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wundermittel zwölf-stunden-tag
COSTA RICA
WUNDERMITTEL ZWÖLF-STUNDEN-TAG
PRÄSIDENT ARIAS WILL MIT ARBEITSMARKTFLEXIBILISIERUNG UND FREIHANDEL DIE KRISE
ÜBERWINDEN
Auch Costa Rica ist von der Weltwirtschaftskrise betroffen. Täglich stehen Hiobsbotschaften in den Zeitungen, welche von sinkenden Exportraten, steigender Arbeitslosigkeit
und schwindender Kaufkraft berichten. Um
der Krise zu begegnen, schlägt die Regierung
nun eine Reform der bestehenden Arbeitsgesetzgebung vor. KritikerInnen sprechen von
einer drohenden „Zentralamerikanisierung“
der Arbeitsrechte.
Die Zahlen lassen aufhorchen und sind Beleg dafür, dass auch Costa Rica von der Wirtschaftskrise
erfasst worden ist: Zwischen Juli 2008 und Januar 2009 sind allein in der Bauwirtschaft 16.000
Arbeitsplätze verschwunden, während in der Industrie im selben Zeitraum 5.000 Arbeitsplätze
abgebaut wurden. Gleichzeitig hat die wirtschaftliche Produktion im Januar im Jahresvergleich den
größten Einbruch seit 17 Jahren erlitten. Allein in
der verarbeitenden Industrie ist die Produktion
zwischen Januar 2008 und Januar 2009 um 17
Prozent zurückgegangen.
Die Regierung hat angesichts dieser Entwicklung reagiert und bereits im vergangenen Jahr ein umfassendes Konjunkturförderungsprogramm angekündigt. Auf deren Initiative hin hat das Parlament noch
vor Weihnachten einen Kredit von rund 120 Millionen
Dollar zur Kapitalisierung der drei großen Staatsbanken beschlossen. Was genau er sich unter dem Programm zur Bekämpfung der Krise vorstellt, hat der
costaricanische Präsident Oscar Arias schließlich in
einer Rede Ende Januar ausgeführt. Unter dem Titel
„Plan Escudo“ (Schutzplan) hat er dabei neben Investitionen in die öffentliche Infrastruktur Verbesserungen im Erziehungs- und Gesundheitsbereich und
verschiedene Entlastungsmaßnahmen für Familien
angekündigt. Das Straßennetz im Land soll ausgebaut und die staatliche Elektrizitäts-und Telekommunikationsgesellschaft sowie der größte Exporthafen
des Landes mit umfassenden Geldmitteln versorgt
werden. Bedürftige Familien sollen von Nahrungs26
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mittelrationen profitieren und in den Armenquartieren zusätzliche öffentliche Anlaufstellen und Basisgesundheitseinrichtungen geschaffen werden. Und
im Erziehungsbereich schließlich sollen zusätzliche
Stipendien gewährt und Investitionen in die vorhandene Infrastruktur getätigt werden.
Neben der Ankündigung dieser Maßnahmen hat
Arias in seiner Rede auch eine im Parlament anhängige Reform der bestehenden Arbeitsgesetzgebung
aufgegriffen. Mit dem Hinweis, oberste Priorität der
Regierung während der Krise hätte der Erhalt der
Arbeitsplätze, unterstützt der Präsident die vorgesehene Flexibilisierung des Arbeitsgesetzbuches aus
dem Jahre 1943. Mit der Begründung, ein über 60
Jahre altes Gesetzespaket sei nicht geeignet, um
den Ausmaßen der aktuellen Krise beizukommen,
erkennt die Regierung im Reformvorschlag die Möglichkeit zur Einführung von zwei neuen Arbeitszeitmodellen. Gilt in Costa Rica bei einer wöchentlichen
Höchstarbeitszeit von 48 Stunden aktuell der AchtStunden-Tag, wobei die ArbeiterInnen unter gewissen Voraussetzungen auch zu zehn oder sogar zwölf
Stunden Arbeit pro Tag herangezogen werden können, soll künftig an vier Tagen pro Woche während
Die Wirtschaftsleistung verzeichnet den
größten Einbruch seit 17 Jahren.
zwölf Stunden gearbeitet werden, gefolgt von drei
Freitagen. Ein alternativer Vorschlag sieht die Einführung eines Jahresarbeitszeitmodells vor, wonach die
ArbeiterInnen und Angestellten übers Jahr verteilt
je nach Auftragslage zwischen sechs und zehn Stunden pro Tag arbeiten würden. Mit dem “4/3 Modell”
gibt die Regierung vor, den Bedürfnissen der Eltern
entgegenzukommen, da diese mehr Zeit zu Hause
bei ihren Familien verbringen könnten. Außerdem
hätten diese einen zusätzlichen freien Tag zur Verfügung, um eine Weiterbildung zu absolvieren oder
notwendige private Angelegenheiten zu erledigen.
COSTA RICA
trum CEFEMINA verweist dabei insbesondere auf
die negativen Folgen der Reform auf das Familienleben und auf das soziale Umfeld der ArbeiterInnen:
„Wie soll eine Frau nach einem Zwölf-Stunden-Tag
und einem durchschnittlichen täglichen Arbeitsweg
von zwei Stunden noch wirksam ihre Kinder be-
Gewerkschaften befürchten „Zentralamerikanisierung“ des Arbeitsrechts.
treuen? Und wie soll sie sich unter der Woche in
einem Verein oder einer wohltätigen Organisation
engagieren, wenn sie jeweils erst abends um neun
Uhr nach Hause kommt?“ Den Hinweis, die Mütter
hätten dafür einen zusätzlichen freien Tag für die Betreuung ihrer Kinder oder für soziale Aktivitäten zur
Verfügung, lässt Lexartza nicht gelten: „Eine Mutter,
deren Kind krank wird, kann ja dessen Betreuung
auch nicht einfach auf diesen freien Tag verschieben“, bemerkt sie hierzu lapidar.
Die Meinung von Lexartza teilen die meisten KritikerInnen. Viele stören sich auch am Argument,
Foto: Oliver Lüthi
Und im Zusammenhang mit dem Jahresarbeitszeitmodell verweist die Regierung auf die veränderten
Anforderungen der Wirtschaft und die Notwendigkeit, flexibel auf das anfallende Arbeitsvolumen reagieren zu können.
Während die angekündigten Investitions- und Entlassungsmaßnahmen kaum Reaktionen nach sich
zogen, löste die Erwähnung der geplanten Arbeitsgesetzreform den scharfen Protest von Gewerkschaften, politischen Parteien und Arbeitsrechtsexperten aus. Diese sprechen von einer drohenden
„Zentralamerikanisierung“ der costaricanischen
Arbeitsgesetzgebung. In der Tat würde sich Costa
Rica mit der vorgesehenen Reform nicht nur auf das
Niveau der anderen Länder Zentralamerikas begeben, sondern gleichzeitig die regionale Vorreiterrolle
bei der Flexibilisierung der Arbeitsrechte übernehmen. Kein anderes Land Zentralamerikas kennt den
Zwölf-Stunden-Tag oder ein Jahresarbeitszeitmodell
mit verminderter Entlohnung in Zeiten tiefer Auftragslage. Neben dem Reformpaket als Gesamtes
werden aber auch dessen angeblich positive Auswirkungen auf einzelne Lebensbereiche in Frage
gestellt. Larraitz Lexartza vom feministischen Zen-
Das Bild täuscht In Costa Rica sind es die ArbeiterInnen, welche für die Krise büßen sollen
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COSTA RICA
die Reform würde Platz für zusätzliche Weiterbildungsmaßnahmen schaffen, in einem Land, in
dem allein im Jahr 2007 20.000 ArbeiterInnen im
Anschluss an ihre berufliche Tätigkeit irgendeine
Form von Weiterbildung besucht haben. Für sie
ist klar, dass die Regierung mit der vorgeschlagenen Reform vor allem Kosten sparen will. „Bis
jetzt muss ein Unternehmer seinen Angestellten
für jede über acht Stunden hinausgehende Arbeitsstunde einen Zuschlag von 50 Prozent be-
Arbeitsgesetzgebung wie ein billiger
und verstaubter Trabant.
zahlen. Mit der Reform würden diese Zuschläge
wegfallen“, bemerkt hierzu Lexartza. Die Frauenrechtsaktivistin verweist daneben auch auf die
negativen Auswirkungen der Reform im Zusammenhang mit dem Ferienanspruch: „Angestellte
in Costa Rica haben nach 20 Arbeitstagen das
Recht auf einen Urlaubstag. Mit der Reduktion
der geleisteten Arbeitstage aufgrund des 4/3Modells würde sich auch der Ferienanspruch
verringern.“
Eine weitere von der Regierung vorgeschlagene Gesetzesreform, welche die Einführung von
Kurzarbeit in Zeiten von Krisen erlauben würde,
hat bereits die Unterstützung der größten Oppositionspartei, der Partei der bürgerlichen Aktion
PAC, gefunden. Anders als in zahlreichen europäischen Ländern, wo Lohneinbußen aufgrund
einer Reduktion der Arbeitszeit durch öffentliche
Arbeitslosenkassen teilweise kompensiert werden, würde bei dieser Gesetzesvorlage in Costa Rica der damit verbundene Lohnausfall aber
nicht ersetzt.
Während die Regierung Arias innenpolitisch mit
einem Abbau der sozialen Garantien auf die Krise reagiert, treibt sie außenpolitisch, der gleichen Logik folgend, weiterhin ihren bekannten
neoliberalen Kurs voran. In Zeiten, in denen andere Staaten auf protektionistische Maßnahmen
zurückgreifen oder bestehende Privatisierungsprojekte auf Eis legen, führt die costaricanische
Regierung fast wöchentlich Verhandlungen zum
Abschluss von neuen Freihandelsabkommen. Im
April findet in Honduras bereits die siebte Verhandlungsrunde für ein Assoziierungsabkommen
zwischen Zentralamerika und der Europäischen
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Union statt. Daneben hat Costa Rica bereits erste Gespräche für ein Freihandelsabkommen mit
China geführt und beabsichtigt den Abschluss eines weiteren mit Singapur. Gleichzeitig beraubt
sich Costa Rica mit seiner Freihandelspolitik
fiskalpolitischer Mittel, welche gerade in Zeiten
wie der aktuellen Krise nützlich wären. So verbietet es der DR-CAFTA-Freihandelsvertrag mit
den USA dem Land, Schutzzölle auf importierte
Waren zu erheben, oder bestimmte Wirtschaftssektoren mit Finanzspritzen zu versorgen. Für
Roberto Ayala, Professor an der soziologischen
Fakultät der Universität von Costa Rica (UCR),
behält die Regierung damit ihre Ausrichtung
von vor der Krise bei: „Der neoliberale Kurs der
letzten 25 Jahre hat sich in den Köpfen der führenden Politiker dieses Landes dermaßen festgesetzt, dass diese auch in Zeiten der Krise nicht
aus dieser Logik ausbrechen können.“ Gleichzeitig verweist Ayala darauf, dass Costa Rica in
der Realität gar keine Alternative zur Fortführung
der aktuellen Politik hat: „Costa Rica ist viel zu
stark vom internationalen Kapital abhängig, als
dass es potenzielle Geldgeber mit protektionistischen Maßnahmen vor den Kopf stoßen könnte. Diejenigen Länder Lateinamerikas, welche in
den vergangenen Jahren einen alternativen Entwicklungsweg beschritten haben, erhalten viel
weniger ausländische Gelder als solche, welche
einen stramm neoliberalen Kurs verfolgen“, so
der Professor.
Statt protektionistischer Maßnahmen und
Schutzmechanismen für die ArbeiterInnen und
Angestellten sollen also ein reformiertes Arbeitsgesetzbuch und weitere Freihandelsabkommen den Weg aus der Krise weisen. Bei einem
öffentlichen Akt im Jahre 2007 hatte Präsident
Arias einmal gesagt, dass dank der positiven Effekte des Freihandelsabkommens mit den USA
seine Landsleute künftig statt eines Fahrrads mit
einem Motorrad der Marke BMW und statt eines
Autos der Marke Hyundai mit einem der Marke
Mercedes zur Arbeit fahren würden. Zwei Jahre
später begeben sich die Costaricaner allerdings
immer noch mit dem Fahrrad und dem Hyundai
zur Arbeit. Und die vorgesehene Arbeitsgesetzgebung nimmt sich im Vergleich zu den international anerkannten Arbeitsnormen eher wie ein
billiger und verstaubter Trabant aus als wie ein
teurer Mercedes.
// Oliver Lüthi