MAZ, 24.04.2012 - Verlag für Berlin
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MAZ, 24.04.2012 - Verlag für Berlin
Der Havelländer / Kultur | 17 MAZ | DIENSTAG, 24. APRIL 2012 Mord im Friseursalon Regionalkrimis sind gefragt: Lesenachmittag in Falkensee / Buchnacht in Spandau Der Welttag des Buches gab Autoren Gelegenheit, ihre Bücher direkt vorzustellen – vor allem für Krimifreunde. Von Marlies Schnaibel und Judith Meisner HAVELLAND | Krimizeit in Falkensee. Krimizeit in Spandau. Krimizeit in Nauen. Buchfreunde spannender Unterhaltung kamen in den letzten Tagen zum Zuge. Ein Mann wird erschlagen, ein zweiter auch. Nach zwanzig Jahren findet man ihre Leichen im Wald. Dann wird eine Frau ermordet. Drei Leiche genügen fürs erste. Frank-Peter Hansen führt seine Leser ins „Solitüdegrab“. So der Titel seines Buches, das der Autor am Sonnabend in Falkensees Galerie Schneeweiß vorstellte. Hansen lebt seit 36 Jahren in Berlin, aber aufgewachsen ist er im hohen Norden. In Flensburg lässt er auch seine Mörder morden und seine Ermittler ermitteln. Die Leser – oder wie am Sonnabend die Zuhörer – sind immer einen Schritt weiter als die Kriminalisten, ohne alles zu wissen. Die Lesung am Sonnabend gestaltete sich zu einem vergnüglich, familiären Nachmittag. Frank-Peter Hansen und der Schauspieler Heiner Hardt trugen nicht nur Texte vor, sie spielten mit sichtlicher Freude an selbst inszenierten Dialogen kleine humorvolle Szenen und bezogen das Publikum oft ins Gespräch mit ein. Das führte zu einer lebhaften Krimi-Lesetipp-Austauscherei. Der Mord von der Flensburger Solitüde bliebt jedoch an diesem Nachmittag unaufgeklärt. Langer Krimiabend dann in Spandau: Mit einer Lesung beim Friseur zwischen Kaffeekanne und Lockenwicklern, einem kleinen Theaterstück sowie einem Auftritt hochkarätiger Autoren kamen Freunde spannender Mordgeschichten auf ihre Kosten. Der Wirtschaftshof Spandau hatte Krimilesungen an insgesamt fünf Orten organisiert. Die Dorotheenstädtische Buchhandlung glich einer Sar- Ermittelt verdeckt, aber erfolgreich: Frank-Peter Hansen in Falkensee. Zum Weiterlesen K Die Galerie Schneeweiß Krimiautor Horst Bosetzky vor der Dorotheenstädtischen BuchhandFOTO: HANS-PETER THEURICH lung in Spandau. dinenbüchse. Auf dem improvisierten Podium vor Regalen mit Kinderbüchern saß die Crème de la Crème der Berliner Krimiautoren: Horst Bosetzky, Jan Eik und Petra Gabriel. Sie alle hatten einen Band der so genannten Kappe-Reihe geschrieben. Der Ermittler Kappe startet seine Laufbahn 1910. Das liegt inzwischen 16 Bände zu- Kindheit im Havelland Ilse Gräfin von Bredow wird 90 HAVELLAND | Zu ihrem 90. Geburtstag macht Ilse Gräfin von Bredow sich selbst ein schönes Geschenk, der Pendo-Verlag München macht mit: ein Buch. Ein kleines, sympathisches Buch, für das die Hamburgerin eine neue Erzählung schrieb. Die ist wie gewohnt bei der Autorin reich an Reflexionen an ihre Kindheit im Havelland. „Hansemann, geh du voran“ erzählt von der Freundschaft zweier Kusinen und einem Teddybär. Kindheit in den Dreißigerjahren war geprägt von Grundsätzen wie „Was auf den Tisch kommt, wird gegessen“ und „Hab dich nicht so“. Die beiden Mädchen verleben einen Sommer auf dem Land, streiten mit den Jungen der Familie, erkunden die Stadt Berlin, in der die Olympischen Spiele den Ton angeben. Die Familie war redselig und machte aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Das Kapital hat Ilse Gräfin von Bredow mit in ihr Leben genom- FOTO: MARLIES SCHNAIBEL Blick vom Alter auf die Kindheit. men, der Schritt vom beherzten Reden zum beherzten Schreiben war da nicht groß. Ihr Buch „Kartoffeln mit Stippe“ war so erfolgreich, dass immer wieder neue folgten. In ihrer neuen Erzählung bleibt die Autorin dabei ihrem markanten Tonfall treu. Heiter und lakonisch beschreibt sie den Alltag. Durchweg liebenswert. Glückwunsch. ms info „Hansemann, geh du voran“, Pendo-Verlag, 48 Seiten, 9,99 Euro rück. Die neuesten Geschichten spielen im Zweiten Weltkrieg. Jan Eik las aus seinem Buch „Polnischer Tango“. Es ist die Zeit der ersten Luftangriffe. In dieser Atmosphäre begegnet dem Leser die Jüdin Margot in der Rialto-Bar. Ganz nebenbei erfährt man, der deutsche Gassenhauer „Oh, Donna Clara“ wurde als polnischer Tango geschrie- lädt am 12. Mai zur nächsten Lesung ein. Vorgestellt werden Texte von Irmtraud Morgner (1933 bis 1990). K „Bügelbrett und Teppichfransen“ ist eine Lesung am Muttertag, dem 13. Mai, in der Alten Schule von Ribbeck überschrieben. K Das 3. Frauenkrimifestival „Zerstöckelt“ Berlins wird im Oktober 2012 in der Hauptstadt gefeiert. ben. Der Verleger Norbert Jaron teilte die Begeisterung des zahlreichen Publikums und sagte: „Die Kappe-Reihe ist so erfolgreich, weil sie einen unterhaltsamen Geschichtsunterricht darstellt.“ Das spürte man bei Petra Gabriels präzise beobachteter Episode: Sie lässt zwei alte Schulfreunde in brenzliger Situation aufeinander treffen. Zwischen Vogelnest und Mamas Schuh Kinderbücher von Elinor Weise BERGFELDE | Ein Buch für die Kleinen, das hat die in Bergfelde lebende Grafikerin Elinor Weise jetzt vorgelegt. Im Leipziger Kinderbuchverlag erschien „Wo versteckt sich Hannah am liebsten?“ Gedacht ist es für Buchfreunde ab drei Jahre. Elinor Weise lädt darin zu einem kleinen, feinen Versteckspiel ein. Nach „Ich bin die Hannah“ folgt nun der zweite Streich aus dem Leben des vierzöpfigen Mädchens. Elinor Weise schuf Text und Illustrationen, lässt Hannah Däumelinchengleich Vogelnest und Maulwurfshügel, Seerosenblatt und Katzenkorb, Briefkasten und Mamas Schuh erkunden. Dafür fand die Zeichnerin sympathische, warme, fantasievolle Bilder, jenseits einer Barbiglitzerwelt in Pink. Ein schönes Buch für Kleinkinder – und ihre Eltern – ist so entstanden. Elinor Weise hat nach einer Lehre als Schriftsetzer an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee studiert, sie gewann Bezopft durchs Kinderleben. den Förderpreis für junge Künstler und den Verlagspreis des Buchverlages Junge Welt. Sie veröffentlichte viele Kinderbücher, darunter eine Serie zum Elefanten Hugo und eine Geschichte über das Meerschwein Klaus. Neben Buchillustrationen gestaltet sie Plakate, Signets und Ausstellungen und arbeitet als Dozentin für Webdesign. ms info Elinor Weise, „Wo versteckt sich Hannah“, Leiv- Verlag, Hartpappe, 12 Seiten, 5,50 Euro Im Hintergrund machen Nazis und Amerikaner miteinander Geschäfte – obwohl die USA in den Krieg mit Deutschland eingetreten waren. Der Großvater des Ex-Präsidenten George W. Bush verdiente damals ein Vermögen. Die Autorin hat historische Tatsachen recherchiert und zu einem psychologisch dichten Roman verarbeitet. Horst Bosetzky rief die Reihe vor fünf Jahren ins Leben. Sein neuestes Werk heißt „Unterm Fallbeil“. Teilweise mit bellender Stimme im Nazi-Jargon las er ein Kapitel über eine Hinrichtung in Plötzensee. Die Geschichte spielt 1944. Die Opferzahlen der Bombardements lösen bei Ermittler Kappe eine Identitätskrise aus: Soll er sich wirklich noch um einzelne Mordfälle kümmern im Chaos des Krieges? Das Publikum applaudierte begeistert und strömte kauflustig zur Kasse, denn alle drei Bücher sind gerade erst erschienen. Der Boom der regionalen Krimis und die Lust, einen eigenen Roman zu verfassen, brachte sechs Berliner unter einen Hut. Zwölf mal im Jahr trifft sich die Spandau-KrimiConnection. Das sind Claudia Bauer, Frank Hegemann, Ramona Karte, Claudia Lohse, Helmut Paske und Martin Rammensee. In der Spandauer Volkshochschule arbeiten sie gemeinsam an dem Krimi „Ein Fall für Hausmeister Pasow“. Einen Auszug führten die Autoren am Sonnabend in der Stadtbibliothek als szenische Lesung auf. Der nüchterne Raum im Foyer wurde durch die blumigen Texte erst zur Zitadelle, dann zum besetzten Haus in Kreuzberg. Offensichtlich hatte die Truppe großen Spaß, die Zeit um 1982 mit langhaarigen Studenten und alkoholisiertem Hausmeister durch den Kakao zu ziehen. Berührungsängste vor Klischees gab es nicht. Gisela Rhein von der Stadtbibliothek freute sich über den Zuspruch und stellte zusätzliche Stühle auf. Die Nauener Buchhandlung hatte für gestern Abend eine Lesung vorbereitet. Ivo Pala stellte seinen Roman „Die Lazarus-Formel“ vor, die Historisches und Kriminalistisches verbindet. Kleine Gemälde von geheimnisvoller Tiefe Würfel-Ehrungen in der Staatsbibliothek bedacht. Daher war es folgerichtig, dass die FestveranstalGLIENICKE/BERLIN | Der Buchiltung in der Kinder- und Julustrator und Maler Wolfgang gendbuchabteilung der Würfel konnte anlässlich seiStaatsbibliothek ausgerichtet nes 80. Geburtstages reiche wurde. Hier befindet sich der Ernte einfahren: eine Ausstelbildkünstlerische Nachlass lung in Berlin, eine in seinem von Wolfgang Würfel. Schon Heimatort Glienicke, das Er1979 hatte er der Staatsbiblioscheinen des Werkverzeichthek 54 Original-Illustrationisses seiner Holzstiche und nen als Dauerleihgaben anals Höhepunkt eine ihm gevertraut. Die wurden 1988 um widmete Veranstaltung in der 20 Illustrationen ergänzt. Staatsbibliothek zu Berlin. Doch der wesentliche Teil seiDas sei das Schöne an dienes Nachlasses, der zur Zeit sem Alter, „man wird gefeinoch als Vorlass bezeichnet ert“, meinte der Jubilar aus wird, ist in den letzten drei Glienicke, als sich der Raum Jahren übergeben worden. in der Staatsbibliothek in der Wie hoch die WertschätPotsdamer Straße mehr und zung ist, die die Staatsbibliomehr füllte: Künstthek dem Buchilluslerkollegen, BuchgeSouveräne trator oder „Bilderstalter, Verleger, ehefinder“, wie sich malige Redakteure Meisterschaft Würfel selbst gerne und Lektoren, Buchund subtil nennt, entgegenhändler, Professomachte die abgestufte bringt, ren der KunsthochLaudatio von Carola Farbigkeit schule Berlin-WeiPohlmann, der Leißensee – sie alle hatterin der Kinderten das Bedürfnis, eiund Jugendbuchabnem Mann ihre Reverenz zu teilung, deutlich. In ihrer Würerweisen, dessen künstleridigung des Künstlers hob sie sche Handschrift jahrzehntedessen 152 Titel verschiedelang die Buch- und auch Zeitner Buch-Genres hervor. Mehschriftgestaltung in der DDR rere Generationen von Kinmitgeprägt hat. Auch nach dern wären mit den von Würder politischen Wende, als fel illustrierten Büchern aufsich das Betätigungsfeld viegewachsen. Das Besondere ler Illustratoren veränderte seiner Arbeit: souveräne Meisbeziehungsweise ganz wegterschaft im Umgang mit brach, wurde Wolfgang WürTechniken wie Holzstich, fel mit Aufträgen bedacht. Handzeichnung, SchabkarZum Beispiel vom Verlag ton, Radierung oder Ölgrafik. „Das Arsenal“, dessen Leiter, Bei letzterer hob Pohlmann Peter Moses-Krause, lobend die subtil abgestufte Farbigvon dessen Arbeiten in seikeit hervor, die ihre Vollennem Hause kündete. dung in „kleinen Gemälden Das Hauptmetier Würfelvon geheimnisvoller Tiefe“ scher Schaffenskraft lag im Befinden würden. Sie reich der Kinderbücher. Auf schmückte deren Ausdruckdiesem Gebiet hat er sich skraft mit Charakteristika wie große Verdienste erworben, Anmut und Emotionalität, wurde mit Auszeichnungen, Leidenschaft und Vielseitigauch internationaler Prägung keit, Ruhe und Bewegung. Von Rotraud Wieland In der Staatsbibliothek: Gesprächsrunde mit Illustrator Wolfgang Würfel (m.) FOTO: KARL PFITZMANN Von der Schönheit des Sandes Schriftstellerorte vorgestellt / Reise nach Lehnitz und Neuglobsow OBERHAVEL/HAVELLAND | Mit ei- nem Gerhart-HauptmannSatz überschreibt Edda Gutsche ihr neues Buch: „Ich musste auf’s Land, das war mir klar. . .“ Schriftstellerorte in Brandenburg hat sie besucht und in 16 Kapiteln beschrieben. Gleich dreimal wird sie in Oberhavel fündig, das Havelland gelangt dank der jüdischen Dichterin Gertrud Kolmar und ihrem einstigen Wohnort in FinkenkrugFalkensee in die Sammlung. Geografisch geordnet beginnt die Lesereise in Alt-Langerwisch bei Peter Huchel und führt bis Reinhold Schneider nach Potsdam. Dazwischen andere Autoren des 20. Jahrhunderts wie Johannes R. Becher, Ehm Welk, Bertolt Brecht, Berta Lask, Peter Hacks, Franz Fühmann und Günter Eich. Sie lebten in Dörfern, Kurorten oder Villenkolonien. Brandenburg wurde Rückzugsort und Inspiration. Schon auf dem Titel des Buches blicken Eva und Erwin Strittmatter den Leser an. Jahrzehnte haben sie in Schulzenhof bei Gransee gelebt und gearbeitet. Edda Gutsche Literatur aus Brandenburg: Erzählt in 16 Kapiteln. REPROS: MAZ führt zu Eva Strittmatter, die in der ruhigen Landschaft zu sich und ihrer Dichtung fand. Sie machte aus dem Duft der Gräser, dem Raunen im Erlengebüsch und dem Gesang der Vögel Naturgedichte, die auf die Seele des Menschen zielten. An der „Schönheit des Sandes“ hat sie sich nie satt sehen können. Es sind solche Bezüge zur brandenburgischen Natur, die Edda Gutsche im Werk der Autoren im- mer wieder aufspürt und die den Blick des Lesers verändern können. Wenige Kilometer von Schulzenhof entfernt, aber Jahrzehnte zuvor hatte Lola Landau den Norden Brandenburgs geliebt. Nach Neuglobsow war sie um 1920 gekommen, damals hatte sie in Rheinsberg den Schriftsteller Armin T. Wegner geheiratet. Sie liebten ihr kleines „Haus der sieben Wälder“, aber Neuglobsow liebten sie ab 1933 nicht mehr: „Juden kehren hier um! Sie sind in Neuglobsow sehr unerwünscht!“ stand da auf einem Schild am Ortseingang zu lesen. 15 Jahre später kam der jüdische Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf nach Lehnitz. Hier lebte er bis zu seinem Tod. Sein Arbeitszimmer sieht in der heutigen Gedenkstätte noch immer so aus, als wäre der charismatische Mann gerade aus dem Raum gegangen. Eine Fotografie des Zimmers ist auf dem Buchtitel zu sehen. ms info Edda Gutsche, „Ich musste auf’s Land, das war mir klar“, VBB-Verlag, 110 Abbildungen, 19,95 Euro