Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst
Transcription
Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst
Johannes Zepezauer Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Pastoraltheologische Untersuchungen zur Zusammenarbeit zwischen Kirche & Rettungsdienst Die vorliegende Untersuchung ist die überarbeitete und gekürzte Ausgabe einer „Wissenschaftlichen Arbeit für die Zulassung zur theologischen Abschlusspr üfung (Diplom)“, die im November 2003 am Fachbereich Katholische Theologie der Johannes Gutenberg – Universität in Mainz eingereicht wurde. Mainz 2004 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Rettungsdienst & „Im Zentrum der Bemühungen der Notfallmedizin steht Gemeinsam der hilfsbedürftige Mensch. den Menschen Er braucht die Kompetenz der Helfer im Mittelpunkt als Vitalfunktionsexperten und ebenso ihre persönliche Zuwendung.“ Kirche „Der Mensch also, der eine und ganze Mensch, mit Leib und Seele, Herz und Gewissen, Vernunft und Willen steht im Mittelpunkt unserer Ausführungen.“ (ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Gaudium et spes, Nr. 3) (S ALOMON : Das Menschenbild , 245) Die Abbildung zeigt einen Ausschnitt einer byzantinischen Buchmalerei im Codex Rossanensis aus dem 6. Jahrhundert (Museo Civico Rossano, Kalabrien). Es ist die älteste bekannte bildliche Darstellung des Gleichnisses vom Barmherzigen Samariter (vgl. METZSCH: Menschen helfen Menschen, 76f). 2 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer INHALTSVERZEICHNIS Seite Vorwort 7 I EINLEITUNG 1 Eine erste Begegnung von Rettungsdienst und Kirche 2 Zielsetzung, Gegenstand, Methode und Disposition der Arbeit 10 2.1 Zur Zielsetzung 10 2.2 Zum Gegenstand 10 2.3 Zur Methode 10 2.4 Zur Disposition 11 II KRITERIOLOGIE – Aufgaben der Kirche und ihre Umsetzung 1 Einführung 13 2 Theologische Grundlegung: Ort und Auftrag der Kirche bei Krisen 13 2.1 Kriterien in der Heiligen Schrift 13 2.1.1 Jesus als Retter und Heiland (Mt 8,1-4 u. a.) 13 2.1.2 Gebot der Gottes- und Nächstenliebe (Lk 10,25-37) 15 2.1.3 Werke der Barmherzigkeit (Mt 25,31-40) 17 2.1.4 Apostolische Diakonie und Krisenintervention (Apg 9,36-42) 19 2.1.5 Trost durch die Getrösteten (2 Kor 1,3-5) 20 2.1.6 Tragende Hoffnung (1 Petr 3,15b.16a) 20 2.1.7 Alttestamentliche Lebenskunst (Sir 7,33-36) 21 2.2 Kriterien in der kirchlichen Tradition 22 2.2.1 Kirche als Instrument Christi 22 2.2.2 Prinzipien der christlichen Gemeinde 23 2.2.2.1 Mystik 23 8 2.2.2.1.1 Leiturgia 24 2.2.2.1.2 Martyria 24 2.2.2.2 Koinonia 25 2.2.2.3 Diakonia 25 2.2.3 Zusammenarbeit mit anderen Menschen und Organisationen 26 2.3 Zusammenfassung 27 3 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer 3 Aktuelle Praxis der Kirche 28 3.1 Notfallseelsorge 29 3.1.1 Erste Begriffsbestimmung und Unterscheidungen 29 3.1.1.1 Kirchliche Notfallseelsorge 29 3.1.1.2 Krisenintervention des Rettungsdienstes 32 3.1.1.3 Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen 34 3.1.1.4 Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst 35 3.1.2 Entwicklungsgeschichte der Notfallseelsorge 36 3.1.3 Auswahl, Ausbildung und Fortbildung von Notfallseelsorgern 38 3.1.4 Ausstattung von Notfallseelsorgern 40 3.1.5 Erwartungen der Notfallseelsorge an den Rettungsdienst 41 3.1.6 Aktuelle Praxis im Bistum Mainz 41 3.1.6.1 Rahmenordnung für die Notfallseelsorge 41 3.1.6.2 Notfallseelsorge-Einrichtungen 43 3.2 Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst 44 3.3 Gemeindeebene 46 3.4 Zusammenfassung 47 III KAIROLOGIE – „Zeichen der Zeit“ im Rettungsdienst 1 Einführung 49 2 Organisation des Rettungsdienstes 50 2.1 Geschichte des Helfens: Von den Anfängen zur Professionalität 50 2.2 Organisatorische Grundlagen 52 2.2.1 Allgemeine Organisation 52 2.2.2 Einsatzarten 55 2.2.3 Qualifikationen, Aus- und Fortbildungen 56 2.2.4 Rettungsmittel 58 2.2.5 Gesetzliche Bestimmungen 59 3 Arbeitsplatz Rettungsdienst 60 3.1 Personal in Zahlen 60 3.2 Motivation des Personal 61 3.3 Spannung zwischen Klischee und Wirklichkeit 62 4 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer 3.4 Arbeitsbedingungen 63 3.4.1 Arbeitszeiten und Vergütung 63 3.4.2 Belastungen und Gefahren 64 3.4.2.1 Physische und psychische Belastungen und Gefahren 64 3.4.2.2 Besonders belastende Einsätze 67 3.4.2.2.1 Reanimation 67 3.4.2.2.2 Kindernotfall 69 3.4.2.2.3 Massenanfall an Verletzten 71 3.4.2.3 Helfersyndrom und Burnout-Gefahr 73 3.4.3 Zufriedenheit und Befürchtungen des Personals 74 3.5 Konkretes Beispiel: Rettungswache in Großkrotzenburg 76 4 Mensch und Kirche im Rettungsdienst 80 4.1 Menschenb ild im Rettungsdienst 80 4.1.1 Konsequenzen in der Patientenbetreuung 80 4.1.2 Konsequenzen bei der Fürsorge für die Einsatzkräfte 82 4.2 Mensch und Kirche bei den Hilfsorganisationen 84 4.2.1 Mit der Kirche verbundene Hilfsorganisationen 85 4.2.1.1 Johanniter-Unfall-Hilfe e. V. 85 4.2.1.2 Malteser-Hilfsdienst e. V. 86 4.2.2 Andere Hilfsorganisationen 88 4.2.2.1 Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e. V. 88 4.2.2.2 Deutsches Rotes Kreuz e. V. 89 5 Begegnungen und Zusammenarbeit mit der Kirche 91 5.1 Erfahrungen mit der Kirche 91 5.2 Erwartungen und Wünsche an die Kirche 93 6 Zusammenfassung 94 IV P RAXEOLOGIE – Optimierung der Praxis 1 Einführung 96 2 Handlungsimpulse für die kirchliche Praxis 97 2.1 Im Bereich der Notfallseelsorge 97 2.1.1 Organisation und Ausstattung der Notfallseelsorge 98 5 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer 99 2.1.2 Eignung und Qualifikation der Notfallseelsorger 2.2 Im Bereich der Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst 102 2.3 Im Bereich der Stressbearbeitung nach belastenden Einsätzen 103 2.4 Im Bereich der Aus- und Fortbildungen im Rettungsdienst 104 2.5 Auf Gemeindeebene 104 2.5.1 Wohlwollen und gegenseitige Unterstützung 104 2.5.2 Seelsorge 106 2.5.3 Liturgie 108 3 Abschließende Überlegungen und Ausblick 109 Ein letztes Wort: Danke 110 Abbildungsverzeichnis 110 Quellen- und Literaturverzeichnis 111 Abkürzungsverzeichnis 119 Ø Anhang 1 - Fragebogen NFS (Notfallseelsorge), überarbeitet 120 - Fragebogen-Vorlage KID (Kriseninterventionsdienst) 125 - Fragebogen-Vorlage RD (Rettungsdienst) 127 Ø Anhang 2 - Rettungsdienstpraktikum (Berichte) 129 Hinweise zu den Anhängen: Um Rückschlüsse auf die befragten Personen zu vermeiden, sind in dieser übera rbeiten Ausgabe lediglich die Vorlagen der Fragebögen für den Kriseninterventionsdienst und Rettungsdienst aufgenommen. Aus dem gleichen Grund sind auch einige Daten in den Einsatzberichten im Rahmen des Rettungsdienstpraktikums verändert worden. Ich bedanke mich für Ihr Interesse an der vorliegenden Arbeit und freue mich auch über Rückmeldungen. Mit herzlichem Gruß Johannes Zepezauer (Ernst Barlach - Straße 6, 63456 Hanau, E-mail:[email protected]) 6 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Vorwort Während meines Theologiestudiums kam es regelmäßig vor, dass das Martinshorn eines vorbeifahrenden Rettungswagens oder die Rotorgeräusche des Rettungshubschraubers Christoph 77 die Vorlesungen kurz unterbrachen. Rettungsdienst und Theologie der Kirche sind sich hier kurz und auf ganz eigene Weise begegnet. Auf beiden Seiten ging und geht es (oft) um das Leben und den Menschen. Die vorliegende Diplomarbeit im Fach Pastoraltheologie soll der Versuch sein, eine andere Art der Begegnung zwischen der Theologie beziehungsweise genauer der Kirche und dem Rettungsdienst zu ermöglichen. In der Realität begegnen sich beide schon auf vielfältige Weise – vor allem durch Christen, die sich haupt- oder ehrenamtlich in Hilfsorganisationen engagieren, in besonderer Weise auch durch die kirchlich geprägten Organisationen Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) auf evangelischer und MalteserHilfsdienst (MHD) auf katholischer Seite. An einigen Orten geschieht diese Begegnung auch durch pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das Personal von Rettungswachen seelsorglich betreuen oder in der Notfallseelsorge aktiv sind, die sich seit einigen Jahren immer mehr in Deutschland verbreitet. Auch ich bin nicht ganz unbeteiligt an dieser Begegnung: Durch meinen Zivildienst, den ich auf einer Rettungswache des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) und einer Sozialstation des Caritasverbandes im Mobilen Sozialen Hilfsdienst geleistet habe, durfte ich den Rettungsdienst genauer kennen lernen. Seitdem fahre ich gelegentlich als Praktikant auf einem Rettungswagen mit, um Erfahrungen für Betreuungsgespräche und in Erste-Hilfe-Maßnahmen zu sammeln. Außerdem ist es mir wichtig geworden, mich neben meinem Studium und der Ausbildung im Priesterseminar auch in einer „weltlichen“ Hilfsorganisation zu engagieren, dabei Freude und Gemeinschaft zu erleben und vor allem Menschen zu helfen. In dieser Zeit habe ich unterschiedliche Erfahrungen der Zusammenarbeit und Begegnung zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Kirche und Rettungsdienst erlebt. Meine Arbeit will einen bescheidenen Beitrag zu einer guten Begegnung miteina nder leisten und auf Möglichkeiten einer Zusammenarbeit hinweisen – zugunsten der Menschen, sowohl der Hilfsbedürftigen als auch der Helfenden. Diese Arbeit und das Engagement, die Zeit und Liebe, die ich in ihre Entstehung investiert habe, widme ich allen Menschen auf der ganzen Welt, die sich im Rettungsdienst, in der Krisenintervention und in der Notfallseelsorge für Menschen einsetzen, die dringend Hilfe für Leib und Seele benötigen. 7 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer I E INLEITUNG 1 Eine erste Begegnung von Rettungsdienst und Kirche Es mag vielleicht etwas ungewöhnlich sein, eine wissenschaftliche Arbeit mit einer Karikatur zu beginnen; es sei an dieser Stelle dennoch gewagt, weil die folgende Karikatur des Rettungssanitäters Daniel Lüdeling das zum Ausdruck bringt, worum es in dieser pastoraltheologischen Untersuchung gehen soll: Zusammenarbeit und Begegnung von Rettungsdienst und Kirche Abb. 1 Lüdeling zeichnet hier (Abbildung 1) pointiert eine erste fiktive Begegnung zwischen einem Rettungsdienstmitarbeiter und einem Seelsorger; die beiden Figuren stehen gleichsam für den Rettungsdienst (RD) und die Kirche. Es ist eine eigenartige Begegnung; aber immerhin treffen sich die beiden, Rettungsdienstler und Seelsorger. Im Gleichnis beziehungsweise der Beispielerzählung Jesu vom Barmherzigen Samariter in Lk 10,25-37 haben sich sozusagen die Vorfahren von beiden, jüdischer Priester und Levit auf der einen und helfender Samariter auf der anderen Seite, noch verpasst. 1 Hier begegnen sie sich nun endlich. Vielleicht führt sie die gemeinsame Sorge um den Menschen zusammen. Doch ihre Begegnung scheint gestört zu sein: Da stehen sich zwar zwei Menschen guten Willens gegenüber, aber offenbar fällt es ihnen erst einmal nicht ganz so leicht, sich zu bege gnen. Beide merken, dass das Gegenüber anders ist als erwartet – anders, als die Vorur- 1 Auf diese Erzählung, mit der Jesus eine Antwort auf die Frage nach dem Nächsten geben wollte, sei hier nur kurz hingewiesen; unter II, 2.1.2 wird später näher darauf eingegangen. Das Beispiel des barmherzigen Samariters wurde für viele Menschen und Hilfsorganisationen zu einem Leitbild für die Nächstenliebe. Durch die unterlassene Hilfeleistung der religiösen Amtspersonen (Priester und Levit), die vermutlich aus kultischen Gründen und vielleicht auch aus Angst so handeln, wird die professionelle Hilfe durch den von den Hörern Jesu verachteten Fremden (Samariter) umso mehr ein vorbildhaftes Beispiel. Vgl. dazu auch M ETZSCH: Menschen helfen Menschen, bes. 14-19. 8 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer teile, Klischees und bisherigen Erfahrungen es vorgegeben haben. Sie kennen sich noch nicht – zumindest nicht richtig. Der Rettungsdienstler hatte einen von der Welt abgehobenen, engels- und heiligengle ichen Seelsorger erwartet, der vor allem Kirchenlieder, fromme Bücher und Sprüche im Kopf hat, dessen Arbeitsplatz geradezu himmlisch (abgehoben von der Welt) und ve rklärt zu sein scheint. 2 Nun erlebt der Mann in Einsatzkleidung aber einen ebenso auf der Erde stehenden Menschen, der ihm die Hand reichen will und auf den ersten Blick einen freundlichen und sympathischen Eindruck macht. Auch der Seelsorger im Talar hat eine Vorstellung vom RD-Mitarbeiter, die nicht adäquat dem Menschen entspricht, der ihm jetzt begegnet. Seine Gedanken sind von Klischees geprägt, die einem Rettungsdienstler nicht selten zugeordnet werden: scheinbar gefühllos, unerschütterlich, cool (mit Sonnenbrille), geradezu blutrünstig steht er in der Gedankenblase mit einer Spritze und dem Laryngoskop für die Intubation in den Händen. Sein Arbeitsplatz gleicht einem Schlachtfeld voll Blut, Knochen und Feuerflammen. Karikaturen überzeichnen von ihrer Art her – und so ist es auch hier. Aber sie stellen dadurch ein Stück der Realität umso treffender dar: Menschen haben Vorurteile gegenüber anderen Menschen, die die Begegnungen mit ihnen behindern oder gar verhindern. Sie übertragen Erfahrungen, die sie mit dem Vertreter einer (Berufs-) Gruppe gemacht haben, leicht auf alle, die dieser Gruppe angehören. Bei der Begegnung zwischen RD und Kirche schwingt das alles mit. Persönliche Erfa hrungen und auch Klischees beeinflussen das Zusammentreffen entweder positiv oder negativ, denn hier begegnen sich nicht nur zwei Institutionen, sondern lebendige Menschen mit Emotionen. Es gilt also, einander besser kennen zu lernen. In der Realität ist dies bereits an vielen Orten auf gute Weise geschehen. Vertreterinnen und Vertreter auf beiden Seiten haben dazu beigetragen. In dieser Diplomarbeit soll nun eine weitere Begegnung auf einer anderen, theoretischen Ebene stattfinden, damit der Seelsorger nicht nur in der Karikatur eine realistische Vorstellung vom RD bekommt und beide Seiten die Chancen einer guten Zusammenarbeit erkennen und sich kollegial oder freundschaftlich begegnen können. 2 Vgl. dazu auch SADOWSKI: Warum arbeiten Theologen in der Notfallseelsorge, 534. Vgl. ferner ZIPPERT : Zur Theologie der Notfallseelsorge, 54f und vgl. auch W IETERSHEIM : Notfallseelsorge, 139. 9 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer 2 Zielsetzung, Gegenstand, Methode und Disposition der Arbeit 2.1 Zur Zielsetzung Das vorrangige Ziel dieser Diplomarbeit im Fach Pastoraltheologie soll sein, die Zusammenarbeit der Kirche mit dem RD zu untersuchen. Diese Arbeit will und soll die Kirche und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterinnen sensibilisieren und ermutigen, in der pastoralen Praxis sowohl Menschen in Krisensituationen als auch das RD-Personal nicht aus dem Blick zu verlieren und Chancen des Zusammenwirkens mit den Hilfsorganisationen wahrzunehmen. 2.2 Zum Gegenstand Gegenstand der Arbeit sind Erfahrungen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen RD3 und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Neben dem Zusammenwirken auf dem Gebiet der Krisenintervention und Notfallseelsorge soll auch auf weitere Bereiche der Pastoral eingegangen werden. Die vorliegenden Untersuchungen behandeln einen Ausschnitt der kirchlichen Praxis, vor allem im Bereich der Seelsorge, und sind deshalb der Disziplin Pastoraltheologie zuzuordnen, die ja auch als „Seelsorge-Theologie“4 bezeichnet wird. 2.3 Zur Methode In der pastoraltheologischen Perspektive werden theologische und notfallmedizinische Fachliteratur, kirchliche Dokumente und die normativen Leitbilder der Hilfsorganisationen analysiert. Ebenso werden empirische Daten einbezogen, um neben der wissenschaftlichen Literatur auch in den Erfahrungen und Gedanken der Menschen zu lesen. Neben persönlichen Erfahrungen des Verfassers werden auch ausgewertete Antworten aus Fragebögen einbezogen. Diese Fragebögen wurden in drei verschiedenen Fassungen für den Kriseninterventionsdienst des Rettungsdienstes (KID), die Notfallseelsorge (NFS) und den Rettungsdienst (RD) konzipiert und im August und September 2003 zur Beantwortung an fünf RD-Mitarbeiter 5 , an eine Kriseninterventionshelferin des Rettungsdienstes und drei 3 4 5 Dabei wird der Schwerpunkt auf den vier großen Hilfsorganisationen liegen, die sich in der Bundesrepublik im RD engagieren: der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), das Deutsche Rote Kreuz (DRK), die Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) und der Malteser-Hilfsdienst (MHD). SCHMID: Die Praxis als Ort der Theologie, 104. Von diesen waren zur Zeit der Befragung zwei Personen hauptamtlich (jeweils männlich) und drei ehrenamtlich (eine Frau und zwei Männer) im RD und auf derselben Rettungswache aktiv. 10 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Notfallseelsorger ausgegeben, die zuvor ihre Bereitschaft zur Teilnahme bekundet hatten. Bei der Auswahl der Personen wurde kein besonderes Verfahren angewendet. Dennoch sollen zu den Befragten folgende Anmerkungen festgehalten werden: Bei den Mitarbeitern des Rettungsdienstes wurden bewusst zwei Personen einbezogen, von denen bekannt war, dass sie negative Erfahrungen bei Einsätzen in Kirchen gesammelt haben, um auch solche negativen Begegnungen dem Leser vor Augen führen zu können. Die KID-Mitarbeiterin leitet ein KID-Team, das seit mehr als fünf Jahren aktiv ist und mit der kirchlichen NFS zusammenarbeitet. Bei den Mitarbeitern der NFS wurden zwei katholische Priester und ein evangelischer Pfarrer gewählt, die unterschiedliche und besondere Erfahrungen auf diesem Gebiet einbringen: ein Dechant, der als Notfallseelsorger beim Zugunglück in Eschede (1998) tätig gewesen ist, ein Kaplan, der persönlich im RD aktiv ist, und ein evangelischer Pastor. Die gewählten Personen wurden gebeten, ihre Antworten in eine Datei mit den Fragen einzufügen. Im Gegensatz zu einem Interview konnte durch dieses Vorgehen die Zeit der Bearbeitung von den Personen selbst gewählt und eingeteilt werden. Von den neun ausgeteilten Bögen sind insgesamt fünf Bögen innerhalb der vereinbarten Zeit von sieben Wochen zurückgesandt worden: dreimal RD (von fünf) und jeweils einmal KID (von einem) und NFS (von drei). 6 Die Bögen aus den Bereichen RD und KID sind bewusst anonym gehalten, um Rückschlüsse auf Personen und Orte zu vermeiden und möglichst authentische Antworten zu fördern. Die Namen von Dritten sind bei allen Angaben anonymisiert worden. Bei der Erhebung der Fragebögen geht es nicht um eine quantitative und repräsentative Umfrage, sondern um die Ermittlung von exemplarischen Erfahrungen und Meinungen. An geeigneten Stellen der vorliegenden Untersuchungen werden Aussagen aus den Bögen übernommen oder auf entsprechende Antworten verwiesen. 7 2.4 Zur Disposition Nach der Einleitung (I) wird in drei Schritten vorgegangen werden, die mit den Termini Kriteriologie (II), Kairologie (III) und Praxeologie (IV) überschrieben sind. 8 6 Hier lässt sich weiter unterscheiden: Vom RD haben zwei hauptamtliche (RD 1 u. RD 3) und ein ehrenamtlicher Mitarbeiter (alle männlich) ihre Antworten zurückgesandt. Alle weiteren Angaben zu diesen und den anderen Personen (über Alter, Ausbildung usw.) sind den einzelnen Fragebögen zu entnehmen (vgl. Anhang 1 – jedoch nicht in dieser überarbeiteten und gekürzten Ausgabe!). 11 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Folgende Aspekte sollen bei diesem Dreischritt berücksichtigt werden: Ø Im ersten Schritt, der Kriteriologie, sollen die Kriterien der Kirche für den zu untersuchenden Bereich, ihre Aufgaben und Ziele, vorgestellt werden. Zunächst gilt es zu begründen, warum die Kirche ihren Ort und ihre Aufgabe (auch und besonders) bei Menschen in Not- und Krisensituationen hat und ebenso bei den Menschen, die sich im RD um diese kümmern. Danach werden die Notfallseelsorge und weitere Bereiche vorgestellt, in denen Kirche und RD bereits zusammenarbeiten und sich regelmäßig begegnen. Ø Die Kairologie hat die Aufgabe, die aktuelle „Situation“ zu erforschen und in ihr die „Zeichen der Zeit“9 zu suchen, um Handlungsimpulse für die zukünftige Praxis der Kirche aufzeigen zu können. Für die Untersuchungen bedeutet das, den Bereich des Rettungsdienstes mit seinen verschiedenen Facetten vorzustellen und seine Erwartungen gegenüber der Kirche wahrzunehmen. Ø In der Praxeologie sollen schließlich aus den bisherigen Untersuchungen Konsequenzen für die zukünftige Praxis der Kirche im Bereich der Zusammenarbeit mit dem RD gezogen und Möglichkeiten einer „Praxisoptimierung“10 dargestellt werden. Mit einem Resümee soll diese Diplomarbeit abgeschlossen werden. 11 Um eine leichtere Lesbarkeit zu ermöglichen, wird in der Regel ausschließlich die männliche Form verwendet. 12 Spezifische Abkürzungen werden bei der ersten Verwendung ausgeschrieben und sind im Abkürzungsverzeichnis noch einmal aufgeschlüsselt. Ferner werden in den Fußnoten bei den Literaturangaben nur die im Quellen- und Lit eraturverzeichnis kursiv gedruckten Kurztitel und die in Kapitälchen geschriebenen Namen (der Autoren beziehungsweise der Herausgeber o. ä.) verwendet. 7 8 9 10 11 12 In der Fußnote werden dann der entsprechende Bogen bzw. die Bögen angegeben; in der Klammer dahinter ist die jeweilige Nummer (der Antwort bzw. Antworten) auf dem Bogen vermerkt. Es lohnt sich aber auch, die beantworteten Fragebögen als solche zu studieren. Zur Verwendung der genannten Termini bei Zulehner vgl. ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 1, 15. ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Gaudium et spes, Nr. 4. Vgl. ferner Lk 12,54-57 . ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 1, 37. Vgl. dazu auch das kybernetische Handlungsmodell von Rolf Zerfaß bei ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 1, 37-39. Eine weitere Beschreibung der Vorgehensweise erfolgt in der Einführung zu Beginn des jeweiligen Schrittes. Der Verfasser bittet höflich darum, die weibliche Form immer mitgemeint zu verstehen. 12 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer II K RITERIOLOGIE – Aufgaben der Kirche und ihre Umsetzung – 1 Einführung In diesem ersten Schritt, der Kriteriologie, soll das Fundament dieser Untersuchung gelegt werden. Es gilt, die Kriterien, Aufgaben und Ziele der Kirche zu prüfen und festzustellen, warum die Kirche einen Handlungsort bei Menschen in Krisensituationen hat und eine Zusammenarbeit mit dem RD sich von ihrer Seite aus anbietet. Anhand der überlieferten Offenbarung Gottes in der Heiligen Schrift und in der kirchlichen Tradition sollen geeignete Kriterien gefunden werden, die der Treue der Kirche zu Gott und seiner Botschaft entsprechen und den Handlungsort der Kirche begründen. Nach dieser theologischen Grundlegung wird dann ein Blick auf die aktuelle Praxis der Kirche geworfen. Dazu werden die Notfallseelsorge und weitere Bereiche, in denen sich Kirche und RD begegnen und auch zusammenwirken, vorgestellt. 2 Theologische Grundlegung: Ort und Auftrag der Kirche bei Krisen 2.1 Kriterien in der Heiligen Schrift Im Folgenden werden in sieben Unterpunkten einige Perikopen und Worte aus der Heiligen Schrift herangezogen, von denen sich Aussagen ableiten lassen, welchen Ort und welche Aufgaben die Kirche, das von Gott (heraus-) gerufene Volk in der Nachfolge Jesu, einzunehmen und zu erfüllen hat, wenn sie den ihr vorgegebenen Spuren treu sein will. 13 2.1.1 Jesus als Retter und Heiland (Mt 8,1-4 u. a.) 1 Als Jesus von dem Berg herabstieg, folgten ihm viele Menschen. 2 Da kam ein Aussätziger, fiel vor ihm nieder und sagte: Herr, wenn du willst, kannst du machen, daß ich rein werde. 3 Jesus streckte die Hand aus, berührte ihn und sagte: Ich will es – werde rein! Im gleichen Augenblick wurde der Aussätzige rein. 4 Jesus aber sagte zu ihm: Nimm dich in acht! Erzähl niemand davon, sondern geh, zeig dich dem Priester und bring das Opfer dar, das Mose angeordnet hat. Das soll für sie ein Beweis (deiner Heilung) sein. (Mt 8,1-4 ) 13 Sicher sind diese Bibeltexte nicht die einzigen, die hier angeführt werden können. Der vorgegebene Rahmen dieser Arbeit möge aber diese Beschränkung und ein nicht rein exegetisches Vorgehen entschuldigen. Die wichtigsten Ergebnisse aus II, 2.1 (Hl. Schrift) und II, 2.2 (kirchliche Tradition) werden in II, 2.3 kurz zusammengefasst. 13 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer In dieser Perikope, die sich an die Bergpredigt anschließt, begegnet Jesus einem Aussätzigen. 14 Dieser Aussätzige ist ein Mensch, der durch seine Krankheit zum Tod verurteilt ist und dessen Heilung der Auferweckung eines Toten gleichkommen würde. 15 Neben der physischen Krankheit belastet ihn zudem auch die soziale Isolation; denn für die Gesellschaft ist er aufgrund seiner Krankheit einem Toten vergleichbar. Keiner will und darf etwas mit ihm zu tun haben. Jesus steigt vom Berg herab und geht zu diesem Menschen, der sich im tiefsten Tal des Lebens, mitten in einer schweren Krise befindet. Dieser kranke Mann vertraut auf die Hilfe von Jesus. Und der Menschensohn, so schildert es der Evangelist Markus in der älteren Parallelerzählung (Mk 1,40-45), „hatte Mitleid“ (Mk 1,41) mit dem Aussätzigen. Genauer übersetzt „erregt “ 16 ihn dessen Schicksal, es geht ihm an das Herz; 17 Jesus leidet also mit diesem Menschen. Jesus tritt aber auch für ihn ein: Er berührt ihn und spricht zu dem Ausgegrenzten. Er schenkt ihm das Ansehen wieder, das dieser Kranke verloren hatte, und die Zuwendung, die dieser lange vermisst hatte. Jesus heilt also nicht nur die körperliche Krankheit, sondern geht auch auf die seelischen Bedürfnisse dieses Menschen ein. 18 Jesus wird so zum Heiland für Leib und Seele 19 und schenkt ihm einen Ort zum Heilwerden, ein „HeilLand“20 . So kann dieser wieder uneingeschränkt am Leben des Volkes teilnehmen. 21 Ein weiterer Blick soll auf die Menschen gelenkt werden, die Jesus vom Berg „folgten“ (Mt 8,1). Dieses Leitverb „kennzeichnet sie als potentielle Kirche“22 . Wer Jesus nach- 14 15 16 17 18 19 20 21 22 Die Parallelstellen zu Mt 8,1-4 finden sich bei Mk 1,40-45 und Lk 5,12-16 . Zu Mt 8,1-4 vgl. auch ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 1, 16-24 und vgl. ZULEHNER / BRANDNER: GottesPastoral, 71-76. Vgl. LUZ: Das Evangelium nach Matthäus, 9 (dort Anm. 8). Übersetzung bei PESCH : Das Markusevangelium, 141; im Griechischen heißt es: „sp?a????s?e?? “. Mt und Lk lassen diese Gemütsbewegung wahrscheinlich weg, um die Souveränität Jesu nicht zu schmälern (vgl. LUZ: Das Evangelium nach Matthäus, 10). Aus heutiger, humanistisch aufgeklärter Sicht machen aber gerade diese Gefühle Jesus sympathisch, ja sogar souverän. Auch JHWH lässt sich u. a. in Ex 3,7-10 von den Schreien seines leidenden Volkes berühren und hat Mitleid. „Gott ist leidempfindlich“ (ZULEHNER / BRANDNER: GottesPastoral, 128) und greift rettend ein. In der Auslegungsgeschichte der Kirche wurde der Aussatz oft als Synonym für die tödliche Sünde angesehen, so zum Beispiel bei Augustinus und Johannes Calvin. Die Heilung des Körpers und deren soziale Dimension wurden bis zum Humanismus und der Aufklärung oft übersehen. Vgl. LUZ: Das Evangelium nach Matthäus, 11. Die Liturgiekonstitution bezeichnet Jesus in Anlehnung an ein Zitat des Ignatius von Antiochien als „den Arzt für Leib und Seele“. (ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL : Sacrosanctum Concilium, Nr. 5.) Das Wortspiel „Heil-Land“ stammt von Markus Beranek. Vgl. ZULEHNER / BRANDNER: GottesPastoral, 75. Ebenso muss auch die Kirche in der Nachfolge Jesu ein Ort sein, an dem sich Heilung ereignet und Menschen Heimat finden. Vgl. hierzu ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 1, 90-94. Vgl. ZULEHNER / BRANDNER: GottesPastoral, 74. LUZ: Das Evangelium nach Matthäus, 9. 14 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer folgen will, geht ihm hinterher, beobachtet seine Praxis, schaut ihm sozusagen auf die Finger und handelt auf Jesu Weise heilend an den Menschen. 23 Das Vorbild Jesu ist also entscheidend für die kirchliche Praxis. Jesus, so schildern die Evangelien, heilt Menschen von ihren körperlichen und seelischen Krankheiten und setzt sich dabei auch über Grenzen religiöser oder geographischer Art hinweg (vgl. Joh 4,1-26 und Mk 7,24-30). Er wendet sich Menschen zu, die trauern (Mk 5 ,35-43 u. a.). Es geht Jesus immer um den Menschen, um den ganzen Menschen. Deshalb nimmt er zum Beispiel auch einen Taubstummen „beiseite, von der Menge weg“ (Mk 7,33 ) und schützt ihn so vor neugierigen und schaulustigen Blicken. Gerade weil es Jesus um den Menschen geht, stellt er auch ein (schutzloses und unbeachtetes) Kind in die Mitte (vgl. Mt 18,2 und Mk 9,36) und geht den Verlorenen nach (vgl. Mk 9,12 und Mk 18,12-14 ). Jesus sorgt sich um alle Menschen, von den Kindern bis zu den Sterbenden und sogar den Toten, von den Suchenden bis zu den Verzweifelten und Verlorengegangenen. Von Jesus lässt sich auch lernen, dass er sich für sich selbst und seine von ihrer Mission zurückgekehrten Apostel Zeit nimmt, um sich mit ihnen abseits der Menge über ihr Tun auszutauschen, gemeinsam Kraft zu schöpfen und zu beten (vgl. Lk 9 ,10 und Lk 9,18). 24 Abschließend kann also festgehalten werden, dass Jesus ein wahrer Meister des Heilens und Rettens ist, das den ganzen Menschen umfasst und Leben in Fülle (vgl. Joh 10,10) verheißt. Er ist der verwundete Arzt, der für uns Menschen durch die Krisen, Leiden und Nöte des menschlichen Lebens bis in den Tod hinein gegangen ist und der sie überwunden hat. Jesus ist also das Vorbild schlechthin für alle, die anderen Menschen helfen wollen. 2.1.2 Gebot der Gottes- und Nächstenliebe (Lk 10,25-37) 25 Da stand ein Gesetzeslehrer auf, und um Jesus auf die Probe zu stellen, fragte er ihn: Meister, was muß ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen? 26 Jesus sagte zu ihm: Was steht im Gesetz? Was liest du dort? 27 Er antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst. 28 Jesus sagte zu ihm: Du hast richtig geantwortet. Handle danach, und du wirst leben. 29 Der Gesetzeslehrer wollte seine Frage rechtfertigen und sagte zu Jesus: Und wer ist mein Nächster? 30 Darauf antwortete ihm Jesus: Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen. Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halbtot liegen. 31 Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und ging weiter. 32 Auch ein 23 24 Vgl. ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 1, 22-24 und vgl. ZULEHNER / BRANDNER: GottesPastoral, 75f. Zulehner verweist dabei auf eine Darstellung der Perikope im so genannten Codex Echternach, in der die nachfolgende Kirche durch zwei Apostel (vermutlich Petrus und Johannes) und dann auch durch Zeitgenossen des Malers, erkennbar an der entsprechenden Kleidung, dargestellt wird. Das Bild sagt also, dass die Praxis Jesu für die Kirche von damals und auch von heute eine wesentliche und entscheidende Bedeutung hat. Für diesen Hinweis bedanke ich mich bei Joachim Michalik. 15 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Levit kam zu der Stelle; er sah ihn und ging weiter. 33 Dann kam ein Mann aus Samarien, der auf der Reise war. Als er ihn sah, hatte er Mitleid, 34 ging zu ihm hin, goß Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn. 35 Am andern Morgen holte er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezah len, wenn ich wiederkomme. 36 Was meinst du: Wer von diesen dreien hat sich als der Nächste dessen erwiesen, der von den Räubern überfallen wurde? 37 Der Gesetzeslehrer antwortete: Der, der barmherzig an ihm gehandelt hat. Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh und handle genauso! (Lk 10,25-37 ) Der barmherzig und hilfsbereit handelnde Samariter, den Jesus in dieser bekannten Be ispielgeschichte im Rahmen eines Streitgespräches mit einem Gesetzeslehrer schildert, ist zum „Kernbild der christlichen Ethik“25 geworden. 26 Der Ausgangspunkt für diese Geschichte Jesu ist die Frage eines Schriftgelehrten: „Und wer ist mein Nächster?“ (Lk 10 ,29b ). Jesus erzählt darauf von einem Mann, der im Wadi Quilt zwischen Jerusalem und Jericho unterwegs war und überfallen wurde. Ein Priester und ein Levit, die nacheinander an dem Schwerverletzten vorübergingen, sahen diesen Hilflosen zwar, beachteten ihn aber nicht. Jesus selbst spricht nicht von den Gründen dieser jüdischen Kultbeamten für die unterlassene Hilfeleistung. Heute wird dieses Fehlverhalten oft mit der Bewahrung kultischer Reinheit, mit Erfahrungsmangel im Umgang mit Verletzten oder mit bloßer Angst zu erklären versucht. 27 Statt ihren Gottesdienst im Tempel mit der Nächstenliebe zu ve rbinden, unterlassen die beiden Männer das geforderte barmherzige Handeln. 28 Ihr passives Vorübergehen ist „unentschuldbar“29 , ist unbegründbar und provoziert. Ein Samariter, für die jüdischen Hörer Jesu ein Fremder und Verachteter, kam als dritte Person an dem schwer verletzten Mann vorbei. Auch er sah ihn, aber er ging nicht vo rüber. Er hatte – ebenso wie Jesus bei dem Aussätzigen in Mk 1,40-45 – Mitleid mit diesem Menschen. François Bovon übersetzt: Der Samariter „war im Innersten berührt“30 , so dass eine Beziehung zwischen den beiden Menschen entstehen konnte. 31 Der Samariter war sensibel für das Leid des Überfallenen, der vermutlich bewusstlos am Weg lag. 25 26 27 28 29 30 31 W IETERSHEIM : Der barmherzige Samariter, 36. Später wird in der Kairologie darauf eingegangen, welche wesentliche Bedeutung diese Perikope für die Hilfsorganisationen hat. Zu Lk 10,25-37 vgl. auch M ETZSCH: Menschen helfen Menschen, bes. 8-27 und vgl. auch W IETERSHEIM : Der barmherzige Samariter, 35f und vgl. auch REUTER: Notfallseelsorge, 53f. Vgl. M ETZSCH: Menschen helfen Menschen, 17. Vgl. BOVON: Das Evangelium nach Lukas, 89. Vgl. BOVON: Das Evangelium nach Lukas, 90. BOVON: Das Evangelium nach Lukas, 81. Friedrich-August von Metzsch weist auf folgende Übersetzungsmöglichkeit hin: „Beim Anblick (des Verletzten) drehten sich ihm Magen und Eingeweide im Leib um.“ (M ETZSCH: Menschen helfen Menschen, 19.) Der Samariter ist also betroffen vom Leid des andern, das ihm sogar auf den Magen schlägt, so dass er mit ihm mit leidet. Bovon bemerkt dazu: „Der verletzliche Leib des einen weckt das aufmerksame Herz des andern.“ (BOVON: Das Evangelium nach Lukas, 90.) 16 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Er versorgte die Wunden des Verletzten nach damaligem Wissen und Brauch professionell mit Öl und Wein zur Reinigung, Desinfektion und Schmerzlinderung. 32 Der Helfer transportierte ihn anschließend auf seinem Reittier in eine Herberge und sorgte dort weiter für ihn. Erst am nächsten Tag setzte er seine Reise fort, nachdem er den Wirt mit der Weiterversorgung beauftragt und die Kosten dafür übernommen hatte. Im Anschluss an diese Beispielgeschichte, die die Sympathie der Hörer leicht auf die Seite des Verletzten und vor allem des Samariters lenkt, folgt die Pointe des Streitgesprächs: Jesus dreht die Frage des Schriftgelehrten um und fragt diesen selbst, wer sich dem Hilfsbedürftigen als Nächster erwiesen habe. 33 Der Schriftgelehrte verweist auf den Helfer, der barmherzig an dem Verletzten gehandelt hat (vgl. Lk 10,37b ) und dessen Volkszugehörigkeit offenbar keine Rolle dabei spielte. Was allein zählt, ist die Barmherzigkeit und diese „ist eine Eigenschaft Gottes [...]. Barmherzigkeit ist der ungeschuldete Dienst.“34 Nach der Antwort des Schriftgelehrten fordert Jesus diesen und damit auch alle anderen auf: „Dann geh und handle genauso!“ (Lk 10 ,37b ). Jesus fordert alle auf, die das Gebot Gottes erfüllen wollen, sich den Hilfsbedürftigen als Nächste zu erweisen und wie der Samariter nicht nach Ausreden zu suchen, sondern sensibel und nach bestem Wissen und Gewissen aktiv zu helfen. Gottes- und Nächstenliebe können nicht voneinander getrennt werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Darstellung dieser Beispielgeschichte im Codex Rossanensis aus dem 6. Jahrhundert. 35 Sie zeigt den Samariter mit dem Kreuznimbus Christi, der sich professionell um den verletzten Menschen in der Mitte sorgt und von einer weißen Gestalt, einem Engel gleich, dabei assistierend unterstützt wird. 36 Nach diesem Bild hilft jeder an Jesu Christi Statt, der wie der Samariter einem Menschen in Not beisteht. Aufgabe der Kirche ist es, diese Forderung Jesu in ihr und in der Welt wach zu halten und die Hilfeleistungen wohlwollend und – wie der Engel in der oben genannten Darstellung – fördernd zu unterstützen. 37 2.1.3 Werke der Barmherzigkeit (Mt 25,31-40) 32 33 34 35 36 Vgl. BOVON: Das Evangelium nach Lukas, 91 (dort Anm. 43) und vgl. M ETZSCH: Menschen helfen Menschen, 19. Die Frage lautet also, wer sich wie der Samariter als Nächster erweist und nicht wer einem selbst der Nächste ist. A DAMS: Die Kunst des Helfens, 20. Der betreffende Ausschnitt der Darstellung ist auf Seite 2 der vorliegenden Arbeit abgedruckt. Vgl. M ETZSCH: Menschen helfen Menschen, 76. 17 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer 31 Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen. 32 Und alle Völker werden vor ihm zusammengerufen werden, und er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. 33 Er wird die Schafe zu seiner Rechten versammeln, die Böcke aber zur Linken. 34 Dann wird der König denen auf der rechten Seite sagen: Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist. 35 Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen; 36 ich war nackt, und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen. 37 Dann werden ihm die Gerechten antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben, oder durstig und dir zu trinken gegeben? 38 Und wann haben wir dich fremd und obdachlos gesehen und aufgenommen, oder nackt und dir Kleidung gegeben? 39 Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? 40 Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. (Mt 25,31-40 ) Dieser Ausschnitt der Weltgerichtszene im Rahmen der Endzeitreden Jesu im Matthä usevangelium wurde zu einem „Grundtext der Diakonie“38 . Von ihm wurden die so genannten Werke der Barmherzigkeit abgeleitet, die bis heute (nicht nur) dem Christentum wichtige Impulse für karitatives Verhalten geben: Speisung von Hungrigen, Versorgung von Durstigen, Aufnahme von Fremden und Obdachlosen, Bekleidung von Nackten, Besuch der Kranken und Gefangenen (vgl. Verse 35f). Ab dem 13. Jahrhundert, vermutlich im Zusammenhang mit der Pest, wurde die Bestattung von Toten (vgl. Tob 1,16f) und ferner auch der Besuch von Trauernden (vgl. Sir 7,34f) zu dieser Reihe hinzugefügt. 39 Ebenso wurden so genannte geistliche Werke der Barmherzigkeit im Katalog der christlichen Handlungsideale ergänzt: Belehrung40 , Rat, Trost, Ermutigung, Vergebung und Ertragen von Unrecht in Geduld 41 und, bei Johannes Calvin und anderen, auch das Gebet. 42 Die Aufforderung, sich um die leiblichen und auch seelischen Nöte von leidenden Menschen zu kümmern, spielt übrigens nicht nur im jüdisch-christlichen Kontext eine Rolle, sondern auch bei anderen Religionen. 43 37 38 39 40 41 42 43 Diese alte Darstellung kann auch ein Vorbild für den RD (Samariter), die Kirche (Engel) und deren Zusammenarbeit sein. LUZ: Das Evangelium nach Matthäus, 522. Auf die Diakonie wird später (unter II, 2.2.2.3) näher eingegangen werden. Zu Mt 25,31-40 vgl. ferner ZIPPERT : Zur Theologie der Notfallseelsorge, 27, M ETZSCH: Menschen helfen Menschen, 44f und vgl. auch REUTER: Notfallseelsorge, 54f. Vgl. M ETZSCH: Menschen helfen Menschen, 45 und vgl. LUZ: Das Evangelium nach Matthäus, 522 und vgl. ZIPPERT : Zur Theologie der Notfallseelsorge, 27. Davon leitet Ulrich Luz übrigens folgendes ab, was hier durchaus nicht verschwiegen werden soll: „Auch Professoren können also gerettet werden!“ (LUZ: Das Evangelium nach Matthäus, 528; dort Anm. 93.) Vgl. ZIPPERT : Zur Theologie der Notfallseelsorge, 27. Vgl. LUZ: Das Evangelium nach Matthäus, 528. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf die große Übereinstimmung der Liebeswerke aus Mt 25 mit denen, die in Texten anderer Religionen aufgezählt werden. Vgl. dazu LUZ: Das Evangelium nach Matthäus, 524. 18 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Die Exegeten sind sich uneinig, ob dieser paränetische Text universal oder exklusiv zu deuten ist, ob also Jesus in jedem Menschen, der Not leidet, gleich welcher Religion er angehört, begegnet oder – wie bis zum 19. Jahrhundert vorherrschend vertreten – nur in hilfsbedürftigen Mitgliedern der christlichen Gemeinde. 44 Ulrich Luz hält in seinem Kommentar fest, dass diese Perikope heute durchaus universal interpretiert werden darf und „sich im ‚geringsten Bruder’ Jesu – sei dies nun ein Gemeindemitglied oder nicht – der erhöhte Herr beziehungsweise Gott selbst verbirgt und erfahren läßt“45 , weil Jesus „derjenige ist, der neue Augen schenkt, die den armen Menschen und Gott neu sehen und erfahren lassen.“46 2.1.4 Apostolische Diakonie und Krisenintervention (Apg 9,36-42) 36 In Joppe lebte eine Jüngerin namens Tabita, das heißt übersetzt: Gazelle. Sie tat viele gute Werke und gab reichlich Almosen. 37 In jenen Tagen aber wurde sie krank und starb. Man wusch sie und bahrte sie im Obergemach auf. 38 Weil aber Lydda nahe bei Joppe liegt und die Jünger hörten, dass Petrus dort war, schickten sie zwei Männer zu ihm und ließen ihn bitten: Komm zu uns, zögere nicht! 39 Da stand Petrus auf und ging mit ihnen. Als er ankam, führten sie ihn in das Obergemach hinauf; alle Witwen traten zu ihm, sie weinten und zeigten ihm die Röcke und Mäntel, die Gazelle gemacht hatte, als sie noch bei ihnen war. 40 Petrus aber schickte alle hinaus, kniete nieder und betete. Dann wandte er sich zu dem Leichnam und sagte: Tabita, steh auf! Da öffnete sie ihre Augen, sah Petrus an und setzte sich auf. 41 Er gab ihr die Hand und ließ sie aufstehen; dann rief er die Heiligen und die Witwen und zeigte ihnen, daß sie wieder lebte. 42 Das wurde in ganz Joppe bekannt, und viele kamen zum Glauben an den Herrn. (Apg 9,36-42) Der Apostel Petrus leistet in dieser Perikope sozusagen eine Krisenintervention. Er wird unmittelbar nach dem Tod der engagierten Christin Tabita gerufen, weil sich die Gemeinde von ihm Hilfe verspricht. Petrus lässt die Trauernden nicht im Stich, er macht sich auf den Weg, um die erbetene Hilfe zu leisten. Es geht hier sicher nicht um notfallmedizinische Hilfe, denn dazu fehlten dem Fischer Petrus und den anderen damals die Kenntnisse, sondern um ein „authentisches und von den Trauernden wahrnehmbares Zeugnis des auferstandenen Christus“47 , das Trost vermittelt, weil die Verstorbene nicht „in eine sinnlose Leere fällt.“48 Gemeint ist also „die Hilfe aus der Kraft des Glaubens und des Gebetes – und die Gemeinde erwartete nur noch diese Hilfe.“49 Durch diesen Glauben an den auferstandenen Herrn ersteht Tabita zu einem neuem Leben. Rudolf Pesch sieht in dieser Totenerweckung der Tabita, die sozusagen die Diakonie der Gemeinde von Joppe personifizierte (vgl. ihre Taten in Vers 36), auch eine Anrede des 44 45 46 47 48 Vgl. LUZ: Das Evangelium nach Matthäus, 521-530. LUZ: Das Evangelium nach Matthäus, 544. LUZ: Das Evangelium nach Matthäus, 544. DIRNBERGER / M ÜLLER-CYRAN: Notfallseelsorge, 1. DIRNBERGER / M ÜLLER-CYRAN: Notfallseelsorge, 1. 19 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Herrn an die Gemeinde, die in ihr gestorbene Diakonie wiederaufleben zu lassen. Eine lebendige Diakonie ist also lebenswichtiger Bestandteil für eine christliche Gemeinde. 50 Petrus wird hier sozusagen als ein biblischer Notfallseelsorger dargestellt, der gerufen wird, um durch die Kraft des Glaubens und des Gebetes Trost und neues Leben zu ermöglichen. Petrus hilft durch seinen Glauben den Trauernden aus ihrer Krise heraus. 51 2.1.5 Trost durch die Getrösteten (2 Kor 1,3-5 ) 3 Gepriesen sei der Gott und Vater Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater des Erbarmens und der Gott allen Trostes. 4 Er tröstet uns in all unserer Not, damit auch wir die Kraft haben, alle zu trösten, die in Not sind, durch den Trost, mit dem auch wir von Gott getröstet werden. 5 Wie uns nämlich die Leiden Christi überreich zuteil geworden sind, so wird uns durch Christus auch überreicher Trost zuteil. (2 Kor 1,3-5 ) Der Gott, den das Christentum verkündet, ist ein Gott des Trostes und des Lebens. Der dreieinige Gott tröstet uns, weil er seine Geschöpfe liebt: Aus dieser Liebe heraus hat Gott die gesamte Schöpfung samt den Menschen erscha ffen. Er hat sein auserwähltes Volk aus der Knechtschaft der Ägypter befreit (vgl. Ex) und durch die Wüste in das gelobte Land geleitet (vgl. Jos) und immer wieder aus den Händen fremder Mächte in die Freiheit geführt (vgl. 1 Kön 19, vgl. 2 Chr 36 ,22f u. a.). Der Herr hat sich als JHWH, als „Ich-bin-da“ (Ex 3,14 ), offenbart und immer wieder als solcher erwiesen – als ein Gott, der mitfühlt und rettend eingreift. Aus dieser Liebe he raus hat Gott seinen Sohn als Menschensohn auf die Erde gesandt, hat ihn für die Erlösung der Menschen hingegeben und ihn die irdischen Leiden ertragen und überwinden lassen (vgl. Röm 8,32). Und aus dieser Liebe heraus ist auch Gottes Heiliger Geist als Beistand bei seinem Volk und stärkt es, damit wir als Kinder Gottes leben und die Herausforderungen und Nöte unserer Zeit bestehen können (vgl. Röm 8,9-17 und vgl. 1 Kor 12,1-11). Weil Gott sein Volk also getröstet hat, kann und muss die Kirche auch alle trösten, die des Trostes bedürfen. Das Volk Gottes gibt den Trost weiter, den Gott geschenkt hat. 52 2.1.6 Tragende Hoffnung (1 Petr 3 ,15b.16a) 15b Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt; 16aaber antwortet bescheiden und ehrfürchtig, denn ihr habt ein reines Gewissen.“ (1 Petr 3,15b.16a) 49 50 51 52 PESCH: Die Apostelgeschichte, 325. Vgl. PESCH: Die Apostelgeschichte, 325. Das Prinzip der Diakonie wird, wie bereits erwähnt, später unter II, 2.2.2.3 ausführlicher behandelt. Vgl. DIRNBERGER / M ÜLLER-CYRAN: Notfallseelsorge, 1. Zu Apg 9,36-42 vgl. ferner REUTER: Notfallseelsorge, 56f. Vgl. zu 2 Kor 3,1-5 ferner REUTER: Notfallseelsorge, 56. 20 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Christen leben aus einer lebendigen Hoffnung, die in der Auferweckung Jesu Christi begründet ist. Sie glauben an ein Leben nach dem Tod im Reich Gottes, in dem der Tod nicht mehr sein wird, in dem es keine Trauer, keine Klage und keine Mühsal mehr geben wird, weil das Alte dann vergangen ist (vgl. Offb 21,4). Ihre Hoffnung reicht also über die Grenzen und das Leid dieser Welt hinweg. Der Verfasser des ersten Petrusbriefes mahnt die christliche Gemeinde, von dieser Hoffnung erfüllt zu leben und dadurch die Zeitgenossen zum Nachfragen herauszufordern. In der Hoffnung liegt ein wesentlicher Moment des Glaubens (vgl. auch 1 Petr 1 ,3 ). 53 Im Neuen Testament trägt die Hoffnung in sich „Momente der Erwartung des Künftigen, des Vertrauens und der Geduld [...] und steht in der Spannung von Gegenwart und Zukunft, der Grunderfahrung des schon gegenwärtigen Heiles und des ‚Noch-nicht’ der ausstehenden Endvollendung.“54 Das Christentum hat also allen Menschen eine Hoffnung zu bieten und zu verkündigen; und das besonders an den Orten, die von Hoffnungslosigkeit und Not geprägt und beherrscht sind. Es ist die Hoffnung auf die Rettung durch den gütigen und die Menschen liebenden Gott (vgl. Tit 3,4). 2.1.7 Alttestamentliche Lebenskunst (Sir 7,33-36) 33 Schenk jedem Lebenden deine Gaben, und auch dem Toten versag deine Liebe nicht! Entzieh dich nicht den Weinenden, vielmehr trauere mit den Trauernden! 35 Säume nicht, den Kranken zu besuchen, dann wirst du von ihm geliebt. 36 Bei allem, was du tust, denk an das Ende, so wirst du niemals sündigen. (Sir 7,33-36) 34 Dieser siebte Bibeltext ist dem alttestamentlichen Buch Jesus Sirach entnommen und vermutlich um 180 vor Christus in Jerusalem verfasst worden ist; das Buch wirbt für ein Leben gemäß der Weisheit JHWHs. 55 Jesus Sirach fordert zur Hilfsbereitschaft gege nüber den Lebenden und den Toten auf. 56 Er leitet dazu an, Menschen in Krisensituationen (Weinenden, Trauernden und Kranken) beizustehen und sie nicht zu meiden, sondern mit ihnen ihr Leid zu tragen. Bei der Sorge um die Toten hat der biblische Verfasser neben deren Bestattung bewusst auch die Versorgung und Tröstung der Angehörigen im Blick. 57 53 54 55 56 57 Vgl. SCHELKLE: Die Petrusbriefe, 101. W OSCHITZ: Hoffnung, 316. Vgl. SCHREINER: Jesus Sirach, 8. Zu Sir 7,33-36 vgl. auch REUTER: Notfallseelsorge, 57f. In diesem Zusammenhang gilt es, an die so genannte Goldene Regel zu erinnern: „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen! Darin besteht das Gesetz und die Propheten.“ (Mt 7,12 .) Vgl. SCHREINER: Jesus Sirach, 54. 21 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Wer bei allen seinen Entscheidungen die eigene Sterblichkeit als Mahnung vor Augen hat, wird entsprechend handeln und im Alter dankbar und zufrieden auf ein erfülltes und an guten Taten reiches Leben zurückblicken können. 58 Wer also ein Leben nach JHWHs Gesetz führen will, hat seinen Platz an Sterbebetten, an Unfallorten und überall dort, wo psychische und physische Hilfe und menschliche Begleitung benötigt wird. Er meidet solche Orte nicht und trägt die Sorgen und Gefühle dieser Menschen mit. 59 2.2 Kriterien in der kirchlichen Tradition Ad fontes – Anhand einiger wichtiger Quellen der kirchlichen Tradition sollen nun weitere theologische Grundlagen für die Zusammenarbeit zwischen Kirche und RD dargestellt werden. In einem Kirchenbild aus der Zeit der Kirchenväter und in den drei wesentlichen Prinzipen der christlichen Gemeinde sollen wichtige Kriterien gefunden und mit Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) bekräftigt werden. 2.2.1 Kirche als Instrument Christi Ein Fresko in den römischen Domitilla-Katakomben überträgt den Orpheus-Mythos der Antike auf Christus und die Menschheit. 60 Das frühchristliche Gemälde zeigt Christus als Orpheus mit einer Leier und einem Spielblättchen (Plektron) in der Hand. Im Vergleich zum Orpheus des Mythos hat es Christus aber geschafft, seine Geliebte, die Menschheit, aus dem Reich des Todes zu befreien. Sein Instrument – die Leier – hilft ihm dabei, das befreiende „Lied des Lebens, des Lachens, der Hoffnung und der Auferweckung“61 zu spielen. 62 Zwei Kirchenväter, Ignatius von Antiochien und Clemens von Alexandrien, sahen in der Leier die christliche Gemeinde symbolisiert, deren Aufgabe es ist, Christus bei der Befreiung der Menschheit als Instrument und Werkzeug zu dienen. Durch den Heiligen 58 59 60 61 62 Vgl. SCHREINER: Jesus Sirach, 54. Eine knappe Zusammenfassung dieses und des folgenden Abschnitts erfolgt in II, 2.3. Vgl. dazu ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 2, 70f und ZULEHNER / BRANDNER: GottesPastoral, 5860. Der genannte griechische Mythos erzählt von dem Spielmann Orpheus, der aus Liebe zu Eurydike, mit seiner Lyra (Leier) den Weg in die Unterwelt wagt, um die Verstorbene von den Fesseln des Todes zu befreien. Die Götter sind von seinen herzerweichenden Liedern und seiner Liebe zu dieser Frau so beeindruckt, dass sie ihm erlauben, Eurydike aus dem Totenreich herauszuführen. Orpheus darf auf dem Rückweg allerdings nicht zurückschauen, um zu prüfen, ob ihm seine Geliebte auch folgt. Doch aus Zweifel, ob sie hinter ihm ist, dreht er sich deshalb – entgegen der Vereinbarung – unterwegs um und verliert seine Geliebte so für immer. Vgl. ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 2, 70 und vgl. ZULEHNER / BRANDNER: GottesPastoral, 58. ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 2, 70. Vgl. ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 2, 70 und vgl. ZULEHNER / BRANDNER: GottesPastoral, 58. 22 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Geist, dargestellt durch das Plektron, werden die Saiten der Leier zum Schwingen und Klingen gebracht. 63 Die Kirche, das Volk Gottes, ist also nach dieser Kirchenvision aus der frühchristlichen Zeit lediglich Werkzeug in der Hand Jesu Christi, um am Reich Gottes mitzubauen. Sie dient also nicht einem Selbstzweck, sondern hat von Gott die Aufgabe erhalten, Chr istus zum Wohl des Menschen zu dienen. Ebenso treffend formuliert die Vision der Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils: „Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit.“64 Der Kirche muss es also um Gott und seinetwillen um den Menschen gehen. So heißt es in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes klar und deutlich: „Der Mensch also, der eine und ganze Mensch, mit Leib und Seele, Herz und Gewissen, Vernunft und Willen steht im Mittelpunkt unserer Ausführungen.“65 2.2.2 Prinzipien der christlichen Gemeinde Die christliche Gemeinde im Großen (Weltkirche) wie im Kleinen (Teilkirche beziehungsweise Diözese und auch die Pfarrgemeinde als „Kirche Gottes vor Ort“66 ) hat folgende Prinzipien und Grundvollzüge, die für die Bildung und das Fortbestehen der Gemeinde wesentlich sind und untrennbar zusammengehören: die Mystik (mit Martyria und Leiturgia), die Koinonia und die Diakonia.67 Diese drei Grundfunktionen werden nun näher erläutert. 2.2.2.1 Mystik 63 64 65 66 67 Vgl. ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 2, 70 und vgl. ZULEHNER / BRANDNER: GottesPastoral, 58. Zulehner verweist weiter auf Rolf Zerfaß, der diese Kirchenvision für die Pastoraltheologie erschlossen hat. Vgl. ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 2, 70 (dort Anm. 163). ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Lumen gentium, Nr. 1. Vgl. dazu auch ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 2, 71. ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Gaudium et spes, Nr. 3. Nach der Enzyklika Redemptoris hominis ist der Mensch „der erste und grundlegende Weg der Kirche.“ (JOHANNES PAUL II.: Redemptoris hominis, 27; Hervorhebung im Original.) ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 2, 50. Verwendet werden hier die Bezeichnungen nach ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 2, 83-127. He rmann Wieh bezeichnet die Grundvollzüge der Gemeinde ähnlich mit Verkündigung, Eucharistie und Brüderlichkeit. Vgl. W IEH: Konzil und Gemeinde, 216-220. Ferdinand Klostermann entspricht der Aufteilung von Zulehner: der Geist des Herrn (begründet die Koinonia), das Wort des Herrn (Martyria), der Kult des Herrn (Leiturgia) und die Bruderliebe des Herrn (Diakonia). Vgl. KLOSTERMANN: Prinzip Gemeinde, 40-58. Vgl. ebenso ZERFAß: Lebensnerv Caritas, 86 und SCHMID: Die Praxis als Ort der Theologie, 108. Auch Joachim Müller-Lange spricht von Martyria, Diakonia, Leiturgia und Koinonia. Vgl. M ÜLLER-LANGE : Einführung in die Notfallseelsorge, 18. Vgl. auch KIRCHENKANZLEI DER EVANGELISCHEN KIRCHE IN DEUTSCHLAND : Kirchliches Handeln bei Unglücksfällen und Katastrophen, 16f. 23 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Die Kirche ist das Volk Gottes, die Gemeinschaft der von Gott Herausgerufenen (? e????s?a); Gott will also in ihr gegenwärtig sein. Die Kirche hat den Auftrag, sozusagen randvoll mit dem Evangelium auf der von Gott vorgegebenen Spur durch die Geschichte zu gehen und diese mitzugestalten. In der christlichen Gemeinde muss Gott für Menschen erfahrbar und erlebbar sein. Aus diesem Verwurzelt sein in Gott68 , der Mystik mit ihrer „Grundbewegung empfangen – loben – austeilen“69 , erwachsen Leiturgia und Martyria. 70 2.2.2.1.1 Leiturgia In der Liturgie (? ?e?t?????a), der „Heiligung und Heilung“ 71 , ereignet sich ein wahrer Gottesdienst in zwei Richtungen: Gottes Dienst an uns Menschen (vor allem soteriologisch) und der Dienst der Menschen für Gott (latreutisch); Liturgie verbindet Himmel und Erde, Gott und Menschen in ganz besonderer Weise. 72 Gebete und zeichenhafte Rituale (wie Segnungen und die Sakramente) haben neben ihrer religiösen Dimension auch eine heilsame, beruhigende Wirkung und eine soziale Dimension. 73 Das Zweite Vatikanische Konzil stellt fest: „Die Sakramente sind hingeordnet auf die Heiligung der Menschen.“74 Die Heiligung schließt die Heilung mit ein. In Krisensituationen kann die Kirche durch ihre Seelsorger den Menschen, die das wünschen, gemäß den kirchlichen Richtlinien die Sakramente spenden, den Segen und die Nähe Gottes zusagen und für sie – gegebenenfalls auch mit ihnen – beten. 2.2.2.1.2 Martyria Der Dienst der Verkündigung (? µa?t???a) steht für den Auftrag der Kirche, allen Menschen die Frohe Botschaft des Evangeliums zu verkünden (vgl. Mt 28,16-20 u. a.). Es geht also darum, Zeugnis von der christlichen Hoffnung zu geben, die dem Leben Sinn 68 69 70 71 72 73 74 Vgl. ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 2, 84. ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 2, 86; Hervorhebung im Original. Vgl. ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 2, 86. Vgl. ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 2, 88. In der Liturgiekonstitution heißt es dazu: „In der irdischen Liturgie nehmen wir vorauskostend an jener himmlischen Liturgie teil, die in der heiligen Stadt Jerusalem gefeiert wird, zu der wir pilgernd unterwegs sind.“ (ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Sacrosanctum Concilium, Nr. 59.) Unter anderem „haben Rituale eine therapeutische Dimension. Sie ereignen sich an der Schnittstelle zwischen Bewußtem und Unbewußtem und vermögen tiefsitzende Ambivalenzen des Daseins zu verarbeiten [...]. Rituale wirken im Widerstreit tiefer seelischer Kräfte entchaotisierend, schützend vor dem befürchteten Verschlungenwerden, spenden Trost in der Untröstlichkeit. Zudem vernetzen sie. Denn Rituale sind keine private Angelegenheit, sondern lassen die Nähe einer tragenden Gemeinschaft spürbar werden.“ (ZULEHNER: Für Kirchenliebhaberinnen, 57f.) Ebenso darf nicht vergessen werden, dass die Feier der Sakramente nicht nur für die einzelnen Empfänger bedeutsam sind, sondern immer zugleich auch für die ganze Kirche, weil sie in ihr gespendet werden. ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Sacrosanctum Concilium, Nr. 59. 24 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer und Kraft schenkt. 75 „Wer verkündigt, der denkt, redet und handelt im Namen Jesu, der gekommen ist, die Menschheit von der Macht des Todes zu befreien und ihr den Weg zum ewigen Leben zu öffnen“76 , schreibt Henri J. M. Nouwen. In Gaudium et spes heißt es: „Der Vater will, daß wir in allen Menschen Christus als Bruder sehen und lieben in Wort und Tat und so der Wahrheit Zeugnis geben und anderen das Geheimnis der Liebe des himmlischen Vaters mitteilen. Auf diese Weise wird in den Menschen überall in der Welt eine lebendige Hoffnung erweckt.“77 2.2.2.2 Koinonia Die Gemeinschaft (? ???????a) der Kirche mit Gott in Jesus Christus (vgl. 1 Kor 1,9 ) 78 trägt und hält ihre Mitglieder, die christlich Getauften, zusammen. Diese Gemeinschaft, die besonders in der gemeinsam gefeierten Leiturgia erfahrbar ist und durch diese gestärkt wird, ist aber nicht allein für sich selbst da; die Kirche ist kein Selbstzweck. 79 In Krisensituationen können und dürfen sich Menschen, die das wollen, von dieser Gla ubens- und Weggemeinschaft mitgetragen wissen und in ihr geborgen fühlen. Die Pastoralkonstitution schreibt zu dieser Gemeinschaft der Kirche mit allen Menschen: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände. Ist doch ihre eigene Gemeinschaft aus Menschen gebildet, die, in Christus geeint, vom Heiligen Geist auf ihrer Pilgerschaft zum Reich des Vaters geleitet werden und eine Heilsbotschaft empfangen haben, die allen auszurichten ist. Darum erfährt diese Gemeinschaft sich mit der Menschheit und ihrer Geschichte wirklich engstens verbunden.“80 2.2.2.3 Diakonia Die Diakonie (? d?a????a) umfasst den Dienst an und die Unterstützung von Not leidenden Menschen innerhalb und außerhalb der christlichen Gemeinde. Diakonie bedeutet, Not zu mindern (helfende Diakonie oder Caritas) und ungerechte Strukturen zu verhindern und zu verringern (politische Diakonie). 81 Die eindeutige Option Gottes für die Armen, Unterdrückten und Leidenden gilt ohne Zweifel auch für seine Kirche. 82 75 76 77 78 79 80 81 82 Vgl. dazu auch II, 2.1.6 und vgl. auch II, 2.1.5. NOUWEN : Seelsorge, die aus dem Herzen kommt, 65. ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Gaudium et spes, Nr. 93. Ferner heißt es in der Liturgiekonstitution: „Darum verkündet die Kirche denen, die nicht glauben, die Botschaft des Heils, damit alle Menschen den allein wahren Gott erkennen und den, den er gesandt hat, Jesus Christus, und daß sie sich bekehren von ihren Wegen und Buße tun.“ (ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Sacrosanctum Concilium, Nr. 9.) Vgl. ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 2, 91. Vgl. dazu die Kirchenvision in II, 2.2.1. ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Gaudium et spes, Nr. 1; eigene Hervorhebungen. Vgl. ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 2, 118-127 (bes. 118). Vgl. Ex 3 und weitere Grundtexte der Diakonie (vgl. zum Beispiel II, 2.1.2 u. II, 2.1.3 u. II, 2.1.1). 25 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Bereits eine syrische Kirchenordnung aus dem fünften Jahrhundert, Testamentum Domini (Vermächtnis des Herrn), gibt klare Anweisungen für das Amt des Diakons, das sozusagen der Kirche ihr Grundprinzip der Diakonie ständig vor Augen führen und sie an die fürsorgliche Nächstenliebe erinnern soll. 83 In Testamentum Domini heißt es, der Diakon „ist Ratgeber des ganzen Klerus und so etwas wie das Sinnbild der ganzen Kirche. Er pflegt die Kranken, kümmert sich um die Fremden [...] und geht in den Häusern der Armen aus und ein, um festzustellen, ob es niemanden gibt, der in Angst, Krankheit oder Not geraten ist [...]. Er bekleidet und ‚schmückt’ die verstorbenen Männer, er begräbt die Fremden, er nimmt sich derer an, die ihre Heimat verlassen haben oder aus ihr vertrieben wurden. Er macht der Gemeinde die Namen derer bekannt, die der Hilfe bedürfen.“84 Diese Fürsorge des Diakons beschränkt sich aber nicht auf Christen. Die alte Kirchenordnung fordert den Diakon ausdrücklich dazu auf, die gestrandeten Leichen von (unbekannten) Schiffbrüchigen ordentlich zu bestatten und auch in den Unterkünften der Fremden nach Notleidenden, Kranken und Verstorbenen zu suchen, damit sich die Gemeinde um diese entsprechend sorgen kann. 85 Testamentum Domini bezeichnet den Diakon sogar als „Auge der Kirche“86 . Das bedeutet für die christliche Gemeinde, dass sie ihre Augen (und Ohren) den Menschen zuwenden soll, die Not an Leib und Seele erleiden. 87 Auch das Zweite Vatikanische Konzil äußert sich eindeutig zur christlichen Caritas und Nächstenliebe. So heißt es in Lumen gentium: „Christus wurde vom Vater gesandt, ‚den Armen frohe Botschaft zu bringen, zu heilen, die bedrückten Herzens sind’ (Lk 4,18 ), ‚zu suchen und zu retten, was verloren war’ (Lk 19,10 ). In ähnlicher Weise umgibt die Kirche alle mit ihrer Liebe, die von menschlicher Schwachheit angefochten sind, ja in den Armen und Leidenden erkennt sie das Bild dessen, der sie gegründet hat und selbst ein Armer und Leidender war. Sie müht sich, deren Not zu erleichtern, und sucht Christus in ihnen zu dienen.“88 Im Dekret über das Apostolat der Laien, Apostolicam actuositatem, sind die folgenden Aussagen zu finden, die mit dem Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe, der soli- 83 84 85 86 87 88 Vgl. ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 2, 124. Vgl. dazu auch ZERFAß: Lebensnerv Caritas, 57-67. TESTAMENTUM DOMINI (I. 34,1), 265f. Vgl. TESTAMENTUM DOMINI (I. 34,3), 266. TESTAMENTUM DOMINI (I. 35), 266. So gibt dieses Dokument wertvolle Hinweise für die Grundaufgaben und Handlungsorte aller, die zum diakonischen Dienst bestellt sind. Leider sind die Diakone teilweise zu einer Art Priesterersatz geworden. Ihre eigentliche Berufung zum Dienst an den Armen und Kranken, aus dem heraus auch ihre liturgische Assistenz (am Altar) zu verstehen ist, geriet dadurch bedauerlicherweise in den Hintergrund. Vgl. dazu auch ZULEHNER: Dienende Männer, bes. 60. Vgl. ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 2, 124. ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Lumen gentium, Nr. 8; eigene Hervorhebung. Vgl. dazu auch DIRNBERGER / M ÜLLER-CYRAN: Notfallseelsorge, 2. 26 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer darischen Menschwerdung Jesu und seinem Auftrag an die Jünger, an der Liebe erkennbar zu sein, begründet werden89 : „Der barmherzige Sinn für die Armen und Kranken und die sogenannten caritativen Werke, die gegenseitige Hilfe zur Erleichterung aller menschlichen Nöte, stehen deshalb in der Kirche besonders in Ehren [...]. Das caritative Tun kann und muß heute alle Menschen und Nöte umfassen. Wo immer Menschen leben, denen es an [...] notwendigen Mitteln zu einem menschenwürdigen Leben fehlt, wo Menschen von Drangsal und Krankheit gequält werden, [...] muß die christliche Hilfe sie suchen und finden, alle Sorgen für sie aufwenden, um sie zu trösten und mit tätiger Hilfe ihr Los zu erleichtern.“90 Mit Paul M. Zulehner lässt sich schließlich knapp zusammenfassen: „Wenn die Kirche sich zu Gott bekehrt, wird sie sich auch zu den Leidenden bekehren.“91 2.2.3 Zusammenarbeit mit anderen Menschen und Organisationen Was die Kooperation der Kirche mit allen Menschen und Einrichtungen angeht, die sich für das Wohl der Menschen einsetzen, finden sich in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils mindestens zwei Texte, die sich eindeutig für ein gemeinsames Tun aussprechen. So heißt es in Gaudium et spes: „Wenn die Kirche auch den Atheismus eindeutig verwirft, so bekennt sie doch aufrichtig, daß alle Menschen, Glaubende und Nichtglaubende, zum richtigen Aufbau dieser Welt, in der sie gemeinsam leben, zusammenarbeiten müssen. Das kann gewiß nicht geschehen ohne einen aufrichtigen und klugen Dialog.“92 Auch das Dekret über das Apostolat der Laien ermutigt zur Kooperation: „Die Laien mögen also die Werke der Liebe und die Unternehmungen der sozialen Hilfe, private oder öffentliche, auch die internationalen Hilfswerke hochschätzen und nach Kräften fördern. Durch sie wird einzelnen Menschen und ganzen Völkern in ihrer Not wirklich geholfen. Dabei sollen die christlichen Laien mit allen Menschen guten Willens zusammenarbeiten.“93 Die Laien werden folglich besonders dazu aufgefordert, die Hilfswerke – zu denen auch die Hilfsorganisationen (im RD) gehören, die im späteren Verlauf dieser Untersuchungen (in III, 4.2) näher vorgestellt werden – zu schätzen und zu unterstützen. 94 89 90 91 92 93 Vgl. ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL : Apostolicam actuositatem, Nr. 8. Dort heißt es unter anderem: „Er (Jesus; eigene Anmerkung) selbst hat ja, als er die menschliche Natur annahm, die ganze Menschheit in einer übernatürlichen Solidarität zu einer Familie zusammengefaßt und an sich gebunden.“ (ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Apostolicam actuositatem, Nr. 8.) ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Apostolicam actuositatem, Nr. 8; eigene Hervorhebungen. Vgl. dazu auch DIRNBERGER / M ÜLLER-CYRAN: Notfallseelsorge, 2 und vgl. auch REUTER: Notfallseelsorge, 60. Weiter heißt es im oben genannten Dekret: „Damit die Übung dieser Liebe über jeden Verdacht erhaben sei und als solche auch in Erscheinung trete, muß man im Nächsten das Bild Gottes sehen, nach dem er geschaffen ist, und Christus den Herrn [...]. Man muß auch in tiefer Menschlichkeit auf die personale Freiheit und Würde dessen Rücksicht nehmen, der die Hilfe empfängt.“ (ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Apostolicam actuositatem, Nr. 8; eigene Hervorhebung.) ZULEHNER: Für Kirchenliebhaberinnen, 46f. ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Gaudium et spes, Nr. 21. ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Apostolicam actuositatem, Nr. 8; eigene Hervorhebungen. 27 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer 2.3 Zusammenfassung Die theologische Grundlegung zeigt, dass die Kirche, will sie der von Gott vorgegebenen Spur gemäß der Heiligen Schrift und der Tradition treu bleiben, einen Handlungsort und -auftrag auch (und besonders) bei Menschen in Krisen- und Notsituationen hat. Eine Gemeinde, die in der Nachfolge Jesu Christi steht, sorgt sich um den ganzen Menschen mit seinen physischen, psychischen und spirituellen Bedürfnissen. Neben der vorrangigen Option für die Armen und Unterdrückten gibt es also auch eine Option für die (in welcher Weise auch immer) Leidenden. Die Kirche hat neben materieller Hilfe und seelsorgerlicher Kompetenz vor allem auch eine sinnstiftende Hoffnung zu bieten, die nicht weltimmanent, sondern in der Transzendenz des dreieinigen Gottes begründet liegt, der jeden Menschen liebt. Gerade in Zeiten der Not und Krise kann die Religion, die gläubige Rückbindung (religio) an Gott, Halt und Kraft geben. 95 Ebenfalls kann festgehalten werden, dass Hilfsbereitschaft sich nicht nur von einem Humanitätsgedanken ableiten lässt, sondern vor allem in erster Linie religiös-ethische Ursprünge hat, die nicht zuletzt auch im Alten und im Neuen Testament liegen. Das Bild vom barmherzig handelnden Samariter (aus Lk 10 ,25-37) und die Werke der Barmherzigkeit (Mt 25,35f, Tob 1,16f und Sir 7,34f) spielten und spielen dabei tragende Ro llen. Wer einem Menschen in Not hilft und beisteht, handelt an Christi Stelle. Die Kirche hat also auch einen Ort und eine Aufgabe bei den Menschen, die Hilfe leisten, die sich zu Mitmenschen in Krisen wagen und dadurch selbst in Krisen geraten können. Weiter kann festgestellt werden, dass die Kirche und ihre Glieder die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen und allen „Menschen guten Willens“96 suchen und fördern wollen und sollen – zum Wohl der Welt und Menschheit. Für die Kirche und ihre pastorale Praxis steht schließlich fest: „Der Mensch also, der eine und ganze Mensch, mit Leib und Seele, Herz und Gewissen, Vernunft und Willen steht im Mittelpunkt unserer Ausführungen.“97 So ist also der Mensch „der erste und grundlegende Weg der Kirche“98 , wie Papst Johannes Paul II. in seiner ersten Enzyklika schreibt. 99 94 95 96 97 98 99 Das Dekret hat – seinem Titel entsprechend – als Adressaten die Laien im Blick; es spricht aber gewiss nichts dagegen, diese Aufforderungen auch auf die Mitglieder des Klerus zu übertragen. Vgl. SARBACH: Beispiel Gondo, 90. ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Apostolicam actuositatem, Nr. 8. ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Gaudium et spes, Nr. 3. JOHANNES PAUL II.: Redemptor hominis, 27; Hervorhebung im Original. In der Kairologie wird später zu prüfen sein, ob mit diesen kirchlichen Grundlagen auch eine gemeinsame Basis mit den Hilfsorganisationen, die sich im RD engagieren, gegeben ist. 28 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer 3 Aktuelle Praxis der Kirche Nach dieser ausführlichen, aber notwendigen theologischen Grundlegung gilt es nun, sich dem zu behandelnden Gegenstand direkt zuzuwenden. So wird in diesem Kapitel auf die bisherige Umsetzung der oben festgestellten Kriterien in der kirchlichen Praxis eingegangen. Dabei sollen die Bereiche, in denen RD und Kirche sich bereits ständig begegnen und zusammenarbeiten, dargestellt werden: die Notfallseelsorge, die Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst und schließlich auch Aspekte im Rahmen der Gemeindepastoral. 3.1 Notfallseelsorge 3.1.1 Erste Begriffsbestimmung und Unterscheidungen Der entsprechende Artikel im Lexikon der Pastoral definiert Notfallseelsorge (NFS) folgendermaßen: „In der Notfallseelsorge (seit 1989 in der BRD) leisten haupt- und ehrenamtlich dafür geschulte und kirchlich beauftragte Priester und kirchliche Mitarbeiter/-innen den Opfern, Angehörigen oder Hinterbliebenen akuter Krisensituationen [...] auf der Basis des christlichen Glaubens ‚psychische Erste Hilfe’, eingebunden in die Rettungskette der Notfallversorgung.“100 Ebenso ist der seelsorgliche Dienst an den Einsatzkräften (von RD, Feuerwehr, Polizei u. a.) dazuzuzählen. 101 Im Rahmen dieser ersten Begriffsbestimmung von NFS ist es hilfreich und wichtig, vier Einrichtungen auf diesem Gebiet voneinander zu unterscheiden, die im Folgenden dargestellt werden: die kirchliche Notfallseelsorge, die Krisenintervention des Rettungsdienstes, die Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen und die Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst. 102 3.1.1.1 Kirchliche Notfallseelsorge 100 101 102 M ÜLLER-CYRAN / SCHMID: Notfallseelsorge, 1200. Vgl. dazu auch ZIPPERT : Notfallseelsorge, 397f. Vgl. M ÜLLER-CYRAN / SCHMID: Notfallseelsorge, 1200. Allerdings ist dieser Dienst nicht als organisierte Betreuung zu verstehen im Gegensatz zur Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen (unter II, 3.1.1.3) und zur Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst (unter II, 3.1.1.4). Vgl. KONFERENZ : Tabellarische Begriffsklärung, 1 u. 3f. Diese Definitionen wurden von der Konferenz der Diözesanbeauftragten für Notfallseelsorge in Bayern erarbeitet und von der Konferenz der evangelischen Notfallseelsorger in Bayern anerkannt. Sie sind also für Bayern normativ und für die anderen Bundesländer lediglich empfehlend zu verstehen. Für die Hinweise hierzu danke ich Hanjo von Wietersheim. Vgl. dazu KONFERENZ: Tabellarische Begriffsklärung, 1-4. 29 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Die NFS ist „Grundbestandteil des Seelsorgeauftrags der Kirche.“103 Sie hat also ein „explizit kirchliches Selbstverständnis“104 und gehört, sei es als Teil oder Erweiterung, zur Gemeindepastoral. 105 Ziel der NFS ist es, allen Menschen (unabhängig von deren Religion oder Konfession) in akuten Not- und Krisensituationen seelsorgliche Begle itung anzubieten; sie ist sozusagen „erste Hilfe für die Seele“106 , wie es die Kasseler Thesen formulieren. 107 In der NFS engagieren sich hauptamtliche Seelsorger der evangelischen und katholischen Kirche, die in der Regel auch eine entsprechende Zusatzausbildung absolviert haben. 108 Nur in seltenen Fällen werden zusätzlich ehrenamtliche Mitarbeiterinnen offiziell von der Kirche dazu beauftragt. 109 Die Dienst habenden Notfallseelsorger, werden von der zuständigen Rettungsleitstelle per Funkmeldeempfänger oder Mobiltelefon alarmiert, sobald ein entsprechender Einsatzanlass (Indikation) vorliegt oder Rettungskräfte am Einsatzort die NFS anfordern. 110 Zu den Indikationen für die NFS zählen in erster Linie: erfolgloser Wiederbelebungsversuch (Reanimation), Tod eines Kindes, Suizidankündigung beziehungsweise Suizid 103 104 105 106 107 108 109 110 Karl Lehmann und Manfred Kock in EVANGELISCH-KATHOLISCHE A KTIONSGEMEINSCHAFT : Eine Handreichung, 3 (Geleitwort). Ebenso ist dieses Verständnis in den so genannten Kasseler Thesen zur NFS festgehalten, die 1997 von Vertretern der NFS aus verschiedenen Landeskirchen und Diözesen verabschiedet wurden. Vgl. EVANGELISCH-KATHOLISCHE A KTIONSGEMEINSCHAFT : Eine Handreichung, 21f. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) bisher keine offizielle Stellungnahme zur NFS gibt; diese Feststellung wurde vom Sekretariat der DBK im August 2003 auf Anfrage bestätigt. Lediglich das oben zitierte gemeinsame Geleitwort in einem Text- und Materialheft zur NFS (1997) des Vorsitzenden der DBK, Bischof Karl Lehmann, und des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Manfred Kock, kann in diesem Zusammenhang angeführt werden. KONFERENZ : Tabellarische Begriffsklärung, 1. Vgl. KONFERENZ: Tabellarische Begriffsklärung, 1. Kasseler Thesen in EVANGELISCH-KATHOLISCHE A KTIONSGEMEINSCHAFT : Eine Handreichung, 21. Zu den Kasseler Thesen vgl. Anm. 103. Für genaue Definitionen und Aspekte von Krisensituationen, auf die in dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden kann, sei verwiesen auf SONNECK: Krisenintervention, 15-18 u. 29-60. An dieser Stelle sei aber zumindest auf die Ambivalenz von Krisensituationen aufmerksam gemacht: Krisen stellen sowohl eine Gefahr für den Menschen dar, tragen aber auch eine Chance (Impuls zur positiven Veränderung) in sich. So ist auch zu verstehen, warum das chinesische Schriftzeichen für Krise aus dem Zeichen für Gefahr und dem für Chance zusammengesetzt ist. Vgl. SONNECK: Krisenintervention, 29. Auf die Ausbildung für Notfallseelsorger wird unter II, 3.1.3 noch genauer eingegangen werden. Die kirchliche Beauftragung ist nicht zuletzt in Bezug auf das Zeugnisverweigerungsrecht notwendig. Denn dieses kann unter Umständen hilfreich sein, wenn dem Notfallseelsorger im Rahmen eines Betreuungsgespräches in vertraulicher Weise Sachverhalte mitgeteilt worden sind, die strafrechtlich relevant sind. „Priester und Diakone genießen Zeugnisverweigerungsrecht [...]. Diese können, wenn ihnen das persönliche Erscheinen am Einsatzort ausnahmsweise nicht möglich sein sollte, für den Einzelfall einen Mitarbeiter, der nicht Geistlicher ist, oder eine Mitarbeiterin, mit der Wahrnehmung einer Tätigkeit am Einsatzort beauftragen. Ein solcher Mitarbeiter genießt dann ein Zeugnisverweigerungsrecht als sogenannter Berufshelfer. Darüber hinaus besteht für alle Mitarbeiter eine Verschwiegenheitspflicht, insoweit sie als öffentlich Bedienstete anzusehen sind.“ (BISCHÖFLICHES ORDINARIAT M AINZ : Rahmenordnung, 24). Vgl. ZIPPERT : Organisationsmodelle von Notfallseelsorge, 13. 30 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer oder -versuch und ein schweres Einsatzbild (zum Beispiel schwerer Verkehrsunfall, Brand eines Wohnhauses, Großschadensereignis). 111 Zur Aufgabe der Notfallseelsorger gehört im Einsatzfall die seelsorgliche Begleitung von unverletzten Beteiligten, Verletzten und Angehörigen, die sich am Einsatzort aufhalten. Wenn von den Betroffenen gewünscht, können auch Gebete, Segensrituale und, je nach Beauftragung oder Weihe, gemäß den kirchlichen Richtlinien gegebenenfalls auch die Spendung von Sakramenten angeboten werden. 112 Ebenso zählt die Fürsorge für erschöpfte Einsatzkräfte zur NFS, die aber von einer organisierten Einsatznachsorge zu unterscheiden ist. 113 Ferner ist möglich, dass Notfallseelsorger von der Polizei gebeten werden, Polizeibeamte bei der Überbringung von Todesnachrichten zu begleiten und die Angehörigen des Verstorbenen zu betreuen. 114 Die NFS bietet also in akuten Krisensituationen menschlichen Beistand und seelsorgliche Begleitung an und sorgt sich, gemeinsam mit dem RD, um Leib und Seele von Menschen, die Hilfe, Trost und Mitmenschlichkeit benötigen. NFS tritt für die Würde von Toten, Verletzten und Beteiligten ein und ermutigt betroffene Personen, sich die Zeit zur Verarbeitung der traumatischen Erlebnisse zu nehmen, die diese dafür benötigen. Sie greift dort ein, wo andere lieber wegschauen und weggehen. 115 Alles in allem steht die NFS für eine „Option für das Leben“116 : Durch ihre Anwesenheit und ihre Dienste aus dem christlichen Glauben heraus bezeugt sie in Situationen, die von Tod, Verzweiflung und Sinnlosigkeit geprägt sind, eine religiöse Botschaft und Dimension, die Sinn, Hoffnung, Weiterleben und Gottes Liebe und Nähe verkünd igen. 117 Die NFS setzt also genau die Aufgaben und Prinzipien um, die in der theologischen Grundlegung bereits vorgestellt worden sind. Sie handelt Abb. 2 111 112 113 114 115 116 117 Vgl. Kasseler Thesen in EVANGELISCH-KATHOLISCHE AKTIONSGEMEINSCHAFT : Eine Handreichung, 22 und in M ÜLLER-LANGE : Einführung in die Notfallseelsorge, 20f. Vgl. praxisorientiert dazu auch die Einsatzstatistik 2002 der NFS Wetterau in: www.notfallseelsorge-wetterau.de (vom 27.06.2003). Weiter sei verwiesen auf W IETERSHEIM: Notfallseelsorge, 140-142. KONFERENZ : Tabellarische Begriffsklärung, 1. Vgl. dazu die Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen unter II, 3.1.1.3. Vgl. Kasseler Thesen in EVANGELISCH-KATHOLISCHE AKTIONSGEMEINSCHAFT : Eine Handreichung, 21 und in M ÜLLER-LANGE : Einführung in die Notfallseelsorge, 20. Vgl. dazu NOTFALLSEELSORGE W ETTERAU: Notfallseelsorge Wetterau, 2f. KONFERENZ : Tabellarische Begriffsklärung, 1. Das drückt auch das Logo der NFS aus (vgl. Abb. 2): Über der Welt, auch mit ihren Wunden und Leiden (roter Kreis), leuchtet das gelbe Sternenkreuz – Symbol für den christlichen Glauben, der den Sieg Jesu Christi über Leid und Tod verkündet. Dieses Kreuz weist über den Kreis der Welt hinaus auf Gott, der seine Geschöpfe liebt und ein Freund des wahren Lebens (vgl. Weish 11,26 ) ist. Vgl. www.notfallseelsorge.de/logob.htm (vom 03.09.2003) und vgl. W IETERSHEIM: Partner für Menschen in Not, 15. 31 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer im Auftrag Gottes und seiner Kirche und ist folglich ein berechtigter und notwendiger kirchlicher Dienst an hilfsbedürftigen Menschen und zur Unterstützung der Helfer. Organisatorisch gesehen zählt die NFS zu den so genannten Notfallfolgediensten und ist daher von den Notfallfachdiensten wie Feuerwehr, RD und Polizei zu unterscheiden. 118 NFS unterstützt die Notfallfachdienste und arbeitet mit diesen und anderen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) zusammen, koordiniert durch die jeweilige Rettungsleitstelle. Neben dem dargestellten Prinzip der Kooperation sind für die Arbeit der NFS auch folgende Grundmerkmale wichtig: die Kollegialität unter den Notfallseelsorgern, die Regionalität (Gliederung der NFS nach Rettungsleitstellen) 119 und die Gemeindebezogenheit (Stellvertretung für und Einbezug von der jeweiligen Ortsgemeinde). Auch die Prinzipien der Ökumenizität (Offenheit gegenüber und Zusammenarbeit mit anderen Konfessionen und Religionen), der Freiwilligkeit und ebenso der Professionalität sind hier anzuführen. 120 Nach dieser allgemeinen Darstellung der NFS im Rahmen der Begriffsbestimmung wird später noch auf ihre Entwicklungsgeschichte, ferner auf die Auswahl, Ausbildung und Ausstattung von Notfallseelsorgern und schließlich auf die aktuelle Situation der NFS im Bistum Mainz eingegangen. 121 3.1.1.2 Krisenintervention des Rettungsdienstes Die Krisenintervention im Rettungsdienst (KIT) beziehungsweise der Krisenintervent ionsdienst des Rettungsdienstes (KID) ist als „nichtkirchliches, aber nicht automatisch säkulares Pendant“122 zur NFS entstanden. Mittlerweile decken die NFS und die KIT zusammen ungefähr drei Viertel aller Landkreise in Deutschland ab. 123 „Zielgruppe, Einsatzindikationen, psychotraumatologische Grundkenntnisse und Methoden sind bei NFS und KIT in der Regel nahezu identisch.“124 Der Unterschied zw ischen beiden Einrichtungen liegt vor allem im Selbstverständnis und der Träger118 119 120 121 122 123 124 Vgl. BÖHMER: Kurzer interdisziplinärer Einsatzleitfaden, 28. Notwendige Hilfe kann in Notfällen nicht immer allein durch die Notfallfachdienste geleistet werden kann, so dass die Notfallfolgedienste zum Einsatz kommen; als Beispiel sei die Betreuung von aufgeregten und verstörten Personen bei einem Wohnungsbrand genannt, die keine medizinische Betreuung benötigen. Mit Hilfe dieses Prinzips kann eine sinnvolle NFS-Struktur entstehen, die eine zuverlässige Erreichbarkeit und schnelle Verfügbarkeit der NFS garantiert. Vgl. ZIPPERT : Zur Theologie der Notfallseelsorge, 54-56 und vgl. ZIPPERT : Organisationsmodelle von Notfallseelsorge, 15. Vgl. II, 3.1.2 – II, 3.1.6. Darüber hinaus sei auf den Fragebogen NFS (im Anhang 1) verwiesen. ZIPPERT : Notfälle und Katastrophen begleiten, 228. Vgl. ZIPPERT : Notfälle und Katastrophen begleiten, 228. Eine ständig aktualisierte Liste der gemeldeten NFS- und KIT- bzw. KID-Einheiten ist unter www.notfallseelsorge.de/systeme.htm (Stand: 22.08.2003) zu finden. DASCHNER: KIT – Krisenintervention im Rettungsdienst, 17. 32 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer schaft. 125 Seit 1994, zeitlich fast parallel zur Einrichtung der NFS126 , entwickelt sich dieses System offiziell in Deutschland, in dem eigens dafür qualifizierte RD-Mitarbeiter und zum Teil auch weitere Ehrenamtliche der Hilfsorganisationen Menschen in Krisensituationen begleiten. 127 Es handelt sich bei diesem Dienst um eine kurzfristige Krisenintervention für Menschen in Trauer oder mit akuter Traumatisierung unmittelbar nach einem belastenden Ereignis; eine solche Intervention kann schwere Folgeschäden im psychischen Bereich verme iden. 128 Dadurch soll „der originären Aufgabe der präklinischen Notfallmedizin, nämlich gesundheitliche Folgeschäden zu verhindern, entsprochen“129 werden, zu der der RD durch das RD-Gesetz des jeweiligen Landes verpflichtet ist. 130 Im Vergleich zur NFS verstehen sich KIT-Mitarbeiter von ihrer Institution her religionsneutral und sehen bei Gesprächen mit Klienten eine religiöse Dimension nicht im Vordergrund; wenn Menschen bei einem KIT-Einsatz um ein Gebet, religiöse Rituale, Segnungen oder gar die Spendung von Sakramenten bitten, muss der KIT-Mitarbeiter diese Anliegen in der Regel an die NFS oder den entsprechenden Seelsorger vor Ort weitergegeben. 131 Carl-Heinz Daschner stellt daher fest: „KIT als rettungsdienstliche Aufgabe und NFS als kirchliches Engagement ergänzen sich zwar, können sich aber keinesfalls gegenseitig ersetzen. Insbesondere die Verhinderung schwerer gesundheitli- 125 126 127 128 129 130 131 Vgl. DASCHNER: KIT – Krisenintervention im Rettungsdienst, 17. In manchen Gebieten entstand KIT bzw. KID sogar vor der NFS (so zum Beispiel im Main-KinzigKreis). Vgl. DASCHNER: KIT – Krisenintervention im Rettungsdienst, 119 und vgl. KONFERENZ : Tabellarische Begriffsklärung, 2. Vgl. KONFERENZ: Tabellarische Begriffsklärung, 2. Hartmut Jatzko definiert Trauma als „eine unvorbereitete, plötzlich über den Menschen hereinbrechende, höchstmögliche Konfrontation mit der Endlichkeit des Seins. Eine Reizüberflutung führt zur Blockierung der Gefühle und des Bewusstseins [...]. Je nach Veranlagung und individueller Lebensgeschichte resultieren hieraus unterschiedliche Beeinträchtigungen bis hin zum Krankheitswert.“ (JATZKO: Katastrophen-Nachsorge, 45.) CarlHeinz Daschner schreibt: „Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass 30 bis 50% aller Menschen, die traumatische Erfahrungen in diesem Sinn machen mussten, später Symptome eines psychischen Traumas zeigen.“ (DASCHNER: KIT – Krisenintervention im Rettungsdienst, 26.) Weiter sei auf den folgenden Abschnitt (II, 3.1.1.3) verwiesen, in dem näher auf die Posttraumatische Belastungsreaktion und -störung eingegangen wird. DASCHNER: KIT – Krisenintervention im Rettungsdienst, 18. Vgl. auch BÖHMER: Kurzer interdisziplinärer Einsatzleitfaden, 18. Vgl. BÖHMER: Kurzer interdisziplinärer Einsatzleitfaden, 18 und DASCHNER: KIT – Krisenintervention im Rettungsdienst, 12f. Diese Verpflichtung gibt es in den RD-Gesetzen aller Bundesländer. Daschner verweist dort beispielhaft auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 3 des Bayerischen Rettungsdienstgesetztes in der Fassung vom 9. Dezember 1997. Vgl. DASCHNER: KIT – Krisenintervention im Rettungsdienst, 13 (dort Anm. 2). Vgl. dazu DASCHNER: KIT – Krisenintervention im Rettungsdienst, 17. Ein Zeugnisverweigerungsrecht (vgl. dazu Anm. 109) haben KIT-Mitarbeiter nur, wenn sie bei einem Einsatz von einem Arzt mit der Betreuung eines oder mehreren Klienten beauftragt werden (Zeugnisverweigerungsrecht als so genannte Berufshelfer). 33 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer cher Folgeschäden ist die zentrale Aufgabe des Rettungsdienstes und der präklinischen Notfallmedizin.“132 Es ist also sinnvoll, dass es beide Einrichtungen, die KIT und die NFS, gibt und es ist möglich, dass beide zusammenarbeiten und sich ergänzen. Vor allem ist es für beide Seiten wichtig, sich gegenseitig wahrzunehmen, kennen zu lernen und den jeweils and eren zu akzeptieren. KIT-Mitarbeiter sind zwar keine offiziellen Seelsorger der Kirche, doch ist nach der theologischen Grundlegung oben durchaus festzuhalten, dass sie im Sinne Jesu und seiner Kirche handeln, wenn sie Menschen in Not nach bestem Wissen und Gewissen beistehen und helfen. 133 3.1.1.3 Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen NFS und KIT im strengen Sinn leisten keine organisierte Betreuung von Einsatzkräften, sondern unterstützen diese in erster Linie. 134 Allerdings können (Notfall-) Seelsorger, Ärzte, Psychologen und Mitarbeiter vom KID und RD mit entsprechender Zusatzausbildung auf dem Gebiet der Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen (SbE®) für Rettungskräfte (und gegebenenfalls auch für deren Angehörige) tätig werden. 135 Durch primäre Prävention, also Vorbereitung der Einsatzkräfte auf belastende Einsätze und Vermittlung von Verarbeitungsmöglichkeiten, und sekundäre Prävention, soll auf Posttraumatische Belastungsreaktionen (PTB)136 bei belasteten Personen reagiert werden, bevor diese sich zu Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS, englisch Posttraumatic Stress Disorder, PTSD), weiterentwickeln. 137 Die sekundäre Prävention, 132 133 134 135 136 137 DASCHNER: KIT – Krisenintervention im Rettungsdienst, 17. Hingewiesen sei bereits hier auf den Fragebogen KID. Für weitere Informationen zu diesem Thema sei verwiesen auf DASCHNER: KIT – Krisenintervention im Rettungsdienst und FERTIG / WIETERSHEIM : Menschliche Begleitung, 115-131 und RUNGGALDIER: Psychologie, 850f und M ÜLLERCYRAN: Krisenintervention im Rettungsdienst, 108-122 und ferner auf PETER: Der Betreuungseinsatz, 64-68. Vgl. KONFERENZ: Tabellarische Begriffsklärung, 1f. Ein SbE®-Team besteht in der Regel aus ein bis zwei Fachleuten aus dem psychosozialen Bereich (beispielsweise Mediziner, Psychologen oder Notfallseelsorger) und zwei bis drei so genannten Peers, die der gleichen Gruppe wie die zu betreuenden Einsatzkräfte angehören (für RD-Personal sind es also RD-Mitarbeiter). Vgl. M ÜLLER-LANGE : Einsatznachsorge, 270f. Zur SbE® allgemein sei weiter verwiesen auf M ÜLLER-LANGE : Einsatznachsorge, 264-284 und RUNGGALDIER: Psychologie, 852-828 und FERTIG: Streß und Streßbewältigung, 375-393 und KELLER: Alptraum „Retten“. Vgl. dazu auch A LBRECHT : Die Posttraumatische Belastungsreaktion, bes. 607. Vgl. SONNECK: Krisenintervention, 50-56 und vgl. dazu auch A LBRECHT : Die Posttraumatische Belastungsreaktion und vgl. ferner DASCHNER: KIT – Krisenintervention im Rettungsdienst, 24-29. Gernot Sonneck schreibt: „Die zahlreichen, teils sehr unterschiedlichen Symptome stellen zunächst eine normale Reaktion auf eine extreme Situation dar [...]. Von einer Posttraumatischen Belastungsstörung spricht man erst dann, wenn die Symptome über einen Zeitraum von mehr als einem Monat andauern.“ (SONNECK: Krisenintervention, 52.) Generell lassen sich die Symptome in drei charakteristische Gruppen einordnen: Übererregung (z. B. Schlafstörungen und Reizbarkeit), Intrusion (Alp- 34 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer die so genannte Einsatznachsorge, besteht aus einleitenden Defusing-Gesprächen zur Entschärfung (ca. 8 Stunden nach dem belastenden Ereignis) und strukturierten Einsatznachbesprechungen, dem Debriefing (24 bis 72 Stunden danach). 138 Eine standardisierte Rolle spielt dabei das von den US-Amerikanern Jeffrey T. Mitchell und George S. Everly entwickelte Critical Incident Stress Management (CISM), oft mit Stressmanagement nach kritischen Ereignissen 139 übersetzt, das mittlerweile von den Vereinten Nationen als Non-Government-Organisation (NGO) anerkannt ist. 140 Eine professionelle Methode aus diesem Programm ist das Critical Incident Stress Debriefing (CISD) mit seinen sieben Stufen: Einleitung, Fakten, Gedanken, Reaktionen, Symptome, Information und Rückorientierung. 141 Die SbE® als solche ist keine Therapie, sondern betreut Menschen, die etwas außergewöhnlich Schreckliches erlebt haben. 142 Daher müssen Klienten, die bereits an psychiatrischen Erkrankungen leiden, an entsprechende Spezialisten weitergeleitet werden. Mittlerweile gibt es zahlreiche Notfallseelsorger, die die entsprechende Zusatzausbildung absolviert haben und die SbE® im Rahmen ihres NFS-Systems anbieten. 143 Ferner existiert die Bundesvereinigung SbE® e. V., in der sich auch kirchliche Mitarbeiter engagieren und die gewährleistet, dass bundesweit und zu jeder Zeit ein SbE®-Team zur Verfügung steht und im Bedarfsfall von Einsatzkräften angefordert werden kann. 144 Die Frage bleibt, wie die Rettungsdienste diese Angebote in ihre Arbeit einbeziehen und welche SbE®-Angebote die Hilfsorganisationen für ihre RD-Mitarbeiter (mit oder ohne kirchliche Kooperation) entwickelt haben. 145 3.1.1.4 Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst 138 139 140 141 142 143 144 145 träume und so genannte Flash-Backs, die den Betroffenen nach auslösenden, oft minimalen Reizen an das Trauma erinnern) und Konstriktion (depressive Stimmung, Schuld- und Schamgefühle bis hin zu Selbstmordhandlungen). Vgl. SONNECK: Krisenintervention, 52. Vgl. GIESEN: Einsatznachbereitung, 5 und vgl. KONFERENZ: Tabellarische Begriffsklärung, 4. Vgl. dazu auch BIEGE : Nachsorge, 164f. Im zuletzt genannten Artikel wird ein vorbildliches Nachsorgekonzept in Schottland vorgestellt. Der Autor hat allerdings Bedenken, was eine Übertragung auf das deutsche System angeht. Vgl. dazu EVERLY / M ITCHELL: CISM – Stressmanagement nach kritischen Ereignissen. Vgl. KONFERENZ: Tabellarische Begriffsklärung, 4. Vgl. zur Bedeutung von CISM auch M ÜLLERLANGE : Facetten des Krisen- und Katastrophenmanagements, 644-646. Vgl. EVERLY / M ITCHELL : CISM – Stressmanagement nach kritischen Ereignissen, 85-88. Weiter sei verwiesen auf M ÜLLER-LANGE : Einsatznachsorge, 270-277 und A PPEL-SCHUMACHER: Streßmanagement nach traumatischen Ereignissen, bes. 261-267 und GIESEN: Einsatznachbereitung, 5f. Vgl. NOTFALLSEELSORGE WETTERAU: Notfallseelsorge Wetterau, 8. So sind zum Beispiel sechs von 20 Notfallseelsorgern der NFS Wetterau zusätzlich für die SbE® ausgebildet. Vgl. NOTFALLSEELSORGE W ETTERAU: Notfallseelsorge Wetterau, 5. Vgl. M ÜLLER-LANGE : Die Bundesvereinigung SBE, 26. Auf diese Frage wird in der Kairologie einzugehen sein. Vgl. bes. III, 4.1.2 und III, 4.2. 35 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Dieser pastorale Dienst ist eine dauerhaft eingerichtete Kategorialseelsorge, die in erster Linie nur die Berufsgruppe der Einsatzkräfte von Feuerwehr und RD im Blick hat. Aus diesem Grund ist sie von den bereits dargestellten Diensten (NFS, KIT und SbE®) zu unterscheiden, die nur bei akuten Notfallsituationen agieren. Diese Sonder- oder Berufsgruppenseelsorge wird daher (unter II, 3.2) eigens behandelt. 3.1.2 Entwicklungsgeschichte der Notfallseelsorge Eigentlich ist NFS nichts Neues in der Kirche. Wie schon in der theologischen Grundlegung deutlich wurde, zählt die Begleitung von und die Hilfe für Menschen in Not- und Krisensituationen seit den Anfängen des Christentums zu den Grundaufgaben der kirchlichen Gemeinde ebenso wie der Beistand für Sterbende und die würdige Bestattung von Toten. 146 In einem Lehrbuch zur Krisenintervention ist zu lesen: „Schon immer haben sich die Priester der Religionsgemeinschaften auch mit Menschen befasst, die in Krisen geraten sind. Lange Zeit hindurch war es einfach nur der Priester, den man in solchen Krisensituationen aufsuchte, dessen Rat man erbat.“147 Bis vor etwa vierzig Jahren war es selbstverständlich, dass ein Priester zu den Schwerkranken und Sterbenden gerufen wurde. Durch die Fortschritte in der Medizin und den Ausbau des Rettungswesens wurden Krankheit und Sterben mehr und mehr in die Kliniken verlagert; deshalb wurde die Krankenhausseelsorge als Kategorialseelsorge aufgebaut. Seitdem wurde der Ortspfarrer oft erst dann informiert, wenn die Beerdigung anstand. 148 Der Arbeitsort von RD und Seelsorgern entwickelte sich immer mehr auseinander, eine Begegnung war eher selten oder zufällig. 149 Als ein Schritt der (evangelischen) Kirche zu den Rettungsorganisationen hin kann eine Veröffentlichung der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland am Ende der 1970er Jahre angesehen werden. 150 Im Bewusstsein der Gefährdung durch Katastrophen und Unglücksfälle und der kirchlichen Verantwortung forderte diese Handreichung die Kirchenmitarbeiter und -gemeinden zur Zusammenarbeit mit den Rettungsorganisationen auf, um sich gemeinsam auf die Hilfe bei Katastrophenfällen vorzubereiten 146 147 148 149 150 Vgl. M ÜLLER-LANGE : Einführung in die Notfallseelsorge, 17. SONNECK: Krisenintervention und Suizidverhütung, 213. Manuel Rupp schreibt: „Sowohl die rö misch katholische Kirche wie die evangelischen Kirchen bieten ein differenziertes Angebot unterschiedlichster Hilfeleistungen an. Entsprechend sind viele kirchliche Mitarbeiter mit psychosozialen Fällen konfrontiert“ (RUPP : Notfall Seele, 25). Vgl. Karl Lehmann und Manfred Kock in EVANGELISCH-KATHOLISCHE AKTIONSGEMEINSCHAFT : Eine Handreichung, 3. Vgl. SADOWSKI: Notfallseelsorge, 427. Vgl. KIRCHENKANZLEI DER EVANGELISCHEN KIRCHE IN DEUTSCHLAND: Kirchliches Handeln bei Unglücksfällen und Katastrophen. 36 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer und im Ernstfall gerüstet zu sein. 151 Doch wurde dies nicht konsequent genug in die Praxis umgesetzt, so dass diese Schrift eher ein Beleg für die Hilflosigkeit der kirchlichen Organisation in Bezug auf Katastrophen war. 152 Der eigentliche Beginn der (modernen) NFS liegt darin, dass einige Mitarbeiter in Kirche und RD bemerkten, dass etwas Wichtiges in der immer professioneller werdenden Rettungskette außer Acht gelassen wurde: ein ganzheitliches Menschenbild, das sich nicht auf die Vitalfunktionen reduzieren lässt. Durch diese Reduktion spielten in der Praxis der Notfallrettung die psychischen, spirituellen und seelsorglichen Bedürfnisse der Menschen (sowohl Patienten, Angehörige als auch Einsatzkräfte) meistens keine Rolle. 153 Um dies zu ändern, trafen sich Ende der 1980er Jahre an einigen Orten in Deutschland Einsatzkräfte und Seelsorger und entwickelten Konzepte für die NFS, Krisenintervent ion und Schulung der Einsatzkräfte. Bemerkenswerterweise liegt also der „Ursprung der ‚zeitgenössischen’ Notfallseelsorge [...] nicht etwa in einer pastoralpsychologischen oder -soziologischen Analyse, aus der sich die Forderung einer verlässlichen Erreichbarkeit eines Seelsorgers ableitet.“154 Er liegt vielmehr bei den Einsatzkräften selbst, „die auf die Kirche mit der Bitte zugehen, in ‚Notfällen’ erreichbar zu sein und persönlich zur Verfügung zu stehen.“155 Die Zusammenarbeit mit der Kirche hat sich den Einsatzkräften angeboten: Die Kirche verfügt „über ein dichtes Netz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die Erfahrung mit Trauernden haben. Im Notfall-Einsatz haben sie keine anderen Aufgaben und können sich darum ganz ihren GesprächspartnerInnen widmen.“156 151 152 153 154 155 156 So heißt es in diesem Dokument: (Durch Unglücke und Katastrophen) „werden Christen, Gemeinden und Kirchen [...] gefordert [...]. Die Öffentlichkeit erwartet den Dienst der Kirche, aber es wird auch befürchtet, daß die Kirche sich in die Zuständigkeit anderer einmischt und ihren eigenen Auftrag dabei überschreitet. Beidem muß die Kirche Rechnung tragen. Ihr Beitrag zur Bewältigung von Katastrophen besteht in der Seelsorge, Verkündigung und Dienst am Nächsten. Die Kirche wird das ihr Aufgetragene tun ohne Lärm, und ohne falsche Ansprüche, gewissenhaft und möglichst umgehend, nicht in Abhängigkeit, aber mit einem Höchstmaß an Zusammenarbeit [...]. Wenn Menschen nach der Präsenz der Kirche fragen und Hilfe von Christen erwarten, sollten wir bereit sein, das unsere besonnen zu tun.“ (Helmut Claß in KIRCHENKANZLEI DER EVANGELISCHEN KIRCHE IN DEUTSCHLAND : Kirchliches Handeln bei Unglücksfällen und Katastrophen, 1f.) Die Handreichung gibt ferner detaillierte Informationen über die Arbeit und Organisation des Katastrophenschutzes und stellt zahlreiche Möglichkeiten dar, mit denen die Kirchengemeinden in Absprache und Zusammenarbeit mit den Rettungsorganisationen den Menschen in Not helfen können. Vgl. KIRCHENKANZLEI DER EVANGELISCHEN KIRCHE IN DEUTSCHLAND: Kirchliches Handeln bei Unglücksfällen und Katastrophen, bes. 8-38. Vgl. M ÜLLER-LANGE : Einführung in die Notfallseelsorge, 18f. Vgl. GIERING: Lücke im Gefüge der Rettungsdienste, A-874. DIRNBERGER / M ÜLLER-CYRAN: Notfallseelsorge, 2. DIRNBERGER / M ÜLLER-CYRAN: Notfallseelsorge, 2. Walter Meier in M EIER / CIMASCHI-OBERTI: Seelsorge im Katastrophenfall, 346. Vgl. dazu auch RUPP : Notfall Seele, 25. 37 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Die Besonderheit der NFS liegt im Vergleich zur traditionellen Seelsorge also darin, dass sie „unter den Bedingungen des heutigen Rettungswesens“157 aktiv wird und mit den Rettungsdiensten zusammenarbeitet; dazu gehört auch die Sorge um die Einsatzkräfte. 158 In zahlreichen Regionen, in denen die NFS mittlerweile aufgebaut ist, garantiert sie den zuständigen Rettungsleitstellen und Einsatzkräften rund um die Uhr abrufbereite und entsprechend ausgebildete Seelsorger zur Unterstützung. Die Zahl der Dienst habenden Seelsorger wird dabei regional geregelt und dem durchschnittlichen Bedarf angepasst. Ferner kann bei Großschadensfällen und Katastrophen auf einen großen Pool an Notfallseelsorgern aus ganz Deutschland zurückgegriffen werden; so geschah es zum Be ispiel beim Zugunglück 1998 in Eschede 159 und der großen Flutkatastrophe in Süd- und Ostdeutschland im Jahr 2002. 160 Mittlerweile gibt es zahlreiche Tagungen, Konferenzen und einen jährlich stattfindenden Bundeskongress Notfallseelsorge und Krisenintervention, die zu einem gegenseitigen Erfahrungsaustausch und einer ständigen Verbesserung auf diesen Gebieten beitragen. 161 Mit den Worten des evangelischen Pfarrers Hanjo von Wietersheim, der zu den Pionieren der NFS zählt, kann zusammenfassend festgestellt werden: „In den 10 Jahren, in denen es Notfallseelsorge und Krisenintervention gibt, hat sich viel getan. Die psychische Komponente im Rettungswesen wird mittlerweile sowohl bei der Betreuung der Geschädigten als auch bei der Unterstützung des Einsatzpersonals gesehen und zum Teil auch beachtet. Die Aufgabe, die vor uns liegt, ist die Integration der vorliegenden Erkenntnisse in Ausbildung, Einsatz und Personalmanagement und die Entwicklung zuverlässiger Standards, die bei der Unterscheidung der verschiedenen Ansätze und Systeme helfen können.“162 157 158 159 160 161 162 SADOWSKI: Notfallseelsorge, 427. Sigurd Sadowski schreibt dazu: „Bisher war es kaum möglich, unter solchen Bedingungen zu arbeiten, da sich Kirchen und Rettungsdienste zu weit auseinanderentwickelt hatten. Das betrifft v. a. Organisationen, die nicht auf besondere kirchliche Traditionen verweisen.“ (SADOWSKI: Notfallseelsorge, 427). Ferner bezeichnet Günther Kames die „direkte Einbindung aller bei einem Rettungseinsatz Beteiligten, das Zusammenrücken von Kirchenleuten und nicht Kirchenleuten“ (KAMES: Erste Hilfe für die Seele, 20) als Schlüssel für die Entstehung der NFS Wetterau. Vgl. dazu HÖLTERHOFF : Katastrophenseelsorge (zur Notfallseelsorge) und vgl. auch HELMERICHS: Einsatznachsorge. Zum Thema NFS (allgemein) vgl. auch die ausführlicheren Darstellungen bei ZIPPERT : Notfälle und Katastrophen begleiten, 245-254 und vgl. ferner ZIPPERT : Zur Theologie der Notfallseelsorge, 27-34. Vgl. dazu den Bericht vom 3. Bundeskongress in Augsburg im Januar 2000 in W IETERSHEIM: Hinter Blaulicht und Martinshorn, 807f. W IETERSHEIM : Hinter Blaulicht und Martinshorn, 808. Für Thomas Zippert ist zurzeit noch offen, „wie sich die N. [Notfallseelsorge; Anm. des Autors] in zunehmend multirel. Umfeld zu den Polen 38 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer 3.1.3 Auswahl, Ausbildung und Fortbildung von Notfallseelsorgern Das Anforderungsprofil und die Qualifikation von Notfallseelsorgern werden durch die entsprechenden Rahmenordnungen der jeweiligen Landeskirche beziehungsweise Diözese festgesetzt. Darüber hinaus liegt es an den einzelnen NFS-Einheiten, Kriterien für die Auswahl und die Aus- und Weiterbildung der eigenen Notfallseelsorger festzulegen. Hier gibt es eine Fülle an Regelungen, die je nach Region unterschiedlich sind: von niedrigen Standards (jeder pastorale Mitarbeiter in der Kirchengemeinde) bis hin zu hohen Anforderungen (strenge Auswahlkriterien und Fortbildungsverpflichtungen). 163 Die folgenden Ausführungen sind anhand der bereits oben erwähnten so genannten Kasseler Thesen und der Fachliteratur zusammengestellt und bieten eine Übersicht über einen „Quasi-Standard“164 , der aber unverbindlich ist: Notfallseelsorger sollten pastorale Mitarbeiter sein, die hauptamtlich in der evangelischen oder katholischen Kirche tätig sind, damit sie die NFS als Vertretung für den Ortspfarrer leisten und das Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nehmen können; außerdem kann den Hauptamtlichen der Einsatz in der NFS als Arbeitszeit angerechnet werden. 165 Der Standard für die Mitarbeit in der NFS ist eine kirchlich anerkannte pastorale Ausbildung, um auch in den Notsituationen auf eine seelsorgliche und theologische Kompetenz zurückgreifen zu können. 166 Durch weitere Zusatzausbildungen, die auch psychologische (vor allem psychotraumatologische) und medizinische Kenntnisse bezüglich der Krisenintervention berücksichtigen, soll die Arbeit in der NFS vorbereitet und verbessert werden, da Notfallseelsorger „insbesondere Kenntnisse und Fähigkeiten 163 164 165 166 pfarramtlicher Grundaufgabe und funktionaler Spezialisierung, gesellschaftsdiakonischer Dienstleistung (neben anderen Anbietern) und theol. Kritik des Machbarkeitsdenkens und der Einsatzroutine zu verorten ist.“ (ZIPPERT : Notfallseelsorge, 398.) So erwartet das Konzept der NFS Wetterau von seinen Mitarbeitern unter anderem, dass sie mindestens fünf Jahre seelsorgliche Berufserfahrung haben, Supervision in Anspruch nehmen, seelsorglich kompetent sind und nicht von Profilierungssucht oder Selbstüberschätzung beeinträchtigt werden. Vgl. NOTFALLSEELSORGE WETTERAU: Notfallseelsorge Wetterau, 10. W IETERSHEIM : Fortbildung in der Notfallseelsorge, 287. Für konkrete Beispiele sei verwiesen auf die Darstellungen bei REUTER: Notfallseelsorge, bes. 36-38 und ferner auf die Rahmenordnung für die Notfallseelsorge der Diözese Mainz, die später (unter II, 3.1.6.1) dargestellt wird. Vgl. BI SCHÖFLICHES ORDINARIAT DER DIÖZESE M AINZ: Rahmenordnung, 24f. Vgl. M ÜLLER-LANGE : Erwartungen an den Amtsinhaber, 317 und vgl. W IETERSHEIM : Fortbildung in der Notfallseelsorge, 287. Vgl. W IETERSHEIM: Fortbildung in der Notfallseelsorge, 287. Durch diese Grundvoraussetzung nimmt die NFS „ernst, daß bei Menschen in existentiellen Extremsituationen die religiösen und weltanschaulichen Prägungen offenbar werden.“ (Karl Lehmann und Manfred Kock in EVANGELISCHKATHOLISCHE A KTIONSGEMEINSCHAFT : Eine Handreichung, 3). 39 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer über [...] Reaktionsformen von Menschen in Not- und Extremsituationen“167 benötigen und wissen müssen, wie diesen Menschen am besten zu helfen ist. 168 Notfallseelsorger im Dienst müssen bereit sein, jederzeit einen Einsatz zu übernehmen, der sie mit Extremsituationen, Leid und Tod konfrontieren kann. 169 Sie müssen in der Lage sein, diese belastenden Erfahrungen zu verarbeiten und sich durch Gespräche und Supervision dabei helfen zu lassen. 170 Ferner wird erwartet, dass sie kooperativ sind und „sich auf die Arbeitsweisen, Arbeit sabläufe, Arbeitsbedingungen und die Mentalität von Einsatzkräften einstellen können“171 . Deshalb setzt NFS „die Kenntnis des Systems der Rettungsdienste samt seiner Kompetenzen und internen Hierarchien und die stetige Pflege der persönlichen Bekanntschaft mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Rettungsdienste vor Ort vo raus.“172 Um dies zu erreichen, werden Besuche von Rettungs- und Feuerwehrwachen vorgeschlagen. Manche NFS-Einheiten fordern von ihren Mitarbeitern sogar Praktika in diesen Bereichen. 173 Für Thomas Zippert ist es „wünschenswert“174 , dass Notfallseelsorger sogar einen Grundlehrgang der Feuerwehr oder eine Rettungshelferausbildung absolvieren; zumindest sollte aber ein Erste-Hilfe-Kurs der Mindeststandard sein, um auf dem Gebiet der Notfallmedizin nicht ganz unbeholfen aufzutreten. 175 Ferner gehören Fortbildungen und Übungen (auch gemeinsam mit Feuerwehr und RD) bei vielen NFS-Einheiten dazu. 3.1.4 Ausstattung von Notfallseelsorgern 167 168 169 170 171 172 173 174 175 Vgl. Kasseler Thesen in EVANGELISCH-KATHOLISCHE A KTIONSGEMEINSCHAFT : Eine Handreichung, 22. So gibt es zum Beispiel einen viertägigen Grundkurs NFS (Seelsorge in Belastungssituationen), der neben theologischen Grundlagen, einer Einführung in die NFS und Rollenspielen zu Einsatzsituationen auch Themen der Psychotraumatologie behandelt. Ferner werden dort die Organisation und Arbeitsweise der Rettungsdienste vorgestellt. Weiter gibt es Konzepte für Aufbaukurse zur Vertiefung. Auch zusätzliche Qualifikationen sind möglich: Leitender Notfallseelsorger, der speziell für die NFSLeitung bei Großschadensfällen vorbereitet ist, oder Mitarbeiter in der Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen (SbE®) oder ausgebildete Seelsorger in Feuerwehr und Rettungsdienst. Vgl. W IETERSHEIM : Fortbildung in der Notfallseelso rge, 288-302. Vgl. M ÜLLER-LANGE : Erwartungen an den Amtsinhaber, 317. Vgl. Kasseler Thesen in EVANGELISCH-KATHOLISCHE A KTIONSGEMEINSCHAFT : Eine Handreichung, 22 und vgl. ZIPPERT : Anforderungsprofil und Qualifikation, 18. M ÜLLER-LANGE : Erwartungen an den Amtsinhaber, 317. ZIPPERT : Anforderungsprofil und Qualifikation, 18. So gehören zum Ausbildungskatalog der NFS Wetterau Praktika bei Feuerwehr, RD und Polizei. Vgl. NOTFALLSEELSORGE WETTERAU: Notfallseelsorge Wetterau, 10. ZIPPERT : Anforderungsprofil und Qualifikation, 18. Vgl. dazu auch die so genannten Kasseler Thesen in EVANGELISCH-KATHOLISCHE A KTIONSGEMEINSCHAFT : Eine Handreichung, 22. Vgl. ZIPPERT : Anforderungsprofil und Qualifikation, 18. 40 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Die allgemeine Grundausstattung besteht aus einer Einsatzjacke 176 (in der Regel gelb und blau, oft mit der Aufschrift „Notfallseelsorge“ oder „Notfallseelsorger/in“), einem Dienstausweis, einem Funkmeldeempfänger (FME) und dem Mobiltelefon. Des Weiteren empfiehlt sich ein Koffer mit Bibel, Kerze, Schreibzeug, eine Mappe mit Gebetstexten177 , eventuell mit Spielzeug für Kinder, Zigaretten und anderen Materialien (bei Priestern zum Beispiel das Öl für das Sakrament der Krankensalbung). Außerdem ist es hilfreich, im Fahrzeug des Notfallseelsorgers die Stadtpläne der Umgebung, ein Adressenverzeichnis der Pfarrämter der Region, Decken, eine Taschenlampe und eine Autokennzeichnung („Notfallseelsorge“) deponiert zu haben. 178 Einigen NFS-Gruppen stehen sogar eigene Einsatzfahrzeuge zur Verfügung. In den meisten Einheiten muss hingegen auf den Privat- beziehungsweise kirchlichen Dienstwagen zurückgegriffen werden. In Sondersituationen, zum Beispiel bei gebotener Eile, ist es aber auch möglich, die Leitstelle um ein Transportmittel mit Fahrer zu bitten, das den Notfallseelsorger zum Einsatzort befördert (gegebenenfalls sogar mit Sonderrechten, also Blaulicht und Martinshorn). 179 3.1.5 Erwartungen der Notfallseelsorge an den Rettungsdienst Im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem RD erwartet die NFS der Kirche von der Leitung und dem Personal der jeweiligen Rettungswache einen entsprechend kollegialen Umgang und Akzeptanz; dafür bietet die NFS umgekehrt dasselbe. 180 Die Kooperation sollte durch gegenseitiges Interesse und Wohlwollen für die Arbeit und die Anliegen des anderen geprägt sein; ein gegenseitiges Kennenlernen ist zu fördern. Zudem unterstützt der RD die NFS, indem er deren Angebot und Erreichbarkeit durch ständigen Aushang auf den Wachen und durch Hinweise in Fortbildungsveranstaltungen bei seinem Personal bekannt macht. Außerdem sollten Notfallseelsorger die Rettungswachen, Einsatzorte und -kräfte ungehindert aufsuchen dürfen. 181 176 177 178 179 180 Eine Einsatzjacke beispielsweise ist wichtig, um am Einsatzort von Polizei, Feuerwehr, RD und den Betroffenen als NFS (und nicht-medizinischer Dienst) erkennbar zu sein; ferner dient sie dem Eigenschutz (besonders auf der Straße). Vgl. dazu auch die Fragebögen NFS (7) und RD 1-3 (dort jeweils 21). Zur Auswahl an Gebeten, Texten, Abschiedsritualen und weiteren liturgischen Vorlagen vgl. M ÜLLER-LANGE : Handbuch Notfallseelsorge, 331-349. Vgl. M ÜLLER-LANGE : Einführung in die Notfallseelsorge, 22 und vgl. NOTFALLSEELSORGE W ETTERAU: Notfallseelsorge Wetterau, 12 und vgl. ferner W IETERSHEIM: Notfallseelsorge, 143. Vgl. M ÜLLER-LANGE : Einführung in die Notfallseelsorge, 22 und vgl. NOTFALLSEELSORGE W ETTERAU: Notfallseelsorge Wetterau, 12. Vgl. auch REUTER: Notfallseelsorge, 38-40. So heißt es im Fragebogen NFS (14.2): „Es sollte klar sein, dass der oder die Notfallseelsorger/in akzeptiert wird.“ 41 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer 3.1.6. Aktuelle Situation im Bistum Mainz 3.1.6.1 Rahmenordnung für die Notfallseelsorge Eine erste Rahmenordnung für die Notfallseelsorge für das Bistum Mainz wurde im Januar 2000 in Kraft gesetzt und sollte ursprünglich probeweise nur bis zum 31. Januar 2003 gelten. 182 Da die zweite Rahmenordnung derzeit (Oktober 2003) aber noch erarbeitet wird und nicht veröffentlicht ist, kann in dieser Untersuchung nur auf die alte und noch geltende Bezug genommen werden. 183 Die Rahmenordnung aus dem Jahr 2000 regelt neben grundsätzlichen Bestimmungen zur NFS auch den zeitlichen Umfang (im Rahmen der Arbeitszeit), die Unfall- und Haftpflichtversicherung, die Fahrtkostenerstattung, das Zeugnisverweigerungsrecht, die Auswahl und Beauftragung von Notfallseelsorgern und deren Aus- und Weiterbildung. 184 Zur Grundausstattung eines Notfallseelsorgers gehören nach der Rahmenordnung Schutzkleidung (Einsatzjacke) und Handy oder Funkmeldeempfänger (FME); für deren Anschaffung tritt das Bischöfliche Ordinariat ein, falls keine Unterstützung von dritter Seite zu erwarten ist. 185 Im Bistum Mainz können, gemäß der Rahmenordnung, nur (hauptamtliche) „Priester, Diakone, Pastoralreferenten/innen und Gemeindereferenten/innen“186 in der NFS tätig werden. Die bischöfliche Beauftragung durch den Generalvikar erfolgt erst, nachdem der zuständige Dekan die Eignung des Bewerbers überprüft und der Personaldezernent der Bewerbung zugestimmt hat. 187 Das Dokument hält fest, dass das Bistum Mainz der Träger der NFS auf dem Diözesangebiet ist, insofern diese durch katholische Mitarbeiter geleistet wird. Hingewiesen sei auf die ausdrückliche Festlegung der Rahmenordnung, dass die NFS in der Diözese 181 182 183 184 185 186 187 Vgl. M ÜLLER-LANGE : Erwartungen an Träger von Feuerwehr und Rettungsdienst, 317. Vgl. BISCHÖFLICHES ORDINARIAT DER DIÖZESE M AINZ: Rahmenordnung, 24f. Für diese Informationen danke ich Ordinariatsrat Bernd Krämer vom Bischöflichen Ordinariat in Mainz. [Nachtrag: Die neue Rahmenordnung wurde am 7. November 2003 vom Mainzer Generalvikar Dietmar Giebelmann unterzeichnet und am 12. Januar 2004 veröffentlicht in: Kirchliches Amtsblatt für die Diözese Mainz 146 (2004) 6-8.] Vgl. BISCHÖFLICHES ORDINARIAT DER DIÖZESE M AINZ: Rahmenordnung, 24f. Zum Zeugnisverweigerungsrecht vgl. auch Anm. 109. Auf die Aus- und Weiterbildung der Notfallseelsorger wird im Dokument – wie zu erwarten – nur eher allgemein eingegangen. Eine Kooperation mit der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau (EKHN) wird in diesem Bereich angestrebt. Vgl. BISCHÖFLICHES ORDINARIAT DER DIÖZESE M AINZ : Rahmenordnung, 25. In der Rahmenordnung heißt es: „Das Bistum Mainz trägt Sorge für eine bedarfsgerechte Qualifizierung und Fortbildung der Notfallseelsorger/innen [...]. Die zentralen Maßnahmen werden vom Bistum regelmäßig angeboten und finanziert. Die dezentralen Maßnahmen werden von den Notfallseelsorge-Teams in Absprache mit der Abteilung Fortbildung nach Bedarf organisiert.“ (BISCHÖFLICHES ORDINARIAT DER DIÖZESE M AINZ: Rahmenordnung, 25.) Vgl. BISCHÖFLICHES ORDINARIAT DER DIÖZESE M AINZ: Rahmenordnung, 25. BISCHÖFLICHES ORDINARIAT DER DIÖZESE MAINZ : Rahmenordnung, 24. Vgl. BISCHÖFLICHES ORDINARIAT DER DIÖZESE M AINZ: Rahmenordnung, 24f. 42 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Mainz „nur auf Anforderung und in Abstimmung mit der zuständigen Leitstelle geleistet“188 wird und beim Zusammenwirken „die Eigenständigkeit aller beteiligten Dienste“189 als Grundlage zu betrachten ist. Außerdem wird von den Notfallseelsorgern „ein geeigneter Nachweis über das Vorhandensein aktueller Kenntnisse bezüglich des Verhaltens am Unfallort und der Befähigung zur Ersten Hilfe“190 verlangt. 3.1.6.2 Notfallseelsorge-Einrichtungen Derzeit gibt es in 17 von 20 Dekanaten der Diözese Mainz eine organisierte (rein kirchliche) NFS. In 13 Dekanaten wird diese von der evangelischen und katholischen Kirche in ökumenischer Zusammenarbeit getragen. Entsprechend der ungleichen Konfessionsverteilung der Bevölkerung ist in den Dekanaten Darmstadt, Dieburg und Erbach überwiegend die evangelische Kirche, im Dekanat Seligenstadt eher die katholische Kirche in der NFS tätig. 191 188 189 190 191 BISCHÖFLICHES ORDINARIAT DER DIÖZESE MAINZ : Rahmenordnung, 24. BISCHÖFLICHES ORDINARIAT DER DIÖZESE MAINZ : Rahmenordnung, 24. Im Dokument heißt es auch: „Den Notfallseelsorger/innen, die den Einsatz geleistet haben, obliegt die Übergabe der weiteren seelsorglichen Begleitung an den zuständigen Ortspfarrer bzw. den zuständigen Seelsorger/in vor Ort. Dies betrifft insbesondere die Trauerbegleitung, Begräbnisfeier usw.“ (BISCHÖFLICHES ORDINARIAT DER DIÖZESE M AINZ: Rahmenordnung, 24.) BISCHÖFLICHES ORDINARIAT DER DIÖZESE MAINZ : Rahmenordnung, 25. Vgl. Abbildung 3. 43 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Abb. 3 BISTUM MAINZ Notfallseelsorge in den Dekanaten Alsfeld Gießen Wetterau - Ost Wetterau - West Offenbach MainzStadt Bingen MainzSüd Dreieich Rod- Seligenstadt gau Rüsselsheim Dieburg Alzey / GauBickelheim Darmstadt Worms Legende: Ökumenisch Überwiegend evangelisch Überwiegend katholisch SiN Rüsselsheim e.V. Bergstraße - Mitte Erbach Bergstraße - West Bergstraße - Ost Eine Besonderheit gibt es im Dekanat Rüsselsheim: Hier übernimmt die Krisenintervention und NFS der Verein Seelsorge in Notfällen (SiN) Rüsselsheim e. V., in dem sich Seelsorger der Kirchen und Mitarbeiter der Rettungsorganisationen gemeinsam engagieren. 192 Da – wie oben bereits erwähnt – nach der Rahmenordnung für die Notfallseelsorge im Bistum Mainz nur (hauptamtliche) pastorale Mitarbeiter anerkannt werden, 192 Für weitere Informationen zu diesem Verein sei auf die Diplomarbeit von Markus Reuter verwiesen, die den SiN Wiesbaden e. V. vorstellt, von dem sich SiN Rüsselsheim e. V. abgeleitet hat. Vgl. REUTER: Notfallseelsorge, 36 u. 44-46 u. 88-91. 44 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer zählt diese Einrichtung als solche nicht zur offiziellen, von der Diözese Mainz getragenen NFS.193 3.2 Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst Dieser Seelsorgebereich wird in die Kategorial- beziehungsweise Sonderseelsorge eingeordnet und hat ein Vorbild in der seit einigen Jahren fest institutionalisierten Polizeiseelsorge. 194 Zu bemerken ist allerdings, dass es im Vergleich zur genannten Polizeiseelsorge bislang nur wenige kirchliche Stellen gibt, die vollständig oder zumindest teilweise für diese spezielle Berufsgruppenseelsorge zuständig sind. Einige Evangelische Landeskirchen haben jeweils einen und die bayerischen Diözesen gemeinsam einen Beauftragten für die Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst angestellt.195 Neben der Ausbildung zum Notfallseelsorger empfiehlt es sich für diese Sonderseelsorge, auch einen entsprechenden Aufbaukurs Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst absolviert zu haben. 196 Nicht selten waren beziehungsweise sind diese Seelsorger selbst im RD oder bei der Feuerwehr aktiv. Im Rahmen dieser Berufsgruppenseelsorge begleiten pastorale Mitarbeiter seelsorglich die Einsatzkräfte von Rettungs- und Feuerwehrwachen197 , die bei ihrer alltäglichen Arbeit mit außergewöhnlichen Belastungen (zum Beispiel Tod, Krankheit, schwere Verkehrsunfälle) konfrontiert werden. 198 Annähernd vergleichbar sind diese Seelsorger mit den Chaplains der Rettungs- und Feuerwachen in den USA, deren Präsenz und Arbeit in den Medien nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 immer wieder lobend erwähnt wurden. Hanjo von Wietersheim gliedert diese seelsorgliche Betreuung in folgende drei Aufgabenbereiche: 1) Vorbereitung: Bei der Ausbildung von Einsatzkräften wird darauf geachtet, dass ethische, theologische und psychologische Aspekte ausreichend berücksichtigt wer- 193 194 195 196 197 198 Ebenso gehört die Krisenintervention des KID bzw. der KIT (der RD-Organisationen), die auf der NFS-Karte (Abb. 3) überhaupt nicht berücksichtigt sind, nicht zur NFS der Diözese. Vgl. W IETERSHEIM: Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst, 145 u. 147. Zur spezifischen Feuerwehrseelsorge sei hingewiesen auf W ATERSTRAAT : Feuerwehrseelsorge, 1-19. Vgl. dazu das Adressenverzeichnis in M ÜLLER-LANGE : Handbuch Notfallseelsorge, 357-361. Weitere Informationen über kirchliche Stellen in dieser Kategorialseelsorge konnten leider nicht eingeholt werden. In der Diözese Mainz ist diese Sonderseelsorge bislang nicht vorgesehen. Die Ausbildungsinhalte eines solchen Aufbaukurses sind abgedruckt in W IETERSHEIM: Fortbildung in der Notfallseelsorge, 291f. Vgl. KONFERENZ: Tabellarische Begriffserklärung, 3. Vgl. dazu auch A LBRECHT : Die Posttraumatische Belastungsreaktion, 607. 45 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer den. 199 Die Helfer sollen lernen, mit den eigenen Gefühlen und den Emotionen der Menschen, denen sie Hilfe bringen, aufmerksam und sensibel umzugehen. Außerdem werden die Arbeit und die Angebote der NFS und Krisenintervention vorgestellt. Die Einsatzkräfte lernen die Seelsorger auf diese Weise kennen und es kann sich ein Vertrauensverhältnis entwickeln. Bei Fortbildungen und Übungen werden die bereits genannten Ausbildungsaspekte wiederholt und vertieft. Gottesdienste mit dem Rettungspersonal und seelsorgliche Gespräche gehören ebenfalls dazu. 200 2) Einsatz: Bei bestimmten Einsatzindikationen fahren die Seelsorger auch zum Einsatzort, um die Helfer dort zu unterstützen. Hierbei überschneiden sich ihre Aufgaben mit denen der NFS: Betreuung der Verletzten und Angehörigen und Sorge um die psychisch stark belasteten Einsatzkräfte. 201 3) Nachbereitung: In Gruppen- oder Einzelgesprächen haben die Einsatzkräfte die Möglichkeit, mit ihrem Seelsorger belastende Erlebnisse bei den Rettungsarbeiten zu besprechen und zu verarbeiten (entsprechend der in II, 3.1.1.3 vorgestellten SbE®). 202 Des Weiteren organisieren diese Kategorialseelsorger auch Besinnungstage und weitere religiöse Programme für die Einsatzkräfte. Je nach Wunsch, kirchlicher Zugehörigkeit und Beauftragung beziehungsweise Weihe kann auch die Feier von Sakramenten für Einsatzkräfte und deren Angehörige zu ihrem Dienst gehören. 203 Aufgrund der wenigen vorhandenen Stellen kann diese Kategorialseelsorge in erster Linie nur in Rettungs- und Feuerwachen von Großstädten und in den entsprechenden Ausbildungseinrichtungen tätig sein. In kleineren Städten und Gemeinden ist die Initiative von pastoralen Mitarbeitern der Pfarrgemeinden vor Ort gefragt, die aber gewiss nicht im gleichen Umfang stattfinden kann. Auch hier gilt das Prinzip der ökumenischen Zusammenarbeit. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang ferner auf die Arbeitsgemeinschaft Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst (AGS), in der Einsatzkräfte und Seelsorger sich ge- 199 200 201 202 203 Vgl. W IETERSHEIM: Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst, 146. Die Evangelische Kirche in Deutschland wies bereits Ende der 1970er Jahre auf die Notwendigkeit hin, dass Theologen gemeinsam mit Katastrophenschutzbeauftragten eine Unterrichtseinheit für Helfer der Hilfsorganisationen ausarbeiten sollen, die solche Themen anspricht und von Vertretern der Kirchen durchgeführt werden sollen. Vgl. KIRCHENKANZLEI DER EVANGELISCHEN KIRCHE IN DEUTSCHLAND: Kirchliches Handeln bei Unglücksfällen und Katastrophen, 22f. Zum Aspekt der Ausbildung von Einsatzkräften sei verwiesen auf W IETERSHEIM: Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst, 147. Vgl. W IETERSHEIM: Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst, 146. Vgl. W IETERSHEIM: Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst, 146. Vgl. W IETERSHEIM: Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst, 146. Vgl. W IETERSHEIM: Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst, 146. 46 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer meinsam „im weitesten Sinn für mehr Menschlichkeit in Feuerwehr und Rettungsdienst einsetzen“204 und an einer besseren Zusammenarbeit zwischen Einsatzkräften und Seelsorgern arbeiten. 205 3.3 Auf Gemeindeebene Auf Gemeindeebene gibt es unterschiedliche Ansätze der Zusammenarbeit und gege nseitigen Unterstützung: von gar keinen oder eher zufälligen Begegnungen zwischen Kirche und RD bis hin zu einem lebendigen und guten Miteinander. 206 In (noch) religiös-kirchlich geprägten Gebieten und bei den christlich und kirchlich geprägten Hilfsorganisationen JUH und MHD ist eine Zusammenarbeit von den Grundvoraussetzungen her leichter möglich. In erster Linie hängt dies aber von den handelnden Personen wie von geschichtlichen Entwicklungen vor Ort ab. So gibt es zahlreiche überzeugte Mitglieder von Kirchengemeinden, die sich ehren- oder hauptamtlich, als Zivildienstleistende oder im Rahmen eines Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) bei einer RD-Organisation engagieren und durch ihre Person und ihren gelebten Glauben zu einer Begegnung zwischen RD und Kirche beitragen. Auch einige Gemeindeseelsorger bieten der Rettungswache vor Ort ausdrücklich ihre Bereitschaft an, auf Wunsch des Personals für Gespräche nach belastenden Einsätzen zur Verfügung zu stehen. Manche Rettungswachen suchen von sich aus die Zusammenarbeit mit der Pfarrgemeinde. In den mit der Kirche verbundenen Organisationen JUH und MHD gibt es zum großen Teil auch Gemeindepfarrer, die als Standortseelsorger die Wache und die Kirchengemeinde miteinander verbinden. Beide Hilfsorganisationen haben oft eine starke Anbindung an die Ortsgemeinde; so wird unter anderem bei Neugründungen von Ortsverbänden meist ein Gottesdienst mit der Pfarrgemeinde gefeiert. Schließlich gibt es vereinzelt eine gute Zusammenarbeit in Form von Sanitätsdiensten bei größeren Gottesdiensten (zum Beispiel Wallfahrten) und Aktionen, auch durch Erste-Hilfe-Kurse in Gemeinderäumen, Segnungen von neuen RD-Fahrzeugen und bei Jubiläums- und Gedenkgottesdiensten der Organisationen. 204 205 206 M ÜLLER-LANGE : Einführung in die Notfallseelsorge, 19. Für weitere Informationen zur Arbeitsgemeinschaft Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst sei auf die Homepage www.notfallseelsorge.de (vom 22.08.2003) verwiesen. Auch nach längerer Suche konnten in der Literatur zu diesem Thema keine weiterführenden Informationen gefunden werden. So beruft sich dieser Abschnitt allein auf Gespräche mit Seelsorgern und RD-Personal. Vgl. dazu auch den Fragebogen NFS (15.1 u. 15.2). 47 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Nicht zuletzt ist auf Gottesdienste anlässlich großer Katastrophen und Unglücke (und deren Jahrestage)207 hinzuweisen, die sowohl bei der Bevölkerung als auch bei den Rettungskräften oft als hilfreich und heilsam empfunden werden. Alle diese Beispiele sind vor allem orts- und auch personenabhängig zustande gekommen. Vermutlich wird in der Literatur deshalb kaum auf die Zusammenarbeit auf Gemeindeebene eingegangen. In diesem Teil der Untersuchungen soll es genügen, diese vereinzelt möglichen und genutzten Begegnungen erwähnt zu haben. In der Praxeologie wird später auf weitere Chancen und Möglichkeiten in diesem Bereich eingega ngen werden. 3.4 Zusammenfassung In diesem letzten Kapitel der Kriteriologie wurde festgestellt, dass die kirchliche Praxis auf dem Gebiet der NFS auf jeden Fall den der Kirche vorgegebenen theologischen Kriterien entspricht und in zahlreichen Regionen mit dem RD zusammenarbeitet. In vielen Gebieten engagiert sich die NFS vorbildlich und mit guter Qualität. Die Öffentlichkeitsarbeit und vor allem der NFS-Dienst vor Ort tragen dazu bei, dass diese ökumenische Einrichtung der Kirche von zahlreichen Seiten wohlwollend wahrgeno mmen wird: Bei den NFS-Einsätzen sind viele Betroffene positiv überrascht, dass die Kirche ihnen hier beisteht und nehmen die Hilfe gerne an. 208 Die NFS genießt sowohl bei den Hilfsorganisationen und Einsatzkräften als auch bei der Bevölkerung einen großen Vertrauensbonus. 209 Auf diesem Gebiet wird der Kirche und ihren Mitarbeitern weitestgehend eine große Kompetenz zugesprochen und kirchliches Handeln als heilsam und glaubwürdig erlebt. 210 Die Kirche hat den Menschen in Not wirklich etwas Wertvolles zu bieten: quali- 207 208 209 210 Vgl. dazu SARBACH: Gedenktag als Lebenshilfe, 90. Bei der NFS Wetterau wurden die Notfallseelsorger nur in zehn Fällen von ca. 200 Einsätzen von den Betroffenen abgelehnt. Vgl. KAMES: Erste Hilfe für die Seele, 21. Ungefähr 95% der Betroffenen waren „dankbar, dass überhaupt jemand da war, der mit ihnen redete, schwieg oder auch einmal den Versuch unternahm, das Unfassbare in ein Gebet zu fassen. Dabei spielte die kirchliche Bindung oft nur eine geringe Rolle.“ (KAMES: Erste Hilfe für die Seele, 21.) Vgl. KELLER: Mit frommen Sprüchen ist keinem geholfen. Vgl. auch die Fragebögen RD 1-3 (jeweils 16.1 u. 17) und KID (8.1, 8.3, 8.4 u. 9.1). Die NFS wird von den Befragten vor allem positiv und als Unterstützung wahrgenommen. So heißt es im Fragebogen KID (8.1): „Mittlerweile sehen wir uns als ‚Brüder und Schwestern’. Wenn der eine nicht einsatzklar ist, ist es vielleicht die andere Gruppe. Außerdem haben wir unsere Stärken zu unterschiedlichen Zeiten. Somit ergänzen wir uns gut.“ Im Lehrbuch von Gernot Sonneck wird festgestellt: „Auch heute noch ist der Priester nach der Untersuchung von GURIN [...] mit Lehrern, Sozialarbeitern und Hausärzten einer der am meisten Aufgesuchten in Krisensituationen. Freilich gestattet ihm die Vielschichtigkeit der Probleme nicht, sie allein suffizient zu lösen.“ (SONNECK: Krisenintervention und Suizidverhütung, 213.) 48 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer fizierte Hilfe, seelsorglichen Beistand, Trost, Gebet, Hoffnung, Gottes frohe Botschaft und Segen. Im Gegensatz zum RD hat die NFS auch relativ unbegrenzte Zeit. 211 Durch die Entwicklung der NFS ist ein wichtiger Schritt getan, was die Zusammena rbeit von RD und Kirche angeht. Allerdings gibt es kein allgemein verbindliches Anforderungsprofil und Ausbildungsprogramm für Notfallseelsorger, sondern bisher nur einen „Quasi-Standard“212 als Empfehlung. Wenn dieser in den Landeskirchen und Diözesen bei der Erstellung einer Rahmenordnung für die NFS berücksichtigt wird, kann in allen Regionen eine qualitativ hochwertige NFS gewährleistet werden. Unverzichtbar für die NFS ist – nach dem oben dargestellten „Quasi-Standard“213 – auf jeden Fall, dass die Organisation des Rettungsdienstes den Notfallseelsorgern bekannt ist und die Zusammenarbeit vor Ort regelmäßig durch einen Dialog miteinander gefördert und auch reflektiert wird, so dass immer wieder eine Optimierung erfolgen kann. 214 Nur so kann die NFS wirklich gemeinsam „mit dem Rettungsdienst ganz für den Menschen da sein und ist kein fremdes Etwas, welches den Ablauf der Rettung stört.“215 Ferner ist die Kategorialseelsorge Seelsorge in Rettungsdienst und Feuerwehr ein Beispiel für eine gute Zusammenarbeit, die allerdings aufgrund der spärlichen Stellen nur in wenigen Regionen und Rettungswachen auf einer solch professionellen und intens ivem Ebene stattfinden kann. Daher gilt ein besonderes Augenmerk beispielhaften Initiativen von einzelnen Pfarrgemeinden, die den RD vor Ort nicht aus dem Blick verlieren. Nicht unerwähnt bleiben dürfen die zahlreichen Christen, die sich haupt- oder ehrenamtlich im RD, in der KIT (beziehungsweise im KID) oder der Feuerwehr engagieren; nicht wenige bauen dadurch an einer Brücke zwischen RD und Kirche und können in diesem Bereich wichtige Ansprechpersonen für pastorale Mitarbeiter sein. III K AIROLOGIE – „Zeichen der Zeit“ im Rettungsdienst – 1 Einführung Nachdem bisher die Kriterien der Kirche und ihre Praxis untersucht wurden, wird nun in diesem zweiten Schritt, der Kairologie, sozusagen die andere Seite und deren Aufga211 212 213 214 Vgl. GIERING: Lücke im Gefüge der Rettungsdienste, A-875. Vgl. dazu auch den Fragebogen NFS (11.1). W IETERSHEIM : Fortbildung in der Notfallseelsorge, 287. W IETERSHEIM : Fortbildung in der Notfallseelsorge, 287. Ein Beispiel für diese Aspekte (Kennenlernen des Rettungsdienstes, Dialog mit diesem und Überlegungen zur Optimierung) soll im Rahmen dieser Untersuchungen in der Kairologie und Praxeologie gegeben werden. 49 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer ben und Ziele vorgestellt: der RD und seine geschichtliche Entwicklung, die Einsatzkräfte und ihr Arbeitsalltag, die Hilfsorganisationen und ihre Leitbilder. Es gilt, zu prüfen, inwiefern der RD zu einer Kooperation mit der Kirche bereit ist. Neben dem Einblick in den RD, der für das Zusammenwirken nicht nur in der NFS wichtig ist, dient dieser Teil der Untersuchungen ebenso als Praxisanalyse für die Pastoral. Die Kirche darf den Berufsalltag und die Lebenssituation der Menschen, auch der Einsatzkräfte, nicht aus dem Blick verlieren. Kirche und Theologie müssen also immer auch kairologisch arbeiten und in der aktuellen Situation die Chancen und Gefahren wahrnehmen und entsprechend darauf reagieren. 216 Im Alltag und Lebenskontext der Menschen gilt es, die Zeichen Gottes zu erkennen und das, was ihnen widerstrebt. Schließlich geht es der Kirche ja darum, den Menschen zu helfen, in der von Gott geschenkten Würde zu leben. Dementsprechend schreibt Papst Johannes Paul II. in seiner ersten Enzyklika Redemptor hominis (1979): „Da also der Mensch der Weg der Kirche ist, der Weg ihres täglichen Lebens und Erlebens, ihrer Aufgaben und Mühen, muß sich die Kirche unserer Zeit immer wieder neu die ‚Situation’ des Menschen bewußt machen. Sie muß seine Möglichkeiten kennen [...] zugleich aber muß die Kirche die Bedrohungen kennen, die über dem Menschen hängen. Sie muß sich all dessen bewußt sein, was offenkundig dem Bemühen entgegensteht, das Leben der Menschen ‚immer humaner zu gestalten’, damit alle Bereiche dieses Lebens der wahren Würde des Menschen entsprechen.“217 Gemäß der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils „obliegt der Kirche allzeit die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten [...]. Es gilt also, die Welt, in der wir leben, ihre Erwartungen, Bestrebungen und ihren oft dramatischen Charakter zu erfassen und zu verstehen.“218 Deswegen soll in diesem Teil der Untersuchungen der RD in seinen unterschiedlichen Facetten beleuchtet werden, um dort „Zeichen der Zeit“219 wahrnehmen zu können. 2 Organisation des Rettungsdienstes Wie die Theologie und andere Bereiche des Lebens hat auch der RD eine eigene Fachsprache mit zahlreichen spezifischen Termini und Abkürzungen. Wer mit dem RD zusammenarbeiten will, muss diese Sprache verstehen lernen und kennen. Die Abschnitte der Kairologie versuchen daher, in die eigene Welt des Rettungsdienstes einzuführen. 215 216 217 218 SADOWSKI: Warum arbeiten Theologen in der Notfallseelsorge, 538. Vgl. dazu auch SCHMID: Die Praxis als Ort der Theologie, 103f. Die Praktische Theologie „nimmt die Praxis als Locus theologicus.“ (SCHMID: Die Praxis als Ort der Theologie, 113; ohne Hervorhebung.) Peter F. Schmid schreibt weiter: „Die Pastoraltheologie ‚kümmert sich’ – und zwar darum wie Menschen ihr Leben gestalten, wie sie handeln. Das heißt, sie kümmert sich um die Praxis.“ (SCHMID: Die Praxis als Ort der Theologie, 104.) JOHANNES PAUL II.: Redemptor hominis, 28f; ohne Hervorhebung. Das darin verwendete Zitat ist der Pastoralkonstitution entnommen. Vgl. ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Gaudium et spes, Nr. 38. ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Gaudium et spes, Nr. 4. 50 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer 2.1 Geschichte des Helfens: Von den Anfängen zur Professionalität Bereits der griechische Arzt Hippokrates von Kos (5. Jahrhundert vor Christus) forderte die Versorgung von Verletzten und Kranken ohne Ansehen der Person. Doch erst durch das Evangelium Jesu bekam der Hilfsgedanke eine beachtsame Bedeutung. 220 Die Erzählung vom barmherzig handelnden Samariter (Lk 10,25-37) und die Werke der Barmherzigkeit (vor allem aus Mt 25 ,31-40) spielten dabei eine besondere Rolle. 221 Hilflosen, verletzten und kranken Menschen beizustehen, galt zunächst vor allem nur im Rahmen der eigenen Familie und Gemeinde als Selbstverständlichkeit. Im Mittelalter wurde dann die notwendige Hilfe durch Bruderschaften und Gilden organisiert; parallel dazu gab es die Armen- und Hospitaleinrichtungen der Kirche. 222 Der Wandel zur Industriegesellschaft machte die Hilfeleistungen zur öffentlichen Angelegenheit. Das Helfersein wurde immer mehr professionalisiert und entwickelte sich zur beruflichen Tätigkeit der Ärzte, Krankenschwestern, Altenpflegerinnen, Feuerwehrmänner, Polizisten, Rettungsdienstler und anderen. 223 Dennoch gehört das Helfen zur Bürgerpflicht und eine unterlassene Hilfeleistung kann nach § 323c des Strafgesetzbuches (StGB) angezeigt und bestraft werden. 224 Ebenso wie die Organisation der Hilfe entwickelte sich allmählich die Notfallmedizin. Die Mund-zu-Mund-Beatmung gehört vermutlich zu den ältesten medizinischen Maßnahmen. Bereits 1300 Jahre vor Christus kannten Hebammen im Volk Israel eine Methode, um Säuglinge mit Atemstillstand wieder zu beleben. Auch in der Bibel wird in mehreren Perikopen von Totenerweckungen berichtet, die teilweise als Wiederbelebun- 219 220 221 222 223 224 ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Gaudium et spes, Nr. 4. Vgl. ferner Lk 12,54-57 . Vgl. M ETZSCH: Menschen helfen Menschen, 69. Auf diese biblischen Quellen wurde bereits eingegangen. Vgl. II, 2.1.2 und II, 2.1.3. Hier ist beispielsweise die Ritterbruderschaft Sankt Johannis zum Spital von Jerusalem zu nennen, die im Rahmen des ersten Kreuzzuges entstanden ist, um die Verletzten und Kranken in Jerusalem zu versorgen. Weil in dieser Bruderschaft die gemeinsamen Wurzeln der JUH und des MHD liegen, wird später (unter III, 4.2.1) noch genauer darauf eingegangen werden. Ferner können hier selbstverständlich zahlreiche (zum Teil auch heilig gesprochene) Menschen angeführt werden, die sich um Notleidende und Kranke vorbildhaft bemüht haben; Franziskus von Assisi und Elisabeth von Thüringen seien stellvertretend erwähnt. Vgl. A DAMS: Die Kunst des Helfens, 5f. Ursula Adams bemerkt dazu im Blick auf Lk 10,30-35 : „Wir haben den Samaritaner zum Samariter und damit zum Mitglied einer Hilfsorganisation gemacht. Das war er damals nicht. Er war ganz und gar kein Professioneller; das waren seine Vorhut, der Priester und der Levit [...]. Er hatte einen Hauptberuf, der ihn in ganz anderer Richtung verpflichtete. Er hatte auch keine Zeugen für sein Tätigwerden – nichts, was mit Rücksicht auf ein zu erwerbendes Renomée als soziale Persönlichkeit oder Lebensretter ein Tätigwerden nahe legen könnten. Er tat einfach den Dienst am anderen. Und der, der da schon zweimal liegengelassen worden war und gewiß nicht mehr mit Hilfe rechnete, durfte staunend erfahren, daß ihn doch ein Mensch annahm, aufnahm, mitnahm.“ (A DAMS: Die Kunst des Helfens, 19f.) Vgl. UFER: Rechtliche Grundlagen des Rettungsdienstes, 770. 51 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer gen (Reanimationen) gedeutet werden (vgl. 1 Kön 17 ,17-24, vgl. 2 Kön 4,8-37, vgl. Lk 7,11-17 u. a.). Bei den Griechen und Römern der Antike wurde die Wundversorgung durch Verbände und die Tracheotomie (Luftröhrenschnitt) entwickelt. 225 Im Hochmittelalter wurde die Medizin teilweise sogar als Gotteslästerung verachtet, weil Krankheit als Strafe Gottes und der Umgang mit kranken und verstorbenen Menschen als entehrend betrachtet wurde. Bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts gab es deshalb mancherorts gesetzliche Erlasse, die medizinische Hilfeleistungen untersagt haben. 226 In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entwickelten sich organisierte Sanitätsdienste bei Feldzügen, die in der Regel nur die eigenen Verwundeten versorgten; 1517 erschien dann das Feldbuch der Wundartzney, das ein Kompendium der damaligen notfallmedizinischen Kenntnisse darstellt. 227 Anfang des 19. Jahrhunderts wurde eine Reanimationsmethode entwickelt, die der seit 1958 üblichen Herz-Lungen-Wiederbelebung (HLW) ähnelt. Auch die moderne Infusions- und Schocktherapie begannen im 19. Jahrhundert und wurden dann im Zweiten Weltkrieg und später im Koreakrieg vor allem von den Amerikanern weiterentwikkelt. 228 Ein organisierter RD entstand in Deutschland um 1899 in Köln. Dort wurde Sanitätspersonal ausgebildet; ein Arzt wurde mit einem Zweispänner zur Erstversorgung an den Unfallort gebracht. 229 Generell war es aber üblich, Verletzte möglichst schnell durch Rettungsabteilungen zum Arzt in die Klinik zu bringen. 230 Dieses Prinzip wird mit Load and go oder Scoop and run bezeichnet und ist im angloamerikanischen Raum heute noch üblich. 231 1938 forderte Kirschner, dass der Arzt rasch zum Notfallpatienten gebracht werden soll und nicht umgekehrt; der Patient soll also bereits am Einsatzort notfallmedizinisch versorgt und auf den Transport vorbereitet werden. Dieses Postulat kann als Geburt der 225 226 227 228 229 230 231 Vgl. HELLWIG / BAUER: Geschichte des Rettungsdienstes, 602. Vgl. HELLWIG / BAUER: Geschichte des Rettungsdienstes, 602f. Vgl. HELLWIG / BAUER: Geschichte des Rettungsdienstes, 603. Vgl. HELLWIG / BAUER: Geschichte des Rettungsdienstes, 603f. Vgl. HELLWIG / BAUER: Geschichte des Rettungsdienstes, 604. In seinem Leitfaden zur Ersten Hilfe (1927) schreibt Gustav Zöch: „Durch die zahlreichen Hilfeleistungen wird die Tätigkeit der Rettungsabteilungen dem Publikum häufig vor Augen geführt. Jeder Augenzeuge einer raschen Hilfeleistung anerkennt die Wichtigkeit einer solchen, sieht mit innerer Befriedigung den Rettungswagen mit dem Verunglückten davoneilen und nimmt die Beruhigung mit sich, dass auch ihm im Falle eines Unglückes rasche Hilfe zuteil werde.“ (ZÖCH: Erste Hilfe , 82.) Vgl. BÖHMER: Kurzer interdisziplinärer Einsatzleitfaden, 21 und vgl. HELLWIG / BAUER: Geschichte des Rettungsdienstes, 604. 52 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer modernen präklinischen Notfallmedizin in Deutschland angesehen werden. 232 Ein solches Vorgehen wird in der Fachsprache Stay und Play genannt und bildet bis heute das wesentliche Prinzip für die Notfallrettung in Deutschland. 233 In der Zeit des Nationalsozialismus wurden alle Hilfsorganisationen aufgelöst oder mit dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) zwanghaft vereinigt. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging die Entwicklung des Rettungsdienstes in den einzelnen Besatzungszonen unterschiedlich weiter und wurde erst 1990 mit der deutschen Wiedervereinigung in allen Bundesländern vereinheitlicht. 234 Neben Rettungswagen mit ausgebildeten Sanitätern entstand ergänzend ein Notarztsystem: 1957 wurde in Köln erstmals ein Notarztwagen (NAW) eingesetzt (so genanntes Kompakt- oder Stationssystem) und 1964 begann das so genannte Rendezvous-System, bei dem der Notarzt unabhängig vom Rettungswagen (RTW) mit einem Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) an den Einsatzort gebracht wird und erst dort mit dem RTW zusammentrifft.235 Seit 1967 entwickelte sich dann parallel dazu die Ära der Rettungshubschrauber (RTH), die Notärzte schnell in weite und abgelegene Gegenden bringen können und einen raschen und schonenden Patiententransport ermöglichen. 1989 wurde schließlich die Ausbildung des Rettungsassistenten gesetzlich geregelt und diese als Berufsbezeichnung geschützt. 236 Seit vielen Jahren verfügt Deutschland über ein ausgeklügeltes und professionelles System der präklinischen Notfallmedizin. Dadurch ist es möglich, dass in dringenden Fällen in durchschnittlich acht Minuten nach der Alarmierung durch die Leitstelle erste medizinische Hilfe am Einsatzort eintrifft. Mittlerweile nimmt im Durchschnitt jeder neunte bis zehnte Bundesbürger pro Jahr die Dienstleistungen des Rettungsdienstes in Anspruch. 237 2.2 Organisatorische Grundlagen 2.2.1 Allgemeine Organisation In Deutschland zählt der RD zu den öffentlichen Aufgaben des Staates, wird als Daseinsfürsorge und zugleich als Gefahrenabwehr eingeordnet und gehört zum Rettungs232 233 234 235 236 237 Vgl. HELLWIG / BAUER: Geschichte des Rettungsdienstes, 604. Vgl. BÖHMER: Kurzer interdisziplinärer Einsatzleitfaden, 21. Vgl. HELLWIG / BAUER: Geschichte des Rettungsdienstes, 604f. Vgl. HELLWIG / BAUER: Geschichte des Rettungsdienstes, 605f. In Deutschland werden bis heute beide Systeme praktiziert. Vgl. RUNGGALDIER: Organisation des Rettungsdienstes, 608. Vgl. RUNGGALDIER: Ausbildung und Beruf im Rettungsdienst, 798. Vgl. dazu auch III, 2.2.3. Vgl. drk.de/rettungsdienst/index.htm (vom 16.09.2003). Vgl. auch RUNGGALDIER: Ausbildung und Beruf im Rettungsdienst, 807 und vgl. M OHR / KETTLER: Ethik in der Notfallmedizin, 118. 53 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer wesen. Es ist Ländersache, den RD zu regeln; daher gibt es für jedes Bundesland ein eigenes RD-Gesetz. 238 Die originären Aufgaben des Rettungsdienstes werden vom RD-Gesetz des jeweiligen Bundeslandes festgelegt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der RD vor allem die umfassende Aufgabe hat, „bei Notfallpatienten Maßnahmen zur Erhaltung des Lebens und zur Vermeidung gesundheitlicher Schäden durchzuführen, ihre Transportfähigkeit herzustellen sowie die lebenswichtigen Körperfunktionen während des sachgerechten Transports zu einer geeigneten Fachbehandlung (Krankenhaus) zu überwachen und aufrechtzuerha lten.“239 Da die RD-Organisation zu den Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung gehört, sind die Kreise beziehungsweise kreisfreien Städte die RD-Träger. Diese führen den RD entweder selbst durch oder delegieren ihn an einen oder mehrere Leistungserbringer, die das Personal, die Fahrzeuge mit der entsprechenden Ausstattung (Rettungsmittel) bereitstellen. So sind kommunale Einrichtungen (zum Beispiel die Feuerwehren), die Hilfsorganisationen240 und zum Teil auch private Anbieter im RD tätig. 241 Als dem RD verwandte Dienste können der Ärztliche Notdienst, Sanitätsdienste, sonstige Serviceleistungen (wie dringende Blut-, Organ-, Arzneimittel- und Materialtransporte) und Spezialeinheiten (zum Beispiel die Rettungshundestaffel) dazugezählt werden. 242 Ferner sind der Katastrophenschutz der Kommunen und Regierungspräsidenten, die Feuerwehr, das Technische Hilfswerk (THW), die Wasser- und die Bergrettung (Bergwacht) zu nennen. 243 Das Rettungswesen in Deutschland ist in Form der so genannten Rettungskette organisiert und gewährleistet die notwendige Versorgung von Notfallpatienten in einer angemessenen Qualität. 244 Zu dieser Kette gehören als wichtige Glieder die Lebensrettenden Sofortmaßnahmen durch Ersthelfer, die Notfallmeldung bei der Rettungsleitstelle (per 238 239 240 241 242 243 244 Vgl. RUNGGALDIER: Organisation des Rettungsdienstes, 608f. BÖHMER: Kurzer interdisziplinärer Einsatzleitfaden, 18. Hierzu zählen vor allem der ASB, das DRK, die JUH und der MHD. Auf diese Hilfsorganisationen, ihre Entstehung und Leitbilder wird später unter III, 4.2 näher eingegangen. Vgl. RUNGGALDIER: Organisation des Rettungsdienstes, 609f. Vgl. BÖHMER: Kurzer interdisziplinärer Einsatzleitfaden, 24. Vgl. BÖHMER: Kurzer interdisziplinärer Einsatzleitfaden, 19-21 u. 29. Ein Notfallpatient ist definitionsgemäß ein Mensch, bei dem „durch Verletzung, Vergiftung oder Erkrankung – eine oder mehrere der lebensnotwendigen Funktionen [...] akut gestört oder bedroht sind bzw. – die Entwicklung einer solchen Störung oder Bedrohung zu befürchten oder nicht auszuschließen ist.“ (BÖHMER: Kurzer interdisziplinärer Einsatzleitfaden, 18; ohne Hervorhebungen.) Zu den genannten lebensnotwendigen Vitalfunktionen zählen die Atmung, das Bewusstsein und der Herz-Kreislauf (Zirkulation). Vgl. BÖHMER: Kurzer interdisziplinärer Einsatzleitfaden, 18. 54 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Telefon, Notrufsäule oder auch per Fax – zum Beispiel bei Gehörlosen), weitere ErsteHilfe-Maßnahmen, der RD (gegebenenfalls mit Arzt) und das Krankenhaus. 245 Für die gesamte RD-Organisation ist das Prinzip der Individualmedizin ausschlaggebend; so wird der RD entsprechend der statistischen Fallzahlen eingerichtet und rege lmäßig aktualisiert: die Standorte der Rettungswachen, die Bereitstellung der Hilfsmittel (so genannte Vorhaltezeiten), deren Hilfsfristen und Ausrückze iten. 246 Die jeweilige Rettungsleitstelle koordiniert in ihrem Zuständigkeitsbereich den gesamten RD (also Notfallrettung und Krankentransport) und in manchen Bundesländern auch die Feuerwehr; sie ist sozusagen die Schnittstelle zwischen dem Hilfsbedürftigen und den Helfern des Rettungsdienstes. 247 Geht ein Notruf in der Leitstelle ein, entscheidet dort ein Disponent entsprechend den Angaben des Hilfeersuchenden, welche Rettungsmittel eingesetzt werden müssen und alarmiert in der Regel per Funkmeldeempfänger (FME; so genannte Piepser) die entsprechende(n) Besatzung(en). 248 Auf der Anfahrt gibt der Disponent der Besatzung über Funk die wichtigsten Informationen zum Notfall, vor allem den Einsatzort und -anlass (Indikation), bekannt. 249 Ferner steht er dem Einsatzpersonal zur Verfügung, wenn dieses gegebenenfalls weitere Rettungsmittel nachfordert oder ein Krankenhaus sucht, das den Patienten aufnimmt.250 2.2.2 Einsatzarten 245 246 247 248 249 250 Vgl. RUNGGALDIER: Organisation des Rettungsdienstes, 608f und vgl. M ETZSCH: Menschen helfen Menschen, 65 und vgl. BÖHMER: Kurzer interdisziplinärer Einsatzleitfaden, 18. Vgl. BÖHMER: Kurzer interdisziplinärer Einsatzleitfaden, 21. Die Rettungswachen müssen demnach so stationiert sein, dass ein Rettungsmittel innerhalb der vorgegebenen Zeit (= Hilfsfrist) zu jedem beliebigen Einsatzort in einem bewohnten Gebiet eintreffen kann. Die Hilfsfrist wird im RD-Gesetz des jeweiligen Bundeslandes festgelegt und beträgt in der Regel ca. 10 bis 12 Minuten. Sie bietet aber keine Garantie dafür, dass in jedem Fall ein Rettungsmittel innerhalb dieser Zeit vor Ort ist, weil das nächstgelegene Rettungsmittel durch einen anderen Einsatz eventuell bereits besetzt sein kann. Die Ausrückzeiten legen fest, innerhalb welcher Zeit nach dem Notrufeingang beziehungsweise der Alarmierung ein Rettungsmittel in Richtung Einsatzort gestartet sein muss. Vgl. RUNGGALDIER: Organisation des Rettungsdienstes, 610. Die verschiedenen RD-Ausbildungen werden unter III, 2.2.3 und die Rettungsmittel unter III, 2.2.4 dargestellt. Zu den Indikationen zählen neben den verschiedenen chirurgischen und internistischen Anlässen auch gynäkologische, psychiatrische, pädiatrische und sonstige Hilfeleistungen. Um den Funkverkehr zu entlasten und aus Datenschutzgründen werden bei vielen Leitstellen die Indikationen in Form von Zahlenko mbinationen übermittelt. Vgl. RUNGGALDIER: Organisation des Rettungsdienstes, 610. 55 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Bei den Einsatzarten im RD wird zwischen Krankentransport und Notfallrettung unterschieden. 251 Der Krankentransport ist für Nicht-Notfallpatienten eingesetzt, die aus medizinischen Gründen keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen können, die Fachpersonal benötigen oder an einer ansteckenden Krankheit leiden. 252 Die Notfallrettung, also die Versorgung von Notfallpatienten, kann wiederum in Notfälle und Notfalleinsätze untergliedert werden: Notfälle werden als nicht akut eingestuft und wie dringliche oder planbare Krankentransporte behandelt. Notfalleinsätze haben hingegen absolute Priorität, weil hier dringende Eile geboten ist, um menschliches Leben zu retten oder drohende Lebensgefahr zu vermeiden. Bei Einsätzen ist weiter zu entscheiden, ob zusätzlich ein Notarzt benötigt wird oder nicht. 253 Die zusätzliche Ansage „Achtung, Achtung“ bei der Alarmierung zu Notfalleinsätzen weist darauf hin, dass absolute Eile geboten ist und Sonderrechte gelten; aufgrund der Dringlichkeit erfolgt die Anfahrt mit der Verwendung von Sondersignalen, also blaues Blinklicht und Einsatz- beziehungsweise Martinshorn gemäß §§ 35 und 38 der Straßenverkehrsordnung (StVO). 254 Vor einem Patiententransport steht es in der Entscheidung des Notarztes beziehungsweise Rettungsassistenten, welche Dringlichkeit vorliegt und ob Sonderrechte erforderlich sind; die Leitstelle ist darüber rechtzeitig zu informieren. 255 Im Einzelnen sind es in Deutschland jährlich ca. 1,9 Millionen (19,9%) Notfalleinsätze mit Notarzt, ca. 2,0 Millionen (20,7%) Notfalleinsätze ohne Notarzt, ca. 2,2 Millionen (22,4%) dringliche Krankentransporte oder Notfälle und ca. 3,6 Millionen (37%) Krankentransporte, die auch als Aufträge bezeichnet werden. In 80% der Fälle wird im RD also kein Notarzt benötigt. 256 Da die Kostenfrage in unserem Gesundheitssystem eine nicht unbedeutende Rolle spielt, soll an dieser Stelle auch darauf eingegangen werden. 251 252 253 254 255 256 Einen kleinen Einblick in verschiedene Einsatz- und Dienstabläufe bieten die Berichte des RDPraktikums (Anhang 2). Vgl. BÖHMER: Kurzer interdisziplinärer Einsatzleitfaden, 23. Indikationen für einen Notarzt sind Bewusstlosigkeit, Atemstillstand, Schock, Verdacht auf Herzinfarkt, starke Blutungen, Unfälle mit erkennbar Schwerverletzten, Vergiftungen und andere. Vgl. ASB: Erste Hilfe, 113. Vgl. REDELSTEINER: Fahrzeuge, 677. Dort heißt es: „Der Gesetzgeber befreit wohl bei der Verwendung dieser Signale von der Einhaltung mancher Verkehrsregeln, letztlich sollte aber aus der Sicht des Lenkers der Einsatz von Sonderrechten als Bitte an die anderen Verkehrsteilnehmer verstanden werden, Platz zu machen.“ (REDELSTEINER: Fahrzeuge, 677.) REDELSTEINER: Fahrzeuge, 678. Vgl. RUNGGALDIER: Organisation des Rettungsdienstes, 611. Vgl. dazu auch M OHR / KETTLER: Ethik in der Notfallmedizin, 118. Zu bemerken ist noch, dass nicht bei jedem Notarzteinsatz unbedingt ein Notarzt notwendig ist; aufgrund von ungenauen oder übertriebenen Notrufmeldungen können solche Situationen leicht zu Stande ko mmen. 56 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Innerhalb eines Kommunalkreises vereinbaren die Vertreter der entsprechenden Le istungserbringer im RD und der Krankenkassen jährlich gemeinsam Pauschalbeträge für den Patiententransport; dabei wird unterschieden, ob es sich um einen Krankentransport oder eine Notfallrettung handelt. 257 Das bedeutet, dass der Leistungsbringer nur dann Geld von den Krankenkassen erhält, wenn er einen Patienten transportiert und am Zielort lebend übergeben hat. Verwendete Medikamente oder andere Materialien werden nicht abgerechnet. Einsätze, bei denen der Patient verstirbt, den Transport verweigert oder keine Transportindikation besteht, gehen folglich zu Lasten der Rettungswachen. Deshalb wird versucht, die Pauschalbeträge möglichst so auszuhandeln, dass alle notwendigen Unkosten der Leistungserbringer gedeckt werden können. 258 2.2.3 Qualifikationen, Aus- und Fortbildungen Zum RD-Personal zählen zum einen die Notärzte als ärztliches RD-Personal und zum anderen die Rettungsassistenten, Rettungssanitäter und Rettungshelfer als so genanntes Rettungsfachpersonal. 259 Mehr als 70% der im Rettungsfachpersonal beruflich Tätigen sind Rettungsassistenten, ca. 25% Rettungssanitäter und ca. 2 % Rettungshelfer. 260 Ein Notarzt (NA) ist in der Regel ein praktizierender Internist, Chirurg, Anästhesist (oder gegebenenfalls auch Gynäkologe oder Pädiater), der zusätzlich einen Fachkundenachweis für den RD erworben hat. 261 Der Beruf des Rettungsassistenten (RA) ist ein Gesundheitsfachberuf und seit 1989 durch das Gesetz über den Beruf der Rettungsassistentin und des Rettungsassistenten geschützt und als Ausbildungsberuf anerkannt. Ebenso wurde damals eine Ausbildungsund Prüfungsverordnung für Rettungsassistenten in Kraft gesetzt. 262 Die Regelausbildung zum RA, die für Rettungssanitäter und Krankenpflegepersonal verkürzt werden kann, besteht aus zwei Ausbildungsjahren: Im ersten Jahr ist eine theoretische und praktische Ausbildung an einer RA-Schule und im Krankenhaus zu absolvieren (mindestens 1200 Stunden), die durch eine staatliche Prüfung abgeschlossen wird. Im zweiten Jahr folgt eine praktische Tätigkeit an einer anerkannten Lehrrettungswache unter Aufsicht eines Lehrrettungsassistenten (mindestens 1600 Stunden). 257 258 259 260 261 Konkretes Beispiel: In einem dem Verfasser bekannten Kreis beträgt die Transportpauschale im Jahr 2003 ca. 150 € für einen Krankentransport und ca. 330 € für die Notfallrettung. Krankentransporte an Sonn- und Feiertagen und in der Nacht werden als Notfallrettung abgerechnet. Der Einsatz und Transport des Notarztes ist vom RD-Träger zu finanzieren. Diese Informationen basieren auf den Aussagen verschiedener RD-Mitarbeiter. Vgl. RUNGGALDIER: Organisation des Rettungsdienstes, 611. Vgl. RUNGGALDIER: Ausbildung und Beruf im Rettungsdienst, 800. Vgl. FLAKE: Organisation des Rettungsdienstes, 35. 57 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Nach einem Abschlussgespräch kann schließlich bei der zuständigen Behörde die Erteilung der Berufsbezeichnung RA beantragt werden. 263 Der RA ist für die Einsatzbereitschaft seines Rettungsfahrzeuges verantwortlich und leitet den RD-Einsatz von der Anfahrt zum Einsatzort bis zur Rückkehr auf der Rettungswache. Wenn ein Arzt anwesend ist, übernimmt dieser die Leitung und der RA assistiert ihm. In über 60% der Notfälle müssen Rettungsassistenten stabilisierende und lebensrettende Maßnahmen ergreifen, ohne dass ein Notarzt vor Ort ist. 264 Die RD-Ausbildungen zum Rettungssanitäter (RS) und Rettungshelfer (RH) berechtigen dazu, im RD tätig zu sein, sind aber nicht als Ausbildungsberufe anerkannt. Die Ausbildung zum RS ist bisher nicht verbindlich geregelt; es liegt in den Händen der jeweiligen Hilfsorganisation, welche Inhalte an ihren RD-Schulen vermittelt werden und wie die RS-Ausbildung aufgebaut ist. Es gibt dazu lediglich vom Bund-LänderAusschuss Rettungswesen empfohlene Grundsätze, die 1977 erarbeitet worden sind. Diese schlagen einen Kurs vor, der sich aus mindestens 520 Stunden zusammensetzt. Der Ausbildungsweg zum RS enthält nach den genannten Empfehlungen eine theoretische Ausbildung (eventuell mit Prüfung), ein Klinikpraktikum und eine Rettungswachenausbildung (jeweils mindestens 160 Stunden) und einen Abschlusslehrgang (40 Stunden) mit einer Prüfung, die in der Regel unter staatlicher Aufsicht durchgeführt wird. Rechtlich hat ein RS allerdings (annähernd) eine vergleichbare Kompetenz wie ein RA. 265 Die RH-Ausbildung ist die niedrigste Qualifikation im RD und als Einführung in den RD gedacht. Sie wird in den verschiedenen Hilfsorganisationen und zum Teil auch in den Regionen unterschiedlich gestaltet. Die Ausbildung setzt einen Erste-Hilfe-Kurs voraus und umfasst mindestens 320 Stunden. Ein RH unterstützt den RS oder RA im 262 263 264 265 Vgl. RUNGGALDIER: Ausbildung und Beruf im Rettungsdienst, 794 u. 798. Vgl. RUNGGALDIER: Ausbildung und Beruf im Rettungsdienst, 802-806 und vgl. FLAKE: Organisation des Rettungsdienstes, 32f. Inwiefern im Rahmen der RD-Ausbildung auf ethische und religiöse Aspekte eingegangen wird, ist auch von den RD-Schulen und -Dozenten abhängig. Vgl. dazu auch die Fragebögen RD 1-3 (jeweils 13.1). Vgl. RUNGGALDIER: Ausbildung und Beruf im Rettungsdienst, 808f. Vgl. RUNGGALDIER: Ausbildung und Beruf im Rettungsdienst, 801f. Vgl. dazu auch FLAKE: Organisation des Rettungsdienstes, 31f. Klaus Runggaldier bemerkt zur RS-Ausbildung: „Es darf [...] nicht übersehen werden, dass die Ausbildung zum RS von Fachleuten als auf die Dauer nicht geeignet angesehen wurde, um die für die Notfallrettung notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln. Denn für die Konfrontation mit lebensbedrohlichen Zuständen von Menschen erscheint eine nur dreimonatige Ausbildung schlichtweg unzureichend.“ (RUNGGALDIER: Ausbildung und Beruf im Rettungsdienst, 820.) 58 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Krankentransport und in der Notfallrettung und wird in der Regel als Fahrer eingesetzt. 266 Wer im RD tätig ist, muss jedes Jahr eine gewisse Anzahl an Fortbildungen und Übungen absolvieren, die in der jeweiligen Hilfsorganisation geregelt und angeboten werden. Hier werden die Kenntnisse der Grundausbildung wiederholt und vertieft, aber auch neue Erkenntnisse vermittelt; so gab es zum Beispiel auch Fortbildungen zu den Themen Notfallseelsorge und Krisenintervention. 267 Das so genannte Mega-Code-Training, bei dem alle Facetten eines Reanimationseinsatzes (von der Herzdruckmassage bis hin zu den Medikamenten und zur Defibrillation) wiederholt und geübt werden, steht in der Regel halbjährlich verpflichtend auf dem Programm. Über die genannten RD-Grundausbildungen hinaus gibt es ferner Zusatzausbildungen und -qualifikationen wie zum Lehrrettungsassistent (LRA)268 , staatlich geprüften Desinfektor 269 , Wachleiter, Leitstellendisponent und Organisatorischer Leiter RD (OrgL RD), der vor allem bei Großschadensfällen tätig wird. 270 2.2.4 Rettungsmittel Im RD wird zwischen folgenden Rettungsmitteln unterschieden, die jeweils nach der entsprechenden Deutschen Industrie Norm (DIN) ausgestattet und entsprechend dem RD-Gesetz des jeweiligen Bundeslandes besetzt sind:271 1) Krankentransportwagen (KTW) In der Regel setzt sich eine KTW-Besatzung aus einem RS und einem RH zusammen und dient dem Krankentransport. Ausnahmsweise kann der KTW als so genannter First Responder zu einem Notfall geschickt werden, wenn aufgrund von Überbelastung kurzfristig kein RTW im Einsatzgebiet zur Verfügung steht. Der First Responder übernimmt in diesem Fall die Erstversorgung des Notfallpatienten und wartet dann (im Normalfall) auf den nächsten zur Verfügung stehenden RTW (s. u.), der die weitere Versorgung und den Transport übernimmt. 266 267 268 269 270 271 Vgl. RUNGGALDIER: Ausbildung und Beruf im Rettungsdienst, 800f. Vgl. dazu auch FLAKE: Organisation des Rettungsdienstes, 34f. Vgl. dazu auch Fragebogen RD 2 (13.3). Ein LRA ist an der Aus- und Fortbildung von RD-Personal beteiligt. Vgl. dazu FLAKE: Organisation des Rettungsdienstes, 33f. Vgl. ferner RUNGGALDIER: Ausbildung und Beruf im Rettungsdienst, 807. Der Desinfektor ist auf seiner Rettungswache für die ordnungsgemäße Desinfektion der Rettungsmittel, des Personals und der Geräte verantwortlich. Vgl. dazu FLAKE: Organisation des Rettungsdienstes, 36f. Vgl. BÖHMER: Kurzer interdisziplinärer Einsatzleitfaden, 23 und vgl. RUNGGALDIER: Organisation des Rettungsdienstes, 608 und vgl. FLAKE: Organisation des Rettungsdienstes, 40-42. Auf weitere Rettungsmittel, die so genannten Spezialrettungsmittel wie zum Beispiel ein Baby-NAW und ein Intensivtransportwagen, kann hier nicht eingegangen werden. 59 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer 2) Rettungs(-transport-)wagen (RTW) Ein RTW ist in der Regel besetzt mit einem den Einsatz leitenden RA und einem RS oder RH als Fahrer. Der RTW gewährleistet die Erstversorgung von Notfallpatienten und transportiert diese. Ein RTW kann also sowohl im Krankentransport als auch in der Notfallrettung eingesetzt werden. Die Ausstattung an medizinischen Geräten und Medikamenten dient der Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung der Vitalfunktionen. So gehören beispielsweise ein Notfallkoffer (für Atmung, Kreislauf und Wiederbelebung), diverse Medikamente, ein Beatmungsgerät und ein EKG-Monitor mit Defibrillator zur Grundausstattung ebenso dazu wie Verbandmaterial, ein Kindernotfallkoffer und chirurgisches Notfallbesteck. 3) Notarztwagen (NAW) Die Ausstattung entspricht in der Regel einem RTW, allerdings wird die Besatzung um einen Notarzt (NA) erweitert; ein RTW mit NA ist also ein NAW. Der NAW dient der Erstversorgung und dem Transport von Notfallpatienten mit Notarztindikation. 4) Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) Das NEF ist ein Pkw mit Notfallausstattung und bringt den Notarzt unabhängig vom RTW zum Einsatzort. Besetzt ist es in der Regel mit einem NA und einem RA. 5) Rettungshubschrauber (RTH) Die RTH-Besatzung setzt sich in der Regel aus einem Piloten, einem RA und einem NA zusammen. Der RTH kann als Notarztzubringer oder für einen schnellen und schonenden Transport über weite Distanzen eingesetzt werden. 272 2.2.5 Gesetzliche Bestimmungen Für den RD-Bereich gelten zahlreiche rechtliche Bestimmungen, die hier nicht im Einzelnen behandelt werden können. Dazu zählen unter anderem Regelungen zur Schweigepflicht, zum Datenschutz, zum Straßenverkehr und vor allem auch das Medizinprodukte- und das Betäubungsmittelgesetz. In dieser Arbeit soll lediglich auf die Garantenstellung und die so genannte Notkompetenz eingegangen werden. 273 272 273 Zu diesem gesamten Abschnitt vgl. BÖHMER: Kurzer interdisziplinärer Einsatzleitfaden, 23 und vgl. RUNGGALDIER: Organisation des Rettungsdienstes, 608 u. 612 und vgl. FLAKE: Organisation des Rettungsdienstes, 40-42. Deshalb sei weiterführend verwiesen auf UFER: Rechtliche Grundlagen des Rettungsdienstes. 60 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Die Garantenstellung (nach § 13 StGB) verpflichtet das Rettungsfachpersonal dazu, „spätestens mit der Übernahme eines konkreten Einsatzauftrags von der Rettungsleitstelle [...] sämtliche erforderlichen, ihm möglichen und zumutbaren Hilfeleistungen am Patienten durchzuführen.“274 Erleidet der Patient durch eine unterlassene Hilfeleistung der Rettungskräfte einen Schaden, können diese wegen Körperverletzung oder gegebenenfalls sogar wegen Tötung bestraft werden. 275 Die so genannte Notkompetenz wird seit fast 20 Jahren „im juristischen Schrifttum zum Rettungswesen“276 diskutiert und ist nicht ganz unproblematisch. Notkompetenz im RD bedeutet, dass Rettungsassistenten (und ferner auch Rettungssanitäter) im Falle einer Nichterreichbarkeit des Notarztes ausnahmsweise dringend indizierte invasive, also eingreifende und sonst dem Arzt vorbehaltene, Maßnahmen bei einem Notfallpatienten durchführen dürfen und sogar müssen, um dadurch Lebensgefahr oder einen schweren körperlichen Schaden zu verhindern. Zu diesen Maßnahmen zählen zum Beispiel die Venenpunktion, die Intubation (für die künstliche Beatmung) oder die Verabreichung von Infusionen. Vorausgesetzt wird dabei, dass der handelnde RD-Mitarbeiter die entsprechende Maßnahme im Rahmen seiner Ausbildung erlernt hat und zu ihrer Durchführung befähigt ist. 277 Abschließend lässt sich zum juristischen Bereich festhalten, dass der RD rechtlich gesehen oft eine „gefahrgeneigte Arbeit“278 in sich birgt, die für den Träger und die Mitarbeiter unter Umständen strafrechtliche Konsequenzen nach sich führen kann. 3 Arbeitsplatz Rettungsdienst 3.1 Personal in Zahlen Im Jahr 2001 waren laut Statistischem Bundesamt insgesamt ungefähr 46.000 Personen, darunter etwa 15.000 Frauen (hauptamtlich) im RD beschäftigt. 279 Beim DRK gab es im Jahr 2002 insgesamt 30.419 Rettungsdienstler, davon 15.448 Hauptamtliche, 3.109 Aushilfen, 3.023 Zivildienstleistende und 8.839 Ehrenamtliche. 274 275 276 277 278 279 UFER: Rechtliche Grundlagen des Rettungsdienstes, 770. Vgl. UFER: Rechtliche Grundlagen des Rettungsdienstes, 770. UFER: Rechtliche Grundlagen des Rettungsdienstes, 775. UFER: Rechtliche Grundlagen des Rettungsdienstes, 775f. Vgl. auch RUNGGALDIER: Tips für den Rettungsdienstalltag, 5f. UFER: Rechtliche Grundlagen des Rettungsdienstes, 772. Vgl. www.destatis.de/basis/d/gesu/gesutab2.htm (vom 07.08.2003). Im Jahr 2000 war das RDPersonal nur 44.000 Personen stark, darunter 13.000 Frauen. Nach den Angaben von Klaus Runggaldier sind es etwa 15.000 Notärzte und 35.000 Rettungsassistenten, -sanitäter und -helfer. Vgl. RUNGGALDIER: Organisation des Rettungsdienstes, 608. 61 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Beim ASB waren im gleichen Jahr 2.959 Hauptamtliche und 5.429 Ehrenamtliche im Bereich des gesamten Rettungswesens eingesetzt (also beispielsweise auch im nichtmedizinischen Krankentransport). Beim MHD setzte sich, ebenfalls 2002, das RD-Personal mit insgesamt 3.986 Personen aus 1.117 Hauptamtlichen, 662 Aushilfen, 464 Zivildienstleistenden und 1.743 Ehrenamtlichen zusammen. 280 Von der JUH waren (trotz Anfrage) keine Angaben zu erfa hren. 3.2 Motivation des Personals Was bewegt Menschen dazu, sich im RD zu engagieren und dafür ungünstige Arbeitszeiten, geringe Aufstiegsmöglichkeiten, hohe physische und psychische Belastungen und ein vergleichsweise niedriges Gehalt in Kauf zu nehmen? 281 Thomas Stepan stellt fest, „dass die Art der Motivation [...] ausschlaggebend dafür ist, ob der Betroffene bei der Tätigkeit längerfristig Erfüllung und Befriedigung erlangt oder aber der Sinn für das Helfen verloren geht.“282 Bei einer Umfrage unter dem RD-Personal eines Kreisverbandes wurden die folgenden Motivationsaspekte am häufigsten genannt: Umgang mit Menschen, Leben retten, Abwechslung und Herausforderung, Sinngebung und schließlich Blaulichtfahrten. 283 Insgesamt lassen sich bei den vielfältigen Motiven teils sinn- und teils erlebnisorientierte Aspekte finden. Am Anfang steht bei den meisten RD-Mitarbeitern eine „vorwiegend idealistische Auffa ssung“. 284 Die Antworten der Fragebögen lassen darauf schließen, dass die genannten Ideale eine wichtige Rolle bei der Motivation spielen, besonders das Ideal des Helfens. 285 280 281 282 283 284 285 Diese Informationen sind auf briefliche Anfrage im August 2003 vom Generalsekretariat bzw. vom Bundesvorstand der jeweiligen Hilfsorganisation zugesandt worden. Die zahlenmäßige Relation von weiblichem und männlichem Personal war daraus nicht zu erschließen. Vgl. STEPAN : Motive und Psychologie des Helfens, 27f. Die genannten Aspekte werden später (unter III, 3.4) noch näher erläutert. STEPAN: Motive und Psychologie des Helfens, 29. Vgl. STEPAN : Motive und Psychologie des Helfens, 30. Vgl. dazu auch die kritische Aussage im Fragebogen NFS (6): „Bei vielen Rettungsdienstlern wird der Dienst weniger als Dienst am Menschen gesehen, sondern eher als eigener Geltungsdrang. Es stärkt das Selbstbewusstsein, wenn jemand mit Blaulicht und Martinshorn durch die Straßen fährt, um auf sich aufmerksam zu machen.“ STEPAN: Motive und Psychologie des Helfens, 34. Wesentliche Motivationen sind: 1) Verantwortungsgefühl (moralische Verpflichtung), 2) Abenteuer und Neues erleben, keine Routine, 3) Wunsch nach Anerkennung durch das soziale Umfeld und Gesellschaft und 4) soziale Kontakte. Vgl. STEPAN: Motive und Psychologie des Helfens, 34. Alle Befragten (Fragebögen RD und KID) gaben als Motivation an, anderen helfen zu können. Darüber hinaus war für RD 1 eine zusätzliche Motivation, dass er selbst etwas bewirken kann; RD 2 bewegte auch die Neugierde und Herausforderung und für RD 3 verleiht die Arbeit im RD zudem (e inen) Sinn. Vgl. dazu die Fragebögen RD 1-3 (jeweils 9) und KID (6). 62 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Nicht selten bleiben Zivildienstleistende nach ihrer Dienstzeit weiterhin im RD ehrenamtlich tätig; teilweise absolvieren ehemalige Zivildienstleistende sogar die RAAusbildung und treten in ein hauptamtliches Beschäftigungsverhältnis ein, anstatt in ihren zuvor erlernten Beruf zurückzukehren beziehungsweise ein Studium oder eine (andere) Ausbildung zu beginnen. 286 3.3 Spannung zwischen Klischee und Wirklichkeit Wer sich beim Arbeitsamt über den Beruf des Rettungsassistenten erkundigen will, findet in der aktuellen Informationsmappe folgende erste Berufsumschreibung: „Mit quie tschenden Reifen und blinkendem Martinshorn bahnt sich der Rettungswagen seinen Weg durch die Autokolonne des Feierabendverkehrs. Der einsatzleitende RA und sein Beifahrer lassen sich davon jedoch nicht aus der Ruhe bringen.“287 Martinshorn und Blaulicht sind vermutlich die ersten Assoziationen, die dem Bevölkerungsdurchschnitt zum Stichwort „Rettungsdienst“ in den Sinn kommen; denn auf diese Weise nehmen die meisten Menschen Tag für Tag den RD wahr. Der Beschreibung oben entsprechend werden die Mitarbeiter des Rettungsdienstes wohl oft als unerschütterlich, vie lleicht auch als kühn und beinahe gefühllos bewertet. 288 In der Öffentlichkeit gibt es ohne Zweifel eine mangelnde Anerkennung des Rettungsdienstes und seiner Mitarbeiter. 289 So werden qualifizierte Rettungsassistenten nicht selten lediglich als Krankenwagenfahrer bezeichnet; bei Einsätzen wird oft nur nach dem Notarzt gefragt und nach Zeitungsberichten sind an Unfallorten immer zahlreiche Ärzte, aber keine Rettungsassistenten oder -sanitäter aktiv. 290 286 287 288 289 290 Diese Angaben basieren auf eigenen Erfahrungen. Statistiken konnten hierzu nicht gefunden werden. Durch die Verkürzung der Zivildienstzeit auf zehn Monate und der langen Ausbildung lohnt es sich für Rettungswachen heutzutage kaum noch, Zivildienstleistende aufgrund der langen Ausbildung im RD einzusetzen. BUNDESANSTALT FÜR A RBEIT : Informationsmappe 130, A 03-92. Der Verfasser muss an dieser Stelle zugeben, dass er trotz mehrjähriger Erfahrung bislang noch „kein blinkendes Martinshorn“ entdeckt hat. Angesichts dieser mit Klischees angereicherten RD-Beschreibung im Zitat möge der Leser diese Bemerkung wohlwollend verzeihen. Vgl. dazu auch die Vorurteile des Seelsorgers in der Karikatur von Daniel Lüdeling (Abb. 1), auf die in der Einleitung eingegangen wurde. Gelegentlich gibt es auch Vorurteile, nach denen die Rettungsdienstler mit Blaulicht mal schnell Pizza oder Eis holen fahren. Manchmal gehen auch Beschwerden auf Rettungswachen ein, weil ein Einsatzfahrzeug mit dem Martinshorn die Ruhe der Anwohner störte. Die Bevölkerung weiß in der Regel nicht sehr viel von der Realität des Rettungsdienstes. Geschätzt werden die Menschen in Einsatzkleidung oft nur, wenn ihre Unterstützung für einen selbst oder Angehörige benötigt wird. Ein Wort des Dankes für die geleistete Hilfe ist nicht mehr unbedingt selbstverständlich, weil der Einsatz oft als bezahlte Leistung der Krankenkasse aufgefasst wird. Diese mangelnde Anerkennung und Kenntnis der Arbeit des Rettungsdienstes stimmt einen der Lehrrettungsassistenten in den Fragebögen unzufrieden. Vgl. Fragebogen RD 3 (10). Vgl. STEPAN : Motive und Psychologie des Helfens, 37. 63 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Auch die Darstellungen in den TV-Serien (zum Beispiel Alphateam in SAT. 1) und im Reality-TV (zum Beispiel Notruf in RTL) geben nur ein verzerrtes Bild des Rettungsdienstes wieder. 291 So lässt sich mit den Worten von Thomas Stepan festhalten: „Die Intention der Sendungen war von vornherein eine andere, als oft angekündigt. Hier geht es nicht darum, dem Durchschnittsbürger die wirkliche Arbeit des Rettungsdienstes näherzubringen, sondern rein um Action, um voyeuristisch anmutenden Sensationsjournalismus und um Spiel mit den Emotionen [...] der Zuscha uer.“292 Um einen realistischeren Eindruck vom RD zu gewinnen, empfiehlt sich vor allem der persönliche Kontakt mit den Mitarbeitern. Das folgende Gedicht von Hans Spiecker kann dabei vielleicht auf poetische Weise zu einem besseren Grundverständnis weiterhelfen: „ Auch Helfer sind Menschen Manchmal sind auch [...] Sanitäter erschüttert [...] Sie kennen Freude, Enttäuschung, Geduld. Sie haben Sorgen, Familie und Schuld. Sie gleichen dir sehr.“293 3.4 Arbeitsbedingungen 3.4.1 Arbeitszeiten und Vergütung Die Arbeitszeiten für Hauptamtliche im RD sind von der durchschnittlichen Auslastung der jeweiligen Wache abhängig. Jede Rettungsleitstelle errechnet statistisch ihren durchschnittlichen Bedarf an Rettungsmitteln, die so genannten Vorhaltezeiten, zu den unterschiedlichen Tageszeiten; dementsprechend ergeben sich auf den einzelnen Rettungswachen verschiedene Schichten. 294 Als Arbeitszeit wird vor allem nur die Zeit angerechnet, die (statistisch gesehen) durchschnittlich von tatsächlicher Arbeit geprägt ist, der übrige Teil bleibt als Bereitschaft sdienst in der Regel unbezahlt. Auf Rettungswachen mit geringem Einsatzaufkommen 291 292 293 Vgl. STEPAN : Motive und Psychologie des Helfens, 37 und vgl. STEPAN: Reality-TV und Rettungsdienst, 369. Weiterführend sei hingewiesen auf STEPAN: Reality-TV und Rettungsdienst, 369-377. So schreibt Thomas Stephan: „Die Arbeit des Rettungsdienstes wird in teilweise unrealistischer Weise dargestellt und beschränkt sich in einer Vielzahl der Beiträge auf ein eindrucksvolles Spiel mit Blaulicht und Martinshorn.“ (STEPAN: Reality-TV und Rettungsdienst, 377.) STEPAN: Motive und Psychologie des Helfens, 38. SPIECKER: Hinter Bremsspur und Blaulicht, 60. Da professionelle Helfer auch Menschen sind, sind auch sie nicht frei von Emotionen – gerade, wenn es um existentielle Erfahrungen geht. 64 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer kann es also sein, dass die Arbeits- und Bereitschaftszeit für einen Mitarbeiter insgesamt bis zu 60 Stunden pro Woche betragen. 295 Überstunden können gegebenenfalls noch dazukommen. Verschiedene Schichtdienste (Tag- und Nachtschichten, auf ma nchen Wachen sogar 24-Stunden-Schichten und andere) gehören ebenso selbstverständlich zur Organisation des Re ttungsdienstes wie die Arbeit an Sonn- und Feiertagen. 296 Bei den Hilfsorganisationen ist die Vergütung des hauptamtlichen RD-Personals nach Bundesland und Region verschieden. In der Regel erhalten Rettungsassistenten ein Gehalt, das ungefähr der Gruppe VIb des Bundesangestelltentarifs (BAT) entspricht; ein Aufstieg bis in Gruppe Vc BAT ist möglich. Rettungssanitäter verdienen meist ein Gehalt, das etwa dem der Gruppe VII BAT gleichkommt. 297 Die Vergütung hängt zum einen von der Gehaltsgruppe ab, in die der jeweilige Mitarbeiter entsprechend der Grundqualifikation (RA, RS oder RH), dem Alter, dem Familienstand und der Dauer der Betriebszugehörigkeit (Bewährungsaufstieg) zugeordnet wird, und zum anderen von den Zuschlägen, die für geleistete Dienststunden in der Nacht, an Sonn- und Feiertagen gewährt werden. Ferner können durch Zusatzqualifikationen (wie Desinfektor, Lehrrettungsassistent) weitere Gehaltszuwächse erreicht werden. 298 3.4.2 Belastungen und Gefahren 3.4.2.1 Physische und psychische Belastungen und Gefahren Zu den persönlichen und privaten Belastungen, die das Leben des einzelnen Mitarbeiters im RD (und auch bei der Feuerwehr) ohnehin schon prägen, kommen zahlreiche berufsbedingte belastende und gefährliche Situationen und Umstände hinzu. Der RD-Alltag ist durch ständige Bereitschaft und Ungewissheit geprägt. Der nächste Einsatz kann beispielsweise eine Fehlfahrt, ein unkomplizierter Krankentransport, eine Reanimation oder sogar ein schweres Busunglück sein. Auf der einen Seite steht das Geduld fordernde Warten auf die Alarmierung und auf der anderen Seite steht die Arbeit und Entscheidungsfindung unter Zeitdruck bei einem 294 295 296 297 298 Ein konkretes Beispiel wird anhand der Schichteinteilung der Rettungswache in Großkrotzenburg unter III, 3.5 gegeben. Vgl. MHD: Q-Tipp, 9. Diese Informationen wurden vom DRK-Generalsekretariat gegeben. Vgl. auch MHD: Q-Tipp, 9f. Vgl. www.asb-online.de/home/home.htm (vom 08.09.2003). Diese Informationen wurden vom DRK-Generalsekretariat auf Anfrage gegeben. Vgl. auch MHD: Q-Tipp, 10f. Als konkrete Beispiele für die Vergütung mögen folgende Angaben dienen: Im Jahr 2002 lag das Grundgehalt (ohne Zuschläge und Überstunden) eines 25jährigen ledigen Rettungsassistenten beim MHD bei ungefähr 1.500 € brutto und bei einem 30jährigen verheirateten Rettungsassistenten (mit einem Kind) ca. 1.950 € brutto pro Monat. Vgl. MHD: Q-Tipp, 10f. Aktuelle Daten waren nicht zu erhalten. Das ehrenamtliche Personal erhält in der Regel eine Aufwandsentschädigung 65 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer dringenden Notfall. Hinzu kommt die Anspannung und Unsicherheit bei der Anfahrt zur Einsatzstelle, weil die Lage vor Ort trotz gemeldeter Einsatzindikation immer ungeahnte Überraschungen und Gefahren mit sich bringen kann. Die Spanne der alltäglichen Berufserfahrungen kann von der glücklichen Geburt eines Kindes über einen Verkehrsunfall mit Schwerverletzten bis hin zu verbrannten oder verstümmelten Toten führen. 299 Ebenso spiegeln die Einsatzorte und Patienten die Bandbreite des Lebens wider: von der Sozialwohnung zur Villa und vom Säugling zum alten Menschen. 300 Die RD-Mitarbeiter erleben bei ihrer Arbeit Alter, Sterben, Krankheiten, Geburt, Tod, Armut und Reichtum, Kinder, Erwachsene, Obdachlose, einsame Menschen etc; sie erfahren Realität – und zwar ungeschönt. 301 Besonders belastend ist die direkte Konfrontation mit der menschlichen Verletzbarkeit und Endlichkeit: Kindernotfälle, erfolglose Reanimationsversuche (besonders bei Säuglingen und Kindern), psychiatrische Notfälle (beispielsweise Suizidandrohung), zahlreiche Tote, Schwerverletzte und verzweifelte Angehörige; noch belastender wird es, wenn es sich dabei um Verwandte, Freunde, Kollegen oder Bekannte handelt oder in einer ähnlichen Situation bereits selbst negative Erfahrungen gesammelt wurden. 302 Weiter haben die Erlebnisse von eigener Hilflosigkeit, von persönlichen Fehlern mit negativen Folgen für den Patienten, die Bedrohung der eigenen Gesundheit und das Gefühl, nicht alles Machbare getan zu haben „eine hohe Traumatisierungspotenz“. 303 Es ist also eine Fülle an Eindrücken und Erfahrungen, die innerhalb kürzester Zeit erlebt wird und verarbeitet sein will. Mitarbeiter im RD haben also außergewöhnliche Ereignis- und Berufsstressoren. 304 299 300 301 302 303 304 für die Verpflegung. Bei einer dem Verfasser bekannten Rettungswache beträgt diese Aufwandsentschädigung beispielsweise 1 € pro Dienststunde. Vgl. RUNGGALDIER: Ausbildung und Beruf im Rettungsdienst, 811. Da ist zum Beispiel der tote Drogenabhängige in der Bahnhofstoilette zu nennen oder der Firmenchef mit Herzinfarkt auf dem Bürostuhl. Da ist die krebskranke Hausfrau, die sich auf dem Bett im Schlafzimmer die Pulsadern aufgeschnitten hat; dann sind da die Rentnerin, die an der Bushaltestelle gestürzt ist, der Alkoholiker, der aus dem Fenster springen will und das kleine Kind, das von einem Auto angefahren wurde etc. Vgl. dazu auch Fragebogen RD 2 (15.1): Sterbefahrten und die Konfrontation mit extremer Armut werden von diesem Rettungsassistenten neben Kindernotfällen, die auch die Fragebögen RD 1+3 (jeweils 15.1) nennen, als besonders belastend erlebt. Vgl. GIESEN: Einsatznachbereitung, 2 und vgl. STEPAN : Angst in der Notfallmedizin, 162 und vgl. W IETERSHEIM : Psychische Aspekte beim Betreuungseinsatz, 133. GIESEN: Einsatznachbereitung, 2 und vgl. STEPAN: Angst in der Notfallmedizin, 162. Im Hinblick auf Behandlungsfehler und Schuld sei verwiesen auf die Publikation von Stefanie Bachstein, deren siebenjährige Tochter nach einem Verkehrsunfall durch eine Fehlintubation der Notärztin gestorben ist. Das Buch erzählt auf eindrückliche Weise von den Folgen dieses Behandlungsfehlers und einem offenen und verzeihenden Umgang einer Mutter mit der Schuld und der Schuldigen. Vgl. BACHSTEIN : Du hättest leben können. Vgl. RUNGGALDIER: Ausbildung und Beruf im Rettungsdienst, 811 und vgl. FLATTEN: Der hilflose Helfer, 268. 66 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Der Schichtdienst entgegen dem Lebensrhythmus, unregelmäßige Mahlzeiten, körperliche Höchstleistungen und Adrenalinschübe zu unterschiedlichen Tageszeiten belasten den menschlichen Körper. Die unregelmäßige Schichteinteilung stellt zudem eine Belastung für die Familie und die soziale Umgebung dar. 305 Die Scheidungs- und Trennungsrate liegt bei RD-Mitarbeitern über dem Durchschnitt. 306 Zu den typischen Berufskrankheiten zählen Wirbelsäulenverletzungen und Ansteckung durch Infektionen. 307 Nicht zu vernachlässigen sind auch psychosomatische und -soziale Folgen wie ungesunde Ernährung, Schlaf- und Essstörungen oder die Abhängigkeit von Kaffee, Alkohol, Tabletten, Nikotin und anderen Drogen, die unter RD-Mitarbeitern nicht selten vorkommt, wenn Probleme, Schuldgefühle und traumatische Bilder ve rdrängt werden. 308 Ferner können sich bei Einsatzkräften auch Posttraumatische Belastungsstörungen entwickeln, wenn schreckliche Einsatzerlebnisse nicht rechtzeitig aufgearbeitet werden. 309 Es ist wichtig zu beachten, dass „nicht nur dramatische Ereignisse [...], sondern auch ‚kleinere’ immer wiederkehrende Belastungen [...] kumulieren und zu den [...] vegetativen bzw. sich chronifizierenden psychosomatischen traumareaktiven Beschwerden führen“310 können. Bei Nichtbehandlung sehen Betroffene nicht selten den Selbstmord als letzte Lösungsmöglichkeit, als „ultimate stress reaction“311 . Wie 305 306 307 308 309 310 311 Vgl. RUNGGALDIER: Ausbildung und Beruf im Rettungsdienst, 811. Vgl. FLATTEN: Der hilflose Helfer, 269. Vgl. RUNGGALDIER: Ausbildung und Beruf im Rettungsdienst, 812. So sind beispielsweise weltweit bisher 73 HIV-Infektionen gezählt worden, die sehr wahrscheinlich beruflich bedingt erworben wurden. In Deutschland sind es zwei publizierte und gesicherte Fälle und zwei wahrscheinliche. Vgl. RUNGGALDIER: Tips für den Rettungsdienstalltag, 19. Mohr und Kettler schreiben dazu: „Der unbekannte Patient birgt [...] auch ein erhöhtes Risiko der eigenen Gefährdung durch Infektionen. Die Zahl HIV-positiver Patienten in den Notfallaufnahmen von Krankenhäusern und unter Unfallopfern beträgt bei überwiegend städtischen Einzugsgebieten bis zu 5%. Die Versorgung von Drogenabhängigen oder blutenden Verletzten, aber auch der Umgang mit Kanülen bei unkooperativen Patienten stellen potentielle Gefahrenquellen dar. Die Arbeit in der Stresssituation des Notfalls verleitet schnell zur Missachtung entsprechender Vorsichtsregeln.“ (M OHR / KETTLER: Ethik in der Notfallmedizin, 119.) Wesentlich größer als das Risiko einer HIV-Infektion ist allerdings das einer Hepatitis B- oder Hepatitis C-Infektion. Vgl. RUNGGALDIER: Tips für den Rettungsdienstalltag, 19. Vgl. RUNGGALDIER: Ausbildung und Beruf im Rettungsdienst, 812 und vgl. BENGEL: Psychische Belastungen des Rettungspersonals, 52. Vgl. dazu auch die Fragebögen RD 1-3 (jeweils 14) und ferner Fragebögen KID (13) und NFS (12), die alle die Suchtgefahr im RD hoch einschätzen. So schreibt beispielsweise ein Rettungsassistent: „Die Suchtgefahr halte ich für sehr hoch! Alkohol ist, denke ich, für viele Kollegen oft die ‚Erste Lösung’ um nach dem Dienst mit dem Erlebten fertig zu werden.“ (Fragebogen RD 1.) Auf die PTBS wurde bereits unter II, 3.1.1.3 (vor allem Anm. 137) näher eingegangen. Vgl. dazu auch RUNGGALDIER: Psychologie, 846-848 und vgl. BENGEL: Posttraumatische Belastungsstörung. Feuerwehr, RD und Katastrophenschutz lassen sich mit Blick auf die PTBS-Gefährdung als Hochrisiko-Berufsgruppen bezeichnen. Vgl. HEINRICHS: Einsatzbelastungen, 4. FLATTEN: Der hilflose Helfer, 269. Nach Markus Heinrichs „zeigen Einsatzkräfte [...] auch immer erhöhte körperliche Beschwerden im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung – insbesondere im Bereich Herz/Kreislauf.“ (HEINRICHS: Einsatzbelastungen, 5.) So sind bei RD-Mitarbeitern nicht selten gesundheitliche Beschwerden vorgekommen, „die eben nicht immer organisch entsprechend abgeklärt werden können.“ (HEINRICHS: Einsatzbelastungen, 5.) FLATTEN: Der hilflose Helfer, 269. 67 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer amerikanische Studien belegen, gibt es bei belasteten Einsatzkräften eine überdurchschnittliche Suizidrate. 312 Der Arbeitsplatz der RD-Mitarbeiter ist vielfältig und birgt nicht selten Gefahren wie beispielsweise Feuer, Explosionen, gefährliche Stoffe und gewalttätige Patienten in sich. 313 Die Einsatzkräfte müssen oft an Orten präsent sein, die andere Menschen me iden oder fluchtartig verlassen. Auch der Straßenverkehr stellt eine Gefahr dar. So gibt es in Deutschland pro Jahr ca. 3.500 Unfälle mit Einsatzfahrzeugen des Rettungsdie nstes; bei ca. 200 dieser Unfälle gibt es Verletzte, bei ungefähr 50 von ihnen Schwerverletzte und etwa 14 Mal verlieren Menschen dabei ihr Leben. 314 Das Unfallrisiko von Fahrzeugen mit Sondersignal wird viermal höher angesehen als bei allen anderen Verkehrsteilnehmern. 315 Einsätzkräfte können unter Umständen in der Gefahr stehen, sich zu überschätzen und als scheinbar omnipotente Lebensretter die eigenen Grenzen und Möglichkeiten falsch einzustufen und dadurch sich und andere zu gefährden. 316 Aufgrund dieser zahlreichen außergewöhnlichen Belastungen spricht vieles dafür, „dass diese Tätigkeit nicht bis zur gesetzlichen Altersgrenze ausgeübt werden kann.“317 Gesetzliche Regelungen hierzu gibt es bislang keine. 3.4.2 Besonders belastende Einsätze Jeder RD-Einsatz bringt seine eigenen Belastungen mit sich. Auch oder sogar gerade Krankentransporte dürfen dabei nicht unterschätzt werden: Sie konfrontieren das RDPersonal oft mit schweren Krankheiten (beispielsweise Krebs) und den negativen Seiten des Alters (Einsamkeit, Multimorbidität, Demenz u. ä.). An dieser Stelle sollen beispielhaft drei konkrete Einsatzbereiche vorgestellt werden, die als solche besondere Belastungen für das Personal mit sich bringen. 3.4.2.1 Reanimation Wenn ein Patient klinisch tot ist, bei ihm also weder Spontanatmung noch Herz- und Kreislauftätigkeit vorliegen, kann eine rechtzeitig begonnene kardiopulmonale Reanimation (CPR), auch Herz-Lungen-Wiederbelebung (HLW) genannt, möglicherweise ein 312 313 314 315 316 317 Vgl. FLATTEN: Der hilflose Helfer, 269. Vgl. RUNGGALDIER: Ausbildung und Beruf im Rettungsdienst, 812. Vgl. REDELSTEINER: Fahrzeuge, 674. Vgl. REDELSTEINER: Fahrzeuge, 674. Bei Fahrten mit Sonderrechten und -signal ist statistisch ges ehen bei jedem 272. 000. Einsatz mit einem tödlichen Verkehrsunfall zu rechnen. Vgl. REDELSTEINER: Fahrzeuge, 674. Vgl. dazu auch SALOMON: Das Menschenbild, 246. BUNDESANSTALT FÜR A RBEIT : Informationsmappe 130, B 3,1 . 09/92. 68 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Weiterleben erreichen. 318 Die Basismaßnahmen der Wiederbelebungsversuche werden als Basic Cardiac Life Support (BCLS) bezeichnet, sind nach dem ABC-Schema angeordnet und können von jedermann angewendet werden: Atemwege freimachen, beatmen und die Circulation in Gang bringen (durch Hochlagern der Beine und Herzdruckmassage). 319 Die erweiterten Maßnahmen der CPR, die Advanced Cardiac Life Support (ACLS), werden vom RD-Personal durchgeführt. Dazu gehören die endotracheale Intubation320 , die Beatmung mit medizinischem Sauerstoff über Tubus und Beatmungsgerät, ein venöser Zugang (für Medikamente), Volumengabe (Infusionen mit Vollelektrolytlösungen) und Medikamentengabe (vor allem ein Adrenalinpräparat und ferner Lidocain und Atropin) und bei Kammerflimmern gegebenenfalls Defibrillation mit in der Regel 200 beziehungsweise 360 Joule. 321 Das RD-Personal ist bei einem Patienten mit Herzkreislaufstillstand zur Reanimation verpflichtet bis ein Arzt deren Einstellung entscheidet. Die Verpflichtung besteht allerdings nicht, wenn so genannte sichere Todeszeichen 322 erkennbar sind oder Verletzungen vorliegen, „die eindeutig mit dem Leben nicht vereinbar sind, wie schwerste Schädigung von Gehirn, Rückenmark, Herz und großen Körpergefäßen.“323 Die ACLS werden vom RD-Personal regelmäßig in den verschiedenen Algorithmen trainiert, damit bei einer Reanimation wertvolle Zeit nicht unnötig verloren geht. Auf Außenstehende können die Reanimationsmaßnahmen und ihre Begleiterscheinungen durchaus gewalttätig und grausam wirken, denn „schnelles Lagern der leblosen Person auf einer harten Unterlage [...], Freimachen des Oberkörpers durch Zerreißen der Kle i318 319 320 321 322 323 Eine Studie ergab einen primären Reanimationserfolg von 20 bis 50 % der Fälle (abhängig von den Bedingungen). Allerdings haben nur 7% der präklinisch reanimierten Patienten das Krankenhaus wieder lebend verlassen. Vgl. M OHR / KETTLER: Ethik in der Notfallmedizin, 121. „Spätestens nach einer mehr als 8 Minuten dauernden Unterbrechung der Sauerstoffversorgung des Gehirns muß mit irreversiblen Schädigungen dieses Organs gerechnet werden. Die Prognose von Patienten mit Herzkreislaufstillstand ist daher am günstigsten, wenn innerhalb von etwa 4 Minuten nach Eintritt des Stillstandes mit der Herz-Lungen-Wiederbelebung begonnen wird und innerhalb von 8 Minuten erweitere Wiederbelebungsmaßnahmen wie Medikamentengabe oder elektrische Defibrillation bei Kammerflimmern vorgenommen werden.“ (M OHR / KETTLER: Ethik in der Notfallmedizin, 119. Vgl. GERDTS: Reanimation, 309 u. 312. Vgl. dazu auch FLAKE / LUTOMSKY: Kardiopulmonale Reanimation, 192-194. Das Verhältnis zwischen Beatmung und Herzdruckmassage beträgt eine Beat mung zu 15 Kompressionen; zu Beginn der Maßnahmen wird zweimal beatmet. Bei der Intubation wird ein Tubus zur Beatmung und Medikamentengabe durch die Luftröhre in die Lunge gelegt. Vgl. GERDTS: Reanimation, 314 u. 318f u. 328. Vgl. dazu auch FLAKE / LUTOMSKY: Kardiopulmonale Reanimation, 194-198. Für Kinder gibt es je nach Altersgruppe eigene Besonderheiten bei der HLW, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Hierzu zählen vor allem die Totenflecken (Hypostase), die frühestens 20 Minuten nach dem Eintritt des klinischen Todes festgestellt werden können. Vgl. M OHR / KETTLER: Ethik in der Notfallmedizin, 120. M OHR / KETTLER: Ethik in der Notfallmedizin, 120. 69 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer dung, Blutaustritt an Punktionsstellen oder bizarre Zuckungen der Extremitäten bei der Defibrillation sind häufig unvermeidliche Begleitumstände eines fachgerecht durchgeführten ärztlichen Wiederbelebungsversuches.“324 Zu diesem Themenkomplex zählt für die Einsatzkräfte „auch die traurige Gewißheit, im Einzelfall möglicherweise ohne die Wiedererlangung personalen Menschseins nur biologisches Leben bewahren oder wiederherstellen zu können.“325 „Wenn der Tod nicht mehr zu bekämpfen ist“326 , ist das RD-Personal „aufgefordert, diese Grenze zu bejahen.“327 Wer im RD arbeitet, muss – wie jeder Mensch –akzeptieren lernen, dass Menschen sterblich sind und jeder zu einem ihm vorgegebenen Zeitpunkt auch ein Recht auf das Sterben hat, das nach dem christlichen Glauben nicht das Ende, sondern der Anfang eines neuen, ewigen Lebens bei Gott in sich birgt. 328 3.4.2.2 Kindernotfall Kindernotfälle (Patienten unter 14 Jahre) haben im RD nur einen Anteil von 3 bis 7% aller Einsätze. Dadurch fehlt beim RD-Personal eine gewisse Routine, da Kinder aufgrund ihrer physiologischen und pathophysiologischen Besonderheiten bei der Notfallversorgung nicht einfach als kleine Erwachsene behandelt werden können. Weiter werden Kindernotfälle meist durch eine schwierige Kommunikation, unruhige, schreiende und verängstigte Patienten und besonders aufgeregte Angehörige mit zusätzlichem Stress für die Einsatzkräfte belastet; ganz zu schweigen von den emotionalen Aspekten 324 325 326 327 328 M OHR / KETTLER: Ethik in der Notfallmedizin, 120. M OHR / KETTLER: Ethik in der Notfallmedizin, 125. Gemeint ist folgender Sachverhalt: Bei primär erfolgreichen Reanimationen kann es durchaus vorkommen, dass zwar der Herz-Kreislauf des Patienten wieder belebt werden kann, aber durch einen zu langen Sauerstoffdefizit irreparable neurologische Schäden entstanden sind, die nur noch ein eingeschränkt selbständiges Leben zulassen. Vgl. M OHR / KETTLER: Ethik in der Notfallmedizin, 125. Vgl. dazu auch FALK: Ethische, psychologische und theologische Aspekte, 365. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Gegenüberstellung von personalem Menschsein und biologischem Leben aus (moral-) theologischer Sicht äußerst kritisch zu bewerten ist. Nach christlicher Auffassung kommt allem menschlichen Sein Personenwürde zu. Dies wird auch in Dokumenten des kirchlichen Lehramtes betont. So heißt es beispielsweise in der Enzy klika Evangelium vitae (1995): „Die Gesamtbotschaft, die das Neue Testament zur Vervollkommnung bringen wird, ist ein mächtiger Appell zur Achtung und Unantastbarkeit des physischen Lebens und der persönlichen Integrität.“ (JOHANNES PAUL II.: Evangelium vitae, 51.) Weiter heißt es dort: „Das menschliche Leben ist in jedem Augenblick seiner Existenz [...] heilig und unantastbar. Der Mensch gehört vom Mutterschoß an Gott.“ (JOHANNES PAUL II.: Evangelium vitae, 75.) M OHR / KETTLER: Ethik in der Notfallmedizin, 125. M OHR / KETTLER: Ethik in der Notfallmedizin, 125. Die Entscheidung über das Beenden von Reanimationsmaßnahmen liegt in den Händen des Arztes, doch fühlt sich das RD-Personal durch das aktive Abbrechen gewiss emotional daran nicht unbeteiligt. Zur ganzen ethischen Problematik dieser Entscheidung, die der Arzt innerhalb kürzester Zeit zu treffen hat, sei auf den Beitrag von Michael Mohr und Dietrich Kettler hingewiesen. Vgl. M OHR / KETTLER: Ethik in der Notfallmedizin. Im Gegensatz zur durchschnittlichen Bevölkerungen werden die RD-Kräfte aber ständig mit dem Tod konfrontiert. Vgl. zum Thema Tod im RD auch RUNGGALDIER: Tips für den Rettungsdienstalltag, 21f und vgl. PÜSCHEL / SCHNEIDER: Sterben und Tod, 374f und vgl. ferner FALK: Ethische, psychologische und theologische Aspekte, 367f. 70 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer für die RD-Mitarbeiter (beispielsweise durch die Erinnerung an die eigenen Kinder und deren Schut zlosigkeit). 329 In Deutschland sterben jährlich ungefähr 18.000 Kinder und Jugendliche. 330 Laut dem Statistischem Bundesamt starben im Jahr 2001 in der BRD allein 3.163 Säuglinge (bis 1 Jahr), davon 429 am Sudden Infant Death Syndrome (SIDS), dem so genannten Plötzlichen Kindstod.331 SIDS, auch als Krippentod bezeichnet, ist „ein plötzlich u. unvermutet eintretender Tod im Säuglings- und Kleinkindesalter, bei dem keine ausreichend erklärende Todesursache nachgewiesen werden kann“332 , schreibt ein klinisches Wörterbuch. Bei Vermutung eines SIDS-Einsatzes ist es sinnvoll, wenn die Leitstelle bereits parallel zum RD die NFS oder den KID alarmiert, um die Betreuung der Eltern sicherzustellen, damit sich die Einsatzkräfte allein auf das Kind konzentrieren können. 333 Allerdings kann Kindern mit SIDS „selbst durch den schnellsten und qualifiziertesten Rettungsdiensteinsatz in aller Regel nicht geholfen werden.“334 Nach erfolglosen Wiederbelebungsversuchen ist es dann die Aufgabe des Notarztes, den Eltern den Tod ihres Kindes mitzuteilen. Bei Verdacht auf SIDS muss der Arzt im Totenschein die Todesursache als nicht aufgeklärt angeben; in den meisten Bundesländern ist daraufhin die Polizei zu verständigen, die gegebenenfalls eine Obduktion veranlasst. 335 Gerade diese bürokratischen und gesetzlichen Regelungen benötigen eine sensible Vorbereitung, Information und Begleitung der Eltern (durch die NFS oder den KID), da sich diese oft schuldig am Tod ihres Kindes fühlen, ohne es wirklich zu sein. 336 „Das Thema Plötzlicher Säuglingstod stößt im Rettungsdienst auf sehr großes Interesse und scheint dennoch ein Tabuthema zu sein“337 , stellt eine Rettungssanitäterin und zu329 330 331 332 333 334 335 336 Vgl. HEINZ: Das Kind als Notfallpatient, 273-276. Vgl. ferner auch GERDTS: Pädiatrische Notfälle, 475. In allen drei Fragebögen RD haben die Befragten die Kindernotfälle zu den Einsätzen gezählt, die sie am meisten belasten. Vgl. Fragebögen RD 1-3 (jeweils 15.1). Vgl. DASCHNER: KIT – Krisenintervention im Rettungsdienst, 80. Vgl. www.destatis.de/basis/d/gesu/gesutab.21.thm (vom 07.08.2003). Pschyrembel Klinisches Wörterbuch, 1578f. In RD-Kreisen ist es umstritten, ob man die Eltern bei den Reanimationsversuchen an ihrem Kind beteiligen oder davon abschirmen soll. Vgl. dazu Denise Thomas in HELMERICHS: Erfahrungen des Rettungsdienst-Personals, 112. Die Mehrheit (der von Denise Thomas Befragten) tendiert dazu, die Eltern aus einer Entfernung bei den Rettungsmaßnahmen zuschauen zu lassen, damit sie sehen, dass alles Menschenmögliche für ihr Kind getan wird. Vgl. Denise Thomas in HELMERICHS: Erfahrungen des Rettungsdienst-Personals, 112 und vgl. HELMERICHS: Plötzlicher Säuglingstod, 107. HELMERICHS: Plötzlicher Säuglingstod, 107. Vgl. BÖHMER: Kurzer interdisziplinärer Leitfaden, 34. Vgl. HELMERICHS: Plötzlicher Säuglingstod, 108-111. Es empfiehlt sich auch deshalb hier die NFS oder den KID in Anspruch zu nehmen, weil die RD-Kräfte nach den erfolglosen Reanimationsversuchen ein Gespräch mit den Angehörigen als sehr belastend erleben. Vgl. HELMERICHS: Plötzlicher Säuglingstod, 104. Vgl. zur Krisenintervention nach SIDS ferner DASCHNER: KIT – Krisenintervention im Rettungsdienst, 80-84. 71 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer gleich vom SIDS betroffene Mutter fest, die eine Umfrage zu diesem Thema bei RDKollegen durchgeführt hat. Bei einem Einsatz mit Exitus des Patienten und einer unklaren Todesursache kommt das Einsatzpersonal leicht zum Zweifeln an den persönlichen Möglichkeiten und Fähigkeiten und fühlt sich oft hilflos – besonders, wenn der Patient ein Kind ist. Einem Kind wird gefühlsmäßig nicht zugestanden, dass es wie alle Menschen sterblich ist und sterben kann; ein Kinderleben wird nicht selten wertvoller als das eines Erwachsenen eingeschätzt. 338 Der Tod von Kindern gehört daher ohne Zweifel „zu den am schwersten zu bewältigenden Notfalleinsätzen.“339 3.4.2.3 Massenanfall von Verletzten Mit einem Massenanfall von Verletzten (MANV) wird das RD-Personal bei Großschadenslagen (zum Beispiel Verkehrsunfälle mit zahlreichen Verletzten) bis hin zu Katastrophen konfrontiert; erstere können regional und kurzfristig bewältigt werden, Katastrophen hingegen haben noch größere Ausmaße. 340 Bei einem MANV haben sich die Einsatzkräfte im Extremfall mit außerordentlichen und vielleicht nie geahnten Ausmaßen an Leid und Zerstörung auseinanderzusetzen. Neben einer großen organisatorischen Herausforderung angesichts der zahlreichen Verletzten kann gegebenenfalls auch der Anblick von schweren Verletzungen und grausam entstellten Toten die Einsatzkräfte zusätzlich belasten und unter Umständen ein Gefühl der Unüberschaubarkeit, Hilflosigkeit und Ohnmacht erzeugen. 341 Aufgrund der zahlreichen Verletzten und vergleichsweise wenigen Helfer müssen zu Beginn der Rettungsarbeiten Prioritäten zwischen den einzelnen Patienten gesetzt werden, indem die Verletzten im Rahmen der so genannten Triage nach Überlebenswahr- 337 338 339 340 341 Denise Thomas in HELMERICHS: Erfahrungen des Rettungsdienst-Personals, 112. Vgl. Denise Thomas in HELMERICHS: Erfahrungen des Rettungsdienst-Personals, 113. Denise Tho mas bezieht sich dabei auf die Ergebnisse einer von ihr durchgeführten Fragebogenaktion bei Rettungsdienstlern. Vgl. dazu auch BASSY / M ÜLLER: Manchmal musst du stark sein. Dort berichten ein Rettungsassistent und ein Notfallseelsorger von einem gemeinsamen Einsatz mit Plötzlichem Säuglingstod. Ferner sei verwiesen auf DASCHNER: KIT – Krisenintervention im Rettungsdienst, 85-87. HELMERICHS: Plötzlicher Säuglingstod, 115. Vgl. BITTGER: Massenanfall von Verletzten, 736. Vgl. zu den besonderen Stressoren beim MANV auch W ATERSTRAAT : Der Mensch in der Katastrophe, 33f. Eine gute Vorbereitung auf Katastrophenfälle und eine effektive Koordination und Zusammenarbeit der zahlreichen Dienste und Einrichtungen muss sich hier bewähren, damit zusätzliche Belastungen durch organisatorische Fragen vermieden werden können. Weiter sei dazu verwiesen auf BITTGER: Massenanfall von Verletzten, bes. 738-740 u. 758f. 72 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer scheinlichkeit, Transportfähigkeit und Behandlungsdringlichkeit gesichtet und eingeordnet werden. 342 Zu den wohl unvergessenen Katastrophen der letzten Jahre in Deutschland gehören die Flugkatastrophe von Ramstein im August 1988 mit 70 Toten und ungefähr 1.000 Verletzten343 und das Zugunglück von Eschede, bei dem im Juni 1998 unweit von Celle der Intercityexpress (ICE) Wilhelm Conrad Röntgen entgleiste und dabei 101 Menschen starben und 72 schwer verletzt wurden. 344 Eschede wurde „zum Synonym für die Hilflosigkeit vieler Einsatzkräfte angesichts der Katastrophe [...]. Die Bilder vom Unglück sitzen bei vielen Betroffenen tief im Innersten, eingebrannt in die Seele, und lassen keine Ruhe [...]. Für keinen Helfer war dieser Einsatz Routine, und kaum einer hat siche rlich so viel Hornhaut auf der Seele, dass ihn das Ereignis ‚kalt’ läßt.“345 Die Katastrophen von Ramstein und Eschede haben wesentlich dazu beigetragen, dass die Notwendigkeit einer Einsatznachsorge für Rettungskräfte immer mehr erkannt und Möglichkeiten dieser Nachsorge entwickelt wurden. Nach Ramstein wurde damit auf kleiner Ebene begonnen und zehn Jahre danach wurde beim Unglück in Eschede die Nachsorge institutionalisiert eingesetzt. 346 342 343 344 345 346 Bei der Triage werden vier Behandlungskategorien unterschieden: T1 (= Immediate treatment: Patienten mit vital bedrohlicher Verletzung, aber Überlebenschance), T2 (= Delayed treatment: Patienten, die schnell zu stabilisieren sind und Transportpriorität haben), T3 (= Minimal treatment: Patienten, die gehfähig oder zumindest sitzfähig sind) und schließlich T4 (= Expectant treatment: Patienten, die unter Katastrophenbedingungen kaum Überlebenschancen haben). Vgl. BITTGER: Großunfälle und Katastrophen, 86-88. Vgl. dazu auch BITTGER: Massenanfall von Verletzten, 755-758. Die Triage kann für betroffene Einsatzkräfte unter Umständen zu einem ethischen Problemfall werden, da innerhalb kürzester Zeit unter Umständen sozusagen über Leben und Tod entschieden werden muss. Ohne Triage würden die Rettungsarbeiten aber unübersichtlich und die Prioritäten, die man gezwungenermaßen setzen muss, undurchschaubar werden. Zum ethischen Aspekt sei weiter verwiesen auf GRAF-BAUMANN / GORGAß: Werte und Rahmenbedingungen, 349f und ferner auf RUNGGALDIER: Ethik , bes. 864f. Vgl. Hartmut Jatzko, Sybille Jatzko und Heiner Seidlitz in JATZKO: Katastrophen-Nachsorge, 9. Vgl. GIESEN: Einsatznachbereitung nach dem ICE-Unfall in Eschede, 2. STEPAN: Eschede, 583. In Eschede waren damals übrigens mehr als 1.800 Hilfskräfte eingesetzt. Vgl. HELMERICHS: Einsatznachsorge, 119. Im Zusammenhang mit Ramstein soll Folgendes nicht unerwähnt bleiben: „Ein großer Teil der Helfer leidet bis heute unter nicht verarbeiteten Erlebnissen. Drei Helfer sollen infolge posttraumatischer Depressionen Selbstmord begangen haben.“ (HÖLTERHOFF: Katastrophenseelsorge, 128.) Zahlreiche Einsatzkräfte können ihren Beruf seit dem Unglück nicht mehr ausüben. Vgl. dazu auch die Berichte von betroffenen Helfern bei JATZKO: KatastrophenNachsorge, 79-86. An dieser Stelle soll auch nicht verschwiegen werden, dass die durch diese Katastrophe ausgelösten psychischen Leiden bei Opfern, Helfern und Angehörigen bis heute nicht durch eine symbolische finanzielle Entschädigung von politischer Seite anerkannt wurden. Vgl. dazu JATZKO : Katastrophen-Nachsorge, bes. 114 u. 210-213. Auch die TV-Sendung „Johannes B. Kerner“ (ZDF) vom 20. Juni 2003 beschäftigte sich mit dieser Problematik. Vgl. JATZKO: Katastrophennachsorge, bes. 95-101 und vgl. HELMERICHS: Einsatznachsorge. Jutta Helmerichs schreibt: „Das Zugunglück in Eschede und die damit hochbelastenden Aufgaben für die Einsatzkräfte hat dazu geführt, daß sich im gesamten Bundesgebiet das Engagement, weitere Kriseninterventionsteams und Notfallseelsorgedienste aufzubauen, deutlich verstärkt.“ (HELMERICHS: Einsatznachsorge, 121.) Zur Einsatznachsorge bei Großschadensfällen allgemein sei weiter verwiesen auf HERMANUTZ / FIEDLER: Nachbereitung, bes. 273-284. 73 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Einige Rettungskräfte, die in Eschede aktiv beteiligt waren, haben sich zu diesem Angebot folgendermaßen geäußert: „Psychologische Betreuung vor Ort und Einsatznachsorge für die Einsatzkräfte haben sich als wertvoll und notwendig bei diesem außergewöhnlich belastenden Einsatz herausgestellt – zukünftig sollte dies zum regelhaften Bestandteil jeder Einsatzplanung gehören und nicht dem Zufall überlassen ble iben.“347 3.4.2.3 Helfersyndrom und Burnout-Gefahr Das Helfersyndrom und die Burnout-Gefahr sind im Zusammenhang mit allen helfenden Berufen zu nennen (und nicht nur mit diesen); sie sind nicht rettungsdienstspezifisch und sollen deshalb hier eigens dargestellt werden. Das Helfersyndrom beschreibt eine Situation, „in der die Hilfsbereitschaft weder spontan noch rollengebunden ist, sondern auf der Abwehr anderer Gefühle oder Handlungsbereitschaften beruht.“348 Wer immer nur der Stärkere, der Helfende und Gebende sein will, hat ein ausgeprägtes Helfersyndrom und sucht seine eigene Sicherheit darin, einem Schwächeren helfen zu können. Eine Gefahr besteht dann, wenn ein „HelfersyndromHelfer“349 die eigene Hilfsbedürftigkeit und -losigkeit völlig verdrängt oder nicht wahrnimmt, die Hilfe von anderen verweigert und somit selbst zu einem hilflosen Helfer wird. 350 Das zweite Phänomen, das Burnout-Syndrom, ist ein Reaktions-Syndrom und wurde vermutlich erstmals in der Erzählung A burn-out case (1961) von Graham Greene als solches bezeichnet. 351 Darunter ist ein innerer Prozess zu verstehen, bei dem ein Mensch, der anfänglich vor idealem Arbeitseifer sozusagen gebrannt hat, sich für unentbehrlich hielt und nie Zeit für sich hatte, auf einmal in eine Sinnkrise fällt und sich wie ausgebrannt fühlt, weil er dem (eigenen und fremden) Leistungsdruck und -anspruch nicht mehr standhalten kann und keinen Erfolg in seiner Arbeit erkennt. 352 Eine emotionale Erschöpfung, die Depersonalisierung und die Reduktion der Leistungsfähigkeit oder -zufriedenheit sind die wesentlichen Aspekte dieses Syndroms; Menschen mit Burnout haben sozusagen inner347 348 349 350 351 352 DRK KREISVERBAND CELLE : Sanitätsorganisationen, 198. Eine beteiligte Feuerwehrstelle gibt fo lgendes Feedback zu diesem Aspekt: „Bewährt hat sich die möglichst frühzeitige Anwesenheit von Notfallseelsorgern und psychologisch geschultem Betreuungspersonal vor Ort.“ (KREISFEUERWEHR DES LANDKREISES CELLE: Feuerwehr Celle, 210.) SCHMIDBAUER: Helfersyndrom und Burnout-Gefahr, 4. SCHMIDBAUER: Helfersyndrom und Burnout-Gefahr, 4f. Vgl. SCHMIDBAUER: Helfersyndrom und Burnout-Gefahr, 5-8. Vgl. SONNECK: Krisenintervention, 40. Vgl. SCHMIDBAUER: Helfersyndrom und Burnout-Gefahr, 15-18 und vgl. SONNECK: Krisenintervention, 40-47. 74 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer lich gekündigt. 353 Die biopsychosozialen Folgen sind ein hoher Krankenstand, depressive Zustände und physische Probleme wie zum Beispiel Schlaflosigkeit und chronische Gelenkschmerzen. 354 Zur Prävention und Bewältigung von Burnout ist es nach Sonneck vor allem wichtig, Zeitdruck abzubauen, Verantwortung zu teilen und realistische Ziele festzulegen, die eine Effizienzkontrolle und Feedback ermöglichen. 355 Den Fragebögen zufolge ist die Burnout-Gefahr im RD nicht zu unterschätzen. 356 Der Aspekt des Helfer-Syndroms ist vor allem dann entscheidend, wenn es darum geht, ob Einsatzkräfte bei der Verarbeitung von belastenden Erlebnissen fremde Hilfe in Anspruch nehmen können und wollen; oder ob sie ihre Belastungen zu verdrängen suchen, indem sie sich beispielsweise in das Helfen bei anderen Menschen hineinsteigern. 357 Wer im RD oder in der Seelsorge tätig ist, sollte also diese beiden möglichen Gefahren, vor allem Burnout, bei den Klienten, Kollegen und sich selbst im Blick haben. 358 3.4.3 Zufriedenheit und Befürchtungen des Personals Im RD können laut der Informationsmappe des Arbeitsamtes zum Beruf des Rettungsassistenten „die Berufsaussichten, Ortsungebundenheit vorausgesetzt, immer noch als befriedigend eingeschätzt werden.“359 Die Zufriedenheit und Befürchtungen oder Ängste des Personals lassen sich jedoch nicht auf die Berufsaussichten reduzieren, sondern sind nicht unwesentlich von den allgemeinen und spezifischen Arbeitsbedingungen vor Ort abhängig (abgesehen von den persönlichen Voraussetzungen des einzelnen Mitarbeiters). 353 354 355 356 357 358 Vgl. SONNECK: Krisenintervention, 41f. Nach Gernot Sonneck besteht der Burnout-Zyklus aus zwölf Phasen: 1) Zwang, sich zu beweisen, 2) Verstärkter Einsatz, 3) Vernachlässigung eigener Bedürfnisse, 4) Verdrängung von Konflikten und Bedürfnissen, 5) Umdeutung von Werten, 6) Verleugnung der aufgetretenen Probleme, 7) Rückzug, 8) Änderung des Verhaltens, 9) Verlust des Gefühls für die eigene Persönlichkeit (Verpuppung), 10) Innere Leere, 11) Depression, 12) Völlige BurnoutErschöpfung. Ab der sechsten Phase wird das Syndrom problematisch und der Betroffene bedarf pro fessioneller Hilfe. Vgl. SONNECK: Krisenintervention, 45-47. Vgl. SCHMIDBAUER: Helfersyndrom und Burnout-Gefahr, 17. SONNECK: Krisenintervention, 50. Vgl. dazu die Fragebögen RD 1-3 (jeweils 14) und ferner Fragebögen NFS (12) und KID (13). Aus den Antworten in den Fragebögen RD 1-3 (jeweils 14) lässt sich schließen, dass die Befragten keine genaue Vorstellung vom Helfer-Syndrom haben (bes. RD 2 u. RD 3) und es daher gar nicht oder nicht in seiner ganzen Problematik sehen. Vgl. ferner Fragebogen NFS (12). Weiterführend sei zu diesen Themen verwiesen auf SCHMIDBAUER: Helfersyndrom und BurnoutGefahr und auf SONNECK: Krisenintervention, 40-50 und ferner auf RUNGGALDIER: Psychologie, 844f. Interessant hierzu ist auch die Publikation von Michael Johannes Späth, in der die Geschichte eines ehrenamtlichen Feuerwehrmanns und Rettungssanitäters erzählt wird, der sich in das Helfen immer mehr hineinsteigert und dabei sich selbst vernachlässigt. Weil er als Kind einem Freund nicht helfen konnte, will er nun möglichst zahlreich helfen können. Bei einem Einsatz wird er durch einen Unfall schwer verletzt, ist enttäuscht von der mangelnden Solidarität seiner Kameraden und gerät in eine tiefe Sinnkrise. Vgl. SPÄTH: Verbrannte Seele. 75 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Im Folgenden sollen zu diesen Themenbereichen beispielhaft und auszugsweise die Ergebnisse einer Umfrage innerhalb des Malteser Hilfsdienstes (MHD) und die Antworten auf den Fragebögen vorgestellt werden. Der MHD ist offensichtlich an der Meinung und Zufriedenheit seines Personals interessiert und hat daher in den Jahren 1999 und 2001 bundesweit alle seine RD-Mitarbeiter (Hauptamtliche, Ehrenamtliche, Zivildienstleistende und sonstige) danach befragt; 2001 haben sich 3.986 Personen, also 24,6 % des RD-Personals im MHD, an der Umfrage beteiligt. 360 Im Hinblick auf die zu leistende Anwesenheitszeit (bis zu 60 Stunden pro Woche) und damit auch zu den Arbeitsbelastungen haben sich die Befragten 2001 in der MHDRegion Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland wie folgt geäußert: Für 33,9 % sind diese problemlos leistbar, für 45,7% leistbar, für 17,3% kaum noch leistbar und für 3,1% eigentlich nicht mehr leistbar. 361 Ungefähr ein Fünftel schätzt also die Belastungen innerhalb des Dienstes als zu hoch ein. Die Vergütung wurde 2001 von den Befragten in den genannten drei Bundesländern wie folgt eingeordnet: Für 3,3% war die eigene Einkommenssituation sehr gut, für 19,5% gut, für 27,6% befriedigend, für 31,7% ausreichend und für 17,9% mange lhaft. 362 Fast die Hälfte der genannten Umfragepersonen stufen ihre Vergütung also mit den Schulnoten vier und fünf ein, sind demnach damit gar nicht zufrieden. Beachtenswert ist, dass fast ein Sechstel das eigene Gehalt (vermutlich im Hinblick auf die gele istete Arbeit und ihre persönliche finanzielle Situation) sogar als zu gering ansieht. Die Teamarbeit während der Einsätze schätzten im Jahr 2001 27,9% der Befragten als sehr gut, 57,1% als gut, 12,0% als befriedigend, 2,0% als ausreichend und 1,0% als mangelhaft ein. 363 Für 97% des oben definierten Personals ist die Zusammenarbeit mit 359 360 361 362 363 BUNDESANSTALT FÜR A RBEIT : Informationsmappe 130, F. 2.2. Vgl. MHD: Q-Tipp, 2. Alle Angaben ohne Gewähr des Verfassers. Dem MHD, besonders Klaus Runggaldier, sei für die Zusendung dieser Informationen gedankt. [Nachtrag: Auch im Jahr 2003 hat der MHD eine solche Umfrage durchgeführt, die hier aber nicht mehr berücksichtigt werden kann.] Vgl. MHD: Q-Tipp, 9. Im Vergleich dazu die Bewertungen von 1999: für 32,0% problemlos leistbar, für 46,7% leistbar, für 16,4% kaum noch leistbar und für 4,9% eigentlich nicht mehr leistbar. Vgl. MHD: Q-Tipp, 9. Die Ergebnisse in den übrigen MHD-Regionen vgl. ebenfalls MHD: Q-Tipp, 9. Der Q-Tipp begründet diese Fragestellung damit, „dass eine zu hohe Arbeitsbelastung der Auslöser von Arbeitsunzufriedenheit und Demotivation sein kann“ (MHD: Q-Tipp, 9) wie verschiedene Untersuchungen belegen. Vgl. MHD: Q-Tipp, 9. Vgl. MHD: Q-Tipp, 11. Im Vergleich dazu die Bewertungen von 1999: für 3,2% sehr gut, für 12,7% gut, für 40,5% befriedigend, für 21,4% ausreichend u. für 22,2% mangelhaft. Vgl. MHD: Q-Tipp, 11. Vgl. MHD: Q-Tipp, 6. Die Ergebnisse weiterer Fragen (unter anderem zur Ausstattung und zur Personalführung) sind dem genannten Q-Tipp des MHD zu entnehmen, da darauf nicht weiter eingegangen werden kann. 76 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer den Kollegen mindestens zufrieden stellend, mehr als ein Viertel stuft sie sogar als sehr gut ein. Im Anschluss an die Auswertung dieser Mitarbeiterbefragung von 2001 zog der MHD folgendes Fazit: „1. Die Zufriedenheit der Mitarbeiter/innen insgesamt konnte gege nüber 1999 verbessert werden. 2. Insgesamt ist die Unzufriedenheit der Mitarbeiter/innen bei zahlreichen wichtigen Aspekten [...] noch immer sehr ausgeprägt.“364 Als dritten Punkt halten die Verantwortlichen fest, dass „unbedingt gezielte Maßnahmen zur weiteren und konsequenten Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit erforderlich“365 sind. Ergänzend sei an dieser Stelle auf die Aussagen in den RD-Fragebögen im Anhang hingewiesen. Die drei befragten Mitarbeiter sind mit ihrem Arbeitsplatz im RD zufrieden. 366 Die beiden hauptamtlichen Rettungsassistenten nennen aber auch Punkte, die sie unzufrieden stimmen: die schlechte Bezahlung (beide), das Ansehen der RD-Mitarbeiter in der Öffentlichkeit, die Unwissenheit der Bevölkerung über den Beruf des Rettungsassistenten, die körperliche und psychische Belastung, der Zustand unseres Gesundheitssystems und die strenge Hierarchie der Krankenhausstruktur (jeweils ein Befragter). 367 Auch die Ängste der Befragten sollen nicht unerwähnt bleiben: Die beiden Hauptamtlichen befürchten gesundheitliche Probleme, die sie an der Ausübung ihrer Tätigkeit hindern könnten; einer von ihnen hat Angst, dass sein Arbeitsplatz aus Kostengründen wegrationalisiert wird. 368 Der ehrenamtliche RA hat „Angst vor dem eigenen Versagen und dem Wissen darüber, dass dies wahrscheinlich nicht zu verhindern ist.“369 3.5 Konkretes Beispiel: Rettungswache in Großkrotzenburg Die Lehrrettungswache Sama Hu 85 370 des ASB-Ortsvereins Großkrotzenburg (Landesverband Hessen) liegt im südlichen Main-Kinzig-Kreis (Rhein-Main-Gebiet), etwa 10 364 365 366 367 368 369 370 MHD: Q-Tipp, 20. Als wichtige Aspekte werden unter anderem die Kommunikation zwischen Führung und Mitarbeiter, Motivation durch Vorgesetzte und die Vergütung genannt. Vgl. MHD: Q-Tipp, 20. MHD: Q-Tipp, 20. Konkrete Ansätze hierzu sind dem Q-Tipp zu entnehmen. Vgl. Fragebögen RD 1-3 (jeweils 10). Vgl. dazu Fragebögen RD 1+3 (jeweils 10). Vgl. dazu Fragebögen RD 1+3 (jeweils 11). Vgl. dazu Fragebögen RD 2 (11). Sama Hu 85 ist der Funkrufname dieser Rettungswache und setzt sich wie folgt zusammen: „Sama“ ist der Funkname des ASB, „Hu“ das Autokennzeichen für Hanau und „85“ die Nummer der Wache im Main-Kinzig-Kreis. Die Funkrufnamen aller Fahrzeuge und Personen mit Leitungsfunktion des Ortsvereins setzen sich aus diesem Namen und einer weiteren Ziffer zusammen (z. B. Sama Hu 85/83 für den 24-Stunden-RTW); in der Praxis wird das „Sama“ gelegentlich auch weggelassen. 77 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer km von Hanau entfernt. 371 Zum Leistungsangebot und Programm des Ortsvereins gehören vor allem die Notfallrettung und der Krankentransport (24 Stunden täglich), der nichtmedizinische Transportservice, eine Schnell-Einsatz-Gruppe (SEG) 372 , die Voraushelfer-Gruppe 373 , der Katastrophenschutz (Sanitätszug), der Hausnotruf-Service 374 , Essen auf Rädern, Ausbildungskurse (Lebensrettende Sofortmaßnahmen, Erste-Hilfe u. a.), die Jugendarbeit (Arbeiter-Samariter-Jugend) und Sanitätsdienste am Badesee Freigericht West und bei verschiedenen Veranstaltungen. Die Wache ist der Zentralen Leitstelle „Main-Kinzig“ in Hanau zugeordnet, die die Notfallrettung und Krankentransport (mit insgesamt über 40 Fahrzeugen), den Katastrophenschutz und die Feuerwehren im gesamten Main-Kinzig-Kreis vollständig und rund um die Uhr koordiniert. Zum primären Einsatzgebiet der Rettungswache zählen aufgrund der gesetzlich festgelegten Hilfsfrist von zehn Minuten neben Großkrotzenburg auch die Hanauer Stadtteile Großauheim, Klein-Auheim und teilweise Steinheim. Zum sekundären Einsatzgebiet zählt der übrige Altkreis von Hanau, insofern die benötigte Anzahl an Rettungsmitteln dort nicht zur Verfügung steht. Das Einsatzgebiet von Sama Hu 85 grenzt unmittelbar an die Zuständigkeitsbereiche der Leitstellen Dietzenbach (Kreis Offenbach in Hessen) und Aschaffenburg (Bayern) an. Im Bedarfsfall werden also auch Notfalleinsätze aushilfsweise in Gemeinden dieser Gebiete übernommen, wenn deren eigene Rettungsmittel bereits vergeben sind und die Hanauer Leitstelle ein Großkrotzenburger Fahrzeug dafür bereitstellen kann. Das Einsatzgebiet lässt sich ferner als eine Mischung zwischen Stadt- und Landrettung einordnen. 375 Als Gefahrenpotentiale gehören Abschnitte der Autobahn 45 und der Bun371 372 373 374 375 Die Informationen dieses gesamten Abschnittes basieren auf Gesprächen mit dem RD-Personal der genannten Wache. Hierzu gehören Rettungsassistenten, -sanitäter und -helfer, die von der Leitstelle per FME alarmiert werden, um Rettungsmittel als SEG oder als so genannter Hintergrund-Rettungsdienst zusätzlich zu besetzen, wenn der reguläre Rettungsdienst die Grenzen seiner Kapazitäten erreicht hat. Zu dieser Gruppe gehören entsprechend ausgebildete und ausgestattete Helfer und Rettungsdienstler, die vor allem bei der Einsatzindikation der Reanimation von der Leitstelle zusätzlich zum regulären Rettungsdienst per FME alarmiert werden, weil sie aufgrund von räumlicher Nähe eventuell schneller als dieser am Einsatzort sein können und dadurch die entscheidende Zeit mit lebensrettenden Sofortmaßnahmen überbrücken können. Diese Voraushelfer, auch First Responder genannt, sind aber durch die Alarmierung nicht zum Einsatz verpflichtet. Das Hausnotruf-System ist ein Angebot vor allem für hilfsbedürftige und ältere Menschen, die alleine zu Hause wohnen. Über eine Telefonanlage und einen Notfallknopf zum Umhängen können sie in Notfällen direkt mit einer Zentrale Kontakt aufnehmen, die je nach Anlass weitere Hilfsmaßnahmen einleitet und gegebenenfalls einen Helfer mit dem Wohnungsschlüssel vor Ort schickt. Die Stadtrettung ist im Vergleich zur Landrettung vor allem durch höhere Einsatzzahlen geprägt (Bevölkerungsdichte). Aufgrund von verstärkter Industrie und einem größeren Aufkommen im Straßenverkehr sind bei der Stadtrettung entsprechende Einsatzindikationen (zum Beispiel Betriebs- und Verkehrsunfälle) entsprechend häufiger gegeben. 78 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer desstraße 43a, der Badesee Freigericht West und ein Kohlekraftwerk zum primären, die Industrie in Hanau zum sekundären Einsatzbereich. Zum hauptamtlichen RD-Personal der Wache gehören derzeit (September 2003) eine Rettungsassistentin, acht Rettungsassistenten (darunter der Wacheleiter und Desinfektor und zwei Lehrrettungsassistenten) und vier Rettungshelfer. Das Durchschnittsalter beträgt 31 Jahre, die Spanne liegt dabei zwischen 22 und 62 Jahren. Wegen der Verkürzung der Zivildienstzeit lohnt es sich für die Wache kaum, Zivildienstleistende im RD einzusetzen, wohl aber für Essen auf Rädern und den Hausnotruf-Service. Zum ehrenamtlichen RD-Personal des Ortsvereins gehören zwei Rettungsassistenten, zehn Rettungssanitäter und -innen, zwei Rettungshelfer und zwei Praktikanten; das Durchschnittsalter liegt hier unter 30 Jahren. Alle Helfer sind im Rahmen ihres Dienstes versichert. Die Dienstkleidung (Rettungshose und -hemd, Einsatzjacke und Sicherheitsschuhe entsprechend der Norm) wird vom Ortsverein bereitgestellt und gereinigt. Die Großkrotzenburger Rettungswache verfügt über drei regulär eingesetzte Re ttungstransportwagen (Hu 85/83, Hu 85/84 und Hu 85/86), die nach Norm ausgestattet sind und auch für den Krankentransport benutzt werden können. Ferner besitzt sie Fahrzeuge für den Katastrophenschutz, Hausnotruf und Essen auf Rädern. Die Rettungswagen werden entsprechend dem Hessischen RD-Gesetz (HRDG) besetzt. 376 Die Dienstzeiten im RD ergeben sich – wie bereits erwähnt – aus der Arbeitsund der Bereitschaftszeit, so dass nicht immer die gesamte Dienstzeit vergütet wird. 377 Neben der Notfallrettung sind vom Personal auch Arbeiten auf der Wache zu verrichten; so müssen beispielsweise die Fahrzeuge regelmäßig komplett desinfiziert und die Medikamente auf Vollständigkeit und Haltbarkeit überprüft werden. Der Dienstplan der Hauptamtlichen ist unterschiedlich gestaltet; in der Regel werden sie drei oder vier Tage zur gleichen Schicht eingeteilt und nach einem freien Tag oder zwei freien Tagen wieder zu einem anderen Schichtdienst verpflichtet. Die Ehrenamtlichen können sich beliebig in den Plan eintragen. Durch statistische Berechnungen wurde der durchschnittliche Bedarf der Leitstelle an Rettungsfahrzeugen im Einsatzgebiet, die so genannten Vorhaltezeiten, ermittelt und 376 377 Das bedeutet, dass die RTW-Besatzung mindestens aus einem Rettungshelfer (oder höhere Ausbildung) als Fahrer und einem Rettungsassistenten als Beifahrer besteht. Vgl. dazu III, 3.4.1. 79 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer dann auf vier verschiedene Schichten (Tag-, Nacht-, Kurz- und „Dialyse“378 -Dienst) wie folgt übertragen: Schicht Fahrzeug Dienstzeit Angerechnete Arbeitszeit T-Schicht (täglich): N-Schicht (täglich): Hu 85/83 Hu 85/83 07-18 Uhr 18-07 Uhr 08,8 von 11,0 Stunden 10,4 von 13,0 Stunden D-Schicht (Mo.-Do.): D-Schicht (Fr.): D-Schicht (Sa.): K-Schicht (Mo.-Do.): K-Schicht (Fr.): K-Schicht (Sa.): Hu 85/86 Hu 85/86 Hu 85/86 Hu 85/84 Hu 85/84 Hu 85/84 06-13 Uhr 06-12 Uhr 07-14 Uhr 09-16 Uhr 09-15 Uhr 10-19 Uhr 07,0 von 07,0 Stunden 06,0 von 06,0 Stunden 07,0 von 07,0 Stunden 07,0 von 07,0 Stunden 06,0 von 06,0 Stunden 07,2 von 09,0 Stunden Im Jahr 2002 absolvierte das Personal der Großkrotzenburger Wache insgesamt 2.304 Alarmierungen (davon 1.613 Einsätze und Notfälle, 374 Krankentransporte und 317 Fehleinsätze 379 ). Vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2003 waren es 919 Einsätze und Notfälle, 481 Krankentransporte und 211 Fehleinsätze und 12.990 gefahrene Kilometer. 380 Das Wachgebäude bietet dem Personal neben dem Wach- und Aufenthaltsraum mit TVund Musik-Anlage auch ein Ausbildungszimmer und weitere Sozialräume (Umkleideraum, eine kleine Küche, zwei Ruheräume, Toiletten und Dusche). Für die haupt- und ehrenamtlichen Helfer gibt es auf der Wache unter anderem die folgenden Angebote: ein wöchentlicher Treffpunkt am Abend, monatliche Fortbildungen, Ausbildungen und Übungen für Rettungs-, Sanitätsdienst und Katastrophenschutz. Für die Stressbearbeitung und Gespräche nach belastenden Einsätzen wird auf das Verantwortungsbewusstsein des jeweiligen Rettungsteams vertraut. Ein in CISM 381 ausgebildeter Rettungsassistent, zwei wachinterne Helfer des Kriseninterventionsdienstes und die beiden Ortspfarrer (von evangelischer und katholischer Seite) stehen auf Anfrage jederzeit für Gespräche zur Verfügung; allerdings wird auf diese Angebote nicht (mehr) durch einen ständigen Aushang an der Informationswand hingewiesen. 378 379 380 381 Bei der Einrichtung dieser Schicht wurde damit gerechnet, dass vor allem Transporte von Dialysepatienten von diesem Dienst durchzuführen sind. Fehleinsätze sind Fahrten, die ohne Transport eines Patienten beendet worden sind, weil der Patient diesen verweigert hat, verstorben ist oder weil am Einsatzort keine Rettungsdienstindikation vorlag oder die Leitstelle den Einsatz abgebrochen hat. Die Kosten dieser Fahrten können nicht mit den Krankenkassen abgerechnet werden und müssen somit von der Rettungswache getragen werden. Bei diesen Zahlen ist zu berücksichtigen, dass bis Dezember 2002 nur zwei RTW im Dienst waren, die in drei Schichten (Hu 85/84: täglich Tag- und Nachtschicht; Hu 85/83: montags bis freitags Kurzschicht von 9-17 Uhr) eingeteilt worden sind. Auf das Critical Incident Stress Management wurde bereits in II, 3.1.1.3 eingegangen. 80 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Die Aufgaben der NFS und des KID wurden bereits in Fortbildungseinheiten vorgestellt. Die Nachforderung von NFS und KID über die Leitstelle bleibt dem jeweiligen Rettungsteam überlassen. 382 4 Mensch und Kirche im Rettungsdienst 4.1 Menschenbild im Rettungsdienst Das Menschenbild, das eine Person oder Organisation hat, prägt nicht nur deren Verständnis von den Mitmenschen und von sich selbst, sondern auch deren Umgangsweisen mit sich und den anderen. 383 Die Medizin und somit auch die Notfallmedizin sind vom naturwissenschaftlichen Denkansatz des René Descartes (1596-1650) geprägt, der den Menschen als Dualismus von Körper und Geist ansieht. Sie hatte ihr Menschenbild immer mehr auf den Körper reduziert und diesen, angelehnt an Descartes, als eine Art reparable Maschine betrachtet. Die Notfallmedizin konzentrierte sich demnach vor allem auf die Vitalfunktionen. 384 Ungefähr seit Mitte der 1980er Jahre hat allmählich ein Umdenkprozess stattgefunden. Seitdem wird immer mehr Wert darauf gelegt, dass der Mensch auch im RD und in der Notfallmedizin nicht mehr auf seine Vitalfunktionen reduziert, sondern wieder ganzheitlich als ein Geschöpf mit vielen Dimensionen und Bedürfnissen (vor allem phys ischer, psychischer, sozialer, kultureller und auch spiritueller Art) wahrgenommen und behandelt wird, „als Einheit von Körper, Geist und Seele.“385 Diese Rückbesinnung hat im RD das Patientenbild und das Mitarbeiterbild immer mehr verändert und dadurch Konsequenzen – sowohl für die Patientenbetreuung als auch in 382 383 384 385 Im Main-Kinzig-Kreis gibt es ferner eine Arbeitsgemeinschaft Krisenintervention, Notfallseelsorge und Stressbewältigung unter der Leitung des ärztlichen Leiters für den RD, in der Mitglieder aus dem RD, der Feuerwehr, der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) und der NFS gemeinsam an einem Tisch sitzen und beraten. Vgl. SALOMON: Das Menschenbild, 242. Vgl. SALOMON: Das Menschenbild, 242f. Fred Salomon verweist dabei auf Descartes’ Meditationen über die Erste Philosophie (1642). Salomon bemerkt ferner, dass „die Konzentration auf die lebenswichtigen Systeme von Herz-Kreislauf, Atmung und Gehirn [...] eine Schutzmauer gegen das Hervorbrechen von Gefühlen und Erfahrungen der eigenen Betroffenheit, eine Schutzmauer gegen die Konfrontation mit der eigenen Verletzlichkeit“ (SALOMON : Das Menschenbild, 243) bietet. Diese Schutzmauern sind aber zu hinterfragen, sobald „sie die Selbstwahrnehmung oder die Beziehung zu anderen Menschen beeinträchtigen.“ (SALOMON : Das Menschenbild, 243.) KARUTZ: Mit dem Notfallpatienten einen „PAKT“ schließen, 212. Vgl. dazu auch FALK: Ethische, psychologische und theologische Aspekte, 361f und vgl. auch SALOMON: Das Menschenbild. Im RD kam und kommt es auch heute noch vor, dass in der Kommunikation Patienten oft auf ihre Krankheit oder Verletzung reduziert werden. So wird zum Beispiel von manchem RD-Personal eine Lungenentzündung oder eine Kopfplatzwunde im Krankenhaus angemeldet – für die Ärzte ist es natürlich hilfreich, wenn zusätzlich auch der dazugehörige Patient mitgebracht wird. 81 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Bezug auf die Fürsorge für die Einsatzkräfte – mit sich gebracht, auf die in den weiteren Unterpunkten eingegangen werden soll. 386 4.1.1 Konsequenzen in der Patientenbetreuung Durch die oben genannte Tendenz, im RD den Menschen wieder ganzheitlich zu betrachten, wurde Ende der 1980er Jahre immer mehr auch die Lücke der psychischen beziehungsweise seelsorglichen Betreuung im RD wahrgenommen. In vielen Regionen sind daher der KID (bzw. die KIT), die NFS und die SbE® eingerichtet worden. 387 In zahlreichen Publikationen, in den Hilfsorganisationen und beim RD-Personal wird seitdem immer mehr die Meinung vertreten, dass es im RD nicht darum gehen kann, sich bei der Versorgung auf die medizinischen Parameter zu beschränken. Mehr und mehr wird darauf geachtet, auch die seelischen Zustände (wie Angst, Einsamkeit und Ungewissheit etc.) und Bedürfnisse (zum Beispiel nach Zuwendung) des Patienten und gegebenenfalls seiner Angehörigen in den Blick zu nehmen und darauf einzugehen. 388 „Immer mehr Rettungsdienstmitarbeiter erkennen, dass die qualifizierte psychotraumatologische Intervention im Rahmen eines Einsatzgeschehens integraler Bestandteil des rettungsdienstlichen Auftrags ist. Rettungsdienst wird damit nicht auf eine Vitalfunktionsmechanik reduziert, sondern hält ein ganzheitliches Menschenbild im Blick“389 , so Andreas Müller-Cyran. Demnach steht also „im Zentrum der Bemühungen der Notfallmedizin [...] der hilfsbedürftige Mensch. Er braucht die Kompetenz der Helfer als Vitalfunktionsexperten und ebenso ihre persönliche Zuwendung.“390 Weiter zeigen „mannig386 387 388 389 390 FALK: Ethische, psychologische und theologische Aspekte, 362f. Die genannten Einrichtungen sind bereits unter II, 3.1.1 dargestellt worden. Vgl. zu dieser Thematik auch GIERING: Lücke im Gefüge der Rettungsdienste. Vgl. SALOMON: Das Menschenbild, 245. Als Publikationen seien stellvertretend PETER: Der Betreuungseinsatz und FERTIG / WIETERSHEIM: Menschliche Begleitung und Krisenintervention im Rettungsdienst und BENGEL: Psychologie in Notfallmedizin und Rettungsdienst und KARUTZ: Mit dem Notfallpatienten einen „PAKT“ schließen genannt. Auf die einzelnen Hilfsorganisationen wird später noch näher eingegangen. Vgl. auch Fragebögen RD 1-3 (jeweils 12). Diese bestätigen tendenziell die genannte Entwicklung, vor allem RD 3; RD 1 geht eher auf Emotionen und die Distanz ein als auf sein Patientenbild; was seiner Meinung nach „das Beste“ für den Patienten ist, beantwortet er nicht. RD 2 beschränkt sich in der akuten Notsituation vor allem auf die Vitalparameter, sieht aber generell im Patienten einen ganzheitlichen Menschen. Andreas Müller-Cyran in DASCHNER: KIT – Krisenintervention im Rettungsdienst, 8. Weiter heißt es dort: „In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass die psychologisch-humanitäre Kompetenz ein wesentlicher Bestandteil des Berufsbildes ‚Rettungsassistent’ geworden ist. Die berufliche Identität des Rettungsassistenten erschöpft sich nicht in seiner wesentlichen Zuordnung als Assistent des (Not-) Arztes. Es gehört nunmehr zum beruflichen Profil [...], psychisch traumatisierte und trauernde Menschen in der Akutsituation zu identifizieren und selbst verantwortlich zu intervenieren.“ (Andreas Müller-Cyran in DASCHNER: KIT – Krisenintervention im Rettungsdienst, 8f.) SALOMON : Das Menschenbild, 245. Vgl. zum ersten Teil des Zitats die bereits in der Kriteriologie (unter II, 2.2.1) angeführte Aussage der Pastoralkonstitution: „Der Mensch also, der eine und ganze Mensch, mit Leib und Seele, Herz und Gewissen, Vernunft und Willen steht im Mittelpunkt unserer Ausführungen.“ (ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Gaudium et spes, Nr. 3.) Auf Seite 2 dieser 82 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer fache Erfahrung und mittlerweile auch einige Studien [...], dass Entscheidungen, Handlungen, Verzicht auf Maßnahmen oder die Geschwindigkeit der Hilfe nicht nur von harten medizinischen Fakten, sondern auch von sozialen, emotionalen, psychischen Gegebenheiten und Wertvorstellungen der Beteiligten beeinflusst werden.“391 Als ein guter Fortschritt in diesem Bereich kann angesehen werden, dass Schulungen und Fortbildungen des RD-Personals in psychologischem Grundwissen und BasisKrisenintervention und die Beteiligung des KID oder der NFS bei problematischen Einsätzen in vielen Gebieten immer selbstverständlicher werden. 392 4.1.2 Konsequenzen bei der Fürsorge für die Einsatzkräfte Das ganzheitliche Menschenbild muss sich auch in der Fürsorge der Dienststellen für ihr RD-Personal und auch im Umgang der Einsatzkräfte mit sich selbst widerspiegeln. Es gilt, dabei auch die Grenzen und Probleme der Helfer zu berücksichtigen. 393 Die Einsatznachsorge wird allerdings „nach wie vor als Stiefkind behandelt.“394 Die Frage bleibt, inwiefern die RD-Mitarbeiter solche Angebote akzeptieren, für sich selbst als notwendig und hilfreich erachten und schließlich nutzen. Nicht selten werden im RD Gefühle und Befürchtungen als Schwächen verdrängt. Es wird versucht, einfach zur Normalität zurückzukehren und sich dadurch von einem erlebten Trauma abzulenken. Schließlich wird unter Umständen zu Alkohol oder Medikamenten gegriffen. 395 391 392 393 394 395 Ausgabe sind beide Formulierungen gegenübergestellt und können eine Grundlage für die Zusammenarbeit bilden: Gemeinsam den Menschen im Mittelpunkt. SALOMON : Das Menschenbild, 246. Vgl. dazu auch die deutliche Aussage in einem Leitfaden zur Ersten Hilfe: „Genauso wichtig wie eine einfache Wundversorgung oder eine lebensrettende Maßnahme ist immer auch die psychische Betreuung des Notfallpatienten [...]. Bei allen Notfallsituationen trägt die psychische Betreuung zur Schockvorbeugung bei.“ (ASB: Erste Hilfe, 37.) Vgl. dazu auch Fragebogen RD 3 (13.1): „Ein Gespräch und menschliche Zuwendung kann oft mehr bewirken als so manches Medikament.“ Ganz im Gegensatz dazu steht eine Publikation von Gustav Zöch aus dem Jahr 1927, die im Rahmen von Erste-Hilfe-Maßnahmen überhaupt nicht auf psychische Betreuung eingeht und nur die physische Seite der Notfallversorgung kennt. Vgl. ZÖCH: Erste Hilfe . Natürlich gibt es noch einiges auf diesen Gebieten zu verbessern und an der Diskrepanz zwischen Ideal und Praxis zu arbeiten, aber ein guter Anfang ist auf jeden Fall gemacht. Nicht unerwähnt ble iben soll an dieser Stelle, dass es in den vergangenen Jahren auch weiterhin Publikationen gab, die die psychische Betreuung u. ä. nicht berücksichtigen. So ist zum beispielsweise in einem Leitfaden für Einsatzorganisation bei Katastrophen (von 1996) keinerlei Hinweis auf psychische Belastungen, NFS, KID und Stressbearbeitung zu finden, sondern nur eine rein technische Abwicklung der Rettungsmaßnahmen. Der Aspekt der Betreuung meint hier vor allem die Versorgung mit Lebensmitteln und Unterbringung von Hilfsbedürftigen; Köche u. ä. werden deshalb dafür bevorzugt benötigt. Vgl. BITTGER: Großunfälle und Katastrophen, bes. 52 u. 73. Vgl. SALOMON: Das Menschenbild, 245. Vgl. zur aktuellen Situation auch LOVENFOSSE / FALK: Mediatorenmodell im Rettungsdienst, 376f. Auf die zahlreichen und vielfältigen Belastungen des Rettungsdienstes wurde bereits eingegangen und die gängigen Methoden zur Stressbearbeitung belastender Einsätze (SbE®) im Rahmen einer Einsatznachsorge wurden vorgestellt. Vgl. dazu III, 3.4.2 (zu den Belastungen im RD) und II, 3.1.1.3 (zur Einsatznachsorge). FLATTEN: Der hilflose Helfer, 269. Vgl. STEPAN / JATZKO: Traumatherapie in der Diskussion, 547. Vgl. dazu auch III, 3.4.2.1. 83 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Aus den Fragebögen lassen sich folgende Methoden der Stressbewältigung bei den Befragten herauslesen: Gespräche im Rettungsteam und beziehungsweise mit Familiena ngehörigen oder Freunden, Musikhören oder ein Nachsorgegespräch mit einem qualifizierten Kollegen (des KID). 396 Die Mehrheit der Befragten bewertet die bisherige Akzeptanz und Nutzung von Bewältigungsangeboten eher skeptisch. 397 Natürlich kann kein RD-Mitarbeiter zu einer begleiteten Stressbearbeitung gezwungen werden, doch es ist sinnvoll, wenn die Dienststellen im Rahmen ihrer Fürsorge auch Stressbewältigungsangebote mit qualifizierten und erfahrenen Helfern ermöglichen. 398 Innerhalb des Rettungsdienstes kann das so genannte Mediatorenmodell mit dem Leitwort Mensch im Mittelpunkt, das 1994 vom MHD eingeführt wurde, eine besondere Rolle bei der Einsatznachsorge spielen. 399 Das Modell ist aus sechs Handlungseinheiten zusammengesetzt, die ineinander greifen: 1) Bewusstseinsveränderung innerhalb der jeweiligen RD-Organisation zu einem neuen ethischen Verständnis (Mitarbeiterzufriedenheit erhöhen, um dadurch Leistungsbereitschaft und Qualität zu steigern, vor allem im Bereich der Patie ntenbetreuung), 2) Aufnahme von Lernzielen der Bereiche Ethik, Psychologie und Theologie in die RD-Ausbildung, 3) Grundlagenseminar in Kommunikation (langfristig für jeden Mitarbeiter), 396 397 398 399 Vgl. Fragebögen RD 1-3 (jeweils 15.2 u. 15.3). Der Fragebogen KID (12) nennt zusätzlich die Supervision und das „Auftanken“ beim Gottesdienst. Ergänzend seien hier die Ergebnisse der Umfrage von Denise Thomas genannt. Danach sind für die befragten RD-Mitarbeiter nach einem belastenden Einsatz (Beispiel SIDS) die Gespräche mit den Kollegen am wichtigsten, ferner zusätzlich Gespräche mit dem Lebenspartner (55% der Befragten) und mit dem Freundeskreis (45%). Vgl. Denise Thomas in HELMERICHS: Erfahrungen des Rettungsdienst-Personals, 114. „Außerdem scheint der Glaube bei der Verarbeitung eine Rolle zu spielen. Sowohl der Tod an sich als auch der Tod eines Kindes kann – so lautet das Auswertungsergebnis – mit Religiosität besser bewältigt werden.“ (Denise Thomas in HELMERICHS: Erfahrungen des Rettungsdienst-Personals, 114.) Vgl. Fragebögen KID (13, 14.1 u. 14.2), NFS (11.2), RD 3 (15.5) und RD 1 (15.5 u. 14); lediglich Fragebogen RD 2 schreibt: „Die Mehrheit sieht eigentlich keine Heldentat mehr darin, über Erlebnisse offen zu sprechen.“ (Fragebogen RD 2, 15.3.) Interessant ist zu diesem Aspekt auch die folgende Aussage über die RD-Kräfte von Hans Ulrich Giesen im Rahmen der Einsatznachsorge von Eschede: „Vielfach fehlte jegliches Wissen über die Tatsache, daß es belastende Momente bei solchen Einsätzen gibt und daß es Maßnahmen zur Reduktion und Verkürzung der möglichen Störungen gibt... Lediglich bei den Malteser Kräften, die in das Projekt Mensch im Mittelpunkt eingegliedert sind, zeigte sich ein hoher Bekanntheitsgrad und Sensibilität für Einsatznachsorge. Hier scheint das Projekt mit dem Ziel, pro Dienststelle mindestens einen Mediator zu haben, Früchte zu tragen.“ (GIESEN: Einsatznachbereitung nach dem ICE-Unfall in Eschede, 8.) Das genannte Mediatorenmodell wird in diesem Abschnitt noch genauer vorgestellt. Vgl. STEPAN / JATZKO: Traumatherapie in der Diskussion, 547. Roman Lovenfosse und Bernd Falk sehen in der hohen Fluktuation im RD möglicherweise einen Indikator für ungenügende Angebote auf diesem Gebiet Vgl. LOVENFOSSE / FALK: Mediatorenmodell im Rettungsdienst, 377. Vgl. RUNGGALDIER: Psychologie, 856. Zur Einsatznachsorge sei allgemein weiter verwiesen auf W ATERSTRAAT : Aspekte der Einsatznachsorge nach einem Massenanfall von Verletzten, bes. 4-8 und auf W ATERSTRAAT : Der Mensch in der Katastrophe, 41-43. 84 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer 4) Grundlagenseminar in Stressbewältigung (langfristig für jeden Mitarbeiter), 5) Ausbildung von Mediatoren und 6) Ausbildung von CISM- beziehungsweise SbE®-Teams (mittlerweile bundesweit an vier Standorten und jeden Tag 24 Stunden abrufbereit). 400 Der Mediator ist ein zusätzlich geschulter RD-Mitarbeiter und hat als Vermittler zw ischen Kollegen, Dienststelle und den im Einzelfall benötigten psychosozialen Fachkräften (zum Beispiel Dozenten und CISM-/SbE®-Team) eine wichtige Funktion. 401 „Dabei bleibt er Kollege im Team ohne Vorgesetztenrolle“402 , gibt Impulse für das Fortbildungsprogramm und organisiert bei Bedarf für belastete Einsatzkräfte Nachsorgegespräche nach CISM. 403 4.2 Mensch und Kirche bei den Hilfsorganisationen In diesem Abschnitt soll auf die vier großen Hilfsorganisation im RD eingegangen werden, die einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung und Praxis des Rettungswesens geleistet haben und auch heute noch leisten: der ASB, das DRK, die JUH und der MHD. Ein Blick in die Entstehungsgeschichte, das normative Leitbild und das Programm der jeweiligen Organisation soll prüfen, welches Ideal und Menschenbild ihr Tun prägt und ob sich eine Zusammenarbeit mit der Kirche zum Wohl der Menschen (Patienten, Angehörige und Einsatzkräfte) vorstellen lässt. Einleitend lässt sich bereits jetzt festhalten, dass die in der Kriteriologie (unter II, 2.1.2) ausführlich behandelte Samariter-Perikope aus Lk 10,25-37 als „unverzichtbarer Bestandteil der theologischen Grundlagen“404 der Hilfsorganisationen JUH und MHD, die beide mit den christlichen Kirchen verbunden sind, zu sehen ist. Auch über den binne n400 401 402 403 404 Vgl. RUNGGALDIER: Psychologie, 856-858. Vgl. dazu auch LOVENFOSSE / FALK: Mediatorenmodell im Rettungsdienst, 377-381. Auf CISM wurde bereits unter II, 3.1.1.3 eingegangen. Die Inhalte der Mediatorenausbildung sind neben Kommunikation, Stressbewältigung unter anderem auch Moral und Ethik im Rettungsdienst und auch die Bedürfnisse von Patienten, Angehörigen und Einsatzkräften. Vgl. LOVENFOSSE / FALK: Mediatorenmodell im Rettungsdienst, 381. RUNGGALDIER: Psychologie, 857. Dass ein RD-Kollege diese vermittelnde Rolle als Ansprechpartner und Impulsgeber einnimmt, hat eine entscheidende Bedeutung für die Akzeptanz unter den Mitarbeitern. Bestätigend sei die folgende Aussage aus einer Reflexion zur Einsatznachsorge von Eschede angeführt: „Viele Einsatzkräfte gaben die Rückmeldung, daß die Einsatznachbesprechungen auch deshalb akzeptiert werden konnten, weil sie überwiegend von geschulten Kollegen und Kolleginnen aus Feuerwehr und Rettungsdienst durchgeführt wurden. Das Konzept der ‚psychologischen Kollegenhilfe’ hat sich hier bewährt.“ (HELMERICHS: Einsatznachsorge, 120.) Auch einige Fragebögen bekräftigen diesen Aspekt. Vgl. Fragebögen RD 1 (15.2), KID (12) und NFS (11.2). Vgl. RUNGGALDIER: Psychologie, 857. Zum Aspekt der (allgemeinen) Stressbewältigung für RDMitarbeiter sei ferner hingewiesen auf FERTIG: Stress und Stressbewältigung im Rettungsdienst, 383393 und LANDEN: Möglichkeiten der Stressbewältigung und W IETERSHEIM: Psychische Aspekte beim Betreuungseinsatz, 143-151 und auch FALK: Ethische, psychologische und theologische Aspekte, 368-370. W IETERSHEIM : Der barmherzige Samariter, 36. 85 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer kirchlichen Kontext hinaus baut diese Beispielgeschichte eine Brücke zu den anderen Hilfsorganisationen, für die der barmherzig handelnde Samariter der Bibel ebenso ein Vorbild darstellt: der Arbeiter-Samariter-Bund hat ihn sogar in seinen Verbandsnamen aufgenommen und ebenso folgt das Rote Kreuz diesem Ideal eines Helfers. 405 Ferner lässt sich allgemein bemerken, dass die Hilfsorganisationen „aus unterschiedlichen Traditionen und Wertvorstellungen heraus“406 entstanden sind; „der Anlaß der Gründung war jedoch immer die Hilfsbedürftigkeit von Menschen.“407 Gemeinsam ist allen vier Organisationen ebenfalls, dass sie ein Kreuz (in verschiedenen Formen), das christliche Symbol für den Sieg des auferstandenen Herrn über den Tod, in ihren Emblemen tragen; das DRK führt es sogar in seinem Namen. Alle vier Hilfsorganisationen engagieren sich nicht nur im RD, KID (bzw. KIT) und Katastrophe nschutz, sondern auch im Sozialdienst, in der Kranken- und Altenpflege, in der Hospizbewegung, in der Jugendarbeit und in weiteren karitativen Bereichen. 4.2.1 Mit der Kirche verbundene Hilfsorganisationen Die JUH und der MHD haben einen gemeinsamen Ursprung in der Ritterbruderschaft Sankt Johannis zum Spital von Jerusalem, die 1099 in den Wirren des ersten Kreuzzuges entstanden ist, um die Verwundeten und Kranken, unabhängig von deren Religion, zu pflegen. Diese Hospitalbruderschaft besteht seit der Reformation im evangelischen Johanniterorden und im katholischen Malteserorden fort, die beide gemäß dem Ideal der christlichen Nächstenliebe die Sorge um Not leidende Menschen (vor allem Kranke, Verletzte und Schwache) als ihre Hauptaufgabe übernommen haben. 408 Als sich Anfang der 1950er Jahre das Rettungswesen allmählich weiterentwickelte, sahen beide Orden die Notwendigkeit, zur Unterstützung jeweils eine eigene Hilfsorganisationen zu gründen: 1952 die JUH durch den Johanniterorden und 1953 der MHD durch den Malteserorden. 409 4.2.1.1 Johanniter-Unfall-Hilfe e. V. 405 406 407 408 Vgl. W IETERSHEIM: Der barmherzige Samariter, 36. Ferner sei auf den Leitsatz der Feuerwehr („Gott zur Ehr, dem Nächsten zur Wehr“) hingewiesen, der dem Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe in Lk 10,27 entspricht, und auch auf den Slogan „Die Polizei als Freund und Helfer“, der ebenso auf die genannte biblische Geschichte verweist. Vgl. W IETERSHEIM: Der barmherzige Samariter, 36. FALK: Ethische, psychologische und theologische Aspekte, 359. FALK: Ethische, psychologische und theologische Aspekte, 359. Vgl. FALK: Ethische, psychologische und theologische Aspekte, 360 und vgl. M ETZSCH: Menschen helfen Menschen, 69. 86 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Die Präambel der JUH fasst ihr Selbstverständnis in folgender Aussage zusammen: „Im Bewußtsein der Tradition christlicher Nächstenliebe, der die Johanniter seit Jahrhunderten verpflichtet sind, und herausgefordert durch die Nöte und Gefahren der Welt, will die Johanniter-Unfall-Hilfe in Verantwortung vor Gott dem leidenden Menschen unserer Zeit beistehen.“410 Die JUH ist ein Ordenswerk des Ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem (Johanniterordens) und ist an dessen Herrenmeister und seine Weisungen gebunden. 411 Sie sieht sich „als Teil der evangelischen Christenheit und gestaltet die Verbindungen zu den Kirchen auf allen Ebenen so eng wie möglich.“412 Die JUH ist als Hilfsorganisation und Wohlfahrtsverband „dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland als Fachverband unmittelbar angeschlossen.“413 Als ihre Aufgabe sieht die JUH den Dienst am Nächsten und zählt dazu unter anderem die Betätigung und Aus- und Fortbildung in den Bereichen Erste Hilfe, Sanitätsdienst, RD (auch Berg- und Wasserrettung), Krankentransport und Notfallfolgedienst (also KID bzw. KIT). 414 Die JUH verpflichtete sich 1994 daran zu arbeiten, dass „psychische Erste Hilfe [...] in adäquater Form, zu jeder Zeit, an jedem Ort, in jeder Lage bei Helfern, Unfallopfern und dritten Beteiligten geleistet“415 wird. Als Angebote der JUH auf diesem Gebiet gibt es unter anderem: Seelsorge in Notfällen (SiN) und Unfallfolgedienste, Breitenausbildungen in Erste Hilfe von Mensch zu Mensch, Spezialausbildungen mit psychologischen und psychiatrischen Grundkenntnissen und ferner Einheiten zur psychischen Betreuung von Kranken und Verletzten in der RA-Ausbildung. 416 4.2.1.2 Malteser-Hilfsdienst e. V. 409 410 411 412 413 414 415 416 Vgl. FALK: Ethische, psychologische und theologische Aspekte, 360 und vgl. M ETZSCH: Menschen helfen Menschen, 69. JUH: Satzung der JUH, 1; eigene Hervorhebungen. Vgl. dieselbe Aussage in JUH: Leitbildfaden. Vgl. JUH: Satzung der JUH, 1. JUH: Satzung der JUH, 1. Vgl. dazu dieselbe Aussage in JUH: Leitbildfaden. Zu den Mitgliedern heißt es in der Satzung: „Mitglied der JUH kann werden, wer bereit ist, an der Erfüllung ihrer Aufgaben mitzuwirken [...]. Mitglieder und Angestellte der JUH gehören in der Regel einer der Kirchen an, die in der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland e.V. zusammengeschlossen sind. Alle Mitglieder und Angestellten müssen den Auftrag und die evangelische Grundrichtung der JUH achten.“ (JUH: Satzung der JUH, 3; eigene Hervorhebungen.) JUH: Satzung der JUH, 1. Vgl. JUH: Satzung der JUH, 2. FALK: Ethische, psychologische und theologische Aspekte, 372. Vgl. FALK: Ethische, psychologische und theologische Aspekte, 371. Von der JUH waren auf schriftliche Anfrage keine weiteren Informationen zu erhalten. 87 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Der MHD wurde von zwei Assoziationen des Malteserritterordens und dem Deutschen Caritasverband gegründet „in dem Bestreben [...], den seit 900 Jahren geltenden Ordensleitsatz ‚Wahrung des Glaubens und Hilfe den Bedürftigen’ und die christliche Nächstenliebe in zeitgemäßer Form zu verwirklichen“417 , wie die Präambel der MHDSatzung festhält. Er versteht sich als „eine Dienst- und Weggemeinschaft innerhalb der katholischen Kirche mit dem Anspruch, von Gott geschenktes Heil weiterzugeben und das Evangelium konkret werden zu lassen [...]. Die Präsenz von Maltesern zielt darauf, Heil erfahren zu lassen, Menschen aufzurichten und einen Anstoß aus dem Glauben und für den Glauben zu geben.“418 Von seinen Mitgliedern setzt der MHD daher „das gemeinsame Verständnis religiöser und geistiger Grundlagen voraus, die sie befähigen, sich dem helfenden Dienst ohne Erwartung einer Gegenleistung hinzugeben und ihrer zweifachen Verpflichtung als Glieder unserer Glaubensgemeinschaft und als Staatsbürger nachzukommen.“419 Der MHD sieht seine Grundlagen im Auftrag des christlichen Glaubens (Gottes- und Nächstenliebe), im oben genannten Auftrag des Malteserordens, im Auftrag der kirchlichen Caritas und in einem bürgerlichen Auftrag (Hilfsbereitschaft und Humanität in der Gesellschaft). 420 Der MHD setzt sich ein für - eine Bewusstseinsbildung hin zur Ganzheitlichkeit im RD, - Einheiten in Psychologie im Rahmen der Aus- und Fortbildung des Rettungsdienstes (neue inhaltliche Schwerpunktsetzung), - 417 418 419 420 Weiterentwicklung einer Berufsethik (RD-Unternehmensphilosophie) und MHD: Leitfaden, 1. MHD: Leitfaden, 32; eigene Hervorhebungen. Die Katholizität ist ein Fixpunkt des MHD und somit auch die „Einbindung in die katholische Kirche mit ihren Besonderheiten.“ (MHD: Leitfaden, 133.) Als Besonderheiten seien beispielsweise Weltkirche, Betonung der Weltverantwortung der Laien, geistliche und soziale Communio der Lebenden und Toten mit Gott und gemeinsame Gottesdienste genannt. Vgl. MHD: Leitfaden, 33. In jeder Diözesanleitung des MHD gibt es auch einen eigenen MHD-Diö zesanseelsorger. Vgl. MHD: Leitfaden, 12. Zum Teil gibt es auch Pfarrer, die eine MHDRettungswache seelsorglich betreuen. Ortsvereine des MHD wirken ferner als Pfarrgruppe „im Rah men der satzungsmäßigen Aufgaben am Leben der Pfarrgemeinde aktiv mit.“ (MHD: Leitfaden, 17.) Leitungsfunktionen im MHD müssen bzw. sollten von katholischen Mitgliedern ausgeübt werden. Vgl. MHD: Leitfaden, 35. Eine ökumenische Ausrichtung wird durch den gemeinsamen Ursprung mit dem evangelischen Johanniterorden begründet; JUH und MHD ist das achtspitzige Kreuz als Zeichen gemeinsam. Vgl. MHD: Leitfaden, 33. MHD: Leitfaden, 1. Der MHD bietet seinen Mitarbeitern auch „begleitende Angebote, die helfen zum Glauben zu finden und den Glauben zu leben.“ (MHD: Leit faden, 34.) Vgl. MHD: Leitfaden, 1-4. Aus diesen Grundlagen werden schließlich die folgenden Prinzipien des MHD abgeleitet: Leben aus dem Glauben, Freiwilligkeit, Ehrenamtlichkeit und Mitverantwortung. Vgl. MHD: Leitfaden, 4-6. 88 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer - ein flächendeckendes Modell zur Einsatznachsorge (Mediatorenmodell und CISM-Teams). 421 Neben dem bereits (unter III, 4.1.2) vorgestellten und vom MHD entwickelten so genannten Mediatorenmodell bieten die Malteser unter anderem auch Material zur seelischen Betreuung im Rahmen von Erste-Hilfe-Maßnahmen und weiterführende Seminare zur Hospizarbeit an. 422 Der MHD hat ferner ein Positionspapier zur Notfallseelsorge und Krisenintervention beim Malteser-Hilfsdienst verfasst. Hier werden die einzelnen Systeme im Bereich der psychosozialen Betreuung des MHD (Mediatorenmodell für Einsatzkräfte, NFS und KID für Betroffene und deren Angehörige) vorgestellt und erläutert. Diese Einrichtungen bilden im MHD den Fachdienst Mensch im Mittelpunkt.423 Von seiner Geschichte und seinen Grundlagen her sieht sich der MHD „in besonderer Weise der Seelsorge und dem kirchlichen Handeln verbunden. Die Seelsorge ist innerhalb des Malteser-Hilfsdienstes ein fester Bestandteil unseres Selbstverständnisses. Krisenintervention und Notfallseelsorge bilden bei den Maltesern eine Einheit“424 , so formuliert es das genannte Positionspapier. 4.2.2 Andere Hilfsorganisationen 4.2.2.1 Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e. V. Der ASB, gegründet 1888, hat seine Ursprünge in der Arbeiterbewegung des damaligen Deutschen Reiches. Zahlreiche Arbeitsunfälle und die unzureichende Versorgung der Verletzten veranlassten einige Arbeiter und Zimmerleute in Berlin, Selbsthilfegruppen einzurichten, die Erste-Hilfe-Kurse und Hilfeleistungen bei Unfällen organisierten. Allmählich entstanden in ganz Deutschland Samariter-Vereine, die schließlich nicht nur im Rahmen von Arbeitsunfällen, sondern auch im gesamten zivilen Bereich bei der ersten Versorgung von Verletzten aktiv wurden. 425 421 422 423 424 425 Vgl. FALK: Ethische, psychologische und theologische Aspekte, 372. Vgl. zum Aspekt der Ganzheit lichkeit die Forderung des MHD: „Die Hilfe für den Menschen soll ihn ganz erfassen, seinen Leib und seine Seele.“ (MHD: Leitfaden, 1.) Zum Bereich der Einsatznachsorge sei an dieser Stelle hingewiesen auf MHD: Hilfe für Helfer. Anhand der (unter III, 3.4) bereits erwähnten Mitarbeiterbefragungen lässt sich schließen, dass der MHD tatsächlich an der Meinung und Zufriedenheit seiner Mitarbeiter interessiert ist. Vgl. MHD: Q-Tipp. Vgl. FALK: Ethische, psychologische und theologische Aspekte, 371. Vgl. MHD: Positionspapier zur Notfallseelsorge und Krisenintervention, 1. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf das umfangreiche Bildungsangebot des MHD auf diesem Gebiet im Jahr 2003. Vgl. dazu MHD: Psychosoziale Betreuung. MHD: Positionspapier zur Notfallseelsorge und Krisenintervention, 1. Vgl. FALK: Ethische, psychologische und theologische Aspekte, 359f. 89 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Der ASB, so wird in seinen Grundsätzen deutlich, „ist eine freiwillige Wohlfahrtsorganisation und ein Wohlfahrtsverband – unabhängig, parteipolitisch neutral und konfessionell ungebunden.“426 Er versteht sich als eine Gemeinschaft von Menschen, „die anderen Menschen helfen wollen. Auf dieser Grundlage beruht ein vielfältiges Angebot, das sich am Hilfebedarf und den Bedürfnissen der Menschen orientiert “427 , das an Qualitätsstandards gebunden ist und ständig weiterentwickelt wird. 428 Auf seiner Bundeskonferenz im Jahr 1994 hat der ASB bei seinem Angebot ein Defizit im Bereich „der psychologischen und ethisch-moralischen menschlichen Begleitung und Krisenintervention“429 festgestellt und beschlossen, im Bereich der Aus- und Fortbildung von RD-Mitarbeitern darauf zu reagieren. 430 Ebenso sollen flächendeckend KID-Teams zur Notfallnachsorge aufgebaut und an den RD-Standorten „Gesprächskreise unter fachlich qualifizierter Leitung“431 für die Einsatznachsorge (in Anlehnung an das CISM) eingerichtet werden. 432 Auf eine schriftliche Anfrage beim ASB-Bundesverband nach der Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit mit der Kirche äußerte sich ein Sprecher positiv und verwies auf bereits bestehende Kooperationen zwischen KID und NFS in einigen Regionen (beispielsweise München). Im Gesamtverband seien die Bereiche KID und Einsatznachsorge – laut der Stellungnahme des Sprechers – noch in der Anfangsphase, so dass eine bundesweite Zusammenarbeit mit Dritten bisher noch nicht in Betracht gezogen wurde; grundsätzlich könnte man sich aber auch hier ein Zusammenwirken mit den Kirchen vorstellen. 433 4.2.2.2 Deutsches Rotes Kreuz e. V. Das DRK hat sich im Rahmen der internationalen Rotkreuzbewegung (in islamisch geprägten Ländern Rothalbmondbewegung) entwickelt, deren internationales Komitee 1863 gegründet wurde. Maßgeblich war dabei der Schweizer Henri Dunant beteiligt, 426 427 428 429 430 431 432 ASB: Bundesrichtlinien, 7. Die Grundsätze in den Bundesrichtlinien entsprechen übrigens (bis auf Punkt 1) den zehn Punkten des Leitbildes. Vgl. ASB: Leitbild des Arbeiter-Samariter-Bundes. ASB: Bundesrichtlinien, 7; eigene Hervorhebung. Im Leitbild heißt es an erster Stelle: „Helfen ist unsere Aufgabe!“ (ASB: Leitbild des Arbeiter-Samariter-Bundes.) ASB: Bundesrichtlinien, 7. FALK: Ethische, psychologische und theologische Aspekte, 371. Vgl. FALK: Ethische, psychologische und theologische Aspekte, 371. So bietet der ASB unter anderem Seminare zu psychologischen, ethischen und moralischen Problemen, zum Umgang mit Schwerstkranken und Sterbenden, über Gesprächsstrategien, über Stressbewältigung und zur Bekämpfung von Burnout an. Vgl. FALK: Ethische, psychologische und theologische Aspekte, 370. FALK: Ethische, psychologische und theologische Aspekte, 372. Vgl. FALK: Ethische, psychologische und theologische Aspekte, 372. 90 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer geprägt von seinen Erlebnissen auf dem Schlachtfeld von Solferino (1859), auf dem zahlreiche Verwundete schließlich ihren Verletzungen erlagen, weil keine effektive Hilfe und Versorgung organisiert war. 434 Laut seinem Leitsatz tritt das DRK „im Zeichen der Menschlichkeit [...] für das Leben, die Gesundheit, das Wohlergehen, den Schutz, das friedliche Zusammenleben und die Würde aller Menschen ein“435 und gewährt „Opfern von Konflikten und Katastrophen sowie anderen bedürftigen Menschen unterschiedslos Hilfe [...] allein nach dem Maß ihrer Not.“436 Zu den DRK-Leitlinien zählen unter anderem der hilfebedürftige Mensch, die unparteiliche Hilfeleistung, die Neutralität (auch auf religiöser Ebene) „im Zeichen der Menschlichkeit“437 , die eigenen Mitarbeiter (besonders die ehrenamtlichen) und die Qualität der Leistungen des DRK.438 Hieraus lässt sich bereits ablesen, dass der Mensch (als Hilfeempfänger oder als Mitarbeiter) und die Menschlichkeit eine zentrale Rolle beim DRK spielen. Auch dem DRK ist längst bewusst geworden, dass im Rahmen der Versorgung von Notfallpatienten nicht nur die medizinisch-technischen Maßnahmen wichtig sind, sondern auch menschliche Zuwendung und weitere psychologische Aspekte. 439 Seitdem wird sowohl in Erste-Hilfe-Kursen als auch in der RD-Ausbildung und -fortbildung verstärkt auf diesen Bereich eingegangen; ebenso werden KID-Teams gegründet. 440 433 434 435 436 437 438 439 440 Diese Auskunft wurde vom Leiter des Referates Notfallvorsorge beim ASB-Bundesverband in Köln erteilt. Vgl. FALK: Ethische, psychologische und theologische Aspekte, 360 und vgl. M ETZSCH: Menschen helfen Menschen, 71 u. 73. Hinzuweisen ist noch darauf, dass im Freistaat Bayern nicht das DRK, sondern das Bayerische Rote Kreuz (BRK) als eigenständige Organisation aktiv ist. DRK-GENERALSEKRETARIAT : Leitsatz und Leitbild des Deutschen Roten Kreuzes, Leitsatz; eigene Hervorhebung. Dazu schreibt die DRK-Satzung: „Das DRK nimmt die Interessen derjenigen wahr, die der Hilfe und Unterstützung bedürfen, um soziale Benachteiligungen, Not und menschenunwürdige Situationen zu beseitigen sowie auf die Verbesserung der individuellen, familiären und sozialen Lebensbedingungen hinzuwirken.“ (DRK: Satzung des Deutschen Roten Kreuzes, § 1 [3].) DRK-GENERALSEKRETARIAT : Leitsatz und Leitbild des Deutschen Roten Kreuzes, Leitsatz; eigene Hervorhebung. Die DRK-Satzung sieht u. a. eine Aufgabe des DRK darin, „menschliche Leiden, die sich aus Krankheit, Verletzung, Behinderung oder Benachteiligung ergeben, zu verhindern und zu lindern.“ (DRK: Satzung des Deutschen Roten Kreuzes, § 2.) DRK-GENERALSEKRETARIAT : Leitsatz und Leitbild des Deutschen Roten Kreuzes, Leitlinien. Vgl. DRK-GENERALSEKRETARIAT : Leitsatz und Leitbild des Deutschen Roten Kreuzes, Leitlinien. Vgl. dazu auch die sieben Grundsätzen der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung, die auch für das DRK gelten: Menschlichkeit, Unabhängigkeit, Neutralität, Unparteilichkeit, Freiwilligkeit, Einheit, Universalität. Vgl. DRK: Satzung des Deutschen Roten Kreuzes, §1 [5]. Vgl. dazu DRK: DRK-Position, 2f u. 5f. Dort heißt es u. a.: „Die Hilfsorganisationen wie das Deutsche Rote Kreuz haben sich diese Aufgabe erst relativ spät und zögerlich zu eigen gemacht und dies zunächst mehr als Aufgabe der kirchlichen Seelsorge gesehen. Inzwischen entstanden beim DRK jedoch zunehmend lokale oder regionale Gruppen, die mit sehr unterschiedlichen Konzepten und auch in sehr unterschiedlicher Qualität die Leistung Notfallnachsorge anbieten, teilweise in Kooperation mit den Kirchen.“ (DRK: DRK-Position, 5.) Vgl. DRK: DRK-Position, 3f (zur Erste-Hilfe-Ausbildung) und vgl. INSTITUT FÜR RETTUNGSWESEN DES DRK: 3. Entwurf der Rahmenkonzeption, 12-14 (zur RD-Ausbildung) und zur Notfallnachsorge vgl. DRK: DRK-Position, 3f und vgl. INSTITUT FÜR RETTUNGSWESEN DES DRK: Notfallnachsorge, 91 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Im Hinblick auf die Belastungen der Einsatzkräfte ist das DRK gleichfalls aktiv gewo rden und arbeitet an einem System, das RD-Mitarbeiter zum einen in der Aus- und Fortbildung auf belastende Situationen vorbereiten (präventiv) und zum anderen begleitend in Form von Einsatznachsorge (auf der Basis von SbE®-Teams und CISM) psychosozial unterstützen soll. 441 Dabei wird auf die Zusammenarbeit mit Dritten, namentlich auch mit der Kirche und ihren Seelsorgern (als Referenten und Begleiter), hingewiesen. 442 Das DRK hat sich in diesem Bereich eine Aufgabe gesetzt und will „zunehmend sein Profil in der Art schärfen, dass es Experte für psychologische Unterstützung sowohl im nationalen als auch im internationalen Kontext wird.“443 5 Begegnungen und Zusammenarbeit mit der Kirche An dieser Stelle der Untersuchungen sollen Erfahrungen von RD-Mitarbeitern mit der Kirche und ihre Erwartungen an die Kirche behandelt werden. Natürlich hängen diese Einschätzungen von persönlichen Umständen ab. Auch sind die hier angeführten Aussagen (der Fragebögen) nicht repräsentativ; dennoch spiegeln sie als Meinungen von Einzelpersonen einen Teil der Wirklichkeit wider. 444 5.1 Erfahrungen mit der Kirche 441 442 443 444 bes. 4-6. Vgl. dazu auch FALK: Ethische, psychologische und theologische Aspekte, 373. Im Hinblick auf die Notfallnachsorge wird ausdrücklich die Zusammenarbeit mit der Kirche genannt, an deren Mitarbeiter gegebenenfalls Klienten weitervermittelt werden können. Vgl. INSTITUT FÜR RETTUNGSWESEN DES DRK: Notfallnachsorge, 9. Vgl. DRK: DRK-Position, 5 und vgl. INSTITUT FÜR RETTUNGSWESEN DES DRK: 3. Entwurf der Rahmenkonzeption, bes. 14-19. Das DRK schreibt: „Der Belastung von Einsatzkräften wurde im DRK lange nur unzureichend Rechnung getragen. Versuche, hieran etwas zu ändern, verliefen entweder im Sande oder blieben auf bestimmte Regionen oder Gruppen begrenzt. Die Bereitschaft, sich über alle Verbandsstufen hinweg mit dieser Thematik ernsthaft und kontinuierlich zu beschäftigen, änderte sich erst in Folge eines schweren Zugunglücks im Sommer 1998 [...]. Zum ersten Mal in Deutschland wurde deshalb eine organisationenübergreifende Einsatznachsorge unter Federführung des DRK aufgebaut [...]. Ziel [...] ist es, ein System der psychosozialen Unterstützung für alle ehrenamtlichen, hauptamtlichen und Zivildienst leistenden Einsatzkräfte zu entwickeln.“ (DRK: DRK-Position, 5.) Vgl. dazu INSTITUT FÜR RETTUNGSWESEN DES DRK: 3. Entwurf der Rahmenkonzeption, 17 u. 20. Aufgrund der folgenden Aussage in den DRK-Leitlinien kann auf eine grundsätzliche Möglichkeit der Zusammenarbeit zwischen DRK und Kirche geschlossen werden: „Zur Erfüllung unserer Aufgaben kooperieren wir mit allen Institutionen und Organisationen aus Staat und Gesellschaft, die uns in Erfüllung der selbstgesteckten Ziele und Aufgaben behilflich oder nützlich sein können und/oder vergleichbare Zielsetzungen haben. Wir bewahren dabei unsere Unabhängigkeit.“ (DRK-GENERALSEKRETARIAT : Leitsatz und Leitbild des Deutschen Roten Kreuzes, Leitlinien.) DRK: DRK-Position, 5. In diesem Rahmen soll die durchgeführte Umfrage verstanden werden, die zu den genannten Aspekten eine Fülle an Informationsmaterial ergeben hat. Jedoch kann in dieser Arbeit nicht auf jede Ein zelheit eingegangen werden. Verwiesen sei deshalb auf die Fragebögen RD 1-3 (besonders jeweils 7, 13.3, 15.4, 15.6, 16.1, 16.2, 20, 22-24) und KID (besonders 7, 9.2, 14.3-18). Bei der Formulierung 92 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Die drei befragten Personen aus dem RD identifizieren sich nicht mit der Kirche, dafür aber die befragte KID-Mitarbeiterin. 445 Neben diesen persönlichen Grundeinstellungen soll auf Begegnungen mit der Kirche, vor allem in der Person von Seelsorgern, im Rahmen des Rettungsdienstes eingegangen werden. In der Zusammenfassung der Kriteriologie wurde festgehalten, dass die kirchliche Einrichtung der NFS sowohl bei der Bevölkerung als auch bei den Einsatzkräften überwiegend positiv wahrgenommen wird. 446 Diese positiven Erfahrungen der Zusammenarbeit und Begegnungen hatten bei den Befragten aber anscheinend keine Auswirkungen auf das Kirchenbild, das bei ihnen eher auf Institution und so genannte Amtskirche reduziert bleibt. 447 In den Bögen wurde bewusst nach negativen Erfahrungen bei RD-Einsätzen in kirchlichen Räumen oder mit kirchlichen Mitarbeitern gefragt, da es in diesem Bereich auch weniger gute Begegnungen gegeben hat. So stritten beispielsweise Mitte der 1980er Jahre ein Sanitäter und ein Seelsorger vor Gericht, wer in Notfallsituationen mehr Recht auf den Platz am Kopf des Patienten hat. 448 In Fragebogen RD 3 wird von einem Pfarrer berichtet, der nicht bereit war, mitten in der Nacht zu einem Einsatzort zu kommen, obwohl Gemeindemitglieder darum gebeten haben. 449 In Fragebogen RD 1 ist die Rede von einer Reanimation in einer Kirche, bei der die Rettungsarbeiten teilweise behindert wurden und das Gebet anscheinend missbraucht wurde, um näher am Einsatzort sein zu können. Die Frage des Pfarrers, ob er die Krankensalbung spenden dürfe, wurde während der Rettungsmaßnahmen vom befragten RA als „unangebracht“450 erlebt. Ferner wird im gleichen Fragebogen von einem Priester berichtet, der einem reanimationspflichtigen Patienten die Krankensalbung gespendet und das hinzukommende RD-Personal bei den Rettungsmaßnahmen behindert hat. 451 445 446 447 448 449 450 451 der Fragebögen wurde in der Regel bewusst nur von Kirche (als solcher) gesprochen, um den Antwortenden ihrem Verständnis von Kirche möglichst viel Freiraum zu lassen. Vgl. Fragebögen RD-13 (jeweils 7) und KID (7); RD 1+2 sind zwar römisch-katholisch, fühlen sich aber nicht mit der Kirche verbunden. RD 3 bezeichnet sich als Atheist. In diesem Zusammenhang wurde bereits auf die Fragebögen verwiesen (vgl. Anm. 208). Nur Fragebogen RD 2 (16.1) berichtet auch von negativen Erfahrungen mit Notfallseelsorgern. Vgl. Fragebögen RD 1-3 (16.2). Lediglich Fragebogen KID (9.2) bezeichnet die NFS als „ureigene Aufgabe der Kirche“ und merkt kritisch an, dass die Kirche Seelsorgern die Ausübung dieser Aufgabe erschwert und das Pfarrersein anscheinend auf einen Beruf reduziert wurde. Vgl. Tonque Langleder in W IETERSHEIM: Ruft mir bei Lebensgefahr einen Seelsorger, 134. Es ist wohl auch schon vorgekommen, dass eine hl. Messe einfach weitergefeiert wurde, während im Kirchenschiff reanimiert wurde; das RD-Personal fühlte sich nach eigenen Angaben dabei fehl am Platz. Vgl. Fragebogen RD 3 (23.1). Fragebogen RD 1 (23.1). Vgl. Fragebogen RD 1 (23.1). Die Fragebögen RD 2 (23.1) und KID (16.1) nennen keine besonderen Vorkommnisse, RD 2 weist allerdings auf Unsicherheiten hin. Zu Möglichkeiten, solche unguten Begegnungen zu vermeiden vgl. Fragebögen RD 1-3 (jeweils 23.2) und KID (16.2) und NFS (16). 93 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer 5.2 Erwartungen und Wünsche an die Kirche Aufgrund der bereits genannten Unterstützung, die das RD-Personal durch die NFS bei verschiedenen Einsatzindikationen auf positive Weise wahrnimmt, ist wohl davon auszugehen, dass sich die Einsatzkräfte von der Kirche eine Fortführung der NFS erwarten und wünschen. Von den Notfallseelsorgern erwarten die befragten Rettungsdienstler, dass sie die fo lgenden Eigenschaften besitzen: Fähigkeit zur Teamarbeit (inklusive Lernbereitschaft), Kompetenz, Verständnis, eine offene Art, Empathie, Kongruenz, Authentizität. 452 Die KID-Mitarbeiterin wünscht sich, dass Notfallseelsorger den Helfern des KID mehr Verund Zutrauen schenken und deren Dienst als gleichwertig anerkennen. 453 Die Befragten sehen im Bereich von Aus- und Fortbildungen einen Bedarf an ethischen, religiösen und psychologischen Einheiten und können sich vorstellen, dass sich auch Mitarbeiter der Kirche als Referenten einbringen. 454 Was die Beteiligung von kirchlichen Seelsorgern an Angeboten zur Bearbeitung belastender Einsätze angeht, äußern sich die Fragebögen etwas kritischer; der Kirche und ihren Mitarbeitern wird hier nur eine beschränkte Möglichkeit eingeräumt. 455 452 453 454 455 Interessant ist und bleibt in diesem Zusammenhang, wie das Sakrament der Krankensalbung überhaupt wahrgenommen wird. Anscheinend wird es noch (zu) oft als reines Sterbesakrament verstanden. Ähnlich stellen auch zwei Notfallseelsorger fest: „Erstaunlich viele Menschen, die der Kirche nahe stehen, aber auch Fernstehende, nehmen die Veränderung vom ‚Sterbesakrament’ zum Krankensakrament beharrlich nicht zur Kenntnis.“ (DIRNBERGER / M ÜLLER-CYRAN: Notfallseelsorge, 1.) Es scheint für die meisten wohl so, dass die Krankensalbung nur oder erst dann angebracht ist, wenn es für alles andere zu spät ist. Im oben genannten Fall ist es natürlich für den RD unverständlich, dass der Priester keine Wiederbelebungsversuche unternommen hat. Hieran wird deutlich, dass in solchen Situationen zwei verschiedene Welten aufeinander treffen. Auf die Problematik des Verständnisses der Krankensalbung kann hier leider nicht weiter eingegangen werden; auch die Antworten zur Krankensalbung (in den Fragebögen) bieten dazu keine weiteren Anhaltspunkte. Vgl. Fragebögen RD 1-3 (jeweils 22) und KID (17). Ein Priester, der zugleich Sanitäter ist, empfiehlt aus eigener Erfahrung, in solchen Fällen wie dem oben angeführten sowohl die Krankensalbung als auch die Wiederbelebungsmaßnahmen durchzuführen; dies sei sogar möglich, wenn der Priester selbst die Reanimation vornimmt. Vgl. Tonque Langleder in W IETERSHEIM: Ruft mir bei Lebensgefahr einen Seelsorger, 136. Zum Verständnis des Sakramentes der Krankensalbung sei weiter verwiesen auf ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Sacrosanctum Concilium, Nr. 73 u. Nr. 75. Vgl. Fragebögen RD 1-3 (jeweils 20). Vgl. Fragebogen KID (10). Vgl. Fragebögen RD 1-3 (jeweils 13.1-13.3). Für genaue Themenbereiche sei auf die jeweiligen Antworten verwiesen. Besonders Fragebogen RD 2 (13.2). RD 3 (13.3) hat eine Zusammenarbeit auf diesem Gebiet bereits erlebt. Vgl. dazu auch Fragebogen KID (8.4). Vgl. Fragebögen RD 1-3 (jeweils 15.4) und KID (14.3). Bei der Formulierung der RD-Bögen wurde bewusst darauf geachtet, dass danach gefragt wird, ob sich die jeweilige Person vorstellen kann, dass kirchliche Mitarbeiter ihr persönlich bei der Stressbearbeitung helfen können. RD 1 antwortet darauf hingegen allgemein. RD 2 tendiert für sich zu einem SbE®-Team, bei dem möglicherweise auch Notfallseelsorger beteiligt sind. RD 3 äußert sich hierzu gar nicht. KID räumt kirchlichen Mitarbeitern einen Platz „als gute Ansprechpartner“ in einer definierten SbE®-Struktur ein. Nicht übersehen werden darf bei diesem Aspekt, dass ohnehin bei vielen Einsatzkräften gegenüber Angeboten zur Stressbearbeitung eine gewisse Skepsis und Zurückhaltung besteht, die bereits (unter III, 4.1.2) erwähnt wurde. 94 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Von Seelsorgern, die sich in diesem Bereich engagieren, werden vor allem eine entsprechende Kompetenz (besonders auf den Gebieten Stressbewältigung und Kommunikation) und Offenheit erwartet. Sie sollen den Menschen und nicht die Kirche in den Mittelpunkt stellen und sich die notwendige Zeit nehmen, wenn sie ein Begleitungsgespräch führen. Seelsorger sollten aber auch in der Lage sein, zu akzeptieren, wenn jemand ihre Hilfe nicht annimmt. 456 Wichtig erscheint gleichfalls, dass ein Seelsorger, der RD-Mitarbeiter pastoral begleitet, auch Kenntnisse vom RD (Organisation, Arbeitsweise, Berufsstressoren u. ä.) hat. 457 Erwartungen und Wünsche an die Kirchengemeinde am Ort der Rettungswache oder am Wohnort wurden in den Fragebögen nicht geäußert. 458 6 Zusammenfassung In der Kairologie wurde die Organisation des Rettungsdienstes in ihren vielfältigen Facetten ansatzweise dargestellt. Ein besonderes Augenmerk galt den zahlreichen Belastungen und Gefahren im physischen und psychischen Bereich, mit denen die Einsatzkräfte in ihrem Dienst teilweise täglich konfrontiert werden. Im RD geht es um das menschliche Leben und dessen Grenzen. Rettungskräfte sind Lebensretter, die aber auch lernen müssen damit umzugehen, dass sie nicht immer he lfen und retten können. Die Kairologie hat zudem gezeigt, dass in der Bevölkerung größtenteils kein realistisches Bild vom RD und seinen Mitarbeitern vorherrscht, sondern vielmehr alte Klischees und Vorurteile dominieren. Neben diesen belastenden und eher negativen Seiten kann aber auch festgehalten werden, dass im RD ein Arbeitsplatz gegeben ist, der Sinn verleihen kann, Verantwortung verlangt und zutraut, der eigene Fähigkeiten und Entscheidungen fordert und fördert. Nicht unerwähnt bleiben darf ferner, dass im RD ein kollegialer Umgang und die persönliche Ebene eine bedeutende Rolle spielen. 456 457 458 Vgl. Fragebögen RD 1-3 (jeweils 15.6) und KID (14.4). RD 1 äußert sich eher klischeehaft (kein „steifes-Priester-Gemeindemitglied-Verhältnis“ und keine „versteiften alten Priester“). RD 3 fordert, dass „keine christliche Dominanz “ diese seelsorgliche Begleitung prägt. KID erwartet „den Mut, mit in Einsätze zu gehen und hinterher einfach da zu sein.“ Vgl. dazu Fragebogen RD 1 (15.4): „Das schwierigste ist, glaub ich, ein Gespräch mit einer Person zu führen, die von der eigentlichen Materie Rettungsdienst ‚keine Ahnung’ hat.“ Vgl. Fragebögen RD 1-3 (jeweils 24) und KID (18). Auch werden in den Antworten keine konkreten Möglichkeiten der Zusammenarbeit genannt. Fragebogen RD 1 macht das auch von den jeweiligen Verantwortlichen vor Ort abhängig. Fragebogen KID sieht eine richtige Zusammenarbeit als Traum an, bezieht sich dabei aber wohl vor allem auf die Kooperation von KID und NFS („Teams zusammen legen“). 95 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Als die in der Einführung genannten positiven „Zeichen der Zeit“459 im RD sollen an dieser Stelle die folgenden drei Momente angeführt werden: - Im RD setzen sich Menschen für Mitmenschen in Krisen- und Notsituationen ein und nehmen dafür auch Gefahren, lange Arbeitszeiten und eine eher geringe Vergütung in Kauf; sehr viele engagieren sich sogar ehrenamtlich. Zu den wesentlichen Motiven für diesen Dienst zählen unter anderem die Nächstenliebe und das Ideal, anderen zu helfen und möglichst gut he lfen zu können. - Im RD hat vor einigen Jahren ein Umdenkprozess hin zu einem ganzheitlichen Menschenbild begonnen, der positive Konsequenzen für die Patientenbetreuung, die RD-Ausbildung und Unterstützung des Personals mit sich bringt. Menschliche Zuwendung, psychische Betreuung und Einsatznachsorge seien beispielhaft dafür genannt. Nach dem Idealbild steht der Mensch als ganzer im Mittelpunkt der Bemühungen des Rettungsdienstes (wie auch der Kirche). Die Sorge um den hilfsbedürftigen Menschen und auch die Nächstenliebe verbinden also RD und Kirche. - Von Seiten der Hilfsorganisationen (ASB, DRK, JUH und MHD), die in den RD eingebunden sind, spricht zumindest grundsätzlich nichts gegen ein Zusammenwirken mit der Kirche und ihren Mitarbeitern. Die JUH und der MHD sind aufgrund ihrer Tradition und Leitlinien eng mit den christlichen Kirchen verbunden. Auch der ASB und das DRK können sich besonders in den Bereichen Krisenintervention, Aus- und Fortbildungen und Einsatznachsorge vorstellen, mit der Kirche zusammenzuarbeiten beziehungsweise sind schon dabei. Auch von Seiten der befragten Einsatzkräfte sind für die Kirche die Türen zum RD nicht grundsätzlich verschlossen. Es bestehen durchaus Wünsche an kompetente und offene Seelsorger. Schließlich kann das Bild vom RD, der rund um die Uhr einsatzbereit ist und ständig mit dem Unerwarteten rechnen muss, auch ein Vorbild für die Kirche und ihre Gläub igen sein, die ebenfalls zur Wachsamkeit und zum Bereitsein aufgerufen sind. 460 459 460 ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Gaudium et spes, Nr. 4. Damit sie die die Wiederkunft Jesu Christi nicht verschlafen und versäumen; denn sie kennen weder den Tag noch die Stunde der Parusie des Herrn (vgl. Mt 25,13 ). 96 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer IV P RAXEOLOGIE – Optimierung der zukünftigen Praxis – 1 Einführung „Die Kirche,“ so stellt Paul M. Zulehner fest, „deren Praxis die Pastoraltheologie wissenschaftlich reflektiert, um zu deren Weiterentwicklung beizutragen, versteht sich als ‚ecclesia semper reformanda’.“461 Sie ist folglich immer wieder zu reformieren, zu erneuern und zu optimieren, weil Differenzen zwischen dem von Gott gegebenen Auftrag und der aktuellen Umsetzung bestehen oder sich die Situation der Gesellschaft gewandelt hat. Da sich die Praxis der Kirche immer in einer dialektischen Spannung zwischen Personen und Strukturen entwickelt, sind auch deren Reformen von Personen und Strukturen abhängig. 462 Die Kirche und ihre Mitglieder brauchen zu jeder Zeit unter anderem den Mut zu Reformen. „Solcher Christenmut ist lernbar. Jene, die ihn in dem ihnen möglichen refo rmerischen Handeln zeigen, sind Hoffnung dafür, daß auch zukünftig die Kirche ihrem Auftrag in uns erer Zeit, so gut sie kann, gerecht wird.“463 In der nun anstehenden Praxeologie sollen in diesem Sinn einige Handlungsimpulse und Gedankenanstöße gegeben werden, die für eine Optimierung der kirchlichen Praxis auf dem hier untersuchten Gebiet einen Beitrag leisten möchten. Zunächst gilt es aber, sich noch einmal in knapper Form an die bisher gegangenen Schritte und ihre Hauptergebnisse zu erinnern: In der zuerst durchgeführten Kriteriologie wurden die Kriterien und Ziele erarbeitet, damit die nun folgenden Impulse auch spurtreu und „zielsicher“464 sein können. Hauptziel und -kriterium für die Kirche sind und bleiben der Auftrag und die Offenbarung Gottes – besonders das Leben Jesu mit seiner Botschaft, seinem Wirken bis zum Kreuz und darüber hinaus zur Auferweckung zu einem Leben in Fülle. 465 Es geht also im Wesentlichen um die Sorge für den von Gott erschaffenen und geliebten Menschen, dem ein Leben in Würde und in Freiheit zugesagt ist. Die Kirche soll Jesus Christus dabei helfen, der Menschheit dieses Leben zu verkünden und zu ermöglichen. 461 462 463 464 ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 1, 305; eigene Hervorhebung. Die darin verwendete lateinische Formulierung stammt aus der calvinistischen Theologie Anfang des 17. Jahrhunderts und wurde vom Zweiten Vatikanischen Konzil vorsichtig aufgegriffen (vgl. dazu ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL : Lumen gentium, Nr. 9 und ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Unitatis redintegratio, Nr. 6). Vgl. KEHL: Ecclesia, 437. Der Terminus drückt aus, dass „sich die Kirche in Lebensstil, Verkündigung und Grundstrukturen ständig v. Wort Gottes richten u. erneuern lassen muß.“ (KEHL: Ecclesia, 437.) Vgl. ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 1, 305. ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 1, 306. ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 1, 247. 97 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Im Rahmen der Kairologie wurde dann die aktuelle Situation im RD ansatzweise analysiert und dargestellt; dabei wurde nach den „Zeichen der Zeit“ im Bereich des Re ttungsdienstes geforscht. Festgestellt wurde, dass die Hilfsorganisationen und Einsatzkräfte immer mehr die ganzheitliche Sorge des Menschen im Blick haben. Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Kirche und Rettungsdienst sind von beiden Seiten grundsätzlich vorstellbar, teilweise sogar erwünscht und bereits ansatzweise umgesetzt. Hanjo von Wietersheim stellt dementsprechend fest: „Sowohl die Hilfsorganisationen als auch die Kirchen wollen Menschen helfen. Es ist gut, wenn sie eng zusammena rbeiten“466 – um der Menschen willen. Dabei ist aber stets darauf zu achten, dass alle Einrichtungen ihre Eigenständigkeit und Unabhängigkeit bewahren können und sollen. In diesem nun anstehenden letzten Schritt geht es darum, aus den vorangegangenen und vielfältigen Untersuchungen einige Möglichkeiten und auffordernde Impulse für die Praxis der Kirche von heute zu suchen und zu geben. 2 Handlungsimpulse für die kirchliche Praxis 2.1 Im Bereich der Notfallseelsorge Die Kompetenzen der Kirche und ihrer pastoralen Mitarbeiter auf dem Gebiet der Betreuung, Seelsorge und Krisenintervention werden von vielen im RD Tätigen anerkannt. Dementsprechend fasst Beate Coellen dies zusammen: „Seelsorger [...] sind also von Berufs wegen in den Stand gesetzt, sich den Nöten ihrer Mitmenschen sachgerecht zuzuwenden. Im Laufe ihres Berufsalltages werden Geistliche mit den unterschiedlichsten Formen von seelischen Belastungen konfrontiert [...]. Riten, die die Trauerarbeit ermöglichen und befördern, sind ihnen vertraut. Noch gibt es bei den christlichen Kirchen ein flächendeckendes Netz von Pfarrämtern, so dass ein Geistlicher in relativ kurzer Frist an einem Schadenort verfügbar sein kann. Hinzu kommt, dass Geistliche prinzipiell rund um die Uhr im Dienst sind [...]. In der Regel verfügen christliche Gemeinden auch über Räumlichkeiten.“467 Die NFS gehört zweifelsfrei zum Auftrag der Kirche. Der Kirche sollte es also unbedingt daran gelegen sein, diesen wichtigen Dienst der NFS fortzuführen, weiter auszubauen, qualitativ zu sichern und dabei immer mehr und besser um der Menschen willen 465 466 467 Vgl. ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 1, 15 u. 294. W IETERSHEIM : Partner für Menschen in Not, 14. COELLEN : Notfallseelsorge und Krisenintervention, 67. 98 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer mit den verschiedenen Hilfseinrichtungen wie Feuerwehr und RD und ebenso mit der Polizei zusammenzuwirken. 468 Allerdings sollte die Kirche sich bewusst sein, dass sie nicht die einzige kompetente Anbieterin auf den Gebieten der Krisenintervention und der Einsatznachsorge ist. 469 Der KID des Rettungsdienstes, Psychologen und Ärzte leisten auf diesem Gebiet ebenso wertvolle Hilfe, die es anzuerkennen gilt; mit ihnen ist eine Kooperation anzustreben. Ebenso sollte auch deutlich geworden sein, dass „die als notwendig erkannte Betreuung von Menschen mit einer posttraumatischen Streßsituation [...] in unserer Gesellschaft nicht auf christliche Seelsorge allein begrenzt werden“470 kann. Die Kirche ist hier aufgefordert, sich mit ihren Mitarbeitern um der Menschen willen in ein Netz von Helfern einzuklinken und auch zu akzeptieren, dass ihre Hilfe nicht unbedingt überall und zu jeder Zeit gefragt ist. Auch eine (scheinbare) gelegentliche Entbehrlichkeit und Unerwünschtheit muss, entsprechend der Praxis Jesu, ausgehalten werden können. 471 2.1.1 Organisation und Ausstattung der Notfallseelsorge Nach den Erfahrungen des ICE-Unglücks von Eschede hat ein in der NFS Verantwortlicher folgende Konsequenzen gefordert: „Jeder (!) Kirchenkreis braucht ein nach bestimmten Standards aufgebautes und ausgebildetes Notfallseelsorgesystem, das die Vernetzung mit anderen psychologischen Hilfsangeboten von vornherein anstrebt [...]. Eine weitgehend einheitliche Schutzkleidung, möglichst fälschungssichere Dienstausweise, eine sinnvolle Kfz-Kennzeichnung, eine Grundausstattung der Kirchenkreise [...] mit Fernmeldetechnik sind anzustreben.“472 Eine gute und der aktuellen Technik im Rettungswesen entsprechende Ausstattung der Notfallseelsorger ist also durchaus angebracht. Allerdings sollte dabei stets darauf geachtet werden, dass die Form nicht über dem Inhalt steht und sich die NFS nicht in rei468 469 470 471 472 Für diese Zusammenarbeit auf dem Gebiet der NFS zwischen Kirche und anderen Einrichtungen kann es hilfreich sein, die Aussage der Ärztin Adrienne von Speyr über die Kooperation zwischen Arzt und Priester auf die Einsatzkräfte und Notfallseelsorger zu übertragen: „Arzt und Priester sollten nicht nur in extremen Fällen miteinander Kontakt aufnehmen, vielmehr in einem regelmäßigen Umgang die Punkte besser kennenlernen, wo sich ihre Arbeit berührt, und versuchen, die Spannungen zwischen ihren Kompetenzen immer fruchtbarer zu machen: zugunsten der Patienten.“ (SPEYR: Arzt und Patient, 76.) Vielleicht kann dabei die Perikope in Mk 9,38-41 eine Verständnishilfe für die Kirche bieten, in der Jesus die guten Taten eines Menschen anerkennt, der nicht zu seiner Jüngergemeinde (im engeren Sinn) zählt, aber durchaus in seinem Auftrag und seinem Sinn anderen hilft. ENGELHARDT : Zwischen Hilfsbereitschaft und Ohnmacht, 163; eigene Hervorhebung. Vgl. dazu Mk 6,11 : Den Jüngern trägt Jesus bei ihrer Aussendung auf, an den Orten, an denen sie nicht willkommen und erwünscht sind, sich nicht aufzudrängen, sondern weiterzugehen. BEAUFTRAGTER FÜR DIE NOTFALLSEELSORGE : Notfallseelsorge, 203f. 99 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer ner Äußerlichkeit verläuft. Die christliche Botschaft, die Seelsorge als solche und der hilfsbedürftige Mensch müssen jederzeit im Vordergrund stehen; die Ausstattung dient eindeutig nur als Hilfsmittel. Die NFS handelt grundsätzlich im Auftrag Gottes und seiner Kirche um der Menschen willen; dieser Auftrag darf nicht durch Nebensächlichkeiten überdeckt oder verraten werden. 473 Hilfreich kann es sein, wenn Notfallseelsorger als Team arbeiten und zu zweit einen Einsatz fahren; dies entspricht zum einen der Praxis Jesu, der seine Jünger immer zu zweit ausgesandt hat (vgl. Mk 6,7 u. a.) und zum anderen birgt dieses Vorgehen mehr Sicherheit und Flexibilität für alle Beteiligten in sich. Ferner sollte in jedem NFS-System regelmäßig die Praxis, besonders die Zusammena rbeit mit den Rettungsfachdiensten (vor allem RD, Feuerwehr und Polizei), gemeinsam (mit den Vertretern dieser Einrichtungen) reflektiert werden und entsprechende Konsequenzen aus den Ergebnissen gezogen werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass die NFS zuverlässig, qualifiziert und am Rettungssystem und an den betroffenen Menschen orientiert arbeitet und auch weiterhin von der Leitstelle und den Einsatzkräften als willkommene Unterstützung geschätzt und in Anspruch genommen wird. 474 Wichtig ist auch, dass es in möglichst jeder NFS-Einheit einige Mitarbeiter gibt, die zusätzlich für die SbE® ausgebildet sind. So können die Rettungskräfte nach besonders belastenden Einsätzen für die Einsatznachsorge gegebenenfalls auch auf diese, vor Ort bekannten Notfallseelsorger zurückgreifen. 475 2.1.2. Eignung und Qualifikation der Notfallseelsorger Es ist sinnvoll, dass haupt- und nebenamtliche pastorale Mitarbeiter in der Kirche motiviert werden, sich zusätzlich in der NFS zu engagieren; wenn man die in der Kriteriologie (unter II, 2.2.2.3) erwähnte Kirchenordnung Testamentum Domini aktualisiert, kann 473 474 475 Dazu bemerkt der Notfallseelsorger Jochen M. Heinecke: „Ich habe gern Spielzeug – auch technisches. Ich gehöre gern dazu, zu den Rettern – und das soll man auch von außen sehen. Wenn aber die Form den Inhalt überwuchert (vgl. Mt 13,7), kann es geschehen, daß am Ende nicht mehr der Baum des Lebens dasteht, sondern ein Weihnachtsbaum – voll von glänzendem Lametta, leuchtender Reflexstreifen und piepsender Handies. Zu einem seriösen Angebot gehört ein glaubwürdiges Äußeres.“ (HEINECKE: Erfahrungen als Seelsorger in der Notfallsituation, 9.) Ferner sei zur Qualität in der NFS verwiesen auf KRAUSE : Qualitätssicherung, 305-313. Sigurd Sadowski hält zu diesem Aspekt fest: „Die beste Voraussetzung für den Notfallseelsorger ist hier die aktive Mitarbeit oder eine regelmäßige Präsenz in der Hilfsorganisation selbst: Gehört man dazu und spricht die Sprache der Kollegen, vermittelt man das Gefühl, einer von ihnen zu sein, ohne sich vereinnahmen zu lassen, dann hat man einen Zugang zu ihnen und ihren Familien [...].“ (SADOWSKI: Notfallseelsorge, 427.) Da die strukturierte Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen nicht zur Notfallseelsorge als solcher gehört, soll in einem späteren Abschnitt (unter IV, 2.3) eigens darauf eingegangen werden. Vgl. dazu ferner M ÜLLER-LANGE : Einsatznachsorge, 283f. 100 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer hier besonders für Diakone ein Aufgabengebiet gesehen werden. 476 Unterstützende und motivierende Rahmenbedingungen sind vom Personalmanagement für alle Notfallseelsorger zu schaffen (beispielsweise die Anrechung als Arbeitszeit). Zu den Grundprinzipien der NFS gehört, wie im ersten Schritt festgestellt wurde, die Freiwilligkeit, mit der sich Notfallseelsorger für diesen Dienst zur Verfügung stellen. Genauso wichtig ist aber auch, wie bei allen Ämtern und Diensten in der Kirche, dass die Bewerber entsprechend geeignet und ausgebildet sind. Die Verantwortlichen sind es sowohl den zu Betreuenden und Einsatzkräften als auch ihren eigenen Mitarbeitern gegenüber schuldig, dass sie nur diejenigen zur NFS zulassen, die die entsprechende Eignung und Qualifikation vorweisen können. 477 Eine einheitlich geregelte und standardisierte NFS-Zusatzausbildung, die auf die ve rschiedenen pastoralen Grundausbildungen (von Gemeinde-, Pastoralreferenten, Diakonen und Priestern) aufbaut, ist gewiss unverzichtbar. Die in der Kriteriologie (unter II, 3.1.3) als Quasi-Standard bezeichneten Voraussetzungen und Inhalte sollten bundesweit zum allgemein anerkannten Standard werden. Einen wesentlichen Platz in der NFS-Ausbildung muss die Begegnung mit dem RD, der Feuerwehr und der Polizei einnehmen; neben der theoretischen Wissensvermittlung ihrer Arbeitsweisen und Organisation sollten auch Praktika in diesen Bereichen (vor allem im RD) verbindlich vorgeschrieben werden. Dies ist wichtig, damit die NFS nicht die Rettungsarbeiten behindert und gegebenenfalls auf Fragen der Angehörigen zu medizinischen Maßnahmen (beispielsweise der Reanimation) näher eingehen kann. Außerdem kann so ein erster Kontakt zu den Einsatzkräften geschaffen werden. Ausreichende Kenntnisse in Erster Hilfe sollten ebenfalls von den Notfallseelsorgern erworben und regelmäßig aufgefrischt werden. 478 Die meisten Notfallseelsorger sind hauptamtlich in der Gemeindeseelsorge tätig und engagieren sich zusätzlich, sozusagen nebenamtlich in der NFS, die sich ja als Erweite476 477 478 Vgl. dazu auch ZULEHNER: Dienende Männer, 59f. Die Kirche besitzt einen wertvollen, von Gott geschenkten Schatz an begabten und talentierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (sowohl auf ehren- als auch hauptamtlicher Basis). Es muss in der Kirche immer mehr darum gehen, für die eigenen Mitarbeiter entsprechend ihren individuellen Fähigkeiten und Talenten, mit denen sie von Gott begabt worden sind, die Stellen auszurichten anstatt Mitarbeiter in fest gefügte, nicht hinterfragte Arbeitsplätze hineinzuzwängen, für die die Betreffenden in der Form aber nicht unbedingt geeignet sind. Es gilt also, vielmehr die Aufgaben den Personen zuzuweisen und nicht die Personen den Aufgaben. Es bleibt der Kirche zu wünschen, dass fähige Leitungspersönlichkeiten das Gemeindeschiff durch die Wogen der Zeit führen, die die Gaben und Begabungen geschickt einsetzen und verwalten, die der Herr seiner Kirche hat zukommen lassen. Im Laufe der Untersuchungen war der Eindruck zu gewinnen, dass das Konzept der NFS Wetterau beispielhaft sein kann (besonders bezüglich der Eignung und Qualifikation der Notfallseelsorger, der 101 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer rung beziehungsweise Stellvertretung für die Gemeindepastoral versteht. Wer nebenamtlich in der NFS tätig ist, sollte sich zunächst in seiner hauptamtlichen Stelle bewährt haben und es muss für ihn möglich sein, dass er bei einer Alarmierung innerhalb seiner Bereitschaftszeit für die NFS abkömmlich ist. 479 Auf jeden Fall sollten Notfallseelsorger auf ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen Rücksicht nehmen. Nur wer sich selbst helfen kann und bereit ist, gegebenenfalls auch von anderen Menschen Hilfe anzunehmen, kann selbst ein guter Helfer in der Not (und darüber hinaus) sein. Supervision und regelmäßige Gespräche mit einem geistlichen Begleiter sollten für jeden (Notfall-) Seelsorger selbstverständlich sein. Abschließend soll noch auf einige grundlegende Gedanken zu Kompetenz und Selbstverständnis von Seelsorgern (und damit auch Notfallseelsorgern) eingegangen werden. Der Pastoraltheologe Henri J. M. Nouwen sieht in Anlehnung an die Versuchungen Jesu durch den Satan in Mt 4,1-11 auch drei gefährliche Versuchungen für die Seelsorger: nämlich unentbehrlich, beliebt und mächtig sein zu wollen. 480 Wenn sich ein Seelsorger aber bewusst ist, dass er (nur) ein Werkzeug Gottes ist und dass er auch nicht alles kann und können muss, steht er nicht in der Gefahr, immer aus eigenen Quellen zu schöpfen, sich in einem Aktionismus zu verrennen und vielleicht im Burnout zu enden. Nouwen schreibt an anderer Stelle: „Der gute Seelsorger hat die Berufung, Fertigkeiten zu entwickeln, ohne zum Gaukler zu werden, über Kenntnisse zu verfügen, ohne zum Schwindler zu werden [...]. Wenn er die Fähigkeit besitzt, sich selbst zu verleugnen, offen und ehrlich zu sein und den Sinn menschlichen Leidens zu begreifen, dann kann er dem Menschen, um den er sich kümmert, die Ahnung vermitteln, daß es Gott selber ist, der ihm durch die Hand seines Dieners seine zärtliche Liebe offe nbart.“481 Von einem Notfallseelsorger wird nicht erwartet, dass er alles kann und auf alles eine Antwort hat. Er muss nicht unbedingt zusätzlich als Rettungssanitäter, Feuerwehrmann, Arzt oder sonstiges ausgebildet sein. Was ein Notfallseelsorger aber auf jeden Fall sein muss und was von ihm erwartet wird, ist, dass er ein kompetenter Theologe und auf- 479 480 481 Ausbildung und Zusammenarbeit mit Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst). Vgl. dazu NOTFALLSEELSORGE W ETTERAU : Notfallseelsorge Wetterau. Eine Gemeinde will darauf vorbereitet sein und muss damit umgehen lernen, dass sie gegebenenfalls einmal kurzfristig beispielsweise auf ihren Pfarrer verzichten muss, damit dieser einem Menschen in einer akuten Krisensituation beistehen kann. Hier sind Interessenskonflikte nicht immer auszuschließen. Doch sollte nach der Kriteriologie deutlich geworden sein, wo die Priorität zu setzen ist. In der Regel sind aber ohnehin in vielen NFS-Systemen immer zwei Notfallseelsorger gleichzeitig zur Bereitschaft eingeteilt, so dass hier durchaus eine Absprache möglich ist (zum Beispiel für die Gottesdienste am Sonntagmorgen oder den Schulunterricht). Vgl. NOUWEN: Seelsorge, die aus dem Herzen kommt, 19-25 u. 37-41 u. 55-60. Vgl. dazu auch ZIPPERT : Zur Theologie der Notfallseelsorge, 46. NOUWEN : Schöpferische Seelsorge, 106. 102 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer merksamer Gottesmann ist, der mit Menschen mitleiden, reden, gegebenenfalls klagen, schweigen und beten kann. Ein Notfallseelsorger muss trotz aller Fragen, allem Leid und vielleicht auch scheinbarer Gottlosigkeit durch seine wohlwollende und unaufdringliche Anwesenheit ein lebendiger Zeuge für die Liebe und Nähe Gottes in der Welt sein. 482 Jeder Seelsorger muss sich immer (nicht nur bei einem Einsatz) bewusst sein, dass er nicht im eigenen Auftrag unterwegs ist und nicht seine eigene Botschaft verkündet. Gott, der ihn gesandt hat, ist immer schon bei den Menschen zugegen, die zu begleiten und zu betreuen sind. Ein Seelsorger muss Gott also nicht zu den Menschen bringen, sondern er muss diese vielmehr auf ihrem Weg dabei unterstützen, Gott in ihrem Leben zu entdecken. Wer Seelsorger ist, muss im Gespräch mit Gott sein, muss beten und auf ihn hören können. Nouwen hat einen Seelsorger vor Augen, „der seine beiden Hände weit ausstreckt und ein Leben wählt, das in eine stete Abwärtsbewegung führt. Es ist das Bild eines Menschen, der betet, der verwundbar ist und der ein grenzenloses Vertrauen hat.“483 Diese Grundeinstellung und -ausrichtung macht auch das folgende Gebet deutlich, dass Seelsorger auf ihrem Weg zu einem Einsatzort begleiten und auf die anstehenden Aufgaben gut vorbereiten kann: „ Herr, sei mir jetzt nahe – und den Betroffenen. Gib mir Umsicht, Ruhe und Klarheit, Laß mich das Nötige überlegt, rasch und entschieden tun. Du rufst mich jetzt zum Helfen und Trösten. Schenke mir Kraft dazu, in Jesu Namen. Amen.“484 2.2 Im Bereich der Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst Da es in dieser Kategorialseelsorge bisher nur wenige Stellen gibt und aufgrund der finanziellen und personellen Lage der Kirchen in diesem Bereich vermutlich auch keine zusätzlichen entstehen werden, soll hier nur kurz darauf eingegangen werden. 482 483 484 Eine Umfrage unter den Seelsorgern, die sich beim Unglück von Eschede vor Ort engagiert haben, „ergab, daß sie in den verschiedenen Einsatzorten in unterschiedlicher Weise als Theologen/innen gefragt waren [...]. Es ging in den ersten Stunden um menschliche Begleitung, um Nähe, um Mitle iden.“ (HÖLTERHOFF: Katastrophenseelsorge, 129.) Ferner sei auf die Ratschläge hingewiesen, die im Fragebogen NFS (9) an zukünftige Notfallseelsorger weitergegeben werden. NOUWEN : Seelsorge, die aus dem Herzen kommt, 70f. KIRCHENKANZLEI DER EVANGELISCHEN KIRCHE IN DEUTSCHLAND: Kirchliches Handeln bei Unglücksfällen und Katastrophen, 28. 103 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Es erscheint wichtiger, dass sich die Pastoral auf die Gemeindeseelsorge konzentriert und nach wie vor hier ihre Schwerpunkte setzt; das heißt aber noch lange nicht, dass diese Kategorialseelsorge eingestellt werden soll. Die bereits eingerichteten Stellen sollen effektiv über die Bundesrepublik verteilt werden und sich vor allem auf die Ba llungsräume fokussieren. Die Stelleninhaber sollten sich im RD und in der Feuerwehr bestens auskennen und eventuell sogar eine Ausbildung in diesem Bereich absolviert haben, damit sie auch wirklich eine Hilfe und Unterstützung sein können und von den Einsatzkräften leichter anerkannt werden; in diesen Bereichen wird nämlich mehr Wert auf Kollegialität als auf Titel und Ämter gelegt. Es ist anzustreben, dass diese Kategorialseelsorger ökumenisch zusammenarbeiten und mit Hilfe von Fortbildungen und Publikationen interessierten Gemeindeseelsorgern weiterhelfen, die in ihren Pfarrgemeinden auch auf die Rettungs- und Feuerwachen zugehen wollen und bereit sind, deren Personal gegebenenfalls als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen und seelsorglich zu begleiten. 2.3 Im Bereich der Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen Auch im Bereich der SbE® sollten sich kirchliche Mitarbeiter weiterhin engagieren und mit Mitarbeitern des KID, Psychologen, Ärzten und weiteren Einsatzkräften zusammenarbeiten. Es ist sinnvoll, wenn es in jeder NFS-Einheit auch Notfallseelsorger gibt, die zusätzlich eine SbE®-Qualifikation besitzen. Wie in der Kairologie (unter III, 4.1.2) festgestellt wurde, ist es für viele Einsatzkräfte hilfreich, wenn zur Einsatznachsorge Gesprächspartner zur Verfügung stehen, die den RD aus eigener Erfahrung gut kennen und über gewisse Erfahrungen in diesem Bereich verfügen. 485 Es kann dabei durchaus von Vorteil sein, wenn von der Rettungswache unabhängige, sozusagen neutrale Personen für die Einsatznachsorge qualifiziert sind. So ist Manuel Rupp der Meinung: „Auch die kompetentesten Helfer können in Not geraten. Hilfe bei außenstehenden Dritten zu suchen, kann auch für sie eine Chance sein, inneren Abstand zu gewinnen, einen neuen Realitätsbezug zu schaffen, das eingeengte Beziehungsnetz zu erweitern und frische Impulse ‚von außen’ aufzunehmen.“486 485 486 Vgl. Fragebögen NFS (11.2) und RD 1 (15.2). RUPP : Notfall Seele, 29. Nicht wenige Seelsorger können, nicht zuletzt durch die Einrichtung des Zivildienstes, durchaus beides anbieten: Wissen und Erfahrung im RD und Neutralität. Hier steckt ein bedeutendes Potential der Kirche für die Zusammenarbeit mit dem RD. Im Bischöflichen Priesterseminar in Mainz beispielsweise waren in den vergangenen Jahren immer auch Alumnen eingeschrieben, die eine RD-Ausbildung absolviert hatten. So gehörten im Wintersemester 2003/2004 dem 104 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Das vom MHD entwickelte Mediatorenmodell bietet hier sicher eine gute Gelegenheit für das Zusammenwirken von RD, Kirche und anderen Einrichtungen. Allerdings besteht noch erheblicher Handlungsbedarf, was die Akzeptanz und Nutzung bei den Einsatzkräften angeht. Kirchliche Mitarbeiter können den Hilfsorganisationen (im Großen) und den Rettungswachen vor Ort (im Kleinen), die für ihr Personal schließlich zuständig und verantwortlich sind, dabei ihre Unterstützung anbieten. 2.4 Im Bereich der Aus- und Fortbildungen im Rettungsdienst Die Kairologie hat (unter III, 4.2 und III, 5.2) gezeigt, dass sowohl die befragten RDMitarbeiter als auch die Hilfsorganisationen auf dem Gebiet der Aus- und Fortbildungen eine Möglichkeit sehen, in der sich Notfallseelsorger, Seelsorger in Feuerwehr und Rettungsdienst und andere kompetente kirchliche Mitarbeiter einbringen können. Ethische und religiöse Themen sind ebenso gefragt wie Grundlagen einer Basiskrisenintervention; natürlich ist dabei auf die Wünsche der Verantwortlichen und Einsatzkräfte vor Ort Rücksicht zu nehmen. 487 Nicht zuletzt können gemeinsame Übungen von NFS, Feuerwehr, Polizei, KID und RD die Zusammenarbeit stärken und dem Wohl des Patienten dienen. Gerade bei solchen praktischen Einheiten können die Einsatzkräfte und Seelsorger gemeinsam beraten und trainieren, wie in solchen Notsituationen die Patienten, deren Angehörige und weitere Beteiligte optimal versorgt und betreut werden und sich die Helfer nicht gegenseitig behindern. Außerdem bieten die Übungen eine Chance, Vorurteile und Klischees auf allen Seiten immer mehr abzubauen. Einladungen zu solchen Veranstaltungen sollten also auf jeden Fall angenommen werden und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit sollte auch auf diesem Gebiet signalisiert werden. 2.5 Auf Gemeindeebene 2.5.1 Wohlwollen und gegenseitige Unterstützung Bei der nun folgenden, gewiss nicht vollständigen Darstellung von Möglichkeiten der Zusammenarbeit von RD und Kirchengemeinde vor Ort, soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass sich pastorale Mitarbeiter in Zukunft ausschließlich um die AnlieAlumnat (mit Studierenden aus dem Bistum Speyer und den beiden Mainzer Pastoralkursen) unter anderem ein Notarzt, zwei Rettungsassistenten und zwei Rettungssanitäter an, so dass rein theoretisch ein NAW und ein RTW mit diesen Seminaristen besetzt werden könnte. 105 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer gen des Rettungsdienstes bemühen sollen. Ziel ist es, mögliche Ansätze aufzuweisen, die teilweise bereits mancherorts verwirklicht wurden. Als wichtige Grundlage kann angesehen werden, dass die Kirchengemeinde den RD und ebenso die Feuerwehr und Polizei vor Ort als wichtige Einrichtungen wahrnehmen und ihren Dienst am Nächsten respektvoll anerkennen muss; denn die Nächstenliebe, die hier praktiziert wird, ist ohne Zweifel wichtiger Ausdruck des Christentums. Aus diesem Grund ist es sinnvoll an einem gegenseitigen Wohlwollen zu arbeiten. Dies kann leichter sein, wenn sich Gemeindemitglieder in diesen Organisationen engagieren und sozusagen als Brückenbauer tätig sind. Die Kirchengemeinde kann dem RD vor Ort einen großen Dienst leisten, wenn sie mithilft, zumindest bei ihren Mitgliedern ein realistisches Bild vom RD zu entwickeln, damit dessen soziale Stellung und Anerkennung in der Bevölkerung steigt. Außerdem ist es sinnvoll, den RD in seinem Anliegen zu unterstützen, möglichst zahlreiche Menschen als Ersthelfer auszubilden, damit in Notfällen die Notrufmeldungen richtig getätigt werden und die Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes durch Sofortmaßnahmen gegebenenfalls lebensrettend überbrückt wird. Erste-Hilfe-Kurse für haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter der Kirche, die regelmäßig von der Gemeinde in Zusammenarbeit mit einer Hilfsorganisation durchgeführt werden, sind daher empfehlenswert. Neben der Unterstützung der Organisation qualifiziert die Pfarrgemeinde dadurch zugleich ihre eigenen Mitarbeiter und bereitet sie auch auf Zwischenfälle dieser Art vor. Bei größeren Veranstaltungen einer Kirchengemeinde (beispielsweise Gottesdienste mit zahlreichen Mitfeiernden, Wallfahrten und große Feste) bietet es sich an, rechtzeitig mit der nächstgelegenen RD-Organisation die Notwendigkeit eines Sanitätsdienstes abzuklären. 488 Dadurch wird die Sicherheit aller Beteiligten gewährleistet; zugleich wird den Hilfsorganisationen auch eine Möglichkeit zur Öffentlichkeitsarbeit geboten und die Gemeinde macht ferner deutlich, dass sie den RD ernst nimmt und schätzt. 489 487 488 489 Konkrete Vorschläge für einen Lehrplanentwurf der RA-Ausbildung in den Teilbereichen Ethik und Patientenbetreuung finden sich bei W IETERSHEIM : Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst, 148f. Zur Notwendigkeit eines Sanitätsdienstes gibt es keine grundsätzlichen gesetzlichen Regelungen. Allerdings kann die zuständige Behörde (meist die Kommunalverwaltungsbehörde) aus Sicherheitsgründen Veranstaltungen verbieten oder mit Auflagen versehen, zu denen unter Umständen ein Sanitätsdienst zählt. Die Stärke dieses Dienstes ist unter anderem abhängig vom Ort, der Teilnehmerzahl, den Gefahrenpotentialen und der Entfernung zur nächsten Rettungswache und wird nach bestimmten Schlüsseln der Hilfsorganisationen errechnet. Vgl. MHD: Leitfaden – Planung und Durchführung von Sanitätseinsätzen, bes. 4f u. 9f. Ein kleines, aber nicht zu unterschätzendes Zeichen der Anerkennung ist sicher auch, wenn bei Dankesworten nicht nur die zahlreichen Helfer der Gemeinde lobend erwähnt werden, sondern auch das anwesende Sanitätspersonal, das oft ehrenamtlich arbeitet, dabei nicht vergessen wird. 106 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Generell bietet es sich an, dass pastorale Mitarbeiter ihre Gemeinde auf (öffentliche) Veranstaltungen oder Aktionen der Rettungswache vor Ort (beispielsweise einen Tag der offenen Tür oder Blutspendetermin) hinweisen und nach Möglichkeit diese auch selbst besuchen. Ferner sei empfohlen, dass sich Gemeindeseelsorger auch auf der jeweiligen Wache vorstellen und ihre Bereitschaft für seelsorgliche Gespräche und generelle Zusammenarbeit bekunden; eine Absprache mit den Verantwortlichen ist dabei unumgänglich. 490 Gegebenenfalls kann es angebracht sein, dem RD auch Gemeinderäume für Übungen zur Verfügung zu stellen. Bei dieser Gelegenheit könnten auch Absprachen in Bezug auf eventuelle RD-Einsätze in diesen Räumen getroffen werden, um mögliche Missverständnisse von vornherein zu vermeiden. Selbstverständlich sollten Kirchen und Gemeindehäuser auch sicherheitstechnisch vorbildhaft ausgestattet sein. 491 Ohne Zweifel kommt es immer auch auf die Personenkonstellationen vor Ort und deren Einstellungen und Interessen an. Nicht überall und zu jeder Zeit wird eine solche Zusammenarbeit möglich und erwünscht sein. Die kirchlichen Mitarbeiter sollten aber den Schritt auf die Rettungswachen und Hilfsorganisationen zumindest wagen und auch Gemeindemitglieder, die sich dort engagieren, um ihre Mithilfe dabei bitten. Auf diesem Gebiet wurde in einigen Pfarrgemeinden viel erreicht und in anderen ist sicher noch Vieles möglich. 492 2.5.2 Seelsorge Für die Einzelseelsorge im Rahmen der Gemeindepastoral sollen hier einige Impulse für die seelsorgliche Begleitung von Gemeindemitgliedern gegeben werden, die als Haup tamtliche, Ehrenamtliche oder Zivildienstleistende im RD tätig sind. Generell sei hier die so genannte Mystagogische Seelsorge genannt, die den Menschen in das Geheimnis seiner Lebensgeschichte heran- beziehungsweise einführt, welche „stets Gottes reuelose Liebesgeschichte mit diesem Menschen ist.“493 490 491 492 493 Die Kirche muss immer auch über den eigenen Kirchturm hinausschauen. Die Gemeinde und ihre Seelsorge sollten um der Menschen und der Frohen Botschaft willen nicht nur ihre Gottesdienstbesucher im Blick haben, sondern auch die zahlreichen Leute in den Firmen und Einrichtungen, die es auf dem Gemeindegebiet gibt. Vor allem sollten ausreichend Verbandkästen, Feuerlöscher und eventuell eine Krankentrage vorhanden sein. Fragebogen NFS (15.1 u. 15.2) macht den Seelsorgern Mut, Schritte auf die Rettungswachen zuzugehen: „Es ist sicher nicht schwerer als mit anderen in Kontakt zu kommen [....]. Aber auch hier gilt, dass das Interesse ehrlich sein sollte.“ ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 2, 165. 107 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Aufgabe des Seelsorgers ist es, den Menschen dabei zu begleiten und zu unterstützen, Gottes Spuren in seinem Leben zu entdecken und das zu entziffern, was Gott ihm aus Liebe ins Herz geschrieben hat (ähnlich wie der Purpurhändlerin Lydia in Apg 16,14 ). 494 Wegweisend für alle Seelsorger schreibt Karl Rahner in seiner Rede des Ignatius von Loyola an einen Jesuiten von heute: „Aber es bleibt: der Mensch kann Gott selbst erfa hren. Und eure Seelsorge müßte immer und bei jedem Schritt dieses Ziel unerbittlich vor Augen haben.“495 Gerade der wertvolle Dienst am Nächsten und die damit verbundenen Gefahren und besonderen Belastungen sind nicht unbedeutend, wenn im Rahmen der seelsorglichen Begleitung eines RD-Mitarbeiters der persönlichen Botschaft Gottes an diesen Menschen auf den Grund gegangen werden soll. Wunibald Müller schreibt dementsprechend: „Menschen die Leben riskieren, dabei zu ihren inneren Tiefen vorstoßen und wieder zurückkommen, besitzen eine besondere Lebensqualität, die für ihr eigenes Leben von Bedeutung ist, die sie aber auch in besonderer Weise für einen helfenden Beruf befähigt. So steht das Bild vom verwundeten Heiler weiter für ein wesentliches Merkmal des Helfers und der Helferin.“496 Selbstverständlich muss jeder Seelsorger seine eigenen Kompetenzen verantwortlich einschätzen. Falls ein RD-Mitarbeiter, den er pastoral begleitet, unter Posttraumatischen Belastungsreaktionen (PTB) oder sogar -störungen (PTBS) oder sonstigen psychischen Einschränkungen (z. B. ausgeprägtes Helfer- oder Burnout-Syndrom) leidet, sollte er diesen fürsorglich an entsprechend ausgebildetes Fachpersonal weiterleiten. 497 494 495 496 497 Die Mystagogie bildet bei Karl Rahner „die prinzipielle Axiomatik, die seiner gesamten Theologie zugrunde liegt.“ (KNOBLOCH: Praktische Theologie, 189.) Er führt damit den Mystagogiebegriff, den Odo Casel und Romano Guardini im Rahmen der Liturgischen Bewegung in Anlehnung an die urchristliche Tradition der Mystagogischen Katechesen verwendet haben, weiter, indem er ihn „‚prinzipieller’ und näher am Menschen ansetzt.“ (KNOBLOCH: Praktische Theologie, 188.) Auf die Mystagogische Seelsorge kann hier leider nicht ausführlicher eingegangen werden. Verwiesen sei deshalb auf KNOBLOCH: Praktische Theologie, 188-202 und ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 2, 165f. RAHNER: Rede des Ignatius von Loyola an einen Jesuiten von heute, 377. An anderer Stelle schreibt Karl Rahner ermahnend an die Seelsorger: „Stellt euch einmal [...] vor, ihr wäret keine Kirchenbeamten, ihr würdet auf der Straße spazieren gehen mit einem Brotverdienst wie ein Straßenkehrer oder wie (wenn das besser gefällt) ein Wissenschaftler in einem Labor für Plasmaphysik, wo den ganzen Tag lang nie ein Wort von Gott fällt und doch stolze Erfolge erzielt werden. Stellt euch vor, euer Kopf sei müde vom Straßenkehren oder von der Molekularphysik und ihrer Mathematik. Stellt euch vor, diese Situation dauere schon so ungefähr ein Leben lang und geschähe nicht aus euerer missionarischen Herablassung heraus. Und jetzt versucht, diesen Menschen dieser Umgebung die Botschaft des Christentums zu sagen, die Botschaft Jesu vom ewigen Leben zu predigen.“ (RAHNER: Strukturwandel der Kirche als Chance und Aufgabe, 101f.) M ÜLLER: Begegnung, die von Herzen kommt, 81. Zum Bild des verwundeten Arztes vgl. ferner ZULEHNER: Pastoraltheologie, Bd. 1, 93. Wunibald Müller bemerkt dazu: „Sobald der Seelsorger klar festgestellt hat, daß die Hilfe, die er der ratsuchenden Person anbieten kann, nicht ausreicht, um ihr wirklich helfen zu können, sollten die 108 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer 2.5.3 Liturgie Auch im Gottesdienst mit seinen zahlreichen Formen liturgischen Feierns liegen Cha ncen, den RD nicht ganz zu vergessen. So ist es beim Allgemeinen Gebet, den Fürbitten, durchaus angebracht, gelegentlich und vor allem nach (regionalen) Unglücksfällen und Katastrophen nicht nur für die Opfer, sondern auch für die zahlreichen Hilfskräfte zu beten. Ebenso ist es ein schönes Zeichen der Wertschätzung, wenn an Feiertagen (besonders am Heiligen Abend und an Silvester) auch für diejenigen gebetet wird, die in Krankhäusern, Polizei-, Feuer- und Rettungswachen ihren Dienst für andere Menschen – auch für die Gottesdienstgemeinde – verric hten und vielleicht deshalb die Liturgie nicht mitfeiern können. 498 Nach Katastrophen und schweren Unfällen oder anlässlich des Jahrestages von solchen kann es durchaus sinnvoll sein, in Absprache mit den Rettungsorganisationen einen Gedenkgottesdienst oder eine Gedenkfeier für Angehörige und Helfer zu gestalten. Auch Jubiläumsgottesdienste und Segnungen von neuen Einsatzfahrzeugen, um die eine Rettungswache oder Hilfsorganisation gegebenenfalls bittet, sind hier anzuführen. 499 Gemäß der aktuellen liturgischen Leseordnung der katholischen Kirche wird am 15. Sonntag im Jahreskreis im Lesejahr C die Perikope vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25-37 ) als Evangelium verkündet. Hier bietet sich die Gelegenheit, in der Homilie oder Ansprache auch auf die modernen Berufsretter und ihren wichtigen Dienst am Nächsten einzugehen und die Mitfeiernden dazu zu ermutigen, selbst zu helfen und in Erste-Hilfe-Kursen das Know how des Helfens regelmäßig zu trainieren. Eventuell kann im Rahmen dieses Herrentages mit Rettungsdienstlern eine Aktion organisiert werden. Schließlich sei auch an das generelle Gebet erinnert. Durch ein spontanes Stoßgebet beim Hören eines Martinshornes bleiben wir nicht tatenlos und unbeteiligt, wenn ein 498 499 betroffenen Personen von ihm erwarten können, daß er sie an geeignete Helfer weitervermittelt.“ (M ÜLLER: Erkennen – unterscheiden – begegnen, 51f.) Zu den Fürbitten bemerkt die Allgemeine Einführung in das Römische Meßbuch: „In den Fürbitten übt die Gemeinde durch ihr Beten für alle Menschen ihr priesterliches Amt aus. Dieses Gebet gehört für gewöhnlich zu jeder mit einer Gemeinde gefeierten Messe, damit Fürbitten gehalten werden für die heilige Kirche, die Regierenden, für jene, die von mancherlei Not bedrückt sind, für alle Menschen und das Heil der ganzen Welt.“ (A LLGEMEINE EINFÜHRUNG IN DAS RÖMISCHE M EßBUCH, Nr. 45; eigene Hervorhebungen.) Vgl. dazu auch ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Sacrosanctum Concilium, Nr. 53. Vgl. zu Gedenkgottesdiensten auch SARBACH: Beispiel Gondo. Ferner sei verwiesen auf www.notfallseelsorge.de/gde.htm (vom 22.08.2003); dort sind zahlreiche Impulse und Vorschläge für verschiedene Gottesdienste und liturgische Feiern vorzufinden. 109 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Rettungsteam zu Menschen in Not unterwegs ist. In diesem guten Sinn wird dieser Abschnitt auch betend beendet: Herr, „hilf denen, die Hilfe brauchen und denen, die Hilfe bringen.“500 500 KAMES: Erste Hilfe für die Seele, 21. 110 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer 3 Abschließende Überlegungen und Ausblick In diesem letzten Abschnitt der vorliegenden Untersuchungen sollen nicht mehr allzu viele Worte gemacht werden. Natürlich bliebe noch Vieles zu sagen, alles kann aber ohnehin nicht gesagt werden. Deshalb bleibt mir nur noch, den Leser mit Worten von Karl Rahner darum zu bitten, dieser pastoraltheologischen Arbeit „mit gnädigem Wohlwollen zu begegnen, Ansätze, Grundtendenzen, Fragestellungen wichtiger zu nehmen als die ‚Ergebnisse’, die ja schließlich nie endgültig sein können.“501 Eine KID-Mitarbeiterin berichtete mir dieser Tage von einem Treffen, bei dem Notfallseelsorger und Mitglieder des KID zahlreiche Klischees, Vorurteile und negative Erfahrungen miteinander betrachtet haben, um strukturiert darüber zu reden und so eine Basis für eine bessere Kooperation zu schaffen. Diese Nachricht hat mir gezeigt, dass das Thema der vorliegenden Arbeit tatsächlich Bezug zur Praxis hat. Noch viel mehr hat sie mich erfreut, weil dies ein Beispiel dafür ist, dass immer wieder Menschen von beiden Seiten, RD und Kirche, Schritte aufeinander zu gehen und eine gute Begegnung wagen. Die Karikatur über die erste Begegnung (vgl. Abb. 1) kann daher zum Abschluss dieser Untersuchungen durch eine zweite ergänzt werden, die teilweise ein Stück Realität zeigt und zum Teil auch visionäres Potential beinhaltet. So möchte ich bewusst das (vor-) letzte Wort (in Form einer Zeichnung) meiner Diplomarbeit einem Rettungsdienstler überlassen. Der Rettungssanitäter Daniel Lüdeling führt uns hier ein Bild vor Augen, in dem der kirchliche Seelsorger neben Rettungsdienstlern, Notärztin, Feuerwehrmann, RTH-Pilot, Leitstellendisponent und anderen einen selbstverständlichen Platz im kollegialen Rettungsteam hat. 502 Der Seelsorger nimmt darin gewiss eine etwas außergewöhnliche Position ein (dargestellt durch Brustkreuz, Talar, gefaltete Hände und Heiligenschein), da er für eine Dimension steht und arbeitet, die über diese Welt, ihre Grenzen und ihr Leid hinausreicht: Gottes Frohe Botschaft von Liebe und Leben. Aber der Seelsorger gehört auf jeden Fall zum Team dazu – zum Wohl der Menschen. 501 502 RAHNER: Erfahrungen eines katholischen Theologen, 115. Vgl. Abbildung 4. 111 Abb. 4 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer EIN LETZTES WORT: D ANKE An dieser Stelle möchte ich es nicht versäumen, allen „Danke“ zu sagen, die mich bei der Erstellung dieser Diplomarbeit auf je ihre Art unterstützt haben. Namen von Einzelpersonen möchte ich in dieser, unter anderem über Internet zugänglichen Ausgabe nicht nennen. Ich danke meinen Eltern, meiner Familie und meinem gesamten Freundeskreis, den Lehrenden und Mitstudierenden in Mainz (und 2001/2002 in Wien) und der Hausgemeinschaft mit den Angestellten im Mainzer Priesterseminar für die Weggemeinschaft und manches ermutigende Wort oder den ein oder anderen guten Ratschlag. Besonders bedanke ich mich beim Erstgutachter, der diese Arbeit von ihren Anfängen an begleitet und mit seinem Wissen und Rat wohlwollend unterstützt hat. Beiden Gutachtern danke ich für ihre sehr differenzierte Bewertung. Bedanken möchte ich mich natürlich auch bei allen, die mir durch Ihre Auskünfte bei den Untersuchungen sehr weitergeholfen haben: bei den entsprechenden Personen bei den Hilfsorganisationen (ASB, DRK und MHD), bei einer ganzen Reihe von Rettungsdienstlern und Notfallseelsorgern, beim Arbeitskreis „Krisenintervention-Notfallseelsorge-Stressbewältigung“ des Main-Kinzig-Kreises, bei den Zuständigen für Notfallseelsorge im Bischöflichen Ordinariat Mainz und bei der Deutschen Bischofskonferenz. Besonders erwähnt werden sollen hier diejenigen, die viel Zeit und Engagement in die Beantwortung der Fragebögen und in die Korrekturarbeiten investiert haben. Dem Zeichner der beiden verwendeten Karikaturen danke ich für die Abdruckerlaubnis. Nicht unerwähnt lassen möchte ich auch die Kolleginnen und Kollegen auf der Rettungswache in Großkrotzenburg, denen ich für Ihre Kameradschaft und zahlreiche wertvolle Begegnungen und Gespräche sehr dankbar bin. Allen – in welcher Weise auch immer – an dieser Arbeit Beteiligten sage ich ein ganz herzliches „Danke“. Vor allem und zu guter Letzt: „Deo gratias. Halleluja.“ ABBILDUNGSVERZEICHNIS Ÿ Abb. auf Seite 2: Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Ausschnitt einer byzantin ischen Buchmalerei im Codex Rossanensis (Museo Civico Rossano, Kalabrien). In: ZULEHNER / BRANDNER: GottesPastoral, Umschlag. Ÿ Abb. 1 (Seite 8): „Erste Begegnung von Sanitäter und Priester“ (Daniel Lüdeling). Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Daniel Lüdeling (www.rippenspreizer.de). Ÿ Abb. 2 (Seite 31): „Gesetzlich geschütztes Logo der kirchlichen Notfallseelsorge“. In: www.notfallseelsorge.de/logob.htm (vom 03.09.2003). Ÿ Abb. 3 (Seite 43): „Notfallseelsorge im Bistum Mainz“ (Stand: März/2003). Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Bischöflichen Ordinariates Mainz, Dezernat Seelsorge. Ÿ Abb. 4 (Seite 109): „Das Team“ (Daniel Lüdeling). Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Daniel Lüdeling (www.rippenspreizer.de). 112 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS Hinweis: Bei den Literaturangaben in den Fußnoten der Arbeit wurden nur die in diesem Verzeichnis kursiv gedruckten Kurztitel und die in Kapitälchen geschriebenen Namen (der Autoren beziehungsweise Herausgeber o. ä.) verwendet. A Kirchliche Quellen und Dokumente ALLGEMEINE EINFÜHRUNG IN DAS RÖMISCHE MEßBUCH. In: Messbuch. Die Feier der heiligen Messe. Hg. im Auftrag der deutschsprachigen Bischofskonferenzen. Einsiedeln u. a. 1978, 23*-86*. BISCHÖFLICHES ORDINARIAT DER DIÖZESE MAINZ (Hg.): Rahmenordnung für die Notfallseelsorge. In: Kirchliches Amtsblatt für die Diözese Mainz 142 (2000) 24f. EVANGELISCH-KATHOLISCHE AKTIONSGEMEINSCHAFT für Verkehrssicherheit / Bruderhilfe Akademie für Verkehrssicherheit (Hgg.): „Notfallseelsorge“ – Eine Handreichung: Grundlegendes – Modelle – Fortbildung. Kassel 1997 (Sonderheft). Das Neue Testament. Griechisch und Deutsch. Hg. von Barbara Aland und Kurt Aland (in der Nachfolge von E. Nestle und E. Nestle), Stuttgart 2 1995. Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Stuttgart 1981. JOHANNES P AUL II.: Enzyklika Evangelium vitae (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 120). Bonn 1995, 5 2001. – Enzyklika Redemptoris hominis (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 6). Bonn 1979. KIRCHENKANZLEI DER EVANGELISCHEN KIRCHE IN DEUTSCHLAND (Hg.): Kirchliches Handeln bei Unglücksfällen und Katastrophen. Eine Handreichung für kirchliche Mitarbeiter. Hannover 3 1978. Kleines Konzilskompendium. Hg. von Karl Rahner und Herbert Vorgrimler. Freiburg im Breisgau 1966. TESTAMENTUM DOMINI (5. Jh.; Ausschnitte mit den Aussagen über den Diakon in der deutschen Übersetzung von B. Fischer). In: Fischer, Balthasar: Dienst und Spiritualität des Diakons. Das Zeugnis einer syrischen Kirchenordnung des 5. Jahrhunderts. In: Plöger, Josef G. / Weber, Hermann Joh. (Hgg.): Der Diakon. Wiederentdeckung und Erneuerung seines Dienstes. Freiburg im Breisgau 1980, 263-273 (bes. 264-269). ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL: Apostolicam actuositatem (Dekret über das Laienapostolat; 1965). In: Kleines Konzilskompendium, 389-421. – Gaudium et spes (Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute; 1965). In: Kleines Konzilskompendium, 449-552. – Lumen gentium (Dogmatische Konstitution über die Kirche; 1964). In: Kleines Konzilskompendium, 123-197. – Sacrosanctum Concilium (Konstitution über die heilige Liturgie; 1963). In: Kleines Konzilskompendium, 51-90. – Unitatis redintegratio (Dekret über den Ökumenismus; 1964). In: Kleines Konzilskompendium, 229-250. 113 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer B Dokumente der Hilfsorganisationen im Rettungsdienst Diese Dokumente wurden auf Anfrage von der jeweiligen Organisation zugesandt beziehungsweise den angegebenen Internetseiten entnommen. Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e. V. (ASB) ASB Deutschland e. V. Bundesverband (Hg.): Bundesrichtlinien / Bundessatzung. Köln 2002. ASB Deutschland e. V. (Hg.): Erste Hilfe. Verfasst von Peter Goldschmidt unter der Mitarbeit von Angelika König. Köln 3 1996. – Leitbild des Arbeiter-Samariter-Bundes. In: www.asb-bv.asb-online.de/0/Verein/leitbild. htm (vom 23.09.2003). Deutsches Rotes Kreuz e. V. (DRK) DRK (Hg.): DRK-Position zum Thema „Erste Hilfe und psychologische Unterstützung“ (2002). – Satzung des Deutschen Roten Kreuzes. In: www.drk.de (vom 08.09.2003) DRK-GENERALSEKRETARIAT (Hg.): Leitsatz und Leitbild des Deutschen Roten Kreuzes (1995). In: www.drk.de (vom 08.09.2003) INSTITUT FÜR RETTUNGSWESEN DES DRK (Hg.): 3. Entwurf der Rahmenkonzeption zur psychosozialen Unterstützung von Einsatzkräften (Qualifizierung, Begleitung und Betreuung). Bonn 2001. – Notfallnachsorge für Angehörige und Augenzeugen. Ergebnisse der Arbeitsgruppe „Strukturen“. Bonn 2000. Johanniter-Unfall-Hilfe e. V. (JUH) JUH (Hg.): Leitbildfaden. In: www.juh.de/wir-ueber-uns/index-wir-ueber-uns.htm (vom 08.09.2003) – Satzung der JUH (2001). In: www.juh.de/wir-ueber-uns/satzung.pdf (vom 08.09.2003) Malteser-Hilfsdienst e. V. (MHD) MHD (Hg.): Leitfaden (2001). In: www.malteser.de (vom 25.08.2003) – Hilfe für Helfer. Psychologische Betreuung und Seelsorge für Einsatzkräfte. Faltblatt ohne Angabe von Ort und Jahr. – Leitfaden – Planung und Durchführung von Sanitätseinsätzen (2000). Internes Dokument des MHD. – Positionspapier zur Notfallseelsorge und Krisenintervention beim Malteser-Hilfsdienst. Ohne Angabe von Ort und Jahr. – Psychosoziale Betreuung – Mensch im Mittelpunkt. Bildungsprogramm 2003. Köln 2003. – Q-Tipp 3 (2002). Sonderausgabe I/2002. Internes Dokument des MHD. 114 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer C Weitere Literatur ADAMS, Ursula: Die Kunst des Helfens. Vom Selbstverständnis des Helfenden. Freiburg im Breisgau 2 1970. ALBRECHT, Dirk u. a.: Die Posttraumatische Belastungsreaktion (PTB) – ein (häufig) unterschätztes Krankheitsbild. In: Rettungsdienst 22 (1999) 607-612. APPEL-SCHUMACHER, Thomas: Streßmanagement nach traumatischen Ereignissen. In: BENGEL, Jürgen (Hg.): Psychologie in Notfallmedizin und Rettungsdienst, 255-267. BACHSTEIN, Stefanie: Du hättest leben können. Bergisch Gladbach 2002. BASSY , Karl Heinz / MÜLLER, Ralf: Manchmal musst du stark sein. In: Rettungs-Magazin 6 (2001; Nr. 4, Juli/August 2001) 36-39. BEAUFTRAGTER FÜR DIE NOTFALLSEELSORGE im Landesfeuerwehrverband Niedersachsen e. V.: Notfallseelsorge. In: HÜLS / OESTERN : Die ICE-Katastrophe von Eschede, 199-204. BENGEL, Jürgen (Hg.): Psychologie in Notfallmedizin und Rettungsdienst. Berlin u. a. 1997. – u. a: Posttraumatische Belastungsstörung. In: BENGEL: Psychologie in Notfallmedizin und Rettungsdienst, 57-64. – u. a: Psychische Belastungen des Rettungspersonals. In: BENGEL: Psychologie in Notfallmedizin und Rettungsdienst, 39-56. BIEGE, Bernd: Nachsorge: Wann soll sie beginnen? – Counselling im schottischen Rettungsdienst. In: Rettungsdienst 22 (1999) 164f. BITTGER, Jürgen: Großunfälle und Katastrophen. Einsatztaktik und -organisation. Stuttgart 1996. – u. a.: Massenanfall von Verletzten. In: KÜHN: Rettungsdienst, 735-760. BÖHMER, Roman (Hg.): Kurzer interdisziplinärer Einsatzleitfaden für Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst. Mainz 1997. BOVON, François: Das Evangelium nach Lukas. Lk 9,51-14,35 (Evangelisch-Katholischer Kommentar III/2). Zürich u. a. 1996. BUNDESANSTALT FÜR ARBEIT (Hg.): Informationsmappe 130 (Rettungsassistent). Eingesehen im Berufsinformationszentrum Hanau (am 12.08.2003). COELLEN , Beate: Notfallseelsorge und Krisenintervention im Land Brandenburg. In: P ETER: Der Betreuungseinsatz, 64-68. DASCHNER, Carl-Heinz: KIT – Krisenintervention im Rettungsdienst. Edewecht 2001. DIRNBERGER, Engelbert / MÜLLER-CYRAN, Andreas: „Komm zu uns, zögere nicht“ – Notfallseelsorge als Bestandteil gemeindlicher Pastoral. In: www.notfallseelsorge.de/zeitung25. htm (vom 22.08.2003). DRK KREISVERBAND CELLE und Johanniter-Unfall-Hilfe RV Niedersachsen-Mitte: Sanitätsorganisationen. In: HÜLS / OESTERN: Die ICE-Katastrophe von Eschede, 195-198. ENGELHARDT , Gustav H.: Zwischen Hilfsbereitschaft und Ohnmacht. In: Rettungsdienst 22 (1999) 162f. EVERLY, Georg / MITCHELL, Jeffrey T.: CISM – Stressmanagement nach kritischen Ereignissen. Wien 2002. FALK , Bernd u. a.: Ethische, psychologische und theologische Aspekte aus Sicht der Hilfsorganisationen. In: BENGEL : Psychologie in Notfallmedizin und Rettungsdienst, 357-373. FERTIG, Bernd: „Lasse Deiner Seele Flügel wachsen...“ Streß und Streßbewältigung im Rettungsdienst. In: F ERTIG / WIETERSHEIM : Menschliche Begleitung, 375-393. – / WIETERSHEIM , Hanjo v. (Hgg.): Menschliche Begleitung und Krisenintervention im Rettungsdienst. Edewecht 1994. 115 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer FEUERWEHR- UND KATASTROPHENSCHUTZSCHULE RHEINLAND-P FALZ (Hg.): “Wenn es auf der Seele brennt......“ Referateband zur Fachtagung Einsatzbelastung und Einsatznachbereitung in Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz. Koblenz 2000. FLAKE, Frank u. a.: Organisation des Rettungsdienstes. In: LUTOMSKY / FLAKE: Leitfaden Rettungsdienst, 29-42. – / LUTOMSKY, Boris: Kardiopulmonale Reanimation. In: LUTOMSKY / FLAKE: Leitfaden Rettungsdienst, 191-208. FLATTEN , Guido u. a.: “Der hilflose Helfer“ – Zum Umgang mit traumatischen Belastungen im Rettungsdienst. In: Notfall & Rettungsmedizin 6 (2003) 265-270. GERDTS, Klaus G. u. a.: Pädiatrische Notfälle. In: KÜHN: Rettungsdienst, 473-492. – Reanimation. In: KÜHN: Rettungsdienst, 307-333. GIERING, Heinz: Lücke im Gefüge der Rettungsdienste. In: Deutsches Ärzteblatt 95 (1998) A874-876. GIESEN , Hans U.: Einsatznachbereitung durch Critical Incident Stress Debriefing (CISD). In: FEUERWEHR- UND KATASTROPHENSCHUTZSCHULE RHEINLAND-P FALZ (Hg.): “Wenn es auf der Seele brennt......“, 4-II. – Einsatznachbereitung nach dem ICE-Unfall in Eschede. In: FEUERWEHR- UND KATASTROPHENSCHUTZSCHULE RHEINLAND -P FALZ (Hg.): “Wenn es auf der Seele brennt......“, 2-V. GRAF-BAUMANN, Toni / GORGAß, Bodo: Werte und Rahmenbedingungen im Rettungsdienst und in der Notfallmedizin. In: BENGEL : Psychologie in Notfallmedizin und Rettungsdienst, 345-355. HEINECKE, Jochen M.: Erfahrungen als Seelsorger in der Notfallsituation. In: EVANGELISCHKATHOLISCHE AKTIONSGEMEINSCHAFT : Eine Handreichung, 7-9. HEINRICHS, Markus: Einsatzbelastungen in Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz – Forschungsergebnisse aus Rheinland-Pfalz. In: FEUERWEHR- UND KATASTROPHENSCHUTZSCHULE RHEINLAND -P FALZ (Hg.): “Wenn es auf der Seele brennt......“, 2-III. HEINZ, Wolfgang: Das Kind als Notfallpatient. In: STEPAN: Zwischen Blaulicht, Leib und Seele, 273-281. HELLWIG, Heinrich H. / BAUER, Martha: Geschichte des Rettungsdienstes. In: KÜHN: Rettungsdienst, 601-606. HELMERICHS, Jutta: Einsatznachsorge. In: HÜLS / OESTERN: Die ICE-Katastrophe von Eschede, 119-124. – Erfahrungen des Rettungsdienst-Personals mit dem Notfalleinsatz „Plötzlicher Säuglingstod“. In: Rettungsdienst 20 (1997) 112-114. – u. a.: Plötzlicher Säuglingstod: Empfehlungen zum Umgang mit betroffenen Eltern und Geschwistern in der Akutsituation. In: MÜLLER-LANGE (Hg.): Handbuch Notfallseelsorge, 104-116. HERMANUTZ , Max / FIEDLER, Harald: Nachbereitung von Einsätzen bei Großschadensereignissen. In: BENGEL : Psychologie in Notfallmedizin und Rettungsdienst, 269-284. HÖLTERHOFF, Dirk: Katastrophenseelsorge – Chronologie und kritische Würdigung. In: HÜLS / OESTERN: Die ICE-Katastrophe von Eschede, 125-130. HÜLS, Ewald / OESTERN, Hans-Jörg (Hgg.): Die ICE-Katastrophe von Eschede: Erfahrungen und Lehren. Eine interdisziplinäre Analyse. Berlin und Heidelberg 1999. J ATZKO, Hartmut u. a.: Katastrophen-Nachsorge am Beispiel der Aufarbeitung der Flugtagkatastrophe von Ramstein 1988. Edewecht und Wien 2 1995. KAMES, Günther: Erste Hilfe für die Seele. In: Der Weinberg 102 (März 2001) 20f. 116 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer KARUTZ, Harald: Mit dem Notfallpatienten einen „PAKT“ schließen. In: Rettungsdienst 22 (1999) 212f. KEHL, Medard: Ecclesia ... (Art.). In: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 3. Freiburg im Breisgau 3 1995, 437f. KELLER , Holger: Alptraum „Retten“: Eine Chance für die Kirche. In: Glaube und Leben (Nr. 43, 22.10.2000) 17. KELLER , Holger: Mit frommen Sprüchen ist keinem geholfen. In: Glauben und Leben (Nr. 43, 22.10.2000) 16. KLOSTERMANN, Ferdinand: Prinzip Gemeinde. Gemeinde als Prinzip kirchlichen Lebens und der Pastoraltheologie als der Theologie dieses Lebens (Wiener Beiträge zur Theologie XI). Wien 1965. KNOBLOCH, Stefan: Praktische Theologie. Ein Lehrbuch für Studium und Pastoral. Freiburg im Breisgau u. a. 1996. KONFERENZ der Diözesanbeauftragten für Notfallseelsorge in Bayern: Tabellarische Begriffsklärung: Notfallseelsorge, Krisenintervention, Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst, Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen. In: www.notfallseelsorge.de/definitionen.pdf (vom 22.08.2003). KRAUSE, Bernd: Qualitätssicherung. In: MÜLLER-LANGE: Handbuch Notfallseelsorge, 303314. KREISFEUERWEHR DES LANDKREISES CELLE : Feuerwehr Celle . In: HÜLS / OESTERN: Die ICE-Katastrophe von Eschede, 205-210. KÜHN, Dietmar u. a. (Hgg.): Rettungsdienst. München und Jena 2 2001. LANDEN , Beate: Möglichkeiten der Stressbewältigung. In: STEPAN: Zwischen Blaulicht, Leib und Seele, 384f. LOVENFOSSE , Roman / FALK , Bernd: Mediatorenmodell im Rettungsdienst. In: BENGEL: Psychologie in Notfallmedizin und Rettungsdienst, 375-385. LUTOMSKY, Boris / FLAKE, Frank (Hgg.): Leitfaden Rettungsdienst. Notfallmanagement, Organisation, Arbeitstechniken, Algorithmen. Lübeck u. a. 1997. LUZ , Ulrich: Das Evangelium nach Matthäus. Mt 1-17 (Evangelisch-Katholischer Kommentar I/2). Zürich u. a. 1990. M EIER, Walter / CIMASCHI-OBERTI, Claudio: Seelsorge im Katastrophenfall. Erfahrungen aus der Flughafenseelsorge. In: Diakonia 30 (1999) 346-350. METZSCH, Friedrich-August von: Menschen helfen Menschen. Der Barmherzige Samariter als Leitbild und in der Kunst. Neuhausen-Stuttgart 1998. MOHR, Michael / KETTLER, Dietrich: Ethik in der Notfallmedizin. Darstellung von Grenzen am Beispiel der Reanimation. In: Ethik in der Medizin 5 (1993) 117-126. MÜLLER, Wunibald: Begegnung, die von Herzen kommt. Die vergessene Barmherzigkeit in Seelsorge und Therapie. Mainz 1993. – Erkennen – Unterscheiden – Begegnen. Das seelsorgliche Gespräch. Mainz 1990. MÜLLER-CYRAN, Andreas: Krisenintervention im Rettungsdienst. In: BENGEL: Psychologie im Rettungsdienst, 107-122. – / SCHMID, Thomas: Notfallseelsorge (Art.). In: Lexikon der Pastoral, Bd. 2. Freiburg 2002, 1200. MÜLLER-LANGE, Joachim: Die Bundesvereinigung SBE. In: EVANGELISCH-KATHOLISCHE AKTIONSGEMEINSCHAFT : Eine Handreichung, 26. – Einführung in die Notfallseelsorge. In: DERS.: Handbuch Notfallseelsorge, 15-23. – Einsatznachsorge. In: DERS.: Handbuch Notfallseelsorge, 264-284. 117 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer – Erwartungen an den Amtsinhaber. In: DERS.: Handbuch Notfallseelsorge, 317. – Erwartungen an Träger von Feuerwehr und Rettungsdienst. In: DERS.: Handbuch Notfallseelsorge, 317. – Facetten des Krisen- und Katastrophenmanagements. In: Rettungsdienst 22 (1999) 644647. – (Hg.): Handbuch Notfallseelsorge. Grundlagen und Praxis. Edewecht und Wien 2001. NOTFALLSEELSORGE WETTERAU (Hg.): Notfallseelsorge Wetterau. Eine Arbeitsgemeinschaft der evangelischen und katholischen Kirche in der Wetterau (Konzept). Bad Nauheim 2002. In: www.notfallseelsorge-wetterau.de (vom 27.06.2003). NOUWEN , Henri J. M.: Schöpferische Seelsorge. Freiburg im Breisgau 1989. - Seelsorge, die aus dem Herzen kommt. Christliche Menschenführung in der Zukunft. Freiburg im Breisgau 1989. PESCH, Rudolf: Das Markusevangelium. Erster Teil: Mk 1,1-8,26 (Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament II/1). Zürich u. a. 1986. - Die Apostelgeschichte. Apg 1-12 (Evangelisch-Katholischer Kommentar V/1). Freiburg im Breisgau 1976. P ETER, Hanno (Hg.): Der Betreuungseinsatz. Grundlagen und Praxis. Edewecht und Wien 2 2001. Pschyrembel Klinisches Wörterbuch. Bearbeitet unter der Leitung von Helmut Hildebrandt. Berlin 258 1998. P ÜSCHEL, Klaus / SCHNEIDER, Martin: Sterben und Tod. In: KÜHN: Rettungsdienst, 374-379. RAHNER, Karl: Erfahrungen eines katholischen Theologen. In: Lehmann, Karl (Hg.): Vor dem Geheimnis Gottes den Menschen verstehen. Karl Rahner zum 80. Geburtstag. Freiburg im Breisgau 1984, 105-119. – Rede des Ignatius von Loyola an einen Jesuiten von heute . In: DERS.: Schriften zur Theologie, Bd. 15. Zürich u. a. 1983, 373-408. – Strukturwandel der Kirche als Chance und Aufgabe. Neuausgabe mit einer Einführung von J. B. Metz. Freiburg im Breisgau 1989. REDELSTEINER, Christoph u. a.: Fahrzeuge. In: KÜHN: Rettungsdienst, 667-692. REUTER, Markus: „Tröste, ja tröste mein Volk“ (Jes 40,1). Notfallseelsorge – Eine pastorale Feldstudie über die Arbeits- und Organisationsformen der Notfallseelsorge. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Mainz 2002. RUNGGALDIER, Klaus: Ethik. In: KÜHN: Rettungsdienst, 861-865. – Organisation des Rettungsdienstes in der Bundesrepublik Deutschland. In: KÜHN: Rettungsdienst, 607-613. – u. a.: Ausbildung und Beruf im Rettungsdienst. In: KÜHN: Rettungsdienst, 793-825. – u. a.: Psychologie . In: KÜHN : Rettungsdienst, 827-859. – u. a.: Tips für den Rettungsdienstalltag. In: LUTOMSKY / FLAKE: Leitfaden Rettungsdienst, 1-28. RUPP, Manuel: Notfall Seele. Methodik und Praxis der ambulanten psychiatrischpsychotherapeutischen Notfall- und Krisenintervention. Stuttgart 1996. SADOWSKI, Sigurd: Notfallseelsorge. In: Pastoraltheologie 88 (1999) 422-434. – Warum arbeiten Theologen in der Notfallseelsorge? In: Rettungsdienst 23 (2000) 534-538. SALOMON, Fred: Das Menschenbild als Hintergrund notfallmedizinischer Entscheidungen. In: Notfall & Rettungsmedizin 6 (2003) 242-246. 118 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer SARBACH, Josef: Beispiel Gondo. Zur Pastoral und Liturgie im Zusammenhang mit Katastrophen. In: Gottesdienst 37 (2003) 89-91. – Gedenktag als Lebenshilfe. In: Gottesdienst 37 (2003) 90. SCHELKLE , Karl H.: Die Petrusbriefe / Der Judasbrief (Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament). Freiburg im Breisgau u. a. 2002. SCHMID , Peter F.: Die Praxis als Ort der Theologie. Kairologische Aspekte zum Verständnis von Pastoral und Pastoraltheologie. In: Diakonia 29 (1998), 102-114. SCHMIDBAUER, Wolfgang: Helfersyndrom und Burnout-Gefahr. München und Jena 2002. SCHREINER, Josef: Jesus Sirach 1-24 (Die Neue Echter Bibel: Kommentar zum AT). Würzburg 2002. SONNECK, Gernot: Krisenintervention und Suizidverhütung. Wien 2000. SPÄTH, Michael Johannes: Verbrannte Seele. Eine Geschichte vom Leben für den Nächsten. Bergatreute 2 2000. SPEYR , Adrienne von: Arzt und Patient. Einsiedeln 1983. SPIECKER, Hans: Hinter Bremsspur und Blaulicht. Ein Geschenk für Unfallverletzte und ihre Angehörigen. Mainz 3 1987. STEPAN, Thomas: Angst in der Notfallmedizin. In: DERS.: Zwischen Blaulicht, Leib und Seele, 129-177. – Eschede – und kein Ende oder: Wenn sich Bilder in die Seele brennen. In: Rettungsdienst 22 (1999) 583. – Motive und Psychologie des Helfens. In: DERS.: Zwischen Blaulicht, Leib und Seele , 27-41. – Reality-TV und Rettungsdienst. In: DERS.: Zwischen Blaulicht, Leib und Seele , 369-377. – (Hg.): Zwischen Blaulicht, Leib und Seele. Psychologie in der Notfallmedizin. Edewecht und Wien 2 2001. – / JATZKO, Sybille: „Schweigen ist Gold, Reden ist Blech?" – Traumatherapie in der Diskussion. In: Rettungsdienst 23 (2000) 26-28. UFER, Michael R.: Rechtliche Grundlagen des Rettungsdienstes. In: KÜHN: Rettungsdienst, 765-792. WATERSTRAAT, Frank: Aspekte der Einsatznachsorge nach einem Massenanfall von Verletzten. In: Sefrin, Peter (Hg.): Handbuch für den Leitenden Notarzt. Organisation, Strategie, Recht, Leitfaden für Einsatz und Fortbildung. Landsberg 1991 (9. Ergänzungslieferung 1998), VI-5. - Der Mensch in der Katastrophe: Psychologisch-seelsorgerliche Aspekte. In: Bundesmin isterium des Innern (Hg.): Katastrophenmedizin. Leitfaden für die ärztliche Versorgung im Katastrophenfall. Berlin 3 2003. - Feuerwehrseelsorge bei Einsätzen: Stressbewältigung in der Praxis. In: Das große Feuerwehrhandbuch. Praxiswissen von A bis Z. Aktualisierungs- und Ergänzungslieferung Stadtbergen 1996, Abschnitt 4-2.3, 1-19. WIEH , Hermann: Konzil und Gemeinde. Eine systematisch-theologische Untersuchung zum Gemeindeverständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils in pastoraler Absicht (Frankfurter Theologische Studien 25). Frankfurt 1978. WIETERSHEIM , Hanjo v.: Der barmherzige Samariter. In: FERTIG / WIETERSHEIM : Menschliche Begleitung, 35f. – Fortbildung in der Notfallseelsorge. In: MÜLLER-LANGE: Handbuch Notfallseelsorge, 285302. – Notfallseelsorge. Die besondere Chance des Seelsorgers vor Ort. In: FERTIG / WIETERSHEIM : Menschliche Begleitung, 139-144. 119 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer – Hinter Blaulicht und Martinshorn... In: Rettungsdienst 23 (2000) 79-80. – Partner für Menschen in Not... Ein Vorwort zur Thematik Notfallseelsorge. In: FERTIG / WIETERSHEIM : Menschliche Begleitung, 13-15. – Psychische Aspekte beim Betreuungseinsatz. In: P ETER: Der Betreuungseinsatz, 127-154. – Ruft mir bei Lebensgefahr einen Priester. In: FERTIG / WIETERSHEIM : Menschliche Begleitung, 133-137. – Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst. In FERTIG / WIETERSHEIM : Menschliche Begleitung, 145-149. WOSCHITZ, Karl M.: Hoffnung (Art.). In: Bibeltheologisches Wörterbuch. Graz 4 1994, 312319. ZERFAß, Rolf: Lebensnerv Caritas. Helfer brauchen Rückhalt. Freiburg im Breisgau 1992. ZIPPERT , Thomas: Anforderungsprofil und Qualifikation. In: EVANGELISCH-KATHOLISCHE AKTIONSGEMEINSCHAFT : Eine Handreichung, 17f. – Notfallseelsorge (Art.). In: Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 6. Tübingen 4 2003, 397f. – Notfälle und Katastrophen begleiten. Das Phänomen Notfallseelsorge. In: Hauschildt, Eberhard u. a. (Hgg.): Praktische Theologie als Topographie des Christentums. Eine phänomenologische Wissenschaft und ihre hermeneutische Diskussion (Festschrift Wolfgang Steck; Hermeneutica 10). Rheinbach 2000, 228-254. – Organisationsmodelle von Notfallseelsorge. Notfallseelsorge und Gemeinde. EVANGELISCH-KATHOLISCHE AKTIONSGEMEINSCHAFT : Eine Handreichung, 13-16. In: – Zur Theologie der Notfallseelsorge. In: MÜLLER-LANGE: Handbuch Notfallseelsorge, 2556. ZÖCH, Gustav: Erste Hilfe bis zur Ankunft des Arztes. Ein Leitfaden für den Unterricht in feuerwehrlichen Rettungsabteilungen und zum Gebrauch für jedermann. Graz 1927. ZULEHNER, Paul M.: Dienende Männer – Anstifter zur Solidarität. Diakone in Westeuropa. Ostfildern 2003. – Für Kirchenliebhaberinnen. Und solche, die es werden wollen. Ostfildern 3 2000. – Pastoraltheologie, Bd. 1., Fundamentalpastoral: Kirche zwischen Auftrag und Erwartung. Düsseldorf 3 1995. – Pastoraltheologie, Bd. 2., Gemeindepastoral: Orte christlicher Praxis. Düsseldorf 2 1991. – / BRANDNER, Josef: „Meine Seele dürstet nach dir“ (Ps 63,2). GottesPastoral. Ostfildern 2002. D Internetseiten Ÿ www.asb-online.de (vom 08.09.2003): Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e. V. Ÿ www.destatis.de (vom 07.08.2003): Statistisches Bundesamt Ÿ www.drk.de (vom 08.09.2003): Deutsches Rotes Kreuz e. V. Ÿ www.juh.de (vom 08.09.2003): Johanniter-Unfall-Hilfe e. V. Ÿ www.malteser.de (vom 25.08.2003): Malteser-Hilfsdienst e. V. Ÿ www.notfallseelsorge.de (vom 22.08.2003): Notfallseelsorge Deutschland Ÿ www.notfallseelsorge-wetterau.de (vom 27.06.2003) : Notfallseelsorge Wetterau E Empirische Daten Ÿ Gespräche und schriftlicher Austausch (e-Mail) mit Notfallseelsorgern und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rettungs- und Kriseninterventionsdienst. 120 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Ÿ Eigene Fragebögen (Anhang 1) und Rettungsdienstpraktikum im Sommer/2003 (Anhang 2). ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ACLS: ASB: BAT: BCLS: BOS: BZ: CISD: CISM: CPR: DRK: EKG: FME: HF: HIV: HLW: JUH: KID: KIT: KTW: LRA: MANV: mg/dl: MHD: mmHg: NA: NAW: NFS: NA: NEF: PTB: PTBS: PTSD: RA: RD: RH: RR: RS: RTH: RTW: SbE® : SpO2 : SEG: SIDS: SiN StGB StVO: Advanced Cardiac Life Support (erweiterte Reanimationsmaßnahmen) Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e. V. Bundesangestelltentarif Basic Cardiac Life Support (Basismaßnahmen der Reanimation) Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben Blutzucker Critical Incident Stress Debriefing Critical Incident Stress Management Kardiopulmonale Reanimation Deutsches Rotes Kreuz e. V. Elektrokardiogramm Funkmeldeempfänger Herzfrequenz Human Immunodeficiency Virus Herz-Lungen-Wiederbelebung Johanniter-Unfall-Hilfe e. V. Kriseninterventionsdienst (des Rettungsdienstes) Krisenintervention im RD (auch Kriseninterventionsteam) Krankentransportwagen Lehrrettungsassistent Massenanfall von Verletzten Milligramm pro Deziliter (Einheit für den Blutzucker) Malteser-Hilfsdienst e. V. Millimeter Quecksilbersäule (Einheit für den Blutdruck) Notarzt Notarztwagen Notfallseelsorge Notarzt Notarzteinsatzfahrzeug Posttraumatische Belastungsreaktion Posttraumatische Belastungsstörung Posttraumatic Stress Disorder Rettungsassistent Rettungsdienst Rettungshelfer Riva-Rocci (Blutdruck nach dem Messverfahren von Riva-Rocci) Rettungssanitäter Rettungs(-transport-)hubschrauber Rettungs(-transport-)wagen Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen Sauerstoffsättigung Schnell-Einsatz-Gruppe Sudden Infant Death Syndrome (Plötzlicher Kindstod) Seelsorge in Notfällen Strafgesetzbuch Straßenverkehrsordnung Alle anderen verwendeten Abkürzungen richten sich nach: SCHWERTNER, Siegfried M.: Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. In: Zeitschriften, Serien, Lexika, Quellenwerke mit bibliographischen Angaben (= IATG2 ). Berlin 2 1992. 121 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer ANHANG 1 Fragebogen NFS (Notfallseelsorge), überarbeitet I Zur Person 1 Name: 2 Wohnort: XY 3 Einige kurze Angaben zu Ihrem beruflichen Werdegang. Berufsausbildung, anschließend Zivildienst im Rettungsdienst (Rettungssanit äter). Danach hauptberufliche Tätigkeit im Rettungsdienst und Krankentransport. Studium der Theologie und Philosophie. Diakon- und Priesterweihe. 4 Seit wann sind Sie in der Notfallseelsorge (NFS) tätig? In der Notfallseelsorge bin ich seit August 2000 tätig. 5 Warum engagieren Sie sich in der NFS? Während meiner Zeit im Rettungsdienst fiel mir auf, dass zwar sehr vieles in der Medizin möglich wurde und auch angewendet wurde. Ich merkte aber sehr bald, dass das persönliche Gespräch, der Mensch als solcher, immer mehr in den Hintergrund trat. Während bei älteren Kollegen das persönliche Gespräch mit dem Patienten meistens dazugehörte, stellte ich fest, dass es bei den jüngeren Kollegen schwierig wurde, ein Gespräch mit dem Patienten zu führen. Die meisten beschränkten sich während des Transportes darauf, kurz zu erklären, was sie medizinisch taten und wie es dem Patienten momentan ginge. Zuweilen bemerkte ich auch, dass Kollegen sogar darauf aus waren, lieber vorne am Lenkrad zu sitzen, um erst gar kein Gespräch führen zu müssen. Im Dienst fiel mir auf, dass die Kollegen sehr oft mich die Gespräche führen ließen, weil sie merkten, dass ich dafür ein Charisma hatte, wie sie des Öfteren sagten. Durch diese Erfahrung und den erlebten Defizit, gerade beim Rettungsdienst, entschloss ich mich in der Notfallseelsorge mitzumachen. II Notfallseelsorge allgemein (NFS) 6 Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen der NFS der Kirche(n) auf der einen Seite und der Feuerwehr, den Rettungsdiensten und dem Kriseninterventionsdienst auf der anderen Seite? Haben Sie den Eindruck, dass die NFS von „den anderen“ als eine willkommene Unterstützung angesehen oder vielleicht eher belächelt wird? Seit dem verheerenden Zugunglück von Eschede habe ich den Eindruck, dass von den Leitungsgremien der Hilfsdienste und der Feuerwehr mehr Augenmerk auf die Betreuung der Patienten, der Angehörigen, sowie auch der Einsatzkräfte gelegt wird. Bei Mitarbeitern der Rettungsdienste, die konkret mit dem Leid konfrontiert sind, gibt es unterschiedliche Haltungen zu den Notfallseelsorgern. Es hängt auch sehr stark davon ab, welche Erlebnisse Rettungsdienstmitarbeiter mit Notfallseelsorgern gemacht haben. XY 122 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Bei der Beurteilung der Notfallseelsorge kommt es sehr stark darauf an, welche Einstellung der Mitarbeiter im Rettungsdienst zu seinem Dienst hat. Bei vielen Rettungsdienstlern wird der Dienst weniger als Dienst am Menschen gesehen, sondern eher als eigener Geltungsdrang. Es stärkt das Selbstbewusstsein, wenn jemand mit Blaulicht und Martinshorn durch die Straßen fährt, um auf sich aufmerksam zu machen. Solche Rettungsdienstler sehen in der Notfallseelsorge kaum eine Hilfe und belächeln eher das Angebot der Kirche. Mitarbeiter, die wirklich auf den Dienst am Menschen schauen, schätzen hingegen das Angebot als wichtige Hilfe und bestellen in Notfällen auch sehr häufig einen Notfallseelsorger hinzu. Hier besteht auch eher die Bereitschaft, sich selbst im Gespräch einem Notfallseelsorger anzuvertrauen, wenn schwierige Erlebnisse den Helfer belasten. Die erste Gruppe, ist schwer zugänglich, weil sie glauben, über den Dingen zu stehen und die Erlebnisse selbst bewältigen zu können, ohne fremde Hilfe und sei es mit Hilfe von Drogen wie Alkohol, Kaffee und Nikotin. 7 Welche Erfahrungen haben Sie im Hinblick auf das Thema Einsatzkleidung bei Notfallseelsorgerinnen bzw. -seelsorgern gemacht? Ist diese nötig und sollte sie sich von der Kleidung der (anderen) Rettungskräfte unterscheiden? Ich selbst habe noch keine Erfahrung mit Einsatzkleidung von Notfallseelsorgern gemacht. Allerdings wäre es in Großschadensfällen sehr hilfreich, wenn auch die Notfallseelsorger besser gekennzeichnet wären. So ist es z. B. für die Organisatorische Leitung bei Schadensereignissen sehr hilfreich auf den ersten Blick zu sehen, wo ein Helfer am besten einzusetzen ist. 8 Berichten Sie bitte, was Sie von Ihren Erlebnissen bei NFS-Einsätzen hier mitteilen möchten (besondere Erfahrungen oder Erkenntnisse). Ein Einsatz, der sich auf den ersten Blick als „einfach“ zeigte, entwickelte sich zu einer Mehrfachbetreuung. Ich wurde zu einem Suizid gerufen und sollte an die Angehörigen eine Todesnachricht überbringen. Zunächst fuhr ich zu der besagten Adresse; es war ein Mehrfamilien-Hochhaus. Die Verstorbene war psychisch krank und lebte mit Wahnvorstellungen. Bei einem Anfall ist sie in das Badezimmer, hatte sich eingeschlossen und sprang vom siebten Stockwerk aus dem Fenster [...] Vor dem Hochhaus standen noch die Feuerwehr und die Polizei, die damit beschäftigt waren, das Blut der Verstorbenen vom Beton zu entfernen. Hier ergaben sich bereits die ersten intensiven Gespräche mit den Polizisten und der Feuerwehr. Ich merkte, wie wichtig es für die Helfer war, dass ihnen jemand zuhörte und sie durch das Erzählen des ganzen Vorgangs vieles bearbeiten konnten. Erst nach eineinhalb Stunden konnte ich die Tochter aufsuchen, um ihr die Todesnachricht zu überbringen. Auch hier dauerte das Gespräch eine Stunde. Dies ist eine Zeit, die mit intensivem Zuhören sehr anstrengend sein kann und die der Rettungsdienst oder die Feuerwehr häufig nicht haben. 9 Welche Ratschläge und Tipps aus Ihrer Erfahrung möchten Sie gerne an zukünftige Notfallseelsorger/innen weitergeben? Es ist äußerst wichtig, dass sich der Seelsorger auf das Gespräch konzentriert. Wichtig ist dabei, dass er sich zurücknimmt und den Betroffenen erzählen lässt. Erfahrungsgemäß löst sich schon sehr viel an Anspannung, wenn der Betroffene von dem Erlebnis, das ihn belastet erzählt, je intensiver, desto besser. 123 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Ich möchte hier auch ermutigen, sich nicht zu scheuen, in solche Situationen hineinzugehen. Es kann fast nichts falsch gemacht werden, wenn sich jemand einem anderen als Mensch zur Seite stellt. Das gilt im Besonderen auch im Aushalten der Stille, wenn man auf drängende Fragen keine Antwort weiß. Oder auch zuzugeben, dass man selbst nicht auf die Frage „Warum?“ antworten kann. Antworten, die vorschnell oder besonders klug gegeben werden, hemmen eher das Gespräch, als dass sie nützen. Es ist äußerst wichtig, dass der Seelsorger mit seiner ganzen Person auch zu dem steht, was er anderen rät. III NFS und Rettungsdienst 10 Hat sich Ihr Bild vom Rettungsdienst seit Ihrer Tätigkeit in der NFS und der Zusammenarbeit mit dem Rettungsdienst geändert? Wenn ja, inwiefern? Ja, es hat sich geändert, vor allem, weil ich in den letzten Jahren feststelle, dass sich das Bewusstsein für die Notfallseelsorge ändert. Da sich auch im Rettungsdienst das ganze Handeln spezialisiert, wird der Ruf nach Betreuung lauter. Auch in den jährlichen Fortbildungen ist die persönliche Begleitung von Traumatisierten ein Thema. 11.1 Was hat die NFS der Kirche(n) den Einsatzkräften des Rettungsdienstes zu bieten? Ich denke, dass die Kirche hier einen großen Dienst an den Menschen tut. Gerade in einer Zeit, in der viele nicht zuhören können oder sich auch scheuen Menschen in Notsituationen anzusprechen. Der Rettungsdienst ist bei einem Einsatz so lange blockiert, bis er sich wieder bei der Leitstelle frei meldet. Dies sollte möglichst schnell gehen, falls kein Transport zu einer Klinik oder zu einem Arzt stattfindet. Gerade bei Todesfällen ist kaum Zeit, um mit den Angehörigen im Gespräch zu sein. Hier ist die Notfallseelsorge eine dankbar angenommene Hilfe und Ergänzung für den Rettungsdienst. Ich denke, auch für die Mitarbeiter der Rettungsdienste bietet die NFS ein großes Angebot. Gerade nach dem Zugunglück von Eschede wurde deutlich, dass Helfer, die warten mussten und nicht gleich zu den Opfern vordringen konnten, am meisten belastet waren. Hier gilt es, den Helfern eine Möglichkeit zu geben, mit dieser Hilflosigkeit zu Recht zu kommen. 11.2 Wie werden Angebote zur Stressbearbeitung nach belastenden Einsätzen von den Rettungskräften wahrgenommen? Leider werden diese Angebote eher weniger angenommen. Hierbei ist es wieder hilfreich, wenn sich jemand auch im Rettungsdienst einbringt und etwas Einblick hat und nicht nur von außen kommt. Wenn jemand selbst im Rettungsdienst mitfährt, ist die Schwelle zur Bitte um ein Gespräch wesentlich niedriger. 12 Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach das Helfer-Syndrom, das BurnoutSyndrom und die Suchtgefahr für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Rettungsdienstes? a) Das Helfer-Syndrom spielt beim Rettungsdienst eine große Rolle. Bei vielen, die diesen Beruf anstreben oder ausüben, stelle ich ein Hang zum Machbaren fest. Gerade durch viele Fortschritte in der Medizin, wird es möglich, dass durch Medikamente schnell geholfen werden kann. Dies setzt sich bei den Mitarbeitern im Rettungsdienst fort. Mit wenigen Handgriffen kann oftmals 124 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer der Herz-Kreislauf wieder belebt werden. Leben und Tod scheint dann in den Händen des Rettungsdienstpersonals zu liegen. Dadurch kommt nicht selten die Einstellung, dass der Helfer nur an den Notfallpatienten gelassen werden muss, um ihm zu helfen. b) Bedingt dadurch, wird der Helfer wichtig in seinem Handeln. Da aber sehr oft auch Reanimationen erfolglos bleiben und der Patient nicht mehr ins Leben zurückgeholt werden kann, wirkt sich das belastend auf den Helfer aus. Durch die Diensthäufigkeit der Hauptamtlichen können sich solche „erfolglosen Einsätze“ häufen. Mit der Zeit merkt dann der Helfer, dass er ausgebrannt und leer wird, wenn sich mit der Zeit der Dienst zur alleinigen Sinnerfüllung entwickelt hat. c) Nicht unerheblich ist ebenfalls die Gefahr von Abhängigkeiten. Ich stelle bei vielen Rettungsdienstkollegen einen enormen Verbrauch an Kaffee und Zigaretten fest. Ebenso gibt es Kollegen, die mit dem Alkohol Probleme haben. Meist entwickelt sich dies heimlich und wird mit der Zeit umso häufiger. Schließlich kommt es auch zum Trinken im Dienst. 13 Haben Sie mit einer Rettungsdienstorganisation besonders gute oder schlechte Erfahrungen gemacht? Nein, ich denke da gibt es überall solche und solche Kollegen. 14.1 Welche Erwartungen und Wünsche haben Sie als Notfallseelsorger an die Rettungsdienstorganisationen? Ich denke, der Dienst der Notfallseelsorge könnte noch intensiver in Fortbildungen den Rettungsdienstmitarbeitern nahe gebracht werden. Sowohl im Einsatz für Angehörige, als auch für die eigenen Mitarbeiter nach belastenden Einsätzen. Ebenso denke ich, ist es von Seiten der Kirche wichtig, Kontakte zu den Organisationen vor Ort zu knüpfen. 14.2 Welche Erwartungen und Wünsche haben Sie als Notfallseelsorger an die Einsatzkräfte? Es sollte klar sein, dass der oder die Notfallseelsorger/in akzeptiert wird, als jemand der sich um die Person kümmert. Oftmals wird der Dienst eben als minderwertig abgetan. Auch vor Ort sollten die Einsatzkräfte sich nicht scheuen, auf Notfallseelsorger zurückzugreifen, auch wenn es zu ungünstigen Zeiten ist. IV Kirchengemeinde und Rettungsdienst 15.1 Sehen Sie Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen einer Kirchengemeinde und der Rettungswache vor Ort? Welche Erfahrungen haben Sie als Gemeindeseelsorger auf diesem Gebiet gemacht? Es kommt zunächst auf die Konstellation vor Ort an. Wenn Bereitschaft signalisiert wird, dann ist eine Zusammenarbeit sehr oft möglich. Außerdem sind oft die Mitarbeiter in einer Rettungswache auch Mitglieder der Gemeinde. Es ist sicher hilfreich, wenn sich der Seelsorger vor Ort auch einmal bei der Rettungswache vorstellt und kurz seine Zusammenarbeit auch anbietet. Momentan stelle ich fest, dass gerade in der Gemeinde XY die Zusammenarbeit recht gut funktioniert, da viele der jüngeren Mitarbeiter beim Roten Kreuz auch aktiv am Gemeindeleben teilnehmen. 125 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer 15.2 Ist es schwer, mit dem Rettungsdienst Kontakt zu knüpfen? Haben Sie Ratschläge, die die Begegnung zwischen Kirche und Rettungsdienst erleichtern? Es ist sicher nicht schwerer als mit anderen in Kontakt zu kommen. Gut wäre es sicher, wenn bei einer öffentlichen Feier (Tag der offenen Tür, Sommerfest u. ä.) der Seelsorger erscheinen würde und sein Interesse an der Arbeit des Rettungsdienstes bekundet. Aber auch hier gilt, dass das Interesse ehrlich sein sollte. Aufgesetztes oder vorgespieltes Interesse wird sehr schnell durchschaut und ist dann contraproduktiv. 16 Bei Einsätzen in kirchlichen Räumen (z. B. während eines Gottesdienstes) soll es schon vereinzelt zu Missverständnissen oder sogar Konfrontationen zwischen Rettungsdienst und Pfarrer gekommen sei – bis hin zum Streit, wer das Recht auf den Platz am Kopf beim Patienten hat. Haben Sie von solchen Vorfällen schon einmal gehört? Sehen Sie Chancen, solche unguten Begegnungen von vornherein zu vermeiden oder meinen Sie, diese Zeit der Missverständnisse ist längst vorbei? Ich weiß von einem Einsatz im XY, wo in einem Gottesdienst ein Besucher einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitt. Hier hatten die Ersthelfer den Notfallpatient zum Ausgang gebracht, wo der Rettungsdienst seine Arbeit tun konnte. Ich denke, es ist wichtig, dass zuerst der Rettungsdienst genügend Platz bekommt, um seine Arbeit zu tun. Oftmals ist dabei der Kopf besonders wichtig und der sollte zunächst dem Rettungsdienst zur Verfügung stehen. Außerdem bin ich als Notfallseelsorger hier auch als Ansprechpartner für Angehörige und unmittelbar Betroffene gefragt. Es sollte eventuell auch von dem Seelsorger dem Patienten verständlich gemacht werden, dass zuerst der Arzt oder Rettungsdienst die Notversorgung gewährleistet. Erfahrungsgemäß gibt es hier auch kaum Missverständnisse oder Unstimmigkeiten. V 17 Sonstiges Persönliche Anmerkungen, Fragen u. ä. Ich freue mich, dass sich jemand dieser Arbeit angenommen hat, um das Verhältnis Rettungsdienst und Notfallseelsorge zu reflektieren. Ich denke, dass gerade in der Zusammenarbeit von beiden Organisationen die Zukunft der Patie ntenbetreuung liegt. Kirche kann gerade in Situationen des Leids und des Todes hier den Menschen eine gute und wichtige Hilfe sein. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen für die Zeit und Ihr Engagement, mit der Sie meine Arbeit hilfreich unterstützt haben. Mit freundlichem Gruß JZ 126 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Fragebogen-Vorlage KID (Kriseninterventionsdienst) I Zur Person 1 Ihr Alter? ( ) 18-25 Jahre ( ) 26-35 Jahre ( ) 36-45 Jahre ( ) 46-55 Jahre ( ) über 56 Jahre Ihr Geschlecht? ( )? ( )? KID - Organisation: KID des XY in XY. Seit wann engagieren Sie sich im Rettungsdienst, seit wann im KID? 2 3 4 5 Welche Rettungsdienstausbildung haben Sie und welche Ausbildungskurse haben Sie für den KID absolviert? 6 7 Aus welcher Motivation heraus arbeiten Sie im Rettungsdienst bzw. im KID? Wie ordnen Sie selbst Ihre religiöse bzw. kirchliche Zugehörigkeit ein? II Kriseninterventionsdienst (KID) und Notfallseelsorge (NFS) 8.1 Wie sehen Sie die NFS an? Als Konkurrenz oder kollegiale Unterstützung oder ...? Wo liegen Ihrer Meinung nach die entscheidenden Unterschiede zwischen KID und NFS? Wann wird in Ihrem Leitstellengebiet der KID, wann die NFS alarmiert? 8.2 8.3 Wo sehen Sie Vorteile der NFS gegenüber dem KID und wo Nachteile der NFS? 8.4 Wo gibt es Ihrer Meinung nach Möglichkeiten und Chancen für eine gute Zusammenarbeit? Welche (positiven und/oder negativen) Erfahrungen mit Notfallseelsorgerinnen und -seelsorgern haben Sie bisher im Rahmen Ihrer KID-Tätigkeit gemacht? 9.1 9.2 Hat sich Ihr Bild von der Kirche / den Kirchen durch die Begegnung mit der NFS geändert? 10 11 Welche Erwartungen und Wünsche haben Sie an Notfallseelsorger/innen? Welche Erfahrung haben Sie im Hinblick auf die Einsatzkleidung der NFS. Sollte diese sich von der des Rettungsdienstes und des KID unterscheiden oder benötigt Ihrer Meinung nach die NFS keine Einsatzkleidung? 12 Wie verarbeiten Sie selbst belastende Einsätze? Was bzw. wer hilft Ihnen dabei? III Stressbewältigungsangebote für den Rettungsdienst 13 Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach das Helfer-Syndrom, das BurnoutSyndrom und schließlich die Suchtgefahr für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Rettungsdienstes? 127 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer 14.1 Welche Möglichkeiten und Angebote gibt es für Einsatzkräfte, damit sie psychische Belastungen und Krisen be- und verarbeiten können? 14.2 Aus Ihrer Erfahrung: Werden solche Angebote wahrgenommen oder meinen Sie, dass dennoch viele Einsatzkräfte das Leid eher verdrängen und/oder sogar durch den Missbrauch von Alkohol und (anderen) Drogen betäuben? 14.3 Können Sie sich vorstellen, dass die Kirche und deren Mitarbeiter/innen bei der Stressbearbeitung helfen können? Wenn ja, wie kann das Ihrer Meinung nach konkret aussehen? Welche Erwartungen haben Sie an Seelsorger/innen, die Einsatzkräfte seelsorglich begleiten? 15 IV Kirchengemeinde 16.1 Haben Sie irgendwelche Erfahrungen bezüglich (Rettungsdienst-) Einsätzen in kirchlichen Räumen (z. B. während einem Gottesdienst) oder Konflikten zwischen Rettungsdienst und einem Seelsorger gemacht oder haben Sie von Kolleginnen oder Kollegen bei Nachbesprechungen etwas darüber gehört? 16.2 Welche Möglichkeiten gibt es Ihrer Meinung nach, damit bei Einsätzen Missverständnisse und Probleme zwischen Rettungsdienst und kirchlichen Mitarbeitern vermieden werden können? Was wünschen Sie sich in diesem Bezug von der Kirche? 17 In der katholischen Kirche gibt es das Sakrament der Krankensalbung, das (früher) auch oft missverständlich „Letzte Ölung“ genannt wurde. Es wird Gläubigen in schwerer Krankheit und vor schwierigen Operationen gespendet. Haben Sie schon einmal (z. B. bei einem Einsatz) erlebt, wie ein Priester die Krankensalbung gespendet hat? Und wenn ja, wie haben Sie diese zeichenhafte Handlung verstanden? 18 Haben Sie als KID-Mitarbeiter/in irgendwelche Wünsche oder Erwartungen an die Kirchengemeinde und die Seelsorge am Ort der Rettungswache und an Ihrem Wohnort? Sehen Sie Möglichkeiten der Zusammenarbeit? V Sonstiges 19 Persönliche Anmerkungen, Fragen u. ä. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen für die Zeit und Ihr Engagement, mit der Sie meine Arbeit hilfreich unterstützt haben. Ihre Angaben werden garantiert nur im Rahmen der oben genannten Arbeit verwendet und anonym behandelt. Mit freundlichem Gruß JZ 128 Johannes Zepezauer Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Fragebogen-Vorlage RD (Rettungsdienst) I Zur Person 1 Ihr Alter? ( ) 18-25 Jahre ( ) 26-35 Jahre ( ) 36-45 Jahre ( ) 46-55 Jahre ( ) über 56 Jahre Ihr Geschlecht? ( )? ( )? Ihre Rettungsdienstausbildung? ( ) Lehrrettungsassistent (LRA) ( ) Rettungsassistent (RA) ( ) Rettungssanitäter (RS) ( ) Rettungshelfer (RH) 2 3 4 5 7 Seit wann sind Sie im Rettungsdienst tätig? Ihr Beschäftigungsverhältnis im Rettungsdienst? ( ) hauptamtlich ( ) ehrenamtlich ( ) Zivildienst leistend Bei welcher Rettungsdienstorganisation sind Sie tätig? ( ) ASB ( ) DRK ( ) JUH ( ) MHD ( ) ____________ Wie ordnen Sie selbst Ihre religiöse bzw. kirchliche Zugehörigkeit ein? II Rettungsdienst (RD) 8 Kennen Sie das Leitbild bzw. Programm Ihrer Organisation? ( ) Ja ( ) Nein Aus welcher Motivation heraus sind Sie zum Rettungsdienst gekommen? 6 9 10 Sind Sie mit Ihrem Arbeitsplatz im Rettungsdienst zufrieden? Wenn nein: Was stimmt Sie unzufrieden? 11 12 Welche Ängste und Befürchtungen haben Sie in Bezug auf Ihre Tätigkeit? Ist für Sie der Mensch, der Ihnen als Patient begegnet, mehr als ein Wesen, das nur medizinische Betreuung benötigt? Welche Rolle spielten psychologische, ethische und religiöse Themen im Rahmen Ihrer Rettungsdienstausbildung? Gibt es Ihrer Meinung nach dabei Defizite? 13.1 13.2 Wünschen Sie sich in diesen Bereichen Fortbildungseinheiten? Wenn ja, zu welchen Themen? 13.3 Gibt es Ihres Erachtens nach Möglichkeiten für die Kirche, bei der Ausbildung und bei Fortbildungen und Übungen mitzuarbeiten? Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach das Helfer-Syndrom, das BurnoutSyndrom und die Suchtgefahr im Rettungsdienstalltag? Welche Einsätze oder Konfrontationen belasten Sie am meisten? 14 15.1 15.2 Wie verarbeiten Sie persönlich die Erlebnisse belastender Einsätze? Was bzw. wer hilft Ihnen dabei? 15.3 15.4 Gibt es dazu Angebote auf Ihrer Rettungswache oder von Ihrer Organisation? Können Sie sich vorstellen, dass die Kirche und deren Mitarbeiter/innen Ihnen dabei helfen können? Wie könnte das konkret aussehen? 129 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer 15.5 Aus Ihrer Erfahrung: Werden solche Angebote wahrgenommen oder meinen Sie, dass dennoch viele Einsatzkräfte lieber das Leid verdrängen und/oder sogar durch den Missbrauch von Alkohol und (anderen) Drogen betäuben? 15.6 Welche Erwartungen haben Sie an Seelsorger/innen, die Einsatzkräfte seelsorglich begleiten? III Notfallseelsorge (NFS) 16.1 Welche Erfahrungen haben Sie im Rahmen Ihres Dienstes mit der NFS gemacht? 16.2 Hat sich Ihr Bild von der Kirche / den Kirchen durch die Begegnung mit der Einrichtung der NFS geändert? 17 18 Wie sehen Sie die NFS an: als Unterstützung oder Konkurrenz oder...? Wann alarmieren Sie bei einem Rettungsdiensteinsatz die NFS? 19 In welchen Fällen ziehen Sie den Kriseninterventionsdienst (KID) der NFS vor? 20 21 Was erwarten Sie von einer Notfallseelsorgerin / einem Notfallseelsorger? Sollten Ihrer Meinung nach Notfallseelsorger/innen an der Kleidung als solche erkennbar und von den Rettungskräften unterscheidbar sein? In der katholischen Kirche gibt es das Sakrament der Krankensalbung, das (früher) auch oft missverständlich „Letzte Ölung“ genannt wurde. Es wird Gläubigen in schwerer Krankheit und vor schwierigen Operationen gespendet. Haben Sie schon einmal (z. B. bei einem Einsatz) erlebt, wie ein Priester die Krankensalbung gespendet hat? Und wenn ja, wie haben Sie diese zeichenhafte Handlung verstanden? 22 IV Kirchengemeinde 23.1 Gab es bei einem Ihrer Einsätze schon einmal Missverständnisse oder Konflikte zwischen dem Rettungsdienst und kirchlichen Mitarbeitern (z. B. bei einem Notfall während eines Gottesdienstes oder bei einem Patienten zu Hause)? Wenn ja: Was ist passiert und welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Welche Möglichkeiten gibt es Ihrer Meinung nach, damit bei Einsätzen mögliche Missverständnisse und Probleme zwischen Rettungsdienst und Mitarbeitern der Kirche vermieden werden können? Was wünschen Sie sich in diesem Bezug von der Kirche? 23.2 24 Haben Sie irgendwelche Wünsche oder Erwartungen an die Kirchengemeinde und die Seelsorge am Ort der Rettungswache und an Ihrem Wohnort? Sehen Sie Möglichkeiten der Zusammenarbeit? V Sonstiges 25 Persönliche Anmerkungen, Fragen u. ä. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen für die Zeit und Ihr Engagement, mit der Sie meine Arbeit hilfreich unterstützt haben. Ihre Angaben werden garantiert nur im Rahmen der oben genannten Arbeit verwendet und anonym behandelt. Mit freundlichem Gruß JZ 130 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer ANHANG 2 Rettungsdienstpraktikum (Berichte) Vorbemerkungen: Während der Entstehung meiner Diplomarbeit bin ich gelegentlich als Praktikant auf einem Rettungswagen mitgefahren und habe an Sanitätsdiensten teilgenommen, um die Praxis des Rettungsdienstes nicht nur durch Bücher und Fragebögen vor Augen zu haben, sondern auch direkt zu erleben. Die zwei folgenden Berichte wollen besonders Lesern, die auf diesem Gebiet eher unerfahren sind, einen kleinen Einblick in die Arbeit des Rettungsdienstes ermöglichen. Sie wollen eine Hilfe sein, sich ein Stück weit in den Arbeitstag des Rettungsdienstes hineinzudenken. Sie ersetzen selbstverständlich nicht das Erleben in der Realität; auch können diese Aufzeichnungen nicht auf jeden Aspekt eingehen. Am Ende des jeweiligen Berichtes schließen einige persönliche Gedanken zu den erlebten Ereignissen als Nachbemerkungen die Darstellungen ab. Hinweise: Um Rückschlüsse auf Personen zu vermeiden, wurden einige Angaben verändert. Die spezifischen Abkürzungen sind im Abkürzungsverzeichnis aufgeschlüsselt. Für weitere Informationen zu den angegebenen Medikamenten, Geräten, medizinischen Fachtermini und ähnliches sei verwiesen auf KÜHN : Rettungsdienst, LUTOMSKY / F LAKE: Leitfaden Rettungsdienst und ferner auf Pschyrembel Klinisches Wörterbuch. Bericht A: Beispiel für den Verlauf eines Einsatzes Tag: Dienstag; Wache: XY Fahrzeug: XY, Schicht: 07.00 – 18.00 Uhr Besatzung: RA, RH, Praktikant Bisheriger Tagesverlauf in Stichpunkten: - 07.00 Uhr: Dienstbeginn mit Überprüfung von RTW, medizinischen Geräten und dem Material im Patie ntenraum. Ebenso Kontrolle der Medikamente auf Vollständigkeit und Haltbarkeit. Anschließend Aufenthalt auf der Wache. - 08.41 Uhr – 10.13 Uhr: Internistischer Notfall (Unklares Abdomen) in XY. - 12.56 Uhr – 14.10 Uhr: Chirurgischer Notfall (Hausunfall) in XY. - 15.28 Uhr – 16.52 Uhr: Internistischer Einsatz (Kreislaufkollaps) in XY. Einsatz: - 16.57 Uhr Alarmierung per FME: „Achtung, Achtung. Leitstelle XY mit Einsatz für den XY (= RTW), den XY (= NEF) mit dem Chirurgen nach XY.“ Anschließend: sofortige Besetzung des RTW und Abfahrt mit Sonderrechten. Auf der Anfahrt teilt die Leitstelle per Funk den genauen Einsatzort mit und gibt bekannt, dass es sich um einen Verkehrsunfall handelt, bei dem ein Motorradfahrer beteiligt ist. 131 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer - 17.03 Uhr Ankunft am Einsatzort. Lage: Ein Motorradfahrer (ca. 35 Jahre) ist auf einer Landstraße zwischen XY und XY von seinem Kraftrad gestürzt. Eine Ersthelferin hat bereits wertvolle Hilfe geleistet. Die bereits eingetroffene Polizei sperrt die Unfallstelle ab. Zahlreiche Gaffer sind am Ort und behindern sogar zum Teil die Rettungsarbeiten. Benötigte Geräte und Koffer: EKG, Beatmungsgerät, Notfallkoffer (für Atmung, Kreislauf und Wiederbelebung), Medikamentenkoffer und die elektronische Absaugpumpe. Da die Polizei bereits die Absicherung der Unfallstelle übernommen hat, verzichtet die Besatzung auf zusätzliche Warnwesten. Der RA und die Ersthelferin (mit RS-Ausbildung) nehmen den Schutzhelm des Patienten vorsichtig vom Kopf ab und schützen die Halswirbel mit Hilfe eines Stifneck® vor weiteren Bewegungen. Der RH und der Praktikant kümmern sich währenddessen um die Ermittlung der Vitalparameter (HF: 80/min.; SpO 2 : 88%; RR: 110/70 mmHg; EKG: normaler Sinusrhythmus). Der Patient ist kaum ansprechbar und gibt gelegentlich Schmerzrufe von sich; mit beruhigenden Worten wird eine psychische Betreuung unternommen. - 17.07 Uhr Der NA trifft am Einsatzort ein. Aufgrund der schweren Verletzungen fordert der RA nach kurzer Beratung mit dem NA über Funk von der Leitstelle einen RTH nach; die Leitstelle alarmiert daraufhin den RTH XY aus XY. Der NA befreit den Mundraum des Patienten von dem bereits geronnen Blut; danach folgt die Intubation für die künstliche Beatmung. Intravenöse Zugänge werden gelegt; Ringer-Vollelektrolytlösung (insgesamt 3 Infusionen mit je 500 ml) und HAES-steril® (500 ml) zur Therapie des Volumenmangels werden angehängt. Ferner werden das Hypnotikum Hypnomidate ® zur Narkose und das Analgetika Fentanyl® zur Schmerzlinderung verabreicht. Mittlerweile treffen weitere Polizeibeamte ein, die mit der Zeugenbefragung und der Rekonstruktion des Unfalls beginnen. Die Besatzung eines zweiten Feuerwehrfahrzeugs steht für Aufräumarbeiten zur Verfügung. - ca. 17.23 Uhr Der RTH (Besatzung: NA, RA und Pilot) landet in unmittelbarer Nähe zur Unfallstelle. Die beiden Notärzte beraten das weitere Vorgehen. Über die Leitstelle wird ein Krankenhaus gesucht, das für die Aufnahme des sehr schwer verletzten Patienten vorbereitet ist. Der Patient wird mit Hilfe der Schaufeltrage auf eine Vakuummatratze gelegt, die unnötige Bewegungen beim Transport verhindert und dadurch eine zusätzliche Belastung der Wirbelsäule vermeidet. Anschließend wird er in den RTH getragen, der gegen 17.42 Uhr in Richtung Klinik abfliegt. Die Besatzung des RTW räumt danach die Geräte und Koffer wieder in ihren Einsatzwagen und entfernt die verbrauchten Kompressen und Verpackungen von der Straße. Dabei werden erste kurze Gedanken zum Einsatzablauf ausgetauscht. Anschließend steht die Besatzung noch kurz an der Einsatzstelle, spricht kurz mit den Polizeibeamten. Vor der Rückfahrt zur Wache lobt der RA seine Besatzung für die gute Zusammenarbeit. - 18.05 Uhr Abfahrt von der Einsatzstelle in Richtung Wache. Der Leitstelle werden per Funk die Rückmeldezahl (Aussagen über den Zustand des Patienten beim Eintreffen u. ä.) und Rückmelde-Indikation (Verkehrsunfall mit Motorradfahrer) mitgeteilt; der RTW wird als „Nicht einsatzbereit“ gemeldet, da die benutzten Geräte unbedingt desinfiziert werden müssen; außerdem müssen Medikamente, Infusionen, Verbandmaterial u. ä. aufgefüllt werden. - 18.19 Uhr Rückkehr auf der Wache. Der RTW wird gemeinsam mit der Besatzung der Nachtschicht ausgeräumt. Alle Flächen im RTW, die mit Blut in Berührung gekommen sind werden ebenso wie die Geräte desinfiziert; die verbrauchten Medikamente und Materialien werden aufgefüllt. Dabei kommt immer wieder der Einsatz zur Sprache. Der Einsatzbericht wird in das EDV-System eingegeben. - ca. 19.00 Uhr Die Besatzung der Nachtschicht übernimmt die restlichen anfallenden Arbeiten. Die Besatzung der Tagschicht beendet nach einem anstrengenden Arbeitstag mit mehr als einer Überstunde ihren Dienst. 132 Kirchliche Seelsorge im Rettungsdienst Johannes Zepezauer Nachbemerkung: Dieser Einsatz war gewiss keine Routine und ging an der gesamten RTWBesatzung nicht spurlos vorüber. Die große Frage am Abend dieses Tages war, ob der Patient nach diesen schweren Verletzungen überleben wird. Es blieb nur die Hoffnung. Bei den Aufräumarbeiten haben wir miteinander noch einmal über den Einsatz gesprochen. Auch die Kollegen von der Nachtschicht haben später auf der Wache verständnisvoll zugehört und uns einen großen Teil der Aufräumarbeiten abgenommen. Trotz aller Unklarheit bezüglich der Zukunft des Patienten hat mir das Lob des RA auf jeden Fall gut getan. Bericht B: Beispiel für den Verlauf einer Nachtschicht 18.00 Uhr 22.44 Uhr 22.45 Uhr 22.49 Uhr 22.54 Uhr 23.07 Uhr 23.23 Uhr 23.41 Uhr 00.02 Uhr 00.23 Uhr 01.15 Uhr 07.00 Uhr Tag: Donnerstag; Wache: XY Fahrzeug: XY, Schicht: 18.00 – 07.00 Uhr Besatzung: RA, RH, Praktikant Dienstbeginn, Tagschicht, Fahrzeugcheck (Routineüberprüfung von RTW, den medizinischen Geräten wie EKG, Beatmungsgeräte und Absaugpumpe auf Funktion und dem Material auf Vollständigkeit). Anschließend Aufenthalt auf der Wache mit gemeinsamem Abendessen, Gesprächen und Fernsehen. Alarmierung durch Leitstelle per FME: „Leitstelle XY mit Notfall für den XY.“ Besetzung des RTW. Aufnahme des Funkkontaktes mit der Leitstelle (Angaben: Adresse in XY, Indikation: Internistischer Notfall), anschließend Abfahrt. Ankunft am Einsatzort. Mitnahme von Notfall-Koffer (für AKW), EKG-Gerät und Medumat (Beatmungsgerät). Situation: Kaum ansprechbarer Patient (ca. 80 Jahre) mit Korsakow-Syndrom, akutem Flüssigkeitsmangel und Fieber. Nach der Überprüfung der Vitalparameter (HF: 98/min.; SpO 2 : 94%; RR: 140/100 mmHg; BZ: 123 mg/dl; EKG: normaler Sinusrhythmus) werden dem Patienten Sauerstoff (6 l/min) verabreicht und ein venöser Zugang gelegt. Über Telefon fordert der RH von der Leitstelle einen NA nach, da der Patient dringend eine Infusion benötigt, um den Flüssigkeitsmangel auszugleichen. Alarmierung des NEF durch die Leitstelle. Während der Anfahrt des NEF wird der Patient für den Transport vorbereitet u. auf der Trage in den RTW gebracht. Eintreffen des NEF am Einsatzort. Nach einer kurzen Besprechung mit dem RA untersucht der NA den Patienten und legt ihm eine Infusion an (500 ml RingerLaktat-Lösung), um den Flüssigkeits- und Elektrolytmangel auszugleichen. Abfahrt (ohne NA und ohne Sonderrechte) zum Krankenhaus XY. Während der Fahrt wird der Patient betreut und die Vitalfunktionen überwacht. Ankunft im Krankenhaus. Der Patient wird auf die zuständige Station gebracht und an das Pflegepersonal übergeben. Anschließend: Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft des RTW. Abfahrt im Krankenhaus. Rückfahrt zur Wache. Ankunft auf der Wache. Ausfüllen des Einsatzberichtes im EDV-System und Auffüllen der verbrauchten Materialien im RTW. Abschließend: Gespräche und Fernsehen im Wachraum. Nachtruhe in den Schlafräumen. Die Funkmeldeempfänger stehen in den Ladegeräten neben den Betten. In dieser Nacht erfolgt keine weitere Alarmierung. Ablösung durch die Tagschicht. Schichtende. Nachbemerkung: Der einzige Patient dieser Schicht war ein älterer Mensch. Während und nach diesem Notfall musste ich öfters daran denken, wie es wohl später einmal sein wird, wenn ich alt und vielleicht auch krank bin. Mir wurde wieder einmal deutlich, wie wichtig es ist, dankbar für das eigene Leben zu sein und im Umgang mit alten Menschen nicht zu vergessen, dass es mir selbst einmal ähnlich gehen kann. Diese Nachtschicht ist mit einem Notfall am späten Abend relativ ruhig geblieben. Es gibt aber auch Nächte oder Tage, an denen man kaum zur Ruhe kommt; Nächte, in denen man mitten aus dem Schlaf gerissen wird und innerhalb von kurzer Zeit 100% Leistung erbringen muss. Es gilt, immer bereit zu sein. In der Regel schlafe ich bei den Nachtdie nsten unruhig – vermutlich, weil ich weiß, dass ich jeden Moment durch den FME geweckt und zu Menschen in Not gerufen werden kann; eventuell geht es dabei sogar um Leben und Tod. 133