Grußwort Hanna Hertlein-Scheider, Niedersächsische Ministerin für
Transcription
Grußwort Hanna Hertlein-Scheider, Niedersächsische Ministerin für
1 Grußwort Hanna Hertlein-Scheider, Niedersächsische Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung anlässlich der Eröffnung des frauenORTES Maria Aurora von Königsmarck im Schloss Agathenburg Sehr geehrte Frau Roggmann, sehr geehrter Herr Roesberg, sehr geehrte Frau Tiemann, sehr geehrte Frau Twesten, sehr geehrte Frau Mattfeld-Kloth, meine Damen und Herren, herzlichen Dank für Ihre Einladung, an dieser Auftaktveranstaltung teilzunehmen. Es tut mir leid, dass Ministerin Rundt das Grußwort heute nicht selbst sprechen kann. Sie hätte es sehr gerne getan, aber eine Verlegung der Kabinettssitzung kam ihr dazwischen. Sie lässt Sie herzlich grüßen und wünscht dieser Veranstaltung einen guten Verlauf. Es gilt heute, den 26. frauenORT zu eröffnen. Mehr als zwei Dutzend Standorte weisen damit bereits in ganz Niedersachsen auf das Leben und die Leistung bedeutender Frauen hin. Der Flyer des Landesfrauenrats zeigt es: Wenn es im bisherigen Tempo weitergeht, wird die Landkarte bald ganz bunt sein. Bunt und vielfältig wie das Leben sind auch die Verdienste, Prägungen und Tätigkeiten der Frauen, die die Initiative frauenORTE ausgewählt hat: Juristinnen wie Anita Augspurg und Theanolte Bänisch, Lehrerinnen, Schriftstellerinnen, Malerinnen, Frauen in der Sozial- und Jugendarbeit, Widerstandskämpferinnen gegen den Nationalsozialismus – bemerkenswerte Frauen sie alle - mit eigenen Ideen und großer Menschlichkeit, Tatkraft, Umsicht und einer gehörigen Position Widerstandsgeist. Die Bandbreite ihrer Verdienste in den Bereichen Politik, Kultur, Bildung und Kirche spiegelt einmal mehr auch die Vielfältigkeit weiblicher Interessen und Befähigungen wider. Umso bedauerlicher ist es, dass wir auch heute noch in den Geschichtsbüchern nach der Frauengeschichte suchen müssen. Die männliche Geschichtsschreibung hat dem weiblichen Beitrag lange Zeit überhaupt keine Bedeutung zugemessen. Erst in den 1960er Jahren wurden Frauen als aktiv Handelnde in das Blickfeld der Geschichtswissenschaften gerückt, erst Ende der 1980er Jahre hatte sich Frauengeschichte als ein Teilgebiet der Wissenschaft etabliert. Sie ist jedoch kein isoliert zu behandelndes Themengebiet, sondern muss in jedem historischen Teilgebiet wahrgenommen und entsprechend gewürdigt werden. Die Vita der Namensgeberinnen der frauenORTE erstreckt sich über 5 Jahrhunderte. Frauen haben zu jeder Zeit Einfluss auf die deutsche Geschichte ausgeübt. Und sehr oft wurde von ihnen verlangt, dass sie im Hintergrund blieben, dass sie z. B. Erfindungen unter dem Namen ihres Mannes oder Vaters verkaufen -2mussten oder dass ihre Anliegen und Aussagen von männlichen Kollegen „gestohlen“ und als eigene Idee dargestellt wurden. Und wer glaubt, heute würden Frauen genauso sichtbar wie Männer, die Gleichberechtigung bewirke z. B. paritätische Veröffentlichungen, irrt. Gegenwärtig werden in der deutschsprachigen Version von Wikipedia mehr als 475.000 Männer und etwa 84.000 Frauen vorgestellt. Die deutsche Journalistin und Schriftstellerin Marielouise Jurreit merkte zu diesem Thema schon vor fast 40 Jahren kritisch an, dass Geschichte über Jahrhunderte hinweg als Verneigung der Männer voreinander praktiziert würde. Geändert hat sich noch nicht viel. Sehr geehrte Damen und Herren, mein ausdrücklicher Dank gilt deshalb insbesondere den Akteurinnen und Akteuren der Initiative FrauenORTE: - dem Kuratorium unter der Leitung von Frau Thümmler, - dem Fach-Beirat unter der Leitung von Frau Peters sowie - allen anderen Aktiven, den Gleichstellungsbeauftragten, Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen, den Kooperationspartnerinnen und -partnern in den jeweiligen FrauenORTen. Ohne Ihre Ideen und Ihren ausdauernden Einsatz wäre diese Initiative nicht durchführbar. Die Landesregierung unterstützt sie gerne. Vielen Dank auch an Ihre Kooperationspartnerinnen und –partner vor Ort. Die Kulturstiftung Schloss Agathenburg, die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Stade und die Stade-Tourismus-GmbH tragen ihren nicht unerheblichen Teil dazu bei, hier einen lebendigen frauenORT zu schaffen, der neugierig macht auf die „vergessenen Hälfte“ der Geschichte. Dank Ihrer Initiative entwickelt sich hier in Agathenburg ein Ort, der auf „die berühmteste Frau zweier Jahrhunderte“ aufmerksam macht - so eine Aussage des Philosophen Voltaire. Wir werden gleich noch einiges mehr zu dieser Netzwerkerin der Barockzeit, der Mätresse Augusts des Starken und Ur-ur-Großmutter der französischen Schriftstellerin George Sand hören. Da ich aus Hannover komme: es gibt im Leben von Aurora von Königsmarck früh einen deutlichen Bezug zu Hannover: Sie ging 1694 nach Sachsen, um mit Hilfe August des Starken nach ihrem Bruder Philipp Christoph von Königsmarck zu fanden, der im selben Jahr in Hannover verschwunden war. Erfolglos, wie wir heute wissen, Graf von Königsmarck wurde in Hannover wegen einer Liebesaffäre mit Sophia Dorothea von Celle auf den Stufen des Leineschlosses ermordet. Aber bei diesen Nachforschungen in Dresden kam es dann zur Verbindung mit August dem Starken. Gräfin Maria Aurora von Königsmarck galt als gebildet und unabhängig und wurde gleichermaßen bewundert wie beneidet. Sie ging keiner Konfrontation aus dem Weg, traf ihre Entscheidungen aber klug und be- -3sonnen. Maria Aurora Gräfin von Königsmarck war eine vorbildliche Diplomatin und Netzwerkerin. Sie sprach stets in verbindlichem Ton und war um Ausgleich bemüht. Heute würde die künstlerisch hochbegabte Frau vermutlich als Kosmopolitin und Mäzenin beschrieben werden. Anrede, Auf die Vielfältigkeit der frauenORTE habe ich bereits hingewiesen. Die letzte Eröffnungsveranstaltung war in Wolfsburg, wo mit Sybille von Schießzl die erste Hauptabteilungsleiterin des Volkswagenwerks Namensgeberin ist. Einer Physikerin, geboren zu Beginn des 20. Jahrhunderts, folgt direkt „eine große Dame der Barockzeit“, die Gedichte und Dramen schrieb, musizierte und komponierte, folglich als den „schönen Künsten“ verhaftet galt. Sehr verschiedene Frauenleben, aber beide Frauen können uns Vorbild sein in ihrer Fortschrittlichkeit. Sowohl die Naturwissenschaftlerin als auch die adelige Pröbstin (und mit ihnen unzählige andere) haben sich durchgesetzt. Viele Frauen vor uns haben sich dafür eingesetzt, dass wir heute wählen und gewählt werden können. Ihr Verdienst ist es, dass junge Frauen heute selbstverständlich das Abitur machen und studieren können. An uns ist es nun, diese Errungenschaften auszubauen und z.B. darauf zu achten, dass Vorstände paritätisch besetzt werden und Frauen einen gleichen Stundenlohn für gleichwertige Arbeit erhalten. Gleichwohl: Allein auf die Umsetzung eines gesetzlichen Rahmens zu achten reicht nicht. An dieser Stelle sind alle gefragt – staatliche Fürsorge kann diesen Part nicht allein übernehmen. Tradierte Rollenbilder müssen diskutiert und aktiv verändert werden – auch in den Köpfen von Frauen! Auch wir müssen bereit sein, unsere persönliche Komfortzone zu verlassen und neue Wege zu gehen. Auch viele Männer fühlen sich nicht mehr unbedingt wohl in ihrer „alten Rolle“. Sie brauchen aber vielerorts noch ein wenig Mut, das auch auszusprechen. Deshalb muss unser Aller Nahziel sein, partnerschaftliche Modelle zu akzeptieren, zu fördern und zu bewerben. Anrede, mein Eindruck, den ich in der Vorbereitung dieser Veranstaltung von Maria Aurora von Königsmarck gewonnen habe, ist: Es hätte ihr auch im 21. Jahrhundert gefallen. Sie wäre vermutlich eine selbstbewusste Frau, die zielstrebig eine akademische Ausbildung durchlaufen hätte und heute – wie damals – als eine sogenannte alleinerziehende Mutter ihren Lebensunterhalt verdienen würde. Sie hätte wahrscheinlich Spaß an einem selbst bestimmten Leben mit allen Nöten, aber auch Freiheiten und würde ihren Freunden und Bekannten in sehr diplomatischen Worten erklären, wie „modernes Leben“ heute geht. Vielleicht wäre sie eine ausgezeichnete Politikerin und das möglicherweise im EU-Parlament. Ich vermute, sie wäre uns in jedem Fall ein Vorbild in Sachen Geschlechtergerechtigkeit und würde ein erfolgreiches Lebenswerk zustande bringen. Vielen Dank, lieber Landesfrauenrat, und vielen Dank, liebe Unterstützenden, für die Sichtbarmachung einer spannenden Frauenpersönlichkeit!