In 80 Dingen um die Welt. Der Jules-Verne-Code

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In 80 Dingen um die Welt. Der Jules-Verne-Code
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Nr. 43/ Berlin, im September 2014
In 80 Dingen um die Welt. Der Jules-Verne-Code
Ausstellungstexte
Intro
Wir schreiben das Jahr 1872. Am 28. März sitzt Jules Verne an seinem Pariser Schreibtisch und beginnt ein neues Manuskript: „Le Tour de Monde en 80 Jours“ setzt er in
selbstbewusster Handschrift dicht unter den oberen Rand seines ersten Blattes. Wenige
Monate später, am 24. August 1872, greift in Berlin ein anderer Mann zur Feder, um ein
wichtiges Anliegen auf den Weg zu bringen: Generalpostmeister Heinrich von Stephan
formuliert ein Schreiben an die Oberpostdirektion und legt darin den Grundstein für das
erste Postmuseum der Welt, das heutige Museum für Kommunikation. Kurze Zeit darauf,
am 2. Oktober 1872, steht ein dritter Herr – der englische Gentleman Phileas Fogg,
Produkt der Phantasie Jules Vernes – im Londoner Reform Club und hört den
weitsichtigen Satz: „Die Erde ist kleiner geworden, weil wir sie heute zehn Mal schneller
umrunden können als noch vor 100 Jahren.“ Kurzerhand wettet er um die Hälfte seines
Vermögens, dass er von einer Reise um die Welt in achtzig Tagen pünktlich zurück sein
wird.
Drei Geschichten, die im Jahr 1872 spielen – ein Zufall? Ja und nein. Eine direkte
Verbindung zwischen Generalpostmeister Heinrich von Stephan auf der einen, Jules
Verne und Phileas Fogg auf der anderen Seite gibt es nicht. Was sie dennoch verbindet,
ist der Geist der Zeit und ein Gespür für die bahnbrechenden Entwicklungen des
weltweiten Verkehrs und der globalen Kommunikation. Die Ausstellung „In 80 Dingen
um die Welt. Der Jules-Verne-Code“ spürt dieser Verwandlung der Welt im späten 19.
Jahrhundert nach. Sie nimmt Jules Vernes Roman In 80 Tagen um die Welt als
Reiseführer durch die Sammlung der Museumsstiftung Post und Telekommunikation und
die Zeit um 1872. Auf den Spuren des englischen Gentleman Phileas Fogg entfaltet sie
ein Panorama der Globalisierung im späten 19. Jahrhundert.
Heinrich von Stephan
Heinrich von Stephan (1831-1897) ist die prägende Gestalt des deutschen und europäischen Postwesens im 19. Jahrhundert. Als Generalpostdirektor und Staatssekretär des
Reichspostamts vereinheitlicht und organisiert er die neu gegründete Reichspost. Mit
großem Sendungsbewusstsein entwickelt er sie zu einer der ersten gesamtstaatlichen
Institutionen des noch jungen Reiches. Sie dient nicht nur der inneren Einheit, sondern
stellt auch den imperialen Anspruch nach außen zur Schau.
1872 gibt er den Anstoß zur Gründung einer Sammlung zum Zweck einer „Übersicht
über die Gestaltung des Verkehrswesens aller Zeiten und Völker“. Stephan ist auch die
treibende Kraft bei der Entstehung des Weltpostvereins 1874, der entscheidend zum
Ausbau eines grenzüberschreitenden Kommunikationsnetzes beiträgt. Als eine der ersten
internationalen Organisationen setzt der Weltpostverein Impulse für eine Globalisierung
unter europäischer Vorherrschaft.
Datum
Nr. 43/ Berlin, im September 2014
Jules Verne
Jules Verne (1828-1905) ist einer der meistgelesenen Schriftsteller Frankreichs und In 80
Tagen um die Welt sein populärster Roman. Der Autor führt ein auffällig unauffälliges
Leben. Nach Kindheit und Jugend in Nantes, einem Jurastudium und bescheidenen
literarischen Erfolgen in Paris lässt Verne sich 1870 in Amiens nieder. Bis zu seinem Tod
verlässt er die Stadt im Norden Frankreichs kaum mehr.
Die Beschreibungen all der Länder, die er selbst nie besucht, der Ereignisse, die er selbst
nie erlebt hat, saugt er aus Reiseberichten, Nachschlagewerken und akribisch
ausgewerteten Zeitungen. Schon in Kindertagen soll Verne nach dem Schiffbruch mit
einem Floß erklärt haben: „Ab jetzt werde ich nur noch im Traume reisen.“
Bibliothek der Weltreisenden
Wissenschaftler, Missionare, Abenteurer, Kolonialbeamte, Touristen, Militärs… Auf den
Straßen, Schienen und Seewegen der Welt sind neben Phileas Fogg um 1872 Weltreisende unterschiedlichster Couleur unterwegs.
Ihre Abhandlungen und Reiseberichte tragen Bilder ferner Länder und Gesellschaften in
die europäischen Metropolen. Die Beschreibungen zeugen von einem wachsenden
Interesse an anderen Teilen der Welt. Mit stereotypen Darstellungen stützen und
bestärken viele zugleich das Gefühl europäischer Überlegenheit und der vermeintlichen
Rechtmäßigkeit kolonialer Herrschaft. Zur gleichen Zeit werfen Reisende aus dem Nahen
und Fernen Osten einen eigenen Blick auf Europa.
Ausgangspunkt
„Dieser Mann schien die ganze Welt bereist zu haben – zumindest im Geiste.“
Phileas Fogg, der Protagonist des Romans In 80 Tagen um die Welt ist ein klassischer
armchair traveller. Er besticht durch Wissen über ferne Länder, Kenntnisse der neuesten
Erfindungen und weitschweifende Ansichten über Gott und die Welt – noch ehe er den
bequemen Sessel seines elitären Londoner Clubs überhaupt verlassen hat. Im 19.
Jahrhundert haben immer mehr Menschen in den Metropolen Europas teil an der
Erschließung und Erfassung der Welt. Neue, zunehmend weltumspannende Telegrafen-,
Eisenbahn oder Postdampferlinien eröffnen Horizonte. Zeitungen, frühe Illustrierte und
Berichte von Weltreisenden befördern das Interesse an weltweiten Entwicklungen.
Jules Vernes Roman und Heinrich von Stephans Postreformen teilen diese globale
Perspektive, der vielfach eine koloniale und imperiale Dimension eingeschrieben ist.
Datum
Nr. 43/ Berlin, im September 2014
Um die Welt
„Die Erde ist kleiner geworden, weil wir sie heute zehn Mal schneller umrunden können
als noch vor 100 Jahren.“
Inspiriert und fasziniert ist Phileas Fogg von der Aussicht einer schrumpfenden Erde. Der
englische Gentleman teilt damit eine verbreitete Weltsicht des späten 19. Jahrhunderts.
Wie Heinrich von Stephan ist Fogg begeistert von technischen Innovationen. Und so wagt
er den Wettlauf gegen Raum und Zeit. In acht Etappen – von London über Paris, Suez
und Bombay bis Hongkong, Yokohama und die USA – entfaltet sich ein Panorama des
Reisens im späten 19. Jahrhunderts. Die Vermessung und Vernetzung der Welt spielt
dabei ebenso eine Rolle, wie die Beschleunigung des Weltverkehrs und Begegnungen
zwischen Europa und anderen Teilen der Welt. Die Reiseutensilien und Fundstücke
stammen zumeist aus der Sammlung der Museumsstiftung Post und Telekommunikation.
Und manche Dinge werfen ihre Schatten voraus. Denn die Eindrücke unserer Reisen
entfalten sich nicht zuletzt im Kopf.
Ausblick
„Wenn der Globus rundherum bereisbar ist, besteht die eigentliche Herausforderung
darin, zu Hause zu bleiben und die Welt von dort aus zu entdecken.“ (Judith Schalansky,
Atlas der entlegenen Inseln)
Die rasante Verdichtung und Beschleunigung des globalen Personen-, Waren- und
Informationsverkehrs ist eine prägende Entwicklung des späten 19. Jahrhunderts. Die
vielfältigen neuen Netze, die sich um 1872 über den Globus legten, veränderten
dabei auch das Bild von der Welt und ihre Wahrnehmung. Seit der Weltumrundung
Phileas Foggs sind diese Netze bekanntlich ins Uferlose gewachsen. Gibt es da noch
blinden Flecken? Und wie erfassen wir eigentlich heute die Welt? Als Armchair- oder
Real-Life-Traveller? Mit dem Finger auf der Landkarte? Mit der Fernbedienung in der
Hand? In 80 Clicks um die Welt? Mit wachsender Perfektion und alltäglicher
Verfügbarkeit globaler Kommunikationstechnologien stellen sich die Fragen des realen vs.
virtuellen Reisens umso plastischer.
Pressekontakt
Monika Seidel
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