Neue Ansätze Sozialer Arbeit in der Kommune
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Neue Ansätze Sozialer Arbeit in der Kommune
Anna-Zillken-Berufskolleg Höhere Fachschule für Sozialarbeit Dortmund Hausarbeit im Rahmen der staatlichen Abschlussprüfung als Sozialarbeiter Neue Ansätze Sozialer Arbeit in der Kommune Erstleser: Herr Chorhummel Zweitleserin: Frau Terhaag-Chaaban vorgelegt von Georg Wegner (SO/B) Bladenhorster Str. 94 44575 Castrop-Rauxel am 08.04.2002 I Inhalt Seite(n) Gliederung I Persönlicher Zugang II-IV 1. Einleitung 1-4 2. Standortbestimmung 5-9 2.1. Zur Krise des Sozialstaates 5-6 2.2. Zur Krise der sozialen Stadt 6-8 2.3. Zur Krise der Sozialen Arbeit 8-9 3. Soziale Arbeit und kommunale Verwaltung 10-14 3.1. Grundlagen der Verwaltung: eine Skizze 11-12 3.2. Strukturen der Verwaltung: ein Umriss 13 3.3. SozialarbeiterInnen in der Kommune: eine Randnotiz 13-14 4. Zum Prinzip der Subsidiarität 15-16 5. Entwicklungslinien der Modernisierung 17-27 5.1. Binnenmodernisierung der Verwaltung 17-20 5.2. Zur Aktivierung von Selbsthilfe und bürgerschaftlichem Engagement 21-27 6. Instrumente Sozialer Arbeit 28-48 6.1. Klassische Methoden 28-36 6.1.1 Soziale Einzelhilfe 29-30 6.1.2 Soziale Gruppenarbeit 30-32 6.1.3 Gemeinwesenarbeit 32-36 6.2. Neuere Ansätze 36-48 6.2.1 Case Management 37-38 6.2.4 Mediation 38-39 6.2.2 Empowerment 39-41 6.2.3 Soziale Netzwerkarbeit 41-42 6.2.5 Sozialräumliche Ansätze 42-48 7. Konkretionen 49-60 7.1. Projektimplementierung durch Ratsbeschluß 49-54 7.2. Bausteine eines Gesamtprojekts 54-60 Literaturverzeichnis 61-72 II Persönlicher Zugang Als ich im Sommer 2001 in die Planung des dritten und entscheidenden Ausbildungsjahres einstieg, schien alles klar. Den Schwerpunkt im Vertiefungsgebiet wollte ich im Bereich urbaner Erlebnispädagogik mit Kindern setzen; die Hausarbeit sollte sich dann mit dem Thema „Senioren und Internet“ und zwar dezidiert unter dem Gesichtspunkt Sozialer Gruppenarbeit beschäftigen. Beide Themen schienen mir zukunftsträchtig, originell und innovativ zu sein. Der Ansicht bin ich heute noch. Bei beiden Themen konnte ich zudem einen praktischen Zugang und solide theoretische Vorkenntnisse vorweisen. Folgerichtig meldete ich als Thema meines Vertiefungsgebietes „Erlebnisraum Stadt. Chancen urbaner Erlebnispädagogik in der Sozialen Arbeit“ an; die später zu erfolgende Meldung des Hausarbeitsthemas „Das Internet als Medium und Inhalt Sozialer Gruppenarbeit mit älteren und alten Menschen“ schien reine Formsache. Im Herbst letzten Jahres setzten dann auf dem Hintergrund meines dritten PraktikumsI Überlegungen hinsichtlich des Anerkennungsjahres (Berufspraktikum) ein. Klares Kriterium für die Auswahl des Berufspraktikums sollte die Chance zur Übernahme in ein festes Arbeitsverhältnis sein. Angesichts der immer enger werdenden Spielräume öffentlicher Kassen schien mir das im Bereich der Erwachsenenbildung/Altenbildung nicht gewährleistet. Da die Hausarbeit aber inhaltlich auf die erwartete Themenstellung des Anerkennungsjahres fokussiert werden sollte, zur Vorbereitung und Profilierung, war das geplante Thema vom Tisch. Die Überlegungen, nicht auf den Bildungsbereich zu setzen, sondern stattdessen im Bereich Stadtverwaltung mein berufliches Heil zu suchen, verdichteten sich. Bei der Auseinandersetzung mit dem Haushaltsplanentwurf 2002 der Stadt Castrop-Rauxel, in deren Rat der Stadt ich die Ehre und Freude habe, gewählt zu sein, sprang mir die Finanznot der StädteII, die ja an der Finanzierung von Maßnahmen der freien Träger unmittelbar beteiligt sind, nochmals eklatant ins Auge. Und es war klar, dass diese finanziellen Einbrüche nicht nur erhebliche Auswirkungen für das Engagement der Stadt selbst zeitigen, sondern auch an die freien Träger weitergereicht werden würden und insgesamt an der für die Lebensqualität in der Stadt entscheidenden I Das dritte Praktikum absolvierte ich beim Referat für gesellschaftliche Verantwortung der Vereinigten Kirchenkreise Dortmund und Lünen (VKK) im Bereich Erwachsenenbildung mit Schwerpunkt Altenbildung. Vgl. den entsprechenden Bericht Wegner 2001A. II Castrop-Rauxel kann als Beispiel dienen, um die finanzielle Not der Städte insgesamt und besonders der Ruhrgebietsstädte zu veranschaulichen. Unterschiede finden sich im Detail, nicht in der Tendenz. III sozio-kulturellen Infrastruktur (z.B. Bäder, Kinder- und Jugendfreizeitstätten, Beratungsdienste ...) gerüttelt würde. Die Finanznot der Städte, die gleichsam Ausdruck der Ebbe öffentlicher Kassen insgesamt ist, markiert die eine Seite der Medaille. Die andere Seite wurde mir am Kulturetat der Stadt Castrop-Rauxel deutlich. Das Kulturbüro Castrop-Rauxel verwaltet neben der Stadtbücherei, die sich nach meinem Dafürhalten und eigenem Bekunden problemlos und besser selbst verwalten sollte und dies auch könnte, und neben dem Bürgerhaus vor allem sich selbst. Konkret: Mit ca. 350.000 € Personalkosten wird ein 15.000 € Topf konsumptiver Sachkosten bewegt: Die MitarbeiterInnen vergeben jährlich ca. 15.000 € als Zuschüsse an die kulturtragenden Vereine und beauftragen (in der Praxis einen!) Menschen mit der Durchführung kultureller Veranstaltungen (Vorträge). Die maßgebliche Kulturarbeit in der Stadt leisten das Westfälische Landestheater, die Forum GmbH, freie Initiativen wie etwa der Künstlerbund und Einzelpersonen. Die investiven Maßnahmen werden von anderen Verwaltungsstellen durchgeführt. In der Konsequenz wäre das Kulturbüro entbehrlich und die MitarbeiterInnen könnten in anderen Verwaltungsbereichen eingesetzt werden, die personell unterbesetzt sind,III wenn das Bürgerhaus, die Zuschüsse für die kulturtragenden Vereine und zur Durchführung von Kulturveranstaltungen anderweitig verwaltet werden könnten. Bei den Zuschüssen ist das problemlos machbar, indem sie ganz einfach pauschaliert ausgezahlt und einmal jährlich von der Kämmerei gegengerechnet werden. Bleibt das Bürgerhaus und die Frage, wie es gelingen kann, Menschen vor Ort zu ermutigen und zu befähigen, dieses in Eigenregie zu verwalten und vielleicht sogar, was das Kulturbüro als Verwaltungsstelle nicht realisieren konnte, die Arbeit dort offensiv zu gestalten und auszubauen. Damit stellte sich mir die die Frage, wie angesichts der finanziellen Situation der Städte die sozio-kulturelle Infrastruktur erhalten und sogar durch Optimierung erweitert werden kann, indem den NutzerInnen die Verantwortung übertragen wird. Das schien mir wesentlich eine Frage Sozialer Arbeit zu sein, die nach potentiellen Ressourcen sucht, diese mit den Menschen entdeckt und zur Entfaltung bringt. Und sie müßte dies tun – so meine Überlegungen – mit ihrem gesamten analytischem Instrumentarium und methodischen Repertoire und gerichtet auf alle denkbaren Zielgruppen. Denn es geht ja gerade darum, eben jene Bevölkerungsgruppen aktivierend zu erreichen, die nicht zum III z.B. Ordnungswesen, Rechnungsprüfung, Sozialhilfe, Unterhaltsverfolgung, Wohnungsförderung ..., wo nicht nur Bedarf wäre, sondern es sich auch rechnen würde ... IV kulturbeflissenen, engagierten Bildungsbürgertum gehören, – was etwas Positives ist –, sondern die sozial ausgegrenzt werden und sich sozial ausgrenzen lassen. Im Sinne Sozialer Arbeit wäre die Frage der Aktivierung also zu erweitern. Denn es geht Sozialer Arbeit hier um urbanes Leben insgesamt und speziell um einzelne Lebensentwürfe im Rahmen gelingenden Zusammenlebens in sozialräumlichen Strukturen. Es geht nicht um ein Bürgerhaus. Das wäre nur ein Exempel. Es geht Sozialer Arbeit in der Stadt um das Menschenrecht auf selbstbestimmtes und gestaltetes Leben des Einzelnen in seinen (Bezugs-) Gruppen im Horizont des Gemeinwesens. Das ist – kursiv nachgezeichnet – sozusagen mein doppelter Zugang zur Aufgaben-stellung dieser Arbeit: der eines kommunal(politisch) engagierten Sozialarbeiters (in spe). Und da ist noch ein dritter Zugang: der eines Christen. Als solcher weiß ich um die den biblischen Auftrag und die Verheißung „Suchet der Stadt Bestes, ... denn wenn es ihr wohlgeht, so geht es euch auch wohl.“ (Jeremia 29, 7) Und trotz des professionell gebotenen Realismus habe ich auch den Trost der Vision des himmlischen Jerusalem (vgl. Apokalypse 21f) Und zur Bodenständigkeit verhilft mir nicht zuletzt die katholische Soziallehre eines Oswald Nell-Breuning; und ich schäme mich als evangelischer Christ nicht, diese anzuerkennen. Denn sie sieht den einzelnen Menschen als Träger unveräußerlicher Rechte in seinen sozialen Bezügen, die erst den ganzen Menschen konstituieren, dessen Personalität menschliches Zusammenleben im Gemeinwesen erst möglich macht. Und sie sieht das Gemeinwesen und das Wohl des Gemeinwesens, setzt es in Beziehung zum Individuum und zum Staat als politische und organisatorische Einheit und Ordnung der Gesellschaft. Dabei wählt sie den Weg der goldenen Mitte, macht ebenso Front gegen ein minimalistisch-liberalistisch entsolidarisierendes Staatsverständnis wie gegen eine allumfassende entsubsidiarisierende Staatsvorstellung. Diesen Weg will ich auch gehen. Georg Wegner, 24.03.2002 1 1. Einleitung Der Titel der hier vorgelegten Arbeit „Neue Ansätze Sozialer Arbeit in Kommune“ ist zunächst vage und offen. Immerhin: Es geht zunächst um Neues. Zu diesem Zweck wird im Verlauf der Arbeit immer wieder „Altes“ referiert, um das (vermeintlich) Neue damit zu hinterlegen und zu hinterfragen, ob denn das Neue vielleicht nur neu etikettiert wird, alter Wein in neuen Schläuchen verkauft wird, was denn wirklich neu im Sinne von innovativ ist. Dabei wird es wesentlich um qualitative Fragen gehen, denn – plakativ gesprochen –: Nicht alles, was gut ist, ist neu und nicht alles, was neu ist, ist gut. Und es geht um Ansätze. Das klingt zunächst recht theoretisch und ich sehe die Arbeit schon dem Vorwurf der Theorielastigkeit ausgesetzt. Diesem Vorwurf möchte ich hier begegnen und grundsätzlich den engen Zusammenhang von Theorie und Praxis festhalten: Ohne Theorie ist die Praxis aktionistisch und betriebsblind. Umgekehrt gilt: Ohne Praxis läuft die Theorie ins Leere und ist wirkungslos. Allerdings lässt sich Theoretisches oftmals besser zu Papier bringen und systematisieren. Sprachliche Verwirrung um den semantischen Gehalt von Fachbegriffen lässt sich entwirren. Die Praxis ist vielschichtiger, vielgestaltiger und unvorhersehbarer. Der Augenblick – im wahrsten, aber nicht umfassenden Wortsinn – der Kontaktaufnahme mit dem Klienten oder der Kooperationspartnerin enthält so viele Elemente von Kommunikation und Interaktion,1 dass die kommunikative Situation zwar analysiert werden kann; die Schönheit eines charmanten Lächelns oder das Gefühl einer rüden Abfuhr lässt sich nur schwerlich versprachlichen. Und dennoch wäre die qualitativ-inhaltliche Füllung dieser Strukturkategorien von Kommunikation eine zutiefst praktische Angelegenheit – allerdings im theoretischen Gewand. So sind auch die vermeintlich theoretischen Abschnitte dieser Arbeit (vgl. 2. – 6.) in Hinsicht auf Ursache und Wirkung immer praktisch zu verstehen und der praktische Teil (7.) nur durch die Theorie nachvollziehbar. Theorie und Praxis sind untrennbar miteinander verwoben, ergänzen sich, kritisieren sich und entwickeln sich so weiter. Bei einer interdisziplinären Handlungswissenschaft wie der Sozialen Arbeit liegt dies nahe. Denn es geht in dieser Arbeit vor allem um neue Ansätze dezidiert der Sozialen Arbeit. Und da geht es immer um Theorie und Praxis, Praxis und Theorie. Denn wenn SozialarbeiterInnen 1 Nämlich neben der sprachlichen Botschaft und ihrer Anatomie, differenziert in Aspekte von Sachinhalt, Selbstoffenbarung, Beziehung und Appell, einen bestimmten Kommunikationsstil, eine begleitende Mimik und Gestik und noch andere optische, akustische und olfaktorische Reize. Interaktion hängt ab von der Rezeption des Gesamteindrucks bei dem/der EmpfängerIn,. Zum Gesamtkunstwerk Kommunikation vgl. Schulz von Thun 2001 und 2000. Randbemerkung: Auch in dieser Arbeit wähle ich die beide Geschlechter inkludierende Schreibweise mit dem großen I. 2 „spezialisierte GeneralistInnen“2 und mithin „soziale ErfinderInnen von sozialen Problemlösungen unter schwierigen gesellschaftlichen Bedingungen“3 sind, dann wird es immer darum gehen, ein theoretisches, problembezogenes Analyseinstrumentarium mit einem praktischen Lösungsinstrumentarium zu verbinden und umzusetzen. Soziale Arbeit verbindet so Gegenstandswissen (Frage nach dem „Was?“), Erklärungswissen (Frage nach dem „Warum?“), Wert- oder Kriterienwissen (Frage nach dem „Woraufhin?“) mit dem Verfahrenswissen (Frage nach dem „Wie?“) und überprüft den Problemlösungsprozess immer wieder mit dem Evaluationswissen (Frage nach dem neuen „Was?“), setzt den Arbeitsprozess so neuerlich und ggf. modifiziert in Gang.4 Aus diesen fünf Wissensdimensionen der Handlungstheorie wird dann „... ein professionelles Handlungsmodell in einzelnen miteinander verbundenen Arbeitsschritten, das die spezifischen Anforderungen der ausgemachten sozialen Problematik normativ ethisch und konkret methodisch berücksichtigt ...“.5 Oder es wird die hermeneutisch entschlüsselte „Lebenswelt“ bzw. der „Alltag“ der Menschen zum Ansatzpunkt sozialarbeiterischen Handelns, das genau dort die Potentiale von Hilfe zur Selbsthilfe ausmacht und realisiert. Erst dann trägt Soziale Arbeit zu einem gelingenderen Alltag bei, wenn es gelingt, „... vorhandene Kompetenzen zum Handeln im Kontext gegebener Alltagserfahrungen aufzugreifen und einzubeziehen und – ebenso – aus seinen eigenen produktiven Möglichkeiten heraus Lernprozesse zu initiieren, Alltag zu strukturieren, aufzuklären und zu verbessern.“6 Damit wäre auch der Gefahr einer kolonialisierenden Fremdbestimmung der Lebenswelt eine wirksame Schranke gesetzt.7 Oder die Verbindung von hermeneutischen und praktischen Aufgaben in einem ökosozialsystemischen Modell Sozialer Arbeit, wo die sozialräumliche Ökologie des „Mit-einanderlebens“ ein methodisch gestaltetes „Selbstmanagement“, „Einflußmanagement“ und „Unterstützungsmanagement“ in Hinsicht auf „Nischen und Kompetenzen“, „Ressourcen“, „Bewältigung“, „Unterstützung“ und „Vernetzung“ erfordert.8 Alle drei hier kurz angerissenen Ansätze Sozialer Arbeit verbinden Theorie und Praxis zur Symbiose einer Menschenrechts- und Gerechtigkeitsprofession, die „... ihre Verpflichtung zur Solidarität mit den Leidenden ... nicht aufgeben kann, ohne ihren Berufsinhalt aufzugeben.“9 2 Wendt 1990, S. 114 Engelke 1998, S. 377 4 Vgl. Staub-Bernasconi 1986, S. 8f 5 Wegner 2001B, S. 22. Vgl. Staub-Bernasconi 1983 6 Engelke 1998, S. 335 in der Vorstellung des Modells Sozialer Arbeit von Hans Thiersch. 7 Vgl. Thiersch/Rauschenbach 1987, S. 1007 8 Vgl. Wendt 1990, S. 21-78 und die Zusammenfassung bei Engelke 1998, S. 355ff 9 Engelke 1998, S. 380 3 3 Und alle drei Ansätze integrieren die drei klassischen Methoden Sozialer Arbeit, nämlich Soziale Einzelhilfe, Soziale Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit und nutzen die Synergien dieser Methodenintegration: Einzelhilfe und Gruppenarbeit zeigen Wirkung im Gemeinwesen. Gemeinwesenarbeit wirkt befähigend für den Einzelnen und in seinem Umgang mit seinen (Bezugs-)Gruppen. Zielgruppe der Sozialen Arbeit sind nicht nur die sozial Marginalisierten, die die Probleme hautnah erfahren, sondern alle Menschen, die die jeweilige Lebenswelt beeinflussen. Denn zum gerechten Ausgleich von Ausstattungs-, Austausch-, Macht- und Kriterienproblemen sind alle Beteiligten heranzuziehen.10 Allerdings wäre diese Arbeit trotz der engen Verbindung von Theorie und Praxis in den drei genannten Modellen Sozialer Arbeit wohl wirklich zu theorielastig, würde sie diese hier angemessen darstellen. Das ist nicht der Fall: Die Modelle von Silvia Staub-Bernasconi, Hans Thiersch und Wolf Rainer Wendt sind sozusagen gedanklich hinterlegt und werden nicht weiter entfaltet. Dafür sind die Methoden Sozialer Arbeit, die auch unter das Wort „Ansätze“ im Titel der Arbeit zu subsumieren sind, hier näher betrachtet. Dabei liegt der Schwerpunkt auf sozialräumlichen Methoden und Konzepten, die allerdings auch den einzelnen Menschen – allerdings in seinen sozialen Bezügen – vor Augen haben. Denn schließlich geht es um Soziale Arbeit in der Kommune. Und damit ist die hier gemeinte Soziale Arbeit in Hinsicht auf ihren Ausgangspunkt institutionell verortet und gleichzeitig ihr Ziel bestimmt, denn die Gemeinde ist gem. § 1 I GO-NW die Grundlage des demokratischen Staatsaufbaus und damit Gewährleisterin des Grundgesetzes und besonders der Grundrechte aus Art. 1-19 GG. Als Institution fördert die Gemeindeverwaltung das Wohl ihrer Einwohner gem. § 1 I GO-NW. Damit ist der vage und offene Titel der Arbeit insgesamt etwas schärfer konturiert. Es geht in dieser Arbeit um die sozialarbeiterischen Handlungsmöglichkeiten in der Institution Gemeindeverwaltung in Hinsicht auf besonders dringliche soziale Probleme, die sozialräumlich begriffen werden können. Diese werden im Duktus der Arbeit grundsätzlich und exemplarisch dargestellt. Die Arbeit beginnt mit einer skizzenhaften Standortbestimmung und einer dreifachen Problem- bzw. Krisenanzeige: der Krise des Sozialstaates, der Krise der sozialen Stadt und der Krise der Sozialen Arbeit (vgl. 2). Dabei kommen implizit auch die analytischen Instrumentarien der o.g. Theorien Sozialer Arbeit zur Anwendung. Von hier aus wird die Soziale Arbeit in ihrer institutionellen Einbindung in die Strukturen von Stadtverwaltung betrachtet (vgl. 3). Dabei wird auch auf den besonderen Konflikt der 10 Vgl. Staub-Bernasconi 1994. S. 14ff 4 SozialarbeiterInnen abgehoben, die einerseits ihrem Berufsethos und damit den Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit und ihren KlientInnen und andererseits der Institution Stadtverwaltung mit mindestens partiell anderen Interessen verpflichtet sind. Unter 4. wendet sich der Blick zur Katholischen Soziallehre und versucht, das Subsidiaritätsprinzip für die Beantwortung der in der aktuellen Sozialstaatsdebatte wesentlichen Frage „Was muss der Staat leisten, was kann man den Individuen zumuten und was kann man dem Markt überlassen?“11 heranzuziehen. Die Entwicklungslinien der Verwaltungsmodernisierung nach innen und außen werden unter 5. thematisiert. Dabei kommt neben den neuen Steuerungsmodellen vor allem der Förderung des BürgerInnenengagements auch auf dem Hintergrund des internationalen Jahres des Ehrenamtes der UN in 2001 besondere Bedeutung zu. Punkt 6 der Arbeit ist als Synopse der Instrumente Sozialer Arbeit angelegt. Den Schwerpunkt bilden die neueren methodischen Ansätze und dort besonders methodenintegrative sozialräumliche Konzepte, die allerdings ohne die Trinität der klassischen Methoden gar nicht gedacht werden können. Enthielten die vorangegangen Punkte der Arbeit implizit Hinweise für die Praxis, sollen diese nun explizit und gebündelt unter Punkt 7 entfaltet werden. Dies geschieht exemplarisch an einem nicht ganz fiktiven Ortsteil im Ruhrgebiet, wobei die „Fiktion“ so deutliche Realitätsbezüge aufweisen soll, dass mindestens lokal Eingeweihte den Ortsteil erkennen können sollen bzw. in dem dargestellten Ort die eigene Heimat ein Stückchen wiedererkennen. Alles in allem ist diese Arbeit ein Torso und als solcher nicht schon eine Venus von Milo. Aber vielleicht macht sie ja Lust auf mehr – wie die Venus von Milo ... 11 Müller/Reinl 1997, S. 9 5 2. Standortbestimmung Soziale Probleme entstehen nicht im luftleeren Raum. Und Soziale Arbeit „... als einzige Profession, die die Lösung sozialer Probleme zum Auftrag hat.“12 muss sich die Ursachenkomplexe dieser vor Augen führen, will sie wirksam gegensteuern. Von daher sind zunächst die Rahmenbedingungen, unter denen Soziale Arbeit operiert, beachtlich. Auf der gesamtgesellschaftlichen und staatlichen Ebene sind drei Stichworte hervorzuheben: ökonomischer Umbruch, Abbau bzw. „Umbau“ sozialer Leistungen und Wertewandel. Diese Grundphänomene wirken selbstredend auch auf kommunaler Ebene, wobei bestimmte Städte noch mit zusätzlichen negativen strukturellen Bedingungen und sozialen und demoskopischen Trends zu kämpfen haben. Und selbstredend machen der umfassende Wertewandel und die Krise der öffentlichen Finanzen nicht vor der Sozialen Arbeit halt. Wenn hier von Krisen im Sinne von Entscheidungssituationen einer (gefährlichen) Entwicklung die Rede ist, dann ist dies teilweise schon eine historische Retrospektive, weil die Entscheidungen längst gefallen sind. Allerdings ist es kein hoffnungsloser „Blick zurück im Zorn“. 2.1 Zur Krise des Sozialstaates In den letzten ca. 20 Jahren hat – ausgehend von den entwickelten Industriestaaten13 – weltweit ein ökonomischer Umbruch stattgefunden, der vier zentrale Tendenzen aufweist: Internationalisierung von Produktion und Kapitalverwertung, Flexibilität von Produktion und Arbeitsmarkt, Polarisierung von Beschäftigungsstrukturen (1., 2. 3. Arbeitsmarkt, Erwerbslosigkeit), Krise und Rücknahme des staatlichen Geltungsanspruchs (Deregulierung, Kompetenzstreuung).14 Auf diesem – mit dem Stichwort „Globalisierung“ bezeichneten – ökonomischen Hintergrundszenario realisieren sich weitere soziale, politische und ökonomische Umbrüche: Es entstehen neue Quellen sozialer Ungleichheit und „neue Armut“,15 „... sozialstrukturelle Veränderungen, die mit den Begriffen Differenzierung des Lebenslaufs und Pluralisierung der 12 Elsen 1999, S. 284 Die entwickelten Industriestaaten befinden sich darüber hinaus in einer postindustriellen Strukturkrise im Übergang zu einer Dienstleistungsgesellschaft, die besonders in den alten Industriestandorten erhebliche Probleme bereitete und noch bereitet. Vgl. Eckardt 2001, S. 32f 14 Dabei entfernt sich das ökonomische System im Grundsatz von seiner ursprünglichen Aufgabe, nämlich das materielle (Über-)Leben der Menschen zu sichern und assimiliert aufgrund seiner geballten Macht die ökologischen, kulturellen und sozialen Subsysteme in seine Verwertungslogik. Das Ergebnis ist u.a., dass am Anfang des neuen Jahrtausends nur noch 1/5 der Weltbevölkerung gebraucht würde, um das Weltwirtschaftssystem reibungslos laufen zu lassen. Vgl. Martin/Schumann 1996, S. 12. Diese Entwicklung fordert auch aus sozialarbeiterischer Perspektive Gegenreden heraus. Vgl. dazu Staub-Bernasconi 1991 in der Zusammenfassung bei Wegner 2001A, S.38-42 15 Der Begriff „neue Armut“ geht zurück auf Heiner Geißler. Traditionelle schichtspezifische Ursachen von Armut haben an Bedeutung verloren; neue lebenslagenspezifische Ursachen sind virulent geworden. Allerdings ist dieser Ansatz nicht unumstritten. Vgl. Werner 1997, S. 267ff 13 6 Lebensstile sowie der Individualisierung zusammengefasst werden“16 und die mit der Erosion tradierter Bindungssysteme zusammenfallen.17 Damit einher geht ein normativer Paradigmenwechsel, der teilweise für die auftretenden moralischen Phänomene der Postmoderne, nämlich für „... inflationäres Anspruchsdenken, für Tendenzen zur Ellenbogengesellschaft, eine einseitige Spaß- und Freizeitorientierung, einen Verlust moralischer Standards, ausufernden Individualismus und Privatismus wie auch für eine allgemeine Erosion des Gemeinsinns“18 verantwortlich gemacht wird.19 Über diese globale bzw. internationale ökonomische und soziale Entwicklung und durch das bundesdeutsche Spezifikum der Wiedervereinigung mit den hohen finanziellen Belastungen für die öffentliche Hand wird über die Zukunft des Sozialstaates diskutiert und wird der Status quo kritisiert. Der Sozialstaat sei nicht länger finanzierbar, er ersticke die Eigenverantwortung, beflügele ein gewisse „Vollkaskomentalität“, die Überbetonung des Sozialen gefährde die Soziale Marktwirtschaft insgesamt. Andere kritische Stimmen heben vor allem auf die Untauglichkeit seiner Hilfsmittel ab, die die Armen arm bleiben ließen.20 Fakt ist, dass der Umbau des Sozialstaates, der sich wesentlich als Abbau staatlicher Leistungen darstellt, längst im Gange ist.21 Und in der Tendenz werden immer mehr Leistungen des Bundes und der Länder auf die Kommunen verlagert, die solcherart und durch den eigenen Strukturwandel und fiskalische Einbrüche belastet, dann noch als Hoffnungsträger der Reform des Sozialstaates gehandelt werden.22 2.2 Zur Krise der sozialen Stadt Städte als Spiegelbild der gesellschaftlichen Entwicklung, als Bühne, auf der lokale und globale Akteure operieren: zwei Metaphern dafür, dass sich das Große als gesamtgesellschaftliches Geschehen im Kleinen – im Kommunalen – abbilden lässt.23 Tatsächlich sind die deutschen Großstädte insgesamt und die Städte mit vormaliger industrieller Monostruktur – wie etwa das Ruhrgebiet (Kohle und Stahl) – einem 16 Rommelspacher 2001, S. 10. Zur Individualisierung mit der Folge sozialer Desintegration und den sozialen Grundkrisen hinsichtlich Struktur, Regulation und Kohäsion vgl. Heitmeyer 1997, S. 11f 17 Tradierte Bindungssyssteme sind Institutionen wie Kirchen, Gewerkschaften, Vereine und vor allem die Familie. Zur Familie vgl. besonders Nave-Herz 1994, S. 3ff 18 Hepp 2001, S. 32 19 Darüber hinaus wird er teilweise optimistisch als große Chance gedeutet, teilweise kulturpessimistisch verdammt. Auch Mittelwege werden beschritten. Vgl. Hepp 2001, S. 31 20 Vgl. Maier/Zandonella 2001, S. 3 21 Vgl. u.a. die aktuellen Rentendebatten. In der Tendenz kommt es hier auch auf dem Hintergrund der demoskopischen Entwicklung (und im Sektor Versicherung des sozialen Sicherungssystems insgesamt) zur deutlichen Aufwertung des Prinzips des Eigenvorsorge. Im Sektor Fürsorge (u.a. BSHG) werden die staatlichen Leistungen seit Jahren sukzessive abgebaut. Vgl. Krahmer 1998, RN 3 und exemplarisch Wegner 2002, S. 12ff 22 Zur Belastung der Kommunen vgl. Munier 2000. Städte als Hoffnungsträger s. Stolterfoht 2002 23 Vgl. Eckardt 2001, S. 31 7 sozioökonomischen und sozialräumlichen Strukturwandel unterworfen, dessen Folgen als „... Prozesse der sozialräumlichen Konzentration von ökonomisch marginalisierten Gruppen beschrieben ...“24 werden. Dabei wird nicht bloß auf individuell wachsende Armut25 und soziale Deprivation abgehoben, sondern vielmehr auf Strukturen neuer Ungleichheit durch soziale Ausgrenzung, verstanden als Prozess, „... indem Individuen oder Haushalte sich von den durchschnittlichen gesellschaftlichen Standards entfernen bzw. entfernt werden: in ökonomischer Hinsicht, indem sie keinen Zutritt zum Arbeitsmarkt mehr finden; in institutioneller Hinsicht, indem sich zwischen ihnen und den politischen bzw. sozialstaatlichen Institutionen unüberwindliche Schranken aufbauen; in kultureller Hinsicht, wenn Stigmatisierung und Diskriminierung zum Verlust des Selbstwertgefühls und zum Verlust der moralischen Qualifikation führen, die für ein integriertes Leben Voraussetzung sind; und schließlich in sozialer Hinsicht, wenn durch soziale Isolation und das Leben in einem geschlossenen Milieu die Brücken zur `normalen´ Gesellschaft verloren gegangen sind.“26 Dabei bedingen sich subjektive, sozusagen reaktive Elemente der Isolation (Abkopplung: Resignation, Apathie, Rückzug) und eine beginnende räumliche Ausgrenzung (Stigmatisierung der Wohnviertel) und schaukeln sich sukzessive zur verstärkten sozialen Segregation mit der Gefahr sozialer Desintegration hoch.27 Das Wegbrechen klassischer Industriearbeitsplätze, die Finanznot der Kommunen und der Exodus des Staates (und der Kommunen) aus dem sozialen Wohnungsbau sind Bedingungen und Verstärker dieser Entwicklung zur neuen Armut und zur „sozio-ökonomischen Polarisierung“28, die sich in den Städten als soziale Segregation verräumlicht, indem die Stadtteile in Hinsicht auf die soziale Struktur ihrer BewohnerInnen immer homogener werden.29 Von sich aus ist dieser Prozess als „kumulative Abwärtsentwicklung“30 von der sozialen Ungleichheit zu sozialräumlicher Segregation und sozialer Selektion nicht zu stoppen. Es stellt sich hier die Frage, wie die Städte der wachsenden Armut in ihnen begegnen können. Die Armut in den Städten führt durch die traditionelle Form der Finanzausstattung auch zur wachsenden Armut der Städte selbst und das Problem der wachsenden Armut in den Städten 24 Häußermann 2000, S. 13 Immerhin 20% der Großstadtbevölkerung sind einkommensarm: Sie verfügen über weniger als die Hälfte des durchschnittlich in der BRD erzielten Einkommens. Vgl. zur Armut Andreß 1999 26 Häußermann 2000, S. 13 27 Vgl. Häußermann 2000, S. 14 und Oelschlägel 2001, S. 22 28 Vgl. Dangschat 1997 29 Vgl. die „selektive Mobilität“ (Häußermann 2000, S. 15f) in der Abwanderung der besserverdienenden RuhrpottlerInnen ins Münsterland und das Gefälle zwischen Dortmunder Norden und Süden, die für sich genommen sozial recht homogen sind ... 30 Häußermann 2000, S. 17: „Fahrstuhleffekt“ abwärts ... 25 8 hat sich lokal vor allem als finanzielle Krise des kommunalen Sozialstaates niedergeschlagen.31 Im Zentrum der strukturpolitischen Bemühungen der Städte stehen Maßnahmen der Wirtschaftsförderung zur lokalen Arbeitsplatzentwicklung und zur Sanierung der kommunalen Haushalte insbesondere durch die Reduktion staatlicher Aufgaben (Abbau, Privatisierung) und die Erhöhung der Effizienz und Effektivität der eigenen Verwaltung. Und das bedeutet unzweifelhaft in der Tendenz den Abbau sozialer Leistungen durch rigide – und teilweise rechtswidrige – Vergabe bzw. Nichtvergabe etwa von Leistungen nach dem BSHG und den Rückbau der sozio-kulturellen Infrastruktur. De facto wird die Armut lediglich verwaltet und damit indirekt forciert. Die unzweifelhaft in den „Kulturen der Armut“32 angelegten Selbsthilfepotentiale bleiben so unentwickelt. An dieser Stelle setzen neben vereinzelten kommunalen Aktivitäten ambitionierte Bundesund Landesprogramme auf kommunaler Ebene an, die zunächst durch begriffliche Vielfalt verwirren33 und doch etliches gemeinsam haben: Sie setzen interdisziplinär und -professionell in den segregierten Sozialräumen an, sehen keine Sozialfälle, sondern entwickelbare Sozialräume mit Menschen und deren Ressourcen und wollen entdecken helfen, dass Stadtluft immer noch frei machen kann. 2.3 Zur Krise der Sozialen Arbeit Die quantitative Entwicklung sozialpflegerischer Berufe im 20. Jahrhundert und die qualitativen theoretischen wie methodisch-praktischen Errungenschaften Sozialer Arbeit machen es zunächst schwer, von einer Krise Sozialer Arbeit zu sprechen.34 Tatsächlich lässt sich die Krise der Sozialen Arbeit wesentlich als Krise der SozialarbeiterInnen darstellen.35 Allerdings ist Soziale Arbeit darüber hinaus aufgrund der Heterogenität ihrer Arbeitsbereiche unterschiedlicher Kritik ausgesetzt. Im pädagogisch-therapeutischen Feld mit seiner Tendenz zu immer weiterer Differenzierung der KlientInnen nach Zielgruppen lassen sich vier Grundlinien der Kritik ausmachen: Die sozial-konservative Kritik wehrt sich aus grundsätzlichen und finanziellen Erwägungen gegen Versuche, traditionelle Hilfssystem 31 Vgl. Alisch 2001, S. 8 mit Bezug auf Hanesch 1997. Der Höhepunkt der kommunalen Finanzkrise ist noch nicht erreicht. Vgl. Städtetag NW 2002, S. 83-93 32 Vgl. Preußer 1989 33 Vgl. die Programmnamen „Armutsbekämpfung“, „Revitalisierung“, „Stadtteilerneuerung“, „soziale Stadterneuerung“, „Wohnen in Nachbarschaften“, „Soziale Stadt“ in Rothschuh 2001, S. 33 34 Zur Quantität vgl. Hering/Münchmeier 2000, S. 233; zur Qualität Engelke 1998 und Galuske 2001 35 Vgl. dazu Ackermann 2000 und die summarische Skizze in Wegner 2001B, S. 23-29 9 (Familie, Nachbarschaft) ersetzen zu wollen. Soziale Arbeit könne nur ein unvollkommener Ersatz sein. Das grün-alternative Spektrum wehrt sich gegen die vermeintliche Klientelisierung der Menschen und setzt stattdessen auf differenzierte Systeme von Selbsthilfe. Das gewerkschaftliche Lager fordert eine verstärkte Zuwendung zu den materiellen Ursachen sozialer Not und eine partielle Abkehr von Beziehungsarbeit und Therapie. Aus der Ecke neoliberaler Ökonomen ertönt schließlich der Ruf nach mehr Konkurrenz, mehr Markt und nach Effizienz- und Effektivitätsnachweisen im Bereich des Sozialen.36 Trotz ausgemachter Zuwachsraten gerade im pädagogisch-therapeutischen Bereich erhielt die Soziale Arbeit „... seit den 80er Jahren den Charakter einer sozialen Infrastruktur der Lebensbewältigung und wird stärker einem sozialpolitischen (statt sozialpädagogischem) Steuerungsmodus unterworfen.“37 In diesem Rahmen verengten sich die Handlungsspielräume auf dem Hintergrund der monetären Krise des Umbaus der Arbeitswelt zur Dienstleistungsgesellschaft nach und nach immer deutlicher und die Forderung nach einer betriebswirtschaftlichen Überprüfung Sozialer Arbeit wird immer lauter. Mindestens insofern ist Soziale Arbeit selbst vom sozialstaatlichen Wandel direkt betroffen und gerät sukzessive in Erklärungsnotstand. Diesem kann sie aber innerhalb der ökonomischen Logik in doppelter Weise und zum eigenen Gewinn entgehen. Sie macht aus der Not eine Tugend, indem sie ihren Nutzen mit betriebswirtschaftlichen Instrumentarien (volkswirtschaftlich) begründet.38 Und sie kann gezielt bestimmte Elemente der Betriebswirtschaft zur Optimierung ihres Schaffens – auch im Sinne der KlientInnen – integrieren.39 Schließlich kann sie ein ausgemacht ökonomisches Profil zeigen, indem sie im Rahmen sozialräumlicher Sozialarbeit neue Marktchancen entdeckt und bestimmte Marktnischen entwickelt, die bis dahin ökonomisches Brachland waren. 36 Vgl. Maier 1995, S. 11ff Hering/Münchmeier 2000, S. 231. Zur Beschäftigungsstatistik vgl. Maier 1995, S. 11 38 Zur ökonomischen Messbarkeit Sozialer Arbeit vgl. Schöder 2000 39 Vgl. Gehrmann 1999 und Knorr 1999 37 10 3. Soziale Arbeit und kommunale Verwaltung Kurz nach der Einrichtung der Studiengänge Sozialarbeit und -pädagogik an den neu gegründeten FHs, als die ersten dort ausgebildeten SozialarbeiterInnen in der Praxis u.a. bei kommunalen Anstellungsträgern Fuß fassen, greift der Gesamtvorstand der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände die Ausbildung und Verwendbarkeit des sozialarbeiterischen Nachwuchses massiv an. In seiner Entschließung von 1976 „... wird unter anderem kritisiert, daß die AbsolventInnen zu theoretisch und nicht ausreichend auf ihren praktischen Beruf vorbereitet würden, sie falsche Vorstellungen und Auffassungen von den Pflichten, der Haltung und der Loyalität eines Mitarbeiters in der kommunalen Selbstverwaltung hätten, sie in ihrer Behörde Konflikte verursachen statt lösen würden.“40 Darüber hinaus gerieten sie auch in Konflikte zu ihren KlientInnen und ihnen fehlten die notwendigen Verwaltungs- und Rechtskenntnisse.41 Das letztere Versäumnis – fehlende Rechts- und Verwaltungskenntnisse – ist auf der curricularen Ebene längst geheilt und die Fächer Recht und Verwaltungslehre gehören obligatorisch zum Studium der Sozialen Arbeit.42 Unstrittig – im professionstheoretischen Diskurs – ist auch, dass administrative, rechtliche, fiskalische und politische Aspekte integrativ zum Handwerkszeug Sozialer Arbeit dazugehören, weil die Kenntnis der Handlungs- und Entscheidungsstrukturen Grundbedingung dafür ist, überhaupt wirksame Entscheidungen treffen zu können. Zudem helfen sie, unnötige Reibungsverluste zu vermeiden. Dennoch ist die Gefahr eines strukturellen Rollenkonflikts zwischen dem fachlich Gebotenen und dem administrativ Angesagten virulent, denn die berufsethischen Interessen Sozialer Arbeit sind nicht immer deckungsgleich mit den Interessen der Verwaltung, zumal sich die fachlichen Spielräume im Zuge der oben skizzierten (monetären) Krise der öffentlichen Hand verengen. Auch hier ist sehr hilfreich, wenn sich SozialarbeiterInnen innerhalb des Systemlogik argumentativ bewegen können, etwa in dem der Nachweis gelingt, dass eine bestimmte Maßnahme zwar den Haushalt aktuell be- aber zukünftig entlastet, sich die Kosten folglich amortisieren, oder Dritte zur Finanzierung herangezogen werden können. Dafür sind umfangreiche Kenntnisse des Systems Verwaltung erforderlich. Und zuweilen sind auch Kenntnisse des „kleinen Dienstweges“ bzw. informeller Machtstrukturen ausgesprochen hilfreich. 40 Engelke 1998, S. 325 Vgl. Kulbach/Wohlfahrt 1994, S. 12 42 Vgl. Wegner 2001B, S. 73 41 11 3.1 Grundlagen der Verwaltung: eine Skizze Grundlage allen Verwaltungshandelns der Kommune sind die Gesetze u.ä. der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Rechtsstaat: „Das Grundgesetzes“ 43 Rechtstaatsprinzip ist eines der elementarsten Prinzipien des und gem. Art. 20 III sind Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden. Weitere Bestimmungen, die das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit qualifizieren, sind u.a. die Grundrechte aus Art. 1-19 GG, die Rechtsweggarantie gem. Art. 19 IV GG, die Verfassungsgerichtsbarkeit gem. Art. 92-94 GG, die Rechtsstellung der Richter gem. Art. 97f GG und der Grundsatz der Gewaltenteilung aus Art. 20 II GG.44 Die Verwaltung ist als Teil der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht gem. Art. 20 III gebunden. Das bedeutet auch, dass jede Maßnamhe der Verwaltung mit Recht und Gesetz übereinstimmen muss. Außerdem gelten die Grundsätze der Zweckmäßigkeit, der Verhältnismäßigkeit und der Gleichheitsgrundsatz. Schließlich ist die Hierarchie der Rechtsvorschriften beachtlich.45 Die kommunale Selbstverwaltung ist in Art. 28 II GG gewährleistet, wonach die Kommunen das Recht haben, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich im Rahmen der Gesetze zu regeln. Danach bilden die Gemeinden als mittelbare Staatsverwaltung46 die untere Verwaltungsebene des Staates, allerdings mit der Besonderheit, dass ihre Verwaltungstätigkeit durch eine eigene gewählte Vertretung gem. Art 28 I S. 2 GG legitimiert ist. Die kommunale Selbstverwaltung wird vor allem in den fünf klassischen Hoheitsrechten der Gemeinde, nämlich Planungs-, Organisations-, Satzungs-, Personal- und Finanzhoheit manifest. Darüber hinaus sind Kommunen immer dann regelungsbefugt, wenn eine örtliche Aufgabe nicht von anderen wahrgenommen wird. Die praktische Verwaltungstätigkeit umfasst Selbstverwaltungs- und Auftragsangelegenheiten, wobei zwischen freiwilligen und pflichtigen Angelegenheiten zu unterscheiden ist.47 43 BVerfGE 20, 331 Vgl. Wittkämper 1986, S. 432 45 Vgl. Kulbach/Wohlfahrt 1994, S.25ff. So hätte das EU-Recht im Grundsatz Vorrang vor dem GG, dieses vor Bundesgesetzen, diese vor Bundesrechtsverordnungen, diese vor Landesgesetzen usw.. 46 Die öffentliche Verwaltung in der BRD ist zwei staatlichen Ebenen zuzuordnen, nämlich Bundes- und Landesebene. Handeln Bund und Land durch einen eigenen Verwaltungsapparat, ist von unmittelbarer Staatsverwaltung die Rede. Läßt der Staat, hier das Land Nordrhein-Westfalen öffentliche Aufgaben von externen Institutionen – z.B. einer Gemeinde – erfüllen, ist das eine mittelbare Staatsverwaltung. 47 Vgl. Schröder 1994, S. 27ff 44 12 Den unterschiedlichen Verwaltungsaufgaben entspricht die Vielfalt der Arten und Formen des Verwaltungshandelns: Verfügungen, Bescheide, Verordnungen, Satzungen, Verträge, Haushalts- und Schulentwicklungspläne u.a. zeigen das Spektrum an. Auch der interne Dienstbetrieb und seine Regelungen, eine Dienstfahrt und die Reinigung einer Straße sind Verwaltungshandeln. Rechtlich erheblich ist die Unterscheidung von Realakten, die als bloße Tathandlungen nicht auf einen rechtlichen, sondern auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtet sind, und Rechtsakten, bei denen die Handlung auf einen rechtlichen Erfolg zielt. Rechtsakte können privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur sein, sie können im Innenverhältnis oder im Außenverhältnis wirken. Die wichtigste die häufigste Art eines Rechtsakts ist der Verwaltungsakt, der u.a. in § 35 VwVfG und § 31 SGB X normiert ist und dessen Verfahren nach §§ 35ff VwVfG geregelt ist. Zu den Hoheitsrechten der Gemeinde gehört auch die Finanzhoheit, die auf Art. 28 II S. 3 zurückgeht. Allerdings ist die kommunale Finanzhoheit, verstanden als Befugnis zu einer eigenständigen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft, durch bundes- und landesrechtliche Vorgaben in ihrer Reichweite beschränkt. Zwar umfasst sie die Ertragsfreiheit, d.h., dass die Kommunen im Grundsatz über zugewiesene Finanzquellen wie etwa dem kommunalen Anteil an der Einkommenssteuer und Realsteuern (wie etwa Grund- und Gewerbesteuer) frei verfügen können, und die Einnahmehoheit, die die Gemeinden zur Erhebung bestimmter Steuern, sowie von Beiträgen und Gebühren, zur Aufnahme von Krediten und zur Erzielung von Einnahmen aus Wirtschaftsbetrieben berechtigt, aber eben nicht die Besteuerungshoheit. Im Ergebnis ist die Finanzhoheit erheblich eingeschränkt.48 Drastische Einnahmeverluste, wesentlich durch Umverteilungen von Bund und Land auf Kosten der Gemeinden, bei gleichzeitigem Wachsen der Ausgaben lassen die finanziellen Gestaltungsräume der Kommunen immer enger werden. Davon ist die kommunale Selbstverwaltung insgesamt und besonders der Bereich der freiwilligen Leistungen und somit die sozio-kulturelle Infrastruktur betroffen. Und damit stehen etliche originäre Felder Sozialer Arbeit in der Kommune zur Disposition. Hilfreich wäre hier, wenn SozialarbeiterInnen mit kundigen Augen die Finanzstrukturen durchschauen und die kryptisch anmutenden Haushaltspläne lesen könnten, damit für sie die Worte des Kardinals Richelieu nicht gelten: „Der Haushalt ist der Nerv des Staates. Daher muß er den profanen Augen der Untertanen entzogen werden.“ 48 Vgl. Larisch 1994, S. 83f 13 3.2 Strukturen der Verwaltung: ein Umriss Kommunale Strukturen und Hierarchien ergeben sich teils aus gesetzlichen Vorgaben und teils aus der Organisationshoheit der Gemeinden. Seit der am 01.10.1999 in Kraft getretenen neuen Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen (GO-NW) ist die klassische Norddeutsche Ratsverfassung und ihre Doppelspitze aus (Ober)BürgermeisterIn/Landrätin (BM) und (Ober-) StadtdirektorIn bzw. OberkreisdirektorIn abgeschafft und durch eine Bürgermeisterverfassung ersetzt worden.49 Damit steht der/die direkt gewählte BM an der Spitze der weisungsunterworfenen Beigeordneten (BG), die vom Rat der Stadt/Kreistag (Rat) als Wahlbeamte gewählt werden und hat gleichzeitig den Vorsitz über den Rat inne. Die Rechte des Rates sind in den §§ 40ff GO-NW geregelt. Wesentlich ist, dass der Rat insgesamt und grundsätzlich gegenüber der Verwaltung weisungsbefugt ist. Als Beschlußorgan beschließt er insbesondere über den Haushaltsplan und damit über die Verteilung der kommunalen Finanzmasse.50 Die Leitung der Verwaltung obliegt dem/der BM gem. §§ 62ff GO-NW. Zusammen mit den BG bildet er/sie den Verwaltungsvorstand gem. § 70 GO-NW. Die BG leiten Dezernate oder Betriebe, denen die Fachämter bzw. Bereiche zugeordnet werden. So kann ein Sozialdezernat etwa die Schulverwaltung, Gesundheits-, Jugend- und Sozialamt umfassen.51 Die Fachämter sind untergliedert etwa in Abteilungen und diese nochmals in Gruppen mit entsprechenden Amts-, Abteilungs- und GruppenleiterInnen. Neben diesen klar hierarchischen Strukturen, die auch den „Dienstweg“ markieren, ist die Einrichtung von Stabsstellen, ämterübergreifenden Querschnittsstellen und dergleichen im Rahmen der Organisationsfreiheit möglich und teilweise geboten. 3.2.SozialarbeiterInnen in der Kommune: eine Randnotiz SozialarbeiterInnen in kommunalen Diensten sind fast ausschließlich unter dem Dach der Sozialdezernate im Gesundheitsamt, Jugendamt und Sozialamt und dort vorzugsweise auf einer mittleren bis gehobenen Hierarchieebene angesiedelt.52 49 Vgl. Kuhlbach/Wohlfahrt 1994, Schaubilder S. 89, 93 Und daher sind Beziehungen zum Stadtrat ausgesprochen nützlich für SozialarbeiterInnen ... 51 Diesen sind entsprechende Fachausschüsse des Stadtrates zugeordnet. Vgl. Fußnote 50 52 Vgl. Kulbach/Wohlfahrt 1994, S. 95ff mit den entsprechenden Aufgabenbeschreibungen. Vgl. auch die Zuschreibungen bei Zaschke 1994, S. 255ff 50 14 Aus operativen Gründen und wegen der interdisziplinären und interprofessionellen Arbeitsweise sollen die SozialarbeiterInnen im hier vorgestellten Projekt aber in einer dem BM direkt zugeordneten Stabsstelle angesiedelt werden. 15 4. Zum Prinzip der Subsidiarität Die unter der Rubrik Standortbestimmung (2.) skizzierten Krise des Sozialen wird aus neoliberaler Sicht mit einer doppelten These interpretiert: 1. Der Sozialstaat sei so nicht länger finanzierbar und von daher dringend reformbedürftig. 2. Diese Reform müsse entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip, dass der Verankerung der Verantwortung beim Bürger absolute Priorität einräumt, gestaltet werden. Von daher sei das Privatisierungsgebot ins Grundgesetz aufzunehmen.53 Die Anrufung des derlei verstandenen Subsidiaritätsprinzips reizt zum Widerspruch. Lexikalisch scheint das Verständnis gedeckt: „Subsidiarität bedeutet, daß die jeweils kleineren Einheiten (die Familie, die Selbsthilfegruppe, der Orts- oder Stadtteil) zuerst die Zuständigkeit zur Regelung ihrer Angelegenheiten haben. Das ist eine Pflicht ... Zugleich bedeutet Subsidiarität ein Recht ...“54 Tatsächlich aber ist so verstandene Subsidiarität ihres Verständnishorizontes vollständig entkleidet. Denn Subsidiarität ist eines von mindestens drei grundlegenden Sozialprinzipien katholischer Provenienz und christlicher Akzeptanz.55 Personalität, Solidarität und eben Subsidiarität sind die drei Wirkprinzipen, in deren Rahmen sich naturrechtliche bzw. biblische normative Grundsetzungen wie Gerechtigkeit, Friede, Freiheit und Gleichheit entfalten sollen.56 Die Katholische Soziallehre57 wird anthropologisch entwickelt. Der Mensch ist zunächst ein Subjekt, ausgestattet mit individueller Vernunft und freiem Willen. Das ist der Individualaspekt des Menschen.58 Der Mensch steht aber individuell nicht nur für sich, sondern lebt als Gemeinschaftswesen immer schon mit anderen Menschen, wächst in diesen Beziehungen, entwickelt sich intellektuell und emotional und trägt so zur kulturellen Entwicklung des Ganzen bei. Das ist der soziale Aspekt des Menschen. Individualität (Identität) und Sozialität konstituieren untrennbar und gleichgewichtig den Menschen in seiner Personalität;59 dazu tritt die Leiblichkeit und so wird der ganze Mensch, verstanden als untrennbare Einheit von Geist und Leib. Damit ist die Beziehung des Individuums zum Sozialen im Grundsatz konstatiert. 53 Vgl. Lambsdorff 2002 Vgl. Beywl 1994, S. 125 55 Die katholische Herkunft ist wohl unbestritten. Vgl. etwa Kerber 1978. Allerdings findet sie in ihrem Aussagegehalt zunehmend ökumenische Beachtung. Vgl. Für eine Zukunft in Solidarität 1997 56 Die katholische Kirche leitet ihre Soziallehre naturrechtlich rational ab; die evangelische Kirche setzt „christusrechtlich“ beim Gebot der Nächstenliebe an. Zu den drei klassischen Konstruktionselementen der Soziallehre werden teilweise noch das Gemeinwohl und aktuell das Prinzip der Nachhaltigkeit gerechnet. Vgl. Leuninger 2002 57 Zum Ganzen vgl. Nell-Breuning 1980, hier besonders S. 30ff 58 Vgl. dazu neben Nell-Breuning 1980, S. 30ff auch Rich 1984, S. 42ff 54 16 Es erhebt sich die Frage nach der Relation von Gemeinwohl und Einzelwohl. Auch hier gilt: das Gemeinwohl und Einzelwohl ist durch eine unlösliche Wechselbeziehung verbunden: Die Einzelnen haben sich dem Wohl des Ganzen anzunehmen und das Ganze trägt Verantwortung für das Wohl des Einzelnen.60 Damit ist das Solidaritätsprinzip beschrieben: Die Glieder der Gesellschaft sind ebenso verantwortlich für das Wohl der Gesellschaft insgesamt, wie die Gesellschaft insgesamt sich um das Wohl des Einzelnen sorgen muss. Zum Solidaritätsprinzip tritt nun gleichwertig das Subsidiaritätsprinzip: „Was im Dorf geleistet werden kann, das trage man nicht an das große öffentliche Gemeinwesen Staat heran; was im Kreis der Familie erledigt werden kann, damit befasse man nicht die Öffentlichkeit; was man selbst tun kann, damit behellige man nicht andere. Das sind praktische Anwendungsfälle, aus denen unmittelbar abzulesen ist, worum es im Subsidiaritätsprinzip geht. Man kann die Reihenfolge bilden: Selbsthilfe – Nachbarschaftshilfe – Fernhilfe. Alle Vergesellschaftung soll für den Menschen hilfreich sein, das heißt, zu seinem Gemeinwohl beitragen. Nun kommt aber dem Menschen ... nichts anderes so sehr zustatten, wie das eigene Tun, die eigene Leistung, die Selbstbewährung.“61 So ist das Subsidiaritätsprinzip grundsätzlich als Ausführungsprinzip des Solidaritätsprinzips zu verstehen: Wo fremde Hilfe nötig ist, ist Hilfe zur Selbsthilfe der beste Weg. Außerdem entwickelt das Subsidiaritätsprinzip eine Art Hierarchie der Hilfe: Hilfe soll möglichst nah am hilfsbedürftigen Glied realisiert werden, weil solche Hilfe am wenigsten den Charakter der Fremdhilfe trägt und der Selbsthilfe den größtmöglichen Raum lässt. Und das ist selbstredend etwas völlig anderes, als neoliberale Nomenklatur daraus machen möchte. Neoliberal gedeutet wird das Subsidiaritätsprinzip eben nicht in seinem positiven Sinngehalt realisiert, der ggf. die Pflicht zur Hilfeleistung durch die Gemeinschaft postuliert, sondern lediglich negativ als Abwehr gegen Hilfeleistungen der Gesellschaft, des Staates und des Gemeinwesens und zum Ruf nach umfassender Privatisierung instrumentalisiert. Menschenbild und Wirkprinzipien der Katholischen Soziallehre und des Subsidiaritätsprinzips korrespondieren mit denen einer humanistischen Sozialarbeit. Die Gedanken der Hilfe zur Selbsthilfe und einer (sozialräumlich) nahen Hilfe sind Leitgedanken auch neuer Ansätze Sozialer Arbeit in der Kommune. 59 Und das bedeutet eine Absage an Individualismus und Kollektivismus ... Vgl. Rich 1984, S. 45 Vgl. Nell-Breuning 1980, S. 40ff, besonders S. 47 61 Nell-Breuning 1980, S. 48 60 17 5. Entwicklungslinien der Modernisierung Auf dem Hintergrund der skizzierten Krisen des Staates und der Kommunen, die im Ergebnis zur „... dramatischen Zuspitzung der Haushaltssituation ... bei wachsenden Problem- und Bedarfslagen“62 führte, hat seit Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts die Debatte um die Modernisierung des Staates Konjunktur. Im Mittelpunkt stehen vor allem zwei Fragestellungen: 1. Welche Aufgaben kann und soll der Staat zukünftig noch wahrnehmen? 2. In welcher Form sollen diese Aufgaben wahrgenommen werden? Beide Fragestellungen hängen in ihrer Logik eng miteinander zusammen, weil die Antworten auf das „Was tun“ und das „Wie tun“ legitim nur in Absprache mit den BürgerInnen gefunden werden können.63 Dennoch orientierte sich die Praxis vor allem der Kommunen zunächst an internen, betriebswirtschaftlich dominierten, Modernisierungstrends, die sich auf die Organisations-, die Personal- und die Budgetentwicklung konzentrierten.64 Erst später wurden die zweite Frage zum Thema: Unter dem Stichwort „Bürgerbeteiligung“ erleben die partizipativen Bestrebungen der 70er Jahre und auch das Subsidiaritätsprinzip eine neue Aktualität. BürgerInnen werden nicht nur als KundenInnen, sondern auch als PartnerInnen wahrgenommen.65 Beide Linien werden im Folgenden in groben Zügen nachgezeichnet. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der sozialarbeiterisch relevanteren Frage nach dem aktivierenden Staat. 5.1 Binnenmodernisierung der Verwaltung Verwaltungsmodernisierungen sind grundsätzlich fortlaufende Anpassungsprozesse an gesellschaftliche Anforderungen, geänderte (finanzielle) Rahmenbedingungen, technischorganisatorische Möglichkeiten und neue „Philosophien“. Solche Reformbemühungen verdichten sich insbesondere, wenn der Anpassungsdruck steigt und sie verdichten sich dort am stärksten, wo der Anpassungsdruck am größten ist, nämlich bei den Kommunen, die in der politisch-adminstrativen Hackordnung ganz unten stehen.66 Unter dem Leitbegriff des „Neuen Steuerungsmodells“ (NSM) ist die Verwaltungsmodernisierung bei den Kommunen am weitesten fortgeschritten. Obwohl die Entwicklung des NSM und seiner Module nicht abgeschlossen ist, zeichnet sich entlang der 62 Hanesch 1997, S. 8 Vgl. Blanke/Schridde 1999, S. 3 mit weiteren Literaturhinweisen 64 Vgl. hierzu insgesamt Blanke u.a. 1998 65 Vgl. Kersting 1997, S. 73ff 66 Vgl. etwa Lasar 2001, S. 1, der dafür gewähltere Worte findet ... 63 18 aktuellen verwaltungswissenschaftlichen Diskussionen und den praktischen Experimenten (Implementierungen) der Städte ein Paradigmenwechsel innerhalb der Verwaltung insgesamt ab.67 Denn das NSM stellt die traditionellen Verwaltungsstrukturen vollständig infrage: „Die traditionell zentralistische, Verwaltungsorganisation soll hoch in eine arbeitsteilige und produktorientierte und durchhierarchisierte im Rahmen von Zielvereinbarungen weitgehend autonome, dezentral gegliederte Organisation umgebaut werden.“68 Das Konzept der NSM geht zurück auf die Entwicklungsarbeit der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt).69 Dabei sind drei wesentliche Gestaltungselemente beachtlich,70 nämlich 1. die unternehmensähnliche, dezentrale, Führungs- und Organisationsstruktur (u.a. qualifiziert durch dezentrale Ressourcenverwaltung, Leistungs- und Kostentransparenz, verbunden mit zentralem Controlling), 2. die Outputsteuerung (u.a. Definition von Produkten, Änderung des Rechnungswesens von der Kameralistik71 zum produktorientierten Budget, durchgängiges Qualitätsmanagement), 3. die Aktivierung verschiedener Wettbewerbselemente (u.a. Benchmarking: verwaltungsintern, interkommunal und mit privaten Anbietern; ggf. Outsourcing) und Kundenorientierung (Produktanpassung, Qualitätsmanagement). Diese drei Hauptgestaltungselemente sind eng miteinander verbunden und aufeinander bezogen. Ihnen werden weitere Gestaltungselemente zugeordnet, u.a. das Kontraktmanagement als klare, vertraglich bindende, Absprache einerseits innerhalb der immer noch vorhandenen Hierarchieebenen der Verwaltung und andererseits als Regelmechanismus mit klarer Verantwortungsabgrenzung zwischen Verwaltung und Politik (Konzentration der Politik auf ihre Richtlinienkompetenz mit entsprechenden Kontrollen der Umsetzung) und Maßnahmen zur Personalentwicklung, nämlich Qualifizierung, Mobiltätsförderung, leistungsorientierte Entgelte (Leistungsanreize), Öffnung von Gestaltungsräumen.72 In der Summe sollen die einzelnen Bestandteile des NSM zu einer ergebnisorientierten Gesamtprozess-Optimierung des Verwaltungshandelns, ggf. auch durch Konzentration auf originäre Kompetenzen (Kernkompetenzen) führen. 67 Vgl. etwa Reinermann 1995, S. 18 Bogumil/Kißler 1997, S. 9 69 Vgl. KGSt 1991ff 70 Vgl. besonders KGSt 1993 71 Zur Kameralistik vgl. noch Kuhlbach/Wohlfahrt 1994, S. 42ff 72 Vgl. Jann 1998, S. 73f und Bogumil/Kißler 1997, S. 9f 68 19 Neben dem NSM, und teilweise darin integriert, sind weitere Reform- und Managementkonzepte im Umlauf. Diese sind teilweise wesentlich als Instrumente der Prozessoptimierung, - wobei Prozessqualität und Ergebnisqualität immer zusammengedacht werden müssen - , zu verstehen, als Verfahren, wie der (inhaltliche) Paradigmenwechsel möglichst zügig und effektiv umgesetzt werden kann. Zu nennen wären etwa das „Reengineering“ (Business Process Reengineering, BPR),73 das „Total Quality Management“ (TQM), das „Kaizen“ und der „Kontinuierliche Verbesserungsprozess“, verschiedene Evaluations- und Qualitätssicherungsverfahren (z.B. DIN EN ISO 9000-9004),74 der mikroökonomische Ansatz des „New Public Management“ (NPM),75 der Versuch der Einbindung privaten Kapitals und Know hows im Rahmen des Public Private Partnership (PPP),76 etc. pp. ...77 Das NSM hat trotz erheblicher Schwierigkeiten bei der Umsetzung78 und trotz aller (berechtigten) Kritik79 die Leistungsfähigkeit der Kommunen ansatzweise verbessert und eröffnet weitere Chancen insbesondere auch im Bereich der Sozialplanung und des Sozialmanagements.80 73 Vgl. Beyer 1998, S. 108f Vom TQM bis DIN ISO 9000ff vgl. die Übersicht in Schulze Gronover/Wiesehöfer 2001; vgl. auch Bartoszak 1998, S. 22ff und die aufgeführte Literatur 75 Vgl. Schröter/Wollman 1998, S. 59ff 76 Vgl. Heinze/Strünck 1998, S. 115ff. Die Notwendigkeit des PPP wird teilweise der neoliberalen Interpretation des Subsidiaritätsprinzips begründet. Vgl. Heinze/Strünck 1998, S. 117 77 Damit wäre ich in der Aufzählung längst nicht am Ende, wenn ich neben der hier zugrunde gelegten Literatur noch weiteres herangezogen hätte. Da wäre sicher noch mancher schöner Anglizismus zu Tage getreten, den man, Kompetenz heuchelnd und Anerkennung erheischend in die einschlägigen Debattierclubs vermeintlich Eingeweihter hätte einwerfen können. Es wäre eine eigene Untersuchung wert, diese ganzen schicken Begrifflichkeiten auf ihren innovativen Gehalt zu überprüfen. Am Ende bliebe bei einigen vielleicht nur „chicken“. 78 Die Umsetzung krankt wesentlich an der unklaren Rollenverteilung zwischen Kommunalpolitik und Verwaltung (Stichworte demokratische Steuerung und Kontrolle, vgl. Reichard 1997, S. 139ff und Bertelsmann Stiftung 1995, S. 77ff), an der strategischen Steuerung der dezentralisierten Bereiche und der mangelhaften Kunden-, Markt- und Wettbewerbsorientierung. Vgl. Jann 1998, S. 77 79 Die Kritik am NSM erhebt sich zunächst aus der Perspektive der traditionellen Verwaltungswissenschaft. Ihr erscheint das NSM als unrealistisches „Festival der Visionen“, bei dem das Scheitern vorprogrammiert sei, oder als „Stark in der Rhetorik – schwach in der Substanz“, bei dem Altbekanntes und Anerkanntes in „ManagementKauderwelsch“ verpackt würde. Andere beklagen die rücksichtslose Implementierung („Kurzzeitaktionismus“) auf Kosten der Beschäftigten und KommunalpolitikerInnen. Die grundsätzliche Kritik hebt auf die Unvereinbarkeit von Markt mit seinen betriebswirtschaftlichen Nutzenüberlegungen (private ökonomische Zweckbindung) und Verwaltung, die administrativ arbeitet (öffentliche Zweckbindung), ab. Schließlich bestehen Befürchtungen in Hinsicht auf die „Gewährleistung demokratischer Verantwortlichkeit und politischer Kontrolle, Gleichbehandlung und Faineß“. Vgl. insgesamt Jann 1998, S. 78f. 80 Vgl. etwa Koller-Tejeiro 2001, S. 56ff. Wie dezentrale Organisationsstrukturen der Jugend- und Sozialverwaltung konkret im Sinne des NSM gestaltet werden können, dokumentiert Lasar 2001, S. 221ff. Allerdings wird insbesondere die Vernetzung sozialer Dienste, die „... auf die Verbesserung sozialer, kultureller und gesundheitsfördernder Dienstleistungen auf dezentraler Ebene (zielt)“ und zwar zugunsten der BürgerInnen (vgl. Gebert/Seeberg 2000) auch kritisch gesehen, da sie zur „Aushebelung sozial- und jugendpflegerischer Standards (beiträgt)“(Zaschke 2000, S. 34). Zum Sozialmanagement vgl. die Übersicht bei Galuske 2001, S. 307ff und Grunwald u.a. 1997, S. 355ff besonders zum Zusammenhang zwischen NSM und der Organisationsentwicklung für Non-Profit-Organisationen. 74 20 Allerdings sind die Modernisierungsbestrebungen der Stadtverwaltungen bislang zu binnenorientiert und zielen vorzugsweise auf die verwaltungsinterne Frage, wie durch einen optimierten Mitteleinsatz gleichzeitig die Kosten reduziert und die Standards beibehalten werden können, wenn sie denn beibehalten werden sollen. Zu dieser Binnenansicht tritt sukzessive eine verstärkte Außenorientierung, die im Grundsatz durchaus im NSM angelegt ist.81 Unter dem Stichwort der Bürgerkommune wird die Frage, wie die Verwaltung möglichst effizient und effektiv verschiedene Leistungen erstellt, durch die Frage, welchen Nutzen die Angebote für die BürgerInnen haben, ergänzt bzw. abgelöst.82 Dabei könnte ein neues Leitbild entstehen, dass die Stadt wesentlich als Gewährleisterin bestimmter Leistungen sieht: „Dabei muss die Stadt ihre Leistungen nicht mehr zwingend selbst produzieren und erstellen, sondern sicherstellen, dass die Leistungserbringung gewährleistet wird. ... Als externe Anbieter kommen neben privaten Unternehmen auch private gemeinnützige Einrichtungen und die Bürger selbst in Frage.“83 Wenn aber an die BürgerInnen die Verantwortung etwa für Sportplätze, Bäder und Bürgerhäuser ganz oder teilweise übertragen wird,84 dann steht damit die Frage nach der Förderung bürgerschaftlichen Engagements auf der Tagesordnung und damit einher gehend die Aufgabe, Menschen vor Ort zur Übernahme solcher Verantwortung zu befähigen, indem vorhandene Ressourcen der Selbsthilfe aktiviert werden. Und das ist wesentlich eine sozialarbeiterische Aufgabenstellung.85 81 Vgl. besonders Banner 1997, S. 134ff. So bestehen durchaus Chancen für Partizipation und Demokratisierung, wenn die NSM mit „institutionell abgesicherten Beteiligungsverfahren“ verbunden werden. Vgl. Boeßenecker 1997, S. 40. 82 Vgl. Bogumil 2002. Aus dieser Frage ergeben sich dann weiter verstärkte Tendenzen, die BürgerInnen als KundenInnen nicht nur zu titulieren, sondern so wahrzunehmen. Allerdings ist die Einführung des Kundenbegriffs bei einer öffentlichen Verwaltung durchaus nicht problemlos, beinhaltet er doch, das noch weitere Anbieter dieselbe Dienstleistung anbieten, was oft genug nicht der Fall ist. Außerdem greift ein reines Geschäftsverhältnis zwischen BürgerInnen und Verwaltung zu kurz, denn die Verwaltung ist Teil der verfassungsmäßigen Organe und „gehören“ damit den Menschen. 83 Städtetag 2002, Kommentar. Der Kommentar wendet sich damit auch gegen das „neoliberale Privatisierungsdogma“, weil die Stadt sich eben nicht nur zugunsten der Privatwirtschaft zurückzieht. 84 Vgl. Bogumil 2002 85 Zum Zusammenhang zwischen NSM und den SozialarbeiterInnen formuliere ich folgende Thesen: Der/die „klassische“ SozialarbeiterIn etwa im Jugendamt sollte um die vor Ort gültigen NSM-Konzepte als Ausführende wissen. SozialarbeiterInnen mit Querschnittsaufgaben sollten das gültige NSM-Konzept als Mitgestaltende kennen. SozialarbeiterInnen auf höheren Hierarchiestufen sollten als strategisch und konzeptionell Tätige zu den 21 5.2. Zur Aktivierung von Selbsthilfe und bürgerschaftlichem Engagement86 BürgerInnenbeteiligung ist in aller Munde. PolitikerInnen aller Couleur, Verwaltungsmenschen aus allen Fachbereichen, WissenschaftlerInnen aller Disziplinen haben sich BürgerInnenbeteiligung auf die programmatische Fahne geschrieben und postulieren die Übertragung von Verantwortung an die Gesellschaft. „Selbsthilfe und Bürgerschaftliches Engagement sind `in´. Große Programme sind inzwischen inszeniert worden; alle sind dafür ...“.87 Allerdings sind die Beweggründe, die zu diesem kollektiven Ja führen, recht unterschiedlich. Bezogen auf die soziale Selbsthilfeförderung sind da zum einen „... institutionsbezogene Argumente wie Entlastung der Verwaltung und Ergänzung des bestehenden professionellen sozialen Systems, zum anderen eher personenbezogene Argumente wie Stabilisierung der Gesundheit, Vorbeugung von Isolation und Befähigung, Rechte besser wahrzunehmen."88 Bei allen unterschiedlichen Interessen und bei aller Rhetorik wird sicherzustellen sein, dass die „... Rückgabe von Verantwortung an die Gesellschaft kein fiskalisch motivierter Schachzug bleibt, sondern zu einer Neuverteilung unterschiedlicher Verantwortlichkeiten führt.“89 Und das „... Reden von Selbsthilfe und bürgerschaftlichem Engagement muss sich ... dagegen verwahren, daß es als Alternative und Palliativum in der Krise des Sozialstaates verwandt wird ...“.90 Den hier markierten Gefahren zum Trotz bietet die Förderung von Selbsthilfe und bürgerschaftlichem Engagement Chancen für eine gesellschaftliche Entwicklung zur umfassenden „Kultur des Sozialen“,91 in der sich demokratieförderliche Elemente von Partizipation mit der Erkenntnis verbindet, dass bei den BürgerInnen Kompetenzen und Ressourcen vorhanden sind, die zum Gewinn für alle erschlossen werden müssen. verschiedenen NSM-Ansätzen diskursfähig sein. Mit dieser Arbeit habe ich mich freilich nicht schon für einen Amtsleiterposten empfohlen ... 86 Spätestens an dieser Stelle macht die Arbeit in ihrem Duktus einen Spagat. Denn die hier skizzierten Formen der Beteiligungsförderung korrespondieren sehr deutlich mindestens mit den sozialräumlich orientierten Methoden Sozialer Arbeit, Formen der traditionellen GWA und eigentlich überhaupt mit dem kategorischen Imperativ Sozialer Arbeit, der Hilfe zur Selbsthilfe. Allerdings ergibt sich eine leichte Akzentverschienung dadurch, dass hier nicht nur das klassische Klientel der Sozialen Arbeit im Blick ist. 87 Thiersch 1998, S. 30 88 Heider 1993, S. 305. Vgl. auch Thiersch 1998, S. 31, der deutlicher wird und auch den negativen Bogen von erhofften Spareffekten zu grundsätzlichen Sozialstaatsaversionen spannt ... 89 Blanke/Schridde 1999, S. 4 90 Thiersch 1998, S. 35 91 Thiersch 1998, S. 31 22 Dabei liegt schon in der Kooperation von Verwaltung und BürgerInnen ein starkes innovatives Potential,92 von dem vor allem die Verwaltung profitieren kann, indem auch das Phänomen einer strukturbedingten Betriebsblindheit überwunden werden kann. Insgesamt sind BürgerInnen in dreifacher Hinsicht Träger von für die öffentliche Produktion wesentlichen Ressourcen: 1. Sie verfügen über Wissen und Informationen. 2. Sie bringen die Ressource Engagement ein. 3. Ihre Akzeptanz ist u.a. bei Planungsprozessen ausgesprochen hilfreich.93 Und selbstredend lassen sich auch durch Synergieeffekte auch erhebliche Kosteneinsparungen erzielen, die allerdings nicht zum Abbau der sozio-kulturellen Infrastruktur führen dürfen.94 Und last but not least zielt bürgerschaftliches Engagement „... auf identitätsstiftende Wechselwirkungen im Geben und Nehmen als zwischenmenschlicher Gewinn an Gegenseitigkeit, als Subjekt unter Subjekten sich selbst erfahrend und zugleich das Leben im Gegenüber wahrnehmend.“95 Ist nunmehr der Sinn und Zweck des bürgerschaftlichen Engagements und sein umfassender Nutzen für alle Beteiligten angezeigt, ist auch auf dem Hintergrund der unter 2.1 angedeuteten Individualisierungstendenz zu fragen, wer sich denn überhaupt beteiligt. Denn es liegt ein doppelter Verdacht nahe: 1. Die grundsätzliche Bereitschaft zum bürgerschaftlichen Engagement, die ja in Deutschland auf eine gute Tradition zurückschauen kann,96 müßte sich im Zuge des postmodernen Paradigmenwechsels zur „Erlebnisgesellschaft“97 quantitativ deutlich nachgelassen haben. 2. Die Bereitschaft müßte in den sozial segregierten Zonen quantitativ noch stärker zurückfallen, denn traditionell sind die sozial Schwachen auch artikulationsschwach,98 und BürgerInnenbeteiligung ist „... sozialstrukturell ungleich verteilt.“99 Allerdings wäre hier zwischen der Selbsthilfe und den dazu erforderlichen Aktivierungsmethoden, dem Ehrenamt und den üblichen, institutionalisierten und verrechtlichten Formen kommunaler Beteiligungspraxis z.B. bei einer Bauleitplanung zu unterscheiden,100 obwohl grundsätzlich die „... alte Entgegensetzung eines gleichsam 92 Vgl. Czada 1998, der auf die positive Bedeutung kooperativer Organisationsformen für die „Innovation und Diffusion von Neuerungen“ abhebt, ja dass durch Kooperation Problemlösungs-wissen erzeugt wird, das unter Konkurrenzsituationen nicht hätte entstehen können. 93 Vgl. Spitzer 1998, S. 132f. Alle drei Ressourcen sind auch monetär relevant. 94 Vgl. etwa Bassarak/Genesko 2001, S. 13ff 95 Paulwitz/Steffen/Otto 1997, S. 177 mit Anklängen an die Katholische Soziallehre ... 96 Vgl. Thiersch 1998, S. 32ff 97 Vgl. dazu grundlegend Schulze 1992 98 Vgl. Hermann 2001, S. 189 99 Reinert/Sinning 1997, S. 143 100 Vgl. etwa Hinte 2002, der den „... gestylten PartizipationstechnologInnen von heute ... mit Moderationskoffer und geordneter Sitzungsleitung ...“ schlicht die Fähigkeit abspricht, die Menschen abseits der „Sonnenseite der Gesellschaft“ anzusprechen. „So degeneriert Bürgerbeteiligung vielerorts zu einer neuen Form, das 23 karitativen Engagements für andere und einer Arbeit an den eigenen Problemen, am Interesse für sich ... obsolet (wird).“101 Die Ergebnisse der umfangreichen Erhebungen102 zum Thema freiwilliges Engagement strafen diese (naheliegenden) Annahmen zunächst Lügen. Danach engagieren sich 35% der Bevölkerung in den alten Bundesländern freiwillig und unbezahlt (bzw. gegen geringe Aufwandsentschädigung) in verschiedenen Bereichen.103 Darüber hinaus formulieren ca. 33% der Engagieren die Bereitschaft zur Ausweitung des Engagements, von den ehemals Aktiven sind fast 50% bereit, sich wieder einzubringen und in der großen Gruppe der Nicht-Aktiven können sich gut 33% zukünftig ein ehrenamtliches Engagement vorstellen. Diese drei Teilgruppen bilden das ruhende „... Engagementpotential in Deutschland. Es umfasst 37% der Bevölkerung, hochgerechnet also über 20. Mio. Menschen. Das Potential ist damit noch größer als die Gesamtgruppe der derzeit Aktiven.“104 Ein Wermutstropfen trübt diese insgesamt hoch erfreulichen Daten: Unter den 100% freiwillig Aktiven befinden sich lediglich 3% arbeitslos gemeldete Menschen.105 Es wird in der Perspektive also darum gehen, einerseits ruhende, aber abrufbereite, Potentiale zu aktivieren und andererseits sozial verschüttete Potentiale, die in den Studien explizit gar nicht erfasst sind, zu entdecken und zu entwickeln. Abgesehen davon, dass die Arbeit mit Ehrenamtlichen und die Förderung ehrenamtlicher Potentiale im Grundsatz ohne große Probleme in die diversen Tätigkeitsfelder Sozialer Arbeit integrierbar wäre – wo dies nicht längst schon geschehen ist – drängt sich die Exploration verschütteter Potentiale geradezu als sozialarbeiterisches Handlungsfeld auf. Wer soll es denn tun, wenn nicht wir? Die Frage ist, wie ruhende und verschüttete Potentiale jeweils entwickelt werden können. Bildungsbürgertum artgerecht bei Laune und ohnehin benachteiligte Bevölkerungsgruppen auf Distanz zu halten.“ 101 Thiersch 1998, S. 37. Dabei schwangen jenseits des heroischen Engagements für andere wohl immer schon eigennützliche Motive – wie etwa der Wunsch nach Anerkennung – mit, was ja nicht schlimm ist ... 102 Vgl. die generelle Bestandsaufnahme zum Thema „Freiwilliges Engagement“ (Ehrenamt, Freiwilligenarbeit, bürgerschaftliches Engagement) des BMfFSFJ 2000-2001 in drei Bänden (Freiwilligensurvey 1999), nämlich Bd. 1: Rosenbladt 2000 (Liegt mir leider nur in englischer Sprache vor ...), Bd. 2: Braun/Klages 2001, Bd. 3: Picot 2001 und die vorlaufende Zeitbudgeterhebung Blanke/Ehling/Schwarz 1996; vgl. auch die zielgruppenorientierten Untersuchungen des BMfFSFJ zum Engagement älterer Menschen etwa SchmitzScherzer u.a. 1994, Seniorenvertreungen 1997, Bürgerschaftliches Engagement 1999 und Braun 1999 ... 103 Vgl. Braun/Klages 2001, S. 105. Die Bereiche sind: Sport und Bewegung 28%, Schule und Kindergarten 10%, Freizeit und Geselligkeit 10%, Kirche und Religion 11%, Kultur und Musik 11%, Soziales 9%, Politik und Interessenvertretung 5%, berufliche Interessenvertretung 3%, Rettungs-dienste/freiwillige Feuerwehr 4%, Umwelt-, Natur- und Tierschutz 3%, Jugend und Bildung 2%, Gesundheit 2%, Justiz und Kriminalitätsprobleme 1%, Sonstiges 1% (vgl. Braun/Klages 2001, S. 69). Frauen (30%) beteiligen sich weniger als Männer (38%) (vgl. Picot 2001, S. 97). Jugendliche (37%) sind etwas aktiver als der Bevölkerungsschnitt (vgl. Picot 2001, S. 197). SeniorInnen bis 69 Jahre engagieren sich zu 34%, bei Älteren Menschen sinkt der Anteil auf unter 20% (Vgl. Picot 2001, S. 291). Der durchschnittliche Einsatz beträgt ca. fünf Wochenstunden (vgl. Wagner 2002). 104 Braun/Klages 2001, S. 189 24 Die Hinweise zur Beantwortung setzen hier mit einer sozialarbeiterischen Binsenweisheit ein, die – obwohl inflationär mißbraucht und als Standardantwort zum „running gag“ mutiert – zutiefst richtig ist: Die Menschen sind da abzuholen, wo sie stehen. Das bedeutet eine weder unter- noch überfordernde (und zwar in Hin-sicht auf Inhalt und Form), an den Interessen und Lebenslagen anknüpfende und zudem zielgruppenspezifische und zuweilen zielgruppenübergreifende spannende und motivierende Ansprache („Türöffner“). Kategorisch nötig ist außerdem eine „offene Willigkeit“, ein „Bereit sein ist alles“, „... für das, was sich entwickelt, was sich entwickeln könnte, was auf Unterstützung angewiesen ist, damit es sich entwickeln könnte.“106 Die Unterstützung und Stabilisierung von Selbsthilfe und bürgerschaftlichem Engagement kann in verschiedenen Formen realisiert werden. Dabei sind kleinere und mittlere Formen von größeren Arrangements zu unterscheiden. Kleinere Formen sind etwa dezidiert politisch vorparlamentarische Beteiligungsformen wie EinwohnerInnenfragestunden, -befragungen -anhörungen und -versammlungen, die Beteiligungsformen etwa bei Bauleitplanverfahren, der Umgang mit Anträgen, die Einrichtung von Beiräten und Beauftragten,107 verschiedene Formen von geschlossenen (z.B. ExpertInnen- bzw. Betroffenenhearing) und offenen „Verhandlungsarenen“ (z.B. Runde Tische, Foren, Planungszellen, teilweise mit Mediation)108 und die Förderung des traditionellen Ehrenamtes.109 Mittlere Formen sind u.a. die Institutionalisierung von (zielgruppenspezifischen) Büros, (Freiwilligen-)Agenturen und Selbsthilfekontaktstellen und die gezielte Förderung von Einzelprojekten.110 Größere Arrangements werden hier verstanden als mittel- bis langfristig angelegte sozialräumliche Strukturkonzepte wie etwa lokale Sozialprogramme (z.B. Essen-Katernberg 1992)111 oder gar lokale soziale Programme beim Aufbau neuer Stadtteile (FreiburgRieselfeld 1993),112 Landesinitiativen wie das Programm für „Stadtteile mit erhöhtem 105 Vgl. Picot 2001, S. 58 Thiersch 1998, S. 38 107 Vgl. Alemann 1997, S. 18ff 108 Vgl. Spitzer 1998, S. 133ff 109 Vgl. Paulwitz/Steffen/Otto 1997, S. 183f 110 Vgl. Selbsthilfeförderung 1998, S. 49ff; Stiftung Mitarbeit 1997A, Städtenetzwerk NRW 2001, 111 Vgl. Lüttringhaus 2000, S. 179ff 112 Vgl. zur Übersicht Maier 2002 106 25 Erneuerungsbedarf“ (NRW 1993),113 und schließlich das Bund-Länder-Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“ (kurz: „Soziale Stadt“).114 Letzteres115 zielt auf Siedlungsbereiche, die sich durch sozialräumlicher Segregation im kumulativen Abwärtsprozess befinden und bei denen soziale Desintegration droht. Das sind vorzugsweise „... innerstädtische bzw. innenstadtnahe Quartiere in benachteiligten Regionen mit nicht modernisierbarer Bausubstanz und deutlich unterdurchschnittlicher Umweltqualität“ oder „... große Wohnsiedlungen aus der Nachkriegszeit ... mit wenig individueller Architektur, fehlender Nutzungsmischung und unzureichender sozialer Infrastruktur“ (Trabantenstädte). Diese sollen durch gezielte Eingriffe in ihrer urbanen Funktionsfähigkeit für die dort Wohnenden wiederhergestellt werden. Die Entwicklung von Zukunftsperspektiven für diese Quartiere soll auch unter umfassenden partizipativen Gesichtspunkten realisiert werden.116 Unter dezidiert partizipativen Gesichtspunkten im Rahmen nachhaltiger sozialräumlicher Konzepte wird es wesentlich darum gehen, sukzessive in einem kooperativen Prozess Kommunikationsstrukturen zu entwickeln und kommunikative Möglichkeiten zu entdecken, ein vernetztes System von (vorzugsweise „informellen“) Alltagshilfen aufzurichten, Regeln für ein angemessenes Miteinander („ziviles Verhalten“) aufzustellen, soziokulturelle Brückenköpfe aufzubauen und/oder aufeinander zu beziehen, Mitbestimmungselemente über die Gestaltung des Sozialraumes zu installieren. Ziel ist die Bündelung dieser Elemente in einer „Kultur des gelingenden Alltags“ bzw. einer „Kultur des Sozialen“.117 Methodisch möglich wird dies durch die „Inszenierung des Sozialen“: Die genannten Elemente der „Kultur des Sozialen“ werden von professioneller Sozialarbeit in Szene gesetzt und so angeboten und „... die Bewohner entscheiden durch ihre Reaktion darüber, welche Form und welcher Grad sozialer Kultur ... von ihnen gewünscht wird, die Quartiersarbeiter reagieren durch jeweils neue Angebote und Inszenierung auf dem Hintergrund der Erfahrungen.“118 Neben den hier in Umrissen nachgezeichneten strategischen Linien sind zur Förderung von BürgerInnenbeteiligung und Selbsthilfe weitere Maßnahmen erforderlich. Zu nennen sind 113 Vgl. MfSKS 1998 Vgl. die Übersicht bei Altena 2002. Vgl. auch die teilweise beachtlichen Unternehmungen im Rahmen der Agenda 21-Prozesse ... 115 Vgl. Soziale Stadt 2000, S. 94ff. Die beiden folgenden Zitate sind dort S. 95 entnommen. 116 Dazu wurden auf Bundesebene zwei Programme entwickelt, die sich auf das Programm „Soziale Stadt“ beziehen, nämlich das Programm E&C mit kinder- und jugendhilfespezifischen Prioriäten und ein besonderes Programm für die Integration von Aussiedlern. Vgl. Partnerprogramme 2002 117 Vgl. Maier 2002 in Anlehnung an Thiersch (vgl. etwa die Fußnoten 7 und 91). 118 Maier 2002. So soll nicht nur Bekanntes reproduziert werden, sondern auch Neues entdeckt werden. Die Kommunikation ist teilweise nonverbal und bietet auch den Artikulationsschwachen Möglichkeiten der Aktion. 114 26 etwa zielgruppenspezifische Maßnahmen,119 themenspezifische Mitwirkungsangebote in verschiedenen Bereichen,120 Bildungsinitiativen,121 partielle Aufgabenübertragung,122 und insbesondere verschiedenste Formen ökonomischer Selbsthilfe und partizipativer Gemeinwesenökonomie,123 hierunter auch Bürgerstiftungen,124 sowie auch Social-Sponsoring und Social-Investment.125 Mittlerweile liegen erste Erfahrungsberichte zur Umsetzung des Programms „Soziale Stadt“ vor, die Rückschlüsse auf strukturelle Erfordernisse und die institutionelle Verortung der prozessbegleitenden Stelle zulassen. Danach macht die grundsätzliche Ansiedlung der Stelle bei der Stadtverwaltung durchaus Sinn, weil hier die zwingend notwendige Anbindung an bestimmte professionelle Ressourcen („kleiner Dienstweg“ zu allen möglichen Verwaltungsbereichen), an öffentliche und private Geldgeber („Briefkopf der Stadt“) und besonders an die politische Macht am ehesten gegeben ist. Darüber hinaus kann die öffentliche Hand trotz Krise der Finanzen am ehesten die notwendige kontinuierliche personelle und strukturelle Grundausstattung sicherstellen.126 Dabei ist allerdings eine ständige Rückkopplung zwischen BürgerInnen und „ihrer“ Stelle notwendig.127 Schließlich ist Engagementförderung als Gemeinschaftsaufgabe zu verstehen und was ist eine Stadtverwaltung im Prinzip anderes als die Gewährleisterin des Gemeinwohls? Allerdings darf sich diese umfassende Gemeinschaftsaufgabe nicht in verschiedenen Ressorts zersplittern.128 Vor dem Hintergrund der NSM in den Stadtverwaltungen ist die Einrichtung einer entsprechenden Querschnittsstelle mit unmittelbarem Vortragsrecht bei der Verwaltungsspitze und den politischen Gremien problemloser geworden. Diese wäre gleichsam in den admistrativen Apparat mit seinen normierten Verfahren eingebunden und könnte doch so „unspezifisch offen“ sein, wie es der Kontakt zu den BürgerInnen erfordert.129 119 Etwa für junge Menschen (vgl. etwa Hepp 2001, S. 37f und Staeck 1997, S. 99ff in Bezug auf politische Bildung und Bundesvereinigung 2000 zur Arbeit mit benachteiligten Kindern und Jugendlichen), alten Menschen (vgl. etwa Braun 1999), Frauen (vgl. Becher/Luksch 2001, S. 193ff), MigrantInnen (vgl. etwa Breidenstein/Kiesel/Walter 1998), Arme (vgl. Keim/Neef 2000, S.32ff.). 120 Z.B. Verkehr (vgl. etwa Spielmann 1997, S. 153ff) und Stadtplanung (Vgl. Östbye 1997, S. 136ff) 121 Vgl. etwa Schwarz/Voß 2001, S. 288 122 z.B. an Sportvereine (Sportstätten und Bäder), zur ehrenamtlichen Straßenreinigung, zur Pflege von Grünanlagen und Kinderspielplatzpatenschaften (vgl. Holtkamp/Schwarz 2002, S.13ff). 123 Vgl. Elsen 1998, S. 124ff 124 Vgl. Becker/Wolf 1999 125 Vgl. Nerlich/Kirchberg 2001, S. 251ff 126 Vgl. Becker 2001, S. 85f 127 Denn dann“... ist es auch nicht anrüchig, mit allen möglichen Unternehmen Vereinbarungen zu treffen oder in den Dienstzimmern der Verwaltungsspitze zu sitzen.“ (Hinte 2002) 128 Vgl. Heider 1993, S. 304f 129 Vgl. Hinte 1997, S. 11. Und damit wäre auch der nicht ganz unbegründeten Kritik Becks die Schärfe genommen, „... dass die Bürgerarbeit nicht den Kommunalverwaltungen ... unterstellt werden sollte. Nicht nur, 27 Damit könnte sie als intermediäre Instanz zwischen Politik, Verwaltung und BürgerInnen ggf auch ein produktives Konfliktmanagement – etwa durch Mediation – betreiben, um Konflikte gewinnbringend zu organisieren.130 Insbesondere bei den sozialräumlichen Ansätzen verbinden sich theoretische Modelle sozialarbeiterischer Provenienz mit den methodischen Umsetzungsformen Sozialer Arbeit zu einer „ganzheitlichen Aufwertungsstrategie“ mit sehr deutlichem Schwerpunkt der Partizipationsförderung.131 Von daher liegt es nahe, sich das methodische Repertoire Sozialer Arbeit in einem Streifzug vor Augen zu führen. weil damit genau der kontraproduktive staatliche Kontrollzugriff etabliert würde, sondern auch, weil mit der Bürgerarbeit gerade ein Gegenakzent zur organisierten Phantasielosigkeit der Kommunalverwaltungen ... etabliert werden soll.“ Beck 1999 zit. nach Blaschke 2002, S. 20 130 Vgl. Herrmann 2001, S. 187f 131 Am nachdrücklichsten wurde mir dies deutlich in der Arbeit von Lüttringhaus 2000. Sie verbindet den systemtheoretischen Ansatz und die daraus abgeleitete Handlungstheorie Staub-Bernasconis mit der ganzen Methodenpalette Sozialer Arbeit und realisiert damit genau das, was ich in Ansätzen mit dieser Arbeit tun wollte und was ich mit der Hoffnung verband, einen Originalitätspreis gewinnen zu können ... (Vgl. Lüttringhaus 2000, S. 7ff). 28 6. Instrumente Sozialer Arbeit Methoden sind als zielgerichtete Instrumentarien zur Gestaltung eines zielgerichteten Prozesses Wege zum Ziel, in denen das Ziel selbst immer präsent ist und sich sukzessive unter Berücksichtigung etwa von Problemlagen und Rahmenbedingungen realisiert. In einem integrierten Methodenbegriff werden sieben Perspektiven miteinander in Beziehung gesetzt: 1. die Sache (Welche Sache132 soll methodisch wie bearbeitet werden? Ist das Wie der Sache angemessen?), 2. das Ziel (Welches Ziel/Ziele soll methodisch wie erreicht werden? Ist das Wie geeignet?), 3. die Personen (Werden Ziele und Methoden den Personen/der Person gerecht?), 4. das Arbeitsfeld und die Institution (Sind die Ziele und Mittel überhaupt in diesem Rahmen realisierbar bzw. anwendbar?) 5. die Situation (Sind Ziele und Mittel in der gegenwärtigen Situation der Person, der Institution, der Gesellschaft und der methodisch Arbeitenden angemessen und anwendbar?), 6. die Planbarkeit (Erlauben die genannten Elemente die Planung eines wirksamen Prozesses?), 7. die Überprüfbarkeit.133 Diese Konstruktionselemente methodischen Arbeitens sollen bei der hier folgender Darstellung immer mitgedacht werden. Denn die konkrete methodischen Arbeit kann nicht entlang dem „Pippi-Langstrumpf-Prinzip: Ich tue das, was mir gefällt!“ erfolgen. Vielmehr müssen die eingesetzten Instrumentarien grundsätzlich erforderlich, angemessen und geeignet sein. In der Praxis bilden sie allerdings kein starres Prüfschema, sondern sind Hintergrund oftmals intuitiver Methodenentscheidungen. 6.1 Klassische Methoden Das ganz eigenständige Profil Sozialer Arbeit definierte sich ursprünglich wesentlich über ihre Methodenkompetenz.134 In klarer Abgrenzung vom ehrenamtlichen Laienengagement entwickelten die ProtagonistInnen Sozialer Arbeit zunächst unter dem Begriff der Sozialen Einzelhilfe „wissenschaftlich-fundierte, rationale Problemlösungsstrategien“.135 Nach und nach wurde dieses methodische Grundspektrum erweitert und zur Sozialen Einzelhilfe traten die Soziale Gruppenarbeit und schließlich die Gemeinwesenarbeit als sog. Primärmethoden Sozialer Arbeit. Dabei handelt es sich vorzugsweise um inhaltlich qualifizierte Summarien, deren Ordnungsschema der Frage folgt, wie viele KlientInnen dem/r 132 Bzw. im Rahmen Sozialer Arbeit „Welches Problem?“, weil Soziale Arbeit im Grundsatz problembezogen operiert (vgl. Staub-Bernasconi 1986, S. 8). Ich formuliere hier neutraler „Sache“, weil 1. das hier dargestellte Methodenverständnis nicht nur sozialarbeiterisch gilt und 2. weil ich mir immer noch die Frage stelle, ob denn Soziale Arbeit kategorisch Probleme bearbeitet oder nicht vielleicht auch – positiv formuliert – Chancen entwickelt, ohne dass Probleme vorliegen? ... 133 Vgl. Galuske 2001, S. 28 134 Vgl. Bartoszak 1998, S. 66 mit Belegen 135 Schuhmann 1994, S. 44 29 SozialarbeiterIn konkret gegenübersitzen. Unter diesen drei Oberbegriffen hat sich sukzessive ein reicher Fundus von Präventions- und Interventionstechniken angesammelt, deren Gehalt sich hier nicht darstellen läßt. Diese Arbeit muss sich mit Grundzügen der drei klassischen Methoden begnügen. 6.1.1 Soziale Einzelhilfe136 Soziale Einzelhilfe, die nach allgemeiner Ansicht ebenso wie die beiden anderen klassischen Methoden Sozialer Arbeit ihren Ursprung in den USA hat,137 setzt schon begrifflich eine Eins-zu-eins-Beziehung zwischen BeraterIn und KlientIn voraus. Sie richtet sich wesentlich auf die Bearbeitung psychisch verursachter, in dem/der KlientIn selbst angelegter Probleme. Es wird also grundsätzlich angenommen, „... daß soziale Probleme psychische Probleme sind.“138 Die konkreten psychischen Probleme sollen im Rahmen der Sozialen Einzelhilfe durch therapeutische Intervention in Hinsicht auf das Verhalten und die Sichtweise der/s Klienten/Klientin angegangen werden. Dies geschieht im Prozess der helfenden Beziehung zwischen SozialarbeiterIn und KlientIn. Ziel ist grundsätzlich die Steigerung der Lebensqualität (Wohlbefinden) der/des Klienten/Klientin, durch optimierte Umweltanpassung in Hinsicht auf „Wahrnehmungs-, Interpretationsmuster sowie Verhaltensweisen.“139 Der Hilfeprozess in der helfenden Beziehung erfordert auf Seiten der Beratenden zunächst neun persönlich qualifizierende Eigenschaften. Dies sind: „1. guter Wille ... echtes Interesse am Wohlergehen anderer; 2. die Fähigkeit, für andere dazusein; die Fähigkeit und die Bereitschaft, sie durch Freude und Schmerz zu begleiten; 3. das Erkennen und Akzeptieren der eigenen Stärke; ..., ohne das Bedürfnis zu verspüren, andere herabzusetzen oder sich ihnen überlegen zu fühlen; 4. das Wissen, den eigenen Beratungsstil gefunden zu haben, der 136 Aus pragmatischen Gründen folgt die Wiedergabe der Methoden (unkritisch) dem Kompendium von Galuske 2001. Mindestens an zwei Stellen muss dieser lexikalische Duktus unterbrochen werden, nämlich bei der Darstellung der klassischen Gemeinwesenarbeit und ihrem Pendant bei den neueren Ansätzen, den sozialräumlichen Konzepten. Zur Einzelhilfe vgl. Galuske 2001, S. 71ff 137 Mir ist explizit keine andere Position bekannt. Dennoch möchte ich diese These im Grundsatz anzweifeln, weil – was zu belegen wäre –, ich die Wurzeln Sozialer Arbeit mit Elementen gerade Sozialer Einzelhilfe (und wohl auch der GWA) mindestens bei der Institutionalisierung des Diakonenamtes in der frühkatholischen Kirche (2. –4. Jh.) ausmache. Die Suche nach den Wurzeln Sozialer Arbeit und ihrer Methoden wäre ein herrliches Promotionsthema ... 138 Galuske 2001, S. 76 mit Blick auf Hege 1981, S. 146, der formulieren soll, dass diese Grund-annahme für alle drei klassischen Methoden gilt. Dies halte ich mindestens im Blick auf die GWA für unzutreffend. Ich will hier letztmalig meine Vorbehalte gegen die unkritische und selektive Rezeption (vgl. nämlich Galuske 2001, S. 100) von Kompendienwissen zu Papier bringen. Für den weiteren Verlauf der Arbeit gilt das unter Fußnote 136 Gesagte. 139 Galuske 2001, S. 77 30 Ausdruck der eigenen Persönlichkeit ist; 5. die Bereitschaft, sich verletzen zu lassen und Risiken einzugehen; 6. Selbstachtung und ein Gefühl für den eigenen Wert; 7. die Bereitschaft, den Klienten als Modell zu dienen; 8. die Bereitschaft, Fehler zu riskieren und gegebenenfalls zuzugeben; 9. den Wunsch, sich weiterzuentwickeln.“140 Zu diesen sozusagen charakterlichen Merkmalen kommen zwischenmenschliche Eigenschaften, nämlich im wesentlichen die Fähigkeit, erkannte Probleme, aber auch Qualitäten und Ressourcen, angemessen kommunizieren zu können.141 Außerdem sind die unter dem Stichwort Beratervariablen zusammengefassten Elemente Empathie, positive Wertschätzung, Kongruenz, Selbstmitteilung und Intentionalität unverzichtbare Bedingungen einer professionellen, helfenden Beziehung.142 Desweiteren ist ein auch intuitiv abrufbarer Fundus an Interventionstechniken notwendig, der in den Beratenden erst ermöglicht, den Hilfeprozess planvoll durchführen zu können.143 Und schließlich gehören Wissen und Erkenntnisfähigkeit zum grundlegenden Anforderungsprofil von BeraterInnen.144 Unter dem Oberbegriff der Sozialen Einzelhilfe haben sich etliche Schulen und Gestaltungsansätze positioniert, die hier nicht wiedergegeben werden können.145 Es sollte aber im Auge behalten werden, dass die Soziale Einzelhilfe eine Fülle von methodischen Möglichkeiten der konkreten Präventions- und Interventionsarbeit bietet, die selbstverständlich auch zur Förderung bürgerschaftlichen Engagements herangezogen werden können:146 Der methodische Koffer ist voll. 6.1.2 Soziale Gruppenarbeit Soziale Gruppenarbeit setzt zunächst eine professionelle Gruppenleitung und eine Gruppe voraus: Eine Gruppe ohne Leitung wäre eine Selbsthilfegruppe oder eine Freizeitgruppe aber 140 Corey u.a. 1984, S. 24 wiedergegeben nach Hackney/Cormier 1998, S. 19f Vgl. Hackney/Cormier 1998, S. 20 142 Vgl. Hackney/Cormier 1998, S. 23ff mit Bezug auf den personenzentrierten Ansatz nach Carl Rogers und weiterführender Literatur. 143 Vgl. Hackney/Cormier 1998, S. 21 mit Bezug auf verbale Techniken der Gesprächsführung und nonverbale Gestaltungselemente (z.B. Techniken des Zuhörens, Fragens und Spiegelns, nonverbale Unterstützungen, atmosphärische Gestaltung). Vgl. besonders Hackney/Cormier 1998, S. 57ff 144 Nämlich mindestens Wissen um menschliche Kommunikation (vgl. Schulz von Thun, 2000 und 2001), um die Phasen im Hilfeprozess und eine analytische und synthetische Hermeneutik. Vgl. Hackney/Cormier 1998, S. 20 145 Vgl. die Hinweise bei Galuske 2001, S. 77ff 146 Vgl. etwa Spierts 1998, S. 157, der nachdrücklich auf die Bedeutung des Casework für die Unterstützung und Betreuung Freiwilliger hinweist. 141 31 eben keine Soziale Gruppenarbeit; eine Soziale Gruppenarbeit ohne professionelle Leitung wäre schlicht und einfach eine Katastrophe.147 Ein weiteres konstitutives Merkmal Sozialer Gruppenarbeit ist ihre Intentionalität: „Die Zielsetzung orientiert sich ... an (re-)integrativen Bestrebungen: es geht um soziale Anpassung ... oder Steigerung der sozialen Funktionsfähigkeit.“148 Die Gruppe und das Gruppengeschehen sind in der Sozialen Gruppenarbeit „... zugleich Ort und Medium der Erziehung. Im Mittelpunkt stehen Wachstum, Reifung, Bildung, Heilung und/oder Eingliederung des Einzelnen. Die Gruppe ist in diesem Verständnis Instrument pädagogischer Einflußnahme.“149 Neben den schon unter der Soziale Einzelhilfe genannten charakterlichen Merkmalen, zwischenmenschlichen Eigenschaften, Beratervariablen, dem technischen Fundus an verbalen und nonverbalen Kommunikationsmitteln und der Erkenntnis- und Umsetzungsfähigkeit gehört zur Professionalität Sozialer Gruppenarbeit ein spezifisches theoretisches und praktisch einsetzbares Wissen und die entsprechende Kompetenz. Hier sind zunächst die Ergebnisse der Kleingruppenforschung bedeutsam. Da geht es um die Phasierung des Gruppenprozesses (etwa in der Einteilung „1. Phase: Voranschluß bzw. Orientierung, 2. Phase Machtkampf bzw. Kontrolle, 3. Phase Vertrautheit bzw. Intimität, 4. Phase Differenzierung bzw. Aktion, 5. Phase Trennung bzw. Ablösung o.ä.) in Hinsicht auf typisches Interaktionsverhalten der Teilnehmenden, das sich „natürlich“ von Phase zu Phase erheblich unterscheidet, und in Hinsicht auf mögliche Interventionsformen der Gruppenleitung.150 Da ist die Rede von Gruppenstrukturen, von statusbedingenden sozialen Positionen und von sozialen Rollen,151 von Untergruppen- und Cliquenbildung. Auf dieses 147 Damit will ich den ganzen ehrenamtlichen Gruppenleitern keineswegs ihre Qualitäten absprechen. Im Gegenteil: Auch in der sozialräumlich orientierten Sozialarbeit (vgl. 7.) sind solche Menschen und solche Gruppen unverzichtbar, genau wie die Selbsthilfegruppen. Aber: Diese Menschen treiben keine Soziale Gruppenarbeit, sondern halt „nur“ Gruppenarbeit. 148 Galuske 2001, S. 90 149 Galuske 2001, S. 90 150 Vgl. Bernstein/Lowy 1969, S. 96ff. und die umfangreiche Literatur, die uns im Rahmen des Methodenunterrichts in Kopie und ohne jede bibliographische Angabe übereignet wurde ... Wie bei allen schematischen Strukturierungen, die einer systematisierenden Übersicht dienen, muß stets mitbedacht werden muß, dass die Einteilung in Gruppenphasen nicht statisch zu verstehen ist. In der Wirklichkeit durchlaufen nicht alle Gruppen alle Phasen (gleich), ist der Verlauf nicht immer stetig von Phase 1 zu 5 (Rückfälle), befinden sich nicht alle Mitglieder zugleich in der gleichen Phase. Dennoch sind derartige Phasierungen ausgesprochen hilfreich etwa zur Vermeidung bestimmter grober Fehler (Wie etwa die Aufnahme neuer Mitglieder in Phase 3 ...) und zur Findung eines angemessenen Umgangs etwa mit Konflikten in Phase 2, weil klar ist, dass Konflikte ganz natürlich zum Gruppenprozess dazugehören und nicht unbedingt vor der Gruppenleitung zu verantworten sind. 151 Zu Position, Status, Rolle vgl. grundsätzlich Wössner, 1986, S. 82ff; im Hinblick auf Gruppen siehe etwa Zoll/Lippert 1979, S. 82ff und zu den besonders problematischen dysfunktionalen Rollen vgl. Heidelow/Langosch 1998, S. 199f 32 Wissen muß die Gruppenleitung unmittelbaren Zugriff haben, um das Gruppengeschehen verstehen zu können. Außerdem sind fünf handlungsleitende Prinzipien der Gruppenleitung beachtlich: 1. Individualisierung (Im Kontext des Gruppengeschehens steht der/die Einzelne im Brennpunkt des Interesses.), 2. Orientierung an der Gruppe („anfangen, wo die Gruppe steht“), 3. (sukzessive) Entbehrlichkeit (Die Leitung zieht sich nach und nach aus der Leitung zurück und überlässt die Gruppe ihren inhärenten Steuerungs- und Gestaltungspotentialen.), 4. kreative Programmgestaltung (des Gruppengeschehens auf der Sach- und auf der Beziehungsebene, die aufeinander bezogen werden.), 5. Grenzsetzungen.152 Bei allem kommt der Rolle der Gruppenleitung und des gewählten Führungsstils von laissezfaire über demokratisch-partizipativ bis autokratisch-dirigistisch eine besondere Bedeutung zu. So können die für die 2. Gruppenphase typischen Machtkämpfe (auch mit der Gruppenleitung) still geduldet oder massiv unterdrückt werden. Ein demokratisch partizipativer Ansatz würde hingegen einerseits den Machtkämpfen ein Forum bieten (etwa durch Wettbewerbsspiele und bestimmte kommunikative Übungen) und anderseits seine Position klar benennen. Mittel- bis langfristig macht sich ein demokratische Führungsstil, auch wenn er erheblich mehr Mühe kostet, bezahlt.153 Abschließend ist ein guter Bestand an verschiedenen kommunikationsorientierten Methoden für den gelingenden Ablauf Sozialer Gruppenarbeit Voraussetzung. Zu nennen sind etwa „Soziometrische Verfahren ..., Techniken der Gesprächsmotivierung und -strukturierung ..., Techniken der Selbst- und Fremdwahrnehmung ..., Spielesammlungen ...“.154 Auch hier gilt: Der methodische Koffer ist voll. Und weil sich „... Gemeinwesenarbeit ... in der Regel in Gruppen (abspielt), ... sind Kenntnisse über Methoden der Sozialen Gruppenarbeit eine notwendige Ausstattung für den kompetenten Gemeinwesenarbeiter.“155 6.1.3 Gemeinwesenarbeit Wie Soziale Einzelhilfe und Soziale Gruppenarbeit ist Gemeinwesenarbeit (GWA) zunächst ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von Ansätzen, deren Systematisierung zwar gewisse Schwierigkeiten bereitet, die sich aber allesamt grundsätzlich durch eine strukturverändernde Zielsetzung auszeichnen, denen implizit Elemente von individueller Verhaltens- und 152 Vgl. Galuske 2001, S. 92 Das wird hier nicht nur festgehalten, weil es ins ideologische Konzept passt, sondern dafür gibt es empirische Belege. Vgl. etwa Zimbardo/Gerrig 1999, S. 692ff im Hinblick auf Erziehunsgsstile. 154 Galuske 2001, S. 93f und Gobla 1977, S. 53ff, der verschiedene sach- und kommunikationsorientierte Methoden (u.a. assoziative Methoden; Rollen-, Plan-, Entscheidungs- und Simulationsspiele; ...) benennt. 155 Hinte/Karas 1989, S. 7 153 33 Einstellungsänderung zugeordnet werden. Individuelle Änderungen sind also nicht Zweck der GWA, sondern eines der Mittel, um auf die Lebenswelt und seine Strukturen Einfluß zu nehmen. Ursprünglich sind zwei unterschiedliche Ansätze der GWA zu unterscheiden: Einerseits ein eher regional orientierter Ansatz („community organization“), der sozial-räumlich die Verbesserung der sozio-kulturellen Struktur in urbanen Ballungszentren zum Ziel hatte und andererseits ein eher erwachsenenbildnerischer Ansatz („community development“) vor dem Hintergrund der Besiedlung ländlicher Räume des amerikanischen Mittelwestens.156 Entlang dieser Strukturlinie kann GWA weiter differenziert werden in territoriale GWA in einem geographisch klar abgegrenztem Raum etwa mittels Sozialplanung, funktionale GWA, die sich auf lebensweltliche Funktionsbereiche wie Wohnen, Arbeit, Bildung bezieht und kategoriale GWA, die zielgruppenspezifisch mit Bevölkerungsgruppen arbeitet, die strukturell benachteiligt sind. Allerdings ist eine derartige Differenzierung lediglich akademisch zulässig. In der Praxis müssen alle drei Gestaltungsformen integrativ zusammenwirken.157 Auf der Folie erkannter sozialer Problemlagen zielt die GWA wesentlich auf die Aktivierung der Menschen, die als potentielle lokale Akteure befähigt bzw. gewonnen werden sollen, ihre Probleme selbst in die Hand zu nehmen und durch ihre zu entdeckenden bzw. zu entwickelnden Kompetenzen und Ressourcen diese in den Griff zu bekommen. Dieser Prozess der Aktivierung verläuft – ausgehend von den Betroffenen – in verschiedenen Phasen. Es geht zuerst darum, Bedürfnisse und Ziele festzustellen, ins Bewußtsein zu rücken und prioritär zu ordnen. Darauf folgt die Motivationsphase: Die Bereitschaft, sich der Probleme anzunehmen, soll entwickelt werden. Bevor es an die eigentliche Bewältigungsarbeit geht, sollen zunächst interne (Kompetenzen und Ressourcen der Betroffenen) und externe (etwa potentielle PartnerInnen) Hilfsquellen erschlossen werden.158 Vor diesem Hintergrund sind sehr unterschiedliche Konzepte von GWA entwickelt worden. Die wohlfahrtsstaatliche GWA zielt weniger auf die Aktivierung Betroffener, „... sondern eher ... (auf) Verbesserung des Dienstleistungsangebotes der im Wohnviertel tätigen Institutionen.“159 Derartige GWA besteht vorzugsweise darin, die verschiedenen Aktivitäten von Wohlfahrtsträgern aufeinander abzustimmen, um sie zu optimieren und Kosten durch Vermeidung von Überschneidungen zu reduzieren. In seiner Substanz „... entpuppt sich (solche Art von GWA) als verlängerte Form fürsorgerischer Einzelhilfe ...“.160 Partizipative 156 Vgl. Galuske 2001, S. 97 Vgl. Noack 1999, S. 11 158 Vgl. Galuske 2001, S. 104 in Anlehnung an die Phasierung von Ross 159 Hinte/Karas 1989, S. 13 160 Hinte/Karas 1989, S. 14 157 34 Elemente werden nahezu ausgeblendet. Der/die GemeinwesenarbeiterIn schlüpft hier in „... die Rolle eines Dienstleistungsmanagers, der die technische Abstimmung von Angebot und Nachfrage zu optimieren beabsichtigt.“161 Bei der integrativen GWA hingegen kommt dem/r GemeinwesenarbeiterIn die Funktion „... eines Katalysators der Formulierung von sozialen Problemlagen [aus der Perspektive der Betroffenen (G.W.)] und deren Befriedigung im Rahmen bestehender gesetzlicher Möglichkeiten ...“162 zu. Integrative GWA geht davon aus, dass demokratisch verfaßte Gemeinwesen rechtlich hinreichend partizipative Gestaltungsräume bieten, die aber nicht ausgefüllt werden, weil die Menschen dazu schlicht nicht imstande sind. Von daher gilt es zunächst, die Menschen an die im System immanenten Spielräume heranzuführen, sie mithin zu integrieren. Dieses Konzept geht zurück auf die Arbeiten von M. G. Ross, der „... nach Möglichkeiten einer harmonischen Anpassung vorhandener Interessen an ein abstraktes Gemeinwohl (sucht). Alle Gruppen sollen kooperativ bestehende Probleme ausfindig machen und ... an der Beseitigung dieser Schwierigkeiten arbeiten.“163 Dies geschieht in einem Prozess der Formulierung von Bedürfnissen zu einer Bedürfnishierarchie, die es dann „... mittels Ausnutzung existierender bzw. potentiell aktivierbarer Quellen zu befriedigen gilt.“164 Der Prozess führt im Ergebnis zu „1. vermehrter Identifizierung mit dem Gemeinwesen 2. erhöhte(m) Interesse und Teilhabe an den gemeinschaftlichen Angelegenheiten 3. gemeinsame(n) Wertvorstellungen und Möglichkeiten, sie zu verwirklichen.“165 Im Gegensatz zur wohlfahrtsstaatlichen GWA zielt die integrative GWA sowohl auf die Verbesserung des Dienstleistungsangebotes als auch auf die Stärkung der Artikulation von Bedürfnissen auf Seiten der Betroffenen. Professionelle GWA nach diesem Modell ist wesentlich neutrale und ausgleichende Moderation, die sich mit dem Gemeinwesen insgesamt identifiziert. In der aggressiven GWA haben die Professionellen im wesentlichen die Aufgabe, auf Seiten der Betroffenen und mit ihnen eine Gegenmacht zur „... Umverteilung von Herrschaft zugunsten bisher benachteiligter Bevölkerungschichten“166 zu organisieren. Gegen die naive Vorstellung der integrativen GWA, „... ein Gemeinwesen sei eine harmonische Einheit, die sich sozialarbeiterisch zuschneidern ließe ...“167, will die aggressive GWA Verbesserungen der Lebensbedingungen gegen (kapitalistische) Machtverhältnisse durchsetzen. Dabei setzt sie auf eine schlagkräftige Organisation vorzugsweise der Arbeiterklasse, die sich u.a. durch 161 Galuske 2001, S. 101f Galuske 2001, S. 102 163 Hinte/Karas 1989, S. 15 mit Bezug auf Ross 1971 164 Galuske 2001, S. 102 165 Ross 1971, S. 66 zitiert nach Hinte/Karas 1989, S. 16 166 Hinte/Karas 1989, S. 18 162 35 disruptive Aktionsformen des zivilen Ungehorsams (Demonstrationen, Steuerstreik, Besetzungen) Gehör verschaffen will. In besonderer Weise können die Arbeiten von S. D. Alinsky als Materiallager mit einer Fülle von konkreten Gestaltungselementen für eine konfrontativ orientierte GWA dienen.168 Den klaren Defiziten, der hier bislang dargestellten GWA-Ansätze, versucht die katalytischaktivierende GWA beizukommen. Sie hebt zunächst auf die in den wohlfahrtsstaatlichen Ansätzen fehlenden, in den integrativen Konzepten euphemistisch über- und in den aggressiven Modellen pessimistisch unterschätzten partizipativen Möglichkeiten der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und auf die damit verbundenen Machtfragen ab. Dabei wird auf die in den aggressiven Modellen formulierte Utopie einer herrschaftsfreien Gesellschaft mit ihren Potentialen von Selbsthilfe und Solidarität rekurriert, ohne allerdings dem Wahn zu verfallen, diese Utopie ließe sich durch die rechte Organisation der unterdrückten Volksmassen im Rahmen von GWA herstellen. Im Mittelpunkt aktivierender GWA steht der Gedanke der Gruppenselbsthilfe: „Menschen, die unter ähnlichen Problemen leiden, sollen sich zu einer Gruppe zusammenschließen, in der sie sich über ihre Probleme austauschen, sich gegenseitig unterstützen und die Ursachen ihrer Schwierigkeiten angehen.“169 Das Entstehen möglichst vieler solcher Initiativgruppen soll, durch feste Anlaufstellen im Gemeinwesen unterstützt, dann sukzessive zum Aufbau eines Netzwerkes führen. Das ist sozusagen der interne Aspekt von GWA, der zur Grundlage ihres nach außen gerichteten Engagement wird: „Die positive Lernerfahrung mit selbstbestimmten Handeln im unmittelbaren Alltagsbereich ist die Voraussetzung für die Bereitschaft zu weitergehendem Engagement auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen.“170 Die beiden wesentlichen Voraussetzungen für solche GWA, nämlich die Bereitschaft Einzelner, sich zunächst für die eigenen Belange einzusetzen, sich zu Gruppen zusammenzuschließen und dann die Perspektiven handelt zu erweitern und das Erfordernis, dies auch im bestehenden gesellschaftlichen System tun zu können (vgl. integrative GWA), werden als grundsätzlich gegeben vorausgesetzt. Allerdings ist es die Aufgabe der GWA, die grundsätzlich gegebenen individuellen und strukturellen Möglichkeiten zu entwickeln. Die maßgebliche Entwicklungsarbeit wird sowohl in Hinsicht auf die Ziele wie im Blick auf die Mittel von den Betroffenen selbst geleistet. Den GemeinwesenarbeiterInnen wächst in diesem Prozess lediglich die Funktion eines 167 Hinte/Karas 1989, S. 19 Vgl. Hinte/Karas 1989, S. 20ff mit Bezug auf diverse Arbeiten Alinskys 169 Hinte/Karas 1989, S. 24 170 Hinte/Karas 1989, S. 25 168 36 Katalysators zu. Sie sollen, ohne sich selbst zu verändern, „... Prozesse ... anregen ... und bei Bedarf Unterstützung leisten.“171 Die genannten vier Grundkonzepte von GWA wurden nach und nach weiterentwickelt und sind teilweise miteinander verschmolzen. Ausgangspunkt für diesen Prozess war die herbe Kritik an der GWA (aus „Überpädagogisierung“, eigenen Reihen), „Anmaßung“, die sich unter „technizistischer die Schlagworte Methodenpurismus“, „Machbarkeitswahn“ fassen lässt und die vor allem auf dem Vorwurf von theoretischen und praktischen Versäumnissen beruht.172 Diese Entwicklung kann hier nicht nachgezeichnet werden. Aber bei aller Kritik ist das enorme innovative Potential der GWA insbesondere in Hinsicht auf die Methodenintegration und vernetztes Denken festzuhalten. Auch die GWA ist Trägerin eines umfassenden Perspektivwechsels innerhalb der Sozialen Arbeit, (1.) „Von der Veränderung des Verhaltens zur Veränderung der Verhältnisse ... (2.) Von der Defizitorientierung zur Ressourcenorientierung ... (3). Von der Zielgruppenorientierung zur Vernetzung ... (4.) Von der Klientelisierung zum Empowerment ...“.173 Vor allem hat sich durch die GWA die sozialarbeiterische Perspektive eine sozialräumliche Dimension erschlossen, ohne die alle schon angerissenen Projekte zur Entwicklung der „Sozialen Stadt“ samt ihrer Vorgängerinnen nicht denkbar wären. 6.2. Neuere Ansätze Die drei klassischen Methoden heben wesentlich auf spezialisierte Sozialberufe ab, deren Schwerpunkte sie begrifflich wiedergeben.174 Sie orientieren sich begrifflich an der Menge der den SozialarbeiterInnen gegenübersitzenden KlientInnen und sind Oberbegriffe für eine Fülle von Techniken und Methoden, deren Quantität und Qualität sie völlig unzureichend abbilden. Allerdings dürfen sie als Grundlage sozialarbeiterisch-methodischen Handelns überhaupt nicht aufs historische Abstellgleis verschoben werden. Vielmehr muss sich der methodische Blick von ihnen ausgehend erweitern auf die neueren Methodenansätze. Im Duktus dieser Arbeit ist zunächst eine aktualisierende Systematisierung von Handlungskonzepten und Methoden Sozialer Arbeit notwendig, weil der sozialräumliche Ansatz, auf den diese Arbeit zielt, zweifellos Kenntnisse und Fertigkeiten in allen Methoden 171 Hinte/Karas 1989, S. 23 Vgl. Hinte/Karas 1989, S. 29ff 173 Maier 1995, S. 13ff 174 Vgl. Heiner 1995, S. 40 172 37 erfordert. Weil sie aber nicht alle hier dargestellt werden können, sollen sie zumindest benannt werden. Galuske175 unterscheidet drei Kategorien von Handlungskonzepten Sozialer Arbeit: direkt interventionsbezogene, indirekt interventionsbezogene Methoden (Supervision, Selbstevaluation) und struktur- und organisationsbezogene Methoden (Sozialmanagement, Jugendhilfeplanung). Die direkt interventionsbezogenen Methoden werden unterteilt in einzelfall- und primärgruppenbezogene Methoden wie Soziale Einzelhilfe, sozialpädagogische Beratung, klientenzentrierte Beratung, multiperspektivische Fallarbeit, Case-Management, Mediation, rekonstruktive Sozialarbeit, Familientherapie sowie Familie im Mittelpunkt und in gruppen- und sozialraumbezogene Methoden, nämlich Soziale Gruppenarbeit, GWA, Erlebnispädagogik, TZI, Empowerment, Streetwork und Soziale Netzwerkarbeit. Aus dieser Fülle, die die Reichhaltigkeit des methodischen Inventars nur verschlagwortend und rudimentär abbildet, sollen hier vier ausgesuchte Handlungskonzepte im Blick auf ihre Bedeutung für umfassende sozialräumliche Ansätze dargestellt werden.176 6.2.1 Case Management Case Management setzt bei der auszumachenden Kumulation sozialer Nöte, die sich in den individuellen Biographien der KlientInnen zeigen (z.B. Armut und Alkoholismus) an, realisiert gleichzeitig die Differenzierung und Spezialisierung der entsprechenden sozialen Hilfeangebote und will die notwendige Koordinations- und Abstimmungsarbeit von Angebot und Nachfrage sozialer Dienstleistungen organisieren. Aufgabe der Case ManagerInnen ist es, mit den KlientInnen ein spezifisches Sozial- und Unterstützungsnetzwerk effektiv und effizient zu organisieren.177 Auch Case Management ist als Prozess in Phasen gestaltet:178 In der „Finde-Phase“ erfolgt eine vorläufige Einschätzung der Problemsituation bzw. des Problemkomplexes und der möglichen Hilfsmaßnahmen. In der „Phase der Einschätzung und Bewertung“ werden einerseits die Probleme konkretisiert und in eine Dringlichkeitshierarchie gefaßt und andererseits Lösungsmöglichkeiten entlang subsidiaren Prinzipien (Selbsthilfe, Hilfe in der Familie und in der Lebenswelt, institutionelle Hilfen ...) eruiert. Die Phase der „Planung und Ressourcenvermittlung“ dient der Formulierung von Zielen und den notwendigen (vernetzten) 175 Vgl. Galuske 2001, S. 159ff und besonders das Schema S. 163. Vgl. Fußnote 136 Diese Auswahl beruht wesentlich auf der Vermutung, den ausgewählten Ansätze käme eine besondere Bedeutung für den praktischen Fokus dieser Arbeit im Punkt 7. zu und der Gewißheit, dass dafür alle methodischen Ansätze von Belang sind ... 177 Vgl. Wendt 1990, S. 151ff 178 Vgl. Noack 1999, S. 70ff. Die folgenden Zitate sind hier entnommen. 176 38 Schritten, um die Ziele zu erreichen. Waren die Phasen zuvor von vertrauensaufbauender Kommunikation im Kontakt zwischen Case ManagerIn und KlientIn sozusagen intern geprägt, wird hier nun ein auch nach außen gerichteter kommunikativer Prozess in Gang gesetzt. In der „Phase des Managements von Unterstützung“ werden die Planungen in Hinsicht auf Art, Umfang (auch hinsichtlich des Eigenbeitrags) und Dauer definiert und umgesetzt. Die konkreten Unterstützungsprozesse sollen sich insgesamt selbst steuern. Begleitet werden die Unterstützungsprozesse von der „Phase der Kontrolle und Evaluation“, in der ein ständiger Abgleich zwischen „Ist- und Sollzustand“ erfolgt und die Korrekturen ermöglicht. Schließlich wird der Hilfsprozess beendet. Ggf. erfolgt eine Nachsorge. Das Konzept des Case Management ist grundsätzlich im Rahmen von sozialräumlicher Sozialarbeit gut anwendbar.179 Dem/der Case ManagerIn können drei Funktionen bzw. Rollen zugeschrieben werden: Er/sie ist BeraterIn, KoordinatorIn und Anwalt/Anwältin der KlientInnen. Oder: „Der Case Manager übernimmt die intermediäre Rolle einer Schlüsselperson zwischen den Bedürftigen und den diversen potentiellen Hilfsmitteln.“180 6.2.2 Mediation Historisch ist Mediation zunächst als Vermittlungsverfahren in einem bilateralen Streit zwischen Staaten, zu dem ein neutraler Staat als Vermittler (Mediator) hinzugezogen wird, in Erscheinung getreten. Sozialarbeiterisch ist Mediation als „... ein Verfahren professioneller Unterstützung von Konfliktparteien und Einflußnahme auf Konfliktprozesse zu verstehen.“181 Mediation geht von drei grundsätzlichen Annahmen aus, nämlich 1. Die optimale Konfliktlösungskompetenz liegt bei den Beteiligten selbst (Entscheidungsautonomie); 2. das mediative Verfahren ermöglicht ein befriedigendes Konfliktlösungsergebnis und 3. das Ergebnis berücksichtigt die Interessen und Bedürfnisse aller (Lösungsautonomie und akzeptanz). Daneben sind fünf formale Prinzipien konstitutiv für Mediationsprozesse: 1. das Prinzip der Freiwilligkeit, 2. das Prinzip der Neutralität der MediatorInnen, 3. das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit, 4. das Prinzip einer distributiven Informationsgewährleistung für alle Beteiligten durch die MediatorInnen, 5. das Prinzip der Vertraulichkeit. Ziel der Mediation ist die „... selbstbestimmte und einvernehmliche Regelung psychosozialer und 179 Vgl. Noack 1999, S. 72, der es in sein Konzept von GWA integriert. Wendt 1991, S. 40 zitiert nach Galuske 2001, S. 197. Vgl. insgesamt Galuske 2001, S. 195ff. Der innovative Charakter des Case Managements scheint unterm Strich recht fraglich zu sein: Es finden sich etwa sehr deutliche Anklänge an die wohlfahrtsstaatliche GWA ... So auch Galuske 2001, S. 200 181 Galuske 2001, S. 203. Anwendungsbereich ist zunächst vorzugsweise die Scheidungs- und Trennungsberatung. 180 39 rechtlicher Probleme ... Sie fördert Autonomie, besonders die Dialog-, Kooperations- und Gestaltungsfähigkeit der Beteiligten.“182 Diese Prinzipien bedingen den Aufgabenbereich der MediatorInnen. Je nach situativem Erfordernis wirken sie als Katalysatoren und VerhandlungsführerInnen, sie recherchieren Sachverhalte, um den gleichen Informationsstand bei den Beteiligten sicherzustellen, gewährleisten angemessene Formen der Auseinandersetzung und koordinieren diese, ggf. bringen sie sich (pointiert) mit Wertungen in das Geschehen ein.183 Allerdings „... ist die Rolle des Mediators vorrangig auf die Gewährleistung kommunikationsfördernder Rahmenbedingungen beschränkt.“184 Auch der Prozess der Mediation kann in Phasen beschrieben werden: „1. Einführung von Strukturen und Schaffung von Vertrauen ... 2. Darstellung von Tatsachen, Fakten, Hintergründen, Erarbeitung der Streitfragen ... 3. Erarbeitung von Optionen und Alternativen ... 4. Verhandlung und Entscheidung ... 5. Festhalten der erzielten Vereinbarungen ... 6. rechtliche Überprüfung, Verfahrensbeendigung ... 7. Vollzug der Vereinbarung ...“185 Als ergebnisorientiertes Verfahren, an dessen Ende eine einvernehmliche Lösung steht, scheint mir die Mediation auch im Kontext von möglichen Konflikten in sozialräumlichen Konzepten Sozialer Arbeit dann anwendbar, wenn Moderation nicht mehr ausreicht. Und dass es zu Konflikten kommen kann und wird, ist angesichts der verschiedenen Beteiligten (ganz unterschiedliche Menschen, Einrichtungen, Institutionen und Unternehmen ...) mit ihren Partikularinteressen trotz des „großen gemeinsamen Ganzen“ evident. Besonders scheint hier die Gewährleistung eines gleichen Informationsstandes für die Beteiligten sicherzustellen sein. Allerdings kann es auch zu Konflikten kommen, die schlicht und ergreifend nicht lösbar sind. Diese sind ganz einfach im Sinne des „großen gemeinsamen Ganzen“ auszuhalten. 6.2.3 Empowerment Empowerment ist wesentlich ein ressourcenorientierter Prozess, der bei den Stärken und Kompetenzen der Menschen zur Lebensgestaltung ansetzt und diese auf dem Hintergrund individueller, sozialer und politisch-struktureller Defizite entwickelt. Die Entwicklung soll insbesondere durch kooperative und synergetische Prozesse in der Zusammenarbeit mit Gleichbetroffenen erreicht werden.186 182 Mähler/Mähler 1995, S. 42 zitiert nach Galuske 2001, S. 205 Vgl. Galuske 2001, S. 206 184 Galuske 2001, S. 208 185 Galuske 2001, S. 207f 186 Dabei versteht sich Empowerment explizit nicht als Methode, sondern als professionelle Haltung Sozialer Arbeit. Vgl. Galuske 2001, S. 264 mit etlichen Belegen. 183 40 Unter dem Begriff des Empowerment schlägt sich der oben angedeutete Paradigmenwechsel in der Sozialen Arbeit besonders nachhaltig wieder, indem 1. die Defizitorientierung zugunsten einer umfassenden Ressourcenorientierung aufgegeben wird. Dazu müssen die tatsächlich und potentiell vorhandenen Kompetenzen zunächst wahrgenommen werden.187 Indem 2. sich die Empowermentprozesse auf der individuellen Ebene, der Ebene von Gruppen Gleichbetroffener und einer strukturellen Ebene realisieren, die miteinander verbunden sind, wird dem Gedanken einer vernetzten Arbeit Rechnung getragen. Inhaltlich geht es wesentlich um die Entdeckung und Entwicklung von individuellen Selbsthilfepotentialen. Das Medium dazu ist die Gruppe von Gleichbetroffenen (vgl. dazu schon die katalytischaktivierende GWA). Und schließlich wollen sich die entdeckten und entwickelten Potentiale auch durchsetzen, drängen nach Artikulation, zu der die Menschen sich zuvor gleichfalls befähigt haben. Dazu ist eine Verknüpfung mit größeren organisatorischen Gebilden sinnvoll, „... bedarf es einer strukturell-organisatorischen Einbindung, um die Wahrscheinlichkeit politischer Durchsetzung von Interessen zu erhöhen.“188 Der eigentliche Prozess läuft wesentlich ohne professionellen Beistand ab. Aufgabe des professionellen Empowerments ist die Öffnung von Entfaltungsmöglichkeiten, die Erschließung von Räumen, in denen sich der Prozess entwickeln kann, die Sicherstellung organisatorischer Rahmenbedingungen, u.a. durch Bildung von unterstützenden Netzwerken. Der Prozess des Empowerment läßt sich in Phasen darstellen, die unter die Begriffe 1. „Mobilisierung“, 2. „Engagement und Förderung“, 3. „Integration und Routine“, 4. „entwickelte Organisations- und Konfliktfähigkeit“ gefaßt werden können.189 Empowerment ist problemlos in sozialräumliche Soziale Arbeit transferierbar bzw. war immer schon darin angelegt. Dabei gilt es allerdings, die Grenzen dieser „professionellen Haltung“ nicht aus den Augen zu verlieren. Und diese Genze markieren die Menschen selbst, die tatsächlich nicht alle ohne weiteres an Empowermentprozessen teilhaben können. 187 Kompetenz kann definiert werden als Relation von situativen Anforderungen und persönlichen Ressourcen (vgl. Olbrich 1987, S. 319), die wiederum als „... subjektive Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Wahrnehmungsund Erkenntnisfähigkeiten ...“ (vgl. Schmitz-Scherzer u.a. 1994, S. 2) zu verstehen sind. Darunter fallen etwa: „(a) Soziale Ressourcen: soziale Beziehungen, soziale Netzwerke und Stützsysteme; (b) Psychologische Ressourcen: Selbstwertgefühl ..., Kontrollbewußtsein ..., geringe Selbstabwertungstendenz ...; (c) Bewältigungsverhalten: Situation verändern (objektiv), die Bedeutung des Problems verändern (kognitiv), Kontrolle der emotionalen Belastung (emotional) (Stark 1996, S. 96 zitiert nach Galuske 2001, S. 265). Allerdings wäre dieser Katalog nach meinem Dafürhalten noch erheblich zu erweitern. Denn mindestens der gesamte Bereich der technischen und handwerklichen Fertigkeiten und Fähigkeiten und die Fülle von möglichen Interessen gehören ebenso dazu. Zur Entwicklung dieser Ressourcen kann u.a. das Case Management dienen. Vgl. Galuske 2001, S. 265 188 Galuske 2001, S. 266 189 Vgl. Galuske 2001, S. 266f 41 Zuweilen sind etwa allzu stark erodierte Kompetenzen nur mit gezielter klassischer Einzelhilfe freizulegen und zuweilen wird auch dies scheitern. 6.2.4 Soziale Netzwerkarbeit Auch dem Konzept der Sozialen Netzwerkarbeit190 liegt die „... Erweiterung der Perspektive Sozialer Arbeit vom weitgehend isolierten `Einzelfall´ hin zum Klienten in seinen sozialen Beziehungsnetzen und in den sozialen Nahraum ...“191 zugrunde. Ein Netzwerk kann verstanden werden als „.. specific set of linkages among a defined set of persons, with the additional property that the characteristics of those linkages as a whole may be used to interpret the social behavior of the persons involved.“192 Formal sind primäre Nachbarschaften, und mikrosoziale Freundschaften), Netzwerke sekundäre oder (Familien, Verwandtschaften, makrosoziale Netzwerke (marktwirtschaftlich institutionelle und öffentlich institutionelle Netzwerke) und tertiäre oder mesosoziale Netzwerke (Selbsthilfegruppen, intermediäre professionelle Dienstleistungen, Nichtregierungsorganisationen) zu unterscheiden.193 Aus dieser formalen Unterscheidung lassen sich schon gewisse Aussagen über die Qualität der Netzwerke gewinnen. Präziser werden Aussagen über die Qualität der Netzwerke aus der Perspektive der eingebundenen Individuen anhand verschiedener Kriterien gewonnen werden können.194 Funktional bestimmt, werden Individuen durch „... ihre Einbindung in Netzwerke ... in die Gesellschaft integriert, werden ihnen soziale Erwartungen, Bestätigung, immaterielle und materielle Unterstützung usw. in alltäglichen Interaktionen übermittelt.“195 Von daher liegt es nahe, Netzwerke sozialarbeiterisch zu nutzen.Aus der Perspektive Sozialer Arbeit, die einmal mehr die Perspektive der KlientInnen einnehmen soll, sind indirekte und direkte Netzwerk-Interventionen, etwa beratende Tätigkeiten und aktiv eingreifende Tätigkeiten, möglich und zwar in Hinsicht auf fünf Zieloptionen: „(a) Erhaltung des Netzwerkes ... (b) [quantitative] Erweiterung des Netzwerkes ... (c) [qualitative Erweiterung durch] Redefinition 190 Vgl. Bullinger/Nowak 1998, S. 12f. Die Verfasser unterscheiden Konzepte, als „... umfassende Handlungsmodelle der Sozialen Arbeit, in denen Ziele, Inhalte, Methoden und Verfahren eng aufeinander bezogen sind“ (S. 12) von Methoden, die entweder als „Forschungsdesigns“ oder als „methodisches Handeln“, das „... den gesamten Prozess der Wahrnehmung von Arbeitsaufträgen, des Nachdenkens über die Notwendigkeit und Legitimation zum Handeln, des Entwerfens und Erprobens von Handlungsplänen und der Auswertung des Geschehens.“ (Meinhold 1994, S. 185 zitiert nach Bullinger/Nowak 1998, S. 13) umfasst, von „Vorgehensweisen und Techniken“, die sozusagen das konkrete operative Instrumentarium darstellen (S. 12). 191 Galuske 2001, S. 279 192 Mitchel 1969, S. 2 zitiert nach Bullinger/Nowak 1998, S. 66f 193 Vgl. Bullinger/Nowak 1998, S. 70ff 194 Vgl. Galuske 2001, S. 281f, nämlich Quantität, Qualität und Inhalt der Interaktion, Rolle der Beteiligten, Strukturmerkmale und Funktionen für das Indiviuduum 195 Heinze/Olk/Hilbert 1998, S. 112 zitiert nach Galuske 2001, S. 280 42 des Netzwerkes ... (d) `Sanierung´ des Netzwerkes ... (e) Stärkung des Umfeldes des sozialen Netzwerkes ...“.196 Allerdings sind bei möglichen Interventionen Sozialer Arbeit die Interessen der KlientIinnen (Stichwort: „Subjektstatus“) zu wahren. Als Techniken bieten sich u.a. verschiedene Fremdevaluation, Moderationsformen, das sog. verschiedene Netzwerk-Brett, die Formen von Netzwerkkarte, Selbst- und Helfer- und 197 Netzwerkkonferenzen an. Daneben können Netzwerkanalysen beredt Auskunft über die soziale Gesamtsituation eines Sozialraumes oder einer speziellen Zielgruppe geben. Von daher ist die Soziale Netzwerkarbeit unverzichtbarer Bestandteil einer räumlich ausgerichteten Sozialarbeit und war darin im Ansatz immer schon enthalten. 6.2.5 Sozialräumliche Ansätze Schon in den klassischen Ausprägungen der GWA sind die genannten Methoden und Handlungsmodelle mindestens in Ansätzen enthalten.198 Die neueren sozialräumlichen Konzepte199 integrieren und operationalisieren nun wohl das gesamte methodische Spektrum Sozialer Arbeit – die konkurrierenden Ansätze von GWA eingeschlossen – und entdecken darüber hinaus bislang ausgeblendete bzw. unterbelichtete Handlungsfelder, nämlich u.a. die sozialräumliche Ökonomie, die Bildungs- und Kulturarbeit. Die ebenfalls fast schon klassisch zu nennende Konfrontation zwischen Sozialer Arbeit und Ökonomie ist (theoretisch) in doppelter Hinsicht aufgelöst. Zum einen hat die Soziale Arbeit die Chancen zur Optimierung ihres Tuns, die in Managementkonzepten und betriebswirtschaftlichen Mechanismen in Hinsicht auf Steigerung von Effizienz und Effektivität liegen, entdeckt. Zum anderen sucht sie als sozialräumlich orientierte Sozialarbeit potentielle lokale Wertschöpfungspotentiale als ökonomischen Ansatzpunkt für eine nachhaltige Entwicklung des entsprechenden Raumes. Durch die „Identifizierung endogener 196 Vgl. Bullinger/Nowak 1998, S. 172f Vgl. Bullinger/Nowak 1998, S. 171ff 198 Und darüber hinaus noch etliche hier nicht Genannte. In neueren Entwürfen von klassischer GWA wird besonders auf die Mediation und Netzwerkarbeit abgehoben: „Wenn sich das Netzwerk der vielfältigen Gruppen ausbreitet, wächst es zur Gemeinwesenarbeit.“ (Noack 1999, S. 26) 199 Dabei sind die neueren Ansätze wohl nicht so neu, wie sie gerne von einigen AutorInnen verkauft werden. Sie enthalten allerdings neue Akzente und werden von daher etwa unter den Begriffen „Stadtteil- und Quartiersmanagement“ neu etikettiert und erhalten durch die bekannten Programme (vgl. Fußnote 33) weitere Nomenklaturen. Dabei versammeln sich unter dem Dach von Statdteil-management recht unterschiedliche Vorstellungen (vgl. zur Übersicht Alisch 2000, S. 7ff.). Dennoch ist festzuhalten, dass die neueren Ansätze auf das Arbeitsprinzip der GWA zurückgehen (vgl. Altena 2002 und Klöck 2002, der steil formuliert: „Das Arbeitsprinzip der Gemeinwesenarbeit ist zeitgemäßer denn je und fachhistorisch fundiert. Es ist anspruchsvoller, lebensweltorientierter und z.T. auch eigenwilliger als Managementkonzepte, die jetzt wie Zauberformeln gehandelt werden aber ... leider oft Mogelpackungen sind.“ 197 43 Entwicklungs- und Innovationspotentiale“200 bei den Individuen, bei den administrativen und ökonomischen Einrichtungen (öffentlich institutionell und marktwirtschaftlich institutionell) und im Sozialraum selbst, kommt eine Vielzahl von möglichen auch ökonomisch tätigen Akteuren und eine Vielzahl von ökonomischen Aktivitäten in den Blick. Ansatzpunkt sind zunächst die im Sozialraum (noch) vorhandenen Unternehmen201 und hier von allem die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die das größte Potential an zusätzlicher Beschäftigung bieten und deren eigene Entwicklung und Existenz in besondere Weise an die Entwicklung des Stadtteils gebunden ist.202 (Bauliche) Bestandspflege sollte entsprechend vorzugsweise über örtliche Unternehmen abgewickelt werden. Überhaupt liegt es nahe, „... Ausgaben bewußt im Gemeinwesen zu tätigen und damit die lokalen Unternehmen zu stärken.“203 Existenzgründungen und die Expansion vorhandener Kleinst-, Klein- und Mittelunternehmen bilden ein ernst zunehmendes ökonomisches Potential, das in vielen Fällen aus Liquiditätsgründen allerdings nicht (vor-) finanzierbar ist und über den üblichen Kreditmarkt auch nicht finanziert wird. Hier können über die Sparkassen als Anstalten des öffentlichen Rechts, die mittelbar der Kontrolle und strategischen Lenkung durch den Stadtrat unterliegen, bestimmte Eingriffe unternommen werden.204 Erhebliche ökonomische Potentiale ruhen darüber hinaus in der Einbindung vorzugsweise größerer und großer Unternehmen im Rahmen eines strategischen Stadt(teil)engagements.205 Dabei können Banken perspektivisch 200 Vgl. Pomrehn 2001, S. 35 Und hier sind jedenfalls die Wohnungsgesellschaften zu nennen, die in den sozialräumlichen Entwicklungsprozess einzubinden sind und sich auch ohne große Probleme einbinden lassen, weil sie ein enormes Interesse an der sozialen Stabilität im Stadtteil haben (Stichwort: Mietausfälle). Vgl. Steinert 2002 und Müller 2001, S. 19. Ähnlich gilt das für die Energieversorgungsunternehmen ... 202 Vgl. Pomrehn 2001, S. 35ff. Pomrehn hebt vor allem das Konzept eines regionalen Produktions- und Innovationsmileaus hervor, das geeignet sei, Betriebsökonomie und soziale Prozesse im Blick auf Stadtentwicklung als Ganzes zu betrachten. Das Produktions- und Innovationsmileau basiert auf funktionalen Beziehungen, Verflechtungen und Kooperationen der Unternehmen mit allen Ebenen des Stadtteils (Absatz, Wohnsitz der Beschäftigten, Nutzung der Fläche, Beziehungen zur Verwaltung ...), die mit bestimmten Verfahren („Clusterung“) ermittelt werden können. So kann den Unternehmen deutlich gemacht werden, dass das Wohl der Stadtteils und ihr eigenes Wohl unmittelbar miteinander verbunden sind ... Darüber hinaus müssen diese eher stadtteilbezogenen Betriebe an die Stadt- und Regional“industrien“ angekoppelt werden. Auch hier bietet sich das Verfahren der Clusterung zur Untersuchung von Wertschöpfungsketten an. Vgl. auch Elsen 1998, S. 154ff 203 Elsen 1998, S. 264 204 Darüber hinaus sind Kapitalbeschaffungsmodelle aus dem Ausland nachahmenswert. Vgl. Pomrehn 2001, S. 42ff mit Bezug auf verschiedene Modelle, die alle zeigen, „dass bei entsprechenden Finanzierungsmöglichkeiten erhebliche Beschäftigungspotentiale [insbesondere] im Bereich der Kleinstunternehmen liegen“ (S. 45), wenn etwa durch Moderation der Zugang zur Kreditversorgung gesichert werden kann und die Unternehmensgründung flankiert wird durch technische und kaufmännische Beratung, die grundsätzlich ohnehin von den entsprechenden Fachämtern angeboten wird. 205 „In Deutschland steckt die Einbindung des privaten Sektors noch sehr in den Kinderschuhen und tritt, wenn überhaupt, in Form des klassischen Sponsorings und weniger als stadtteilorientierte Einmischungsstrategie auf.“ (Vogt 2001, S. 232 mit Beispielen aus Manchester S. 230ff) 201 44 eine Schlüsselposition einnehmen.206 Neben diesen zumindest im deutschen Kontext ausgesprochen innovativen Ansätzen bieten sich für die ökonomischen Aspekte sozialräumlicher Arbeit vor allem Social-Sponsoring und Fundraising an und zwar deswegen, weil hier schon erhebliche Erfahrungswerte vorliegen.207 Social Sponsoring ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, von dem beide Partnerinnen profitieren müssen. Auf Seiten der Gesponsorten liegen die Vorteile direkt auf der Hand: materieller und immaterieller (Wissen, Image, Unabhängigkeit) Zugewinn. Auf Seiten der GeldgeberInnen liegen die Vorteile im Bereich der medialen Verwertung, der Imageverbesserung und auch der steuerlichen Absetzbarkeit. Allerdings erfordert die Akquisition von potentiellen SponsorInnen neben einem gerüttelt Maß an Fingerspitzengefühl und Originalität vor allem strategische und operative Planung, auch um mögliche Risiken zu minimieren.208 Einer der Schwerpunkte auch der Gemeinwesenökonomie in der sozialräumlichen Sozialarbeit liegt in der Aktivierung von Selbsthilfepotentialen, auf die sozialräumliche Sozialarbeit grundsätzlich zielt.209 Selbstredend sind auch kleinformatige informelle Hilfssysteme (z.B. Nachbarschaft mit entgeldlosem Arbeitseinsatz) ökonomisch relevant. Darüber hinaus sind Möglichkeiten ökonomischer Subsistenzsicherung beachtlich, die etwa an das klassische Genossenschaftswesen anknüpfen können.210 Ökonomische Selbsthilfe erfordert einen „Ermächtigungsprozess“,211 der einen Bildungs- und Befähigungsauftrag an sozialräumliche Sozialarbeit darstellt. Dabei gilt es in ökonomischer Hinsicht, ggf. unter Hinzuziehung von didaktisch-methodisch befähigten ExpertInnen, das notwendige betriebswirtschaftliche Handwerkszeug zu vermitteln. 206 Vgl. Krugmann 2001, S. 240ff der das beeindruckende Beispiel der South Shore Bank (Chicago) aufzeigt. Das „development banking“ der genannten Bank will durch Bereitstellung von materiellen und immateriellen Mitteln, „... jene kritische Masse ... erzeugen, die erforderlich ist, damit sich in dem ausgewählten Stadtteil eine dauerhaft wirtschaftliche und soziale Stabilisierung durchsetzt und sowohl die Bewohner selber als auch externe Investoren wieder Vertrauen in den Stadtteil finden.“ (Krugmann 2001, S. 241f.) Die Bank nimmt hierzu eigenes Kapital in die Hand, akquiriert weitere öffentliche und private Mittel und stimmt mit den BewohnerInnen die Aktivitäten ab, die grundsätzlich als Bankgeschäft gewinnorientiert sind. Die BewohnerInnen sind gleichsam KundInnen, AnlegerInnen und PartnerInnen. Das Motto ist: „If you`ve got the talent, we`ve got the money. If you don`t have the talent, all the money in the world won`t help.“ (Krugmann 2001, S. 244) 207 Für das Social-Sponsoring wurden in 1996 ca. 180 Mio. DM eingesetzt. verglichen mit dem SportSponsoring (ca. 1,5 Mrd. DM) und dem Kultursponsoring (ca. 1 Mrd. DM) eher „peanuts“ also. Vgl. Nerlich/Kirchberg 2001, S. 252, Fußnote 1. Insgesamt ist der Bereich des Social Sponsoring ausbaufähig. 208 Vgl. Nerlich/Kirchberg S. 258f 209 Vgl. Elsen 1998, S. 180ff. Allerdings wird diese Aktivierung von ökonomischer Selbsthilfe durch die bislang dargestellten ökonomischen Handlungsansätze nicht behindert, sondern befördert, weil eben damit die Haupthinderungsgründe für die Selbsthilfe, nämlich mangelnde Finanzausstattung, fehlendes Know how und mangelnde „...Kompetenzen im Umgang mit politisch-administrativen Systemen ...“ (Elsen 1998, S. 181) ausgeschaltet werden können. 210 Gerade das Genossenschaftwesen ist eine Ökonomieform, die unmittelbar von den Beteiligten selbst getragen wird. Vgl. Elsen 1998, S. 222ff mit verschiedenen Praxisbeispielen. 211 Elsen 1998, S. 192 45 Darüber hinaus wohnt der sozialräumlichen Sozialarbeit ein umfassender Bildungsauftrag inne, dessen Wahrnehmung wesentlich zur Selbstbestimmung, die eine der Grundlagen für selbstständige Lebensgestaltung und Problembearbeitung ist, beitragen kann. Dabei wird der ganzheitliche humanistische Bildungsbegriff, der auf pädagogische Mündigkeit zielt, die auf Selbst-, Sozial und Sachkompetenz basiert, fokussiert auf „Bildung als Befähigung zu vernünftiger Selbstbestimmung.“212 Und dieser Bildungsbegriff zielt ebenso auf die Einheit von „Kopf, Herz und Hand“ wie er sich an den lebensweltlichen Bezügen orientiert.213 Die Lebenswelt steht im Mittelpunkt der Bildungziele – und damit „die Bewältigung von alltäglichen, lebenspraktischen Problemen“214 – und der Vermittlungsformen vom klassischen Unterrichten über verschiedene Wege des Informierens und Beratens bis hin zum Animieren für und Arrangieren von ansprechenden Lernsituationen.215 Der Bildungsauftrag gilt grundsätzlich allen Menschen im Quartier, ist weder auf ein bestimmtes Lebensalter beschränkt noch auf bestimmte soziale Gruppen. Lediglich die Auswahl der Bildungsarrangements wird von zielgruppenspezifischen Erfordernissen her zu erfolgen haben. Mit diesem ganzheitlichen Gehalt legt Bildungsarbeit Brücken zu einer umfassenden Kulturarbeit: „Bildung und Ästhetik gehören eigentlich eng zusammen.“216 Dabei wird es zunächst darum gehen, den kulturellen Gehalt der eigenen Lebenswelt zu entdecken217 bzw. diese selbst zu gestalten und so selbst zu Kulturschaffenden zu werden. Aber auch die Inszenierung von „fremder“ Kultur etwa in Form von Konzerten, musikalischen Happenings, durch Ausstellungen und Kleinkunstveranstaltungen, durch Theater und Lesungen ist Bestandteil sozialräumlicher Sozialarbeit, dient der Selbstentdeckung und der sozialen Begegnung.218 Die drei Bereiche Ökonomie, Bildung und Kultur sind hier etwas klarer heraus gearbeitet worden, um deutlich zu machen, dass sozialräumliche Ansätze zwar von klassischer GWA ausgehen und in ihr begründet sind, sich aber weiterentwickelt haben. Der Darstellung dieser 212 Oelschlägel 2001, S. 141 mit Bezug zu Kants Definition der Aufklärung (vgl. Kant 1967) Vgl. Oelschlägel 2001, S. 144. Die Formulierung „Kopf, Herz und Hand“ geht zurück auf Pestalozzi und ist u.a. zum Motto der Erlebnispädagogik geworden. Vgl. Cuvvry u.a. 2000, S. V, 1 214 Noack 199, S. 139 215 Vgl. Noack 1999, S. 136 216 Noack 1999, S. 141. Ästhetik meint hier einerseits das Schöne in einem umfassenden Sinn, der sich nicht auf vermeintlich ästhetische Ideale – von wem auch immer reduzieren lässt –, und dem immer schon auch Aspekte von Erziehung innewohnten. Andererseits ist Ästhetik ein hermeneutisches Prinzip im Sinne von Sinnlichkeit und sinnlicher Erkenntnis. Vgl. etwa Störig 2000, S. 452 (Kant) 217 Etwa durch Stadtteilerkundungen, Zusammenstellung einer historischen Bilddokumentation über den Stadtteil etc. Zur sozio-kulturellen Arbeit vgl. die knappe Übersicht bei Weber 2002 und vor allem Spierts 1998 218 Vgl. Spierts 1998, S. 204ff 213 46 Weiterentwicklung dient die folgende Zusammenstellung der Grundlinien sozialräumlicher Sozialarbeit auch.219 Sozialraumorientierte Sozialarbeit ist die Fortschreibung der GWA, die immer schon die beiden anderen klassischen Methoden Sozialer Arbeit, Soziale Einzelhilfe und Soziale Gruppenarbeit, in ihr Programm aufgenommen hat. Die sozusagen aktualisierte GWA integriert darüber hinaus alle methodischen Weiterentwicklungen Sozialer Arbeit, die allerdings „... mit Blick auf die jeweils spezifische Ausgangslage situationsbezogen und prozessorientiert und nicht standardisiert-linear eingesetzt (werden).“220 Die sozialräumlichen Sozialarbeit und die GWA, klassischer wie neuer Prägung, zielt auf die Verbesserung der Lebensbedingungen aus der Perspektive und im Sinne der im Sozialraum lebenden Menschen. Sie werden als ExpertInnen in eigenen Angelegenheiten und in ihrer Lebenswelten wahr- und angenommen. Die Gestaltung dieser Lebenswelten, zu der die neue GWA einen Beitrag leistet, indem sie hilft, die in den Menschen ruhenden Kompetenzen und Ressourcen zu aktivieren und die zur Entfaltung notwendigen ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen zu organisieren, erfordert ihre räumliche und personale Ein-bettung in der Lebenswelt. Dabei muss sichergestellt sein, dass die Verbindungs-linien zu anderen gesellschaftlichen Systemebenen nicht nur nicht gekappt, sondern vielmehr sukzessive ausgebaut werden. Neue GWA ist auch „... systematisches Management an den Schnittstellen der zunehmend auseinander driftenden gesellschaftlichen Systeme – insbesondere zwischen Lebenswelt und Bürokratie.“221 Aus diesen grundsätzlichen Aussagen können operationalisierbare Leitstandards extrahiert werden: 1. zielgruppenübergreifendes, sozialräumliches Handeln, ohne zielgruppenspezifisches Arbeiten kategorisch auszuschließen, 2. Orientierung an den Bedürfnissen und Themen, Suche nach den Motivationen der Menschen vor Ort, ohne dass „externe inputs“ gänzlich untersagt sind, 3. Hilfe bei der Initiierung und Förderung der Selbstorganisation und der Selbsthilfekräfte, Öffnung von „Bühnen“ und Foren, 4. Nutzung von vorhandenen und Erschließung potentieller Ressourcen bei den Menschen, im Sozialraum und darüber hinaus, 5. Verbesserung der (sozio-kulturellen) Infrastruktur, der materiellen und immateriellen Situation insgesamt durch Aktivierung von entsprechenden Ressourcen, 6. 219 Die Zusammenfassung geht zurück auf Lüttringhaus 2001, S. 263ff in Absprache mit Hinte und Oelschlägel. Sie wird an einigen Stellen mit Erkenntnissen und Formulierungen anderer und von mir „angereichert“. Ziel ist es, eine komprimierte und doch umfassende Darstellung des aktuellsten, theoretisch wie praktisch „gesicherten“ „Stands der Dinge“ zu Papier zu bringen. 220 Lüttringhaus 2001, S. 263 221 Lüttringhaus 2001, S. 263 47 interdisziplinäres, interprofessionelles, ressortübergreifendes Handeln u.a. durch 7. Vernetzung und Kooperation vor Ort, lokal, regional und darüber hinaus.222 Zur erfolgreichen Umsetzung dieses Gesamtunternehmens in die Praxis sind verschiedene Rahmenbedingungen bzw. Handlungserfordernisse zwingend zu gewährleisten bzw. im Prozess der Arbeit herzustellen: 1. der Wille zur Veränderung/Verbesserung und verbindliche gemeinsame Zielabsprachen und deren öffentlich Dokumentation, 2. zielgerichtete Suche nach Handlungsspielräumen und deren Erschließung für die gemeinsamen Zielabsprachen, 3. der Wille zur umfangreichen Kooperation aller Beteiligten, wobei nach und nach immer mehr Menschen und Institionen etc. zu gewinnen sind, 4. gegenseitige (solidarisch-kritische) Reflexion des GWA-Prozesses aller Beteiligten und die Bereitschaft zur Veränderung, 5. Abbau von destruktiven Konkurrenzen, fach- und ressortspezifischen Barrieren und Egoismen, 6. Offensive Öffentlichkeitsarbeit, 7. langfristige Sicherstellung kontinuierlichen und hochprofessionellen Arbeitens.223 Das hochprofessionelle Arbeiten braucht hochprofessionalisierte SozialarbeiterInnen, was nunmehr die Frage nach den Anforderungsprofilen aufwirft. Die Kompetenz Sozialer Arbeit lässt sich prinzipiell fassen als Selbst-, Sozial- und Sachkompetenz oder als instrumentelle, reflexive und soziale Kompetenz, die sich gegenseitig bedingen und ineinander integriert sind.224 Dazu gehört Wissen, praktische Vernunft, sozialarbeiterische Geschicklichkeit und ethische Orientierung.225 Für Führungskräfte im Sozialwesen sind darüber hinaus „Schlüsselqualifikationen“ unabdingbar, nämlich Entscheidungskompetenz, organisatorische Kompetenz, betriebswirtschaftliche Kompetenz, Personalführungskompetenz und Vermittlungskompetenz.226 Im Bereich neuer GWA sind folgende Fähigkeiten und Kenntnisse von besonderer Bedeutung: Theorie und Geschichte der GWA und Gemeinwesenökonomie; Verfahren der Defizit- und Ressourcenanalyse und mobilisierenden Planungsmethoden, gemeinwesenbezogene Bildungs- und Kulturarbeit; 222 Vgl. Lüttringhaus 2001, S. 264ff Vgl. Noack 1999, S. 16ff und Städtebauförderung 2002 224 Vgl. Geißler/Hege 1991, S. 226 225 Vgl. Thompson 2000 in der Zusammenfassung von Wegner 2001B, S. 47ff: Zum Wissenfundus gehören mindestenz sozialarbeiterisch-theoretische und praktisch-methodische, juristische, politische, soziologische, psychologische, pädagogische, ethisch-philosophische Bestände sowie deren Interdependenzen und die Fähigkeit und die Offenheit, sich Wissen aktualisierend je und je selbst aneignen zu können und zu wollen. Die praktische Vernunft ist die Fähigkeit zur Selektion, Integration und Reflexion des Wissens, die seine Anwendung erst möglich macht. Sozialarbeiterische Geschicklichkeit umfasst ein umfangreiches Arsenal: effektive Kommunikation mit Menschen und „Institutionen“, u.a. zur Förderung von Stärken und Kompetenzen; die Fähigkeit zur zielgerichteten Planung und Steuerung von Maßnahmen, Geschicklichkeit im Umgang mit sich selbst, seinen Ressourcen; Teamfähigkeit; Fähigkeiten der Präsentation und der Koordination, kreative und reflexive Fähigkeiten etc. und die Fähigkeit seine Geschicklichkeit entwickeln zu wollen. Und schließlich wird die Summe dieser Kompetenzen von den normativ-ethischen Orientierungen einer humanistischen Sozialarbeit umschlossen. 223 48 Aufbau und Leitung von Förder- und Unterstützungseinrichtungen sowie Gemeinwesenzentren, Aufbau (dezentraler) Netzwerke aller Art, Produktentwicklung und Produktinnovation, Sozialmarketing, Aufbau und Leitung gemeinwesenorientierter, kooperativer Unternehmensformen, Finanzierungsstrategien.227 Sind diese Rahmenbedingungen erfüllt, kann neue GWA durch ihre besondere Problemlösungskompetenz eine umfassenden Beitrag zu einer sozialen, gerechten, demokratischen und nachhaltigen Stadtentwicklung leisten.228 226 Vgl. Hoefert 1991, S. 182ff; vgl auch Wegner 2001B, S. 58f Vgl. Schwarz/Voß 2001, S. 282ff; vgl auch Rothschuh 2001, S.49ff 228 Vgl. Oelschlägel 2001, S. 26f 227 49 7. Konkretionen229 Auf zweifache Weise sollen die Praxisbezüge der Arbeit veranschaulicht werden. Im ersten Schritt, der realiter auch der erste (offizielle Schritt) wäre, wird die mögliche Installierung des Projekts durch eine Beschlußvorlage an den Stadtrat thematisiert. Im zweiten Teil sollen kleinere Einheiten bzw. Projekte dargestellt werden, die grundsätzlich eingesetzt werden könnten. Das Gesamtprojekt bestünde aus einer Vielzahl solcher Module und aus einem umfassenden Interaktionsgeschehen. 7.1 Projektimplementierung durch Ratsbeschluß Der hier vorgestellte Beschlußvorschlag steht am Ende eines langen Weges und bedeutet doch den Anfang eines noch längeren Weges zur BürgerInnenkommune und Sozialen Stadt. Bevor ein solcher Beschlußvorschlag dem Rat von Seiten der Verwaltung vorgelegt wird, bedarf es einer langen Vorlaufzeit mit diversen Untersuchungen, Prüfungen, innerbehördlichen Absprachen, Kontakten zu Bund und Land und (interfraktionellen) Gesprächen zwischen Verwaltungsvorstand und Ratsfraktionen.230 Dies alles und den notwendigen guten Willen vorausgesetzt, könnte die folgende realitätsnahe Vorlage tatsächlich verabschiedet werden. Beschlußvorschlag: Der Rat der Stadt beschließt die Einrichtung einer Stabsstelle „Soziale Stadtentwicklung“ mit betriebsübergreifenden Querschnittsaufgaben. Die Stelle ist direkt beim Bürgermeister angesiedelt und genießt Vortragsrecht beim Rat der Stadt und seinen Ausschüssen. Zur Stelle gehören ein/e Leiter/in (BAT III), zwei Mitarbeiter/innen (BAT IVb) und ein/e Mitarbeiter/in nach BAT VIb. Die Stellen sind auf zunächst drei Jahre befristet. Die Kosten der Maßnahme belaufen sich auf ca. 200.000 € p.a., davon fallen ggf. 20% auf den städtischer Etat (vgl. Sachverhalt). 229 Bei der Frage, wie ich diese hochgradig praxisrelevante Arbeit, die lediglich theoretisch klingt – eine These, die ich gerne begründe (mündlichen Prüfung ...) – praktisch veranschauliche, sind mir viele Ideen gekommen, die ich allesamt aus Platz- und Zeitgründen verworfen habe. Die Darstellung der Erfahrungen aus Manchester und Chicago, die wohl in der Umsetzung neuer GWA am weitesten sind, verbietet sich, weil die Rahmenbedigungen dort nicht ohne weiteres auf die Bundesrepublik übertragbar wären. Bliebe die Darstellung bundesdeutscher Erfahrungen wie etwa aus Essen-Katernberg mit Ruhrgebiets-Lokalkolorit. Hier scheiterts einerseits am Platz und andererseits am Willen: Ich bin nicht willens, dieses und andere gut dokumentierte Projekte nochmals wiederzukauen. Im Grundsatz kann ich mit dem hier eingeschlagenen Weg der Veranschaulichung, nämlich 1. die Implementierung des Projektes durch einen Ratsbeschluß zu umreißen und 2. das Wie der Projektdurchführung durch kleinere Einheiten (Module) anzudeuten, genau so gut bzw. schlecht leben wie mit der gesamten Arbeit (Torso!). Ich hoffe, meiner Prüferin und meinem Prüfer geht es ebenso. 230 Die Alternative, dass der Rat der Stadt von sich aus insgesamt oder mehrheitlich einen solchen Antrag auf die Tagesordnung setzt und beschließt, ist auch möglich, aber doch unwahrscheinlich. 50 Sachverhalt Der Ortsteil D droht durch sozial-räumliche Segregation vollends ins soziale Abseits zu rutschen. Zur Zeit leben dort ca. 2.500 Menschen. Davon beziehen ca. 600 Menschen Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG. Die Sozialhilfe-aufwendungen und andere Sozialleistungen betragen ca. 3,5 Mio. € jährlich. Die Arbeitslosenquote liegt mit ca. 26% weit über dem Stadtmittel. Der Ausländeranteil beträgt ca. 10%. Allerdings leben im Ortsteil viele Spätaussiedler. Der Ortsteil ist sozialräumlich gespalten. In seinen Randbereich zum regionalen Grüngürtel hin ist vorzugsweise eine verdichtete Bebauung mit Ein- und Zweifamilienhäuser auszumachen. In seinem Zentrum befindet sich eine bis zu acht-stöckige Bebauung mit bis zu 32 Wohneinheiten je Baukörper aus der Nachkriegszeit. Im erweiterten Randbereich finden sich einige Agrarbetriebe, ein Reiterhof, das städtische Tierheim und ein Gastronomiebetrieb (Ausflugs- und Speiselokal). Den Mittelpunkt des Ortsteils bildet eine städtische Grundschule und ein städtisches Jugendzentrum (Mittlere Offene Tür). Der dort ebenfalls ansässige Lebensmitteldiscounter hat seinen Betrieb eingestellt. Verhandlungen zur Weiterführung durch einen anderen Betreiber verliefen ergebnislos. Die Versorgung mit Gegenständen des täglichen Bedarfs muß entweder außerhalb des Ortsteils oder für Kleinwaren am ansässigen Kiosk sichergestellt werden. Die medizinische Grundversorgung ist vor Ort nicht gesichert. Verkehrlich ist der Ortsteil durch eine Landesstraße gut erschlossen. Der ÖPNV verkehrt halbstündlich ab ca. 5.30 Uhr bis 20.00 Uhr. Beachtlich ist der hohe Grünwertanteil mit teilweise dichter Bewaldung im Randbereich des Ortsteils. Dort befindet sich ein großzügiger Spielplatz in schlechtem Zustand. Ziel der Implementierung der Stelle „Soziale Stadtentwicklung“ ist es, die Segregationsprozesse im Ortsteil D zu stoppen und positive Entwicklungsprozesse in Gang zu setzen, die den Ortsteil zu einem selbstständig lebensfähigen Quar-tier mit positiver Zukunftsperspektive machen sollen. Dieses grundsätzliche Ziel soll durch Ziele und Maßnahmen in sechs Bereichen realisiert werden. 1. Bürgermitwirkung, Ortsteilleben231 Ziele: • Aktivierung örtlicher Potenziale, Hilfe zur Selbsthilfe • Schaffung selbsttragender Bewohnerorganisationen und stabiler sozialer (nachbarschaftlicher) Netze • Entwicklung von Identitätsbewusstsein mit dem Ortsteil 231 Vgl. hierzu Soziale Stadt 2000, S. 96ff (aktualisierte und angepasste Fassung, G.W.) 51 exemplarischer Maßnahmenkatalog: ♦ Einrichtung eines Ortsteilmanagements und-büros, die mit Priorität den Aufbau selbsttragender Bürgerorganisationen einleiten und unterstützen sollen, ♦ Bildung eines Ortsteilbeirates mit kleinem Verfügungsfond, ♦ Bereitstellung von Räumen für Bürgertreffs und zum Gemeinschaftsleben, ♦ Unterstützung verschiedener Beteiligungsformen (Runde Tische, Foren), ♦ virtuelle Partiziapationsformen, ♦ (zielgruppenspezifische) Türöffner, ♦ Öffentlichkeitsarbeit (Infotafeln und –wände, Ortsteilzeitung). Beteiligte: Bewohnerinnen und Bewohner, Ortsteilmanagement, Gewerbetreibende, Grundeigentümer, Wohnungswirtschaft und Energieversorger (EVUs), Vereine, Initiativen, Institutionen, Stadtrat und Ausschüsse, Ortsteilbeirat ... 2. Lokale Wirtschaft, Arbeit und Beschäftigung Ziele: • Entwicklung der lokalen Wirtschaft • Schaffung von örtlichen Arbeitsplätzen und Beschäftigungsangeboten • Qualifizierung der Arbeitsuchenden exemplarischer Maßnahmenkatalog: ♦ Gemeinschaftsprojekte (Profit- und Nonprofit-Nutzungen), ♦ Angebote für Existenzgründer (auch genossenschaftliche Existenzgründungen), ♦ gesundheitliches Zentrum (Ärztehaus, Suchtkrankenarbeit), ♦ Ortsteil- und Jugendwerkstatt, ♦ Recyclinghof, ♦ Stadtteilcafé, ♦ Gemeinschafts- und Schulküche, ♦ Sekond-Hand-Laden, ♦ Betriebe für ortsteilbezogene Aufgaben (Gartenpflege, Gebäudereinigung ...) ♦ Fortbildungs- und Schulungsangebote, ♦ Lokale Jobvermittlung, ♦ Tauschbörsen und -ringe, ♦ Kleinstakquisitionen, ♦ Betreuungsplätze für Kinder von Berufstätigen (Alleinerziehende). Beteiligte: Bewohnerinnen und Bewohner, Ortsteilmanagement, Stadtverwaltung und Eigenbetriebe, heimische Betriebe, Arbeitsamt, Einrichtungen des zweiten Arbeitsmarktes, Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, andere berufsständische Organisationen, Verbände und Gewerkschaften ... 3. Ortsteilzentrum Ziele: • Stärkung des Zentrums als Kristallisationspunkt für das örtliche Leben • Stärkung der Nahversorgung exemplarischer Maßnahmenkatalog: ♦ Marketing, ♦ Instandsetzung und Modernisierung des Zentrums, 52 ♦ Ansiedlung eines möglichst breit gefächerten Spektrums an Nutzungen (Gesundheitszentrum, Einkaufszentrum, sozio-kulturelles Zentrum) ♦ Zuordnung öffentlicher und privater Gemeinschaftseinrichtungen, ♦ Umgestaltung des öffentlichen Raums, ♦ Flohmärkte, ♦ Ansiedlung eines Wochenmarktes (mit örtlichen Erzeugnissen). Beteiligte: Bewohnerinnen und Bewohner, Ortsteilmanagement, Stadtverwaltung und Eigenbetriebe, heimische Wirtschaft, Kammern u.ä., Wohnungsunternehmen ... 4. Soziale, kulturelle, bildungs- und freizeitbezogene Infrastruktur Ziel: • Verbesserung der entsprechenden Infrastruktur exemplarischer Maßnahmenkatalog: ♦ Für alle: Bürgertreffpunkte, internationale Begegnungen, Freizeithaus, kulturelle Projekte, Sporteinrichtungen. ♦ Für Kinder: Krabbelgruppen, Tagesheim, Spielwohnungen, Kinderbauernhof, Spielplatzgestaltung. ♦ Für Jugendliche: Flächen für Bewegung und Kommunikation, Angebote für offene Jugendarbeit, Treffpunkte, Jugendwerkstätten, Räume für Aus- und Fortbildung, mobile Spiel- und Sportangebote. ♦ Für Frauen und Mädchen: eigene Treffpunkte, Werk- und Schulungsräume. ♦ Für ältere Menschen: Seniorentreffpunkt. Beteiligte: Bewohnerinnen und Bewohner, Ortsteilmanagement, Stadtverwaltung und Eigenbetriebe, Wohnungswirtschaft, EVUs, WLT, Jugendzentrum, Tierheim ... 5. Wohnen Ziele: • Verbesserung des Wohnwertes der Wohnungen • Sicherung preiswerten Wohnraums (Belegungsrechte), • Erhalt (bzw. Wiederherstellung) gemischter Bewohnerstrukturen • Unterstützung aktiver Nachbarschaften • Stärkung der Identifikation der Mieter mit Wohnung und Wohnumfeld exemplarischer (baulicher und wohnungswirtschaftlicher) Maßnahmenkatalog: ♦ Einsatz von Förderprogrammen zur Auffächerung des Wohnungsangebotes, ♦ Instandsetzung, Modernisierung, Umbau, ergänzender Neubau, ♦ energetische Nachbesserung der Wohnungen, ♦ Ermöglichung von Selbsthilfeeinbringung, insbesondere auch von Gruppenselbsthilfe zur Schaffung gemeinschaftlicher Wohnformen, ♦ individuelle Umgestaltung der Fassaden, Erdgeschosszonen und Zugangsbereiche, Betreuung von Hauseingängen durch Pförtner, ♦ Umnutzung von Erdgeschossbereichen für kleinere gewerbliche Betriebe. ♦ Sonderregelungen bei der Wohnungsbelegung, z. B. Freistellung von Belegungsbindungen, Tausch von Belegungsbindungen, ♦ Begrenzung der Mietkostenbelastung (Senkung der Mietnebenkosten, Mietpreisgestaltung, Fehlbelegungsabgabe), 53 ♦ Angebote zur Aktivierung und Identifikation der Mieter (Mietergärten, Pförtnerdienste, Beteiligung der Mieter an geeigneten Aufgaben der Hausverwaltung, Mieterfeste), ♦ Schaffung/Unterstützung nachbarschaftlicher Netze, Initiierung von nachbarschaftlicher Hilfe, Angebote für bestimmte Gruppen (Kinder, Mütter, Jugendliche, Ältere, Hobbygruppen), Bereitstellung von Räumen für Aktivitäten, ♦ Qualitätssicherung für Wohnung und Wohnumfeld (Mängelbeseitigung). Beteiligte: Bewohnerinnen und Bewohner, Ortsteilmanagement, Stadtverwaltung und Eigenbetriebe, Wohnungsunternehmen, EVUs, Verbände der Wohnungswirt-schaft, Architektinnen und Architekten, Einzeleigentümerinnen und -eigentümer ... 6. Wohnumfeld und Ökologie Ziele: • Verbesserung des Wohnwertes durch Aufwertung des Wohnumfeldes • bessere Nutzung und bessere Gestaltung von Freiflächen • mehr Sicherheit und Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum • Berücksichtigung ökologischer Erfordernisse exemplarischer Maßnahmenkatalog: ♦ Neu- und Umgestaltung von Plätzen, Straßenräumen, Gewässern, Ufern, Parkanlagen und Treffpunkten, Spiel- und Sportplätzen, ♦ Neugestaltung und Mehrfachnutzungen des Schulhofs, ♦ begrünte Höfe, Mietergärten, Vorgärten, grüne Wände und Dächer, ♦ barrierefreie Wegeführung, ♦ Sicherung von Fuß- und Radwegen, ♦ Verbesserung der Beleuchtung im öffentlichen Raum, ♦ ökologische Patenschaften, ♦ Immissionsschutzmaßnahmen. Beteiligte: Bewohnerinnen und Bewohner, Ortsteilmanagement, Stadtverwaltung und Eigenbetriebe, Wohnungsunternehmen, EVUs, ... Die Umsetzung des Projektes erfolgt etwa in folgenden Arbeitsschritten: - sozialräumliche Analyse mittels Methoden qualitativer Sozialforschung, - Aufbau eines Netzwerkes von sozialen Beziehungen im Ortsteil, - gemeinsame Formulierung von Bedürfnissen und Bedarfen durch die Akteure; Formulierung einer Entwicklungsvision und von Richt- und Grobzielen, - Entwicklung von Projekten und Feinzielen (planen, einsetzen, verwirklichen), - permanente prozessbegleitende Evaluation. Die Arbeitsschritte sind von einander abhängig und gehen ineinander über. Bei allen Arbeitsschritten sind insbesondere die Menschen vor Ort zu beteiligen. Darüber hinaus ist die Beteiligung möglichst vieler, unterschiedlicher Akteure anzustreben. Zum Verfahren ist festzustellen, dass die sozialräumliche Analyse im Vorfeld der vollständigen Implementierung der Stabsstelle von dem/der Leiter/in geleistet bzw. organisiert werden soll. Ebenfalls im Vorfeld sind die Voraussetzungen für die Einrichtung der Kontaktstelle (Büro) vor Ort zu schaffen. Ist dies sichergestellt, wird die Stabsstelle vollständig personell besetzt. 54 Aufgabe der/s Leiterin/s ist besonders die Erstellung von Konzeptionen und deren Dokumentation, die Finanz- und Sachmittelakquisition (Bund, Land, Stadt, freie Wirtschaft), die Koordination aller Beteiligten, die Öffentlichkeitsarbeit und die Qualitätssicherung. Aufgabe der zugeordneten zwei Stellen ist die Gewährleistung regelmäßiger Öffnungszeiten der Kontaktstelle und die Durchführung konkreter Maßnahmen vor Ort durch die entsprechenden Methoden Sozialer Arbeit. Die Stellen sind vorzugsweise mit Sozialarbeitern/innen zu besetzen. Aufgabe der vierten Stelle sind verwaltungstechnische Unterstützung und organisatorische Dienstleistungen. Die vierte Stelle und eine weitere Stelle können verwaltungsintern durch Umbe-setzungen im Zuge der Auflösung des Bereichs 41 besetzt werden. Die anderen zwei Stellen (darunter die Leitungsstelle) sind öffentlich auszuschreiben. Durch die avisierte Bezuschussung des Projektes entstehen somit der Stadt keine Zusatzkosten. 7.2 Bausteine eines Gesamtprojekts Die Entwicklung der hier nachfolgend skizzierten, exemplarischen Module des Gesamtprojekts hat grundsätzlich mit intensiver Beteiligung der Menschen vor Ort zu erfolgen und ist insofern – als Planung vom grünen Tisch – methodisch unzulässig. Die Bausteine hier geben zusätzlich nur einen winzigen Ausschnitt dessen wieder, was alles an konkreten Projekten möglich ist. Das umfangreiche Interaktionsgeschehen schon innerhalb dieser Projekte lässt sich grundsätzlich kaum und im Rahmen dieser Arbeit schon gar nicht wiedergeben. Insgesamt dienen die Bausteine lediglich der exemplarischen Veranschaulichung gelingender GWA.232 Baustein 1: Einrichtung der Kontaktstelle (Partizipation/Ortsteilleben) Ziel: Einrichtung einer Kontaktstelle mit Büro- und Begegnungsbereich Verantwortlich: Leitung der Stabsstelle KooperationspartnerInnen: Wohnungsbaugesellschaft(en), EVUs, Telefon-anbieter, Möbel- und Büromaschinenhersteller, Mittelstand, Private ... Bedarfe: Räume, Energie, Telekommunikation (inkl. Internet), technische Infrastruktur, Mobiliar, Bürobedarf ... Kosten: keine bzw. möglichst gering (laufender Betrieb) Methoden: Social Sponsoring, Fundraising Kurzbeschreibung: Die Einrichtung der Kontaktstelle, die einen Bürobereich und einen kleineren Begegnungsbereich umfassen soll (Flächenbedarf ca. 100-150 qm), ist möglichst ohne etatmäßige Belastung durch Social Sponsoring und Spenden zu realisieren. Dabei 232 Die Darstellung der einzelnen Bausteine erfolgt aus Platzgründen in Form von Steckbriefen. Wo sie auf Ideen anderer zurückgehen, ist das, soweit als möglich vermerkt. Allerdings ist es mir unmöglich, hier alles zu belegen. Ich bitte um Nachsicht. Die in den Projekten genannten Bereiche beziehen sich in etwa auf die in der Ratsvorlage enthaltenen Zielbereiche 1. Partizipation und Ortsteilleben, 2. Wirtschaft/Arbeit, 3. Ortsteilzentrum, 4. Sozio-Kultur, 5. Wohnen, 6. Wohnumfeld. Diese sind hier um den Bereich allgemeine Mittelbeschaffung und Personalakquisition ergänzt. 55 kommt es auf die zielgenaue, freundliche und originelle Ansprache möglicher GeberInnen an. Die Räumlichkeiten sind kostenlos von der GEWO zur Verfügung zu stellen, die vom Projekt mindestens mittelbar profitieren wird. Dabei ist an zwei Wohneinheiten (Leerstände) Parterre in einem Wohnblock in der Orts-mitte gedacht. Die Energieversorgung ist kostenlos durch die ehemalige VEW sicherzustellen, für die das zur GEWO Gesagte gilt. Der von der Stadt in Anspruch genommene Telefon- und Netzanbieter ist durch Verweis auf den städtischen Großkundenstatus in die Pflicht zu nehmen. Für die technische Infrastruktur (EDV) ist ein passender Sponsor zu finden. Der Einsatz von Altgeräten scheidet aus. Notfalls müssen dafür die entsprechenden Sachkostenzuschüsse in Anspruch genommen werden. Das Mobiliar soll durch Sponsoring eines entsprechenden Möbelherstellers bereitgestellt werden. Dabei ist auf den besonders öffentlichkeitswirksamen Charakter des Projektes (ständige, kostenlose Möbelaustellung ...) hinzuweisen. Der laufende Bürobedarf ist durch Spenden Privater und des Einzelhandels aufzubringen. Baustein 2: Die „Cent-Idee“ (allgemeine Mittelbeschaffung) Ziel: Mittelbeschaffung für den laufenden Betrieb des Gesamtprojektes Verantwortlich: Leitung der Stabsstelle KooperationspartnerInnen: Beschäftige heimischer Großbetriebe Kosten: keine Methode: Fundraising Kurzbeschreibung: Die „Cent-Idee“ sieht vor, dass möglichst alle Beschäftigten eines heimischen Großbetriebes mindestens alle Beträge hinter dem Komma ihres Nettoeinkommens an das Gesamtprojekt spenden. Als Betriebe vor Ort kommen die Stadtverwaltung selbst, der heimische chemische Betrieb, die Krankenhäuser und das geplante Freizeitzentrum infrage. Die Erstansprache erfolgt über die Personal- bzw. Betriebsräte und Mitarbeitervertretungen. Bei dem Projekt233 kann auf Erfahrungen anderer zurückgegriffen werden. Entsprechende Kontakte (BODO) bestehen. Baustein 3: Hilfskräfte auf Zeit (Personalakquisition) Ziel: Gewinnung zusätzlicher (qualifizierter) MitarbeiterInnen Verantwortlich: alle SozialarbeiterInnen KooperationspartnerInnen: Studierende an Universitäten, FHs und Berufskollegs Kosten: keine Methode: Head hunting ... Kurzbeschreibung: Das dauerhafte Projekt zielt auf die Gewinnung weiterer MitarbeiterInnen (auf Zeit). Studierende der entsprechenden Studiengänge an den (regionalen) Universitäten, Fachhochschulen und dem Anna-Zillken-Berufskolleg sollen die Gelegenheit erhalten, notwendige Praktika ableisten zu können. Infrage kämen grundsätzlich 233 Unter diesem Punkt wird nicht auf den Projektbegriff im engeren Sinne rekurriert. Vgl. Frey 1991 56 auch angehende ErzieherInnen. Die PraktikanntInnen sollen in Absprache mit ihren entsprechenden AnleiterInnen möglichst selbstständig kleinere Projekte bearbeiten und bei größeren Projekten möglichst selbstständig mitarbeiten. Von daher hat eine strenge Vorauswahl der BewerberInnen zu erfolgen. Insgesamt ist hier eine Entlastung der Hauptamtlichen angestrebt, wobei die PraktikanntInnen nicht lediglich als kostenlose Hilfskräfte in Anspruch genommen werden dürfen. Lernerfolge sind sicherzustellen. Mit den jeweiligen Lehrkräften ist Kontakt aufzunehmen bzw. zu halten. Darüber hinaus ist eine wissenschaftliche Begleitung des Gesamtprojekt etwa durch DiplomantInnen und Promovierende gewünscht. Baustein 4: www.kostnix.de (allgemeine Mittelbeschaffung/Partizipation/Bildung) Ziel: kostenlose Mittelbeschaffung (Kleinstpräsente, „Give-Aways“) Verantwortlich: Menschen vor Ort (keine spezifische Zielgruppe) KooperationspartnerInnen: diverse Kosten: keine Methode: Fundraising im Internet (Soziale Gruppenarbeit), Selbsthilfe Voraussetzungen: Internet-Kenntnisse, Internetzugang Kurzbeschreibung: Das fortlaufende Projekt zielt auf die Mittelbeschaffung, Partizipation und Bildungsarbeit. Im Internet finden sich diverse Dienste, über die kostenlose „Utensilien“ abgerufen werden können. Die entsprechenden Seiten sollen regelmäßig durchforstet werden. Die so akquirierten Sachmittel gehen teilweise ins Eigentum der am Projekt Beteiligten und teilweise in den Sachfundus des Gesamtprojekts als Tombola-Trostpreise, Ferienprogrammgeschenke etc. über. Voraussetzung ist ein Internet-Bereich vorzugsweise im Begegnungsbereich, oder im Jugendzentrum bzw. der Grundschule, die grundsätzlich ihre Räumlichkeiten im Rahmen des Gesamtprojekts öffnen. Weitere Voraussetzung sind InternetKenntnisse, die an die Interessierten ggf. im Rahmen einer Sozialen Gruppenarbeit (etwa durch Studierende, vgl. Baustein 3) zu vermitteln wären. Das Projekt ist auf vielfältige Weise ausbaufähig.234 Baustein 5: Internet-Präsentation (Öffentlichkeitsarbeit/Partizipation/Bildung) Ziele: Öffentlichkeitsarbeit und Werbung Verantwortlich: Redaktionsteam Homepage (Menschen vor Ort) KooperationspartnerInnen: Profis in der Stadt Kosten: keine 234 Etwa durch originelle Briefaktionen a la Sprenzinger. Vgl. Sprenzinger 1998 57 Methode: ggf. Soziale Gruppenarbeit, Selbsthilfe Voraussetzungen: Kenntnisse im Homepage-Bau und Internet, Internetzugang Kurzbeschreibung: Der Ortsteil soll sich als Teil der Öffentlichkeitsarbeit im Internet mit einer eigenen Homepage präsentieren. Die Befähigung dazu soll zunächst an ein kleines festes Redaktionsteam von Menschen aus dem Ortsteil (max. fünf Personen) durch Soziale Gruppenarbeit (Studierende) vermittelt werden. Das Projekt wird durch Profis einer Internetfirma in der Stadt professionell betreut. Bei größerem Interesse sind mehrere Teams zu bilden (je eine Homepage ...). Baustein 6: Öffentlichkeitswirksame Knaller (Öffentlichkeitsarbeit/Partizipation) Ziele: Öffentlichkeitsarbeit und Werbung Verantwortlich: Leitung der Stabsstelle (und Menschen vor Ort) KooperationspartnerInnen: Prominente, Firmen und Medien Kosten: keine Methode: Sponsoring Voraussetzungen: Originalität und Kreativität Kurzbeschreibung: Das Gesamtprojekt soll sich auch regional und überregional bekannt machen. Dazu sind originelle und kreative Ideen notwendig, die gemeinsam zu entwickeln und umzusetzen sind. Das könnten etwa sein: Prominentenfußball (gemischte Mann- und Frauschaften aus Prominenten und BewohnerInnen, z.B. die Bundestagself, notfalls Lokalprominenz), Lokaltermine (...), Fahrt mit dem Heißluftballon (z.B. prominente PolitikerInnen nach dem Motto „Heiße Luft haben wir immer schon gemacht, jetzt nutzen wir sie ...), Konzerte, Auktionen ... Baustein 7: Das Ortsteil Filmteam (Partizipation/Öffentlichkeitsarbeit) Ziele: Partizipation, Öffentlichkeitsarbeit, Kulturarbeit Verantwortlich: Menschen vor Ort und SozialarbeiterIn KooperationspartnerInnen: Elektro- bzw. Fotoeinzelhandel, Offener Kanal Kosten: keine Methode: Soziale Gruppenarbeit (Sponsoring) Voraussetzungen: Filmtechnik ... Kurzbeschreibung: Bei dem Projekt geht es vorzugsweise darum, Menschen zu aktivieren. Es wird bei angenommenen Interessen (Video gucken) angesetzt, um diese produktiv zu wenden. Das Projekt selbst besteht aus praxisorientierter Befähigungsarbeit zum Umgang mit den notwendigen Techniken (Kameraführung, Interviewtechniken, technische Aufbereitung) 58 in Kooperation mit dem lokalen OK, Recherchen, konkreten Dreharbeiten, der abschließenden Aufbereitung und dem Senden. Die Motive dafür sind im Ortsteil reichlich vorhanden. Ziel sind auch die Entdeckung der Fülle des Lebens im Ortsteil (auch der Schwächen und Probleme) und die Identifikation mit dem Ortsteil. Methode ist die Soziale Gruppenarbeit. Das technische Equipment kann zu Beginn ausgeliehen werden. Wenn die Gruppe läuft, ist an die Beschaffung einer eigenen Ausrüstung durch Sponsoring zu denken. Die Gründung von mehreren Filmteams ist grundsätzlich denkbar. Baustein 8: Die Geschichtswerkstatt (Partizipation/Öffentlichkeitsarbeit) Ziele: Partizipation, Öffentlichkeitsarbeit, Kulturarbeit Verantwortlich: (alte) Menschen vor Ort und SozialarbeiterIn KooperationspartnerInnen: Stadtarchiv, Fotograf Kosten: keine Methode: Soziale Gruppenarbeit, Biographiearbeit Voraussetzungen: keine Besonderen Kurzbeschreibung: Das Projekt zielt besonders auf ältere Menschen im Ortsteil. Durch Biographiearbeit im Rahmen einer Sozialen Gruppenarbeit235 sollen sie sich auf eine Entdeckungsreise in die eigene Vergangenheit und die des Ortsteils begeben. Dabei können bestimmte Orte aufgesucht, die Bedeutung etwa von Straßennamen kann erforscht und im Stadtarchiv und bei einem Fotografen kann nach Herzenslust in Text- und Fotomaterial gestöbert werden. Das erste größere Ziel könnte die Präsentation der Arbeit in einer Ausstellung zur Geschichte des Ortsteils sein. So wird Identifikation mit dem Ortsteil verstärkt. Baustein 9: Der Genossenschaftsladen (Partizipation/Wirtschaft und Arbeit) Ziel: Einrichtung eines selbstverwalteten „Einkaufzentrums“ Verantwortlich: Leitung, SozialarbeiterInnen, ausgewählte Menschen vor Ort KooperationspartnerInnen: Stadtverwaltung, Sparkasse, Einzelhandelskette, Kiosk, landwirtschaftliche Betriebe, betriebswirtschaftliche Fakultäten ... Kosten: keine (selbsttragend) Methode: Soziale Gruppenarbeit zur Betriebswirtschaft, Sponsoring ... Voraussetzungen: Verhandlungsgeschick u.v.m Kurzbeschreibung: Am Ende der Projektarbeit steht ein selbstverwaltetes, genossenschaftliches Einkaufszentrum, in dem der Bedarf des täglichen Lebens kostengünstig gedeckt werden kann. Auf dem Weg dorthin sind umfangreiche und interprofessionelle Kooperationsnetzwerke zu knüpfen und betriebswirtschaftliche Befähigungsarbeit mit den potentiellen BetreiberInnen zu leisten. Der offenkundig bestehende Bedarf soll durch wissenschaftliche Begleitung (z.B. Seminare bzw. DiplomantInnen betriebswirtschaftlicher Fakulutäten) nachdrücklich dokumentiert werden. Über die politische Schiene ist die 235 Vgl. dazu Bruhn-Tripp/Mrugalski 2001 59 Sparkasse (einfachster Weg, auch mit anderen Banken sind Gespräche zu führen ...) als Kreditgeber in die Pflicht zu nehmen. Die Bestückung des Geschäfts hat durch eine entsprechende Einzelhandelskette zu erfolgen. Das Sortiment wird ergänzt durch die Direktvermarktung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Fleisch und Gemüse). Die Verwaltung liegt am Ende bei den BetreiberInnen vor Ort. Neben diesem großen ökonomischen Wurf, der auch dazu dient, das Ortsteilzentrum zu refunktionalisieren, sind kleinere ökonomische Formate denkbar und wünschenswert.236 Baustein 10: Kinderspezifische Projekte (Partizipation/Sozio-Kultur) Ziel: Gestaltung des Kinderspielplatzes im Rahmen einer Freienprogrammaktion Verantwortlich: SozialarbeiterInnen, Honorarkräfte, Ehrenamtliche u.a. KooperationspartnerInnen: Jugendzentren der Stadt, Baumärkte ... Kosten: siehe Kurzbeschreibung Methoden: Soziale Gruppenarbeit, Projektmethode, Sponsoring Voraussetzungen: keine Besonderen Kurzbeschreibung: Im Rahmen des Sommerferienprogramms wird durch eine Vielzahl von kreativen Projekten der Kinderspielplatz im angrenzenden Grünzug wiederhergestellt und funktional verbessert. An der Aktion sollen ca. 200 Kinder im Alter von 7-12 Jahren über zwei Wochen teilnehmen. Das Projekt kann auf Vorerfahrungen des Programms „PicassiniPicassimo“ in der Stadt zurückgreifen.237 Die Personalkosten sind durch den Haushalt (Ferienprogramm) deckt. Außerdem können Sachkosten aus verschiedenen Haushaltstiteln (Bereich Grünflächen) abgerufen werden. Bestimmte Materialien können durch Sponsoring (Baumärkte) akquiriert werden. Ein Projekt im Projekt wäre das Herrichten einer Fläche für Skater Baustein 11: MieterInnengärten (Partizipation/Wohnen/Wohnumfeld) Ziel: Einrichtung von Nutz- und/oder Ziergärten an den Hochbauten Verantwortlich: BewohnerInnen KooperationspartnerInnen: Stadt- und Wohnungsverwaltung(en), Gartencenter Kosten: keine Methoden: Beratung, Soziale Gruppenarbeit, Projektmethode, Sponsoring Voraussetzungen: keine Besonderen 236 Vgl. dazu Elsen 1998, S.222ff. Das Projekt ist ausgesprochen arbeitsintensiv und erfordert von Beginn an ständig (bei aller Autonomie) ein professionelles Management. Schöne Beispiele für kleinere Formate finden sich u.a bei Elsen 1998, S. 195ff (Partyservice, „Pferdeäpfelverkauf ...) 237 Im Sommer 2000 beschäftigten sich über 200 Kinder mit der Gestaltung des Geländes und der Bauten eines ehemaligen Freibades, das (gegen anfänglich massive Widerstände aus Politik und Verwaltung) u.a. durch IBAMittel zum bürgerschaftlichen Kulturzentrum umgewidmet wurde. 60 Kurzbeschreibung: Das Projekt zielt auf die Verbesserung des Wohnumfeldes, die Identifikation der BewohnerInnen mit ihrem Haus und hat eine gewisse ökonomische Bedeutung (Nutzgärten). In Absprache mit den Wohnungsbaugesellschaften sollen kleinere Parzellen vor und hinter den Hochhäusern im Zentrum des Ortsteils zu Gärten umgewidmet werden. Das notwendige Material ist von der Stadtgärtnerei und durch Fundraising (Ausschußware) von lokalen Gartencentern zu beschaffen.238 238 Für ein Schlusswort ist hier kein Raum. Es wäre zudem auch völlig unangemessen. Die Arbeit ist zwar hier zu Ende, aber noch lange nicht am Schluss ... 61 Literaturverzeichnis Ackermann, F. (2000): Beruf, Disziplin, Profession? Ein kurzer Überblick über qualitative www.qualitativeStudien zur Professionalisierung Sozialer Arbeit. In: sozialforschung.de/beitraege.htm 11.09.2000 Alemann, U. von (1997): Die Bedeutung vorparlamentarischer Beteiligungsformen für die kommunale Demokratie. In: Stiftung Mitarbeit (Hg.): Bürgerbeteiligung und Demokratie vor Ort. In: Schriftenreihe: Beiträge zur Demokratieentwicklung von unten. Bd. 10. Bonn, S. 9-31 Alisch, M. (Hg.) (22001): Stadtteilmanagement. Voraussetzungen und Chancen für die soziale Stadt. Opladen Alisch, M. (22001): Stadtteilmanagement. Zwischen politischer Strategie und Beruhigungsmittel. In: Alisch, M. 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