No Home For Blixt, Teil 2 Bill Laswell: Der Extrem

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No Home For Blixt, Teil 2 Bill Laswell: Der Extrem
No Home For Blixt, Teil 2
Bill Laswell: Der Extrem-Avantgardist
Der Bassist, Produzent, Komponist und Impresario Bill Laswell gehört zu den
schillerndsten Figuren der New Yorker Szene. Das Panorama seiner künstlerischen
Aktivitäten, das nicht einmal von John Zorn übertroffen wird, reicht von der extremen
Avantgarde bis zu den Gipfeln des kommerziellen Erfolgs, von Mainstream-Pop,
Heavy Metal und Prog-Rock über HipHop, Reggae, Blues, Jazz, freier Improvisation
und verschiedensten Idiomen so genannter Weltmusik bis zu Gregorianik, Ambient,
Dub und Drum&Bass. Oft prallen mehrere dieser stilistischen Zustände bei Laswell
innerhalb eines Projektes zusammen. Die Konstellation des Trios hat bei alledem
stets eine zentrale Rolle gespielt, und selbst größere Formationen waren bei ihm oft
nur eine Art Bündelung mehrerer Trios. Text: Wolf Kampmann
Als Bill Laswell Ende der 1970er-Jahre von Detroit nach New York umsiedelte,
gründete er gleich zwei Trios, die relativ unterschiedliche musikalische Richtungen
einschlugen. Seine erste Formation, die für lange Zeit unter verschiedenen
Vorzeichen sein wichtigstes Projekt bleiben sollte, war Material. Die Band, die nach
dem Vorbild von Can gegründet worden war und eine Art avantgardistischer DanceMusic zelebrierte, bestand neben Protagonist Laswell aus Keyboarder Michael
Beinhorn und Drummer Fred Maher.
Anfangs diente Material als flexible Backing-Band für weitaus bekanntere Interpreten,
unter anderem für den Alt-Prog-Rocker Daevid Allen: Mit ihm firmierte die Band unter
dem Logo New York Gong. Gelegentlich verstärkte Gitarrist Robert Quine Material
zum Quartett. Dass Material später zu einer der opulentesten genreübergreifenden
Allstar-Riegen im Musikbusiness gehörten, die nicht mehr andere Künstler
unterstützten, sondern Namen wie Whitney Houston, Nile Rodgers, Killah Priest,
Archie Shepp, Henry Threadgill, John McLaughlin oder Herbie Hancock in ihren
eigenen Reihen auswiesen, steht auf einem anderen Blatt.
1981 zog der gerade frisch in New York aufgeschlagene britische Multiinstrumentalist
Fred Frith desillusioniert durch die Straßen von New York. Da hörte er nach eigenen
Erzählungen aus einem Keller genau die Musik, nach der er gesucht hatte. Er klopfte
an und erwischte Laswell und Maher bei einer gemeinsamen Session. Frith holte
seine Gitarre, das Trio begann zu jammen und aus dem Nichts heraus entstand
eines der einflussreichsten Trios der späteren New Yorker Downtown-Avantgarde.
Unter dem Namen Massacre fanden Laswell, Frith und Maher eine spektakulär
ätzende Verbindung von Punk, Prog-Rock und freier Improvisation. Ihr Sound war
unglaublich trocken und kraftvoll, und der Song „Legs“ von dem für lange Zeit
einzigen Material-Album „Killing Time“ mauserte sich zu einem veritablen Club-Hit
der Lower Eastside. Erst 20 Jahre später fand Massacre, diesmal mit dem britischen
Schlagzeuger Charles Hayward, erneut zu einer ungemein kraftvollen Einheit
zwischen Improv-Metal und Power-Dub zusammen.
Mit Last Exit stellte Bill Laswell eine der umstrittensten Bands der 1980er-Jahre auf.
Saxofonist Peter Brötzmann, Gitarrist Sonny Sharrock und Drummer Ronald
Shannon Jackson und Laswell suchten, zuweilen verstärkt durch Herbie Hancock,
die größtmögliche Reibungsfläche zwischen Free Funk und Heavy Metal. Die Kritik
kam mit diesem Unterfangen nicht zurecht. Sie beschimpfte Laswell und Konsorten
der totalen Scharlatanerie und des oberflächlichen Schockeffekts. Laswell nahm’s
gelassen. Last Exit war zwar ein Quartett, doch bei genauerem Hinsehen erfolgte in
dieser Gruppe die Verschmelzung zweier Trios. Da war zum einen das GitarrenPower-Trio nach Hendrix-Machart und zum anderen das Improv-Trio im Stile der
Brötzmann-Troikas. Last Exit schoss Schneisen des Noise in die immer noch
kuschelige Selbstwahrnehmung des Jazz, und vieles, was später als normal galt, ist
durch diese Kamikaze-Einheit überhaupt erst möglich geworden.
Die Liste der Laswell-Trios lässt sich unendlich fortsetzen. Arcana schloss mit Derek
Bailey und Tony Williams an das Vorbild von Lifetime an, in Praxis fand Laswell mit
Brain und Buckethead eine Art Speed-Alternative zu Primus, und in Painkiller lärmte
er gemeinsam mit John Zorn und Mick Harris, dem Drummer von Napalm Death und
Scorn, zwischen Death Metal, Free Jazz und Ambient. Bei all diesen Trios, wie auch
in seinen anderen Bands, verband der passionierte Perfektionist Laswell stets
äußerste persönliche Leidenschaft mit unfassbarem produktionstechnischem und
konzeptionellem Kalkül. Die Pferde können noch so durchgehen, Laswell behält stets
die Kontrolle.
Bis kurz nach der Jahrtausendwende erschienen nahezu im Wochenrhythmus neue
Platten von Laswell. Und wenn sein Name überreizt war, dann brachte er sie eben
unter dem Logo seiner oft viel berühmteren Mitspieler raus. Ein prominentes Beispiel
ist Herbie Hancocks Klassiker „Future Shock“. Doch nach 2001 wurde es deutlich
stiller um den Workaholic, der nun auch seinem Privatleben angenehme Seiten zu
entlocken wusste.
Blixt ist nun eines der wenigen Projekte, mit denen er an seine großen Trios der
Vergangenheit anschließt. Nachdem er sich in seiner langen Laufbahn mit
unterschiedlichen Gitarristen wie Robert Quine, Michael Gira, Fred Frith, Sonny
Sharrock, James „Blood“ Ulmer oder Nicky Scopelitis rumgetrieben hatte, gibt er sich
hier mit dem Finnen Raoul Björkenheim und dem schwedischen Drummer Morgan
Agren die Kante. Blixt ist beherzte Power-Improvisationen, von allem immer ein
bisschen zu viel, auf der Suche nach der verlorenen Zeit eingekantet zwischen
Gegenwart und Zukunft. Es macht Spaß zu hören, mit welcher Renitenz sich die drei
in jedem Song freizappeln.
Dass sich zwischen Laswells Punk-Jazz-Band Massacre und Caspar Brötzmanns
Lärmgenossenschaft Massaker eine auffallende Namensübereinstimmung ergibt, ist
sicher nur Zufall. Aber wer glaubt schon an Zufälle? Mehr zum Sohn des Last-ExitSaxofonisten im dritten Teil.

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