Beim kleinen
Mädchen, meinten wir, müsse es ähnlich zugehen, aber doch in irgendeiner Weise anders.
An welcher Stelle des Entwicklungsganges diese Verschiedenheit zu finden ist, das wollte
sich nicht klar ergeben.
Die Situation des Ödipus-Komplexes ist die erste Station, die wir beim Knaben mit Sicherheit
erkennen. Sie ist uns leicht verständlich, weil in ihr das Kind an demselben Objekt festhält,
das es bereits in der vorhergehenden Säuglings- und Pflegeperiode mit seiner noch nicht
genitalen Libido besetzt hatte. Auch dass es dabei den Vater als störenden Rivalen
empfindet, den es beseitigen und ersetzen möchte, leitet sich glatt aus den realen
Verhältnissen ab. (…)91
Der Ödipus-Komplex des kleinen Mädchens birgt ein Problem mehr als der des Knaben. Die
Mutter war anfänglich beiden das erste Objekt, wir haben uns nicht zu verwundern, wenn
der Knabe es für den Ödipus-Komplex beibehält. Aber wie kommt das Mädchen dazu, es
aufzugeben und dafür den Vater zum Objekt zu nehmen? In der Verfolgung dieser Frage
90
Sigmund Freud: Einige psychische Folgen des anatomischen Geschlechtsunterschieds (1925). Werkausgabe in
zwei Bänden. Herausgegeben und mit Kommentaren versehen von Anna Freud du Ilse Grubrich-Simitis.
Frankfurt am Main 1978, Band 1, S. 340 ff.
91
Sigmund Freud: Einige psychische Folgen, S. 341 f.
habe ich einige Feststellungen machen können, die gerade auf die Vorgeschichte der ÖdipusRelation beim Mädchen Licht werfen können.
Jeder Analytiker hat die Frauen kennengelernt, die mit besonderer Intensität und Zähigkeit
an ihrer Vaterbindung festhalten und an dem Wunsch, vom Vater ein Kind zu bekommen, in
dem diese gipfelt. Man hat guten Grund anzunehmen, (…) hier vor einer elementaren, nicht
weiter auflösbaren Tatsache des kindlichen Sexuallebens zu stehen. Eingehende Analyse
gerade dieser Fälle zeigt aber etwas anderes, nämlich dass der Ödipus-Komplex hier eine
lange Vorgeschichte hat und eine gewissermaßen sekundäre Bildung ist. [… Diese erinnert
nämlich an] eine folgenschwere Entdeckung,die dem kleinen Mädchen beschieden ist. Es
bemerkt den auffällig sichtbaren, groß angelegten Penis eines Bruders oder Gespielen,
erkennt ihn sofort als überlegenes Gegenstück seines eigenen, kleinen und versteckten
Organs und ist von da an dem Penisneid verfallen. [… Das kleine Mädchen] ist im Nu fertig
mit ihrem Urteil und ihrem Entschluss. Sie hat es gesehen, weiß, dass sie es nicht hat, und
will es haben.92
(…) Nun aber gleitet die Libido des Mädchens – man kann nur sagen: längs der
vorgezeichneten symbolischen Gleichung Penis = Kind – in eine neue Position. Es gibt den
Wunsch nach dem Penis auf, um den Wunsch nach einem Kinde an die Stelle zu setzen, und
nimmt in dieser Absicht den Vater zum Liebesobjekt. Die Mutter wird zum Objekt der
Eifersucht, aus dem Mädchen ist ein kleines Weib geworden.93

Klassikerinnen des Feminismus (1): Die erste Generation – Simone de Beauvoir94
Aus weiblicher Sicht – zum Beispiel Psychoanalyse:
Weil der Phallus etwas getrennt Wahrnehmbares ist, kann der Mann das über hn
hinausreichende Leben seiner Individualität integrieren. (…) So findet sich konstant der
Phallus als fleischliche Verkörperung des Übersichhinausgelangens, wie es auch konstant ist,
dass das Kind vom Vater sich übertroffen, d.h. um seine Transzendenz gebracht fühlt, worin
man die Freudsche Idee des „Kastrationskomplexes“ wiedererkennt. Da es dies alter ego
nicht hat, entfremdet sich das kleine Mädchen nicht in einem greifbaren Objekt und gelangt
nicht zu sich selbst zurück: dadurch kommt es, dass es sich völlig zum Objekt macht, sich als
das Andere setzt; die Frage, ob es sich dabei mit den Knaben vergleicht, ist von sekundärer
Bedeutung (…). Doch sind diese von uns festgestellten Konstanten an sich noch nicht
schicksalsbestimmend: der Phallus bekommt einen so großen Wert, weil er zum Symbol
einer Überlegenheit wird, die sich auf anderen Gebieten verwirklicht. Wenn es der Frau
gelänge, sich als Subjekt zu behaupten, so würde sie Gegenwerte für den Phallus erfinden95
(…). Es gibt mutterrechtliche Gemeinschaften, in denen die Frauen die Masken in
Verwahrung halten, in denen die Gemeinschaft ihren Fremdausdruck sucht; der Penis
92
Sigmund Freud: Einige psychische Folgen, S. 342 f.
Sigmund Freud: Einige psychische Folgen, S. 346
94
Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau (Le Deuxième Sexe). Reinbek bei
Hamburg 1968 (Paris 1949)
95
z.B. die weibliche Brust – vgl. die Darstellungen der mutterrechtlichen Minoischen Kultur (Kretas Schlangen
tragende, barbusige Mädchen); neuerdings das Entblößen der Brüste als politisches Statement (dem das ‚Obenohne-Baden‘ als Zeichen der Sexuellen Revolution in den 60-er Jahren des 20. Jhs. voran gegangen war), etc.
93
verliert unter solchen Verhältnissen viel von seinem Ansehen. Nur in der in ihrer Gesamtheit
erfassten Situation begründet das anatomische Privileg auch ein menschliches. Die
Psychoanalyse könnte dessen Bestätigung nur im geschichtlichen Zusammenhang finden.96

Aus weiblicher Sicht – zum Beispiel die Ehe:
In vielen Kreisen haben die Frauen heute teilweise ihre sexuelle Freiheit erobert. Es ist aber
für sie noch ein schwieries Problem, ihr Eheleben mit ihrer erotischen Befriedigung in
Einklang zu bringen. Da die Ehe im allgemeinen die körperliche Liebe nicht mit einschließt,
schene es vernünftig, de beiden rein voneinander zu trennen. Es wird zugegeben, dass der
Mann ein ausgezeichneter Gatte und doch flatterhaft sein kann. Seine sexuellen Launen
hindern ihn tatsächlich nicht daran, mit seiner Frau in aller Freundschaft ein gemeinsames
Leben zu führen. Diese Freundschaft wird um so reiner, weniger zweideutig sein, wenn sie
keine Fessel darstellt. Man könnte zulassen, dass für die Gattin dasselbe gelte. (…) Die
Kompromisse von Berechnung und Verstellung machen den Ehebruch entwürdigend. Ein
freies und aufrichtiges Übereinkommen würde einen der Makel der Ehe beseitigen. Es muss
indessen zugegeben werden, dass heute die irritierende Formel einen gewissen
Wahrheitskern behält (…): „Bei der Frau ist es etwas anderes.“ Der Unterschied hat nichts
Natürliches an sich. Es wird behauptet, die Frau brauche die sexuelle Betätigung weniger als
der Mann. Nichts ist unsicherer. Verdrängte Frauen werden zu bösen Ehefrauen,
sadistischen Müttern, zu manischen Hausfrauen, unglücklichen und gefährlichen
Geschöpfen. (…) Der Unterschied rührt von der Gesamtheit der erotischen Situation von
Mann und Weib her, wie sie die Tradition und die gegenwärtige Gesellschaft bestimmen.
Man betrachtet immer noch bei der Frau den Liebesakt als einen Dienst, den sie dem Mann
erweist, der ihn infolgedessen als ihren Herrn erscheinen lässt.97

Aus weiblicher Sicht – zum Beispiel die Prostitution:98
[Die Prostituierte:] Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen, ist ihre Situation ein
Pendant zu der der verheirateten Frau. „Der einzige Unterschied zwischen denen, die sich
durch die Prostitution, und denen, die sich durch die Ehe verkaufen, liegt im Preis und in der
Dauer des Vertrags,“ sagt Marro. Für alle beide ist der sexuelle Akt eine Dienstleistung. Die
Zweite wird auf Lebensdauer von einem einzigen Mann verpflichtet, die Erste hat mehrere
Kunden, die sie stückweise bezahlen. Jene wird von einem Mann gegen alle andern, diese
von allen gegen die ausschließliche Tyrannei jedes einzelnen verteidigt. Jedenfalls werden
die Gewinne, die sie aus der Hingabe ihres Körpers ziehen, durch die Konkurrenz
beschnitten. Der Gatte weiß, dass er sich eine andere Frau hätte sichern können. Die
Erfüllung der „ehelichen Pflichten“ ist kein Gnadengeschenk, sie ist die Erfüllung eines
Kontrakts. In der Prostitution kann die männliche Begierde, da sie nicht auf das Einzelne,
sondern auf die Art ausgeht, sich an jedem beliebigen Körper befriedigen. Gattin oder
96
Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht, S. 59
Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht, S. 531 f.
98
Zweites Buch, zweiter Teil, Kapitel VIII: Dirnen- und Hetärentum. Simone de Beauvoir: Das andere
Geschlecht, S. 533 ff.
97
Hetäre vermögen [daher] den Mann nur auszubeuten, wenn sie einen persönlichen Einfluss
auf ihn ausüben.99

Von der gemeinen Straßendirne bis zur großen Hetäre gibt es alle möglichen Übergänge. Der
wesentliche Unterschied besteht darin, dass die erste sich als Dirne schlechtweg zu Markte
trägt, so dass die Konkurrenz sie auf einem elenden Lebensniveau hält, während die zweite
gerade um die Anerkennung ihrer Besonderheit bemüht ist: Wenn ihr dies gelingt, kann sie
ein bedeutendes Schicksal beanspruchen. Hierbei sind Schönheit, Charme oder Sex-Appeal
notwendig, aber nicht hinreichend: Die Frau muss sich durch ihren Ruf auszeichnen. Oft wird
ihr Wert durch das Begehren eines Mannes entdeckt. Aber „lanciert“ ist sie erst, wenn der
Mann ihren Wert in der Welt publik gemacht hat. (…) Die letzte Verkörperung der Hetäre ist
der Star. (…) Er liefert den Träumen der Männer die Frau an sich. Sie schenken ihm dafür
Reichtum und Ruhm.100

Zwischen der Prostitution und der Kunst hat immer eine Art Querverbindung bestanden,
weil auf etwas zweideutige Weise Schönheit und Wollust miteinander verknüpft wurden. In
Wirklichkeit hat Schönheit mit Begehren nichts zu tun.101 (…) Die Prostituierte, die ihren
Eigen-Wert erlangen will, beschränkt sich nicht mehr darauf, passiv ihren Körper zu zeigen.
Sie bemüht sich um persönliche Talente. Die griechischen ‚Flötenspielerinnen‘ entzücken die
Männer mit ihrer Musik und ihren Tänzen. (…) Alle Berufe, bei denen die Frau exhibiert,
können galanten Zwecken dienen. Gewiss gibt es Girls, Taxi-Girls, Nackttänzerinnen,
Amüsierdamen, Pin-ups, Vorführdamen, Sängerinnen, Schauspielerinnen, die ihrem
erotischen Leben keinen Eingriff in ihr Berufsleben gestatten. Je mehr ihr Beruf an Technik,
an Erfindung erfordert, um so mehr kann er zum Selbstzweck werden. Aber oft gerät die
Frau, die sich öffentlich ‚produziert‘, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, in Versuchung,
aus ihren Reizen ein intimes Handelsobjekt zu machen. (…) Ich verstehe hierbei unter
Hetären alle Frauen, die nicht allein ihren Körper, sondern ihre gesamte Person als
arbeitendes Kapital behandeln. (…) Dadurch, dass sie [die Hetäre |der Star] sich dem Urteil
ihrer Bewunderer darbietet, verleugnet sie jene weibliche Passivität nicht, die sie dem
Manne bestimmt.102 Von ihr bezieht sie eine magische Macht, vermöge deren sie die
Männer mit ihrer Gegenwart einfängt und von ihnen lebt.103

Klassikerinnen des Feminismus (2): Die zweite Generation – Luce Irigaray
Streng genommen gibt es in Speculum104 keinen Anfang und kein Ende, die Architektonik des
Textes, der Texte bringt jene Linearität eines Vorhabens, jene Teleologie des Diskurses, in
99
Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht, S. 534
Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht, S. 543 f.
101
Jedoch sehr viel mit Werbung, wie Simone de Beauvoir im folgenden am Beispiel der Prostituierten zeigt.
102
Das Marilyn-Monroe-Syndrom
103
Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht, S. 544 f.
104
Luce Irigaray: Speculum. Spiegel des anderen Geschlechts (Speculum de l’autre femme). Frankfurt am Main
1980 (Paris 1974)
100
welchem es für das „Weibliche“ keinen möglichen Ort gibt, es sei denn den traditionellen
des Verdrängten, des Zensurierten, aus der Fassung. Übrigens, mit Freud „anfangen“ und mit
Plato „aufhören“, das heißt schon, die Geschichte „umdrehen“. Im „Innern“ einer solchen
Umkehrung aber kann die Frauenfrage sich noch nicht artikulieren, so dass man sich mit ihr
nicht einfach zufrieden geben kann.105 Deshalb diese Gliederung, die bewirkt, dass in den in
der „Mitte“ stehenden Texten – die wiederum mit Speculum überschrieben sind –
offensichtlich die Umkehrung keinen Platz mehr hat. Das Entscheidende dabei ist, die
Montage der Repräsentation gemäß ausschließlich „männlichen“ Parametern aus der
Fassung zu bringen. Das heißt, gemäß einer zwangsläufig phallokratischen Ordnung, die es
nicht umzukehren – das würde letztlich auf das Selbe hinauslaufen –, sondern, ausgehend
von einem teilweise ihrem Gesetz entzogenen „Außen“ zu stören und zu untergraben gilt.106

„Luce Irigaray verfolgt ihre Intention, die ‚Linearität‘ und die damit verbundenen Strukturen
des Diskurses aufzusprengen, bis in die Syntax der Sprache:107 sie durchbricht sie, bringt sie
durcheinander und versucht auf diese Weise, Bedeutungskontexte sichtbar zu machen, die
von eben dieser ‚Linearität‘ verdeckt werden. (…) Ein ähnliches Problem stellt sich für die
Übertragung der Metaphorik, deren theoretischer Stellenwert in der strukturalistischen
Sprachtheorie begründet ist (…).108 Die Metaphorik ist keine bloße Illustration theoretischer
Zusammenhänge, sondern ein Teil der begrifflichen Anstrengung selbst. Genauer, die
begriffliche Anstrengung setzt sich auf der Ebene der Bildsprache fort109 und eröffnet damit
neue Erkenntnisdimensionen im wissenschaftlichen Diskurs.“110

„(…) Ein wesentliches Merkmal des Irigarayschen Textes (…) ist die Vielschichtigkeit der
Diskursebenen. So werden etwa im Zusammenhang der Frage nach dem Funktionieren der
‚sexuellen Differenz‘ und nach dem ‚Ort‘ des Weiblichen im philosophischen Diskurs
verschiedene Theorien gleichzeitig dargestellt111 und miteinander verwoben, wobei die
Bedingungen der Möglichkeit ihrer ‚Systematizität‘ und also ihrer Kohärenz im Vordergrund
der Aufmerksamkeit stehen. Bedingungen der Möglichkeit sind, wie Irigaray sagt, etwa ‚die
Materie, von der das sprechende Subjekt sich nährt, um sich zu produzieren und zu
reproduzieren, aber auch die Szenographie, die die Repräsentation so, wie sie sich in der
Philosophie definiert, ermöglicht, also die Architektonik ihres Theaters, ihre raum-zeitliche
Rahmung, ihre geometrische Ökonomie, ihre Kulissen, ihre Akteure, sowie deren Stellung
zueinander, deren Dialoge, ja sogar deren tragische Beziehungen, nicht zu vergessen den
105
Hier kritisiert Luce Irigaray implizit natürlich Simone de Beauvoir, die vom Platonisch-Freudianischen
Frauenbild ausgehend (bzw. dieses niemals konsequent hinter sich lassend), innerhalb des patriarchalischen
Settings um so etwas wie die „Würde der Frau“ gekämpft habe.
106
Luce Irigaray: Das Geschlecht, das nicht eins ist. Berlin 1979, S. 70
107
Der sogenannte Linguistic turn in der Genderfrage
108
z.B. bei Jakobson und Lacan
109
Deshalb gehören Mythen, Kunstwerke und Bilder als „Quellen“ höherer Ordnung – als „metaphorisches“
Quellenmaterial sozusagen – in jede synoptische Darstellung der historischen Linearität (= Ereignisabfolge auf
der Zeitreihe), um, ganz im Sinne des Irigaray’schen „Umdrehens“ und „Untergrabens“ der Syntax, auch die
herkömmliche Syntax historischen Erzählens aus ihrer (Patri-)Linearität zu lösen und somit „aufzusprengen“.
110
Xenia Rajewsky / Gabriele Ricke / Gerburg Treusch-Dieter / Regine Othmer: Nachwort der Übersetzerinnen
– Arbeitsauskunft. Luce Irigaray: Speculum, S. 467 f.
111
eklektisch, synkretistisch
Spiegel, der, zumeist versteckt, dem Logos, dem Subjekt112 erlaubt, sich zu verdoppeln, sich
zu reflektieren. Das alles sind Eingriffe in die Szene, die, solange sie nicht interpretiert
worden sind, ihre Kohärenz113 sichern‘.114 Unter diesem Anspruch thematisiert Luce Irigaray
zum Beispiel (…) nicht nur die Freudsche Theorie zur weiblichen Sexualität, sondern ebenso
und gleichzeitig die szenische Anordnung der psychoanalytischen Situation sowie, als quasi
fortgeschrittenste Form ‚dieses alten Traums vom Selben‘, die Lacansche Interpretation. Die
weibliche Sexualität erscheint nicht mehr nur als Lücke oder ergänzungsbedürftiger Teil der
Theorie, sondern ihre Funktion und ihr Funktionieren in und für die Theorie selbst werden
sichtbar.115 (…) So wird etwa die Thematik des Blicks als Ausdruck eines
Herrschaftsverhältnisses im Rahmen der Platonischen Philosophie ausgeführt und inszeniert,
aber sie wird auch in der psychoanalytischen Theorie reflektiert und bis in die
psychoanalytische Anordnung hinein verfolgt.“116

„(…) Bei dem Versuch, in die philosophischen Systeme einzudringen, ihre Kohärenz zu
zersetzen und das Funktionieren ihrer Ökonomie als eines kenntlich zu machen, das sich der
geleugneten sexuellen Differenz verdankt, beschreitet Luce Irigaray den, wie sie selbst sagt,
‚einzigen Weg, der dem Weiblichen historisch zugewiesen ist‘: Mimesis. ‚Mimesis zu spielen
bedeutet (…) für eine Frau den Versuch, den Ort ihrer Ausbeutung durch den Diskurs
wiederzufinden, ohne sich darauf einfach reduzieren zu lassen. Es bedeutet (…) sich wieder
den Ideen (…) zu unterwerfen, so wie sie in | von einer männlichen Logik ausgearbeitet
wurden; aber, um durch einen Effekt spielerischer Wiederholung das erscheinen zu lassen,
was verborgen bleiben musste: die Verschüttung einer möglichen Operation des Weiblichen
in der Sprache.‘117 (…) Man sollte sich nichts vormachen, das von Irigaray versuchte
mimetische Verfahren ist Arbeit, eine spezifische Arbeit, die, wie sie sagt, den einzig
möglichen Zugang des Weiblichen zum philosophischen Diskurs eröffnet. Entgegen dem
Vorwurf der Substantialisierung des Weiblichen wird es von ihr immer als besondere
Produktionsweise118 und damit stets historisch gedacht. Es geht ihr nicht um die Setzung
eines ‚weiblichen‘ Gegensystems oder die Bestimmung eines weiblichen ‚Wesens an sich‘.
(…) Das mimetische Wiederholen, das Nachplappern verzerrt, vexiert, karikiert den
pietätvollen Ernst wissenschaftlicher Theorie. In der ständigen Wiederkehr des Gleichen,
dem ’alten Traum vom Selben‘, deckt sie geschichtslose Momente der Theorie auf (…). Die
‚Geschichtslosigkeit der Frau‘ bekundet sich als unhistorisches Moment und als Bedingung
der männlichen (Theorie-) Geschichte selbst.“119

112
lies: der patriarchalischen Denkungsart
lies: ihre Unhinterfragbarkeit
114
Luce Irigaray: Das Geschlecht, das nicht eins ist, S. 77
115
Sozusagen der Tribut, den das Weibliche dem Männlichen = Logischen Denken entrichten muss, womit es
diesem „Denken“ die Lebensgrundlage ermöglicht.
116
Xenia Rajewsky / Gabriele Ricke / Gerburg Treusch-Dieter / Regine Othmer: Nachwort, S. 469 f.
117
Luce Irigaray: Das Geschlecht, das nicht eins ist, S. 78
118
Im handgreiflichen Sinn findet sich dieses Phänomen untersucht bei Claude Meillassoux: „Die wilden Früchte
der Frau“. Über häusliche Produktion und kapitalistische Wirtschaft. Frankfurt am Main 1976
119
Xenia Rajewsky / Gabriele Ricke / Gerburg Treusch-Dieter / Regine Othmer: Nachwort, S. 471 f.
113
Jean-François Lyotard: Économie libidinale120
Eigenheiten der Lyotard‘schen Methode – Aus dem Vorwort der Übersetzer:121
„Die Leidenschaft und das Denken, die Ökonomie des Kapitals und der Lust als
Metamorphosen des Triebes zu beschreiben, verlangt eine andere Geschichte der Macht und
des Begehrens, die Freud und Marx (…) – mit Hilfe Nietzsches – in eine plastische
Genealogie des Werdens aktiver wie auch reaktiver Kräfte überführt. Die Arbeiten von J.-F.
Lyotard sind ein Beispiel für eine solche Transformation im politisch-philosophischen
Diskurs, die sich aus dem Ereignis von 1968 ergibt und den Bruch markiert, in welchem ein
experimentelles Denken von politischer Bewegung auftaucht – jenseits der vertröstenden
Hoffnung auf einen garantierten, höheren Sinn der Geschichte.
Oberflächlich betrachtet, ist hiermit das Thema der Économie libidinale (…) umrissen:
Lyotard will zeigen, dass im Kapital, in der Sprache und in der Wissenschaft ebenso wie in
Kunst und Erotik lustvolle Intensitäten am Werke sind. Der Trieb ist ein einflächiges
Patchwork libidinöser Energien, die nicht sprechen, sondern arbeiten. Die techné, das heißt
die Kunst des Hervorbringens, die die Ökonomie des Wunsches ausmacht, ist nur als
paradoxe Geschichte ihrer Niederlagen zu entdecken, da die metaphysische und christliche
Tradition den Wunsch nur als Begehren in Form von Mangel und Verfehlen, das heißt als
Theater des Leidens und des unerreichbaren Genusses zu denken erlaubt.122
Ist diese Theatralik aber nicht selbst eine bestimmte Gestalt des Trieblebens?123 Wie unser
Leiden funktioniert und wie es den religiösen Abstand zu einem abgehobenen Gott124 oder
den ausschließenden Begriff einer abwesenden Wahrheit erzeugt und daran Genuss findet,
wird ebenso zur Frage des Triebes wie die Lust am stellvertretenden Zeichen,125 das für
etwas Anderes (Unerreichbares) steht und sich zum Träger der unüberwindbaren Differenz
der Geschlechter artikuliert.
[…Das] Verwischen von scheinbar klar definierten Bedeutungen und ein Zusammenhang von
Libido und Ökonomie ergibt sich in der französischen Sprache leichter als im Deutschen. So
hat zum Beispiel ‘investissement’ die psychoanalytische Bedeutung von ‘Besetzung’ und die
ökonomische von ‘Investition’; ‘interêt’ hat den Doppelsinn von ‘Interesse’ und ‘Zins’ oder
‘Profit’, und ‘crédit’ bedeutet ‘Glaube’ und ‘Kredit’. Andererseits kann zum Beispiel das Wort
‘désir’ je nachdem, in welchem theoretischen Kontext es verwendet wird, mit ‘Wunsch’,
‘Begehren’ oder ‘Begierde’ übersetzt werden.”

120
Jean-François Lyotard: Ökonomie des Wunsches – Économie libidinale. Bremen 1984 (Paris 1974)
Jean-François Lyotard: Ökonomie des Wunsches, S. 5 ff.
122
Insofern wäre de Sade immer noch ein „christlicher“, zumindest „metaphysischer“ Denker der Lust – ein
Verdikt, das denn auch von Feministinnen – zuletzt von Irigaray – immer wieder gegen den Göttlichen Marquis
geltend gemacht worden ist.
123
„Corpus“ in der Lyotard’schen Begrifflichkeit
124
„Caput“
125
an der Metapher, am Bild
121
Anwendung der Lyotard’schen Methode auf ein historisches Phänomen. Das Beispiel der
Adeligen als Stammhalterin | Mätresse. Widerspruch von CAPUT | Denken und CORPUS |
Sinnlichkeit im patriarchalischen System:
„Frauen innerhalb des französischen Feudalsystems […] vertraten […] das Familienoberhaupt
in dessen Abwesenheit; sie konnten Titel und Lehen erben und ihre Ländereien selbst
verwalten. Ein Beispiel ist Anna von Bretagne, die erst Karl VIII. und dann Ludwig XII.
heiratete, mithin zweimal Königin von Frankreich war, doch niemals aufhörte, der
Verwaltung des Herzogtums, das sie der französischen Krone als Mitgift eingebracht hatte,
persönlich vorzustehen.“126
In der alten, „feudalen“ Wertschätzung waren Männer und Frauen insofern einander
ebenbürtig, als beide Geschlechter gleichermaßen die Sippe und deren familiale Macht |
genealogische Potenz verkörperten. In dieser – nennen wir sie „kollektivistischen“
Anerkennung der Frau wird an ihr das Naturmoment „Körper“ gewürdigt, als unverzichtbar
für die vertraglichen Qualitäten, die körperliche Eigenschaften zu verbürgen pflegen, etwa
dadurch, dass sie die genealogische Kontinuität, das Weiterleben der Sippe garantieren.
Daraus folgt: Individualität einer Frau, ihre Schönheit, ihre Intelligenz stehen immer nur „für
etwas“ – niemals für sich selbst. Weibliche Klugheit macht sich nur indirekt bemerkbar, im
Status und Statuserhalt ihrer Familie, ihrer Sippe. Und wenn die Frau Macht ausübt, als
Herrin des Hauses oder des feudalen Besitztums – das Beispiel Annas von Bretagne –, wird
sogar ihr Intellekt körperlich. Annas Klugheit verschmilzt mit Annas Erscheinung als „guter,
tüchtiger“ Herrin. Anders gesagt, Anna von Bretagne ist auch als Königin von Frankreich
nichts ohne ihren feudallehensrechtlichen Status, der sie als die hervorragende Erscheinung
eines … Stammbaums erweist: Anna ist CORPUS.
Umgekehrt wäre Anna bei Hofe, selbst wenn sie dort „nur“ Mätresse des Königs wäre, in
ihrer Intellektualität, Gebildetheit, Klugheit oder Raffinesse (Eigenschaften, die sich durchaus
in der Maske der „Schönheit“ präsentieren können) als sie selbst anerkannt. Sie stünde nicht
„für etwas“ sondern für sich selbst. Sie wäre beispielsweise genau für die Rolle als Mätresse
– das heißt Geliebte des Königs, nicht seine Ehefrau – nur als sie selbst geeignet; um vom
König persönlich ausgewählt, ihm nicht bloß zugewiesen zu werden, könnte sich Anna von
Bretagne nicht auf ihren Status als Feudalherrin verlassen, vielmehr hätte sie sich individuell,
von keiner Genealogie dazu ausersehen, für den Mätressenberuf zu qualifizieren, nur so
dürfte sie hoffen, für den König unersetzbar zu werden (wir sprechen vom Idealfall).
Sieht man, wie „die Frau“ grammatikalisch in die Kategorie der Einzahl aufrückt? Wie sich ihr
Status entwickelt – von der Beispielhaftigkeit zur Einzigartigkeit? Offenbar hat man genau
die falsche Wortwahl getroffen, wenn man von „der Frau“ spricht (so wie man etwa von „der
Gottesmutter“ spricht). Die Frau, wie sie bei Hofe anerkannt wird, ist durchaus CAPUT, nicht
CORPUS. Daraus folgt: die Schönheit der Mätresse ist zwar „körperlich“, aber auch dieser
„Körper“ dient nur sich selbst, beispielsweise der eigenen Lust (auch Lust an der Macht).
Denn sein Atout ist der Intellekt, der sich als unverzichtbar weil unverwechselbar, und als
unverwechselbar weil einzigartig weiß. Als weibliches Individuum ist die Frau weiterhin
„reizend“. Aber sie ist es sozusagen aus eigener Machtvollkommenheit. Die Schönheit der
Mätressen ist selbstreferenziell. Merke: die Mätressen der Könige sind gerade nicht
126
Benedetta Craveri: Königinnen und Mätressen. Die Macht der Frauen – von Katharina de‘ Medici bis Marie
Antoinette. München 2008 (Mailand 2005), S.9 f.
Lustobjekte; sie sind LustSUBJEKTE (um es so zu sagen). Sie sind – in „körperbetonter
Verkleidung“ – weibliche Intellektuelle.
Wird die Mätressenwirtschaft, mit Lyotard zu sprechen, die „Trennung zwischen der
Einschreibung und ihrem Ort“ aufheben? Vielleicht hat sie ja das Phantasma der
postmodernen Libidoökonomen bereits „erfüllt“ – drei-, vierhundert Jahre, bevor dieses
Phantasma erstmals „wissenschaftlich“ formuliert wurde:
“Sehen Sie nun, unnachsichtige Dame mit den grauen Augen, was wir Libidoökonomen
durchbrechen wollen: wir sprechen nicht mehr (es sei denn aus Versehen, darauf können Sie
sich verlassen) von Einschreibflächen, von Besetzungsgebieten und dergleichen Dingen
mehr. Wir misstrauen der angenommenen Trennung zwischen der Einschreibung und ihrem
Ort. Wir müssen unser Begriffsvermögen anstrengen, damit wir schließlich die Idee einer
Intensität entwickeln, die, weit davon entfernt, sich einem produzierenden Körper
gegenüber durchzusetzen, ihn determiniert.”127

127
Jean-François Lyotard: Ökonomie des Wunsches, S. 34

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