Kalkulation versicherungstechnischer Risiken

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Kalkulation versicherungstechnischer Risiken
Kalkulation
versicherungstechnischer
Risiken
mit Beispielen aus den Sparten
Dr. Arnd Grimmer
DBV-Winterthur Lebensversicherung AG
Wiesbaden
Begriff des Risikos
Definition:
Risiko bedeutet die Möglichkeit des Eintritts von Ereignissen
mit nachteiligen (wirtschaftlichen) Folgen
Zufallscharakter:
• Ereignisse sind nach Art, Höhe, Zeitpunkt und Häufigkeit ungewiß
=>
Wahrscheinlichkeitsverteilung
• Die Materialisierung eines Risikos bezeichnet man als Schaden
=>
Schadenverteilung
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Beschreibung von Schadenereignissen
Hauptkriterien: Schadenhäufigkeit / Schadenanzahl und Schadenhöhe
=> diskrete oder kontinuierliche Schadenverteilung
N
n
S
s
Summenversicherung: Keine Berücksichtigung der Schadenhöhe, statt dessen
festgelegte Versicherungssumme als Leistungsbasis (Beispiel: Lebensversicherung)
Schadenversicherung: Berücksichtigung der Schadenhöhe, konkreter Schadenersatz als Leistungsbasis (Beispiele: KrankheitskostenvollV, Kfz-HaftpflichtV)
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Quantitative Schätzung von Risiken
Voraussetzungen zur Schätzung von Risiken:
- Anwendbarkeit statistischer Methoden
- ausreichende (statistisch verwertbare) Datenbasis
Voraussetzungen sind in der Praxis nicht immer erfüllt!
• Bei gesamtwirtschaftlichem Interesse, Versicherungsschutz anzubieten:
- Versicherungskonsortien, Risikoteilung => Idee der Rückversicherung
- Staatsgarantien
• Andererseits: Es gibt unversicherbare Risiken !
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Anwendung stochastischer / wahrscheinlichkeitstheoretischer und statistischer
Methoden:
1. Wahl des Modells
→ 2. Schätzung der Parameter
→ 3. Anpassungstest
→ 4. Fragestellung untersuchen
→ 5. Plausibilisierung
Oft fehlen exakte Informationen bezüglich der zugrunde liegenden Zusammenhänge
und Wirkmechanismen
=> Prüfung des gewählten wahrscheinlichkeitstheoretischen Modells unter
empirischen Aspekten
=> Die Risikoannahmen von Versicherungsprodukten bedürfen
permanenter Kontrolle
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Versicherungstechnisches Risiko
Definition:
Versicherungstechnisches Risiko bedeutet die positive Abweichung
der tatsächlichen von der modellierten Schadenverteilung
Gesetz der großen Zahl
=> Beobachtete Schadenverteilung S konvergiert im wahrscheinlichkeitstheoretischen Sinn gegen Wahrscheinlichkeitsverteilung
Versicherungstechnische Interpretation:
=> Ausgleich im Kollektiv, Ausgleich in der Zeit
Erwartete Schadenverteilung bestimmt Preis des Versicherungsschutzes
=> Versicherungstechnisches Äquivalenzprinzip:
erwarteter Schaden = erwartete (Netto-)Versicherungsprämie
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Bestandteile des versicherungstechnischen Risikos:
- Zufällige Abweichungen vom erwarteten Schadensverlauf (Schwankungsrisiko)
=> Kalkulation: Sicherheitszuschläge / Schwankungszuschläge
=> Solvabilität: Schwankungsrückstellung
- Inadäquate Modellwahl (Irrtumsrisiko)
=> Risikopolitik, Kontrolle der kalkulatorischen Annahmen
- Einflußfaktoren ändern sich (Änderungsrisiko)
=> Risikopolitik, Kontrolle der kalkulatorischen Annahmen
- Die Bestimmung der Zuschläge erfolgt mit Hilfe geeigneter Prämienprinzipien
• Erwartungswertprinzip P = (1 + α) * E[S]
• Varianzprinzip
P = E[S] + α * Var[S]
• etc.
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Beispiel 1:
Sterblichkeitsrisiko in der Lebensversicherung
Risiko:
Sterbewahrscheinlichkeit (Sterblichkeit) qx
1. Schritt:
Rohdatenbasis Bevölkerungsstatistik (z. B. Statist. Bundesamt)
Geburts- und Sterbedaten => Sterbealter ≈ tagesgenau
2. Schritt:
„Wieviele Personen sind im Beobachtungszeitraum x-jährig
gestorben?“
- Geburtstag des x-jährigen kann schon im Vorjahr liegen
=> Betrachte drei benachbarte Jahre
- Sterblichkeit x-jähriger ist heute eine andere als vor 20 Jahren
=> Generationenbetrachtung
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3. Schritt:
Ausgleichsverfahren zur Glättung zufälliger Schwankungen
4. Schritt:
Versicherungstechnische Zuschläge
- Sicherheitszuschlag
- Schwankungszuschlag
- Zuschlag wegen Irrtumsrisiko
- Zuschlag wegen Änderungsrisiko
q
q
x
q
x
x
x
Rohdaten
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x
Glättung
x
Zuschläge
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Vergleich verschiedener Sterbetafeln (1000 * qx):
- Todesfallrisiko vs. Erlebensfallrisiko: DAV 1994 T M vs. DAV 1994 R M
Alter
T
R
0
11,687
0,113
10
0,334
0,113
50
6,751
2,677
90
.
253,691
98,056
- Abhängigkeit vom Geschlecht: DAV 1994 T M vs. DAV 1994 T F
Alter
M
F
0
11,687
9,003
10
0,334
0,261
50
6,751
3,425
90
.
253,691
206,375
10
50
1,42 10,30
0,95
8,25
1,00
7,84
0,334 6,751
90
.
284,69
241,57
297,95
253,691
- Ältere vs. aktuelle Tafeln:
Alter
1924
1960
1986
1994
0
115,38
35,83
1,00
11,687
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Beispiel 2:
Elemente der Risikokalkulation
in der Kfz-Haftpflichtversicherung
• Genaue Schadenursache ist für Tarifierung nicht von Bedeutung
• Schadenhäufigkeiten und Schadenhöhen können sich schneller ändern als Sterblichkeiten in der LV
• In Deutschland Versicherungspflicht für alle Fahrzeughalter
• Empirische Erfassung wird erschwert durch hohe Fluktuation der Bestände
• Prämiendifferenzierung nach Risikomerkmalen: In Märkten mit Differenzierung
kommt es zur Wanderung schlechter Risiken zu Unternehmen ohne Differenzierung (Antiselektion)
=> Zwang zur Differenzierung
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Klasseneinteilung anhand von Risikomerkmalen:
• allgemein: Halterwohnort / Region
• personenbezogen: Geschlecht, Alter, Fahrpraxis, Fahrleistung, Zweitnutzer
• typabhängig: Hubraum / Leistung, Fahrzeugtyp
Fragen:
- Sind die Ausprägungen der Risikoklassen statistisch noch aussagekräftig?
=> Zahl der Merkmale darf nicht zu groß werden
- Welche Risikomerkmale sind überhaupt signifikant?
=> Einfluß der Einzelmerkmale muß geschätzt werden
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Eine Möglichkeit: Geschachtelte (lineare) Modelle
Beispiel mit zwei Merkmalen A und B:
Schadenbeobachtungen Sklm mit Ausprägungen k = 1,...,K für Merkmal A,
l = 1,...,L für Merkmal B, jeweils M Beobachtungen
Dreifach geschachteltes Modell:
• M1:
E[Sklm] = µ,
geschätzt durch µ
=> 1 Parameter
• M2:
E[Sklm] = µk
für festes k, geschätzt durch µk
=> K Parameter
• M3:
E[Sklm] = µkl für feste k,l, geschätzt durch µkl
=> K*L Parameter
Fehlerquadrate
Q1 = Σ (Sklm – µ)2, Q2 = Σ (Sklm – µk)2, Q3 = Σ (Sklm – µkl)2
erfüllen
Q1 ≥ Q2 ≥ Q3
Kriterium: Wenn (Q1–Q2)/(K–1) >> (Q2–Q3)/(KL–K), dann verzichte auf Merkmal B
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Allgemeine Probleme der Schadenversicherung
- Schäden können u. U. erst sehr spät gemeldet werden, Schadenbearbeitung kann
bei Rechtsunklarheit lange dauern (Beispiel: Öltankversicherung)
=> Spätschadenreservemodelle, Chain-Ladder-Verfahren
- Risiken treten auf, die bei Vertragsabschluß noch unbekannt waren
(Beispiel: Asbestschäden in der US-Haftpflichtversicherung)
=> Hoher Nachreservierungsaufwand kann für VU existenzbedrohend sein
- Ein einziges Großschadenereignis kann den Schadenverlauf erheblich verändern
=> Deutliche Auswirkungen auf Prämienverlauf (Beispiel: Unfallversicherung)
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