Als„weißeMäuse“Spionejagten

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Als„weißeMäuse“Spionejagten
Herford
NR. 167, SAMSTAG/SONNTAG, 19./20. JULI 2008
Schaurig-schöne Spiele
Was Eickumer Kinder mit Piraten zu tun haben
¥ Herford. Unter dem Motto
„Piraten in der Natur“ fanden in
der Offenen Ganztagsgrundschule Eickum zum sechsten
Mal Ferienspiele in den Schulferien statt. Der Leiter des Offenen
Ganztags, Elmar Boenig, hatte
sie mit seinem Team Janina Menzel, Rebecca Schürmann und Niklas Urban organisiert und
durchführt. 48 Grundschulkinder nahmen an diesem Kooperationsangebot mit der Volkshochschule im Kreis Herford teil.
In der ersten Woche der Ferienspiele begaben sich die Kinder
auf die Spuren des Piraten Klaus
Störtebekers. Sie hörten schaurige Geschichten aus dem Piratenleben, malten furchteinflößende Flaggen, bauten ein Floß
und fertigten eine richtige
Schatzkarte an.
Die zweite Woche stand unter
dem Motto „Der Natur auf der
Spur“. Die Kinder hatten dabei
Gelegenheit, Gutsverwalter Helfried Eden vom heimischen Hof
von Laer wichtige Fragen rund
um die Erdbeere zu stellen.
Beim anschließenden Pflücken
„wanderte so manche Erdbeere
direkt in die Münder der Kinder“, sagt Boenig schmunzelnd.
Zwei Tagesausflüge waren bei
den Eickumer Ferienspielen inbegriffen: Einen Tag lang ging es
in den Freizeitpark Potts Park in
Minden, an einem anderen Tag
in den Bielefelder Tierpark Olderdissen, wo die Kinder eine interessante Rallye erwartete.
BunteWogen: In großer Runde erzeugen die Eickumer Kinder mit einem Schwungtuch Wellen.
Zu Besuch hinter Gittern
Bündnisgrüne interessieren die Ausbildungsstätten
¥ Herford. Die Ratsfraktion
von Bündnis90/Die Grünen besuchten jetzt die Herforder Justizvollzugsanstalt. Auf besonderes Interesse stießen bei den Teilnehmern die Ausbildungsstätten für die inhaftierten Jugendlichen. Denn eine spätere Wiedereingliederung in die Gesellschaft
sei für die Jugendlichen ohne
eine Ausbildung erheblich
schwieriger zu verwirklichen, so
der Tenor.
Der stellvertretende Leiter
der Justizvollzugsanstalt (JVA),
Friedhelm Sanker, berichtete
aus der Geschichte der Einrichtung, in der heute bis zu 355
junge Männer inhaftiert sind
und gewährte der Gruppe einen
Blick in Werkstatt-Räume. Als
größter Ausbildungsbetrieb im
Kreis führt die JVA die Jugendlichen erfolgreich an verschiedene
Berufe heran, zum Beispiel die
des Bäcker, Elektronikers, Tischlers, Konstruktionsmechanikers
sowie Malers und Lackierers.
Der zahlenmäßige Erfolg gibt
den Verantwortlichen Recht:
Sanker betont, das die Rückfallquote für die jugendlichen Straftäter an den Zahlen anderer Einrichtungen gemessen relativ
niedrig sei. So betrage sie bei den
erneut zu einer Gefängnisstrafe
verurteilten Personen etwa 45
Prozent. „Das ist zweifellos ein
gesellschaftspolitischer Erfolg“,
sagte Herbert Even, Fraktionssprecher der Bündnisgrünen im
Stadtrat Herford.
Vor dem Gefängnis: Marion Westphal (v.l.), Herbert Even, Walter
Neuling, Daniela Allbrink, Antje Weddingen, Beate John, Ellen Deppermann, Olaf Westphal, Peter von Ahsen, Irmgard Pehle, Gudrun
FOTO: PRIVAT
Walter, Ullrich Richter und Volker Stumpf.
HE5
Als„weißeMäuse“Spionejagten
Sonderausstellung im Mindener Preußen-Museum beleuchtet die sowjetische Militärmission in Bünde
gen Beziehungen der einstigen
Alliierten. „In ihrer Funktion als
Frühwarnsystem muss man die
den Missionen attestieren, dass
sie in der Ära des Kalten Krieges
einen vielleicht wichtigen Teil
zur Wahrung des Friedens beigetragen haben“, sagt Fiedler. Der
Abzug der Sowjets sei nach 33
Jahren unspektakulär verlaufen.
Nach 1990 waren die Spionagespitzen der Missionen zu einem
überflüssigen Relikt abgeschlossenen Kalten Krieges geworden.
VON ANDREA ROLFES
¥ Herford/Bünde. Es erinnert
an eine Szene aus einem Spionagefilm. Drehort: Bünde. Ein
Mann in schwarzer Lederjacke,
mit Fotoapparat und Tonbandgerät rast in einem Opel-Senator mit 250 PS durch die Innenstadt. Sein Kennzeichen zeigt
eine rote Flagge mit Hammer
und Sichel. Hinter ihm ein weißer Ford Granada mit Blaulicht. Die „weißen Mäuse“, wie
die Militärfahrzeuge der Briten genannt wurden, waren
stets im Einsatz, wenn russische Verbindungsoffiziere versuchten, geheime Informationen für Moskau zu sammeln.
Noch bis vor 18 Jahren kamen
solche Verfolgungsjagden rund
um Bünde vor. Denn bis 1990
gab es in der Stadt eine von bundesweit drei russischen Militärmissionen, die nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst als Instrumente der Kommunikation
zwischen den Befehlshabern der
Alliierten eingesetzt wurden. Neben Baden-Baden und Frankfurt bezogen die Sowjets 1957
ein Wohnkomplex an der Engelstraße in Bünde, der sich nach Informationen von Experten wie
Carsten Reuß, stellvertretender
Leiter des Mindener PreußenMuseums, schnell zu einer Spionagezentrale auf feindlichem
Territorium entwickelte.
Reuß ist Initiator der Sonderausstellung „Vergessen? Schlaglichter auf Staat und Alltag der
DDR“, die in einem Nebenaspekt die Tätigkeit der Bünder
Militärmission in der Nachkriegszeit beleuchtet. Ein Kapitel, dass auch nach der deutschen Wiedervereinigung und
der Beendigung des Besatzungsrechts ein weithin unbekanntes
ist. Und sensibel behandelt werden sollte. Davon ist zumindest
Reuß’
Kooperationspartner
Frank Föste überzeugt. Der Bielefelder hat die zeitgenössische
Sammlung „TFC (The Föste Collection) zusammengetragen.
Was mit einer Kiste unsortierter Dias begann, umfasst inzwischen unzählige Exponate aus
Beständen von Stasi und NVA.
Zu seiner Sammlung gehören
Spionage-Gegenstände, die ihm
ein russischer Ex-Militär überließ, der in Bünde stationiert
war. Den Namen des Mannes
will Föste nicht nennen. „Das
könnte für die Person unangenehme Folgen haben“, sagt er.
Die Exponate – unter anderem eine Kamera mit Teleobjektiv und Schulterstütze, ein Tonband- und Vergrößerungsgerät
sowie ein Ortsverzeichnis der
BRD in lateinisch-kyrillisch und
ein Wörterbuch – liegen nun zur
Ansicht in der Ausstellung. Ebenfalls zu sehen sind zwei Plakate,
die vor den Fahrzeugen der Missionen warnten. „Sie dokumentieren, dass die Bedrohung durch
die Militärverbindungsmissionen von allen Seiten sehr erst genommen wurde“, weiß Reuß.
Sah jemand russische Autos,
Schlaglichter
auf die DDR
¥ Das Preußen-Museum zeigt
bis zum 31. August eine Sonderausstellung zu 40 Jahren
Geschichte der DDR. Plakate,
Orden, Banner, Fotos, Original-Briefe und SchaufensterInszenierungen wie zur Grenzsicherung, zur Propaganda
oder zur Lebenswelt der in
der DDR stationierten sowjetischen Truppen bieten Einblicke in Staat und Alltag. Der
Abschnitt „Auferstanden aus
Ruinen“ zeichnet die Etappen
der Staatsgründung und das
Selbstverständnis der SEDFührung nach. Weitere Themen sind der Einfluss der Partei auf Kinder oder die Bespitzelung der Bevölkerung durch
die Stasi. Öffnungszeiten: Di.
bis Do., Sa. bis So.: 11 bis 17
Uhr. Eintritt: Erwachsene:
4,50 Euro, Kinder: 2,25 Euro.
www.preussenmuseum.de
KOMMENTAR
Misstrauen: Wer die Fahrzeuge der Soxmis, also der sowjetischen Verbindungsoffiziere sah, wird von den
FOTOS: ANDREA ROLFES
Briten aufgefordert, die Zentrale in Herford anzurufen und Meldung zu erstatten.
Sowjetische Militärmission
Wenig Einblicke
VON ANDREA ROLFES
B
Spionagegeräte aus Bünde: Ein Tonbandgerät, eine Kamera mit Tele- Initiatoren: Carsten Reuß und
objektiv und Schulterstütze, ein Vergrößerungsgerät und eine Fahne.
Frank Föste zeigen DDR-Orden.
die mit Hammer und Sichel auf
einem gelben Nummernschild gekennzeichnet waren, musste er
dies schnellstmöglich an zentraler Stelle melden. Aus der britischen Besatzungszone liefen diese
Informationen in Herford zusammen – Fahrtrichtung, Anzahl
der Insassen und Tätigkeiten wie
Fotografieren wurden notiert.
Dann brausten die „weißen Mäuse“
hinterher. „So kam es nicht selten zu wilden Verfolgungsjagden“, erinnert sich Fiedler.
Dass die höchste Stufe der Ge-
heimhaltung galt, bewies ein
zwei Meter hoher Zaun aus Maschendraht und ein dahinter angebrachter Sichtschutz aus Sackleinwand, der die sowjetische
Mission in Bünde nach außen abriegelte. Was dazu führte, dass
der Volksmund die Grenze als Eiserner Vorhang und die sieben
Doppelhäuser und 20 Wohnungen dahinter als „Klein Moskau“
bezeichnete.
Darüber berichtet Martin
Fiedler, Lehrer an der Bünder
Erich-Kästner-Gesamtschule. Er
befasste sich intensiv mit der Militärmission, veröffentlichte einen Beitrag im Historischen
Jahrbuch des Kreises und fand
heraus, dass in der britischen
Zone allein 1985 etwa 3.000 Beobachtungen weitergegeben wurden, die von in Bünde stationierten russischen Offizieren ausgelöst wurden. Bis zum Umbruch
der Sowjetunion und dem Ende
der DDR waren die Militärmissionen in alle Ost-West-Konflikte
eingebunden und somit ein
Gradmesser für den wechselseiti-
is heute sind die MilitärMissionen ein weithin unbekanntes Kapitel. Wer zum
Thema recherchiert, wird
merken, dass er nicht weit
kommt, besonders, was die
sowjetische Mission in Bünde
angeht. Wenige Journalisten
und am Thema Interessierte
wie Martin Fiedler oder
Frank Föste machten sich die
mühsame Arbeit, um hinter
die Mauer an der Engelstraße
zu schauen. Doch es gibt nur
wenig Material, das diese Lebenswelt
dokumentiert.
Nach Abzug der Russen
wurde vieles vernichtet oder
eben geplündert und verschwand. Immerhin beweisen die Kamera, das Tonband
und die anderen Gegenstände, die ein Offizier wohl
nicht ohne Grund Föste übergab, dass Spionage zum
Hauptgeschäft der Mission
zählte. Schon deswegen lohnt
sich ein Gang in die Sonderausstellung. Denn wer vermag sich schon vorzustellen,
dass der Kalte Krieg direkt
vor der Haustür stattfand.
NeugierigaufBrasilien
Mit dem Rotarier-Schüleraustauschprogramm für ein Jahr im Ausland / Was Felix Büscher erwartet, wenn er am Sonntagabend nach Assis do Vale fliegt
S E R I E
Herforder
in aller
Welt
www.nw-news.de/hewelt
VON LOTHAR NENZ
¥ Herford. Mittwoch Vormittag kam endlich per Post das Visum. 20 Minuten später war der
Lufthansa-Flug 506 am Sonntag, 20. Juli, 22.35 Uhr ab Frankfurt nach Sao Paulo gebucht.
„Nun kann’s losgehen“, freut
sich Felix Büscher aus Eickum,
der für ein Jahr in Assis do Vale
als Austauschschüler nicht nur
die Schulbank drücken, sondern
auch Land und Leute kennen lernen wird.
Den Sprung über den großen
Teich nach Brasilien hat das weltweite
Rotarier-Schüleraustauschprogramm ermöglicht.
Bei dem hatte sich der 16-Jährige um einen Auslandsplatz beworben. Nun hat er die 90.000Einwohner-Stadt im Bundesstaat Sao Paulo als Reiseziel. Am
Flughafen der Riesenstadt wird
der junge Eickumer von den
Gasteltern abgeholt. Erkennungszeichen ist das blaue Rotarier-Sakko – das übrigens 22 weitere Schüler tragen. „In der Maschine fliegen 23 Austauschschüler mit.“
In Assis do Vale wird er zunächst in einer Gastfamilie leben, deren einer Sohn gegenwärtig mit den Rotariern im niederländischen Uetrecht zu Gast ist.
Jeweils nach drei Monaten – so
ist das Programm aufgebaut –
wechselt Felix die Familie innerhalb der Stadt, die Schule bleibt
allerdings dieselbe.
„So bekommen wir unter-
schiedliche Eindrücke vom Familienleben, und man lernt
mehr Leute kennen.“
Zum Rotary-Angebot gehören Exkursionen ins Land, damit die Gastschüler einen möglichst breit gefächerten Eindruck
bekommen.
Felix, der nach Abschluss der
10. Klasse an der Otto-Hahn-Realschule im nächsten Jahr auf die
Olof-Palme-Gesamtschule gehen wird, hat für das Brasilienjahr kräftig Portugiesisch gebüffelt. „Ob das für die problemlose
Teilnahme am Unterricht
reicht, wird sich zeigen, aber irgend wie wird’s schon klappen.“
Felix weiß, was auf ihn zukommt. Vor zwei Jahren – exakt
am 20. Juli um 22.35 Uhr ist sein
großer Bruder Simon mit dem
LH-Flug 506 von Frankfurt
nach Sao Paulo abgedüst. „Dem
hat das so klasse gefallen, da bin
ich neugierig geworden – und
wollte gleichziehen.“
Und was Felix sich vorgenommen hat, das zieht er durch. Konsequent. So hat er vor zehn Jahren bei der Deutschen LebensRettungs-Gesellschaft (DLRG),
bei der er seit 1998 Mitglied ist,
das Tauchen gelernt und besitzt
heute den Schein für Freigewässertaucher.
Und auch als Junior-Golfer
geht er nach Erlangen der Platzreife beim Golfclub Ravensberger Land in Pödinghausen zielstrebig an die Verbesserung seines Handicaps. „Beim ersten
Turnier verbesserte ich mich
von 54 auf 36, aktuell ist der
Stand heute 34,5.“
Ob er in Assis do Vale ab und
zu tauchen gehen oder einputten kann oder sich dem brasilianischen Nationalsport Fußball
zuwenden muss, auch das wird
sich zeigen. Felix ist offen für alle
Überraschungen im großen
Abenteuer Brasilien, das die Rotarier perfekt vorbereitet und
Vorfreude: Felix im schnieken Rotarier-Sakko mit den Eltern Antje und Harald Büscher. Links im Bild das
Sakko des Brasilien-Fahrers Simon, das er mit zahlreichen Pins dekoriert hat. Die Anstecker tauschen die
Schüler bei Begegnungen untereinander und verschönen damit die blauen Clubjacken.
FOTO: NENZ
durchorganisiert haben.
Felix’ Zimmer im Haus an der
Lange Straße steht nicht lange
leer. In der ersten Augustwoche
kommt Thiago Pires aus Santos
für drei Monate zu den Bü-
schers. Denn auch das gehört
zum Rotary-Prinzip: Wer Tochter oder Sohn am Schüleraustausch teilnehmen lässt, der
nimmt auch Gastschüler auf.
Der Fahrt morgen zum Flug-
hafen sieht Antje Büscher mit gemischten Gefühlen entgegen.
„Nun düst der Kleine auch nach
Brasilien, wo der Große bis zum
5. August zu Besuch ist. Da
weint das Mutterherz.“