1a AsylbLG Anspruchseinschränkung

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1a AsylbLG Anspruchseinschränkung
§ 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015
§ 1a
jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann
AsylbLG Anspruchseinschränkung
(Fassung vom 20.10.2015, gültig ab 24.10.2015)
(1) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 4 und 5 und Leistungsberechtigte nach § 1
Absatz 1 Nummer 6, soweit es sich um Familienangehörige der in § 1 Absatz 1 Nummer 4 und 5
genannten Personen handelt, die sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben haben,
um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen, erhalten Leistungen nach diesem Gesetz nur,
soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist.
1
(2) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 5, für die ein Ausreisetermin und eine Ausreisemöglichkeit feststehen, haben ab dem auf den Ausreisetermin folgenden Tag keinen Anspruch
auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6, es sei denn, die Ausreise konnte aus Gründen, die sie
2
nicht zu vertreten haben, nicht durchgeführt werden. Ihnen werden bis zu ihrer Ausreise oder der
Durchführung ihrer Abschiebung nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung
3
und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt. Nur soweit
im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, können ihnen auch andere Leistungen im Sinne von
4
§ 3 Absatz 1 Satz 1 gewährt werden. Die Leistungen sollen als Sachleistungen erbracht werden.
1
(3) Absatz 2 gilt entsprechend für Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 4 und 5, bei
denen aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht
2
vollzogen werden können. Für sie endet der Anspruch auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6
mit dem auf die Vollziehbarkeit einer Abschiebungsandrohung oder Vollziehbarkeit einer Abschie3
bungsanordnung folgenden Tag. Für Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 6, soweit
es sich um Familienangehörige der in Satz 1 genannten Personen handelt, gilt Absatz 1 entsprechend.
(4) Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 oder 5, für die in Abweichung von der Regelzuständigkeit nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem
Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013,
S. 31) nach einer Verteilung durch die Europäische Union ein anderer Mitgliedstaat oder ein am
Verteilmechanismus teilnehmender Drittstaat, der die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 anwendet,
zuständig ist, erhalten ebenfalls nur Leistungen nach Absatz 2.
Dokument wurde zuletzt aktualisiert am: 16.03.2016
Gliederung
A. Basisinformationen
Rn. 1
I. Textgeschichte/Gesetzgebungsmaterialien
Rn. 1
II. Vorgängervorschriften
Rn. 5
III. Parallelvorschriften
Rn. 6
IV. Systematische Zusammenhänge
Rn. 7
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jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann
V. Ausgewählte Literaturhinweise
Rn. 10
B. Auslegung der Norm
Rn. 11
I. Regelungsgehalt und Bedeutung der Norm
Rn. 11
II. Normzweck
Rn. 12
III. Tatbestandsmerkmale
Rn. 13
1. Persönlicher Anwendungsbereich
Rn. 13
a. Leistungsberechtigte im Besitz einer Aufenthaltsgestattung (§ 1 Abs. Nr. 1
Rn. 14
AsylbLG)
b. Leistungsberechtigte im Besitz einer Duldung (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG)
Rn. 15
c. Vollziehbar ausreisepflichtige Leistungsberechtigte (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG)
Rn. 17
d. Familienangehörige (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG)
Rn. 19
2. Vom persönlichen Anwendungsbereich ausgenommen
Rn. 20
a. Enumerative Aufzählung
Rn. 20
b. Analog-Berechtigte
Rn. 21
c. Arbeitsuchende Ausländer
Rn. 22
3. Die Sanktionstatbestände
Rn. 24
a. Verschiedene Tatbestände
Rn. 24
b. Kein Ermessen
Rn. 26
4. Einreise, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen (Absatz 1)
Rn. 27
a. Motive der Einreise
Rn. 28
b. Aufklärungspflicht der Behörde
Rn. 40
c. Darlegungs- und Beweislast
Rn. 42
d. Keine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast
Rn. 43
e. Minderjährige Kinder und Familienangehörige
Rn. 44
5. Zu vertretende Unmöglichkeit des Vollzugs aufenthaltsbeendender Maßnahmen
Rn. 46
(Absatz 2)
a. Vollziehbar Ausreisepflichtige
Rn. 47
b. Familienangehörige
Rn. 48
c. Feststehender Ausreisetermin und -möglichkeit
Rn. 49
d. Nicht zu vertretendes Ausreisehindernis
Rn. 50
6. Kein Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen (Absatz 3)
Rn. 52
a. Beginn der Leistungseinschränkung
Rn. 53
b. Geduldete und vollziehbar Ausreisepflichtige
Rn. 54
c. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen
Rn. 56
d. Keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen
Rn. 60
e. Nichtvollziehbarkeit der Maßnahmen
Rn. 62
f. Gründe der Nichtvollziehbarkeit
Rn. 63
g. Selbst zu vertretende Gründe
Rn. 64
h. Konkrete Monokausalität
Rn. 68
i. Kongruenz von Fehlverhalten und Anspruchseinschränkung
Rn. 69
j. Umfassende Einzelfallprüfung
Rn. 70
k. Konkrete Beispiele
Rn. 71
l. Minderjährige Kinder und Familienangehörige
Rn. 87
m. Darlegungs- und Beweislast
Rn. 90
7. Relokationsbeschlüsse und Verteilmechanismus in der EU (Absatz 4)
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Rn. 91
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a. Personenkreis
Rn. 92
b. Abweichung von der Dublin III-VO
Rn. 93
c. Umsiedelungen
Rn. 94
d. Regelzuständigkeit nach der Dublin III-VO
Rn. 96
e. Fehlverhalten
Rn. 97
IV. Rechtsfolgen, insbesondere zu Absatz 1
Rn. 98
1. Unterschiedliche Rechtsfolgen
Rn. 98
2. Kein Ermessen
Rn. 99
3. Das unabweisbar Gebotene
Rn. 100
4. Kein Anspruchsausschluss
Rn. 101
5. Umstände des konkreten Einzelfalls
Rn. 102
6. Grenzen der Anspruchseinschränkung
Rn. 104
a. Verfassungsrechtlich garantiertes Existenzminimum
Rn. 104
b. Zur Ausstrahlungswirkung von BVerfG vom 18.07.2012
Rn. 106
c. Spielraum für Bedarfskürzungen nach dem zum 01.03.2015 in Kraft getretenen
Rn. 124
AsylbLG
d. (Keine) Möglichkeiten der Leistungseinschränkung
Rn. 126
e. Bargeldbedarf nach § 3 Abs. 1 Sätze 4, 5 a.F. bzw. Abs. 1 Sätze 5, 8 AsylbLG
Rn. 136
f. Leistungen des sog. Bildungspakets
Rn. 141
g. Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt (§ 4 AsylbLG)
Rn. 142
h. Sonstige Leistungen (§ 6 AsylbLG)
Rn. 145
i. Dauer der Leistungseinschränkung
Rn. 148
V. Rechtsfolge des reduzierten physischen Existenzminimums nach den Absätzen
Rn. 149
2 bis 4
1. Neues Rechtsfolgenkonzept
Rn. 149
2. Kein Anspruch mehr
Rn. 150
3. Leistungsabsenkung auf das reduzierte physische Existenzminimum
Rn. 151
4. Besondere Umstände
Rn. 152
5. Sachleistungen
Rn. 153
6. Stellungnahme
Rn. 154
a. Verwaltungsverfahren
Rn. 157
VI. Rechtstatsachen
Rn. 158
C. Praxishinweise
Rn. 159
I. Gerichtlicher Rechtsschutz
Rn. 159
II. Vorläufiger Rechtsschutz
Rn. 160
III. Beiladung
Rn. 166
D. Reformbestrebungen
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Rn. 167
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A. Basisinformationen
I. Textgeschichte/Gesetzgebungsmaterialien
1
1 Das AsylbLG trat am 01.11.1993 in Kraft. Das Gesetz entstand im Rahmen der Verhandlungen
2
zum sog. Asylkompromiss, wonach ein Gesetz zur Regelung des Mindestunterhalts für Asylsuchende geschaffen werden sollte (vgl. die Kommentierung zu § 2 AsylbLG Rn. 1 ff. m.w.N.).
2 Die Vorschrift des § 1a AsylbLG trat am 01.09.1998 als Kernstück des Zweiten Änderungsgeset3
zes zum AsylbLG neu in Kraft. Sie war seinerzeit eine Reaktion auf die tatsächliche Entwicklung
des vermehrten Zustroms von Ausländern in die Bundesrepublik mit Hilfe von Schleusern, ohne
dass die Eingereisten Asylanträge stellten. Gleichwohl hatten diese Personen Ansprüche auf
Leistungen nach dem AsylbLG. Oftmals machten die eingereisten Ausländer aus der Intention
ihrer Zuwanderung in die Sozialleistungssysteme kein Hehl. Seinerzeit bestand keine rechtliche
Möglichkeit für Leistungseinschränkungen bei gezielter Zuwanderung in die Sozialleistungssysteme.
Die Gesetzesinitiative zu § 1a AsylbLG geht auf das Land Berlin zurück, wo sich die aufgezeigte
Entwicklung seit etwa 1997 eingestellt hatte. In den Ausschussberatungen sind wesentliche Änderungen der Länder aufgenommen worden.
4
5
3 Die zum 01.03.2015 in Kraft getretene Fassung von § 1a AsylbLG geht auf den von der Bundesregierung vorgelegten „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsge6
setzes und des Sozialgerichtsgesetzes“ zurück. Obwohl das BVerfG die Vorgängernorm von
§ 1a AsylbLG nicht beanstandet hat, steht die Änderung im Zusammenhang mit der mehr als
7
zwei Jahre zuvor ergangenen Entscheidung des BVerfG. Die Gesetzesmaterialien gehen davon
aus, dass das BVerfG in dieser Entscheidung die bedarfsgerechte Verwirklichung des individuellen
Leistungsanspruchs nach dem AsylbLG in den Mittelpunkt gestellt hat. Demnach hat die bis zum
28.02.2015 gültige Fassung von § 1a AsylbLG dem vom BVerfG hervorgehobenen Grundsatz
der individuellen Anspruchsberechtigung nicht hinreichend Rechnung getragen. Im Ergebnis
wurde deshalb die akzessorische Anspruchseinschränkung bei Familienangehörigen im
8
Rahmen des § 1a AsylbLG aufgegeben. Im Gesetzgebungsverfahren hatte der Bundesrat weitere
gesetzliche Konkretisierungen zur Anspruchseinschränkung angemahnt, wie die Höhe und die
9
Dauer der Leistungskürzungen, die aber in der Neuregelung nicht aufgenommen worden sind.
4 Zur Bewältigung der Flüchtlingswelle in Deutschland ist am 24.10.2015 das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20.10.2015 in Kraft getreten.
10
Anders als der Titel des Gesetzes
vermuten lässt, geht es nicht nur um Korrekturen des Asylverfahrensgesetzes, das zugleich in
1
BGBl I 1993, 1074.
2
Vgl. Haberland, ZAR 1994, 3 ff., 51 ff.
3
BGBl I 1998, 2505.
4
Vgl. BR-Drs. 691/1/97; BT-Drs. 13/10155; BT-Drs. 13/11172.
5
Vgl. Art 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10.12.2014, BGBl I
2014, 2187.
6
Vgl. BT-Drs. 18/2592 vom 22.09.2014; vgl. auch BR-Drs. 392/14 vom 29.08.2014; Beschlussempfehlung BT-Drs. 18/3073 vom 05.11.2014.
7
BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 = ZFSH/SGB 2012,
450.
8
Vgl. BT-Drs. 18/2592 vom 22.09.2014, S. 14, 18.
9
Vgl. Empfehlungen der Ausschüsse, BR-Drs. 392/1/14 vom 29.09.2014, S. 14 f .;vgl. auch Stellungnahme des Bundesrates, BRDrs. 392/14 (Beschluss) vom 10.10.2014, S. 5.
10
AsylVfBeschlG, BGBl I 2015, 1722.
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„Asylgesetz“ umbenannt wurde. Vielmehr handelt es sich um ein erstes Gesetzespaket (sog.
Asylpaket I), das umfangreiche Änderungen materieller Vorschriften enthält, die viele Bereiche
des öffentlichen Lebens betreffen. Als ein wesentlicher Bestandteil des neuen Gesetzespakets
wurde neben dem Asyl- und Ausländerrecht auch das Sozialrecht für Flüchtlinge bzw. Asylbewerber
verschärft; Regelungen in der Gesundheitsversorgung im SGB V und in der Arbeitsförderung im
SGB III wurden angepasst. Der reduzierte Anspruch von Leistungen nach § 1a AsylbLG ist zu einem
tragenden Steuerungsinstrument im Asylpaket I geworden, das sozialmotivierten Fehlanreizen
entgegenwirken soll. Gesetzestechnisch wurde dies durch neue Möglichkeiten der Anspruchseinschränkung und durch die Stärkung des Sachleistungsprinzips umgesetzt.
II. Vorgängervorschriften
5 § 120 Abs. 3 Satz 1 BSHG ist die Vorgängervorschrift zu § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 1
AsylbLG, die den Missbrauchstatbestand nahezu wortgleich übernommen hat.
III. Parallelvorschriften
6 Die zum 01.01.2005 an die Stelle von § 120 Abs. 3 Satz 1 BSHG getretene und mit Wirkung vom
11
07.12.2006 geänderte Vorschrift des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII enthält in ihrem Halbsatz 1 für
Ausländer und ihre Familienangehörigen die zu § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. allgemeine Vorschrift.
Für Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 AsylbLG ist § 1a Abs. 1 bzw. § 1a Nr. 1 a.F. AsylbLG
die spezielle Vorschrift. Ein Sanktionskonzept bei Pflichtverstößen im Bereich der Grundsicherung
für Arbeitsuchende enthält §§ 31 ff. SGB II. Die pauschale Übertragung des Sanktionskonzepts
des SGB II auf Leistungsabsenkungen nach § 1a AsylbLG ist nicht möglich.
IV. Systematische Zusammenhänge
7 Systematische Zusammenhänge bestehen zu dem rechtsvernichtenden Einwand der Rechtsmissbräuchlichkeit i.S.v. § 2 Abs. 1 letzter HS. AsylbLG. Auch dort ist ein Missbrauchstatbestand formuliert, der Bezüge zu § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 2 und Abs. 3 AsylbLG aufweist,
ohne allerdings deckungsgleich zu sein. Hingegen enthält der Missbrauchstatbestand des § 1a
Nr. 1 AsylbLG a.F. bzw. § 1 Abs. 1 AsylbLG kein Pendant in § 2 Abs. 1 AsylbLG.
12
8 § 11 Abs. 2 a AsylbLG sieht eine Anspruchseinschränkung – entsprechend § 1a Abs. 2 Sätze 2
bis 4 AsylbLG – in der frühen Phase des Aufenthalts bis zur vollständigen Registrierung, zur Aufnahme in der zuständigen Aufnahmeeinrichtung und zur Ausstellung des Auskunftsnachweises
für Asylsuchende, Zweit- und Folgeantragsteller und über einen sicheren Drittstaat eingereiste
Leistungsberechtigte vor.
9 Die Abgrenzung der Missbrauchstatbestände in § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 2 und
Abs. 3 AsylbLG zu § 2 Abs. 1 AsylbLG ist rechtsdogmatisch schwierig und insb. in den Sanktionen
auch höchstrichterlich nicht vollends geklärt. Der wichtigste Unterschied ist, dass die Verwirklichung
der Rechtsmissbräuchlichkeit in § 2 Abs. 1 AsylbLG eine dauerhafte Sanktion (Leistungsabsenkung auf Grundleistungen gem. § 3 AsylbLG) zur Folge haben soll, insb. auch dann, wenn der
Ausländer das sanktionierte Verhalten abgestellt oder korrigiert hat (sog. abstrakte Kausalität, vgl.
11
Vgl. das Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 02.12.2006, BGBl I 2006, 2670.
12
I.d.F. von Art. 3 Nr. 2 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (sog. Asylpaket II), BGBl I 2016, 390, 392, vgl. BTDrs. 18/7538 vom 16.02.2016, S. 24 f.; BT-Drs. 18/7645 vom 23.02.2016, S. 3.
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jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann
die Kommentierung zu § 2 AsylbLG Rn. 93). Die Rechtsfolge wirkt also ungleich schwerer als die
nach § 1a AsylbLG, denn im Unterschied zu § 2 AsylbLG darf die Sanktion der Anspruchskürzung
gem. § 1a AsylbLG nur solange andauern, wie das rechtsmissbräuchliche Verhalten anhält (sog.
konkrete Kausalität). Bei rechtskonformem Verhalten besteht also wieder der Anspruch auf
Grundleistungen gem. § 3 AsylbLG. Die Anspruchskürzung gem. § 1a AsylbLG liegt damit regelmäßig unterhalb des Leistungsniveaus von Grundleistungen gem. § 3 AsylbLG. Die Anspruchseinschränkung gem. § 1a AsylbLG setzt im subjektiven Bereich lediglich ein Vertretenmüssen des
Ausländers voraus, also insb. kein persönliches Verschulden. Anders hingegen § 2 Abs. 1 AsylbLG,
der einen sog. doppelten Vorsatz zur Verwirklichung des objektiven Missbrauchstatbestandes
voraussetzt; ein persönliches, unentschuldbares Verhalten (vgl. die Kommentierung zu § 2 AsylbLG
Rn. 102 ff.).
V. Ausgewählte Literaturhinweise
10 Baer, Wie viel Vielfalt garantiert/erträgt der Rechtsstaat?, Recht und Politik 2013, 96; Berlit,
Sanktionen im SGB II – nur problematisch oder verfassungswidrig?, info also 2013, 195; Deibel,
Leistungsausschluss und Leistungseinschränkung im Asylbewerberleistungsrecht, ZfSH/SGB 1998,
707; ders., Leistungseinschränkungen im Asylbewerberleistungsrecht, ZFSH/SGB 2013, 241;
ders., Die Menschenwürde im Asylbewerberleistungsrecht – Anmerkungen zum Urteil des BVerfG
vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - ZFSH/SGB 2012, 450; ders., Asylbewerberleistungsrecht aktuell – Zwischen Bundesverfassungsgericht und gesetzlicher Neuregelung, Sozialrecht
aktuell 2013, 103; ders., Das Asylbewerberleistungsgesetz auf dem Prüfstand – Anmerkungen
zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, ZFSH/SGB 2015, 475;
ders., Das neue Asylbewerberleistungsgesetz, ZFSH/SGB 2015, 117; Eichenhofer, Menschenwürde
durch den Sozialstaat – für alle Menschen, SGb 2012, 565; Hohm, Zweites Gesetz zur Änderung
des Asylbewerberleistungsgesetzes, NVwZ 1998, 1045; Horrer, Das Asylbewerberleistungsgesetz,
die Verfassung und das Existenzminimum, Berlin 2001; Judith/Brehme, Plädoyer für die Abschaffung
des Asylbewerberleistungsgesetzes – Verfassungsrechtliche Gründe und Vorschläge zur Umsetzung, KJ 2014, 330; Janda, Quo vadis, AsylbLG? Möglichkeiten der Neugestaltung der existenzsichernden Leistungen für Personen mit vorübergehendem Aufenthalt nach dem Urteil des BVerfG,
ZAR 2013, 175; Kempny/Krüger, Menschenwürde jenseits des Abwehrrechts, SGb 2013, 384;
Mangold/Pattar, Ausschluss von Leistungen für arbeitsuchende Ausländer: Notwendigkeit einer
europa-, völker- und grundrechtskonformen Auslegung des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II, VSSR 2008,
243; Müller-Serten, Einsparpotentiale bei den sozialen Leistungen für Asylbewerber? Eine Analyse
des deutschen Asylbewerberleistungsgesetzes, InfAuslR 2007, 167; Neskovic, Sanktionen im
SGB II – nur problematisch oder verfassungswidrig? – Thesen zu einem Streitgespräch, info also 2013, 205; Neskovic/Erdem, Zur Verfassungswidrigkeit von Sanktionen bei Hartz IV, SGb 2012,
134; Öndül, Verfassungswidrigkeit des Asylbewerberleistungsgesetzes und Rechtsfolgen bis zur
Neuregelung durch den Gesetzgeber, jurisPR-SozR 17/2012, Anm. 1; Petersen, Das unabweisbar
Gebotene im Sinne des § 1a AsylbLG – neu justiert, ZFSH SGB 2014, 669; von Pollern, Die Entwicklung der Asylbewerberzahlen in den Jahren 2007 und 2008, ZAR 2009, 93; Stellungnahme
der Geschäftsstelle des Deutschen Vereins zum Referentenentwurf eines Dritten Gesetzes zur
Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, NDV 2013, 97; Rixen, Zwischen Hilfe, Abschreckung
und Pragmatismus: Gesundheitsrecht der Flüchtlingskrise – Zu den Änderungen des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20.10.2015, NVwZ 2015, 1640; Riecken, Die Duldung als
Verfassungsproblem, Berlin 2006; Rothkegel, Das Bundesverfassungsgericht als Ersatzgesetzgeber
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§ 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015
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– die Übergangsregelungen des Hartz-IV- und des AsylbLG-Urteils, ZFSH/SGB 2012, 519; ders.,
Das Gericht wird‘s richten – das AsylbLG-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und seine Ausstrahlungswirkungen, ZAR 2012, 357; Tiedemann, Anmerkung zu BVerfG v. 18.07.2012 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - NVwZ 2012, 1031; Thym, Schnellere und strengere Asylverfahren,
NVwZ 2015, 1626; Wahrendorf, Leistungseinschränkungen nach dem AsylbLG, Anmerkung zu
LSG München 8. Senat, Beschluss vom 24.01.2013, L 8 AY 2/12 B ER, jurisPR-SozR 15/2013,
Anm. 2; Wenner, Bundesverfassungsgericht hält Sätze nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
für zu niedrig, SozSich 2012, 277.
B. Auslegung der Norm
I. Regelungsgehalt und Bedeutung der Norm
11 Die Vorschrift ermöglicht die Anspruchseinschränkung von Leistungen des AsylbLG auf das im
Einzelfall nach den Umständen unabweisbar Gebotene. Die Norm enthält keine Anspruchskürzung,
sondern vielmehr eine Anspruchseinschränkung; eine sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebende
Möglichkeit zur Einschränkung des Leistungsanspruchs. Hierzu berechtigten vormals zwei
voneinander unabhängige Konstellationen: im Fall der Zuwanderung zum Zweck der Inanspruchnahme von Sozialleistungen (§ 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. = § 1a Abs. 1 AsylbLG) und im Fall der
rechtsmissbräuchlich vereitelten Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet (§ 1a Nr. 2 AsylbLG
a.F. = § 1a Abs. 3 AsylbLG). Die seit 24.10.2015 gültige Fassung hat die Sanktionstatbestände
erweitert auf die versäumte Ausreisemöglichkeit (§ 1a Abs. 2 AsylbLG) und auf den Personenkreis
der von den Verteilbeschlüssen der EU betroffenen Personen (sog. relocated people, § 1a Abs. 4
AsylbLG).
II. Normzweck
12 Die Norm bezweckt unterschiedliche Zielsetzungen, die insb. aus den zitierten Gesetzesmaterialien (vgl. Rn. 1) herauszulesen sind. Zum einen sollen die nach dem AsylbLG berechtigten
Leistungsempfänger nicht bessergestellt werden im Vergleich zu deutschen Sozialhilfeempfängern und auch nicht im Vergleich zu Ausländern mit legalem Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik. Die Vorschrift hat den Charakter einer leistungsrechtlichen Sanktionsnorm. Zum anderen soll
sie die rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme von Leistungen nach dem AsylbLG verhindern.
Mit den Änderungen durch das Asylpaket I zum 24.10.2015 kehrt der Gesetzgeber wieder zur
engen Verknüpfung des Leistungs- mit dem Ausländerrecht zurück, weil er die deutliche Verschärfung und Verfahrensbeschleunigung im Asyl- und Ausländerrecht leistungsrechtlich fortsetzt.
Hierbei konzentriert er sich auf spürbare befristete Leistungseinschränkungen für vollziehbar
Ausreisepflichtige, die vereinfacht und schnell in ihr Heimatland zurückgeführt werden sollen;
während für solche Ausländer, die eine gute Bleibeperspektive haben, die soziale Integration ge13
setzlich verbessert werden soll.
13
Vgl. BT-Drs. 18/6185, A. I. S. 25.
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III. Tatbestandsmerkmale
1. Persönlicher Anwendungsbereich
13 Die Vorschrift erfasst nicht alle Leistungsberechtigten im Sinne von § 1 Abs. 1 AsylbLG, sondern
hiervon lediglich vier Gruppen der Leistungsberechtigten. Hierbei handelt es sich um Ausländer,
die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die im Besitz einer Aufenthaltsgestattung nach
§ 55 AsylG sind (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG), die im Besitz einer Duldung gem. § 60a AufenthG
sind (§ 1 Abs. Nr. 4 AsylbLG); Ausländer, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine
Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist (§ 1 Nr. 5 AsylbLG); Ehegatten,
Lebenspartner oder minderjährige Kinder der in § 1 Nr. 1-5 AsylbLG genannten Personen, ohne
dass sie selbst die dort genannten Voraussetzungen erfüllen (§ 1 Nr. 6 AsylbLG). Die Neuregelung
von § 1a AsylbLG in der ab 24.10.2015 gültigen Fassung hat den persönlichen Anwendungsbereich
der Norm um den Kreis der Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG erweitert.
a. Leistungsberechtigte im Besitz einer Aufenthaltsgestattung (§ 1 Abs. Nr. 1 AsylbLG)
14 Zur Durchführung eines Asylverfahrens ist dem Ausländer der Aufenthalt in Deutschland gem.
§ 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG gestattet. Über die Aufenthaltsgestattung erhält er gem. § 63 Abs. 1
AsylG eine Bescheinigung. Während des laufenden Asylverfahrens ist er leistungsberechtigt nach
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG.
b. Leistungsberechtigte im Besitz einer Duldung (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG)
15 Die Möglichkeit zur Anspruchseinschränkung besteht für den Personenkreis der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer, die im Besitz einer Duldung gem. § 60a AufenthG (vormals § 55
AuslG) sind. Im Einzelnen wird hierzu auf die Kommentierung zu § 1 AsylbLG Rn. 124 verwiesen.
16 Der aufenthaltsrechtliche Status (§ 60a AufenthG) muss korrespondieren mit dem Leistungszeitraum, für die die Anspruchseinschränkung verfügt wird. Fällt der Leistungsberechtigte durch eine
Änderung des Aufenthaltsstatus aus dem Anwendungsbereich von § 1a AsylbLG, so ist eine Anspruchseinschränkung für diesen Zeitraum nicht mehr möglich. Aus welchen Gründen die Duldung
erteilt wurde, ist unerheblich; die Duldung muss aber wirksam erteilt sein und der Berechtigte
14
muss auch im Besitz der Duldungsbescheinigung sein.
c. Vollziehbar ausreisepflichtige Leistungsberechtigte (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG)
17 Die Möglichkeit zur Anspruchseinschränkung besteht für den Personenkreis, der sich vollziehbar
ausreisepflichtig in der Bundesrepublik aufhält, und zwar auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist. Wann diese Voraussetzungen vorliegen, beurteilt
sich nach den Vorschriften des AufenthG i.V.m. den Vorschriften des AsylG.
18 Ausreisepflichtig sind nach § 50 Abs. 1 AufenthG Ausländer, die einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzen und sich nicht oder nicht mehr auf ein Aufenthaltsrecht
nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei berufen können. Ein rechtmäßiger Aufenthalt in
Deutschland endet mit Erlöschen des Aufenthaltstitels unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1
AufenthG, insbesondere mit Ablauf der Geltungsdauer (Nr. 1), Eintritt einer auflösenden Bedingung
(Nr. 2), der Rücknahme oder dem Widerruf des Titels (Nr. 3 und 4) oder mit Ausweisung des
Ausländers (Nr. 5). Vollziehbar ist die Ausreisepflicht unter den Voraussetzungen des § 58 Abs. 2
AufenthG, z.B. bei unerlaubter Einreise (Satz 1), sowie mit vollziehbarer Entscheidung nach § 50
Abs. 1 AufenthG, mit der die Ausreisepflicht des Ausländers einhergeht (Satz 2). Die Vollziehbarkeit
14
Vgl. zur rechtlichen Qualität der Duldung insb. BVerwG v. 03.06.1987 - 1 B 58/87 - juris.
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einer Abschiebungsandrohung gem. § 59 AufenthG ist nicht erforderlich. Von § 1 Abs. 1 Nr. 5
AsylbLG können Ausländer erfasst sein, die keinen Asylantrag gestellt, ihren Asylantrag zurückgenommen haben oder die nach Ablehnung ihres Asylantrags noch nicht ausgereist oder abgeschoben worden sind. Personen in Abschiebehaft und illegal in Deutschland lebende Ausländer
zählen auch zu diesem Personenkreis
d. Familienangehörige (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG)
19 Die Möglichkeit zur Anspruchseinschränkung besteht auch für den Personenkreis der Familienangehörigen nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG. Hierbei handelt es sich um die Familienangehörigen
der Leistungsberechtigten i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 AsylbLG. Als Familienangehörige gem.
§ 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG unterfallen dem Wortlaut der Norm nach: Ehegatten, Lebenspartner oder
minderjährige Kinder und zwar, ohne dass sie selbst die in § 1 AsylbLG genannten Voraussetzungen
erfüllen müssen. Nach der zum 01.03.2015 in Kraft getretenen Fassung von § 1a AsylbLG (vgl.
Rn. 3) müssen die Familienangehörigen aber die Voraussetzungen des anspruchseinschränkenden
Verhaltens i.S.v. § 1a Nr. 1 und Nr. 2 AsylbLG a.F. „selbst“, d.h. in eigener Person, erfüllen (vgl.
dazu Rn. 44 f., Rn. 87 ff.). Die Familienangehörigen können auch Adressaten eigenständiger
Leistungsansprüche sein. Dann müssen sie die Voraussetzungen von § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5
AsylbLG in eigener Person erfüllen. Im Einzelnen wird hierzu auf die Kommentierung zu § 1
AsylbLG verwiesen.
2. Vom persönlichen Anwendungsbereich ausgenommen
a. Enumerative Aufzählung
20 Aus der enumerativen Aufzählung des Personenkreises, für den § 1a AsylbLG Anwendung findet,
folgt im Umkehrschluss, dass diese Norm keine Anwendung findet auf die übrigen in § 1 AsylbLG
genannten Leistungsberechtigten. Dies sind folgende Gruppen: die sich im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländer, die über einen Flughaffen einreisen wollen und denen die Einreise nicht oder
noch nicht gestattet ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylbLG); die wegen des Krieges in ihrem Heimatland
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 oder § 24 AufenthG oder die eine Aufenthaltserlaubnis
nach § 25 Abs. 4 Satz 1 bzw. nach § 25 Abs. 5 AufenthG besitzen, sofern die Entscheidung über
die Aussetzung der Abschiebung noch nicht 18 Monate zurückliegt (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG);
die einen Folgeantrag nach § 71 AsylG oder einen Zweitantrag nach § 71a AsylG stellen (§ 1
Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG). Bei Asylfolgeantragstellern, die unter den Anwendungsbereich des § 1
Abs. 1 Nr. 7 AsylbLG fallen, kommt ab dem Zeitpunkt der Antragstellung eine Leistungseinschrän15
kung nach § 1a AsylbLG nicht in Betracht . Dies gilt selbst dann, wenn einem Asylfolgeantragsteller
von der Ausländerbehörde während des beim BAMF anhängigen Asylfolgeverfahrens Duldungen
16
17
erteilt bzw. fortlaufend verlängert werden. Die zum 01.03.2015 durch das Gesetz vom 10.12.2014
erfolgten Änderungen von § 1a AsylbLG haben keine Auswirkungen auf den persönlichen Anwendungsbereich dieser Norm, weil die in § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG genannte Personengruppe auch
nach der Vorgängerregelung von § 1a AsylbLG nicht von der Anspruchseinschränkung erfasst
war. Die Inhaber eines humanitären Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG sind seit
01.03.2015 aus dem personalen Anwendungsbereich des AsylbLG herausgenommen worden,
sofern bei dieser Personengruppe die Entscheidung über die Aussetzung ihrer Abschiebung
15
Vgl. LSG Baden-Württemberg v. 04.02.2014 - L 7 AY 288/14 ER-B - juris Rn. 8.
16
Vgl. SG Hildesheim v. 27.12.2012 - S 42 AY 9/12 ER - juris.
17
Vgl. Art 1 Nr.1 des Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10.12.2014,
BGBl I 2014, 2187.
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18 Monate zurückliegt. Die Inhaber eines Titels nach § 25 Abs. 4a und 4b AufenthG sind seit
diesem Zeitpunkt vollständig aus dem AsylbLG herausgenommen worden; hierbei handelt es sich
um Personen, die Opfer bestimmter Straftaten geworden sind und deren Aufenthalt der Durchführung von Strafverfahren dient. Diese Personengruppen erhalten seit 01.03.2015 Leistungen nach
18
dem SGB II oder dem SGB XII.
b. Analog-Berechtigte
21 Ausgenommen vom persönlichen Anwendungsbereich des § 1a AsylbLG sind auch die sog.
Analog-Leistungsberechtigten gem. § 2 Abs. 1 AsylbLG, die in entsprechender Anwendung
Leistungen nach dem SGB XII beziehen. In den Genuss von Analog-Leistungen kommen Leistungsberechtigte nur, wenn ihnen u.a. nicht der Vorwurf des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens
zu machen ist. § 1a AsylbLG enthält Missbrauchstatbestände, sodass bereits deshalb AnalogBerechtigte nicht von § 1a AsylbLG erfasst sind. Im Übrigen sperrt § 2 Abs. 1 AsylbLG die Anwendbarkeit durch den Verweis auf die entsprechende Anwendung des SGB XII.
c. Arbeitsuchende Ausländer
22 § 1a AsylbLG ist auch nicht im Wege einer verfassungskonformen Auslegung auf arbeitsuchende
Ausländer analog anzuwenden, denen ein Aufenthaltsrecht, wie z.B. aus der Unionsbürgerschaft,
19
zusteht.
Ein verfassungsrechtliches Erfordernis (Art. 3 Abs. 1 GG) ergibt sich nicht etwa, weil
arbeitsuchende Ausländer von Leistungen des SGB II (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II) und
des SGB XII (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII) ausgeschlossen sind, während Leistungsberechtigten
nach dem AsylbLG zumindest noch unabweisbar gebotene Leistungen gem. § 1a AsylbLG zuste20
hen. Eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke ist nicht erkennbar. Denn das AsylbLG ist ein
eigenes, spezielles Leistungssystem zur Sicherung des Lebensbedarfs, das primär an den ungesicherten Aufenthaltsstatus anknüpft.
21
So hat das BVerwG die Verfassungsgemäßheit des
Ausschlusses der Leistungsberechtigten des AsylbLG vom Leistungssystem der Sozialhilfe
(vormals BSHG, jetzt SGB XII) mit dem unsicheren Aufenthaltsstatus (§ 1 Abs. 1 AsylbLG) und
dem fehlenden sozialen Integrationsbedarf der Leistungsberechtigten als ein sachgerechtes,
gruppenbezogenes Differenzierungskriterium begründet. Mit dieser Argumentation ist auch der
Ausschluss von Leistungsberechtigten nach der bis zum 28.02.2015 gültigen Fassung von
§ 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG
22
sind, vom Leistungssystem des SGB II (Hartz IV) für verfassungsgemäß erachtet worden. Für
diesen Personenkreis kommen seit der zum 01.03.2015 gültigen Gesetzeslage sowohl Leistungen
nach dem SGB II als auch nach dem SGB XII unter bestimmten Voraussetzungen in Frage. Sofern
sie dort ausdrücklich ausgeschlossen sind (§ 23 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 SGB XII), müsste ihnen
das lebensnotwendige Existenzminimum während des Aufenthalts im Bundesgebiet gewährt
werden. Dies hat das BVerfG in seiner neuen Rechtsprechung zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum aus Art. 1 Abs.1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG und zur Verfassungs-
18
Vgl. dazu BT-Drs. 18/2592, S. 18 und ausführlich dazu die Kommentierung zu § 1 AsylbLG Rn. 84.
19
So aber LSG Nordrhein-Westfalen v. 27.06.2007 - L 9 B 80/07 AS ER, L 9 B 81/07 AS ER - juris; so auch Mangold/Pattar, VSSR 2008,
243, 267.
20
Vgl. LSG Nordrhein- Westfalen v. 27.06.2007 - L 9 B 80/07 AS ER, L 9 B 81/07 AS ER - juris; Mangold/Pattar, VSSR 2008, 243, 266
ff.
21
Vgl. BVerfG v. 11.07.2006 - 1 BvR 293/05 - BVerfGE 116, 229, 232.
22
Vgl. BSG v. 13.11. 2008 - B 14 AS 24/07 R - juris Rn. 25, 31 - BSGE 102, 60-68 und BSG v. 16.12.2008 - B 4 AS 40/07 R - juris Rn. 25
- info also 2009, 133-134; zustimmend LSG Nordrhein-Westfalen v. 27.02.2012 - L 20 AY 48/08 - juris Rn. 61, das aber Zweifel an der
Unionskonformität äußert, Rn. 68, anhängig unter BSG, Az: B 7 AY 4/12 R.
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23
widrigkeit der abgesenkten Grundleistungen von § 3 AsylbLG deutlich herausgestellt
(vgl. zur
Problematik auch die Kommentierung zu § 23 SGB XII Rn. 69 ff.). In diesem Sinne hat das BSG
Ausländern, die europarechtskonform von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende
(SGB II) ausgeschlossen sind, Sozialhilfeleistungen im Ermessenswege nach § 23 Abs. 1 Satz 3
24
SGB XII bei einem in Deutschland verfestigten Aufenthalt von 6 Monaten zugesprochen.
23 Es bestehen keine europarechtlichen Bedenken gegen die fehlende Erforderlichkeit einer
analogen Anwendung von § 1a AsylbLG auf arbeitsuchende Ausländer. Der EuGH hat entschieden,
dass Art. 12 EG (jetzt Art. 18 AEUV) einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die die
Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten von Sozialhilfeleistungen ausschließt, die Drittstaatenangehörigen (z.B. Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG) gewährt werden. Denn Art. 12 EG (jetzt
Art. 18 AEUV) verbietet eine Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit; die Norm findet
aber keine Anwendung im Fall einer etwaigen Ungleichbehandlung zwischen Angehörigen der
25
Mitgliedstaaten und Drittstaatsangehörigen.
3. Die Sanktionstatbestände
a. Verschiedene Tatbestände
24 Die Anspruchseinschränkung nach § 1a Nrn. 1 und 2 AsylbLG in der bis zum 23.10.2015 gültigen
Fassung enthielt nur zwei Anwendungsfälle: die sozialleistungsmotivierte Einreise in das Bundesgebiet (Nr. 1 a.F.) und die selbst zu vertretende Unmöglichkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen
(Nr. 2 a.F.). Beide Alternativen führten zu nicht näher bestimmten Leistungsabsenkungen hinsichtlich
Umfang und Dauer, als Ausnahme vom Regelfall des Bezugs von Grund- bzw. Analogleistungen
nach §§ 2, 3 AsylbLG. Seit 24.10.2015 enthält § 1a AsylbLG (i.d.F. von Art. 2 Nr. 2 AsylVfBeschlG)
verschiedene Tatbestände für – auf 6 Monate befristete (vgl. § 14 AsylbLG) – Leistungseinschränkungen, die sich hinsichtlich des Personenkreises, des sanktionierten Pflichtverhaltens und der
Rechtsfolge unterscheiden. Im Ergebnis stellen sich ungelöste einfach- und verfassungsrechtliche
Fragen. Mit diesen Änderungen will der Gesetzgeber die deutliche Verschärfung und Beschleunigung im Asyl- und Ausländerrecht im Leistungsrecht nachvollziehen und konzentriert sich auf
spürbare Leistungseinschränkungen für vollziehbar Ausreisepflichtige, die vereinfacht und schnell
26
in ihr Heimatland zurückgeführt werden sollen.
25 § 1a Abs. 1-4 AsylbLG normiert unabhängig voneinander vorliegende Sanktionstatbestände, die
sich hinsichtlich des Personenkreises teilweise überschneiden, aber unterschiedliches Fehlverhalten
sanktionieren. Ausreisepflichtige Personen sind von jeder Variante in § 1a AsylbLG erfasst.
b. Kein Ermessen
26 Die Vorschrift gibt den Behörden kein Ermessen zur Anspruchseinschränkung bei Vorliegen des
sanktionierten Tatbestandes. Dem Wortlaut der Norm nach ergibt sich kein Anhaltspunkt für ein
Ermessen hinsichtlich des „Ob“ der Anspruchseinschränkung. Hierfür spricht der Wortlaut der
Norm „erhalten Leistungen nach diesem Gesetz nur“ bzw. „haben keinen Anspruch auf“. Die
Prüfung des Anspruchs beschränkt sich dann auf die Frage, welche Leistungen dem Ausländer
überhaupt noch und ggf. über welchen Zeitraum noch zustehen. Hinsichtlich der Entscheidung,
23
Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 =
ZFSH/SGB 2012, 450.
24
Vgl zu den Ansprüchen von Ausländern nach dem SGB II und dem SGB XII: BSG v. 03.12.2014 - B 4 AS 59/13 R und B 4 AS 44/15
R; zuvor EuGH v. 15.09.2015 - RS C-67/14 - Celex-Nr. 62014CA0067 - Alimanovic.
25
Vgl. EuGH v. 04.06.2009 - C-22/08, C-23/08 - juris Rn. 48 ff. - InfAuslR 209, 265 = DVBl 2009, 972.
26
Vgl BT- Drs 18/6185, A. I. S. 25.
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was im Einzelfall das unabweisbar Gebotene nach § 1a Abs.1 AsylbLG gebietet, muss die Behörde
eine Entscheidung treffen, die im vollen Umfang der gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Einer
vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt auch das neu definierte Leistungsminimum nach § 1a
Abs. 2-4 AsylbLG. Beim Begriff des unabweisbar Gebotenen handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Nicht überprüfbare Entscheidungsfreiräume der Behörde liegen hinsichtlich
der Rechtsfolgen in § 1a AsylbLG nicht vor.
4. Einreise, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen (Absatz 1)
27 Eine Anspruchseinschränkung kommt im Absatz 1 nur in Betracht, wenn der Leistungsberechtigte
zum Zwecke des Erlangens von Leistungen des AsylbLG in die Bundesrepublik eingereist ist. Der
bisherige § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. entspricht § 1a Abs. 1 AsylbLG (i.d.F. von Art. 2 Nr. 2 AsylVfBeschlG). Inhaltlich wurde die Vorschrift nicht geändert.
27
Es ist dabei unerheblich, zu welchem
Zeitpunkt die Ausländer in die Bundesrepublik eingereist sind, auch wenn sie bereits vor dem In28
krafttreten der zum 01.09.1998 eingefügten Vorschrift des § 1a AsylbLG eingereist sind.
Die
Anspruchseinschränkung durfte aber frühestens ab Inkrafttreten der Norm verhängt werden. Der
Entschluss, zum Zwecke des Bezugs von Sozialleistungen in die Bundesrepublik einzureisen,
muss bei der Einreise bestehen; sodass die Leistungsbehörde die Motivation retrospektiv auf
dieses Datum prüfen muss. Die Antragstellung oder die Kenntnis der Behörde vom Anspruch auf
Leistungen erfolgt regelmäßig erst später.
a. Motive der Einreise
29
28 Schon vor Inkrafttreten des § 1a AsylbLG hatte das BVerwG das prägende Motiv der Einreise,
Sozialhilfe zu erlangen, als den Anspruch ausschließend erachtet. Dieser Rspr. kann auch bei
der Auslegung von § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 1 AsylbLG gefolgt werden.
30
Ist der
Erhalt von Sozialleistungen der einzige Grund der Einreise, so ist die missbräuchliche Einreiseabsicht verwirklicht. Hierbei genügt allerdings nicht, dass der Leistungsbezug nur beiläufig verfolgt
oder nur billigend in Kauf genommen wird.
29 Problematisch ist es, wenn Ausländer verschiedene Zwecke der Einreise verfolgen. Dann kommt
es darauf an, welcher Zweck für die Einreiseabsicht von prägender Natur war. Diese Notwendigkeit
31
folgt aus der Zweck-Mittel-Relation der Vorschrift (um zu). Der Bezug von Sozialleistungen aus
anderen Motiven von untergeordneter Bedeutung, als beiläufiger Effekt wie auch als billigende
Inkaufnahme des Zweckes reicht hingegen nicht aus.
32
30 Ein ernst gemeintes Asylbegehren mit der Furcht vor politischer Verfolgung unter billigender
Inkaufnahme des Sozialleistungsbezugs wird daher regelmäßig nicht ausreichend sein, um eine
Anspruchseinschränkung zu rechtfertigen. Dieser Personenkreis unterfällt von vornherein nicht
dem Anwendungsbereich von § 1a AsylbLG.
31 Gleiches dürfte gelten bei Flucht vor den Auswirkungen eines Krieges im Heimatland, z.B. in
den Fällen der Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina oder bei Flucht vor Repressalien
33
der serbischen staatlichen Kräfte.
27
Vgl. BT-Drs. 18/6386, zu Nr. 2 zu lit. a, S. 13.
28
Vgl. Hohm, AsylbLG, Stand Juli 2010, § 1a Rn. 42 ff m.w.N.
29
Vgl. BVerwG v. 04.06.1992 - 5 C 22/87 - BVerwGE 90, 212 zu der nahezu wortgleichen Regelung des § 120 Abs. 3 Satz 1 BSHG; vgl.
BSG v. 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - SozR 4-3500 § 25 Nr. 5, Rn. 25.
30
So auch LSG Nordrhein-Westfalen v. 12.01.2009 - L 20 B 58/08 AY - juris - SAR 2009, 34-36 zu § 1a Nr.1 AsylbLG a.F.
31
Vgl. BVerwG v. 04.06.1992 - 5 C 22/87 - juris Rn. 11 - BVerwGE 90, 212.
32
Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen v. 12.01.2009 - L 20 B 58/08 AY - juris - SAR 2009, 34-36.
33
Vgl. VG Berlin v. 18.10.1999 - 37 A 279/99.
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32 Die ernste Furcht vor ethnischen Diskriminierungen durch staatliche Gewalt oder durch Dritte
im Heimatland dürfte ebenfalls nicht den Missbrauchstatbestand verwirklichen.
33 Allein aus einer bindenden Ablehnung des Asylantrags kann nicht ohne weiteres auf die Absicht
34
geschlossen werden, dass die Einreise nur zum Zwecke des Leistungsbezugs erfolgte. Anhaltspunkte für den Missbrauchstatbestand können allerdings die Ablehnung als offensichtlich unbegründet, insb. auch die Vielzahl solcher ablehnender Entscheidungen sein, wenn die Begründung
der Entscheidungen deutliche Anzeichen für den Missbrauch enthalten.
34 Ausreichend kann allerdings ein vorgeschobenes, nicht ernst gemeintes Asylbegehren sein,
um den Leistungsbezug als prägendes Einreisemotiv zu verwirklichen.
35 Wird kein Asylbegehren gestellt, verfügen die Ausländer über fehlende Sprachkenntnisse, über
fehlende finanzielle Mittel und über eine geringe Schul- und Ausbildung, so dass ihnen von
vornherein die Aussicht auf eine soziale und berufliche Integration verwehrt ist, so liegen hinreichende Indizien vor, die den Schluss auf eine rechtsmissbräuchliche Einreiseabsicht erlauben.
Denn in solchen Fällen sind die Ausländer auf staatliche Hilfe zum Bestreiten des Lebensunterhaltes
35
in der Bundesrepublik angewiesen.
36 Die auf dem Landweg über einen sicheren Drittstaat erfolgte Einreise in die Bundesrepublik
rechtfertigt für sich allein nicht die Annahme, dass der Ausländer zum Zwecke der Inanspruch36
nahme von Sozialleistungen eingereist ist. (vgl. dazu § 1a Abs. 4 AsylbLG). Es müssen weitere
Indizien hinzutreten, die einen sicheren Schluss auf die prägende Einreisemotivation des Bezugs
von Leistungen nach dem AsylbLG bei Einreise über einen sicheren Drittstaat erlauben. Dies sind
vorzugsweise Tatsachen, die sich aus der Einreise selbst (lange Verweildauer im sicheren Drittstaat). oder aus der Person des Ausländers (keine Eigenmittel) ergeben können.
37 Eine Einreise, die primär zum Zwecke der Familienzusammenführung erfolgt, erfüllt nicht den
Sanktionstatbestand von Absatz 1. Dies widerspräche ansonsten dem Schutz der Familie aus
Art. 6 Abs. 1 GG. Ausländer, die ernsthaft eine eheliche Lebensgemeinschaft mit dem bereits in
der Bundesrepublik lebenden Ehepartner leben möchten, sind nicht rechtsmissbräuchlich eingereist.
Ein primäres Zusammenleben mit Familienangehörigen in der Bundesrepublik dürfte entsprechend
37
zu beurteilen sein. Für das Eingehen von Scheinehen dürfte hingegen anderes gelten.
38 Anderes kann auch gelten, wenn der Entschluss, eine Familie zu gründen, erst unmittelbar nach
38
der Einreise in die Bundesrepublik gefasst wird und kein Asylbegehren formuliert wird.
Miss-
bräuchlich kann es auch sein, wenn die in der Bundesrepublik lebenden Familienangehörigen
ihrerseits hilfebedürftig sind und selbst nur von Leistungen nach dem AsylbLG leben. Denn dann
erfolgt die Einreise mit der hinreichenden Sicherheit, selbst von öffentlichen Leistungen leben zu
39
müssen.
39 Im Fall der grundlosen Wiedereinreise eines ausreisepflichtigen Ausländers wird die rechtmissbräuchliche Einreiseabsicht regelmäßig erfüllt sein. Allerdings werden in Fällen der wiederholten
Einreise die näheren Umstände des Einzelfalls, die zur Wiedereinreise geführt haben, aufzuklären
sein, bevor der Schluss der Rechtsmissbräuchlichkeit der Einreise gezogen werden darf.
34
Vgl. BVerwG v. 04.06.1992 - 5 C 22/87 - BVerwGE 90, 212.
35
Vgl. auch Deibel, ZFSH/SGB 1998, 707, 712; in diese Richtung auch LSG Nordrhein-Westfalen v. 12.01.2009 - L 20 B 58/08 AY SAR 2009, 34-36.
36
Vgl. OVG Berlin v. 04.02.1999 - 6 SN 230.98, 6 SN 11.99 - NDV-RD 1999, 77; a.A. Deibel, ZFSH/SGB 1998, 707, 713.
37
Vgl. LSG Berlin-Brandenburg v. 20.12.2012 - L 15 AY 4/09 - juris Rn. 35 beim Zusammenleben mit Kindern.
38
Vgl. z.B. LSG Niedersachsen-Bremen v. 15.12.2008 - L 11 AY 92/08 ER - juris.
39
Vgl. Deibel, ZFSH/SGB 1998, 707, 712.
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b. Aufklärungspflicht der Behörde
40 Die Behörden haben das Einreisemotiv von Amts wegen umfassend aufzuklären. Hierzu gehören
alle konkreten Umstände des Einzelfalls, die unter Heranziehung und Auswertung der Asylund Ausländerakten zu erforschen sind. Allein aus einer bindenden Ablehnung des Asylantrags
kann nicht ohne weiteres auf die Absicht geschlossen werden, dass die Einreise nur zum Zwecke
des Leistungsbezugs erfolgte. Für jedes einzelne erwachsene Familienmitglied ist die Motivationslage zu erforschen.
41 Allerdings wird es angezeigt sein, bei unklarer Sachlage die Ausländer persönlich nach ihrem
40
Einreiseentschluss zu befragen. Denn das Motiv der Einreise ist ausschließlich in das Wissen
der Ausländer gestellt. Die Einreisegründe müssen daher schon dargelegt und benannt werden,
41
um der Behörde eine Überprüfungsmöglichkeit zu geben. Die Behörde kann ansonsten nur Indizien aufklären, die für oder gegen das Motiv einer Einreise sprechen.
c. Darlegungs- und Beweislast
42 Die Darlegungs- und Beweislast für anspruchseinschränkende Tatsachen liegt grundsätzlich bei
der Behörde. Die Feststellungslast geht zulasten der Behörde, wenn anspruchseinschränkende
42
Tatsachen unerweislich bleiben oder im Fall des sog. non liquet. Für diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast spricht, dass derjenige, der eine nachteilige Rechtsfolge aus der Anwendung
einer Norm ziehen will, auch die Feststellungslast für die nachteiligen Tatsachen trägt. Bei einer
Einschränkung von Leistungen auf das im Einzelfall unabweisbar Gebotene bzw. auf das gesetzlich
benannte Leistungsminimum als Folge eines Normverstoßes liegt eine solche Konstellation
grundsätzlich vor. Die Sanktionsnorm von § 1a AsylbLG bezweckt im Übrigen die Verhinderung
der rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme von Sozialleistungen. Der Nachweis des Rechtsmissbrauchs trifft die Behörde und nicht den Ausländer (vgl. auch die Kommentierung zu § 2
AsylbLG Rn. 108). Für welche Tatbestandsvoraussetzungen in den Varianten von § 1a Abs. 1
bis 4 AsylbLG der Ausländer die Darlegungslast trägt, ergibt sich aus dem jeweiligen Tatbestand.
Im Zuge der Verschärfungen im Asyl- und Ausländerrecht durch die Asylpakete I und II sind z.B.
erhebliche Anforderungen an die Darlegung von Reiseunfähigkeit aufgestellt worden, die den
Ausländer treffen (vgl. Rn. 51).
d. Keine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast
43 Gibt der Ausländer keine oder unglaubhafte Erklärungen zu den Gründen seiner Einreise ab, muss
unter Würdigung der unzureichenden Mitwirkung geprüft werden, ob die objektiven Indizien
ausreichend sind, um den Leistungsanspruch einzuschränken. Gelingt dies nicht, dann bleibt es
43
bei der Feststellungslast der Behörde.
Eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast ist nicht
44
anzunehmen, wenn das Gesetz nicht ausdrücklich anderes regelt. Zwar verpflichtet § 7 Abs. 4
AsylbLG i.V.m. § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I die Ausländer zur Angabe aller entscheidungsrelevanten
Tatsachen. Kommen die Ausländer diesen Mitwirkungspflichten nicht nach, so sieht das AsylbLG
40
So auch LSG Nordrhein-Westfalen v. 12.01.2009 - L 20 B 58/08 AY - SAR 2009, 34-36.
41
Vgl. LSG Berlin-Brandenburg v. 21.08.2007 - L 23 B 10/07 AY ER - juris - FEVS 59, 233-235.
42
Vgl. auch Hohm in: Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl. 2015, § 1a AsylbLG Rn. 15; a.A. Deibel, ZFSH/SGB 1998, 707,
712 ff.; in diese Richtung auch Thym, NVwZ 2015, 1625, 1630.
43
Vgl. LSG Berlin-Brandenburg v. 20.12.2012 - L 15 AY 4/09 - juris Rn. 37 f.
44
Vgl. a.A. wohl Adolph/Linhart, SGB II SGB XII AsylbLG, § 1a Rn. 17, Stand März 2009; vgl. auch Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf,
5. Aufl. 2014, SGB XII, § 1a AsylbLG Rn. 21.
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§ 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015
jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann
keine anderen Sanktionsmöglichkeit vor als die Anspruchseinschränkung. Die unzureichende
Angabe von Tatsachen durch den Antragsteller ist daher im Rahmen der Subsumtion der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 1a Abs. 1 bis 4 AsylbLG zu prüfen (vgl. auch Rn. 51).
e. Minderjährige Kinder und Familienangehörige
45
44 Bis zum Inkrafttreten der seit 01.03.2015 gültigen Fassung von § 1a AsylbLG
mussten sich
minderjährige Leistungsberechtigte das zur Anspruchseinschränkung führende Verhalten ihrer
46
Eltern grundsätzlich zurechnen lassen. Dasselbe galt (meistens) für Ehefrauen, die für Fehlverhalten ihrer Ehegatten oft einzustehen hatten. Dadurch mussten Familienangehörige die Folgen
des Fehlverhaltens des „Familien- oder Haushaltsvorstandes“ tragen, auch wenn sie keinen eigenen
Beitrag hierzu geleistet hatten. Die Zurechnung fremden Fehlverhaltens ist nach der zum 01.03.2015
47
in Kraft getretenen Änderung von § 1a AsylbLG für Familienangehörige i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 6
AsylbLG ausgeschlossen. Die Neuregelung hat das Ziel, die akzessorische Anspruchseinschränkung bei Familienangehörigen im Rahmen des § 1a AsylbLG aufzugeben (vgl. Rn. 3). Daher
können Familienangehörige i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG von Leistungsberechtigten nur noch
dann Adressaten einer Anspruchseinschränkung sein, wenn sie selbst die Voraussetzungen
der anspruchseinschränkenden Tatbestandsmerkmale erfüllen. Obwohl sich dies dem Wortlaut
nach nur für die Variante von § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. („selbst“) ergibt, sollte diese Auslegung auch
48
für die Variante in § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. (Einreiseabsicht zum Sozialhilfebezug) gelten.
49
45 Das BSG hat am 28.05.2015 darauf hingewiesen , dass eine Absenkung des sog. Taschengelds
(§ 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG a.F.) bei verfassungskonformer Auslegung von § 1a AsylbLG a.F.
nicht mehr auf ein Fehlverhalten der Eltern gestützt werden darf. Das BSG hat damit die bis zum
28.02.2015 geltende Fassung von § 1a AsylbLG im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG v.
50
18.07.2012
verfassungskonform interpretiert und diese Auslegung auf „Altfälle“ angewandt.
Dasselbe gilt für die nicht mehr zulässige Zurechnung des Fehlverhaltens unter Eheleuten (vgl.
§ 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG).
5. Zu vertretende Unmöglichkeit des Vollzugs aufenthaltsbeendender Maßnahmen (Absatz 2)
46 § 1a Abs. 2 AsylbLG (i.d.F. von Art. 2 Nr. 2 AsylVfBeschlG) enthält seit 24.10.2015 eine Neuregelung. Sie sanktioniert vollziehbar ausreisepflichtige Leistungsberechtigte, die einen feststehenden
Ausreisetermin und bestehende Ausreisemöglichkeit nicht wahrnehmen. Die versäumte Pflicht
zur freiwilligen Ausreise hat eine gravierende Leistungseinschränkung (vgl. dazu Rn. 149 ff.)
zur Folge, auch wenn eine Abschiebung möglich wäre.
45
Vgl. Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10.12.2014,
BGBl I 2014, 2187.
46
Vgl. LSG Bayern v. 19.06.2006 - L 11 B 94/06 AY PKH - juris - FEVS 58, 189-191 m.w.N. für die obergerichtliche Rspr.; Bayerischer
VGH v. 06.12.2004 - 12 CE 04.3015 - juris.
47
Vgl. Art. 1 Nr.2 des Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10.12.2014,
BGBl I 2014, 2187.
48
Vgl. BT-Drs. 18/2592, S. 14 und S. 18 f.; vgl. dazu auch Deibel, ZFSH/SGB 2014, 475, 481.
49
Im unstreitig erledigten Revisionsverfahren B 7 AY 1/14 R - nach Terminbericht Nr. 22/15.
50
BVerfG vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 =
ZFSH/SGB 2012, 450.
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§ 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015
jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann
a. Vollziehbar Ausreisepflichtige
47 Die Norm sieht Leistungseinschränkungen für vollziehbar Ausreisepflichtige vor, die unter keinen
Umständen für ein Bleiberecht in Betracht kommen und deren Ausreisedatum und Reisemöglichkeit
51
feststehen. Die Norm zieht in ihren Anwendungsbereich nur Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1
Nr. 5 AsylbLG ein. Dies sind die sich im Bundesgebiet tatsächlich aufhaltenden Ausländer, die
vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht
mehr vollziehbar ist. Die Frage, ob vollziehbare Ausreisepflicht besteht, beantwortet sich allein
nach dem Aufenthaltsrecht (§§ 50 ff., 57 ff. AufenthG, vgl. Rn. 18). Jedoch wird die Frage der
vollziehbaren Ausreispflicht als Vorfrage für das Sozialleistungsrecht nicht ohne Beiziehung der
Ausländerakten resp. einer Stellungnahme der Ausländerbehörde im Sozialgerichtsprozess zu
beurteilen sein. Dies war auch schon nach alter Rechtslage üblich. Einer normativen Integration
52
von § 1a Abs. 2 AsylbLG in das Aufenthaltsrecht bedarf es wegen der Inzidentprüfung aber nicht.
b. Familienangehörige
48 § 1a Abs. 2 AsylbLG enthält – anders als § 1a Abs. 1 und Abs. 3 AsylbLG – keine Regelung zu
den Familienangehörigen (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG) von Leistungsberechtigten nach § 1
Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG. Jedes Familienmitglied muss aber die Voraussetzungen von § 1 Abs. 1
Nr. 5 AsylbLG i.V.m. § 1a Abs. 2 AsylbLG selbst in eigener Person erfüllen; eine „Familienhaftung“
für Leistungseinschränkungen besteht nicht (vgl. Rn. 3, Rn. 44 f.).
c. Feststehender Ausreisetermin und -möglichkeit
49 Die Leistungseinschränkung gilt für vollziehbar Ausreisepflichtige, für die ein Ausreisetermin und
eine Ausreisemöglichkeit feststehen (§ 1a Abs. 2 Satz 1 AsylbLG). Diese Terminierung war
bisher nicht im AsylbLG normiert. Neu im Aufenthaltsrecht ist insbesondere die Regelung, dass
nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht
mehr angekündigt werden darf (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG i.d.F. von Art. 3 Nr. 9 AsylVfBe53
schlG), um die Gefahr des Untertauchens zu verringern. Die versäumte Pflicht zur rechtlich und
tatsächlich möglichen, freiwilligen Ausreise wird sanktioniert, auch wenn eine Abschiebung möglich
wäre. Ab dem auf den versäumten Ausreistermin folgenden Tag greift die Leistungsabsenkung
(vgl. dazu Rn. 149 ff.).
d. Nicht zu vertretendes Ausreisehindernis
50 Die Anspruchseinschränkung greift dann nicht (vgl. § 1a Abs. 2 Satz 1 HS. 2 AsylbLG), wenn die
Ausreise aus Gründen, die die Leistungsberechtigten von § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG nicht zu vertreten haben, nicht durchgeführt werden konnte. Die Gesetzesmaterialien begründen den Ausschluss von der Leistungsbeschränkung für die Fälle, dass aus tatsächlichen oder rechtlichen
Gründen eine Ausreise bzw. aufenthaltsbeendende Maßnahmen ausgeschlossen sind, z.B. im
54
Fall der Reiseunfähigkeit oder wenn faktisch keine Reisemöglichkeit besteht. Der ursprüngliche
Gesetzentwurf von September 2015 knüpfte die Ausnahme noch an ein „unverschuldetes“ Ausrei55
sehindernis. Ein subjektiv vorwerfbares Verhalten setzt der aktuelle Gesetzestext nicht voraus,
der lediglich von einem „Nicht-Vertretenmüssen“ spricht.
51
So BT-Drs. 18/6386, B. zu Nr. 2, zu lit. a, S. 14.
52
So Thym, NVwZ 2015, 1625, 1630.
53
Vgl. BT-Drs. 18/6185, S. 2.
54
Vgl. BT-Drs. 18/6185, zu Art. 2, zu Nr. 2, zu lit. b, S. 44.
55
Vgl. BT-Drs. 18/6185, zu Art. 2, zu Nr. 2, zu lit. b, S. 44.
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§ 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015
jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann
56
51 Im Rahmen des sog AsylPakets II wurden die Anforderungen im Aufenthaltsrecht an die Darlegung und den Nachweis gesundheitlicher Gründe, die einer Abschiebung entgegenstehen, erheblich
verschärft. Nach § 60 Abs. 2c und 2d AufenthG muss der Ausländer zum Nachweis von Reiseunfähigkeit bei Abschiebungen diese durch eine „qualifizierte ärztliche Bescheinigung“ glaubhaft
machen und diese unverzüglich vorlegen, da andernfalls sein Vortrag zur Erkrankung präkludiert
sein kann. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt eine konkrete Gefahr, die einer Abschiebung
aus gesundheitlichen Gründen entgegensteht, nur noch bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor – nicht aber bei der im Herkunftsland erworbenen posttraumatischen
Belastungsstörung (PTBS) –, die sich infolge der Abschiebung wesentlich verschlechtern würden.
Nicht erforderlich ist, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung im Bundesgebiet gleichwertig ist, Behandlungsmöglichkeiten in einem Teil des Rückkehrstaats sind
57
ausreichend. Diese Gesetzeslage wird bei der Beurteilung des Vertretenmüssens von Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sein.
6. Kein Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen (Absatz 3)
52 Der Vorläufer dieser Norm ist der bis zum 23.10.2015 gültige § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F., auch wenn
er durch § 1a Abs. 3 AsylbLG modifiziert worden ist. Die Norm enthält eine konkrete Bestimmung
des Beginns der reduzierten Leistungen. Der Beginn der Absenkung war nach alter Rechtslage
unbestimmt.
a. Beginn der Leistungseinschränkung
53 Anders als die Vorgängerregelung von § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. ist der Beginn der Leistungseinschränkung auf einen festen Zeitpunkt bestimmt. Dies ist der auf die Vollziehbarkeit einer Abschiebungsandrohung bzw. -anordnung folgende Tag, § 1a Abs. 3 Satz 2 AsylbLG. Die Norm reduziert den Leistungsumfang nicht mehr wie die Vorgängerregelung auf das im Einzelfall nach
den Umständen unabweisbar Gebotene, sondern verweist auf das konkretisierte abgesenkte
physische Minimum von § 1a Abs. 2 AsylbLG (vgl. dazu Rn. 149 ff.).
b. Geduldete und vollziehbar Ausreisepflichtige
58
54 Abweichend vom ursprünglichen Gesetzentwurf von September 2015 sind in § 1a Abs. 3 AsylbLG
(i.d.F. von Art. 2 Nr. 2 AsylVfBeschlG) nur wenige Tage vor seinem Inkrafttreten auch Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG einbezogen worden. Dies sind Ausländer, die eine
Duldung nach § 60a AufenthG besitzen. § 1a Abs. 3 AsylbLG erstreckt damit die in § 1a Abs. 2
AsylbLG vorgesehene Leistungsreduzierung auf den Personenkreis der Geduldeten nach § 1
Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG und der vollziehbar Ausreisepflichtigen, § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG.
55 Die Duldung, die eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung ist, ohne dass die Pflicht
59
zur Ausreise entfällt (§ 60a Abs. 3 AufenthG) , ist in § 60a Abs. 6 AufenthG verschärft und an
das AsylbLG angeglichen worden. Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung
einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen
nach dem AsylbLG zu erlangen (§ 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 AufenthG), wenn aufenthaltsbeendende
Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können
56
Vgl. dazu Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016, BGBl I 2016, 390, 392; BT-Drs. 18/7538 und BTDrs. 18/7645 vom 23.02.2016.
57
Vgl. BT-Drs. 18/7538, S. 18 f.
58
Vgl. BT-Drs. 18/6185, S. 10.
59
Vgl auch Bruns in: HK-AuslR, 2008, § 60a Rn. 29.
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§ 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015
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(§ 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) oder er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates
nach § 29a AsylG ist und sein nach dem 31.08.2015 gestellter Asylantrag abgelehnt worden ist
(§ 60a Satz 1 Nr. 3 AufenthG).
c. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen
56 Der Begriff der Beendigung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ist im AsylbLG nicht näher
definiert. Er nimmt Bezug auf die ausländerrechtlichen Kompetenzen zur Entfernung eines Ausländers aus der Bundesrepublik, die sich im 5. Kapitel des AufenthG, das die Beendigung des
Aufenthalts regelt (§§ 50-65 AufenthG), befinden. Zu den aufenthaltsbeendenden Maßnahmen
zählen:
aa. Ausweisung
57 Bei der Ausweisung gem. § 53 AufenthG handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der zum Erlöschen des Aufenthaltstitels (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) führt und die Ausreisepflicht gem. § 50
Abs. 1 AufenthG begründet. Dem Ausländer ist es verwehrt, erneut in das Bundesgebiet einzureisen
und sich dort aufzuhalten (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG).
bb. Abschiebung
58 Bei der Abschiebung gem. § 58 AufenthG handelt es sich um eine spezialgesetzliche Sonderregelung der Verwaltungsvollstreckung der nicht vertretbaren Handlungspflicht eines ausreisepflich60
tigen Ausländers; mithin um die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht durch Entfernung
des Ausländers aus dem Bundesgebiet.
cc. Zurückschiebung
59 Bei der Zurückschiebung gem. § 57 AufenthG handelt es sich um eine Spezialmaßnahme der
Aufenthaltsbeendigung, die vorrangig vor der Abschiebung vollstreckt werden soll. Danach soll
ein Ausländer, der unerlaubt eingereist ist, innerhalb von 6 Monaten nach Grenzübertritt abgeschoben werden. Auf Asylsuchende ist dies nur in den engen Grenzen von § 18 Abs. 3 AsylG und § 19
Abs. 3 AsylG möglich.
d. Keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen
aa. Freiwillige Ausreise
60 Bei der möglichen und zumutbaren freiwilligen Ausreise eines Ausländers aus dem Bundesgebiet
handelt es sich nicht um eine Maßnahme i.S.v. § 1a Abs. 3 AsylbLG. Der freiwilligen Ausreise
fehlt der Vollstreckungscharakter.
bb. Zurückweisung, Einreiseverweigerung
61 Die an der Grenze erfolgte Zurückweisung gem. § 15 AufenthG und die Einreiseverweigerung
gem. §§ 18, 18a AsylG zählen nicht zu den aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, weil eine vollständige Einreise des Ausländers nicht erfolgt ist.
e. Nichtvollziehbarkeit der Maßnahmen
62 Die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen dürfen nicht vollzogen werden können. Dies bedeutet,
dass die von der Ausländerbehörde in Betracht gezogenen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen
nicht durchgesetzt werden können; sei es, dass sie von vornherein nicht vollstreckt werden
können oder dass die bereits eingeleitete Vollstreckung nicht beendet werden kann. Den beabsichtigten oder eingeleiteten behördlichen Maßnahmen müssen Gründe entgegenstehen, die
kausal dafür sind, dass die Ausländerbehörde die bestehende Ausreisepflicht der Ausländer nicht
60
Vgl. Oberhäuser in: HK-AuslR, 1. Aufl., § 58 Rn. 3.
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§ 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015
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beenden kann, so dass der unerlaubte Aufenthalt des Ausländers in der Bundesrepublik faktisch
fortgesetzt wird. Für die Ausländerbehörde muss eine Unmöglichkeit der tatsächlichen Aufenthaltsbeendigung vorliegen.
f. Gründe der Nichtvollziehbarkeit
63 Die Gründe der Unmöglichkeit der Vollziehbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen können
tatsächlicher (z. B. Vernichtung von Pässen) oder rechtlicher Art (Erlasslage) sein. Eine konkrete
Kausalität im Sinne einer conditio sine qua non für den Nichtvollzug muss vorliegen.
g. Selbst zu vertretende Gründe
64 § 1a Abs. 3 AsylbLG knüpft für Geduldete und Ausreisepflichtige die Leistungsabsenkung an ein
selbst zu vertretendes Verhalten, das dem Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen entgegensteht. Die Gründe der Nichtvollziehbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen müssen
von den Leistungsberechtigten zu vertreten sein. Damit enthält der Sanktionstatbestand von § 1a
Abs. 3 AsylbLG wie zuvor § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. eine subjektive Komponente, ohne deren
Feststellung eine Anspruchseinschränkung nicht möglich ist. Das Merkmal des Vertretenmüssens,
auf das zuvor § 2 Abs. 1 Nr. 2 AsylbLG in der bis zum 31.05.1997 geltenden Fassung hinsichtlich
der Ausreise und Abschiebung hindernden Gründe (insoweit in Anlehnung an § 30 Abs. 4 AuslG)
abgestellt hatte, bestimmt allerdings nicht mehr die Abgrenzung zwischen dem Anspruch auf
Grundleistungen nach § 3 AsylbLG und den privilegierten Leistungen gem. § 2 Abs. 1 AsylbLG,
sondern nur noch die Abgrenzung zwischen den Grundleistungen nach § 3 AsylbLG und der An61
spruchseinschränkung.
65 Objektive Gründe, die den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen unmöglich machen und
die nicht in der Verantwortungssphäre der Ausländer liegen, wie z.B. ein Abschiebungsstopp, ein
Luftembargo, nicht zu vertretender Nichtbesitz von Ausweispapieren, fehlende politische Abkommen
zur Rücknahme der Ausländer oder eine entsprechende Erlasslage können damit von vornherein
keine Anspruchseinschränkung rechtfertigen.
aa. Kein Verschulden
66 Das Vertretenmüssen im Sinne von § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. ist auch nicht gleichzusetzen mit einem
62
Verschulden i.S.v. § 2 Abs. 1 letzter HS. AsylbLG. Es geht daher nicht um die Feststellung eines
Verschuldens im Sinne eines fahrlässigen oder vorsätzlichen Handelns oder Unterlassens der
Leistungsberechtigten. Jedenfalls sind die an die subjektive Komponente zu stellenden Anforderungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG deutlich schärfer.
63
bb. Zurechnung zum Verantwortungsbereich
67 Das Vertretenmüssen i.S.v. § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 3 AsylbLG knüpft vielmehr an
das eigene Verhalten des Leistungsberechtigten in dem Sinne an, dass das Verhalten allgemein
64
geeignet sein muss, sich seiner Ausreisepflicht zu entziehen. Es ist danach erforderlich, aber
auch ausreichend, dass das Ergebnis der Nichtvollziehbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen auf Umständen beruht, die dem Verantwortungsbereich der handelnden Person zuzu-
61
Vgl. BVerwG v. 03.06.2003 - 5 C 32/02 - DVBl 2004, 56.
62
Vgl. unklar insofern BSG v. 17.06.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - juris Rn. 46 einerseits und juris Rn. 34, 39 andererseits - BSGE 101, 4970; deutlich hingegen LSG Thüringen v. 23.03.2009 - L 8 B 131/08 AY - juris - SAR 2009, 70-72.
63
Sog. doppelter Vorsatz, BSG v. 17.06.2008 - B 8/9b AY 1/07 R - juris Rn. 31, 39 - BSGE 101, 49-70.
64
Vgl. schon OVG Niedersachsen v. 30.01.1995 - 12 M 5688/94 - Nds MBl 1995, 872 und OVG Niedersachsen v. 27.01.1997 - 12 M 264/97
zu der Vorläufervorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AsylbLG i.d.F. 1993 - juris.
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§ 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015
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65
rechnen sind. Auf das Vertretenmüssen im zivil- oder auf die Vorwerfbarkeit im strafrechtlichen
Sinne kommt es hingegen nicht an. Der Ausländer muss bei entsprechendem Willen in der Lage
und aus Rechtsgründen verpflichtet oder es muss ihm zuzumuten sein, ein Verhalten zu unterlassen
bzw. ein Handeln vorzunehmen. Eine solche Situation liegt aber dann gerade nicht vor, wenn die
66
Rechtsordnung dem Leistungsberechtigten nicht auferlegt, sich in bestimmter Weise zu verhalten.
h. Konkrete Monokausalität
68 Problematisch ist es, wenn nicht eine einzige Ursache im Sinne einer conditio sine qua non für
die Nichtvollziehbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen in Betracht kommt, sondern
mehrere Ursachen hierfür vorliegen. Dann ist zunächst zu prüfen, in wessen Verantwortungsbereich
diese Ursachen fallen. Liegen mehrere Ursachen für die Unmöglichkeit der aufenthaltsbeendenden
Maßnahmen vor, so dürfen den Leistungsberechtigten lediglich die Gründe zugerechnet werden,
die sie nur selbst zu vertreten haben. Ursachen, die im Verantwortungsbereich der Ausländerbehörden, des Heimatlandes oder im politischen Raum anzusiedeln sind und die die Unmöglichkeit
der Aufenthaltsbeendigung ebenfalls kausal beeinflussen, scheiden für eine Anspruchseinschränkung aus. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die vom Leistungsberechtigten gesetzte Ursache die
einzige und ausschließliche sein muss, die die Anspruchseinschränkung rechtfertigt. Die Leistungsberechtigten müssen sich hingegen keine außerhalb ihres Verantwortungsbereiches liegenden
Risiken zurechnen lassen. Seit der ab 01.03.2015 gültigen Neuregelung von § 1a AsylbLG müssen
sie sich auch nicht mehr das persönliche Fehlverhalten von leistungsberechtigten Familienange67
hörigen zurechnen lassen (vgl. Rn. 3).
i. Kongruenz von Fehlverhalten und Anspruchseinschränkung
69 Die Anspruchseinschränkung nach Absatz 3 kommt nur so lange in Betracht, wie das rechtsmissbräuchliche Verhalten anhält. Daher wird eine Deckungsgleichheit (Kongruenz) von rechtsmissbräuchlichem Verhalten und Leistungszeitraum vorausgesetzt. Anders als es das BSG für den
Missbrauchstatbestand i.S.v. § 2 Abs. 1 letzter HS. AsylbLG annimmt (vgl. die Kommentierung
zu § 2 AsylbLG Rn. 86 ff.), rechtfertigt das rechtsmissbräuchliche Verhalten i.S.v. § 1a AsylbLG
keine dauernde, bis zur Erteilung des Aufenthaltstitels, unter Umständen lebenslängliche Anspruchseinschränkung. Der Leistungsberechtigte muss das inkriminierte Verhalten jederzeit abstellen
oder korrigieren können. Die Anspruchseinschränkung findet daher bei rechtskonformem Verhalten
68
des Ausländers keine Rechtsgrundlage mehr. Dies erfordert eine Überprüfung der Leistungsvoraussetzungen durch die Sozialbehörde in kurzen Abständen. Dem trägt jetzt auch der seit
24.10.2015 gültige § 14 AsylbLG Rechnung, der für alle Anspruchseinschränkungen nach dem
AsylbLG gilt (vgl. die Kommentierung zu § 14 AsylbLG).
j. Umfassende Einzelfallprüfung
70 Letztendlich lässt sich das Vorliegen des Missbrauchstatbestandes nur anhand einer umfassenden
und konkreten Prüfung des Einzelfalls bewerten.
65
Vgl. LSG Niedersachsen-Bremen v. 13.01.2009 - L 11 AY 45/07 ER; ähnlich LSG Baden-Württemberg v. 24.11.2008 - L 7 AY 5149/08 ER-
B.
66
Vgl. OVG Niedersachsen v. 30.01.1995 - 12 M 5688/94 - Nds MBl 1995, 872 und OVG Niedersachsen v. 27.01.1997 - 12 M 264/97
zu der Vorläufervorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AsylbLG i.d.F. 1993 - juris.
67
Vgl. BT-Drs. 18/2592, S. 19.
68
So OVG Niedersachsen v. 30.07.1999 - 12 M 2997/99 - juris.
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k. Konkrete Beispiele
aa. Gesetzesmaterialien
71 Anwendungsfälle für sanktioniertes Verhalten nach § 1a Nr. 2 AsylbLG a. F. finden sich in den
69
Gesetzesmaterialien. Hierunter sollten Tatbestände fallen, wonach der Aufenthalt aus von Ausländern zu vertretenden Gründen nicht beendet werden kann. Dies sollte beispielsweise gelten,
wenn sie nicht bei der Passbeschaffung mitwirken, Ausweisdokumente vernichtet haben oder
ihre Abschiebung durch Widerstandshandlungen oder auf andere von ihnen zu vertretende
Weise vereitelt haben.
bb. Vernichtung bzw. Verlust von Ausweispapieren
72 Die Vernichtung von Ausweispapieren ist ausdrücklich in den Gesetzesmaterialien als Verhalten
genannt, das zur Anspruchseinschränkung berechtigt. Das Vernichten oder auch der Verlust
von Ausweispapieren und die darauf beruhende Unmöglichkeit der Durchsetzung der Ausreisepflicht sind in dem Verantwortungsbereich der Leistungsberechtigten liegende und von ihnen zu
70
vertretende tatsächliche Abschiebungshindernisse. Durch den Verlust von Ausweispapieren wird
die Vollziehung der Ausreisepflicht langfristig unmöglich gemacht, jedenfalls aber im Hinblick auf
die häufigen Schwierigkeiten bei der Neubeschaffung der Ausweispapiere verzögert. Oft wird auch
das Nichtvorhandensein von Ausweispapieren behauptet, um den wahren Reiseweg zu verschleiern,
über die Identität zu täuschen oder um die zu erwartende Ausreiseaufforderung und Abschiebung
zu umgehen. Daher sind der Nichtbesitz von Ausweispapieren und die darauf beruhende Unmöglichkeit der Durchsetzung der Ausreisepflicht grundsätzlich als ein im Verantwortungsbereich des
Leistungsberechtigten liegendes und von diesem zu vertretendes Abschiebungshindernis anzuse71
hen.
73 Allerdings wird bei der Variante des Verlusts genau zu überprüfen sein, aus welchen Gründen der
Verlust erfolgte, insb. ob die Leistungsberechtigten den Verlust allein zu verantworten haben.
Anders wird die Situation zu beurteilen sein, wenn der Verlust nicht ohne weiteres dem Ausländer
allein zuzurechnen ist, wenn z.B. der Heimatstaat die Papiere eingezogen hat oder Schleuser die
Ausweispapiere bei Einreise abgenommen haben. Allein der Nichtbesitz von Ausweispapieren
rechtfertigt hingegen nicht die Anspruchseinschränkung, wenn der Nichtbesitz objektiv nicht im
Verantwortungsbereich des Leistungsberechtigten liegt.
cc. Täuschung oder Verschleierung der Identität bzw. Staatsangehörigkeit
74 Die Täuschung über die Identität eines Leistungsberechtigten, etwa durch falsche Angaben zur
Person (Name, Geburtsort oder -jahr, Staatsangehörigkeit) erfüllen den Missbrauchstatbestand
von § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. Ein Verschleiern der Identität bzw. der Staatsangehörigkeit liegt
vor, wenn der Leistungsberechtigte z.B. unklare oder widersprüchliche Angaben macht oder die
Angaben keine Feststellung der Identität oder Nationalität, die für eine Aufenthaltsbeendigung
unabdingbar sind, zulassen.
75 Eine Angleichung zum AsylbLG findet sich in § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG. Danach hat der
geduldete Ausländer die Gründe, weshalb aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen
werden können, insbesondere dann zu vertreten, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene
Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben
selbst herbeiführt.
69
Vgl. BT-Drs. 13/10155, S. 5.
70
Vgl. VGH Baden-Württemberg v. 14.09.1994 - 6 S 2074/94 - FEVS 46, 27 zum Verlust von Papieren.
71
Vgl. Bayerischer VGH v. 27.02.2002 - 12 CE 01.2945 - juris.
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dd. Fehlende Mitwirkung bei der Beschaffung von Dokumenten
76 Diese in der Praxis sehr häufig vorliegende Konstellation setzt voraus, dass die den Leistungsberechtigten abverlangte Mitwirkung rechtmäßig, verhältnismäßig und zumutbar ist (vgl. die
Kommentierung zu § 2 AsylbLG Rn. 76 ff.) und hinter dieser Mitwirkung das ernsthafte Bestreben
der Behörde steht, die Leistungsberechtigten in ihr Heimatland zurückzuführen und dies auch
objektiv von Erfolg sein wird bei entsprechender Mitwirkung.
77 Die Rspr. hat die fehlende Mitwirkung bei der Beschaffung von Pässen oder Ersatzdokumenten
für die Heimreise als ausreichend anerkannt, wenn z.B. jegliche Mitwirkung verweigert wurde.
Oftmals haben die Leistungsberechtigten dies schriftlich gegenüber der Behörde erklärt. Anerkannt
ist aber auch eine über Jahre hinweg unterbliebene bzw. nur unzureichende Mitwirkung bei
72
der Beschaffung von Heimreisepapieren.
78 Zumutbar sind sämtliche Handlungen, die zur Beschaffung eines fehlenden Identitätsdokuments
73
(Pass, Passersatz, Visum) oder zur Beschaffung von Heimreisepapieren notwendig sind und
nur persönlich erbracht werden können. Hierzu zählen z.B. das Ausstellen von Passfotos, das
Ausfüllen von Antragsformularen, Angaben zu im Ausland lebenden Angehörigen. Zumutbar
ist es insb. auch, nach abgeschlossenem negativem Asylverfahren (nicht während des laufenden
Asylverfahrens) zur Beschaffung von Identitätspapieren die diplomatischen Vertretungen des
Heimatstaates im Bundesgebiet aufzusuchen, insb. wenn die Leistungsberechtigten vollziehbar
74
ausreisepflichtig sind.
79 Im Einzelfall ist dabei das jeweilige Heimatland in den Blick zu nehmen und zu prüfen, welche
Anforderungen dieses Land an eine Rückkehr stellt. Daran sind die zumutbaren Mitwirkungshandlungen auszurichten.
80 Für den Libanon und Syrien ist es als zumutbar erachtet worden, Geburtsurkunden, Personenstandsauszüge oder andere Registerauszüge aus den im Heimatland geführten Registern unter
75
Einschaltung von im Ausland lebenden Verwandten oder über Vertrauensanwälte zu beschaffen.
81 Für die Rückkehr in den Iran ist es als zumutbar erachtet worden, die sog. Freiwilligkeitserklärung
der von der Auslandsvertretung des Heimatstaates geforderten Erklärung, freiwillig dorthin zurück76
zukehren, abzugeben. Die Verweigerung der Abgabe dieser Erklärung zur freiwilligen Ausreise
gegenüber der ausländischen Vertretung des Irans ist selbst dann als zumutbar erachtet worden,
wenn die Ausländer nicht ausreisen wollen. Denn der Iran hat die Ausstellung von Heimreisepapieren (Passersatzpapieren) von der Abgabe der Ausreiseerklärung der in Deutschland lebenden
Iraner abhängig gemacht. Solange diese Erklärung nicht vorliegt, liegt ein tatsächliches Abschie77
behindernis vor, das die Ausländer regelmäßig zu vertreten haben. Anders hingegen hat das
72
Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen v. 22.08.2007 - 16 A 1158/05 - juris - NDV-RD 2007, 125-127; LSG Nordrhein-Westfalen v. 02.02.2007
- L 20 B 65/06 AY ER - juris - SAR 2007, 34-36.
73
Vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern v. 15.04.2009 - 1 L 229/04 - juris; LSG Mecklenburg-Vorpommern v. 19.08.2009 - L 9 B 371/08
- juris.
74
Vgl. OVG Niedersachsen v. 11.12.2002 - 4 LB 471/02 - juris - SAR 2003, 55-58.
75
Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen v. 08.05.2000 - 16 B 2033/99 - juris.
76
Vgl. OVG Niedersachsen v. 11.12.2002 - 4 LB 471/02 - juris - SAR 2003, 55-58; vgl. zur Zumutbarkeit der von der iranischen Vertretung
geforderten Freiwilligkeitserklärung: BVerwG v. 10.11.2009 - 1 C 19/08; OVG NRW v. 29.06.2010 - 18 A 1425/09; LSG Baden-Württemberg
v. 24.11.2008 - L 7 AY 5149/08 ER-B; LSG Sachsen-Anhalt v. 28.07.2007 - L 8 B 11/06 AY ER; LSG Sachsen v. 30.06.2011 - L 7 AY 8/10 B
ER - alle zitiert nach juris.
77
Vgl. dazu OVG Niedersachsen v. 11.12.2002 - 4 LB 471/02 - juris - SAR 2003, 55-58 und LSG Niedersachsen-Bremen v. 19.06.2007
- L 11 AY 57/06 und LSG Niedersachsen-Bremen v. 19.08.2008 - L 11 AY 33/08 ER, ebenso LSG Baden-Württemberg v. 24.11.2008 L 7 AY 5149/08 ER B - juris und m.w.N. zur verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung: OVG Nordrhein-Westfalen v. 18.06.2008 - 17 A 2250/07
- AuAS 2008, 208-211.
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§ 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015
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BSG entschieden im Fall der verweigerten Abgabe einer sog. Ehrenerklärung mit dem Inhalt,
dass eine Staatsangehörige aus Mali erklären sollte, freiwillig in ihre Heimat zurückzukehren.
Dieses Verhalten erfüllt nicht den Tatbestand von § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. (und auch nicht den
des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nach § 2 AsylbLG, vgl. die Kommentierung zu § 2 AsylbLG
Rn. 68). Nach dieser Entscheidung kann niemand gezwungen werden, eine in der Sache falsche
78
Erklärung abzugeben, selbst wenn er zur Ausreise verpflichtet ist. Es ist nicht rechtsmissbräuchlich
i.S.v. § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. bzw. § 2 AsylbLG, wenn ein wegen der Nichtableistung des Militärdienstes ausgebürgerter ehemals türkischer Staatsangehöriger sich weigert, gegenüber dem
türkischen Staat eine verbindliche Erklärung darüber abzugeben, dass er den Wehrdienst ab79
leisten wolle, um die Ausreise bzw. Abschiebung zu ermöglichen.
82 Ob allein die Nichtvorlage von Passfotos, die für die Ausstellung von Heimreisepapieren notwendig
sind, ausreichend für eine Anspruchseinschränkung ist, ist unter Gesichtspunkten der Verhältnis80
mäßigkeit zweifelhaft.
ee. Widerstandhandlungen
81
83 Ausweislich der Gesetzesmaterialien unterfallen auch Widerstandshandlungen zur Vereitelung
der Abschiebung dem Tatbestand von § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. In Betracht kommen solche Aktivitäten des Leistungsberechtigten, die auch nur zeitweilig die Flugreise in das Heimatland verhindern,
oder aktive Widerstandshandlungen gegen Vollzugsbeamte.
ff. Dauernde Reiseunfähigkeit
84 Eine dauernde Reiseunfähigkeit des Leistungsberechtigten, die eine Rückkehr in das Heimatland
unmöglich bzw. unzumutbar macht, begründet nicht den Missbrauchstatbestand des § 1a Nr. 2
AsylbLG a.F. Gesundheitliche Gründe, die einer Abschiebung entgegenstehen, erkennt das Gesetz
nur noch bei lebensbedrohlichen und schwerwiegenden Erkrankungen an (zur Ausreisevariante
und zur Reiseunfähigkeit vgl. § 1a Abs. 2 AsylbLG und Rn. 50 f.). Zwar liegt der Umstand einer
ernsthaften Erkrankung allein im Verantwortungsbereich des Leistungsberechtigten. Doch wird
in einem solchen Fall die Missbräuchlichkeit als Korrektiv dienen können. Bei anlagebedingter
oder degenerativer Erkrankung wird ein Missbrauchsvorwurf nicht zu erheben sein. Anders wird
eine vorsätzlich herbeigeführte Erkrankung zu beurteilen sein, die lediglich dem Ziel der Verhinderung aufenthaltsbeendender Maßnahmen dient (z.B. vorgetäuschte Suizidabsicht oder Selbstverletzung).
gg. Wahrnehmung von Rechtsbehelfen
85 Der weitere Verbleib der Leistungsberechtigten im Bundesgebiet infolge der Wahrnehmung von
Rechtsbehelfen wie Petitionen (Art. 17 GG) oder aufenthaltsrelevanten gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten wird nicht von vornherein den Missbrauchstatbestand von § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F.
begründen können. Es müssen schon weitere gravierende Umstände hinzutreten, die auf ein
Vertretenmüssen des Leistungsberechtigten schließen lassen. Solche Umstände können in der
querulatorischen oder missbräuchlichen Inanspruchnahme solcher Rechtsbehelfe liegen. Hierfür
müssen allerdings konkrete Anhaltspunkte vorliegen. Asylfolgeantragsteller (§ 1 Abs. 1 Nr. 7
AsylbLG) sind von vornherein nicht vom Anwendungsbereich des § 1a AsylbLG erfasst (vgl.
Rn. 20).
78
Vgl. BSG v. 30.10.2013 - B 7 AY 7/12 R - nach Terminbericht Nr. 30/13.
79
SG Hamburg v. 07.08.2014 - S 20 AY 111/10 - juris.
80
Bejahend SG Stade v. 21.04.2006 - S 19 AY 13/06 ER.
81
Vgl. BT-Drs. 13/10155, S. 5.
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§ 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015
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hh. Kirchenasyl
86 Ob das durch eine Kirchengemeinde nach abgeschlossenem Asylverfahren gewährte Kirchenasyl
den Tatbestand von § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. erfüllt, mit der Folge, dass oftmals überhaupt keine
Sozialleistungen mehr gewährt werden, so dass die Ausländer von kirchlichen Spenden ihren
82
Lebensunterhalt bestreiten müssen, ist problematisch. Dagegen spricht, dass die Leistungsberechtigten den Umstand der Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter Umständen nicht allein und ausschließlich zu vertreten haben. Das Kirchenasyl setzt eine kirchliche
Entscheidung voraus und oftmals steht dahinter eine politische Vereinbarung der Landeskirche
mit der jeweiligen Landesregierung. Dann fehlt es zumindest für die Zeit des Kirchasyls über das
ernsthafte und zielgerichtete Bestreben der Ausländerbehörde, den Leistungsberechtigten zurückzuführen. Allerdings sind in solchen Fällen die Umstände des Einzelfalls sehr sorgfältig aufzuklären
und zu bewerten.
l. Minderjährige Kinder und Familienangehörige
87 Minderjährige Leistungsberechtigte und Familienangehörige mussten sich das zur Anspruchseinschränkung führende Verhalten ihrer Eltern bzw. des Ehegatten seit der zum 01.03.2015 in
Kraft getretenen Neuregelung des § 1a AsylbLG a.F. – in beiden Varianten – nicht mehr zurechnen
lassen (vgl. Rn. 3, Rn. 44). In § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. wurde daher das Wort „selbst“ neu eingefügt.
Bis dahin ist die Rechtsprechung von einer akzessorischen Anspruchseinschränkung bei leistungsberechtigten Familienangehörigen ausgegangen.
83
88 Im Hinblick auf den Einbezug der Familienangehörigen (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG) von Geduldeten und Ausreisepflichtigen bleibt es auch ab 24.10.2015 bei der Vorgängerregelung von § 1a
84
Nr. 2 AsylbLG a.F. Hiervon gehen die Gesetzesmaterialien aus. Allerdings entspricht diese Begründung nicht dem Gesetzestext von § 1a Abs. 3 Satz 3 AsylbLG, der für Familienangehörige
nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG von ausreisepflichtigen oder geduldeten Personen – redaktionell
fehlerhaft – auf Absatz 1 verweist und nicht – wie es zutreffend lauten müsste – auf Satz 1 entsprechend. Der Verweis auf § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG in § 1a Abs. 3 Satz 3 AsylbLG gewährleistet, dass bei Familienangehörigen Leistungsabsenkungen nur dann möglich sind, wenn aus
von ihnen selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen
85
werden können.
Die Formulierung „selbst“ ist in § 1a AsylbLG a.F. erst mit Wirkung vom
01.03.2015 in die Norm aufgenommen worden, um deutlich zu machen, dass eine akzessorische
Anspruchseinschränkung bei Familienangehörigen nicht mehr zulässig ist, insbesondere nicht bei
Kindern und Minderjährigen, aber auch unter Eheleuten nicht. Hintergrund dieser Regelung war,
dass § 1a AsylbLG in der bis 28.02.2015 gültigen Fassung den vom BVerfG am 18.07.2012
86
hervorgehobenen Grundsatz der individuellen Anspruchsberechtigung im AsylbLG nicht hinreichend
Rechnung getragen hat und daher die akzessorische Anspruchseinschränkung bei Familienangehörigen im Rahmen des § 1a AsylbLG aufgegeben worden ist.
87
82
Bejahend: OLG Hamm v. 24.11.1997 - 15 W 431/97 - NJW 1998, 463; Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, 5. Aufl. 2014, SGB XII, § 1a
AsylbLG Rn. 28.
83
Vgl. zur alten Rechtslage, die minderjährige Kinder in die „Familienhaftung“ nahm: LSG Sachsen-Anhalt v. 19.06.2014 - L 8 AY 15/13
B ER - juris; Thüringer LSG v. 12.03.2014 - L 8 AY 678/13 - juris; LSG Bayern v. 19.06.2006 - L 11 B 94/06 AY PKH - juris - FEVS 58,
189-191 m.w.N. für die obergerichtliche Rspr.; Bayerischer VGH v. 06.12.2004 - 12 CE 04.3015 - juris.
84
Vgl. BT-Drs. 18/6386, zu Nr. 2, zu lit. a, S. 14.
85
Dies übersieht Rixen, NVwZ 2015, 1640, 1642.
86
BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1BVL 2/111 - BVerfGE 132, 134.
87
Vgl. BSG v. 28.5.2015 - B 7 AY 1/14 R - unstreitig erledigt, zitiert nach Terminbericht Nr. 22/14 unter bsg.bund.de.
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§ 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015
jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann
89 Der wortgetreue – aber redaktionell fehlerhafte – Verweis auf § 1a Abs. 1 AsylbLG würde als
Verweis auf dessen Tatbestand bedeuten, dass die Leistungsabsenkung für Familienangehörige
von Geduldeten bzw. Ausreisepflichtigen nur in dem Fall gilt, wenn sie sich in das Bundesgebiet
begeben haben, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen. Das aber ist ein völlig anderes
Fehlverhalten als das in § 1a Abs. 3 AsylbLG sanktionierte Fehlverhalten der Eltern. Wäre der
Verweis auf § 1a Abs. 1 AsylbLG ein Rechtsfolgenverweis, erhielten Familienangehörige von
Geduldeten bzw. Ausreisepflichtigen unterschiedliche Leistungen: das im Einzelfall nach den
Umständen unabweisbar Gebotene und nicht die in § 1a Abs. 2 AsylbLG konkretisierten Leistungen.
All das ist nicht plausibel.
m. Darlegungs- und Beweislast
90 Die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchseinschränkenden Tatsachen liegt bei der Behörde.
Die Feststellungslast geht zulasten der Behörde, wenn anspruchseinschränkende Tatsachen
unerweislich bleiben oder im Fall des sog. non liquet (vgl. Rn. 42 f.).
7. Relokationsbeschlüsse und Verteilmechanismus in der EU (Absatz 4)
91 § 1a Abs. 4 AsylbLG normiert Leistungseinschränkungen für die von den sog. Relokationsbeschlüssen des Rats der Europäischen Union aus September 2015 betroffenen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen. Der Gesetzestext ist abweichend vom ursprünglichem Gesetzentwurf
88
vom 29.09.2015 kurzfristig im Gesetzgebungsverfahren drittstaatsoffen mit Rücksicht auf Belange
89
der Schweiz geändert worden. Gleichwohl bleibt fraglich, an welches Fehlverhalten des Ausländers
die Norm anknüpft, um über einen Verweis auf § 1a Abs. 2 AsylbLG die Leistungen auf das Minimum der physischen Existenz abzusenken (vgl. dazu Rn. 149 ff.). Die Gesetzesmaterialien deuten
darauf hin, dass die Norm die bloße Zugehörigkeit zum Personenkreis der „relocated people“
sanktioniert.
a. Personenkreis
92 § 1a Abs. 4 AsylbLG zieht in den Anwendungsbereich der Norm Leistungsberechtigte nach § 1
Nr. 1 AsylbLG ein; dies sind die sich im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländer, die eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylverfahrensgesetz besitzen oder Leistungsberechtigte nach § 1
Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG; dies sind die vollziehbar Ausreisepflichtigen, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist.
b. Abweichung von der Dublin III-VO
93 § 1a Abs. 4 AsylbLG setzt eine andere Zuständigkeit als die Deutschlands für die o.g. Leistungsberechtigten voraus, zunächst in Abweichung von der Regelzuständigkeit nach der sog. Dublin
III-Verordnung. Hierbei handelt es sich um die zum 01.01.2014 in Kraft getretene Verordnung
(EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 (VO (EU)
604/2013) zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für
die Prüfung eines von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten
90
Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Die dort begründete Regelzuständigkeit bedeutet,
dass die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz von Drittstaatsangehörigen oder
88
Vgl. § 1 Abs. 3 i.d.F. von Art. 2 Nr. 2b), BT-Drs. 18/6185, S. 10, S. 44.
89
Vgl. BT-Drs. 18/6386, zu Nr. 2, zu lit. a S 14.
90
Vgl. Abl. EU L 180 vom 29.06.2013, 31; zur Dublin III-VO vgl. BVerwG vom 17.09.2015 - 1 C 26.14 - InfAuslR 2016, 21.
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§ 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015
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Staatenlosen im Hoheitsgebiet durch den einen EU-Mitgliedstaat geprüft wird, wo der Antrag auf
internationalen Schutz erstmals gestellt wurde. Dies gilt auch, wenn der Antrag im internationalen
Transitbereich eines Flughafens gestellt wurde (vgl Art. 1, 7, 15 VO (EU) Nr. 604/2013).
c. Umsiedelungen
94 Überdies muss die von der Regelzuständigkeit abweichende Zuständigkeit für diese Antragsteller
nach einer Verteilung durch die Europäische Union bestehen für einen anderen Mitgliedstaat
oder für einen am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat, z.B. die Schweiz sowie Island,
Norwegen und Liechtenstein, die über Assoziierungsabkommen am Verteilmechanismus teilnehmen. Solchen Umsiedelungen (relocations) hat die EU durch den Beschluss (EU) 2015/1523
des Rates der EU vom 14.09.2015 sowie Beschluss (EU) 2015/0209 (NLE) vom 22.09.2015 zur
Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von
91
Italien und Griechenland zugestimmt. Sie enthalten vorläufige Maßnahmen, um diese Mitgliedstaaten durch den plötzlichen Zustrom von schutzbedürftigen Drittstaatsangehörigen bzw. Staatenlosen entstandene Notlage besser zu bewältigen. D.h. eine Umsiedelung nach Maßgabe der
Beschlüsse erfolgt nur bei Antragstellern, die einen Antrag auf internationalen Schutz in Italien
oder Griechenland gestellt haben und für die diese Mitgliedstaaten nach der Dublin III-VO ansonsten
zuständig gewesen wären. Die Beschlüsse der EU entfalten Verbindlichkeit (vgl. Art 288 AEUV).
95 Unter diese sog Quotenregelung fallen 160.000 Personen, die von Italien und Griechenland
vorläufig und vorübergehend in andere Mitgliedstaaten bzw. in – am Verteilmechanismus beteiligte
– Drittstaaten umgesiedelt werden (vgl. Art. 4 der Beschlüsse). Hiervon betroffene Personen, die
sich in Deutschland tatsächlich aufhalten und leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5
AsylbLG sind, erhalten dann nur das auf das unter das physische Existenzminimum reduzierte
Minimum nach § 1a Abs. 2 AsylbLG, wenn sie von der EU an einen anderen Ort als das Bundesgebiet verteilt worden sind.
d. Regelzuständigkeit nach der Dublin III-VO
96 Die minimalen Leistungen (§ 1a Abs. 2 AsylbLG) sollen auch für Leistungsberechtigte in Anwendung der sog. Dublin III-VO (EU) 604/2013 gelten (sog. Dublin-Fälle), also für die ein Drittstaat
92
zuständig ist. Aus § 1a Abs. 4 AsylbLG ergibt sich dies nicht. Möglich ist aber, dass dieser Personenkreis bei vollziehbarer Ausreisepflicht (vgl. § 34a AsylG) und Vorliegen der Voraussetzungen
von § 1a Abs. 1-3 AsylbLG den dortigen Anspruchseinschränkungen unterliegt. Leistungsabsenkungen bei vollziehbar Ausreisepflichtigen nach der Dublin III-VO auf das nach § 1a Abs. 2 AsylbLG
reduzierte Minimum dürften keinesfalls so lange rechtens sein, bis die Rücküberstellung – die
staatlich überwachte Ausreise in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mit93
gliedstaat – als gescheitert gelten muss. Dies steht der Befristungsregelung nach § 14 AsylbLG
entgegen. Die über einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) eingereisten Leistungsberechtigten
werden jetzt auch durch den im AsylPaket II eingefügten § 11 Abs. 2a AsylblG berücksichtigt, für
die eine Leistungsabsenkung entsprechend § 1a Abs. 2 Sätze 2 bis 4 AsylbLG während der frühen
Phase ihres Aufenthalts im Bundesgebiet vorgesehen ist.
94
91
Vgl. Abl. EU L 239 vom 15.09.2015, 146 und Abl. EU L 248 vom 24.09.2015, 80.
92
So Thym, NVwZ 2015, 1625, 1630.
93
So aber Thym, NVwZ 2015, 1625, 1630.
94
Vgl. BT-Drs. 18/7538 v. 16.02.2016, S. 24; BT-Drs. 18/7645 v. 23.02.2016; Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom
11.03.2016, BGBl I 2016, 390, 392.
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e. Fehlverhalten
97 Kann allein die Festlegung von Zuständigkeits- und Verteilungsfragen zwischen EU- Mitgliedstaaten
für Schutzbedürftige die Leistungsabsenkung auf das physische Existenzminimum legitimieren?
Der Wortlaut von § 1a Abs. 4 AsylbLG lässt ein konkretes ausländerrechtliches Fehlverhalten
vermissen. Ebenso sprechen die Gesetzesmaterialien dafür, dass der Gesetzgeber allein an die
Zugehörigkeit zum Personenkreis der sog. „relocated people“ anknüpft, um die Leistungen zur
Vermeidung einer Sekundärmigration EU-weit abzusenken. Dies allerdings steht im Widerspruch
dazu, dass Leistungsabsenkungen nicht mit migrationspolitischen Erwägungen zu rechtfertigen
sind, um Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich hohes Leistungsniveau
95
zu vermeiden.
Zweifelhaft ist auch, ob die Norm dem Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3
Abs. 1 GG gerecht wird. Denn den von Anspruchseinschränkungen Betroffenen, insb. Leistungsberechtigte nach § 1 Abs.1 Nr. 5 AsylbLG, wird in § 1a Abs. 1 bis 3 AsylbLG ein konkretes, selbst
zu vertretendes ausländerrechtliches Fehlverhalten vorgeworfen, als Folge dessen eine Leistungseinschränkung greift. Das aber regelt § 1a Abs. 4 AsylbLG dem Wortlaut nach nicht. Die sozialleistungsmotivierte (Sekundär-)Migration wird vielmehr in § 1a Abs. 1 AsylbLG sanktioniert.
IV. Rechtsfolgen, insbesondere zu Absatz 1
1. Unterschiedliche Rechtsfolgen
98 Als Rechtsfolge normierte § 1a AsylbLG in der bis zum 23.10.2015 gültigen Fassung für beide
Sanktionstatbestände von § 1a Nr. 1 und Nr. 2 AsylbLG a.F. die Anspruchseinschränkung auf das
„im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar Gebotene“. Diese Rechtsfolge der Anspruchseinschränkung gilt seit 24.10.2015 nur noch für die sozialleistungsmotivierte Einreise in das Bundesgebiet nach § 1a Abs. 1 AsylbLG. Die Regelungen in § 1a Abs. 2-4 AsylbLG sehen als Rechtsfolge
ein neues gesetzlich normiertes reduziertes physisches Existenzminimum vor (vgl. dazu Rn. 149
ff.). Neu ist, dass die reduzierten Leistungen in § 1a Abs. 2 AsylbLG konkret benannt sind, während
§ 1a Abs. 3 und Abs. 4 AsylbLG hierauf entsprechend verweisen bzw. auf die Rechtsfolge Bezug
nehmen. Dem von der Rechtsfolge des § 1a Abs. 2 AsylbLG betroffenen Personenkreis werden
zeitlich befristet (vgl. § 14 AsylbLG) nur noch Leistungen zur Deckung seines notwendigen Bedarfs
an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt
(§ 1a Abs. 2 Satz 2 AsylbLG), ohne Bedarfe an Kleidung und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern
des Haushalts. Dies ist ein gesetzlich neu festgelegtes Leistungsminimum (vgl. dazu Rn. 149
ff.).
2. Kein Ermessen
99 § 1a Abs. 1 AsylbLG ist keine Ermessensvorschrift. Auch § 1a Abs. 2-4 AsylbLG enthält keine
Ermessenermächtigung. Hierauf deutet der Wortlaut hin „erhalten Leistungen nach diesem Gesetz
nur“. Die Behörde ist gebunden und verpflichtet, die Leistungen einzuschränken, wenn der
Sanktionstatbestand von § 1a Abs. 2-4 AsylbLG erfüllt ist. Dies ergibt sich auch aus der Formulierung in § 1a Abs. 2 AsylbLG „ihnen werden nur noch Leistungen … gewährt“.
95
Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 u.a. - BVerfGE 132, 134, Rn. 95.
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3. Das unabweisbar Gebotene
100 Die Rechtsfolge von § 1a Abs. 1 AsylbLG der „unabweisbar gebotenen“ Leistung ist rechtstechnisch
ein unbestimmter Rechtsbegriff, der uneingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist. Ein behördlicher Beurteilungsspielraum besteht nicht, weil es sich um eine grundrechtsintensive Leistungsabsenkung handelt, bei der die Gerichte in jedem Einzelfall die Behördenentscheidung darauf hin
zu prüfen haben, ob das Existenzminimum nach Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art 20 Abs. 1 GG noch
gewahrt ist. Das unabweisbar Gebotene erschließt sich nach dem Wortlaut der Norm nur anhand
der Umstände des konkreten Einzelfalls. Was im Einzelfall unabweisbar geboten ist, kann daher
im Einzelfall höchst unterschiedlich ausfallen.
4. Kein Anspruchsausschluss
96
101 Als Rechtsfolge von § 1a AsylbLG tritt eine Anspruchseinschränkung ein. Ein Anspruchsausschluss lässt sich hingegen auf der Grundlage von § 1a AsylbLG nicht begründen. Hiergegen
spricht neben dem Wortlaut der Norm die unterschiedliche Ausgestaltung im Bereich des SGB XII.
Dort ist ausdrücklich geregelt, unter welchen Voraussetzungen ein Anspruchsausschluss – und
eben keine Anspruchseinschränkung – vorliegt (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII bzw. vormals
§ 120 Abs. 3 Satz 1 BSHG). Einen Anspruchsausschluss enthält z.B. § 5 Abs. 4 Satz 2 AsylbLG
bei unbegründeter Ablehnung einer Arbeitsgelegenheit.
5. Umstände des konkreten Einzelfalls
102 Die unabweisbar gebotenen Leistungen sind nach Maßgabe der jeweiligen konkreten Umstände
des Einzelfalls festzulegen. Dies setzt voraus, dass die zuständige Leistungsbehörde im konkreten
Einzelfall auch entsprechende Sachverhaltsermittlungen durchgeführt hat, die eine solche Einschätzung erlauben. Hierbei bezieht sich die Einzelfallprüfung, ob die gewährte Leistung zu kürzen
ist, auf welche Art und Weise (Geld- oder Sachleistung), in welchem Umfang und für welche
Dauer. Eine Anspruchseinschränkung anhand von Pauschalen (z.B. prozentuale Abschläge)
97
verbietet sich daher von vornherein.
103 Bei den konkreten Umständen des Einzelfalls ist immer die Aufenthaltsdauer in den Blick zu
nehmen. Hierzu zählt der bereits in der Bundesrepublik zurückgelegte Aufenthalt wie die weitere
voraussichtliche Verweildauer. Dies gilt auch bei unrechtmäßigem Aufenthalt und bestehender
Ausreisepflicht, so dass sich eine pauschale Betrachtung auch hier verbietet. Wenn eine konkrete,
kurzfristige Rückkehr in das Heimatland bevorsteht, kann dieser Gesichtspunkt von Relevanz sein
für die Frage, welche Leistungen noch im Bundesgebiet unabweisbar geboten sind und welche
in Kürze schon im Heimatland erbracht werden können. Ebenso ist bei nicht absehbarer Rückkehr
und langjährigem Aufenthalt in der Bundesrepublik unter Umständen keine oder eine geringere
Anspruchseinschränkung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten in Erwägung zu ziehen mit
Rücksicht auf den zweifelsohne dann vorhandenen Integrationsbedarf.
6. Grenzen der Anspruchseinschränkung
a. Verfassungsrechtlich garantiertes Existenzminimum
104 Die nicht zu unterschreitende untere Grenze einer Anspruchseinschränkung ist das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum gem. Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 GG zur Führung eines
menschenwürdigen Lebens, um dem verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzip Rechnung
zu tragen. Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch erstreckt sich nur auf jene
96
So die h.M.; vgl. nur Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, 5. Aufl. 2014, SGB XII, § 1a AsylbLG Rn. 33 m.w.N.
97
Dem folgend: LSG Niedersachsen-Bremen v. 08.04.2014 - L 8 AY 57/13 B ER - juris Rn. 20.
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Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Lebens unbedingt erforderlich sind. Er
gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie,
die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft,
Heizung, Hygiene und Gesundheit, als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kultu98
rellen und politischen Leben umfasst. Eine vollständige Versagung oder die komplette Einstellung
der Sozialleistungen auf der Grundlage von § 1a AsylbLG ist daher von vornherein unzulässig.
Allerdings kommt dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs
der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Dieser umfasst die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung der notwendigen Bedarfe und ist
zudem von unterschiedlicher Weite: Er ist enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der
physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiert, und weiter, wo es um Art und
99
Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht. Die Anspruchseinschränkung auf das hier relevante unabweisbar Gebotene darf keinesfalls unter die Sicherung der physischen Existenz eines Menschen gehen. Ob und in welchem Umfang Leistungen im Bereich der
soziokulturellen Teilhabe einzuschränken sind, ist umstritten.
105 Unterhalb der Grenze eines verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums dürfte jedenfalls
die auf die Reisekosten in das Heimatland (Fahrkarte, Flugticket) und den notwendigen Reiseproviant beschränkte Leistung sein. Eine solche Anspruchseinschränkung dürfte daher von
100
vornherein unzulässig sein.
§ 1a AsylbLG muss das verfassungsrechtlich garantierte Existenz-
minimum auch während des unrechtmäßigen Aufenthaltes bis zur Aufenthaltsbeendigung stets
und jederzeit sicherstellen.
b. Zur Ausstrahlungswirkung von BVerfG vom 18.07.2012
106 Eine Ausstrahlungswirkung in Bezug auf die Rechtsfolgenseite von § 1a AsylbLG kommt dem
101
Urteil des BVerfG
zu, das entschieden hat, dass die Höhe der Geldleistungen nach § 3 AsylbLG
in der bis zum 28.02.2015 gültigen Fassung (a.F.) evident unzureichend war. Die Regelungen
von § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 AsylbLG a.F. und § 3 Abs. 2 Satz 3 AsylbLG i.V.m. § 3 Abs. 1
Satz 4 Nr. 1 bzw. 2 AsylbLG a.F. verstießen gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG und
waren verfassungswidrig, weil sie seit 1993 trotz erheblicher Preissteigerungen nicht angepasst
worden sind und ein menschenwürdiges Existenzminimum damit nicht mehr gewährleistet
wurde (vgl. die Kommentierung zu § 3 AsylbLG). Es hatte den Gesetzgeber verpflichtet, unverzüglich für den Anwendungsbereich des AsylbLG eine Neuregelung zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums zu schaffen und hat bis dahin selbst eine Übergangsregelung angeordnet (vgl. die Kommentierung zu § 3 AsylbLG zur übergangsweise geltenden Höhe der Regelbedarfe nach § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG a.F. und zur Höhe des Geldbetrags zur Deckung
persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens nach § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG a.F.). Diesen
Vorgaben hat der Gesetzgeber erst durch die zum 01.03.2015 in Kraft getretenen Änderungen
102
des AsylbLG Rechnung getragen.
98
Vgl. BVerfG v. 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. m.w.N. - BVerfGE 125, 175 = BSG SozR 4-4200 § 20 Nr. 12.
99
Vgl. BVerfG v. 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. m.w.N. - BVerfGE 125, 175 = BSG SozR 4-4200 § 20 Nr. 12.
100
Vgl. Adolph/Linhart, SGB II SGB XII AsylbLG, § 1a Rn. 25, Stand August 2012; Hohm, AsylbLG, § 1a Rn. 150, Stand Juli 2010 m.w.N.
101
Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 =
ZFSH/SGB 2012, 450.
102
Vgl. das Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10.12.2014 (BGBl I 2014,
2187).
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§ 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015
jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann
107 Die Frage der Leistungseinschränkung auf das unabweisbar Gebotene musste wegen der
Entscheidung des BVerfG neu gestellt werden. Maßgeblich hierfür ist die tragende Feststellung
des BVerfG: „Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch
103
nicht zu relativieren.“
Demnach können migrationspolitische Erwägungen, Leistungen an
Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch
ein international vergleichbares hohes Leistungsniveau zu vermeiden, von vornherein ein Absenken
des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum nicht
104
rechtfertigen.
Damit ist die Grenze dessen beschrieben, die bei Leistungsberechtigten nach
dem AsylbLG nicht unterschritten werden darf. Auch wenn diese Entscheidung des BVerfG nicht
zu § 1a AsylbLG ergangen ist, zeigt sie gleichwohl eine hierauf bezogene Ausstrahlungswirkung.
Die Instanzgerichte haben sich mit der Frage, ob § 1a AsylbLG im Lichte der Verfassungswidrigkeit
von § 3 AsylbLG a.F. noch verfassungskonform ist, beschäftigt und sie unterschiedlich beantwortet.
Die Entscheidungen, die angesichts ihrer Fülle hier nicht umfassend dargestellt werden können,
sind im vorläufigen Rechtsschutz und auf der Basis des vom BVerfG angeordneten Übergangsrechts ergangen, weil eine gesetzliche Neuregelung bislang fehlte.
108 Da sich aber aus der zum 01.03.2015 in Kraft getretenen Regelung von § 1a AsylbLG dem
Wortlaut nach nichts Näheres zur Lösung der vorgenannten Problematik ergibt, hat die unten
stehende Rechtsprechung mindestens solange Relevanz, bis sich auf der Basis der Neuregelung
von § 3 AsylbLG – die sich an der Übergangsregelung des BVerfG orientiert – eine neue Rechtsprechung zu § 1a AsylbLG herausgebildet hat. Der Gesetzgeber hat jedenfalls die Lösung der
aus der Entscheidung des BVerfG vom 18.07.2012
105
im Hinblick auf § 1a AsylbLG hervorgegan-
genen Problematik (ob der Leistungsanspruch einzuschränken und welcher Bedarf über welchen
Zeitraum zu kürzen ist) vollends der Klärung durch die Rechtsprechung überlassen.
aa. Rechtsprechung im vorläufigen Rechtsschutz vor dem zum 01.03.2015 in Kraft getretenen
§ 3 AsylbLG
106
109 Das Bayerische LSG
hat die Frage, ob Leistungseinschränkungen nach § 1a Nr. 2 AsylbLG
a.F. (hier: Verweigerung des Barbetrags nach § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG a.F. über mehr als
3 Jahre) nach dem Urteil des BVerfG vom 18.07.2012 grundsätzlich verwehrt sind, im Rahmen
seiner Folgenabwägung bewusst offengelassen: Es sei durchaus möglich, dass die Beschwerdeführerin Anspruch auf das Taschengeld habe nach der Übergangsregelung im Urteil des BVerfG.
Es weist aber auch ausdrücklich darauf hin, dass § 1a AsylbLG nach dem Referentenentwurf des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung
des AsylbLG, Bearbeitungsstand 04.12.2012, unverändert bestehen bleiben solle und eine Vielzahl
der Erlasse der Bundesländer zur Umsetzung des Urteils des BVerfG v. 12.07.2012 die weitere
Anwendbarkeit des § 1a AsylbLG a.F. bejahten, weil es sich um eine zulässige Vorschrift gegen
Sozialleistungsmissbrauch handele.
103
BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 =
ZFSH/SGB 2012, 450.
104
BVerfG v. v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 =
ZFSH/SGB 2012, 450.
105
BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 =
ZFSH/SGB 2012, 450.
106
Bay. LSG v. 24.01.2013 - L 8 AY 2/12 B ER und L 8 AY 4/12 B ER - juris; mit Anmerkung Wahrendorf, jurisPR-SozR 15/2013, Anm. 2.
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§ 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015
jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann
110 In Entscheidungen des LSG Nordrhein-Westfalen, des LSG Rheinland-Pfalz und des LSG
Berlin-Brandenburg wurde der Rechtsbegriff der „im Einzelfall unabweisbar gebotenen Leistungen“
auf der Rechtsfolgenseite des § 1a AsylbLG a.F. verfassungskonform so ausgelegt, dass für die
Zeit bis zu der vom BVerfG eingeforderten gesetzlichen Neuregelung keine Absenkung der
Grundleistungen von § 3 AsylbLG a.F. auf das Niveau von § 1a AsylbLG in Betracht kommt
(Verweigerung oder Kürzung des Barbetrags).
107
So wurde argumentiert, dass auch im Rahmen
von § 1a AsylbLG der Leistungsumfang das menschenwürdige Existenzminimum nicht unterschreiten dürfe. Insofern könnten sich bei summarischer Prüfung für die nach § 1a AsylbLG unabweisbar
zu gewährenden Leistungen wertmäßig keine Unterschiede zu jenen Leistungen ergeben, die
nach dem AsylbLG Leistungsberechtigten als Übergangsleistungen nach § 3 AsylbLG a.F. zur
Verfügung zu stellen seien.
108
111 Das LSG Hessen
hat eine langjährige, fast sechsjährige Leistungskürzung nach § 1a Nr. 1
AsylbLG a.F. als nicht mehr verfassungsgemäß unter Beachtung eines restriktiven Auslegungsmaßstabs gesehen. Es hat seine Entscheidung damit begründet, dass eine solche Leistungseinschränkung nur im Hinblick auf einen absehbar kurzen Aufenthalt des Ausländers im Inland
verfassungskonform sei, weil nur dann von einem besonderen, verminderten Bedarf auszugehen
sei.
109
112 Das LSG Hamburg
110
, das LSG Niedersachsen-Bremen
112
Sachsen-Anhalt
, auch das LSG Berlin-Brandenburg
111
, das Thüringer LSG
113
, das SG Münster
114
, das LSG
haben hingegen
keine verfassungsrechtlichen Bedenken geäußert und Leistungsabsenkungen z.B. um den Barbetrag zur Deckung des täglichen Lebens (40,90 € monatlich) wie auch Leistungskürzungen in Höhe
von Leistungen des soziokulturellen Existenzminimums (z.B. bei der jeweiligen Regelbedarfsstufe
bzw. insgesamt i.H.v. 15%-20%) für rechtens erachtet. Für die Rechtmäßigkeit dieser Leistungsabsenkungen nach § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. wurde auf vergleichbare Möglichkeiten von Leistungskürzungen im Grundsicherungsrecht, die an Mitwirkungshandlungen anknüpfen (§ 31 SGB II,
§§ 26, 41 Abs. 4 SGB XII), Bezug genommen. Demnach hätten die Beteiligten es selbst in der
Hand, durch ihr Verhalten Leistungskürzungen zu beenden.
115
113 Das SG Stade
hat ausgeführt, dass das aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG abgeleitete Grundrecht
auf ein menschenwürdiges Existenzminimum keinen von Mitwirkungsobliegenheiten und Eigenaktivitäten unabhängigen Anspruch auf Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums gewährleiste, sondern in Fällen pflicht- oder gar sozialwidrigen Verhaltens (nur) verbiete, den Einzelnen
ohne jede Alternative in einer Situation zu belassen, in der das physische Existenzminimum
107
Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen v. 24.04.2013 - L 20 A Y 153/12 BER - juris, mit beachtlichen Gründen; LSG Rheinland-Pfalz v.
27.03.2013 - L 3 A Y 2/13 B ER - juris; LSG Berlin-Brandenburg v. 06.02.2013 - L 15 A Y 2/13 B ER und LSG Berlin-Brandenburg v.
10.12.2013 - L 15 A Y 23/13 BER, L 15 AY 24/13 B PKH; im Ergebnis so auch die erste Instanz: SG Lüneburg v. 13.12.2012 S 26 A Y 26/12 ER; SG Düsseldorf v. 19.11.2012 - S 17 A Y 81/12 ER; SG Altenburg v. 11.10.2012 - S 21 A Y 3362/12 ER; SG Köln v.
25.01.2013 - S 21 A Y 6/13 ER; SG Leipzig v. 20.12.2012 - S 5 A Y 55/12 ER; SG Gelsenkirchen v. 21.01.2013 - S 32 A Y 120/12; SG
Magdeburg v. 24.01.2013 - S 22 A Y 25/12 ER;SG Würzburg v. 01.02.2013 - S 18 A Y 1/13 ER;SG Hildesheim v. 27.12.2012 S 42 AY 9/12 ER.
108
Vgl. LSG Hessen v. 09.12.2013 - L 4 AY 17/13 B ER - juris.
109
LSG Hamburg v. 29.08.2013 - L 4 AY 5713 ER, L 4 AY 6/13 PKH - juris.
110
LSG Niedersachsen-Bremen v. 20.03.2013 - L 8 AY 59/12 B ER - juris; LSG Niedersachsen-Bremen v. 18.02.2014 - L 8 AY 70/13 B
ER - juris und LSG Niedersachsen-Bremen v.08.04.2014 - L 8 AY 57/13 B ER - juris.
111
LSG Thüringen v. 17.01.2013 - L 8 AY 1801/12 B ER - juris.
112
LSG Sachsen-Anhalt v. 19.08.2013 - L 8 AY 3/13 B ER - juris; LSG Sachsen-Anhalt v. 02.09.2013 - L 8 AY 5/13 B ER - juris.
113
LSG Berlin-Brandenburg v. 23.07.2013 - L 23 AY 10/13 B ER - juris.
114
SG Münster v. 27.02.2013 - S 12 AY 11/13 R - juris; anders aber SG Münster v. 01.03.2013 - S 12 AY 13/13 R - juris.
115
SG Stade v. 05.03.2013 - S 33 AY 53/12 ER - juris; vgl. auch SG Stade v. 13.06.2013 - S 33 AY 50/12 - juris.
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jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann
aktuell nicht gewährleistet sei. Wenn Einschränkungen der Leistungen nach SGB II und SGB XII
auch angesichts der Rechtsprechung des BVerfG zur Höhe der Leistungen nach dem SGB II
grundsätzlich zulässig seien und zugleich für Leistungsbezieher nach SGB II, SGB XII und AsylbLG
hinsichtlich des Anspruchs auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums dieselben
Maßstäbe gelten sollten, sei kein Grund erkennbar, warum Leistungen nach dem AsylbLG dem
Grunde nach nicht eingeschränkt werden könnten. Dementsprechend lehnt sich das SG bei dem
Umfang der Leistungseinschränkung an § 26 SGB XII an.
116
114 Das SG Hildesheim
hat die Auffassung vertreten, dass aus dem Urteil des BVerfG
117
zumindest
die Verpflichtung zu einer sehr restriktiven Auslegung und Anwendung des § 1a AsylbLG a.F.
folge. Die vollständige Streichung des Barbetrages zur Deckung des soziokulturellen Existenzminimums scheide danach ebenso aus wie eine dauerhafte Leistungseinschränkung.
bb. Stellungnahme
115 Die volle Tragweite der Entscheidung des BVerfG
118
ergibt sich daraus, dass das überkommene
Regelungskonzept des AsylbLG als weder realitätsgerecht noch frei von Diskriminierung
119
verworfen worden ist. Das BVerfG hat aufgezeigt, dass die bis dahin maßgebliche Annahme des
Gesetzgebers (quasi die Geschäftsgrundlage), auf dem das AsylbLG beruht, sich in der Realität
mangels empirischer Grundlage als nicht fundiert erwiesen hat. Dies lässt sich an den bemerkenswerten Worten des BVerfG nachvollziehen, dass das Regelungskonzept des AsylbLG von einem
kurzfristigen und vorübergehenden Aufenthalt ausgeht, während der überwiegende Teil des Personenkreises, der vom AsylbLG erfasst wird, sich bereits mehr als sechs Jahre in Deutschland
aufhält. Daher fehlt ein plausibler Beleg, dass der vom AsylbLG erfasste Personenkreis sich typischerweise nur für kurze Zeit in Deutschland aufhält. Auch hat es bezweifelt, ob die dem Gesetz
zugrunde liegende Annahme, dass ein kurzer Aufenthalt eine begrenzte Leistungshöhe rechtfertigt,
zutrifft. Damit hat das BVerfG den Boden bereitet, um sich von der bis dahin vorherrschenden
ausländerrechtlichen Sichtweise zu lösen, dass ein Leistungsanspruch auf Sozialhilfeniveau nur
bei einem gesicherten – und nicht bei ungesichertem – Daueraufenthalt besteht.
120
Die bis dahin
vorherrschende Interpretation des AsylbLG als ein Annex des Ausländerrechts ist zugunsten einer
auf den existenzsichernden Bedarf von Menschen – unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit –
gerichteten Auslegung korrigiert worden. Das menschenwürdige Existenzminimum (bestehend
aus einem physischen und soziokulturellen Minimum) muss vom Beginn des Aufenthalts in der
Bundesrepublik realisiert werden. Migrationspolitisch ist die Menschenwürde nicht zu relativieren
und daher können migrationspolitische Erwägungen, von vornherein kein Absenken des Leistungs121
standards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen.
Dem Gesetz-
geber hat das BVerfG aufgegeben, ein empirisch fundiertes, datenbasiertes Regelungssystem zu
schaffen, mit Hilfe dessen sich die konkreten existenzsichernden Bedarfe für den nicht homogenen
Personenkreis nach dem AsylbLG nachvollziehen lassen; nur so können evtl. Minderbedarfe
realitätsgerecht nachvollzogen werden. Bis dahin aber hat es mangels vorhandener Daten bzw.
116
SG Hildesheim v. 27.12.2012 - S 42 AY 9/12 ER - juris; SG Hildesheim v. 06.12.2012 - S 42 AY 152/12 ER - juris.
117
BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 =
ZFSH/SGB 2012, 450.
118
BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 =
ZFSH/SGB 2012, 450; zuvor BVerfG v. 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - BVerfGE 125, 175 = BSG SozR 4-4200 § 20 Nr. 12.
119
Vgl. Baer, Recht und Politik 2013, 90, 96.
120
Vgl. Eichenhofer, SGb 2012, 565.
121
Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - juris Rn. 95 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012,
1024 = ZFSH/SGB 2012.
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§ 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015
jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann
anderer Erkenntnisse über Bedarfe solcher Menschen den übergangsweisen Bedarf entsprechend
den §§ 5-8 RBEG der Höhe nach selbst festgelegt (vgl. im Einzelnen die Kommentierung zu § 3
AsylbLG Rn. 6 ff.). Die Rechtsprechung des BVerfG steht insofern im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH, der entschieden hat, dass Leistungen für Asylbewerber hoch genug sein müssen,
um die Grundbedürfnisse der Asylbewerber zu decken und ihnen ein menschenwürdiges Leben
122
zu ermöglichen, bei dem ihre Gesundheit gewährleistet ist.
116 Angesichts der evident unzureichenden Leistungen nach dem bis zum 28.02.2015 geltenden
§ 3 AsylbLG a.F. und der ausdrücklichen Rechtsfolgenanordnung des BVerfG war daher bis zum
Inkrafttreten einer Neuregelung kein Raum für Leistungskürzungen, die unterhalb der Höhe
der vom BVerfG übergangsweise genannten Beträge lagen. Andernfalls bestand die Gefahr, dass
das existenzsichernde Minimum unterschritten würde. Es wäre dann nicht auszuschließen gewesen, dass das auf der Rechtsfolgenseite in § 1a AsylbLG a.F. genannte unabweisbar Gebotene ebenfalls unterschritten wäre. Nach der Gesetzeslage war unklar, ob beide Begriffe dieselbe
Untergrenze beschreiben bzw. worin der graduelle Unterschied liegen sollte.
123
Dies festzulegen,
wäre an sich Aufgabe des Gesetzgebers gewesen. Dass der Barbetrag nach § 3 Abs. 1 Satz 4
AsylbLG a.F. als Leistung der soziokulturellen Teilhabe zum notwendigen Existenzminimum zählt,
stand nach der Entscheidung des BVerfG vom 18.07.2012 außer Frage. Solange eine Neuregelung
nicht existierte, war ungewiss, welche existenzsichernden Bedarfe zu decken sind und wie sich
das nicht zu unterschreitende Existenzminimum für den Personenkreis nach § 1 AsylbLG zusammensetzte. Daher war bis auf weiteres als Rechtsfolge von § 1a AsylbLG a.F. die vom BVerfG
in der Übergangsregelung genannte Leistungshöhe im Einzelfall zu gewähren; dies führte aber
nicht etwa dazu, dass die Vorschrift tatbestandsmäßig „außer Kraft“ gesetzt wurde.
124
cc. Rechtslage nach dem vom 01.03.2015 bis 23.10.2015 geltenden AsylbLG
117 Aus der bis 23.10.2015 gültigen Regelung von § 1a AsylbLG a.F. ergibt sich nicht, in welchem
Umfang und über welche zeitliche Dauer Anspruchseinschränkungen zulässig sind; insofern ist
auch keine relevante Änderung im Hinblick auf den seit 24.10.2015 gültigen § 1a Abs. 1 AsylbLG
erfolgt. Der Gesetzgeber überlässt insofern weiterhin der Rechtsprechung die Beantwortung der
Frage, ob eine Anspruchseinschränkung verfassungskonform ist und ggf. wo genau das zulässige
Maß einer Einschränkung des Anspruchs auf das unabweisbar Gebotene liegt. Nach der Neukonzeption von 3 AsylbLG a.F. zum 01.03.2015 (vgl. im Einzelnen die Kommentierung zu § 3 AsylbLG)
ging der Gesetzgeber stillschweigend davon aus, dass es graduelle Unterschiede gibt zwischen
dem in § 3 AsylbLG a.F. gesetzlich festgelegten menschenwürdigen Existenzminimum und dem
unabweisbar Gebotenen in § 1 Nr. 1 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 1 AsylbLG. Dieser unbestimmte
Rechtsbegriff bedarf nach wie vor der Auslegung und Konkretisierung durch die Rechtsprechung.
Damit sind Vorschläge im Gesetzgebungsverfahren unberücksichtigt geblieben, die weitere Konkretisierungen in der Norm gefordert hatten (vgl. Rn. 3). Wünschenswert wäre gewesen, dass die
Neuregelung von § 1a AsylbLG ein transparentes Sanktionskonzept enthalten hätte, ähnlich wie
es in §§ 31, 31a, 31b SGB II normiert ist. Dies ist leider nicht erfolgt.
118 Daher wird sich die Rechtsprechung auch weiterhin fragen müssen, wo Spielraum für eine Anspruchseinschränkung besteht, um das vom Gesetzgeber festgelegte Existenzminimum auf das
unabweisbar Gebotene beschränken zu dürfen. Anknüpfungspunkt könnte der dem Gesetzgeber
122
Vgl. EuGH v. 27.02.2014 - C-79/13 - juris Rn. 48 - Saciri.
123
Vgl. dazu auch Rothkegel, ZAR 2012, 357, 366.
124
A.A. Deibel, ZFSH/SGB 2013, 252 unter Bezugnahme auf LSG Thüringen v. 17.01.2013 - L 8 AY 1801/12 B ER.
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§ 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015
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auch vom BVerfG eingeräumte Gestaltungsspielraum sein, im Rahmen dessen er bestimmt hat,
in welcher Höhe Bedarfe zur Sicherung der physischen und sozialen Existenz notwendig sind.
Weiter ist der Spielraum, wenn es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht, enger hingegen im Bereich des physischen Existenzminimums. Im Bereich
des soziokulturellen Existenzminimums sind Leistungseinschränkungen denkbar, wenn angesichts
einer kurzen Aufenthaltsdauer bestimmte konkrete Bedarfe geringer sind oder erst gar nicht entstehen. Von Bedeutung ist aber, dass auch in einem solchen Fall der individuelle (Minder-)Bedarf
geprüft und ermittelt wird. Ob das unabweisbar Gebotene mit dem in §1a Abs. 2 AsylbLG neu
definierten Leistungsminimum identisch ist, ist fraglich. Dem Gesetzgeber bleibt es jedenfalls auch
weiterhin überlassen, ob er das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichert.
125
119 Allerdings kann der Verweis auf die nach dem SGB II/SGB XII als verfassungsgemäß erachteten
126
Leistungskürzungen
nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in § 1a AsylbLG um andere Kon127
stellationen geht und sich Bedarfszumessungen folglich auch anders darstellen.
So betrifft der
Tatbestand von § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 1 AsylbLG nicht nur – aber wohl überwiegend – einen generalpräventiven Zweck, der Ausländer davon abhalten soll, überhaupt in das
128
Bundesgebiet einzureisen.
Ist dieser Tatbestand verwirklicht, so lässt sich das sanktionierte
Verhalten nur dann durch eigenes Handeln abstellen, wenn die Personen wieder freiwillig ausreisen,
was regelmäßig nicht der Fall ist, oder durch hoheitliche Maßnahmen der Rückführung in die
Heimat, die oftmals jahrelang nicht zielführend sind. Die auf einen nur vorübergehenden Aufenthalt
in der Bundesrepublik zugeschnittene Variante von § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 1
AsylbLG verliert dann aber ihre eigentliche Zweckbestimmung.
120 Einer Anspruchseinschränkung nach § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 1 AsylbLG wird
sich im Grundsatz dann mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum in
Einklang bringen lassen, wenn die Variante sehr restriktiv gehandhabt wird. Dass das AsylbLG
eine Sanktion an ein Verhalten knüpft, welches von der Intention getragen ist, Sozialleistungen
durch die Einreise gezielt zu erlangen, ist grundsätzlich nicht „sachfremd“. Denn auch dem AsylbLG
liegt der Gedanke zugrunde, dass Notlagen nicht vorsätzlich herbeigeführt werden sollen (vgl.
auch § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII). Befinden sich die Personen allerdings auf dem Territorium der
Bundesrepublik, steht ihnen die existenzsichernde Mindestsicherung zu, weil die Menschenwürde migrationspolitisch nicht zu relativieren ist.
129
Das unabweisbar Gebotene richtet sich
dann im Einzelfall nach der konkreten Lebenssituation, wobei der Aufenthaltsstatus und die
Aufenthaltsdauer zu berücksichtigen sind. Hingegen hat die Art und Schwere des Fehlverhaltens
bei der Bedarfsprüfung außer Betracht zu bleiben. Halten sich die Personen z.B. gleichwohl längere Zeit in der Bundesrepublik auf und besteht keine Aussicht auf eine absehbare Rückkehr in
die Heimat, sind die Bedarfe an der dann bestehenden konkreten Lebenssituation zu bemessen.
125
Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 =
ZFSH/SGB 2012; BVerfG v. 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - BVerfGE 125, 175 = BSG SozR 4-4200 § 20 Nr. 12.
126
Vgl. zur Verfassungskonformität von Leistungskürzungen des SGB II um 30 v.H.: BSG vom 29.04.2015 - B 14 AS 19/14 R - SozR 44200 § 31a Nr. 1; die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen: BVerfG v. 11.12.2015 - 1 BvR 2684/15 - juris;
zum vorherigen Diskussionsstand zum SGB II: vgl. Berlit, info also 2013, 195; dagegen Neskovic, info also 2013, 205; Neskovic/Erdem,
SGB 2012, 134, 138 f.; differenzierend dazu Kempny/Krüger, SGb 2013, 384, 389 f.
127
Vgl. instruktiv zu diesem Problem auch Thüringer LSG v. 12.03.2014 - L 8 AY 678/13 - juris Rn 44 f.
128
Vgl. Kempny/Krüger, SGb 2013, 384, 389, die diesen Zweck konsequent als sachfremde Erwägung bezeichnen bei der Festlegung
des existenznotwendigen Bedarfs.
129
Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = BSG SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 =
ZFSH/SGB 2012.
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Die Wirkung des nach § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. bzw. § 1a AsylbLG inkriminierten Verhaltens muss
sich daher aus Gründen der Verhältnismäßigkeit bei einem nicht lediglich kurzen Aufenthalt
in der Bundesrepublik in zeitlicher Hinsicht erschöpfen. Beschränkungen auf einen vierjährigen
Zeitraum nach § 1a Nr. 1 AsylbLG a.F. entbehren jeder tragfähigen Grundlage und sind daher
130
„ins Blaue hinein“ gegriffen.
121 Bei Anspruchskürzungen nach § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 3 AsylbLG geht es um
Sanktionen, die auf einer von den Ausländern selbst zu vertretenden Unmöglichkeit des Vollzugs
aufenthaltsbeendender Maßnahmen beruhen. Diese Personen können folglich die Leistungskürzungen durch eigenes Verhalten abwenden. Dies setzt allerdings voraus, dass der Zweck der
Leistungskürzung überhaupt noch erreicht werden kann. Insofern verbieten sich aus Gründen der
Verhältnismäßigkeit jahrelange Leistungskürzungen, wenn es allein durch Zeitablauf völlig aussichtslos geworden ist, dass der Leistungszweck noch erreicht werden könnte, z.B. weil die lange
Aufenthaltsdauer das Verlassen des Bundesgebiets in hohem Maße unwahrscheinlich gemacht
131
hat.
Auch dann ist die konkrete Lebenssituation in den Blick zu nehmen, anhand derer der indi-
viduelle Bedarf zu ermitteln ist.
122 Eine verfassungskonforme Anwendung der Norm müsste daher Folgendes sicherstellen:
•
132
Einschränkungen des Leistungsanspruchs sind in jeder Hinsicht restriktiv zu handhaben
unter strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in jedem Einzelfall.
•
Der Leistungssuchende muss in der Lage sein, d.h. es muss ihm objektiv möglich und subjektiv zumutbar sein, das ihm vorgeworfene Fehlverhalten selbst abzustellen; d.h. besteht
eine solche Möglichkeit nicht, dürfen Leistungen auch nach § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. bzw. § 1a
133
Abs. 3 AsylbLG nicht eingeschränkt werden.
•
Leistungseinschränkungen dürfen nur zeitlich begrenzt verhängt werden (z.B. über drei Monate mit maximaler Verlängerung auf sechs Monate innerhalb eines Jahreszeitraumes). Keinesfalls dürfen sie dauerhaft und auch nicht langjährig verhängt werden
134
(vgl. hierzu § 14
AsylbLG).
•
Die Verhängung von Leistungseinschränkungen setzt ein rechtmäßiges Verwaltungsverfahren
(Anhörung und schriftlicher Verwaltungsakt) voraus.
135
123 Allein die Beachtung dieser Vorgaben dürfte schon zu einer erheblichen Änderung der Verwaltungspraxis der Behörden beitragen und den Anwendungsbereich von § 1a AsylbLG deutlich reduzieren. Eine weitere Reduzierung der Anwendungsfälle kommt hinzu, weil nach neuer Rechtslage die weitreichende sog. „Familienhaftung“ entfallen ist (vgl. Rn. 3).
130
A.A. Deibel, ZFSH/SGB 2013, 249, 254; ebenso Petersen, ZFSH/SGB 2014, 669, 675, 680, die beide diesen Zeitraum für die Alternativen von § 1a AsylbLG a.F. für noch angemessen halten.
131
A.A. wohl Deibel, ZFSH/SGB 2013, 249, 254.
132
Dem folgend SG Hamburg v. 07.08.2014 - S 20 AY 111/10 - juris Rn. 51 m.w.N.
133
Vgl. in diese Richtung auch Rothkegel, ZAR 2012, 357, 361; a.A. Wahrendorf, jurisPR-SozR 15/2013, Anm. 2; Berlit, info also 2013,
195, 198, dort in Fn. 32.
134
So zwar Hessisches LSG v. 06.01.2014 - L 4 AY 19/13 B ER - juris, das andererseits von einem – viel zu langem – maximalen Zeitraum
von 4 Jahren für die Anspruchseinschränkung in entsprechender Anwendung von § 2 Abs. 1 AsylbLG a.F. ausgeht, unter Hinweis auf
Hessisches LSG v. 09.12.2013 - L 4 AY 17/13 B ER - juris; Hohm in: Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl. 2015, § 1a AsylbLG
Rn. 48 orientiert sich an der Wartefrist von 15 Monaten nach § 2 Abs. 1 AsylbLG, die hier ebenfalls kein Maßstab sein kann.
135
So auch Hessisches LSG v. 06.01.2014 - L 4 AY 19/13 B ER - juris; vgl. SG Hamburg v. 07.08.2014 - S 20 AY 111/10 - juris.
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c. Spielraum für Bedarfskürzungen nach dem zum 01.03.2015 in Kraft getretenen AsylbLG
124 Die Leistungssätze nach der zum 01.03.2015 in Kraft getretenen Fassung von § 3 AsylbLG wurden
in Anlehnung an das SGB II und SGB XII auf der Grundlage des Statistikmodells der Einkommens
und Verbrauchsstichprobe (EVS) erstmals ermittelt. Die Neuregelung orientierte sich bis auf geringe
Abweichungen an der Übergangslösung des BVerfG vom 18.7.2012. Die alten Leistungssätze
nach § 3 AsylbLG a.F. wurden deutlich erhöht. Im Vergleich zur Übergangsregelung wurden einzelne Bedarfe herausgenommen, die bei Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG entweder
nicht anfallen oder anderweitig gedeckt werden. Die Leistungssätze werden nach den Vorgaben
des BVerfG – in Anlehnung an das SGB II und SGB XII – regelmäßig fortgeschrieben (vgl. im
Einzelnen ausführlich die Kommentierung zu § 3 AsylbLG). Ausgangspunkt für Überlegungen
zu Kürzungen muss die neue Bedarfszumessung von § 3 AsylbLG sein. In jedem Einzelfall muss
geprüft werden, wo Spielraum für eine Absenkung auf das unabweisbar Gebotene verbleibt.
Diese Prüfung trägt – umgekehrt – dem vom BVerfG hervorgehobenen Grundsatz der bedarfsgerechten Verwirklichung des individuellen Leistungsanspruchs Rechnung, der mit dem Änderungs136
gesetz des AsylbLG vom 10.12.2014 realisiert werden soll.
125 Der existenznotwendige Bedarf wird – anders als im SGB II und im SGB XII – durch Sachleistungen und einen Bargeldbedarf nach § 3 Abs. 1 AsylbLG sichergestellt, wenn die Leistungsberechtigten in Aufnahmeeinrichtungen i.S.v. § 44 AsylG leben. Bei einer dezentralen Unterbringung
außerhalb solcher Einrichtungen sind seit 01.03.2015 vorrangig Geldleistungen zur Deckung
137
des notwendigen Bedarfs nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG zu gewähren.
Die Bedarfsdeckung
wird dann vollständig über Geldleistungen erbracht, die sich aus dem Bargeldbedarf nach § 3
Abs. 1 Sätze 4, 5 AsylbLG a.F. und dem notwendigen Bedarf nach § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2
AsylbLG a.F. zusammensetzen. Der notwendige Bedarf kann aber auch, soweit es erforderlich
ist, in Form von unbaren Abrechnungen, von Wertgutscheinen oder von Sachleistungen gewährt
werden, § 3 Abs. 2 Satz 3 AsylbLG (vgl. im Einzelnen ausführlich die Kommentierung zu § 3
AsylbLG). Spielraum für Anspruchskürzungen dürfte am ehesten beim Bargeldbedarf verbleiben.
Dies entspricht auch der bis dahin gültigen Rechtslage (vgl. dazu Rn. 136 ff.)
d. (Keine) Möglichkeiten der Leistungseinschränkung
aa. Medizinische Notversorgung
126 Aus Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 GG verbietet es sich, Leistungen im medi138
zinischen Notfall (vgl. dazu § 4 AsylbLG) einzustellen. Auch aus den Gesetzesmaterialien
ergibt
sich, dass Leistungen bei akuter Erkrankung und Schmerzzuständen stets zu den unabweisbar
gebotenen Hilfen gehören.
bb. Form der Leistungen
127 Wenn Anspruchseinschränkungen bei Leistungsberechtigten nach § 3 AsylbLG angezeigt waren,
wurden die Leistungen – je nach Bundesland – als Sachleistungen, oft in Form von Wertgut139
scheinen erbracht.
136
Eine zulässige Art der Anspruchseinschränkung kommt bei der Gewährung
Vgl. BT-Drs. 18/2592, S. 1.
137
Vgl. Art. 3 des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern vom 23.12.2014 (BGBl I
2014, 2439), das den zeitgleich zum 01.03.2015 gültigen Art. 1 des Gesetzes vom 10.12.2014 (BGBl I 2014, 2187) geändert hat.
138
Vgl. BT-Drs. 13/11172, S. 7.
139
Vgl. LSG Niedersachsen-Bremen v. 03.04.2013 - L 8 AY 105/12 B ER - juris.
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des notwendigen Bedarfs durch die Umstellung auf Sachleistungen bzw. auf Wertgutscheine
grundsätzlich auch weiterhin in Betracht. Das BVerfG geht davon aus, dass es dem Gesetzgeber
überlassen ist, ob er das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichert.
140
cc. Notwendiger Bedarf nach gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG
128 Der in § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG genannte notwendige Bedarf an Ernährung, Unterkunft, Heizung,
Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verkehrsgüter des Haushalts gewährleistetet
das menschenwürdige physische Existenzminimum i.S.v. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1
GG. Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung
eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Diese grundrechtliche Garantie
schützt die physische Existenz des Menschen, wozu nach Auffassung des BVerfG die in Absatz 1
141
Satz 1 genannten Lebensbereiche zählen.
Die Höhe der Leistungen für den notwendigen Bedarf
ist in § 3 Abs. 2 AsylbLG für jeden Leistungsberechtigten in der Familie bzw. im Haushalt konkret
geregelt und auf dieser Basis fortgeschrieben. Die Zusammensetzung und Höhe des notwendigen
Bedarfs beruhen auf der Grundlage der in den Abteilungen 1 bis 4 und 6 genannten regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben der EVS 2008 (vgl. im Einzelnen die Kommentierung zu § 3
142
AsylbLG).
Überdies garantiert das menschenwürdige Existenzminimum auch die Sicherung der
Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am
gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Dieser Bedarf wird durch den Barbetrag sichergestellt. Für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene kommen Bedarfe für Bildung und
Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft hinzu nach § 3 Abs. 3 AsylbLG.
129 Vor Inkrafttreten der Übergangs- und Neuregelung von § 3 AsylbLG zum 01.03.2015 lag die verfassungswidrige Absenkung der Grundleistungen zuletzt bei ca. 30% unterhalb des Sozialhilfe143
satzes,
während die Absenkung im Asylkompromiss ursprünglich auf 20% unterhalb des Sozi-
alhilfesatzes angedacht war. Die Grundleistungen nach alter Rechtslage konnten daher regelmäßig
nicht mehr eingeschränkt werden. Sie konnten weder während des weiteren Verbleibs der
Ausländer im Bundesgebiet eingestellt werden, noch konnte der durch sie garantierte Mindestbedarf
maßgeblich verändert werden. Doch auch nach Inkrafttreten von § 3 AsylbLG ab 01.03.2015,
der sich im Wesentlichen an den Vorgaben des BVerfG hinsichtlich der Bedarfsbemessung orientiert, verbieten sich regelmäßig Anspruchseinschränkungen, die unterhalb des physischen
Existenzminimums liegen:
dd. Ernährung
130 Der von § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG erfasste notwendige Ernährungsbedarf kann gem. § 1a
AsylbLG nicht geringer ausfallen, da ansonsten das notwendige Existenzminimum unterschritten
144
würde.
Eine denkbare Einschränkung kommt allenfalls in der Form der Leistung in Betracht.
Zulässig wäre eine Umstellung auf Sachleistungen, in Form von Wertgutscheinen oder auch Essenspaketen oder eine Vollverpflegung im Rahmen einer Gemeinschaftsunterkunft. Hierbei
140
Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - juris Rn. 67 - BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024
= ZFSH/SGB 2012.
141
Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - juris Rn. 64 - BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024
= ZFSH/SGB 2012.
142
Vgl. auch zu den einzelnen Verbrauchspositionen: BT-Drs. 17/3404, S. 53 ff.
143
Vgl. auch die Berechnungen: BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - juris Rn. 82 ff., 87 - BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520
§ 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 = ZFSH/SGB 2012.
144
Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen v. 06.06.2001 - 12 B 521/01 - juris - ZFSH/SGB 2001, 743-744.
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müsste die Gleichwertigkeit im Sinne von § 3 AsylbLG sichergestellt werden. Unzulässig wäre sicherlich der Verweis auf gemeindliche Tafeln, die von freiwilligen Essensspenden profitieren. Die
Leistungen nach § 1a AsylbLG können nicht derartig eingeschränkt werden, dass der Leistungs145
empfänger auf eine „Armentafel“ verwiesen wird.
ee. Unterkunft
131 Der von § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG erfasste notwendige Bedarf an Unterkunft ist dem Grunde
nach nicht einschränkbar, weil eine Unterkunft zur Führung eines menschenwürdigen Lebens
gehört. Einem menschenwürdigen Leben kann regelmäßig aber durch eine Unterbringung in einer
Gemeinschaftsunterkunft Genüge getan werden. Den Gesetzesmaterialien ist sogar zu entnehmen,
dass diese Unterbringung der Regelfall sein soll im Fall der Leistungseinschränkung nach § 1a
146
AsylbLG.
Im Fall der Unterbringung in einer privat angemieteten Wohnung kommt daher nach
Prüfung des Einzelfalles (familiäre Situation, Lebensbedingung, weitere Aufenthaltsdauer) als
mögliche Sanktion die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft, aber auch der Umzug in
eine andere, menschenwürdige Unterkunft in zulässiger Weise in Betracht.
ff. Heizung
132 Der von § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG erfasste notwendige Bedarf an Heizung ist regelmäßig nicht
einschränkbar, weil der Bedarf an ausreichend beheizten Räumen dem notwendigen Existenzminimum zur Führung eines menschenwürdigen Lebens dient. Gemeinschaftsunterkünfte werden
ohnehin zentral beheizt. In privaten Unterkünften muss der notwendige Heizbedarf rechtzeitig sichergestellt werden.
gg. Kleidung
133 Leistungseinschränkungen im Bereich des notwendigen Bedarfs an Kleidung, der ebenfalls zum
Bereich des physischen Existenzminimums gehört, sind allenfalls denkbar bei der Dauer der
Tragezeit der Kleidung. Ohne Zweifel müssen sich Leistungsberechtigte nach § 1a AsylbLG auch
auf das Tragen gebrauchter Kleidung verweisen lassen, wenn diese in einem akzeptablen Zustand
ist. Die Umstellung auf Sachleistungen oder Wertgutscheine ist in diesem Bereich auch zulässig
(§ 3 Abs. 2 Satz 3 AsylbLG). Ein aktueller Kleiderbedarf ist allerdings im angemessenen Umfang
auch dann zu decken, wenn die Ausreise unmittelbar bevorsteht.
hh. Gesundheitspflege
134 Leistungseinschränkungen im Bereich der notwendigen Gesundheitspflege sind kaum möglich;
auch diese Leistungen zählen zum Bereich des physischen Existenzminimums und zur Führung
eines menschenwürdigen Lebens. Ein aktueller Bedarf ist daher zu erfüllen, auch wenn die Beendigung des Aufenthalts unmittelbar bevorsteht. Die Gesundheitspflege ist ein elementares tägliches
Grundbedürfnis eines jeden Menschen. Allerdings wird es zulässig sein, den Bedarf auf Sachleistungen oder Wertgutscheine umzustellen. Abzugrenzen hiervon sind allerdings das Grundbedürfnis
übersteigende kosmetische Pflegen.
ii. Gebrauchs- und Verbrauchsgüter des Haushalts
135 Eine Einschränkung bei den Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts kommt ohnehin
dann nicht in Betracht, wenn die Leistungsberechtigten nach § 1a AsylbLG in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind, weil diese Güter dort regelmäßig vorhanden sind. Bei einer Unterbringung in einer privaten Unterkunft werden Leistungseinschränkungen mit Blick auf die weitere
145
Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen v. 07.11.2007 - L 20 B 74/07 AY - juris - info also 2008, 181-183.
146
Vgl. BT-Drs. 13/11172, S. 7.
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Aufenthaltsdauer in der Bundesrepublik nach Prüfung des Einzelfalls noch am ehesten möglich
sen. Die Umstellung von Geld- auf Dachleistungen in Form von Gutscheinen oder die Bereitstellung
von gebrauchten Gütern, auch leihweise, wird ohne weiteres zulässig sein. Ein aktueller Bedarf,
der zur Führung eines menschenwürdigen Lebens gehört (z.B. Grundausstattung zur Reinigung
der Unterkunft, Kühlschrank im Sommer o.Ä.) wird aber auch bei kurzfristiger Aufenthaltsbeendigung
in angemessenem Umfang zu decken sein.
e. Bargeldbedarf nach § 3 Abs. 1 Sätze 4, 5 a.F. bzw. Abs. 1 Sätze 5, 8 AsylbLG
136 Nach der vom 01.03.2015 gültigen Regelung von § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG a.F. bzw. Satz 5
AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte monatlich einen Geldbetrag zur Deckung persönlicher
Bedürfnisse des täglichen Lebens (Bargeldbedarf), dessen konkrete Höhe in § 3 Abs. 1 Satz 5
AsylblG bzw. Satz 8 AsylbLG für jeden Leistungsberechtigten in der Familie bzw. im Haushalt
geregelt ist und fortgeschrieben wird. Dieser Bargeldbetrag tritt zusätzlich neben den notwendigen
Bedarf nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG. Er wird von der einheitlichen Garantie des menschenwürdigen Existenzminimums umfasst, die neben dem physischen Existenzminimum auch die Sicherung
der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an
Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben schützt; jener Bereich, in dem
der Gesetzgeber einen größeren Gestaltungsspielraum hat. In der Praxis war die Anspruchseinschränkung des sog. „Taschengelds“ nach alter Rechtslage der häufigste Fall. Dies dürfte sich
nach der ab 01.03.2015 gültigen Regelung von § 3 Abs. 1 Sätze 4 und 5 AsylbLG a.F. kaum geändert haben. Nach der Übergangsregelung des BVerfG war der – wenn auch verfassungswidrig
zu niedrig bemessene – Barbetrag als Leistung zur Sicherung des soziokulturellen Existenz147
minimums eingeordnet.
137 Nach alter Rechtslage hatte die Rspr. das sog. Taschengeld (§ 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG a.F.)
nicht als unabweisbar gebotene Leistung erachtet; sie hielt selbst die komplette Streichung des
148
Betrags für zulässig.
Bis dahin ging man davon aus, dass dieser Geldbetrag für die Deckung
149
der persönlichen Bedürfnisse nicht vom verfassungsrechtlichen Existenzminimum erfasst war.
150
Hierfür ergaben sich Hinweise in den Gesetzesmaterialien.
151
des BVerfG
Nach der neuen Rechtsprechung
ist diese Ansicht nicht mehr haltbar, weil selbst bei einer kurzen Aufenthaltsdauer
oder Aufenthaltsperspektive sich das menschenwürdige Existenzminimum nicht auf die Sicherung
des physischen Existenzminimums beschränken darf, sondern auch die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums gewährleistet sein muss, zu dem der Barbetrag (§ 3 Abs. 1 Satz 4
AsylbLG a.F.) zählt. Solange keine gesetzliche Neuregelung existierte und ungewiss war, wie
der Gesetzgeber das menschenwürdige Existenzminimum neu festlegt, waren die Barbeträge jedenfalls in Höhe der vom BVerfG getroffenen Übergangsregelung zu zahlen.
147
Vgl. zur Übergangsregelung: BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - juris Rn. 103 - BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3
Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 = ZFSH/SGB 2012, 450.
148
Vgl. OVG Niedersachsen v. 30.07.1999 - 12 M 2997/99; OVG Nordrhein-Westfalen v. 22.06.1999 - 24 B 1088/99; LSG Thüringen v.
23.03.2009 - L 8 B 131/08 AY - juris - SAR 2009, 70-72; m.w.N. vgl. Hohm, AsylbLG, § 1a Rn. 193, der dieser Rspr. zustimmt, Rn. 196 ff.,
Stand Juli 2010.
149
Vgl. Adolph/Linhart, SGB II SGB XII AsylbLG, § 1a Rn. 25, Stand März 2009, m.w.N. für die ältere Rspr; so auch Hohm, AsylbLG,
§ 1a Rn. 197, Stand Juli 2010; ders. in: Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl. 2015, § 1a AsylbLG Rn. 43 ff.
150
Vgl. BT-Drs. 13/11172, S. 7.
151
Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 = SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 = NVwZ 2012, 1024 = ZFSH/SGB 2012,
450.
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§ 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015
jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann
138 Die zum 01.03.2015 in Kraft getretene Regelung von § 3 Abs. 1 Sätze 4 und 5 AsylbLG a.F.
bemisst den konkreten Bedarf für den Barbetrag nach der im Rahmen der Sonderauswertung der
EVS ermittelten regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben (§§ 5, 6 RBEG). Der Barbedarf
setzt sich aus folgenden Positionen zusammen: Abteilung 7 Verkehr, Abteilung 8 Nachrichtenübermittlung, Abteilung 9 Freizeit, Unterhaltung, Kultur, Abteilung 10 Bildung, Abteilung 11 Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen, Abteilung 12 Andere Waren und Dienstleistungen (vgl.
152
im Einzelnen die Kommentierung zu § 3 AsylbLG).
139 Nach dem vom 01.03.2015 bis 23.10.2015 gültigen Recht wurde es als unzulässig beurteilt,
diesen Betrag durch Sachleistungen oder Wertgutscheine bereitzustellen bzw. den Geldbetrag
153
komplett zu streichen.
Da dem Gesetzgeber bei der Festlegung des soziokulturellen Existenz-
minimums ein größerer Gestaltungsspielraum bei der Regelung zusteht, von dem er offenbar
Gebrauch gemacht hat, dürften moderate, kurzfristige, am konkreten Bedarf des Leistungsberechtigen orientierte Anspruchseinschränkungen zulässig sein. Sobald allerdings die begründete Gefahr besteht, dass die Existenzsicherung im soziokulturellen Bereich unterdeckt ist,
sind die Einschränkungen sofort einzustellen. Der – gekürzte – Bedarf ist nach den konkreten
Umständen des Einzelfalls zu bemessen (§ 1a Abs. 1 letzter HS. AsylbLG). Daher verbietet sich
auch die pauschale Übertragung des Sanktionskonzepts von SGB II bzw. SGB XII bei der Bedarfsbemessung auf § 1a AsylbLG.
154
Nicht unproblematisch erscheint auch die entsprechende
155
Anwendung von § 39a SGB XII auf § 1a AsylbLG.
Das Gesetz enthält hierzu keine Anhaltspunkte.
Hätte der Gesetzgeber die Übertragung gewollt, hätte er hinreichend Gelegenheit gehabt, dies in
der Neufassung des AsylbLG zu regeln.
140 In den durch die Asylpakte I und II ab 24.20.2015 geänderten § 3 Abs. 1 Satz 8 AsylbLG wurden
die dort geregelten Geldleistungen für den notwendigen persönlichen Bedarf neu festgesetzt und
156
gegenüber den bislang
für die Zeit ab 01.01.2016 geltenden Leistungssätzen für die soziale
Teilhabe abgesenkt. Die sich daraus ergebende Leistungsabsenkung beträgt für Alleinstehende
10 €, für Leistungsberechtigte in den anderen Bedarfsstufen ist die Absenkung entsprechend geringer (vgl. im Einzelnen die Kommentierung zu § 3 AsylbLG).
f. Leistungen des sog. Bildungspakets
141 Nach dem zum 01.03.2015 in Kraft getretenen § 3 Abs. 3 AsylbLG sollen alle vom AsylbLG erfassten Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen von Anfang ihres Aufenthalts in der
Bundesrepublik einen Anspruch auf Bildungs- und Teilhabeleistungen haben (vgl. im Einzelnen
die Kommentierung zu § 3 AsylbLG Rn. 168). Ziel der Neuregelung ist es, eine Ausgrenzung der
Leistungsberechtigten – zum Beispiel vom gemeinsamen Mittagessen in Schulen und Kinderta157
gesstätten – zu vermeiden.
Anspruchskürzungen sind in diesem Bereich zu vermeiden. Der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet eine angemessene Festlegung im Bereich des soziokulturellen Existenzminimums, in dem Kürzungen in Betracht kommen. Die Praxisrelevanz von An-
152
Vgl. BT-Drs. 18/2592, S. 21.
153
Dem folgend nach altem Recht: Thüringer LSG v. 12.03.2014 - L 8 AY 678/13 - juris Rn. 41.
154
Instruktiv nach altem Recht: Thüringer LSG v. 12.03.2014 - L 8 AY 678/13 - juris Rn. 45.
155
So Petersen, ZFSH/SGB 2014, 669, 678 f.
156
Vgl. die Bekanntmachung vom 26.10. 2015 (BGBl I 2015, 1793).
157
Vgl. BT-Drs. 18/2592, S. 24.
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§ 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015
jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann
spruchseinschränkungen dürfte bei diesem Personenkreis nach neuer Rechtslage ohnehin gering
sein, weil sich Familienangehörige das inkriminierte Verhalten von Anderen nicht mehr zurechnen
lassen müssen. Das verschärfte Asyl- bzw. Leistungsrecht hat hieran nichts geändert.
g. Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt (§ 4 AsylbLG)
aa. Akute Erkrankungen und Schmerzzustände
142 Leistungen, die notwendig und erforderlich sind, um akute Erkrankungen und Schmerzzustände
zu behandeln (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG), stehen nicht zur Disposition, sie zählen daher stets zu
158
den unabweisbar gebotenen Hilfen,
da eine Einschränkung nicht mit dem grundrechtlichen
Schutz aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 GG zu vereinbaren wäre. Hierzu zählt die notwendige
ärztliche bzw. zahnärztliche Akut- bzw. auch Krankenhausbehandlung einschließlich der notwendigen Arznei- und Verbandmittel und sonstiger Leistungen, die zur Behandlung erforderlich sind.
Heilkuren, Therapien können im Einzelfall insb. dann unabweisbar geboten sein, wenn die Rückkehr
in das Heimatland auf absehbare Zeit nicht möglich ist und sich die Leistungsberechtigten bereits
mehrjährig in der Bundesrepublik aufhalten. Zahnersatz ist hingegen regelmäßig keine unabweisbar
gebotene Leistung; es sei denn, der Zahnersatz ist unaufschiebbar (§ 4 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG).
bb. Chronische Erkrankungen
143 Leistungen für die Behandlung chronischer Erkrankungen sind daher grundsätzlich nicht von
§ 4 AsylbLG erfasst; ausnahmsweise aber dann, wenn sich aus der chronischen Erkrankung eine
akut behandlungsbedürftige Notlage ergibt (z.B. Nierentransplantation bei akutem Nierenversagen
bei chronischer Niereninsuffizienz). Im Übrigen sind Leistungen bei chronischen Erkrankungen
von der Auffangvorschrift des § 6 AsylbLG erfasst (Leistungen, die zur Sicherung der Gesundheit
unerlässlich sind).
cc. Schwangerschaft und Geburt
144 Leistungen bei Schwangerschaft und Geburt (§ 4 Abs. 2 AsylbLG) stehen nicht zur Disposition;
sie zählen stets zu den unabweisbar gebotenen Hilfen, da eine Einschränkung nicht mit dem
grundrechtlichen Schutz für das ungeborene Leben und für die Mutter aus Art. 6 Abs. 4 GG zu
vereinbaren wäre. Hierzu zählen ärztliche und pflegerische Hilfe, Betreuung, Hebammenhilfe,
Arznei- und Verbandmittel.
h. Sonstige Leistungen (§ 6 AsylbLG)
145 Bei den von § 6 AsylbLG erfassten sonstigen Leistungen, die nicht im Ermessen der Behörde
stehen und im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhaltes oder der Gesundheit unerlässlich
(Var. 1), zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten (Var. 2) oder zur Erfüllung
einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht erforderlich sein müssen (Var. 3) wird der
Leistungszweck zu beachten sein. Zur Sicherung des Lebensunterhaltes und der Gesundheit
unerlässliche Leistungen dürften auch unabweisbar geboten sein. Für den zur Deckung besonderer
Bedürfnisse bei Kindern gebotenen Bedarf wird dies auch der Fall sein. Denn das BVerfG
159
hat
betont, dass der für Kinder existenziell notwendige Bedarf an kindlichen Entwicklungsphasen
auszurichten ist und an dem, was für die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes erforderlich ist.
Hierzu gehört vor allem bei schulpflichtigen Kindern der mit dem Schulbesuch verbundene erhöhte
Bedarf. Im Einzelfall wird daher insb. der notwendige Schulbedarf oder der sonstige Bedarf, der
der Erfüllung der Schulpflicht dient, anzuerkennen sein. Dieser Auffassung trägt der seit 01.03.2015
158
Vgl. schon BT-Drs. 13/11172, S. 8.
159
Vgl. BVerfG v. 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 - u.a. - BVerfG E 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 12.
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160
gültige § 3 Abs. 3 AsylbLG
jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann
Rechnung, der den Rechtsanspruch auf zusätzlich Bedarfe für Bildung
und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft bei Kindern, Jugendlichen
und jungen Erwachsenen entsprechend §§ 34, 34a und 34b SGB XII anerkennt, der insofern
161
die speziellere Norm zu § 6 Abs. 1 AsylbLG sein dürfte.
Leistungen, die zur Erfüllung einer
verwaltungsrechtlichen Mitwirkung erforderlich sind, dürften in der Regel auch unabweisbar geboten
sein, da ansonsten die Erforderlichkeit der Mitwirkungshandlung in Frage gestellt wäre. Sonstigen
Leistungen, die als Auffangtatbestand im pflichtgemäßem Ermessen der Behörde stehen, wird
der unabweisbar gebotene Bedarf regelmäßig fehlen; im Einzelfall kann aber eine Ermessensreduktion auf Null vorliegen, wenn das Existenzminimum nicht anders zu sichern ist als über die
Ermessensleistung.
146 § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG stellt mit Blick auf die pauschalierten und abgesenkten Leistungen der
§§ 3, 4 AsylbLG eine Auffang- und Öffnungsklausel dar. Nach dem Willen des Gesetzgebers
soll sie dem Umstand Rechnung tragen, dass den zuständigen Behörden „sonst kaum Spielraum
bleibt, besonderem Bedarf im Einzelfall gerecht zu werden“.
162
Eine restriktive Handhabung der
Vorschrift erscheint wegen der gesetzgeberischen Grundentscheidung, in § 3 AsylbLG und § 2
AsylbLG innerhalb der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG unterschiedliche Leistungssysteme vorzugeben, zwar einerseits insofern geboten, als eine Annäherung an die unmittelbar nach
oder entsprechend dem SGB XII (§ 2 AsylbLG) zu erbringenden Leistungen nicht in Betracht
kommt. Allerdings ist zu beachten, dass § 6 AsylbLG im Leistungssystem des AsylbLG die wichtige
Funktion zukommt, trotz der restriktiven Grundausrichtung des AsylbLG in jedem Einzelfall das
163
Existenzminimum zu sichern.
147 Das seit 24.10.2015 gültige Rechtsfolgenkonzept von § 1a Abs. 2-4 AsylbLG schließt die Anwendung von § 6 AsylbLG komplett aus (vgl. Rn. 150). Dies gilt nicht für die Rechtsfolge nach § 1a
Abs. 1 AsylbLG.
i. Dauer der Leistungseinschränkung
148 Über welche zeitliche Dauer eine Leistungseinschränkung auf das unabweisbar Gebotene
aufrechterhalten bleibt, normiert auch die Neuregelung von § 1a AsylbLG nicht. Voraussetzung
ist zunächst, dass die Voraussetzungen des Sanktionstatbestandes tatsächlich während der Anspruchskürzung vorliegen. Ist das missbrauchsrelevante Verhalten abgestellt, lässt sich eine Anspruchseinschränkung nicht mehr rechtfertigen; sie ist daher aufzuheben und Grundleistungen
gem. § 3 AsylbLG sind wieder zu bewilligen. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit sind Anspruchseinschränkungen aber zeitlich zu begrenzen (vgl. dazu Rn. 113). Dies hat der Gesetzgeber seit
24.10.2015 in der neuen Vorschrift von § 14 AsylbLG normiert (vgl. die Kommentierung zu § 14
AsylbLG), die nicht nur für § 1a Abs. 1 AsylbLG, sondern für alle Sanktionstatbestände von Anspruchseinschränkungen gilt.
160
Vgl. Art 1 Nr. 4 c) des Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10.12.2014,
BGBl I 2014, 2187
161
Vgl. dazu Deibel, ZFSH/SGB 2014, 475, 478, der beide Vorschriften nebeneinander für anwendbar hält.
162
Vgl. BT-Drs. 13/2746.
163
Vgl. Fasselt in: Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Aufl. 2005, § 6 AsylbLG Rn. 1; Herbst in: Mergler/Zink, SGB XII,
4. Lfg., Stand Juli 2005, § 6 AsylbLG Rn. 1; so auch LSG Nordrhein-Westfalen v. 10.03.2008 - L 20 AY 16/07 - juris - SAR 2008, 92-96.
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V. Rechtsfolge des reduzierten physischen Existenzminimums
nach den Absätzen 2 bis 4
1. Neues Rechtsfolgenkonzept
149 § 1a Abs. 2 bis 4 AsylbLG enthält ein anderes Rechtsfolgenkonzept als § 1a Abs. 1 AsylbLG
bzw. § 1a Nr. 1 und Nr. 2 AsylbLG a.F. (vgl. dazu Rn. 98 ff.). § 1a Abs. 2 und 3 AsylbLG enthält
konkret bestimmbare Zeitpunkte zum Beginn, zum Ende, zur Dauer und zum Umfang der Einschränkungen (vgl. auch § 14 AsylbLG). Die Leistungen, die die Berechtigten, auch die nach § 1a
Abs. 4 AsylbLG, während des abgesenkten Leistungszeitraums beanspruchen bzw. nicht beanspruchen können, werden konkret benannt. Ermessensentscheidungen sieht das Gesetz auch
hier nicht vor. Für die Sanktionsvarianten von § 1a Abs. 2 bis Abs. 4 AsylbLG, die zwar unterschiedliche Personenkreise und unterschiedliches Fehlverhalten sanktionieren, gelten einheitliche
Rechtsfolgen.
2. Kein Anspruch mehr
150 Greifen die Sanktionstatbestände (Absatz 2: versäumter möglicher Ausreisetermin; Absatz 3:
mangelnde Vollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen; Absatz 4: Zugehörigkeit zum
Personenkreis der sog. relocated people), so besteht ab dem jeweiligen Ereignis kein Anspruch
mehr auf Leistungen nach § 2 AsylbLG (Analog-Leistungen auf Sozialhilfeniveau), § 3 AsylbLG
(Grundleistungen) und § 6 AsylbLG (Sonstige Leistungen). Hiervon sind gesetzliche Ausnahmen
nur im Hinblick auf den notwendigen Bedarf nach § 3 Abs. 1 Satz AsylbLG vorgesehen.
3. Leistungsabsenkung auf das reduzierte physische Existenzminimum
151 Dem Personenkreis von § 1a Abs. 2 bis 4 AsylbLG werden – befristet auf 6 Monate (§ 14 AsylbLG)
bzw. bis zu ihrer Ausreise bzw. Abschiebung – nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs
an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt
(§ 1a Abs. 2 Satz 2 AsylbLG), d.h. Bedarfe an Kleidung und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern
des Haushalts werden nicht berücksichtigt. Dies ist ein gesetzlich neu definiertes Leistungsminimum. Anders als § 1a Abs. 1 AsylbLG, der die Leistungen unverändert diffus auf das im „Einzelfall nach den Umständen unabweisbar Gebotene“ reduziert, konkretisiert § 1a Abs. 2 AsylbLG
die Leistungsabsenkung auf ein reduziertes physisches Existenzminimum (vgl. § 3 Abs. 1
Satz 1 AsylbLG), das durch Sachleistungen erbracht werden soll (vgl. § 1a Abs. 2 Satz 4 AsylbLG).
4. Besondere Umstände
152 Nur soweit im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, können den Ausländern auch andere
Leistungen des notwendigen Bedarfs i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG gewährt werden (§ 1a
Abs. 2 Satz 3 AsylbLG). Hierzu zählt lediglich der Bedarf an Kleidung und an Gebrauchs- und
Verkehrsgütern des Haushalts. Diese Regelungen bedeuten, dass für diesen Personenkreis keine
Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens (notwendiger persönlicher Bedarf) nach § 3 Abs. 1 Satz 5 AsylbLG – nach alter Terminologie: Taschengeld oder andere
persönliche Leistungen (Bargeld, Simkarten, Fahrkarten etc.) – mehr gedeckt werden, auch nicht
ausnahmsweise. § 6 AsylbLG, der als Auffangvorschrift diente, ist in diesen Fällen ausdrücklich
ausgeschlossen. Damit wird dieser Personenkreis vom soziokulturellen Existenzminimum
komplett ausgeschlossen.
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5. Sachleistungen
153 Die reduzierten Leistungen sollen als Sachleistungen erbracht werden (§ 1a Abs. 2 Satz 4 AsylbLG).
Weitergehende Ausnahmen oder Spielräume für die Behörden bestehen nicht.
6. Stellungnahme
154 Die verfassungsrechtliche Brisanz dieser neuen Absenkungsregelung liegt auf der Hand. Sie ergibt
sich zum einen aus der Höhe der Leistungseinschränkung, z.B. für einen Alleinstehenden nach
§ 3 AsylbLG im Jahr 2016: ca. 10-15% im Bereich des notwendigen Bedarfs von monatlich 219 €
164
und zusätzlich die komplette Streichung von monatlich 145 € für den persönlichen Bedarf.
Zu
beachten ist, dass eine weitere Leistungsabsenkung in § 3 Abs. 1 Satz 8 AsylbLG durch das
165
Asylpaket II
dauerhaft im Bereich der sozialen Teilhabe erfolgt ist. Der Geldbetrag für einen al-
leinstehenden Leistungsberechtigten beträgt nur noch 135 €; für die Berechtigten anderer Bedarfsstufen entsprechend weniger. Im Bereich der Grundsicherung des SGB II sind bislang Leistungskürzungen um 30 v.H. des maßgebenden Regelbedarfs aufgrund einer Pflichtverletzung als ver166
fassungskonform erachtet worden.
Die Kürzung nach § 1a Abs. 2 AsylbLG liegt deutlich darüber.
Überdies hat das BVerfG betont, dass auch eine kurze Aufenthaltsdauer oder -perspektive es
nicht rechtfertigen, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums
auf die Sicherung des physischen Existenzminimums zu beschränken, selbst wenn der Gestal167
tungsspielraum des Gesetzgebers im Bereich des soziokulturellen Existenzminimum weiter ist.
Die einheitliche grundrechtliche Garantie, die das physische und das soziale Existenzminimum
umfasst, muss am konkreten Hilfebedarf des Bedürftigen ausgerichtet sein und diesen in der je168
weiligen Lebenssituation decken.
Die Ansicht, dass beim soziokulturellen Minimum im Rege-
lungsbereich von § 1a AsylbLG keine untere Grenze existiert
169
, wird daher nicht geteilt.
155 Es ist fragwürdig, ob sich der Gesetzgeber seiner sozialen Verantwortung für Menschen, die er
weitgehend unkontrolliert in sein Land gelassen hat, dadurch entziehen kann, dass er die komplette
Streichung von Sozialleistungen im Bereich des soziokulturellen Existenzminimums als Steuerungsinstrument nutzt, um Menschen zur Ausreise zu motivieren oder zur Beendigung des Aufenthalts zu bewegen. Dies sollte Aufgabe des Ausländerrechts bleiben, mit dessen Hilfe diese Menschen ausländerrechtlich möglichst zeitnah wieder in ihr Heimatland zurückgeführt werden. Für
solche beschleunigten asyl- und aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen sind die Rahmenbedingungen
durch einschneidende Verschärfungen im Asylpaket II geschaffen worden. Es liegt zwar auf der
Hand, dass die harte Sanktion in § 1a Abs. 2 AsylbLG ein deutliches Signal ist, dass dieser Personenkreis keine Chance auf eine Integration in Deutschland haben soll. Doch selbst bei kurzen
Aufenthalten sind bestehende, konkrete leistungsrechtliche Bedarfe zu decken, und zwar auch
im Bereich des soziokulturellen Existenzminimums (vgl. Rn. 152). Dies bedeutet, dass die in § 1a
Abs. 2 AsylbLG zugrundeliegende gesetzgeberische generelle Prognose, dass der sanktionierte
Personenkreis sehr kurzfristig das Bundesgebiet verlassen wird, sich in tatsächlicher Hinsicht
auch realisieren muss. Ansonsten besteht kein Anlass, von einem geminderten Leistungsbedarf
164
Vgl. die Übersicht bei Nakielski, SozSich 2015, 389, 391.
165
I.d.F. des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (sog. Asylpaket II), BGBl I 2016, 390, 392; vgl. BT-Drs. 18/7538,
S. 9, 20 f.
166
Vgl. BSG v. 29.04.2015 - B 14 AS 19/14 R - SozR 4-4200 § 31a Nr. 1; die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung
angenommen: BVerfG v. 11.12.2015 - 1 BvR 2684/15.
167
Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 u.a. - BVerfGE 132, 134, Rn. 94, 67.
168
Vgl. BVerfG v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 u.a. - BVerfGE 132, 134, Rn. 64 ff.
169
Vgl. Hohm in: Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl. 2015, § 1a AsylblG Rn. 43 f.
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auszugehen. Aufenthalte im Bundesgebiet von mehr als sechs Monaten dürften diese Vorgaben
bereits nicht mehr erfüllen. Im Einzelfall kann dies auch bei einem kürzeren Zeitraum vorliegen,
wenn der individuelle Bedarf konkret besteht.
156 Da § 1a Abs. 2 bis Abs. 4 AsylbLG ohne Übergangsregelung in Kraft getreten ist, stellt sich die
Frage, wie „Altfälle“ zu lösen sind, d.h. wie Menschen zu behandeln sind, die nicht im Zuge der
Flüchtlingswelle nach Deutschland gekommen sind, sondern sich seit Jahren in Deutschland
aufhalten, selbst wenn sie vollziehbar ausreisepflichtig sind. Dass sie nach jahrelangem Aufenthalt
das Bundesgebiet kurzfristig verlassen werden und daher einen nur reduzierten Leistungsbedarf
haben, ist unrealistisch. Problematisch werden sich auch die Fälle erweisen, in denen Feststellungen
zu treffen sind, ob eine Ausreise krankheitsbedingt möglich ist oder nicht – wie schon in der Vergangenheit. Dies kann erhebliche tatsächliche Probleme bereiten und oft können diese Fragen
nicht innerhalb des Zeitfensters von 6 Monaten (§ 14 AsylbLG) gelöst werden, selbst wenn durch
das Asylpaket II aufenthaltsrechtliche Regelungen (§ 60 Abs. 2c und 2d; Abs. 7 AufenthG) eingefügt
worden sind, die die Darlegung und den Nachweis von Reiseunfähigkeit bei einer Abschiebung
erheblich erschweren. Nach Ablauf von sechs Monaten wird aber nicht mehr von einer ganz kurzen Aufenthaltsdauer, sondern von einer Aufenthaltsverfestigung auszugehen sein, die höhere
soziale Bedarfe nach sich ziehen muss. Auch § 14 AsylbLG lässt keine Dauerleistungseinschränkungen nach § 1a AsylbLG zu (vgl. die Kommentierung zu § 14 AsylbLG).
a. Verwaltungsverfahren
157 Die Anordnung von Leistungseinschränkungen sollte in Form eines schriftlichen Verwaltungsakts
ergehen. Eine Anhörung hat dem vorauszugehen, wenn zuvor erhöhte Leistungen bewilligt worden
waren. Dem Leistungsberechtigten ist sein Fehlverhalten klar und deutlich mitzuteilen und es ist
eine Frist zu bestimmen, innerhalb derer er sein Fehlverhalten abstellt und er über die Folgen
seiner unterbliebenen Mitwirkung belehrt wird.
170
Automatische Kürzungen, z.B. aufgrund von
Datenaustausch mit der Meldebehörde, sind daher unzulässig.
VI. Rechtstatsachen
158 Umfangreiches statistisches Zahlenmaterial über die Entwicklung und den Umfang der Leistungen
nach dem AsylbLG im Zeitraum von 1994-2006, gestaffelt nach Bundesländern und nach verschie171
denen Differenzierungsmerkmalen, findet sich in der Antwort der Bundesregierung
v. 30.04.2008
auf die Große Anfrage einzelner Bundestagsabgeordneter und der Fraktion DIE LINKE vom
172
12.11.2007 zur sozialen Existenzsicherung nach dem AsylbLG.
170
Vgl. SG Hildesheim v. 06.12.2012 - S 42 AY 152/12 ER - juris Rn. 12 m.w.N.
171
BT-Drs. 16/9018.
172
BT-Drs. 16/7213.
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C. Praxishinweise
I. Gerichtlicher Rechtsschutz
159 Seit 01.01.2005 ist die Sozialgerichtsbarkeit – anstelle der vormals zuständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit – für Rechtsstreitigkeiten nach dem AsylbLG zuständig, vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG
173
i.d.F. des 7. SGG-Änderungsgesetzes vom 09.12.2004.
Gerichtlicher Rechtsschutz ist regelmäßig
über den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Gewährung ungekürzter
Grundleistungen gem. § 3 AsylbLG zu erreichen. Dies setzt einen Anordnungsanspruch und einen
Anordnungsgrund voraus (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG, § 920 Abs. 3 ZPO).
II. Vorläufiger Rechtsschutz
160 In der Hauptsache ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage auf Aufhebung des
die Leistungen einschränkenden Bescheides und auf Gewährung von Leistungen gem. § 3 AsylbLG
zu verfolgen bzw. auf (nur) tatsächliche Auszahlung in Form der Leistungsklage im Fall der konkludenten Bewilligung der höheren Leistungen. Es reicht daher regelmäßig nicht aus, den
Rechtsschutz nur über die reine Anfechtungsklage zu verfolgen, da damit zwar die Anspruchseinschränkung beseitigt werden kann, die Leistungsberechtigten aber ex nunc auf eine Leistungsbewilligung angewiesen sind.
161 Dies stellt sich nur dann anders dar, wenn eine Leistungsbewilligung durch einen Dauerverwaltungsakt erfolgt ist, so dass nach Aufhebung des Kürzungsbescheids die dauerhafte Leistungsbewilligung wieder auflebt. Dies dürfte allerdings in der Praxis eher selten sein, weil Leistungen nach
dem AsylbLG keine rentenähnlichen Dauerleistungen sind. Im konkreten Einzelfall sind die
Bescheide auf ihren Regelungsgehalt hin aus Sicht eines objektiven Empfängers zu interpretieren
(vgl. hierzu die Kommentierung zu § 2 AsylbLG).
162 Einstweiliger Rechtsschutz scheitert regelmäßig dann, wenn die Leistungsempfänger es versäumt
haben, sich gegen die durch Bescheid oder per Realakt getroffene Leistungseinschränkung gegenüber der Behörde zur Wehr zu setzen. Haben die Leistungsberechtigten die gekürzten
Leistungen hingenommen, so fehlt es schon am erforderlichen Anordnungsgrund für die Bewilligung
höherer Leistungen. Dann muss die Leistungseinschränkung – unter Einhaltung der Widerspruchsbzw. Klagefrist – im Klageverfahren überprüft werden.
163 Einstweiliger Rechtsschutz scheitert auch daran, wenn Leistungen für die Vergangenheit beantragt
werden. Im Klageverfahren kann dies allerdings anders zu beurteilen sein. Im AsylbLG gilt der
174
sog. „Aktualitätsgrundsatz“.
Der frühestmögliche Zeitpunkt, ab dem Leistungen im sozialge-
richtlichen Verfahren vorläufig zugesprochen werden, ist – zugunsten des Leistungsberechtigten
– der Eingang der einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht; anders noch die verwaltungsgerichtliche Rspr. die Leistungen erst ab dem Tag der Entscheidung des Gerichts, u.U. erst des
Obergerichts für die Zukunft vorläufig zugesprochen hat.
173
BGBl I 2004, 3302.
174
Vgl. BSG v. 29.09.2009 - B 8 SO 16/08 R - juris - info also 2010, 41.
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164 Bei einem Bezug von Leistungen gem. § 1a AsylbLG ergibt sich ein Anordnungsgrund für eine
einstweilige Anordnung auf Erbringung von Leistungen gem. § 3 AsylbLG regelmäßig bereits aus
der völligen Einschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit durch die Beschränkung der
Leistungen auf das unabweisbar Notwendige.
165 Hinsichtlich des Anordnungsanspruches kommt es regelmäßig auf die Erfolgsaussichten des
geltend gemachten Anspruches (hier: Aufhebung der Leistungseinschränkung und Anspruch auf
höhere Leistungen) oder bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens auf eine Folgenabwägung an (zu prüfen ist: wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge und der Anspruch in der
Hauptsache bestünde bzw. wenn die einstweilige Anordnung erginge und der Anspruch in der
Hauptsache nicht bestünde; vgl. die Kommentierung zu § 2 AsylbLG).
III. Beiladung
175
166 Seit 19.12.2014 besteht nach § 75 Abs. 2 und Abs. 5 SGG
die gesetzliche Möglichkeit, die
Träger des AsylbLG im sozialgerichtlichen Verfahren notwendig beizuladen. Damit wurde klarstellend obergerichtliche Rechtsprechung umgesetzt.
176
D. Reformbestrebungen
167 Mit dem „Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes“ einzelner
177
Bundestagsabgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
war der Versuch unter-
nommen worden, das AsylbLG komplett abzuschaffen mit der Begründung, dass das Gesetz zu
einem diskriminierenden Ausschluss von Asylsuchenden aus der Sozialhilfe und der Grundsicherung
für Arbeitsuchende führt. In der Bundestagssitzung vom 12.11.2008 haben sich die Regierungsparteien gegen die Abschaffung des Gesetzes ausgesprochen, weil sich das seit mehr als
178
15 Jahren gültige AsylbLG in der Praxis bewährt habe.
In der öffentlichen Anhörung von Sach-
verständigen im Frühjahr 2009 vor dem Deutschen Bundestag haben insb. der Bevollmächtigte
179
des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland,
die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V.
182
e.V.
180
das Kommissariat der deutschen Bischöfe,
181
und der Flüchtlingsrat Berlin
erhebliche Kritik am Fortbestand des AsylbLG vorgetragen.
168 Im Entschließungsantrag u.a. der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN zu der dritten Beratung des
Gesetzentwurfs der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung
183
des AsylbLG vom 28.11.2012
wurde die Ansicht vertreten, dass das AsylbLG aufzuheben sei
und der Kreis der Leistungsberechtigten nach dem SGB II und SGB XII um die bisher nach dem
AsylbLG leistungsberechtigten Personen ergänzt werden sollte.
175
I.d.F. des Gesetzes vom 10.12.2014 (BGBl I 2014, 2187).
176
Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen v. 12.12.2011 - L 20 AY 4/11; LSG Baden-Württemberg v. 01.08.2006 - L 7 AY 3106/06 ER-B - beide
zitiert nach juris.
177
BT-Drs. 16/10837 v. 11.11.2008.
178
Vgl. Plenarprotokoll 16/186 v. 12.11.2008, S. 19902, 19940 ff.
179
Vgl. Ausschuss-Drs.16(11)1362 vom 04.05.2009, S. 1 ff.
180
Vgl. Ausschuss-Drs.16(11)1357 vom 30.04.2009.
181
Vgl. Ausschuss-Drs.16(11)1346 vom 28.04.2009, S. 11 ff.
182
Vgl. Ausschuss-Drs.16(11)1338 vom 27.04.2009, S. 11 ff.
183
BT-Drs. 17/1428, BT-Drs. 17/10198.
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§ 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015
jurisPK-SGB XII 2. Aufl. / Oppermann
169 Anstelle das AsylbLG zu ändern, ist immer wieder gefordert worden, es gänzlich abzuschaffen
und die Leistungsberechtigten nach einem Jahr Inlandsaufenthalt in das Leistungssystem des
184
SGB II bzw. SGB XII zu integrieren.
170 Mit Inkrafttreten des AsylbLG zum 01.03.2015
185
dürften die vorgenannten Reformbestrebungen
auf unabsehbare Zeit ihr Ende gefunden haben.
171 Es bleibt abzuwarten, ob über die im Rahmen der Asylpakete I und II in Kraft getretenen Anspruchseinschränkungen und Leistungsabsenkungen hinaus noch weitere folgen werden.
184
Vgl. in diese Richtung auch die Stellungnahme der Geschäftsstelle des Deutschen Vereins, NDV 2013, 97, 100; Deibel, ZFSH/SGB 2013,
249, 255; vgl. Janda, ZAR 2013, 175.
185
I.d.F. des Gesetzes vom 10.12.2014, BGBl I 2014, 2187.
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