Schüler geben Spielzeugwaffen und PC

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Rems-Murr
C
1
Nummer 115 – RMR1
Mittwoch, 20. Mai 2009
RUNDSCHAU
Rundschlag
Von Martin Winterling
Hegelianisch
versalzen
D
er Rems-Murr-Kreis fordert vom
Land Baden-Württemberg mehr
Geld für den Unterhalt von Landesstraßen. Die Klage ist nicht neu. Das Geld,
das Stuttgart nach Waiblingen überweist, reicht gerade noch so aus, um die
Verkehrssicherheit zu gewährleisten.
Zum Ausbessern der vielen Schlaglöcher reicht es leider nicht. Nun hat der
bitterkalte Winter dem Kreis das Straßenbudget zusätzlich versalzen. Das
Streusalz kostete nämlich 335 000 Euro
mehr als veranschlagt.
Während also das Landratsamt in
Waiblingen in einer Mitteilung über die
Sparhansel im Stuttgarter Verkehrsministerium lamentiert und um einen
Nachschlag für die Straßen des Landes
gebettelt wird, liegen in den Rathäusern in Waiblingen, Fellbach, Remseck
und Kornwestheim die Pläne für eine
14 Millionen Euro teure Brücke über den
Neckar aus. Eine Brücke, die das gleiche, bei der Straßenunterhaltung ach so
klamme Land in Auftrag gegeben hat.
Sich darauf einen Reim zu machen, gelingt nur einem politisch denkenden
Kopf. Dieser Kopf muss in der Lage sein,
scheinbar Unvereinbares zu vereinen
und sich Gegensätze als ein vollkommenes Ganzes zu denken. Ein klarer Fall
also für die Hegel’sche Dialektik, die
sich treffend mit der schwäbischen Erkenntnis „So isch no au wiedr“ umschreiben ließe. Georg Friedrich Wilhelm Hegel („Das dialektische Moment
ist das eigene Sichaufheben solcher
endlichen Bestimmungen und ihr Übergehen in ihre entgegengesetzten“)
bringt uns direktemang zurück zum Problem: Das Land lässt bestehende Straßen verlottern, um neue Straßen zu bauen. Und bei Hegel findet sich logischerweise auch die Lösung: „Es ist der Gang
Gottes in der Welt, dass der Staat ist,
sein Grund ist die Gewalt der sich als
Wille verwirklichenden Vernunft.“
Diese sich als Wille verwirklichende
Vernunft gebietet es dem Staat geradezu, zu sparen und zu investieren. Und
nur ein solcher Staat wird es auch fertigbringen, seine steigenden Schulden
mit sinkenden Steuern zu finanzieren.
Hegel sei Dank.
Kompakt
Tragödie
in Haubersbronn
Schorndorf.
Eine Tragödie hat sich am frühen Dienstagabend in Haubersbronn ereignet. Ein
Mann hat sich in aller Öffentlichkeit auf
der Wieslaufstraße das Leben genommen. Zur Spurensicherung wurde die
Straße für eine Stunde gesperrt, dies teilte die Polizei mit.
Heute: Bürgerempfang
der Rems-Murr-CDU
Weinstadt.
Heute (Mittwoch, 20. Mai) lädt der CDUKreisverband Rems-Murr um 19.30 Uhr
zum Bürgerempfang in den Stiftshofkeller Beutelsbach. Rudolf Böhmler, Mitglied des Vorstandes der Deutschen Bundesbank, spricht über die Finanzkrise.
In der Reha-Einrichtung Four Steps ist
der Anteil der Abhängigen von Cannabis, Kokain beziehungsweise Crack
und Amphetaminen
in den letzten Jahren
deutlich gestiegen.
Es gebe immer mehr
zu betreuende
Mischkonsumenten, wohingegen
früher die Betreuung von Heroinabhängigen im Vordergrund gestanden
habe.
Featurebild:
Habermann
Veränderter Drogenkonsum
Reha-Einrichtung Four Steps verzeichnet wachsenden Betreuungsbedarf der Abhängigen von Cannabis und Partydrogen
Von unserem Mitarbeiter
Timo Kühn
Fellbach.
Die Rehabilitationseinrichtung Four
Steps hat gestern ihr Programm für abhängige Cannabis- und Mischkonsumenten vorgestellt. Dabei wurde betont, dass sich die Art des Drogenkonsums in den letzten Jahren deutlich verändert hat – weg vom reinen Heroinkonsum, hin zum Mischkonsum.
Bereits im Alter von elf Jahren fängt Alex
an, zu kiffen und Alkohol zu trinken. Er ist
neugierig und möchte seine Probleme verdrängen. Schon mit 13 kifft er täglich. Mit
16 kommen dann die Partydrogen (LSD,
Speed, Crystal, Ecstacy, Pilze) hinzu. Mit 17
Jahren beginnt er, Liquid Ecstasy einzuschmeißen, weil dieses „billig zu haben“ ist.
Mit 18 Jahren kommt er erstmals „ins Wanken“. Er merkt, dass sein „Kopf nicht mehr
mitmacht“, dass er allmählich „paranoid“
wird. Ab diesem Zeitpunkt kifft er zwar
nicht mehr, dafür nimmt er allerdings regelmäßig Liquid Ecstasy und Benzos (Beruhigungstabletten). Auch Heroin konsumiert
er. Dann mit 19 sein erster Therapieversuch
in München. Doch nach fünf Wochen fliegt
er raus. Auch der zweite Therapieveruch
scheitert. Schießlich startet er einen dritten
in der Tagesklinik von Four Steps in Fellbach. So weit Alex’ Erinnerungen.
Tims Drogenkarriere ist ähnlich verlaufen. Mit 15 fängt er an, zu rauchen und zu
kiffen, zunächst nur gelegentlich. Im Lauf
der Zeit steigert er den Konsum immer
mehr. Nachdem er mit 17 in eine eigene
Wohnung gezogen ist, kifft er täglich. Er
probiert mal sämtliche Drogen aus, zum
Beispiel LSD und Pilze. Ansonsten zockt er
Computerspiele, teilweise bis zu drei Tage
lang am Stück. Dennoch absolviert er zunächst noch zwei Jahre lang eine Ausbildung, wird dann allerdings gefeuert.
Der Drogenkonsum und das PC-Spielen
ließen ihn seine Probleme vergessen und
den Stress abbauen, sagt Tim heute. Seit
Jahresbeginn ist auch er in der Tagesklinik
in Fellbach.
Sowohl Alex als auch Tim nehmen an
dem Programm für THC-Abhängige* und
Mischkonsumenten von Four Steps teil - bis
jetzt mit großem Erfolg. Four Steps ist eine
Rehabilitationseinrichtung für Drogenabhängige, betrieben vom Verein für Jugendhilfe, mit Therapieeinrichtungen in Fellbach, Schorndorf und Lorch-Waldhausen.
„Beide Klienten haben den klassischen
Weg eines Drogenabhängigen hinter sich.
Zudem handelt es sich um typische Mischkonsumenten“, erklärt Anna Krieb, Diplom-Psychologin, Psychotherapeutin und
Leiterin der Einrichtung für Langzeittherapie von Four Steps in Schorndorf. „Der
Drogenkonsum hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Inzwischen machen
die Mischkonsumenten ein Viertel unserer
Klienten aus.“
Die leitende Ärztin Dr. Magdalena
Schienle erläutert die Hintergründe: „Frü-
her standen die Heroinabhängigen ganz im
Vordergund. Inzwischen ist bei vielen
Klienten ein multipler Substanzgebrauch
gegeben. Diese Mischkonsumenten unterscheiden sich erheblich von den klassischen
Heroinabhängigen. Dem Mischkonsum
liegt oftmals ein komplexes Muster zugrunde. Es geht nicht nur darum, eine Gegenhaltung zur Leistungsgesellschaft zum Ausdruck zu bringen. Viel mehr werden die
Drogen gerade auch zur Leistungssteigerung konsumiert.“ Problematisch an dem
heutigen Mischkonsum sei, so Schienle,
dass die Konsumenten sich oftmals gar
nicht als abhängig begreifen. Auch ihr Umfeld bekomme oftmals von ihren Drogenproblemen gar nichts mit. Dies liege nicht
zuletzt an dem weiter bestehenden gesellschaftlichen Teilhabewillen. Auch die
Klienten selbst grenzten sich oftmals strikt
von den Heroinabhängigen ab.
„Auch unter den Drogenabhängigen gibt
es Hierarchien“, erklärt Krieb dieses Phä-
Four Steps
t Die Rehabilitationseinrichtung Four
Steps hatte im Jahr 2008 insgesamt
388 Klienten. Davon erreichten 206
einen regulären Abschluss. Die Haltequote beträgt somit 65,5 Prozent und
entspricht exakt der Vorjahresquote.
Rainer Baudis zeigte sich sehr zufrieden: „Eine gute Haltequote wird bereits ab 50 Prozent angenommen.“
nomen. Reiner Baudis, Diplom-Psychologe,
Psychotherapeut und Gesamtleiter von
Four Steps, ergänzt: „Jede Drogengruppe
hat ihr eigenes soziales Leben.“
Aus diesem Grund wird im Rahmen der
Rehabilitation auch zwischen Misch- und
Heroinkonsumenten getrennt. Gerade diese
Trennung streicht Klient Alex als äußerst
positives Merkmal von Four Steps heraus:
„Dadurch entwickelt sich eine ganz andere
Vertrauensbasis und man kann eine bestimmte Gruppenidentität finden.“
Krieb tritt der Annahme entgegen, der
Mischkonsum sei weniger schädlich als der
Heroinkonsum: „Heroinkonsum führt zwar
sehr schnell zu einer körperlichen Abhängigkeit, wohingegen bei Partydrogen fast
keine körperliche Abhängigkeit gegeben
ist. Allerdings sind die langfristigen Auswirkungen für das Gehirn beim Mischkonsum oftmals sogar schädlicher.“ Krieb beschreibt den Inhalt des Programms: „Einem
Drogenabhängigen mangelt es oftmals an
der Fähigkeit, sein eigenes Handeln zu steuern. Das Behandlungsangebot ist darauf gerichtet, diese Fähigkeit zu steigern. Im Lauf
der Rehabilitation werden den Klienten einerseits immer mehr Freiheiten und Verantwortung übertragen. Es geht aber auch
darum, die Klienten an die Einhaltung von
Regeln wieder zu gewöhnen. Deshalb ist der
Tagesablauf klar strukturiert.“
Bei Alex und Tim zeigt das Programm
eine sehr positive Wirkung. In Kürze können beide aus der Tagesklinik in die Adaption wechseln.
*THC (Tetra-Hydro-Cannabinol):
der Wirkstoff von Cannabis
Schüler geben Spielzeugwaffen und PC-Gewaltspiele ab
Klassenlehrerin Regine Fleming und ihre 4c organisieren Sammelaktion, um nach dem Amoklauf in Winnenden ein Zeichen zu setzen
Von unserer Mitarbeiterin
Janina Hopfgartner
Waiblingen.
Regine Fleming organisierte am
Dienstag mit der Klasse 4c der SalierGrund-und-Hauptschule eine Aktion,
bei der die Schüler ihre Spielzeugwaffen
und gewaltverherrlichende Computerspiele abgeben konnten.
„Nach dem schrecklichen Vorfall in Winnenden wollten wir etwas tun“, begründet
die Organisatorin Fleming die Aktion. In
dem Postfach der Grundschullehrerin fand
sich kurz nach dem Amoklauf ein Schreiben
des Rotary-Clubs mit dem Vorschlag zu einer solchen Aktion. „Wir wollten ein Zeichen setzen“, sagt eine Elternsprecherin der
Schule, und da kam diese Idee gerade recht.
Dienstag, 19. Mai, Punkt 14 Uhr. Die Eingangshalle der Sailer-Grund- und Hauptschule ist gerammelt voll. Schüler und
Schülerinnen stehen an, um Spielzeugwaffen und Computerspiele abzugeben. Die
Klasse 4c hat einen kleinen Stand mit einer
Sammelbox vorbereitet.
Die Schüler hatten diese Aktion gemeinsam vorbereitet und das Projekt in den verschiedenen Klassen der Schule vorgestellt.
So mussten sich die Viertklässler dann auch
mal in die älteren Klassen wagen – das habe
ganz schön Überwindung gekostet, heißt es.
Und Regine Fleming glaubte erst nicht, dass
die Größeren auch mitmachen würden, aber
sie gaben doch etwas ab.
So auch der 13-jährige Michael, der sich
von seiner Softair-Pistole trennt. Genau
eine der Waffen, die in letzter Zeit wieder
verstärkt in der Diskussion standen. Makabererweise hatte er diese Pistole in Winnenden gekauft, erzählt er. Zwar hatte er sie
kaum benutzt, aber er gebe sie aus symbolischen Gründen ab, da er „gegen richtige
Waffen“ sei. Und so hatten die Kleinen
auch ihre Vorbilder, die sie ja so dringend
brauchen.
Bereits nach einer Stunde waren 31 Kinder erschienen, um Spielzeugwaffen und
PC-Gewaltspiele abzugeben. In der Sammelbox findet sich schließlich ein beachtliches Arsenal an Cowboy- und Wasserpistolen – aber auch Schweizer Taschenmesser
oder Konsolenspiele sind darunter, auch
das viel diskutierte Spiel „GTA“ (Grand
Theft Auto) – allerdings die abgespeckte U18-Version „San Andreas“.
Das sind „keine schönen Spiele“, sagt die
zehnjährige Lili. Sie hat deshalb begeistert
bei der Organisation und Durchführung
mitgeholfen. Ashley aus der Klasse 4c findet es gut, dass so viele Kinder mitgemacht
haben, und hofft, dass es so schnell keinen
Amoklauf mehr geben wird. Auch Lehrerin
Fleming zieht ein positives Fazit: „Ich bin
positiv überrascht, dass so viele Kinder mitmachen – hauptsächlich von unserer Schule.“
Auch die Eltern der Schüler unterstützten die Aktion tatkräftig – so druckte ein
Vater beispielsweise Buttons und Aufkleber
mit durchgestrichenen Waffen und sogar
der Hausmeister gab solidarisch eine Wasserpistole ab.
Für jede abgegebene Spielzeugwaffe, jedes abgegebene PC-Gewaltspiel gab es ein
kleines Dankeschön. Verschiedene Waiblinger Firmen hatten kleine Sachpreise wie
USB-Sticks oder Frisbees gespendet. Die
älteren Schüler bekamen „Preise“ wie Freikarten fürs Freibad oder Jugendbücher.
Ein klares Zeichen geht also von der Salier-Grund- und Hauptschule aus: „Keine
Gewalt mehr an Schulen“ – das war das
Motto der Klasse 4d, denn jede Klasse hatte
sich Gedanken gemacht und neben die
Sammelbox ihr Motto geschrieben. Und so
bleibt nicht nur das gesammelte Arsenal,
sondern auch die Mahnungen der Schüler.
„Spiele sind zum Spielen da. Durch Ballern
und Waffen droht Gefahr! Wir Salier wollen ein Zeichen setzen“, stand da auch auf
einem Plakat. Kurzum: Die Schüler und
Schülerinnen setzten ein Zeichen – gegen
Waffen und Gewalt.
Weg damit: Lehrerin Regine Fleming legt ein Spielzeuggewehr in die Sammelbox.
Bild: Habermann