FERNFAHRER: Fähren im Baltikum
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FERNFAHRER: Fähren im Baltikum
SERVICE Ostseefähren im Vergleich Volle Kraft voraus Der bequemste Weg nach Skandinavien oder ins Baltikum führt noch immer übers Wasser. FERNFAHRER hat sich die unterschiedlichen Fährlinien einmal genauer angeschaut. Von Dietrich Hub (Text und Fotos) Ü ber die Ostsee schwimmen viele Schiffe. Doch welches nehmen? Urlauber lassen sich im Reisebüro ausführlich beraten, wel- 74 ches Schiff ihrem Geschmack entspricht. Fernfahrer können nur selten persönlich auswählen. Entschieden wird meist nur danach, ob Abfahrts- und Zielort, Dauer und Preis der Fährüberfahrt im richtigen Kosten-Nutzen-Verhältnis stehen. Abgesehen von der Autodeck-Länge, welchen Unter- Die Überfahrt gibt den Fahrern Gelegenheit, richtig zu relaxen. Der Speisesaal der „Urd“ lässt Ausblicke auf die Ostsee zu. schied macht es, ob man auf einer Fracht- oder Passagierfähre unterwegs ist? FERNFAHRER wollte es genauer wissen und ist dafür ins Baltikum gereist – über die Ostsee. Hin auf einer Frachtfähre und zurück auf Passagierfähren. Erste Erkenntnis: Oft sind Berufskraftfahrer und Touristen zusammen auf einem Schiff unterwegs. Nur auf wenigen Seerouten fahren reine Frachtfähren. Die Unterschiede zwischen den Schiffen sind dennoch eklatant. Die Einschätzungen der Fahrer ebenso. Noch stehen die Fahrer auf dem Achterdeck der im Jahr 1981 gebauten „Urd“. Die Frachtfähre der Reederei Scandlines nähert sich rückwärts fahrend ihrem Liegeplatz im Hafen von Ventpils. Schnell noch mal die kühle Abendluft genießen, bevor es hinunter ins stickige Autodeck geht. Motor starten und rauf aufs Land. 27 Stunden auf See liegen hinter den Fahrern – 700 Kilometer auf dem Wasser, von Rostock nach Lettland. Die Überfahrt war ruhig, jedenfalls was das Die „Urd“ bewältigt die Strecke von Rostock nach Ventspils in 27 Stunden. Meer angeht. An der Bar im Schiff ging es stellenweise laut zu. Einige der Fahrer gehören entsprechend ihrer Mentalität keineswegs zur ruhigen Sorte. Letten, Esten, Weißrussen und Russen machen einen großen Teil der Passagiere der „Urd“ aus. Wobei die meisten Passagiere Fahrer sind. Touristen mit Auto oder Wohnmobil findet man nur wenige unter den 150 Mitfahrern. Einar Kruve (54) aus Estland blickt schweigend vom Achterdeck der Fähre auf die Hafen- Einfahrt der Scandlines-Frachtfähre in den Hafen von Ventspils/Lettland. Auf den Frachtfähren kommt es besonders auf Spurmeter an. Einar Kruve fährt gern und regelmäßig mit Scandlines. FERNFAHRER 2/2009 75 SERVICE Ostseefähren im Vergleich Die leere „Urd“ der Scandlines im Hafen von Ventspils. Das neue Hafenterminal in Ventspils – inklusive Dusche. stadt. Er fährt regelmäßig mit Auf die Touristen könne er ger- mousine vergleichen. Genauso der „Urd“. „Alles außer Kühl- ne verzichten, so Einar Kruve: wie ein Pick-up hat auch eine gut“ transportiert er für seine „Hier auf der ,Urd‘ treffe ich bei Frachtfähre vorne Räume für jeder Überfahrt Fahrer, die ich Passagiere und dahinter nur Firma „Tallept Auto“. Auf dieser noch Ladefläche. PassagierTour sind es Garagentore aus schon kenne.“ Sehr zu loben Bielefeld, die er nach Tallinn, sei das neue Hafenterminal in fähren gleicher Länge bieten der Hauptstadt Estlands, bringt. Ventspils: „Optimal für unsere also weit mehr Innenraum, da „Klar könnte ich auch mit der Bedürfnisse zugeschnitten, mit die Autodecks in voller Länge Cafeteria und Duschen.“ „überbaut“ sind mit Kabinen, Tallink Silja Line von Rostock direkt nach Tallinn fahren“, sagt Restaurants, Disco, „ShoppingDer Rumpf von Fracht- und er, „aber das rechnet sich für Passagierfähren ist meistens Meile“, Kinderspielzimmer, die Firma nicht.“ Die Silja Line Sauna und anderen Angeboten fährt mit Passagierfähren von für die Gäste. Nur die Seeluft Eine Frachtfähre Rostock nach Tallinn. Früher ist auf dem Achterdeck und der entspricht letztlich er viel mit anderen Fährlinien Sonnenuntergang sind für alle gefahren. Was eine Frachteinem Pick-up. Vorne gleich. Heinrich Kramer (63) profähre von einer normalen Passagierräume und duziert Passagierfähre unterscheidet? in Pärnu in Estland Mo- Der Deutsche Heinrich Kramer dahinter Ladefläche toryachten und GFK-Teile. Er fährt regelmäßig nach Estland. Einar Kruve lacht. „Nicht viel“, erklärt er, „außer den Passagesei nicht nur ein „Beinahe-Einkosten.“ Das Showprogramm lange genug“, erklärt Heinrich Mann-Unternehmer“, sondern ähnlich lang. Die Aufbauten anderer Fähren vermisst er Kramer. Das beste Fährschiff einer Frachtfähre sind hin- auch sein eigener Fahrer. Er aller Zeiten sei seiner Meinung nicht. „Hier sind wir Fahrer gegen deutlich kürzer. In ge- fährt häufig von Estland zurück in seine Heimat Deutschland, nach die „Finnjet“ gewesen. unter uns.“ Der Zahlmeister wisser Weise kann man den auf dem Schiff bemühe sich optischen Unterschied zwi- um die Ware seinen Kunden zu „Schneller und komfortabler war kein anderes Schiff“, traubringen. „Klar, auf dem Schiff darum, die Mehrbettkabinen schen einer Fracht- und einer Passagierfähre mit dem eines will man sich auch entspannen. ert Kramer dem Gasturbinenmit Fahrern von jeweils nur schiff nach. Doch aufgrund der einer Nationalität zu belegen. Pick-ups gegenüber einer Li- Hinter dem Lenkrad sitze ich Auf der „Star“ wollen alle Passagiere gleichzeitig an das Buffet. 76 Die Seeluft ist auf allen drei Schiffen gleichermaßen erfrischend. FERNFAHRER 2/2009 hohen Energiepreise wurde die „Finnjet“ zunehmend unrentabler. Im September 2008 ist die „Finnjet“ dann abgewrackt worden. Doch auch heute noch gibt es Innovationen im Fährgeschäft. Zurück nach Deutschland geht es zunächst mit der „MS Star“ der Fährgesellschaft Tallink Silja. Die „Star“ wurde im April 2007 in Dienst gestellt. Lediglich zwei Stunden benötigt das Passagierschiff für die 80 Kilometer von Tallinn nach Helsinki. Ob diese Schnellfähre auf Dauer wirtschaftlich ist, kann momentan noch niemand sagen. Die „Star“ ist ganz anders konzipiert als die „Urd“: Mit 212 Metern ist sie nur wenig länger als die „Urd“ – kann aber mit 2800 Passagieren 18 Mal mehr Personen mitnehmen. Eigentlich ist sie mehr ein schwimmender Wohnblock mit mehrstöckiger Tiefgarage als ein Schiff. Natürlich hat die „Star“ auch – anders als die „Urd“ – mehrere Restaurants. Nur: Anscheinend wollen alle 2800 Passagiere während Die „Superfast“ mit 728 Plätzen auf dem Weg von Helsinki nach Rostock. der zweistündigen Überfahrt plätzen passen aber dennoch gleichzeitig im Selbstbedie- deutlich mehr Menschen an nungsrestaurant essen – alles Bord der „Superfast“ als auf andere ist nämlich noch teurer. die „Urd“. Dafür herrscht beim Das Essen mag minimal bes- Essen nicht annähernd so ein ser sein als auf der „Urd“. Der Gedränge wie auf der „Star“. Stress, bis man sich per Ellen- Für die Fernfahrer ist im hinbogen im Selbstbedienungs- teren Bereich des Selbstbedierestaurant durchgekämpft hat, ist allerdings maximal höher. Die „Superfast VII“ Aufgrund der langen Wartezeit nach Rostock bietet auf das Essen bleibt dann auch kaum noch Zeit, die weiteren schöne ZweibettBereiche der „Star“ kennen zu kabinen und gutes lernen. Kuriosität am Rande: Essen Zu den freien Getränken beim Buffet gehört auch Bier. Angeblich fahre ein großer Teil der nungsrestaurants zusätzlich finnischen Passagiere nur des- ein eigener Raum eingerichtet. halb nach Estland, um dort Al- „Das kommt daher, weil man die Touris vor uns bewahren kohol zu kaufen. Offensichtlich will“, erklärt ein Fahrer grinwill man bereits während der Überfahrt auf die Interessen send. Insgesamt sei er aber dieser Kunden optimal einge- mit dieser Passage sehr zuhen und schenkt so bereit willig frieden: „Die ,Superfast VII‘ ist Bier aus. Manch einer nutzt ein recht schönes Schiff mit diese Flatrate gnadenlos aus. gutem Essen und netten ZweiWohl dem, der ohne Fahrzeug bettkabinen für uns Fahrer.“ Er möchte aber weder namentunterwegs ist, denn in Estland lich genannt noch fotografiert gilt 0,0 Promille! Nach kurzer Pause im Ha- werden, denn er erzählt noch fen von Helsinki wird die See- wesentlich mehr über seine fahrt wieder entspannter. Eine Schiffserfahrungen: „Nach 27-stündige Seereise zurück Skandinavien sind auch die bis Rostock steht bevor. Als Frachtfähren gut“, räumt er Beförderungsmittel steht die ein, aber: „Auf der Strecke Kiel– „Superfast VII“ zur Verfügung, Klaipeda verkehren Frachtfähebenfalls ein Passagierschiff, ren, auf denen das Essen undas zur estnischen Fährgesell- genießbar ist. Und uns Fahrer schaft Tallink Silja gehört. Die steckt man da immer in Vier„Superfast VII“ ist beinahe so bettkabinen. Also, wenn du mal eine Nacht zusammen mit drei lang wie die „Star“, aber mit weit größeren Autodecks und besoffenen Russen verbracht dementsprechend weniger hast, dann fährst du nur noch ◼ Kabinen. Mit 728 Passagier- Passagierfähre!“ Das Selbstbedienungsrestaurant der „Superfast VII“. FERNFAHRER 2/2009 77