ivan basso - Tour Magazin
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IVAN BASSO »Ich 94 TOUR 12 | 2008 habe niemanden umgebracht« Nach zwei Jahren Doping-Sperre ist Ivan Basso zurück im Peloton. Der 31-jährige Italiener hatte im vergangenen Jahr die Zusammenarbeit mit dem spanischen DopingArzt Eufemiano Fuentes zugeben – und büßte dafür als einer von wenigen, während viele andere der mehr als 50 verdächtigen Radprofis ungeniert Siege feierten. Dennoch ist sein Comeback umstritten, das ist ihm bewusst. Wohl auch deshalb hat er sich erstmals im TOUR-Interview unseren kritischen Fragen gestellt ǯǴǺǫǸǼǯǫǽ Tom Mustroph ǬǵǺǵǹ Pixathlon/Pius Koller TOUR: Herr Basso, mit welchen Gedanken kehren Sie in den Profi-Radsport zurück? BASSO: Ich bin aufgeregt. Ich freue mich auf die Wettkämpfe, die Geschwindigkeit, das Fahren im Peloton. Ich freue mich darauf, endlich wieder eine Startnummer an meinem Trikot zu befestigen, mit Kollegen und einem Sportlichen Leiter über die Taktik zu reden, im Hotel mein Zimmer mit einem Mannschaftskameraden zu teilen und das zu tun, was mein Beruf ist: Rennen fahren. Es ist kein einfaches Berufsfeld. Früher galten Politiker als die größten Betrüger. Derzeit haben sich Bankmanager diesen zweifelhaften Titel erworben. Für viele Menschen gelten aber Radprofis als die größten Lügner und Betrüger. Wollen Sie wirklich gern dahin zurück? Ich bin nicht einverstanden mit Ihrer Einschätzung. Die Menschen sehen den Radsport aus einer anderen Perspektive. Sie kommen zu Tausenden an die Straßen, um den Rennfahrern zu applaudieren. Natürlich ist unter hundert Kommentaren auch immer ein enttäuschter. Und genau darüber schreiben die Medien. Ich möchte nur darum bitten, dass einem Athleten, der Fehler gemacht und dafür bezahlt hat, Vertrauen geschenkt wird. Dennoch sind Radprofis wie Ricco, Schumacher und Kohl als Betrüger enttarnt worden. Wie beurteilen Sie die Gesellschaft, in die Sie zurückkehren? Ich bin der Letzte, der andere beurteilen will. Ich komme zurück, um Rennen zu fahren. Und ich will die Regeln einhalten. Ich muss mich nicht darum zu kümmern, wer wohin eingeladen wird. Was nehmen Sie sich für die kommende Saison vor? Meine Ziele? Reden wir lieber von meinen Träumen. Es sind noch dieselben wie 2006. Ich habe sie damals in eine Kassette eingeschlossen und hole sie nun heraus. Ich möchte große Rundfahrten gewinnen, ich möchte die 12 | 2008 TOUR 95 IVAN BASSO »Sie glauben mir nicht, das sehe ich Ihnen an« „maglia rosa“ (das Rosa Trikot des Gesamtführenden beim Giro d’Italia, Anm. d. Red.) holen. Doch wie wollen Sie mithalten? Immerhin wurden 2008 drei Bergetappen der Tour de France und die beiden Tour-Zeitfahren nach heutigem Kenntnisstand unter Einfluss des EPO-Mittels CERA gewonnen. Ich bin einer, der diese Probleme mit geschaffen hat. Deshalb bin ich eine der ungeeignetsten Personen, hier ein Urteil abzugeben. Für mich gilt, dass ich zurückgekommen bin und die Regeln akzeptieren werde. Ich frage nicht nach Ihrer Beurteilung anderer. Ich bitte lediglich um eine realistische Einschätzung Ihrer Siegchancen. Ich glaube, dass die, die mit mir sind, sich in keiner anderen Situation befinden als ich selbst. Soll das etwa heißen, dass Sie Ihren Konkurrenten vertrauen? Ja. Klar. Trauen Sie Ihren Konkurrenten oder eher den Dopingkontrollen? Ich muss meiner Welt und meinem Umfeld vertrauen. Das ist doch normal. Es wäre unnormal anzunehmen, ich würde gegen Kontrahenten fahren, die sich anders verhalten. Das denken Sie wirklich? Ja. Wie haben Sie die vergangenen zwei Jahre verbracht? Ich durchlief mehrere Phasen. Die Zeit ab April 2006 war sehr schwer. Da habe ich mich schuldig gefühlt. Ich habe mich in Gegenwart von Anwälten und Staatsanwälten wiedergefunden. Für jemanden, der es gewohnt ist, Radrennen zu bestreiten, war das eine irreale Situation. In ȀǻǸ ǶǫǸǹǵǴ Ivan Basso, geboren am 26. November 1977, begann 1999 seine Profikarriere bei einem Farmteam des Mapei-Rennstalls. Beim Team Fassa Bortolo machte er als talentierter Kletterer auf sich aufmerksam und gewann 2002 die Wertung als bester Nachwuchsfahrer der Tour de France. Ab 2004 fuhr Basso für Team CSC, wo er sich unter Anleitung Bjarne Riis’ und des umstrittenen Arztes Luigi Cecchini im Zeitfahren verbesserte und die Tour 2004 als Dritter und 2005 als Zweiter beendete. Wegen seiner Verwicklung in das Dopingsystem des spanischen Arztes Eufemiano Fuentes suspendierte CSC den Giro-Sieger auf Druck der Veranstalter vor dem Start der Tour 2006. Trotz des Dopingverdachts verpflichte Johan Bruyneel den Italiener für sein Team Discovery Channel, das 96 TOUR 12 | 2008 sich jedoch von dem Profi nach kurzer Zeit trennte, weil das Doping-Verfahren erneut eröffnet worden war. Basso gab im Mai 2007 zu, mit Fuentes unter dem Decknamen „Birillo“ zusammengearbeitet zu haben. Er bestreitet bis heute, das ihm abgenommene und mit EPO angereicherte Blut jemals benutzt zu haben. Das italienische Verbandssportgericht verurteilte Basso zu zwei Jahren Sperre (dabei wurde Bassos vorangegangene Suspendierung angerechnet). Neben Jörg Jaksche sowie Landsmann Michele Scarponi ist Basso der einzige Radprofi unter den mehr als 50 Verdächtigen der Operacion Puerto, die bestraft wurden. Ende Oktober bestritt Basso im Trikot seines neuen Teams Liquigas das erste Rennen und belegte beim Japan-Cup den dritten Platz. einer zweiten Phase bin ich wieder aufs Rad gestiegen, habe viele Stunden trainiert. Da fühlte ich mich besser. Im Jahr 2007 bin ich dann zum Mapei-Zentrum gekommen, um das Training zu verbessern. Ich habe dort Aldo Sassi (Leiter des Mapei-Trainings-Zentrums, früher Teammanager des Mapei-Teams, Anm. d. Red.) gefunden. Mit Sassi habe ich auch vereinbart, meine Trainingsdaten online zu stellen. Das ist eine Möglichkeit, zu zeigen: Seht her, so trainiere ich. Ich habe keine Geheimnisse. Woche für Woche sind die Ergebnisse besser geworden. Sie haben mich moralisch aufgebaut. Im April kam dann die Nachricht, dass ich wirklich ein Team haben werde. Die Zeit danach ist wie im Flug vergangen. Und jetzt bin ich hier. Was hat Ihnen am meisten gefehlt in diesen zwei Jahren? Der Wettkampf hat gefehlt, ganz eindeutig. Ich bin auf dem Rad, seit ich sechs Jahre alt war. Von einem Moment zum anderen befand ich mich an einem Punkt, an dem ich meine Arbeit nicht mehr ausüben konnte. Ich hatte selbst schuld daran. Darüber denkt man nach. Und wie fühlen Sie sich jetzt? Sehr gut. Ich habe in diesen zwei Jahren härter trainiert als sonst. Ich hatte nichts zu verlieren. Ich musste ja keine Rennen fahren, hatte also die Möglichkeit, auch Fehler zu machen. In diesen zwei Jahren habe ich das Limit ausgetestet, an das ich meinen Körper im Training bringen kann. Wieviele Tage kann ich mit Vollgas fahren? Es ist klar: Je mehr Tage man im Training unter Höchst- mich unglaublich schuldig gefühlt. Das war zeitweise sehr schwer zu ertragen. Aber die Zeit hilft dabei. Und langsam baut man ein neues Leben auf. Was erwarten Sie von Ihren Kollegen, wenn Sie ins Peloton zurückkehren? Gar nichts. Es ist doch klar, dass die keine Freudensprünge machen werden, weil ich zurückkomme. Nicht, weil sie etwas gegen mich hätten, sondern weil sie wissen, dass mit Ivan Basso ein weiterer Gegner hinzugekommen ist. Daher werden sie mir nicht den roten Teppich ausrollen. Es wird auch Missfallensbekundungen geben. Ein Mann des Sports muss das akzeptieren. Wie stellen Sie sich das Zusammentreffen mit denen vor, die auch auf der Liste der „Operación Puerto“ standen, aber im Gegensatz zu Ihnen nicht sanktioniert wurden? Hier kommen wir wieder an einen Punkt, der für viele Journalisten offenbar nicht klar ist. Wenn einer so eine Sache macht, fährt er nicht gemeinsam im Reisebus mit anderen dorthin. Ich weiß nicht, wer alles verwickelt ist und wer nicht. Ich war zwei Jahre lang gesperrt für das, was ich getan habe. Die Strafe verdiene ich. Jetzt verdiene ich es aber auch, zurückzukommen. Finden Sie es nicht ungerecht, dass die anderen fahren durften, Sie aber nicht? Nein, gar nicht. Das ist keine Ungerechtigkeit. Man hat mich disqualifiziert wegen der Fehler, die ich begangen habe. Ich habe für meine Fehler bezahlt und kehre jetzt zurück. Das ist meine Situation. Die Situation der anderen ist nicht mein Problem. Was erwarten Sie vom Publikum? belastung absolviert, desto einfacher wird es auch, diese Leistung im Wettkampf abzurufen. Sie können jetzt länger Vollgas geben? Ja. Ich hatte ja keine Wettkämpfe und konnte mir deshalb härtere Belastungen aufbürden. Wie gut sind Sie im Vergleich zu Ihrer besten Saison 2006? 2006 war nicht mein bestes Jahr. Es war das Jahr, in dem ich die besten Ergebnisse hatte. In den Jahren davor war ich Zweiter und Dritter bei der Tour und habe mich auch gut gefühlt. 2006 waren Sie aber einer der großen Favoriten, und Ihre Fähigkeit zu gewinnen war am ausgeprägtesten. Damals hatten Sie sich, wie Sie es ausdrückten, die Blutbeutel von Madrid als „Sicherheit“ aufgehoben. Wie können Sie nun erklären, das gleiche Niveau ohne diese „Sicherheit“ erreichen zu wollen? Ich weiß, wie ich früher gewonnen habe, und ich weiß, wie ich jetzt gewinnen kann. Da brauche ich keine besondere Versicherung. Ich brauche nur Vertrauen in die eigenen Mittel. Daher hoffe ich, die Nummer eins zu werden. Mein wahrer Sieg wird aber sein, zu zeigen, dass ich sauber gewinne. Sie galten ja schon früher als willensstark. Haben Sie mental jetzt noch zugelegt? Schlechte Erfahrungen bringen einen dazu, das Leben aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Wenn man nach diesen Erfahrungen noch derselbe wäre, wäre man ja eine Art Teufelsmaschine. Ich habe gelitten, ich habe Es gibt einen Teil des Publikums, der mich niemals aufgegeben hat. Das sind die Treuen, die Ultras, die zu hundert Prozent Überzeugten. Dann gibt es einen Teil, der sehr enttäuscht und verbittert war. Die Leute stehen nun am Fenster und beobachten, was ich tue. Diese Personen möchte ich wieder zurückgewinnen, sie wieder zu meinen Fans machen. Und dann gibt es den Teil, der früher Fan war, es jetzt aber nicht mehr ist, und der vielleicht gar nicht mehr zurückkehren wird. Wie wollen Sie die Leute wieder für sich einnehmen? Immerhin haben Sie gelogen, als Sie die Verbindung mit dem spanischen Doping-Arzt Fuentes abgestritten haben. Was soll ich tun? Wenn im Kindergarten ein Kind eine Dummheit begeht, dann wird es von der Erzieherin bestraft. Danach verzeiht sie ihm aber und gibt ihm die Hand. Die Leute, die immer nur mit denen zusammen sein wollen, die keine Fehler machen, werden im Leben bald allein sein. Ich habe mich entschuldigt, habe Leuten meine Entschuldigung ins Gesicht gesagt. Sie haben meine Situation verstanden, haben begriffen, wie schlecht ich mich gefühlt habe. Sie haben mir verziehen. Und nun beobachten sie, was ich mache. Es handelt sich für mich nicht darum, einfach nur zurückzukehren. Wie man zurückkehrt, ist entscheidend. Die Menschen werden das beobachten und mich danach beurteilen. Ich kann nur um Zeit und eine faire Beurteilung bitten, mehr nicht. Waren die zwei Jahre verlorene Jahre? Gewonnene Jahre waren es sicher nicht. Es war eine Zeit, in der ich gern anderes gemacht hätte. Doch das Leben bringt dich in Situationen, die negativ sind. Du bezahlst ihren Preis mit deinem Ansehen, deinem Ruf, mit Geld – aber am Ende stehst du wieder auf. 12 | 2008 TOUR 97 IVAN BASSO »Ich möchte die Enttäuschten wieder zurückgewinnen« Drei Frankreich-Rundfahrten haben ohne Lance Armstrong stattgefunden. Sie konnten durch Ihre Sperre die Gelegenheit auf einen Sieg nicht wahrnehmen. Kaum stehen Sie wieder am Start, ist auch Lance da. Fühlen Sie sich vom Schicksal verraten? war und nur unter dem Pseudonym „Amigo di Birillo“ bekannt ist (unter dem Namen „Birillo“ war Blut von Basso gelagert, der Name „Amigo di Birillo“ konnte noch nicht zugeordnet werden, verdächtigt wird Fränk Schleck, Anm. d. Red.)? Ich denke nicht. Ich bin jetzt glücklich, zu der Arbeit zurückkehren zu können, die ich liebe. Alles andere ist für mich nebensächlich. Dieses Pseudonym stand in der Agenda des Arztes. Ich kann nicht wissen, wie er diesen Namen gewählt hat. Ich bin kein Polizist, ich kann das nicht aufklären. Ich bin da allein hingegangen. Mehr weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob die Leute mir das glauben. Ich kann das Misstrauen verstehen. Einer, der ein Jahr lang gelogen hat, ist eben nicht besonders vertrauenswürdig. Alles, was ich jetzt sage, wird mir nicht geglaubt. Sie glauben mir auch nicht. Ich sehe Ihnen das an. Schmerzt es Sie, dass Ihr Team Liquigas die Tour de France offensichtlich ohne Sie plant und für Sie nur Giro und Vuelta übrig bleiben? Was im Laufe der Saison geschieht, diskutieren wir später. Jetzt ist für mich wichtig, an die Gegenwart zu denken und mich dem Gefühl der Rückkehr hinzugeben. Ich will meine Emotionen bei den ersten Rennen genießen. Aufgrund der Doping-Skandale will die deutsche Fernsehanstalt ARD die Tour nicht mehr übertragen, und die Deutschland-Tour wird nicht mehr stattfinden. Wie finden Sie das? Jetzt fühle ich mich noch nicht bereit, mich diesen Konflikten zu widmen. Ich komme aus einer für mich schwierigen Situation. Mein Kopf und mein Herz können sich auf solche Dinge noch nicht einstellen. Wie sehr lastet auf Ihnen der Ausgang des Zivilprozesses, in dem Sie zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt wurden, die jedoch in eine Geldbuße umgewandelt wurde? Bei einer weiteren Dopingaffäre droht Ihnen Gefängnis. Ich bin ein Mensch wie andere auch. Ich habe niemanden umgebracht, und ich bin kein Pädophiler. Ich bin ein Rennfahrer, der einen Fehler begangen und dafür bezahlt hat. Das Gerichtsverfahren war normaler Bestandteil des ganzen Prozesses. Ich wollte die ganze Angelegenheit abschließen, um unbelastet die Rennen aufnehmen zu können. Natürlich sind die Ereignisse nicht rückgängig zu machen. Dieser Fleck bleibt. Aber ich möchte nach dem beurteilt werden, was ich jetzt und später tue und nicht immer nur nach dem, was geschehen ist. Haben Sie Kontakt zu dem Mann, der ebenfalls Fuentes-Kunde 98 TOUR 12 | 2008 Ich habe Zweifel, klar. Das verstehe ich. Andere zweifeln auch. Das ist normal, die Glaubwürdigkeit ist dahin. Er glaubt mir (wendet sich an einen Begleiter aus Varese). Er kennt mich, seit ich ein Kind war. Er weiß – wie andere auch, die mich seit langem kennen –, dass ich eine ehrliche Person bin. Ich habe einen großen Fehler gemacht. Es ist normal, dass Sie mir nicht glauben. Aber gebt mir Zeit. Und verharrt nicht in eurer Enttäuschung. Welchen Traum haben Sie für 2009? Es gibt den einen besonderen Traum: Wenn ich die Augen schließe, sehe ich mich in der „maglia rosa“ auf dem Podium. Ebenso wichtig – vielleicht noch wichtiger – ist, dass ich dem Radsport etwas zurückgebe. Der Radsport hat mir viel gegeben, vor allem viele Emotionen. In dieser Währung möchte einiges zurückgeben an die Zuschauer, an die Fotografen, die Journalisten, an alle. Das ist mein großer Traum. Wenn wir uns in zwölf Monaten erneut begegnen, möchte ich gern, dass Sie mir Recht geben, und dass Sie feststellen, ich habe gehalten, was ich versprochen habe. Das wäre der größte Sieg des Jahres für mich, größer als eine Rundfahrt. Gut. Wir haben eine Verabredung. ■