Im Geiste Karl Valentins
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Im Geiste Karl Valentins
SZENE LEIPZIG Donnerstag, 2. August 2007 Seite 11 Los Rubiosos SZÄHNE „Mit Space-Gitarre neben Stefan Raab“ Pop, komm’ lieber nicht Wohlmeinend hat der Städteforscher Bastian Lange vor einiger Zeit die Macher der Leipziger Musikmesse Pop Up ermutigt, Wachstum ruhig zuzulassen. „Wo ist das Problem?“, sagte er bei einer Podiumsdiskussion und hielt das für eine rhetorische Frage. „Die Popkomm hat sich doch auch entwickelt. Nicht alles, was mit Ökonomie zu tun hat, ist des Teufels.“ Die Popkomm ist es schon. Deutschlands größte Musikmesse startete 1989 in Düsseldorf mit ähnlichem Charme wie viel später die Pop Up, 1990 ging’s nach Köln und 2004 nach Berlin. Dort zählt die Masse – zum Beispiel an Nennungen in den Medien. Deshalb hat sich eine PR-Agentur zur Aufgabe gemacht, die Presse laufend mit inszenierten Nachrichten zu versorgen. In sieben Wochen beginnt das Ereignis, und seit gestern sendet der Internetkanal Popkomm-TV die „spannenden News“. Zum Beispiel die hach so lustige Idee, Deutschland zum Partnerland zu machen. Übersetzt bedeutet das: Die Plattenkonzerne fürchten bereits um ihre beste Kuh im Stall; der Hype um deutsche Bands soll mit aller Gewalt am Leben bleiben. Seit der jüngsten Meldung ist endgültig Schluss mit lustig. Die Popkomm hat ein Golfturnier in ihr Programm aufgenommen. Label-Bonzen, Sternchen und Politiker wollen im Namen des Pop ihre Schläger schwingen. Als wäre das nicht schon Heuchelei genug: Sie golfen auch noch für Afrika. Kann etwas deutlicher des Teufels sein? mwö Raphael Monsanto hat eine BoybandVergangenheit in Holland hinter sich. Mit Juanes stand er später bei „Wetten, dass..?“ und mit Joe Cocker bei der Echo-Verleihung auf der Bühne. Jetzt tourt der 31-Jährige mit seiner Gruppe Los Rubiosos durch die Filialen einer mexikanischen RestaurantKette. Ein Rückschritt? Alles andere als das, sagt er im Interview mit Mathias Wöbking. INTERVIEW Frage: Welche Hoffnungen verbinden Sie mit dem Projekt Los Rubiosos? Raphael Monsanto: Na, es ist die erste Band, für die ich mich richtig in den Staub lege. Wir machen alles selbst, nicht nur die Musik, auch die Promotion. Und wir haben sogar ein eigenes Plattenlabel gegründet. Sie fangen mit Los Rubiosos von vorne an, sind aber davor schon mit verschiedenen Stars im Fernsehen aufgetreten. Victor-Jara-Club bei Nacht: Hier hat Kunst genauso ihren Platz wie einfach nur Party. Foto: Victor Jara Im Geiste Karl Valentins Ja, aber das war meistens zu Musik aus der Konserve, muss man ehrlich gesagt hinzufügen. Für Show-Auftritte lassen viele Musiker ihre richtige Band zu Hause. Und da werden eben Leute wie wir engagiert. Timothy Cortez, unser anderer Gitarrist, stand mal mit Shania Twain auf der Bühne, ich mit Juanes und Joe Cocker. Auch mit Stefan Raab, um „Traumschiff Surpri- Vom Klub zum Club: Der einstige FDJ-Fetenschuppen Victor Jara beherbergt nun alle Arten von Kultur Von SANDY FELDBACHER Preisträger 07: René Marik, Marco Tschirpke, Bettina Prokert und Maxim Hofmann (v.l.). Foto: Sebastian Kehr Cabinet-Preis Leipziger Weltkritik wird endlich erhört Die Überraschung ist gelungen. Seit gestern stehen sie fest, die Cabinet-Preisträger des Jahrgangs 2007. Und wieder sind Leipziger dabei, auch wenn Bettina Prokert und Maxim Hofmann als Ensemble Weltkritik als Dresdnerin/Eisenacher geführt werden, das sind nur die Geburtsorte. Die Sprechwissenschaftlerin und der Theaterwissenschaftler, bis gestern noch auf Ostsee-Tournee, galten mit ihrem ersten Programm „Weltkritik“ bisher eher als Geheimtipp. Ihre Auftritte im Noch Besser Leben waren so gut besucht wie bejubelt. Vom Sachbearbeiter der Arbeitsagentur zum Kulturprogramm gezwungen, hält sich das Ensemble strikt an das Merkblatt „Kabarett von A bis Z“. Dem Publikum bleibt „nichts anderes übrig, als mit und über die beiden skurril-humorlosen Langzeitarbeitslosen zu lachen“, begründet die Jury ihre Entscheidung in der Kategorie Kabarett. René Marik, Berliner und Preisträger in der Kategorie Comedy, lässt als Puppenspieler den Alltag schwer geplagter Menschen persiflieren – von einem sprachbehinderten Maulwurf, dem Plüscheisbären Kalle und den tänzelnden Kermit. Mit seinem skurrilen Klavier-Kabarett „Lapsuslieder“ räumt der Brandenburger Marco Tschirpke in der Kategorie Musik ab. Der Cabinet-Preis zur Förderung der ostdeutschen Kleinkunst wird zum neunten Mal vergeben und am 14. Oktober Rahmen der Leipziger Lachmesse in der Moritzbastei mit einer Preisträger-Gala gefeiert. -nina ⁄Das Ensemble Weltkritik ist am 4. September, 20 Uhr, im Froschcafé zu erleben. www.weltkritik.de, www.cabinet-preis.de SZENE-TIPPS Legendär: Die Ausstellung „School of Rock“ zieht in die Moritzbastei (Universitätsstraße 9). Die Schau zur Leipziger Musikgeschichte von 1987 bis 2007 wird um 20.30 Uhr eröffnet, Eintritt frei. Temperamentvoll: Kubanisch ist die Nacht im Werk II (Kochstraße 132). „Salsa Pá Ti“ beginnt um 17 Uhr mit einem Tanzkurs. Um 20 Uhr folgt der Film „Havanna Blues“, ab 22 Uhr Party. Glorreich: Das Sommerkino im HGB-Innenhof (Wächterstraße 11) startet um 21.30 Uhr mit „Die Glorreichen Sieben“. Weitere Hinweise auf der Serviceseite Leipzig Live und im Internet unter www.leipzig-live.com „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“ Dieser Spruch des Münchner Komikers, Kabarettisten, Schriftstellers und Filmproduzenten Karl Valentin ist das selbstgewählte Motto des noch recht jungen Veranstaltungsortes Victor Jara in der Zschocherschen Straße im Leipziger Westen. Immerhin macht das Gebäude mit dem historischen, lang gestreckten Kellergewölbe, das an die Moritzbastei erinnert, nicht nur viel Arbeit, sondern bietet auch viel Platz für Kunst und Kultur. Erbaut wurde der Komplex 1824 ursprünglich als Brauerei. Schon frühzeitig wurde er auch für kulturelle Veranstaltungen genutzt: zum Beispiel als FDJ-Klub Victor Jara. Der Namensgeber, ein chilenischer Künstler, war fast so vielseitig wie Karl Valentin – berühmt wurde er jedoch als Sänger und Musiker der linkspolitischen Bewegung in Chile. Heute soll er als Vorbild für den Club dienen, der auch vielseitig in seinen kulturellen Angeboten sein will. Deshalb wurde der Name aus DDR-Zeiten beibehalten. Der Kampf um das Gebäude und um Fördermittel, die die Instandsetzung sichern sollten, dauerte zwei Jahre. Im Stadtrat herrschte Uneinigkeit über das Schicksal des Ortes: Einige Abgeordnete wollten das Gebäude wieder aufbauen, andere es lieber abreißen lassen. Letztlich gab es nach Auskunft der Betreiber kein Fördergeld, aber immerhin den Schlüssel. Das neue Victor Jara konnte nach einer dreimonatigen notdürftigen Renovierung in Eigenregie des Teams im November mit einer Vernissage von Mitbetreiber Philipp Uhlig, einem bildenden Künstler, eröffnet werden. Seitdem finden regelmäßig Veranstaltungen statt, und nebenbei wird je Jugendliche und Erwachsene hinzunach Finanzlage und mit der Unterkommen, und ein Bandproberaum ist stützung vieler freiwilliger Helfer weiin Planung. Er muss nur noch trocken ter renoviert. Dabei macht die knappe gelegt werden, bevor die Stars von Kasse erfinderisch: Ein altes Schlafmorgen hier üben können. Ebenso zimmer wurde zum Club-Tresen umgekann man das Victor Jara für eigene baut, Parkett sowie Holzregale im Büro Veranstaltungen mieten, darin Tagun„gefälscht“ – also lediglich mit Holzmagen abhalten oder Hochzeiten feiern. serung bemalt. Daneben funktioDie Art der Veranniert der Ort auch als staltungen, die nun Anim Victor Jara statt- Philipp Uhlig: Wir sind keine Schub- soziokulturelle finden, variiert stark. lade, sondern ein Riesenschrank laufstelle für Schüler Philipp Uhlig formu- mit ganz vielen Schubladen. Es soll aus der Umgebung. Der Bedarf war von liert es so: „Wir sind für alle etwas dabei sein. Anfang an vorhanden, keine Schublade, sonheißt es, und es bestedern ein Riesenhe auch schon ein enger Kontakt zur schrank mit ganz vielen Schubladen. nahe gelegenen Erich-Zeigner-Schule. Es soll für alle etwas dabei sein.“ TanDie Kinder haben hier die Möglichkeit, go-, Jazz- und Swingabende, verschieihre Hausaufgaben unter Aufsicht zu dene Ausstellungen und Lesungen, machen, zu malen oder zu basteln. Technopartys und Punkkonzerte stanDas komplette Angebot sei allerdings den schon auf dem Programm. Regelnur möglich mit einem hohen persomäßig gibt es zudem das Angebot des nellen Aufwand, sagen die Betreiber Zirkus Kuss: Zwei Mal wöchentlich Sabine Schmidt, Philipp Uhlig und Ankönnen sich hier Kinder, Jugendliche dreas Lüttich. Doch hoffen die drei, die und Erwachsene in der Kunst der zurzeit das Victor Jara ehrenamtlich Clownerie, am Trapez oder in Akrobabetreiben, dass sich der angegliederte tik schulen lassen. Verein Victors Garten in zwei Jahren Ab September sollen Malkurse für Victor-Jara-Club bei Tag: von außen eher unscheinbar, von innen erstaunlich geräumig. Rechts Mitbetreiberin Sabine Schmidt. Fotos: André Kempner, Wolfgang Zeyen selbst tragen kann und sich Arbeitsplätze ergeben. Eine ABM sei bereits beantragt, zwei weitere Anträge sollen nachgereicht werden. Dass sich das Team nicht allein auf kommunale Förderung verlassen kann, ist ihm bewusst, und so wurden schon alternative Finanzierungsmöglichkeiten umgesetzt: Eine Werbeagentur und eine Immobilienfirma fungieren als Sponsoren, unterstützen zum Beispiel bei der Erstellung der Homepage. Dennoch fehlt eine größere Summe, um die Renovierungsarbeiten abschließen zu können. Wie viele andere Veranstaltungsorte stößt auch das Victor Jara nicht bei allen Nachbarn auf Gegenliebe. Manch einer fühlt sich vom Lärm der Partys belästigt, dabei liegt ein positives Schallschutzgutachten vor. Eine öffentliche Sitzung, die eigens dafür organisiert wurde, um mit den Anwohnern ins Gespräch zu kommen, stieß leider nicht auf Resonanz. Prekär ist dabei: Ohne Musik- und Tanzveranstaltungen wäre das Projekt nicht zu finanzieren. Doch gibt es auch positive nachbarschaftliche Erlebnisse: Viele ältere Anwohner, die den Veranstaltungsort noch aus ihrer Jugend kennen, sind interessiert. Beispielsweise stand eines Tages ein ehemaliger Discjockey des FDJ-Jugendklubs ganz gerührt am Tresen und schwärmte von vergangenen Feten. „Jeder soll sich im Victor Jara wohlfühlen, das ist uns wichtig“ bemerkt Sabine Schmidt. Und so ist einer der Wünsche der Betreiber, die Bandbreite erhalten zu können. Wozu Philipp Uhlig anmerkt, dass er sich auch über Klassikkonzerte freuen würde – denn diese würden perfekt ins Ambiente passen. Wie vermutlich auch ein Karl-Valentin- oder Victor-Jara-Themenabend. @www.victor-jara-le.de Tanzen für den guten Zweck Elektro-Tango-Formation Bajofondo: Zauberhafte Musik und die Wärme Lateinamerikas im Haus Leipzig Vor nicht einmal zwei Monaten haben Ananda Meyer Herráiz und Rodrigo Zori Comba mit den Vorbereitungen begonnen, nun können sie zufrieden auf das Ergebnis blicken: in sieben Wochen haben die beiden ein Benefizkonzert mit dem Bajofondo Tango Club auf die Beine gestellt, Sponsoren gewonnen und in der ganzen Stadt Werbung mit Plakaten gemacht – viele sind ihrer Einladung ins Haus Leipzig gefolgt und wollen Argentiniens Antwort auf Brasilelektro hören. Ser Humanos will nicht einfach mit der Blechbüchse Spenden sammeln, sondern auch zum kulturellen Leben in Leipzig beitragen. Kurzerhand bitten Ananda und Rodrigo die Formation Bajofondo Tango Club um Unterstützung. Die Band sagt zu, unterbricht ihre Tour, und es wird eine zweifache Premiere: Bajofondo spielen das erste Mal in Leipzig und das erste Mal Benefiz. Bevor sie das Publikum mit ihrem Elektro-Tango faszinieren, heizen Alberto Zori Comba, Satzmelodie und das Bauzá & Garzietta Projekt als Vorbands die Stimmung an. An diesem herbstlichen letzten Juliabend klingt es zumindest im Haus Leipzig ein wenig nach der Wärme Lateinamerikas. Gegen 22.30 Uhr betreten Bajofondo die Bühne und interpretieren den 100 Jahre alten Tango mit ihrer Melange aus klassischen Rhythmen, DJ-Sounds und Samples neu. Die Fusion von elektronischen Beats und Instrumenten wie Violine und Gitarre begeistert das Publikum mit tanzbaren Klän- gen. Nicht umsonst gilt Bajofondo als einer der besten Liveacts in der stetig wachsenden Tango-Fusion-Szene. So entwickelt sich einer dieser zauberhaften Abende, die in eine andere Welt entführen – die Welt des ursprünglichen Tangos, der einmal „Bajo Fondo“ (Untergrund) war und in den Bars entlang des Rio de la Plata experimentierfreudig und mitreißend gespielt wurde. Rodrigo Zori Comba stammt selbst aus der Heimat des Tangos. 2004 hat er Ser Humanos ins Leben gerufen, Ananda Meyer Herráiz engagiert sich im Verein, der ein Entwicklungshilfeprojekt in Argentinien unterstützt. Ziel ist es, Menschen aus den Elendsvierteln der Stadt Córdoba zu holen und eine bessere Lebensperspektive auf dem Land zu bieten. Am Ende des Abends können die beiden zufrieden sein, Ananda und Rodrigo haben eine gute Party für einen guten Zweck organisiert. Christine Gräfe Los Rubiosos: Miguel Dornado, Raphael Monsanto, Timothy Cortez (v.l.). Foto: PR se“ zu promoten. Da habe ich eine Space-Gitarre gespielt. Auf einer Radio-Tour mit Jamelia durfte ich immerhin ihre Songs für Akustikgitarre arrangieren. Das war sehr spannend. Timothy und ich haben uns übrigens bei einem Fernsehjob kennengelernt – bei Viva. Sie leben in Nordrhein-Westfalen, haben aber Latino-Wurzeln, oder? Ich bin in der Karibik aufgewachsen, auf Curaçao. Obwohl die Insel zu den Niederländischen Antillen gehört, wird man dort schon als Kleinkind mit dem Spanischen konfrontiert: Salsa, Merengue, all das. Als Teenager kam ich nach Holland. Dort habe ich von 1999 bis 2002 bei einer Boyband mitgemacht, die hieß Case Closed. Wir hatten einen Plattenlabel und waren bei Tops of the Pops. Ist aber trotzdem nichts Großes daraus geworden. Vor drei Jahren bin ich nach Deutschland gezogen. Werden Sie von der jeweiligen Latino-Community einer Stadt empfangen, wenn sie dort auftreten? Einerseits leider nicht so sehr, andererseits ist das aber nicht schlimm. Manchmal kommen ein paar Latinos, sind aber enttäuscht, weil wir mit unserer Musik nicht ihre traditionsgebunden Erwartungen erfüllen. Aber genau das kommt beim deutschen Publikum ziemlich gut an: LagerfeuerRomantik mit zwei Gitarren und einem Schlagzeug, und plötzlich wird die Musik ziemlich bombastisch, ziemlich latino. Und ziemlich zeitgemäß. Stimmt die Vermutung, dass Sie einen hohen Frauenanteil im Publikum haben? Es sind zumindest immer die Frauen, die zuerst tanzen. ⁄Los Rubiosos, morgen, 20 Uhr, Enchilada, Richard-Wagner-Platz 1, Eintritt frei; www.rubiosos.de Sven Augstein im Literaturclub Paradoxon Der Autor Sven Augstein schreibt nicht nur Geschichten. Er engagiert sich auch gegen Nazis. Wenn er also heute Abend im Literaturclub Paradoxon des Cafés Idylle zu Gast ist, der ersten Veranstaltung im monatlichen Reigen, seit die Nazis ihre LeipzigAufmärsche für die nähere Zukunft resigniert abgesagt haben – dann wird es in durchaus amüsanten Texten auch um diese Spezies gehen. Darüber hinaus liest Augstein aus seinem bislang unveröffentlichten Roman „Nachkriegsjugend“. Julius Späte moderiert. Tango aus dem Bajo Fondo, dem Untergrund: Martin Ferres, versunken an seinem Bandeon. Foto: Norman Rembarz ⁄Paradoxon, heute, 20.15 Uhr, Café Idylle (Karl-Liebknecht-Straße 127)