Leseprobe - Blaslhof

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Leseprobe - Blaslhof
Sepp Taffertshofer
Bauer Sepps Erlebnisgeschichten
Mit Bildern von
Urlauberkindern und Reitschülern
Inhaltsverzeichnis
Die Maus Munzi Seite
11 - 27
Die Indianer vom Blaslhof
28 - 39
Die Geschichte von der Seeprinzessin
40 - 49
Die Geschichte vom Hexenwald
50 - 56
Ein sonderbarer Traum
57 - 60
Das Ungeheuer vom Königsee
61 - 69
Der Waldgeist
70 - 80
Die Geschichte vom Eisbär
81 - 96
Als meine Oma entführt wurde
97 - 106
Das Rehlein Mucki
107 - 123
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Die Maus Munzi
Es war an einem Nachmittag, sehr heiß und leichte Gewitterwolken am Horizont. Wir waren soeben
mit dem Mittagessen fertig, dann hörte ich meinen Namen rufen: „Sepp, die Pferde sind aus der
Koppel ausgebrochen und laufen in Richtung Wald.“ Sofort sprang ich auf und rannte nach draußen
und sah tatsächlich, wie vier Pferde zum Wald liefen. Schnell nahm ich noch einen Strick und
rannte über die Linde
zum nahegelegenen Wald, wo die Pferde schon verschwunden waren. Es waren Resi, Gino,
Weißchen und Susi. Am Waldrand angekommen war ich ganz außer Puste. Die Ponies nahmen die
Köpfe hoch und schauten mich an, als wollten sie sagen: „Du hast wohl keine
Kondition mehr, was Bauer Sepp?“ Nun nahm ich den Strick, legte ihn Susi um den Hals und führte
sie zurück zur Koppel. Die anderen drei folgten ganz brav, als wäre nichts gewesen. Als der Zaun
wieder ganz war, ging ich über die Wiese zurück zum Hof. Die Gewitterwolken kamen näher, ein
leichter, warmer Wind fegte mir durchs Haar.
Während ich so gemütlich ging, hielt ich auf einmal inne. Ein Geräusch, jetzt kann ich es ganz
genau hören, ganz in meiner Nähe: „Pieps, pieps, pieps, pieps.“ Ich bleibe stehen und lausche.
Wieder: „Pieps, pieps, pieps, pieps.“ Ich kann nichts sehen und höre auch nichts mehr. Ich gehe
weiter zur Linde und mache eine Pause, lege mich zwischen zwei Wurzeln und schaue den Wolken
zu, die sich immer mehr zu einem Gewitter zusammenbrauen. Dann bin ich plötzlich eingeschlafen.
Ich träume und höre immer wieder: „Pieps, pieps, pieps, pieps.“ Immer wieder: „Pieps, pieps, pieps,
pieps.“ Ich öffne die Augen, da sitzt auf meiner Brust eine kleine Maus und piepst und piepst immer
fort. Ich setze mich auf, nehme die Maus auf meine Hand. In dem Moment macht sie ein
Männchen.
Jetzt kann ich genau erkennen, daß es eine Stadtmaus ist. Aber wie erkennt man eine Stadtmaus?
Das weiß wohl keiner. Ich will es Euch sagen: die Maus machte ein Männchen und hängte die
Pfötchen nach unten. Jetzt kann ich ganz deutlich ihre rot lackierten Fingernägel sehen. Während
ich nachdenke, wo die wohl herkommt, aus München, Berlin oder Hamburg, merke ich, wie die
kleine Maus anfängt zu weinen. Und sie weint und weint und weint. Die Tränen kullern nur so
herunter, laufen über meine Hand, und ein kleines Bächlein Tränen fließt den Berg, wo die Linde
steht, hinunter. Zuerst bin ich ganz ratlos, denn so etwas habe ich noch nie erlebt. Dann frage ich
sie einfach, was sie hat. Die Tränen werden weniger, und sie fängt an zu schluchzen. Dann sagt
sie, sie heiße M. . .m. . .un. . . .z. . .i und wohne in M...ü...n...ch...e...n, in der
F...u...ß...gän...ger...z..o..n..e beim Bäcker R. . .i. .schar. . . .t. Nun hat Maus Munzi ihr Schluchzen
überwunden und spricht ganz klar. Sie hat auch keine Angst mehr, sie lächelt sogar ein bißchen
hoffnungsvoll, jemanden gefunden zu haben, der ihr zuhört. Sie erzählt weiter und weiter und diese
Geschichte, liebe Kinder, will ich Euch jetzt erzählen.
Maus Munzi wohnte also beim Bäcker Rischart, glücklich und zufrieden mit ihren Kindern und ihrem
Mann in der Getreidetruhe. Jeden Morgen stellte sie den Wecker auf vier Uhr, denn um fünf Uhr
kommt der Bäcker und holt Getreide, um Brot, Semmeln und Kuchen zu backen, und bis dahin
mußte sich die Mäusefamilie immer versteckt haben.
Doch jetzt passierte das schreckliche Unglück. Maus Munzi hatte Geburtstag, und die ganze
Familie feierte bis spät in die Nacht hinein. Um vier Uhr ging der Wecker, doch keiner hörte ihn.
Maus Munzi erwachte erst, als sie auf der großen Schaufel vom Bäcker Rischart mit samt dem
Getreide in die ratternde Getreidemühle geschüttet wird. Oh Schreck, oh Graus, denkt sich die
Maus - jetzt ist es aus. Ganz verzweifelt versuchte Maus Munzi herauszuklettern. Sie klettert und
klettert, rutscht aber immer wieder mit dem Getreide runter. Bald wird sie von den Steinen der
Mühle zerrieben werden. In ihrer letzten Not nimmt sie alle Kraft zusammen und springt mit einem
Satz über den Rand hinweg aus der Mühle heraus und fällt in eine Tüte mit zehn SemmeIn drin.
Maus Munzi sitzt zitternd in der Tüte und denkt nach, was passiert wäre, wenn sie es nicht
geschafft hätte. Wäre sie zu Mehl geworden? Nein, denkt sie. Wahrscheinlich Hackfleisch. Ihr wird
ganz mulmig bei dem Gedanken. Langsam verkriecht sich Maus Munzi zwischen den Semmeln und
wartet ab. Sie denkt nach, was sie machen soll. Eins ist sicher, der Bäcker Rischart darf sie nicht
entdecken. Das wäre ihr Tod. Sie entscheidet ruhig sitzenzubleiben und abzuwarten.
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Es ist jetzt sieben Uhr, der Bäcker Rischart schließt die Ladentüre auf, die Geschäftszeit beginnt.
Es dauert nicht lange, und schon kommt der erste Kunde. Die Tür geht auf, die Glocke läutet.
„Guten Morgen, Herr Rischart!“ „Guten Morgen, Frau Meier!“ „Sind meine Semmeln schon
gerichtet?“ fragt Frau Meier. „Jawohl“, sagt Herr Rischart und gibt Frau Meier die Tüte mit den
Semmeln und der Maus drin. Munzi zieht es vor Schreck das Herz zusammen. Ihr Herz schlägt so
schnell und laut, daß Munzi Angst hat, Frau Meier könnte es hören. Aber Gott sei Dank - das war
nicht so. Frau Meier bezahlt ihre Semmeln, verabschiedet sich und geht zur Türe raus.
Maus Munzi sitzt ganz ruhig, zittert zwischen den Semmeln und kennt sich vor lauter Geräuschen
nicht mehr aus. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Sie weiß nur eins: herausspringen wäre ihr
sicherer Tod bei dem Straßenverkehr. Sie bleibt mucksmäuschenstill sitzen und wartet wieder ab.
Die Minuten vergehen wie Stunden. Wenn das nur alles gut geht, denkt sie. Frau Meier kauft immer
noch ein, die Tüte wird voller und voller, ihr Platz wird immer weniger, es wird immer enger und
enger. Sie fahren mit dem Taxi, mit der S-Bahn, mit der U-Bahn, mit dem Aufzug, mit der
Rolltreppe. Es ist einfach furchtbar in der großen Stadt. Sie sehnt sich nach ihrer vertrauten Familie
und nach ihrer Getreidetruhe beim Bäcker Rischart.
Während Maus Munzi so dahinträumt von zu Hause, kommt der nächste Schock auf sie zu. Frau
Meier geht in eine Zoohandlung und kauft Katzen- und Hundefutter. Maus Munzi hört verzweifelt
das Gespräch mit. Was mache ich nur? Die Katzen und die Hunde werden mich auffressen. Die
ersten Tränen kullern der Maus Munzi über die Backe. Sie reißt sich wieder zusammen und hofft
auf ihren Schutzengel. Frau Meier fährt nun mit der S-Bahn nach Hause zu ihren drei Kindern, die
sie schon zum Frühstück erwarten. Es ist nämlich inzwischen 10 Uhr, Samstag Vormittag, sie
warten auf die Semmeln. Frau Meier kommt zu Hause an, die Kinder rennen ihr schon entgegen
und schreien: „Der Tisch ist schon gedeckt!“ Sie reißen ihr die Tasche aus der Hand und rennen die
Treppe hoch. Der Hund bellt und die Katzen miauen. Maus Munzi in ihrem Reflex weiß nur mehr
einen Rat um sich zu retten. Was denkt ihr? Ich sag‘s Euch: Sie beißt ein Loch in eine Semmel und
versteckt sich in der hintersten Ecke. Die Kinder holen einen Brotkorb, räumen die Tasche aus,
legen die Semmeln in den Korb - auch die Semmel mit der Maus Munzi drin. Munzi hat
wahnsinnige Angst. Wenn das nur gut geht! Die Kinder setzen sich hin, essen eine Semmel nach
der anderen. Nur zwei Semmeln bleiben noch übrig für die Frau Meier. Auch die Semmel mit der
Maus Munzi drin. Die Kinder stehen auf und rennen zum Spielplatz. Es ist ganz ruhig, ab und zu ein
Miauen von den Katzen oder ein Schnarchen vom Hund. Dann hört sie eine Türe schlagen. Jetzt
kommt die Frau Meier herein, mit einer Zeitung und einem Buch in der Hand und denkt sich: Die
Kinder sind schon weg - und ich will gemütlich frühstücken. Frau Meier setzt sich hin und schenkt
sich eine Tasse Kaffee ein, nimmt die Zeitung, schlägt sie auf, liest ein paar Zeilen drin und holt
sich die erste Semmel. Ganz gemütlich ißt und liest sie vor sich hin. Ganz glücklich und zufrieden,
endlich Ruhe und Erholung. Nun schenkt sie sich noch mal eine Tasse Kaffee ein und holt sich die
zweite und letzte Semmel. Mein Gott, was mache ich nur? Maus Munzi drängt sich ganz in die Ecke
der Semmel, zitternd wartet sie ab. Frau Meier beißt in die Semmel, ein Schmerz dringt durch den
ganzen Körper von Munzi, sie fängt an zu schreien. Frau Meier erschrickt, wird kreidebleich und
fällt ohnmächtig vom Stuhl. Im gleichen Moment springt Maus Munzi aus der Semmel heraus, mit
einem Satz landet sie auf dem Tisch. Sie weiß immer noch nicht, wo der Schmerz herkommt. Sie
denkt nur eins: Wo renne ich hin? Weg von hier. Die Katzen schleichen sich bereits an, Maus Munzi
rennt und rennt, auf dem Tisch durch Tassen und Teller, das Besteck fliegt vom Tisch - mit so einer
Geschwindigkeit rennt Maus Munzi. Die Katzen sind schon ganz nah und machen sich bereit zum
Sprung. Dann passiert es. Maus Munzi kriegt eine Kurve nicht mehr, rutscht aus und fällt über die
Tischkante hinunter in einen Abfallkorb. Alles vergeht in wenigen Sekunden, die Katzen springen
auf den Tisch. Sie finden Maus Munzi nicht mehr, denn sie hat sich inzwischen im Abfallkorb
versteckt und verhält sich ganz ruhig. Habe ich Glück gehabt, denkt sie. Es ist jetzt ganz ruhig
geworden, aber Maus Munzi wartet noch eine Viertelstunde. Dann geht sie langsam im Abfalleimer
nach oben, ganz vorsichtig schiebt sie die Nase über den Rand vom Eimer. Sie wittert nichts, sie
wagt noch einen Schritt weiter heraus. Sie spitzt die Ohren und sieht jetzt auch die Katzen. Sie
haben sich auf die Ofenbank gelegt und schlafen. Der Hund liegt unter dem Tisch und träumt vor
sich hin. Soeben wollte Maus Munzi herausklettern, dann ein Geräusch. Sie hatte ganz vergessen,
nach Frau Meier zu sehen. Sie erwacht eben aus ihrer Ohnmacht.
Maus Munzi versteckt sich schnell wieder. Frau Meier steht auf, Maus Munzi kann alles ganz gut
beobachten. Frau Meier macht nun ganz komisch mit ihrem Mund. Sie hat etwas drin, was sehr
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unangenehm ist. Auf einmal spuckt sie es aus, in den Abfallkorb. Maus Munzi wird es schlecht, es
ist ihr Schwanz. Auf einmal fängt Frau Meier wütend an zu schreien: „Die Maus wenn ich finde, die
erschlage ich!“
Sie weckt sofort den Hund und alle Katzen auf, sie sollen die Maus suchen. „Den Bäcker Rischart
werde ich verklagen“, schimpft sie weiter. Während sie vor sich hinschimpft, räumt sie den Tisch ab.
Maus Munzi versteckt sich wieder ganz unten im Abfalleimer, um vom Hund und von den Katzen
nicht gefunden zu werden. Auf einmal merkt sie, wie jemand im Abfallkorb schnuppert. Maus Munzi
sieht eine große Schnauze durch den Abfall schimmern. Jetzt sieht sie, wie sich der Hund ihren
Schwanz herausholt und frißt. Gott sei Dank verschwindet er sofort wieder. Wenn er wieder kommt,
was dann? Dann findet er bestimmt mich, denkt sich Maus Munzi. Es vergehen ein paar Sekunden,
dann hört sie, wie Frau Meier sagt: „Mensch, elf Uhr, heute kommt die Müllabfuhr!“ Sie nimmt den
Mülleimer mit Maus Munzi drin, rennt die Treppe runter zur großen Mülltonne und schüttet den
Mülleimer hinein. In dem Moment kommt schon der große Müllwagen angefahren, und die
Mülltonne samt Maus Munzi landet im Müllwagen.
Maus Munzi bekommt kaum mehr Luft, denn es stinkt fürchterlich. Ganz verzweifelt fängt sie an zu
weinen. Der Müllwagen wird immer voller und voller, sie kann sich gerade noch retten, indem sie
höher klettert. Dann ist Ruhe, der Müllwagen ist zirka dreiviertelt voll, es kommt nichts mehr. Maus
Munzi sitzt zitternd zwischen dem Müll, die Tränen kullern ihr über die Backe, sie denkt nach. Jetzt
fällt ihr ein, daß vor drei Tagen eine Fernsehsendung über eine Müllverbrennungsanlage war. Jetzt
gibt es keine Hilfe mehr für mich, denkt sich Maus Munzi und bekommt einen Weinkrampf, der sie
nur so durchschüttelt. Völlig am Ende mit ihrer Kraft, schläft sie ein. Als sie aufwacht, denkt sie
sofort wieder daran, daß sie sterben muß. „Ich muß mich zusammenreißen, ich muß noch mein
Testament schreiben.“ In dem Moment sieht sie auch tatsächlich neben ihr einen kleinen Block. Sie
geht hin, nimmt ihn und schlägt ihn auf, und tatsächlich ist sogar ein Bleistift drangebunden. Gott
sei Dank, denkt sie, dann wird wenigstens ums Erbe nicht gestritten.
Fein säuberlich verfaßt sie ihr Testament und versieht das Blatt Papier mit ihrer Unterschrift. Maus
Munzi atmet fest durch. Auf einmal spürt sie auf der Nase etwas Warmes. Erst weiß sie nicht, was
es ist, dann schaut sie nach oben. Es ist die Sonne. Ein kleines Loch, so groß wie ein Hühnerei, ist
oben im Müllcontainer.
Maus Munzi erfaßt es sofort: „Da muß ich raus - meine letzte Rettung!“ Sofort klettert sie die Wand
hoch und höher in Richtung Loch, immer steiler, es geht ganz gut, aber dann muß sie die Decke
entlang, und sie fällt runter. Immer wieder versucht Munzi es von Neuem, immer wieder fällt sie
runter, bis sie kraftlos zusammenbricht. Minuten später, es ist wie im Traum, hört sie Stimmen wie
im Chor: „Wir können Dir helfen. Wir können Dir helfen!“ Maus Munzi spitzt die Ohren, macht die
Augen auf. Wieder: „Wir können Dir helfen. Wir können Dir helfen!“ Maus Munzi kann niemanden
sehen, immer wieder die Rufe im Chor: „Wir können Dir helfen. Wir können Dir helfen!“ „Wo seid
ihr?“ ruft Maus Munzi.
In dem Moment kann sie vier Spinnen sehen und läßt ganz enttäuscht ihren Kopf fallen. Spinnen wie sollen die mir helfen, denkt sie. Und ehe Maus Munzi richtig schaut, bauen die Spinnen eine
Leiter zu dem Loch hoch, so fest und stabil, daß Maus Munzi hinausklettern kann. Maus Munzi
oben angelangt bedankt sich bei den Spinnen, und man sieht zum ersten Mal wieder ein bißchen
Lächeln in ihrem Gesicht. Es war nur ein kurzes Lächeln, denn die Schwierigkeiten sollten kein
Ende nehmen. Maus Munzi schaut sich um und merkt, daß der Müllwagen auf der Autobahn fährt.
„Wenn ich hier runter springe, bin ich mausetot“, denkt sie sich. Maus Munzi bekommt einen
Weinkrampf, ein Auto nach dem anderen überholt das Müllauto. Sie sitzt am Rand, und die Tränen
fallen auf die Autos. Die Autofahrer schauen nach oben, schütteln den Kopf: blauer Himmel und ein
Platzregen!?! Sie wußten nicht, daß es die Tränen von Maus Munzi waren.
Langsam fängt sie sich wieder.
Jetzt sieht sie in der Ferne ein Auto mit offenem Dach. „Wenn das Auto überholt, dann springe ich
hinein“, überlegt sich Maus Munzi. Sie bereitet sich vor, sammelt alle Kräfte, das Auto kommt
näher, setzt zum überholen an, und Maus Munzi macht sich zum Sprung bereit. Gleich ist es
soweit. Jetzt macht sie einen Satz und springt. Beinahe wäre sie zu weit gesprungen. Sie landet in
der Ecke des hinteren Sitzes. Ganz vorsichtig schaut sie sich um. Es sitzen Papa und Mama und
zwei Kinder im Auto, mit Koffern drin.
Wo fahren die wohl hin, denkt sie sich. Ganz leise bleibt sie in der Ecke, dann fängt ein Kind zum
Sprechen an: „Ach, ich freue mich schon so auf den Blaslhof, den Hund Iwan, die Katzen, Ziegen
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und Pferde, die Hängebauchschweine, die Bäuerin Agi, den Bauer Sepp und die ganzen Kinder.“
Maus Munzi bleibt der Atem weg. Bauernhof - das ist der sichere Tod für eine Stadtmaus. All die
Hoffnungen auf Rettung verschwinden wieder. Nach einer halben Stunde Fahrt hält das Auto auf
einmal an.
Ob wir schon da sind, denkt Maus Munzi. Dann hört sie schon den Hund Iwan bellen. „Wir sind da!“
schreien die Kinder und springen aus dem Auto. Sie werden schon erwartet. Bäuerin Agi empfängt
sie, die Katzen sitzen vor der Türe.
Ein großer Empfang und dann geht‘s ins Haus. Maus Munzi beobachtet ganz genau, was passiert.
Alle gehen mit aufs Zimmer, Hund, Katzen - alles ist wie weg vom Hof.
Das nutzt Maus Munzi, springt aus dem Auto, rennt über den Hofraum in Richtung Wiese zur Linde
hoch - und, wen trifft sie da? Den Bauer Sepp.
Als sie mir diese Geschichte erzählt hatte, sagte ich: „Ich kann Dir helfen, Maus Munzi“, die immer
noch auf meiner Hand sitzt. „Du kommst mit mir zum Hof!“ Maus Munzi unterbricht mich und sagt:
„Nicht zum Bauernhof, die Katzen, die Katzen.“ „Du brauchst keine Angst haben“, sage ich. „Ich
passe auf Dich auf, und Du darfst beim Bauer Sepp schlafen. Und morgen früh bringe ich Dich zum
Bahnhof, und Du kannst zurückfahren nach München, zu Deiner Familie.“ Langsam beruhigt sie
sich und vertraut mir, daß alles gut geht. Ich setze nun Maus Munzi in die Brusttasche von meinem
Hemd, und wir treten den Heimweg an. Zu Hause angelangt gehen wir in die Küche zum
Abendessen. Ich bringe die Katzen nach draußen, mache alle Türen zu, so daß Maus Munzi keine
Angst haben muß. Dann setze ich sie auf den Tisch. Maus Munzi ist es etwas unangenehm, denn
sofort versucht sie, sich etwas zu putzen, holt einen kleinen Spiegel aus ihrer Handtasche, und
nimmt ihren Lippenstift zur Hand, um gut auszusehen. So etwas habe ich wirklich noch nie
gesehen.
Aber ich muß sagen, sie war jetzt wirklich ein hübsches Stadtmäuschen, fast zum Verlieben. Ich
richte den Tisch und gebe der Maus Munzi ein großes Stück Käse. Was denkt ihr, was die Maus mit
dem großen Stück Käse macht? Sie frißt viele Löcher hinein. Kennt ihr den Käse mit Löchern drin?
Habt ihr gewußt, dass diese Löcher die Mäuse machen? - Ich nicht. Aber jetzt weiß ich es. Wieder
was dazugelernt, denke ich.
Dann gehen wir ins Bett. Maus Munzi schläft ganz tief und fest, manchmal strampelt sie ein
bißchen, dann ist wieder Ruhe. Am nächsten Morgen machen wir zusammen Frühstück, dann
setze ich sie ins Auto, in den Kindersitz und schnalle sie an. Und schon geht‘s zum Bahnhof. Am
Bahnhof angelangt, kaufe ich eine Fahrkarte, hänge ihr noch zehn Mark und einen Zettel fürs Taxi
um, zum Bäcker Rischart. Nun bringe ich sie in den Waggon, sie sitzt gegenüber von zwei älteren
Frauen, die sie nicht bemerkt haben. Als der Zug losgefahren ist, denkt sich Maus Munzi, die zwei
Frauen anzusprechen. Ganz leise und vorsichtig beginnt sie zu piepsen.
Die Frauen fangen an zu schreien: „Wo ist der Schaffner? Wo ist der Schaffner? Hilfe! Hilfe - eine
Maus!“
Maus Munzi springt unter den Sitz und denkt sich: Was sind die Menschen komisch?! Versteckt
bleibt sie bis zum Hauptbahnhof München, dann steigt sie aus. Ein Rummel, und sie muß fest
aufpassen, daß sie von den vielen Menschen nicht zertreten wird. Sie geht zum Taxistand, piepst
vorsichtig - keiner hört sie. Sie piepst immer lauter und lauter. Aber in den Geräuschen der
Großstadt geht alles unter. Sie ist schon ganz heiser, dann sieht sie einen Taxifahrer mit Sandalen,
ohne Socken. Da geht sie letzt hin. Sie versucht es zuerst wieder mit piepsen. Vergeblich. Dann
überlegt sie: Soll ich - soll ich nicht? Doch, dann macht sie es doch. Sie beißt den Taxifahrer in den
großen Zeh. Der Taxifahrer schreit auf vor Wut, schaut hinunter und möchte die Maus zertreten. Im
letzten Moment sieht er die roten Fingernägel, den Zehnmarkschein und das Blatt Papier. Ein
Lächeln überkommt den Taxifahrer, er nimmt die Maus in die Hand und fährt sie zum Bäcker
Rischart.
Zu Hause angelangt wird ein Fest gefeiert. Das Wiedersehen ist groß. Maus Munzi hat zwar keinen
Schwanz mehr, aber es ist alles schon verheilt. Ab und zu telefonieren wir noch miteinander, aber
am meisten freute ich mich, als in den letzten Osterferien Maus Munzi mit ihrer Familie bei uns eine
Woche Urlaub machte. Und stellt Euch vor, mit der Mäusefamilie bin ich Kutsche gefahren und
habe ihnen die Geschichte von der Seeprinzessin erzählt. Es war eines der schönsten Erlebnisse in
meinem Leben.
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... Das war die Geschichte von der Maus Munzi. Mehr spannende Geschichten über Hexen,
Indianer und Waldgeister findet ihr in dem Buch ...
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