das war schon immer nur Sumpf oder Von der Notwendigkeit des

Transcription

das war schon immer nur Sumpf oder Von der Notwendigkeit des
Fachhochschule Eberswalde
Masterstudiengang Nachhaltiger Tourismus
... das war schon immer nur Sumpf
oder
Von der Notwendigkeit des Moortourismus’
Ökotourismus in sensiblen Gebieten am Beispiel des
„Goldenstedter Moores“
Beleg Modul Ökotourismus Wintersemester 2005/2006
Dozent: Prof. W. Strasdas
Dörte Beyer
Matrikel 620512
Vorbemerkungen
Ein Nachbar war damit beschäftigt, in einem an unseren Garten angrenzenden Erlenbruch
wahllos Bäume abzusägen, um Licht zu schaffen. Mein Ehemann hatte ihn darauf
hingewiesen, dass er in diesem „geschützten Biotop“ nicht einfach Bäume absägen könne.
Sein Gegenargument:
„Das ist kein Biotop, das war schon immer nur Sumpf!“
Diese Anekdote verdeutlicht zweierlei:
Zum einen zeigt sie, dass der Wert und die Empfindlichkeit des Ökosystems Sumpf1 bzw.
Moor in der breiten Bevölkerung nicht bekannt ist. Vorurteile und Schauermärchen halten
sich hartnäckig. Moor wird mit „Schmutz“, unbegehbarer Pampe gleichgesetzt, die allenfalls
zum Müllversenken taugt. Im Ranking der schönen und wertvollen Landschaften landete das
Moor vermutlich auf den untersten Rängen – kurz vor den Truppenübungsplätzen.
Zum anderen zeigt diese Antwort aber auch, dass mit wissenschaftlicher Belehrung keine
Änderung dieser Ansicht erreicht werden kann. Um das Bewusstsein der Menschen zu
erreichen, muss man ihnen die Möglichkeit geben, dieses weitestgehend unbekannte
Ökosystem „Moor“ kennenzulernen und im wahrsten Sinne des Wortes zu erleben.
Ein regelrechter „Moortourismus“ hat sich in den letzten Jahren – insbesondere in den
westlichen Bundesländern – entwickelt. Zahlreiche Moorlehrpfade ermöglichen dem
Besucher, in bislang wenig erschlossene Bereiche vorzudringen und die Einzigartigkeit dieses
Übergangsbereiches zwischen Festland und Wasser zu erfahren.
Die folgenden Ausführungen beschreiben am Beispiel des Goldenstedter Moores eine
Möglichkeit, das Moor zum Ausflugsziel von Tagestouristen zu machen, mit dem Ziel,
Verständnis für dieses wertvolle wie auch empfindliche Ökosystem zu wecken.
Kritisch steht dabei die Frage „Ist dieser Moortourismus wirklich Ökotourismus?“ im
Mittelpunkt der Betrachtungen.
1
Sumpf und Moor werden umgangssprachlich synonym verwendet, sind aber nicht das Gleiche. Im
wissenschaftlichen Sinne handelt es sich bei Sumpf um anmoorige Böden mit geringer Torfmächtigkeit.
2
Inhaltsverzeichnis
1
Die Theorie – Eine Abklärung der Begriffe ........................................................... 4
1.1
Der Ökotourismus ...................................................................................................... 4
1.2
Das Ökosystem Moor – eine kurze Moorkunde......................................................... 5
1.2.1
Entstehung.......................................................................................................... 5
1.2.2
Bedeutung........................................................................................................... 5
1.2.3
Gefährdung......................................................................................................... 6
1.2.4
Moornutzung ...................................................................................................... 7
1.2.5
Mythos Moor...................................................................................................... 8
2
Die Praxis – Tourismus in Mooren ........................................................................... 9
2.1
Beispiel: Das Goldenstedter Moor ............................................................................. 9
2.2
Tourismus im Goldenstedter Moor .......................................................................... 10
2.2.1
Die Initiatoren .................................................................................................. 10
2.2.2
Das Naturschutz- und Informationszentrum (NIZ):......................................... 10
2.2.3
Zielgruppe ........................................................................................................ 13
2.2.4
Finanzierung..................................................................................................... 13
2.2.5
Öffentlichkeitsarbeit......................................................................................... 13
2.3
Moortourismus in Goldenstedt = Ökotourismus ? ................................................... 14
3
Fazit................................................................................................................................. 20
Abbildungsverzeichnis:...................................................................................................... 22
Quellenangabe ...................................................................................................................... 23
3
1
1.1
Die Theorie – Eine Abklärung der Begriffe
Der Ökotourismus
In der Fachliteratur findet man unterschiedliche Definitionen und Synonyme für den Begriff
„Ökotourismus“. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird er häufig mit „Naturtourismus“ oder
„Nachhaltigem Tourismus“ gleichgesetzt bzw. auch missbraucht. Nicht alles, was unter dem
Begriff „Ökotourismus“ vermarktet wird, zählt bei genauerer Betrachtung auch wirklich dazu.
So werden (Fern-)Reisen in landschaftlich und ökologisch reizvolle Gebiete mit dem Prädikat
„Öko“ angeboten, weil „ [...] das Erleben von Natur im Mittelpunkt steht“2 – ein Kriterium,
das den „Naturtourismus“ erklärt. Naturtourismus nimmt jedoch nicht zwangsläufig
Rücksicht auf die Umweltauswirkungen der geplanten Touren und auf die Belange der
einheimischen Bevölkerung.
„Nachhaltiger Tourismus“ dagegen definiert sich über die langfristig angelegte ökologische
Verträglichkeit, ökonomische Ergiebigkeit und soziale Verantwortbarkeit des Reisens3 bezogen auf alle Tourismusformen. Neben den Naturreisen können auch Städte- und
Geschäftsreisen, Kultur- und Strandtourismus nachhaltig im Sinne der Definition sein4.
„Ökotourismus“ grenzt sich von den vorangegangenen Definitionen ab als „ [...] eine Form
verantwortungsbewussten Reisens in naturnahe Gebiete, bei dem das Erleben von Natur im
Mittelpunkt steht. Ökotourismus minimiert negative ökologische und sozio-kulturelle
Auswirkungen, trägt zur Finanzierung von Schutzgebieten oder Naturschutzmaßnahmen bei
und schafft Einkommensmaßnahmen für die lokale Bevölkerung. Indirekt soll Ökotourismus
die Naturschutzakzeptanz relevanter gesellschaftlicher Akteure erhöhen“5.
Ökotourismus ist - vereinfacht formuliert - „N a c h h a l t i g e r N a t u r T o u r i s m u s “.
Naturtourismus
Ökotourismus
Nachhaltiger Tourismus
Abbildung 1: Schematische Darstellung Naturtourismus – Ökotourismus – Nachhaltiger Tourismus
Quelle: eigener Entwurf, frei nach STRASDAS 2001
2
STRASDAS 2001, S. 6
sinngemäß BECKER, JOB, WITZEL
4
STRASDAS 2001, S. 8
5
ebenda, S. 6
3
4
1.2
Das Ökosystem Moor – eine kurze Moorkunde
Um die Brisanz des Themas „Tourismus im Moor“ zu verstehen, muss man ein Grundwissen
zur Entstehung, ökologischen Bedeutung und Gefährdung der Moore haben. Aus diesem
Wissen lässt sich das Potential für eine touristische Nutzung ableiten. Deutlich wird aber auch
die Empfindlichkeit dieses Ökosystems und damit die Anforderungen an einen ökologisch
verträglichen Tourismus.
1.2.1 Entstehung
Per Definition bildet eine mindestens 30 cm starke Torfschicht ein Moor6. Torf besteht aus
Pflanzenresten und anderer toter organischer Substanz, die auf Grund von durch
Wassersättigung bedingtem Luftabschluss nicht abgebaut und mineralisiert werden können.
Die Torfschicht wächst durchschnittlich 1 mm pro Jahr. Der Wasserüberschuss ist die
Voraussetzung für die Entstehung sowie die Erhaltung aller Moortypen. Eine Ausnahme
bildet hierbei der degenerierte Moortyp – die Moorheide.
Nach der Herkunft des Wassers unterscheidet man Hoch- und Nieder- bzw. Flachmoore.
Niedermoore werden durch (meist nährstoffreiches) Grund- oder Oberflächenwasser gespeist.
Sie entstehen dort, wo sich Wasser sammelt und nicht abfließen kann. Zahlreiche
Niedermoore sind aus verlandeten Seen hervorgegangen. Aber auch Versumpfungsmoore in
Geländesenken, Überflutungsmoore in Flussauen, Quellmoore an Quellaustritten oder
Überrieselungsmoore an Berghängen findet man in den meisten Landschaften.
Hochmoore bilden sich durch den Überschuss an nährstoffarmen Niederschlagswasser auf
schwer durchlässigem Untergrund. Die typischen Regenwasserhochmoore sind nur in
Deutschland und Skandinavien verbreitet7.
Hochmoore können auch aus Niedermooren hervorgehen, wenn diese aus dem
Einflussbereich des Grund- bzw. Oberflächenwassers regelrecht „herauswachsen“. In dieser
Phase spricht man von Zwischen- bzw. Übergangsmooren.
1.2.2 Bedeutung
Intakte Moore sind Lebensraum hochspezialisierter Tier- und Pflanzenarten. In Hochmooren
beispielsweise leben 120 bis 150 nur hier vorkommende Insekten- und Spinnenarten8. Die
Anzahl der nur in Mooren vorkommenden Arten ist vergleichsweise nicht sehr hoch, der
Anteil verschollener oder bedrohter Tier- und Pflanzenarten ist jedoch enorm groß.
Entsprechend wertvoll sind Moore für den Naturschutz.
6
JEDICKE 1992, S. 199
BARTELS 1992, S. 93
8
JEDICKE 1992, S. 200
7
5
Weitere Bedeutung haben Moore als „Wasserspeicher“ für den Landschaftswasserhaushalt.
Vor allem Niedermoore saugen wie ein Schwamm hohe Mengen an Niederschlags- oder
Überschwemmungswasser auf und geben dieses in trockenen Perioden erst allmählich wieder
in die Landschaft ab.
Das wachsende Moor fungiert als Stoffsenke. Nähr- und auch Schadstoffe werden im Torf
festgelegt.
Die nährstoffarmen Moortypen reagieren besonders sensibel auf Umweltveränderungen wie
z.B. Luftverschmutzung und sind damit wichtige Bioindikatoren.
In den oft mehrere Jahrhunderte bis Jahrtausende alten Torfschichten sind die Reste der
torfbildenden Pflanzen und Pollen konserviert und ermöglichen so einen Einblick in die
Landschaftsgeschichte.
Aber nicht nur Paläobotaniker, auch Archäologen und Historiker schätzen den
wissenschaftlichen Wert der Moore. Man fand Siedlungsreste und tausend Jahre alte,
kilometerlange Bohlenwege in Moorlandschaften, die Rückschlüsse auf alte Handelswege
ermöglichen. Die spektakulärsten Funde sind Moorleichen, die zum Teil so gut erhalten sind,
dass man an ihnen die Ernährungsweise und Krankheiten der Menschen untersuchen kann,
die mitunter vor 2000 Jahren gelebt haben. Deren Kleidung, Schmuck und Waffen geben
einen Einblick in die Kultur längst vergangener Epochen. Je nach Zustand der Leichen lassen
sich die Umstände des Todes rekonstruieren. Die Mehrzahl der ca. 600 in Europa bekannt
gewordenen gefundenen Moorleichen starben eines gewaltsamen Todes – sie waren
hingerichtet, ermordet oder den Göttern geopfert worden. Selten handelt es sich hierbei um
verunglückte Wanderer, die in einen Moorkolk9 gerieten und ertranken.
Regelrechte Berühmtheit erlangten besonders gut erhaltene Moorleichen wie der „Mann von
Tollund“.
Diese schauerlich-interessante Bedeutung des Moores ist für eine touristische Nutzung von
großer Relevanz.
1.2.3
Gefährdung
Moore sind heute extrem gefährdet. Von der ursprünglich auf dem Gebiet SchleswigHolsteins vorhandenen Moorfläche kann heute nur noch 1% als ökologisch intakt bezeichnet
werden10. In anderen Bundesländern sieht es ähnlich aus.
Die größte Gefahr für Moore ist die Entwässerung. Für eine land- oder forstwirtschaftliche,
mitunter aber auch touristische Nutzung der Landschaft sind große Moorflächen melioriert
worden. Der Eingriff in den Wasserhaushalt ändert den Charakter des Moores maßgeblich.
9
10
Moorkolk ist die Bezeichnung für den Restsee, eine offene Wasserfläche im Moor.
SCHWERTNER 1991, S. 30
6
Gelangt Luft an den ausgetrockneten Moorboden, beginnt sofort die Zersetzung des Torfes –
er mineralisiert. Dieser Prozess ist – im Gegensatz zu bestimmten Schäden in anderen
Ökosystemen - nicht umkehrbar! Renaturierung von Mooren durch Wiedervernässung kann
daher nur leisten, diesen Prozess zu stoppen und die neue Torfbildung zu unterstützen. Auch
die Wiedervernässung selbst ist auf Grund der Menge der während der Torfzersetzung
freigesetzten Nährstoffe nicht unproblematisch.
Die nährstoffarmen Moore reagieren extrem empfindlich auf den Eintrag von Nährstoffen.
Von angrenzenden Flächen werden Nährstoffe aus Dünger und Humus sowie Schadstoffe aus
der Luft eingeschwemmt bzw. eingetragen. Nicht selten waren Moore auch als Mülldeponien
genutzt worden.
Die Beweidung von Moorflächen führt zu Schäden durch Verbiss und vor allem Tritt. Moore
reagieren sehr empfindlich auf Trittschäden.
Der im großen Umfang betriebene Abbau von Torf vernichtet(e) die gesamte Vegetation
(siehe dazu auch Kap. 1.2.4 Moornutzung).
Intakte Moore genießen heute besonderen Schutz – im moorreichen Land Brandenburg
beispielsweise finden sich im Brandenburgischen Naturschutzgesetz (BbgNatSchG) §32
entsprechende Regelungen.
Die touristische Erschließung von Mooren kann ebenfalls zur Beeinträchtigung von Flora und
Fauna führen. Störungen der sensiblen Tierwelt, Trittschäden und Müll entlang der Wege des
einst unbegehbaren Moores können die Folge sein.
1.2.4
Moornutzung
Mit dem Urbarmachungsedikt Friedrich des Großen (1765) begann man mit der
systematischen Erschließung der Moorflächen in Preußen. Moore wurden im großen Umfang
entwässert, um die Flächen landwirtschaftlich zu nutzen. Von den einst großflächig
vorhandenen Mooren ist nur noch ein Bruchteil erhalten geblieben. Heute werden meliorierte
Moorflächen vor allem als Grünland genutzt.
Auf Moorstandorten wurde früher Raseneisenstein und Wiesenkalk gewonnen11.
Mit dem Abbau des Torfes ging die gründliche Zerstörung der Moore weiter. Torf fand und
findet vielfältige Verwendung. Schwarztorf wurde als Brennstoff genutzt. Bis 1974 gab es
sogar Torfkraftwerke in Deutschland12.
Weißtorf verwendete man als Einstreu in Viehställen. Im Gartenbau wird Torf auch heute
noch als Kultursubstrat und „Bodendurchlüfter“ verwendet. Im medizinischen Bereich nutzt
11
12
LUTHARDT 2005
BARTELS 1992, S. 99
7
man Torf für Moorbäder. In der Whisky-Herstellung benötigt man Torf zum Räuchern der
Gerste.
Im technischen Umweltschutz ist Torf für die Herstellung von Aktivkohlefiltern notwendig.
Torfgranulat bindet Schwermetalle aus verseuchten Abwässern und kann bei der
Luftreinigung und Trinkwasseraufbereitung eingesetzt werden.13 Aus diesem Grund wird
auch heute noch Torf abgebaut.
Im Moor-Tourismus werden auch Torf bzw. der Torfabbau thematisiert.
1.2.5
Mythos Moor
Die Menschen des Mittelalters erlebten die ausgedehnten Moorlandschaften als unwirtlichen,
schwer passierbaren und damit menschenfeindlichen Ort. Der schwankende Boden weckte
wenig Vertrauen. Grausige Geschichten von Wanderern, die im Moor versunken sind,
unerklärliche Naturerscheinungen wie Irrlichter14 oder der über dem kühlen Moorkörper
häufig auftretende Nebel machten für sie dieses Ökosystem zu einem „Ort des Teufels“ –
„Teufelsmoor“ heißen Gegenden in ganz Europa - von Sibirien bis Schottland15.
Viele Märchen und Legenden ranken sich darum um das „schauerliche und gespenstische
Moor“. Zahlreiche Dichter und Poeten versuchten, das Geheimnis der Moore in Worte zu
fassen. Selbst der eher durch seine „Theorie des Materialismus“ bekannte Philosoph Friedrich
Engels erlag dieser Faszination und schrieb:
„[...]; in der Ferne blitzt das Wasser der Moore im Widerschein des Mondes, Irrlichter
gaukeln darüber hin, unheimlich ertönt das Geheul des Sturmes über die weite Fläche, der
Boden wird unsicher unter euch, und ihr fühlt, dass ihr in den Bereich der deutschen
Volkssage gekommen seid.“16
Das Moor im Märchen oder in der Sage ist immer ein mystischer Ort des Bösen. Irrlichter–
„brennende Seelen der Toten“ - locken den Wanderer immer tiefer in die tödliche Einsamkeit
des Sumpfes und treiben ihn zum Wahnsinn. „Erlkönigs Töchter“ treiben ihr schauerliches
Spiel mit nächtlichen Wanderern – ebenso viel zitiert „Der Knabe im Moor“ von Annette von
Droste-Hülshoff.
Der Mythos des unheimlichen Moores findet sich auch in neuzeitlicher Literatur wieder.
Genial ist das Bild von den „Sümpfen der Traurigkeit“ in der „Unendlichen Geschichte“ von
13
ebenda, S. 100
Irrlichter sind kleine vom Boden aufsteigende Flämmchen, die auf sumpfigen Wiesen und moorigem Gelände
durch aufsteigendes Gas (vermutlich ein Gemisch aus PH3 und H2S) entstehen, welches sich an der Luft selbst
entzündet. Die Flämmchen leuchten nur einige Sekunden lang und sind 1-11cm hoch. Dadurch, dass ein Irrlicht
an einer Stelle erlischt und etwas entfernt ein neues Irrlicht auftaucht, entsteht der Eindruck, dass die Lichter
über das Moor wandern. Quelle: http://www.meteoros.de/irrlicht/irrlicht.htm
15
sinngemäß SUCCOW, JESCHKE 1990, S. 9
16
Friedrich ENGELS in BARTELS 1992, S. 5
14
8
Michael Ende. In der Traurigkeit – die so schwer und undurchdringbar ist wie das Moor selbst
– versinkt, wer sich nicht dagegen wehren kann.
Diese mystische Stimmung ist es, die für viele Moortouristen dieses Ökosystem so interessant
macht.
2
Die Praxis – Tourismus in Mooren
2.1 Beispiel: Das Goldenstedter Moor
Das Goldenstedter Moor liegt im Naturpark Wildeshauser Geest und gehört zusammen mit
dem Dreiecksmoor zum „Großen Moor“ bei Barnstorf in Niedersachsen. Das wiederum ist
Teil
des
Naturraums
Diepholzer
Moorniederung, einem der größten
zusammenhängenden
Moorgebiete
Deutschlands. Größere Städte in der Nähe
sind Bremen, Oldenburg, Osnabrück und
Hannover.
Das Goldenstedter Moor ist ein
Hochmoor, das ausschließlich von
Niederschlagswasser gespeist wird. Es ist
stark degeneriert - seit Jahrzehnten wird
die entwässerte Fläche landwirtschaftlich
genutzt und Torf abgebaut. Im Zuge des
niedersächsischen Moorschutzprogramms
von 1981 wurde das Gebiet 1987 zum
Naturschutzgebiet erklärt. Der Torfabbau
ist unter Auflagen noch bis 2015 Abbildung 2: Übersichtskarte Naturpark Wildeshauser Geest
Quelle: Broschüre des Naturparks
genehmigt. Die Torfabbaubetriebe sind
verpflichtet, die Renaturierung der abgetorften Flächen zu finanzieren.
Noch vor der Unterschutzstellung wurde mit Versuchen begonnen, die teilabgetorften
Moorflächen durch Anstauen von Regenwasser zu renaturieren und die Samen der
hochmoortypischen Pflanzen zu aktivieren. In Folge der Wiedervernässung hat sich eine
torfbildende Hochmoorvegetation entwickelt. Die Renaturierung begann vor mehr als 20
Jahren in Abstimmung mit der Unteren Naturschutzbehörde in enger Zusammenarbeit mit der
9
Staatlichen Moorverwaltung, den heimischen Torfwerksbesitzern Böske und Wübbeler sowie
den Goldenstedter Naturfreunden17.
Etwa 2/3 der Fläche des Goldenstedter Moores ist heute wiedervernässt. Die Flächen befinden
sich in unterschiedlichen Entwicklungsphasen. Darunter sind auch einige der ältesten
Renaturierungsflächen Deutschlands. Der moorkundige, wissenschaftlich interessierte
Besucher kann im Goldenstedter Moor daher die einzelnen Stadien der Moorregeneration
beobachten. Doch auch der unbedarfte, naturinteressierte Ausflügler dürfte von dem
Gegensatz zwischen den monotonen riesigen Abtorfungsflächen und der Schönheit und
Lebensfülle der großflächigen Renaturierungsgebiete beeindruckt sein.
2.2
2.2.1
Tourismus im Goldenstedter Moor
Die Initiatoren
Seit ca. 25 Jahren18 – damals noch sporadisch - führt man interessierte Besucher durch das
Goldenstedter Moor.
Die verstärkte touristische Nutzung des Goldenstedter Moores wird auf Initiative des
Fördervereins Goldenstedter Moor e.V. vorangetrieben. Die Einwohner der Gemeinde
Goldenstedt – allen voran ihr Bürgermeister Willibald Meyer - unterstützen tatkräftig und mit
viel ehrenamtlichem Engagement das Projekt. Frauen des Dorfes backen Kuchen, der am
Wochenende den Besuchern des Naturschutz- und Informationszentrums Goldenstedt (NIZ)
angeboten wird. Ältere Einwohner der Gemeinde, die sich noch an die harte Arbeit des
Torfstechens erinnern, berichten auf Führungen gern von ihren Kindheitserinnerungen19.
Unterstützung erfahren die Goldenstedter auch vom Zweckverband des Naturparkes
Wildeshauser Geest.
Deutlich wird das ehrenamtliche Engagement – wenn auch im anderen Sinne - auf den
Internetseiten des Goldenstedter Moores (www.goldenstedter-moor.de), denn auf den
informativen Seiten finden sich zahlreiche Schreibfehler und einige falsch verwendete
Fremdwörter.
2.2.2
Das Naturschutz- und Informationszentrum (NIZ):
Seit 1992 gibt es das NIZ, das in Zusammenarbeit mit dem Förderverein Goldenstedter Moor
e.V. und dem „Ländliche Erwachsenenbildung Goldenstedt“ (LEB) am Rand des
Moorgebietes errichtet wurde.
17
Quelle: Hwww.goldenstedter-moor.deH 22.02.06
ZURBORK Vortrag „Das Goldenstedter Moor“ auf dem Reisepavillon Hannover 04.02.06
19
WIECHMANN 2006; Gespräch auf dem Reisepavillon in Hannover, 04.02.06
18
10
Unter Leitung von erfahrenen Moorführern des NIZ sind Exkursionen in das
Naturschutzgebiet Goldenstedter Moor sowie Wanderungen im Moorrandbereich möglich.
Auf Wunsch wird in traditioneller Arbeitskleidung die harte Arbeit des Torfstechens
demonstriert
Herzstück des NIZ ist das „Haus im Moor“, das dem Besucher durch Wechselausstellungen,
Multivisionsschau, Bibliothek und einem virtuellen Spaziergang durch das Moor Einblick in
die Thematik bietet.
Besucher können sich im „Haus im Moor“ mit moortypische Speisen
Buchweizenpfannkuchen mit Preiselbeeren und Buchweizentorte bewirten lassen.
wie
Weitere direkt das Moor betreffende Einrichtungen des NIZ sind: 20
Moortunnel: Im Moortunnel werden interessante Einblicke in die "Unterwelt des Moores"
gewährt. Er verbindet Gruseliges mit Informativem. Wie durch ein Schlüsselloch werden u. a.
die Themen Arbeiten im Moor und die Besiedlung der Moore beleuchtet. Mit verschiedenen
archäologischen Funden und der Aufarbeitung des Schicksals von Jan Spieker wird
Spektakuläres aus alten Zeiten dargestellt.
Moorbahn: Etwa 1 1/2 Stunden dauert die Fahrt tief in das Goldenstedter Moor hinein. Sie
führt vorbei an alten bäuerlichen Handtorfstichen, an fast unberührten Moorflächen und an
Renaturierungsareale, die sich in unterschiedlichen Entwicklungsstadien befinden. Begleitet
wird die Fahrt von einem fachkundigen Referenten. Die Moorbahn fährt von März bis
Oktober.
Moorerlebnispfad: Der Moorerlebnispfad ist ein
ca. 800 m langer Rundgang auf Bohlen durch eine 5
ha große Demonstrationsfläche. Nicht nur Pflanzen
und Tiere des Moores kennenlernen, sondern
hautnah
erleben,
ist
das
Ziel
des
Moorerlebnispfades. [...] An 15 Standorten werden
durch farbige Lerntafeln die Entstehung,
Zusammensetzung, die Ökologie sowie die
verschiedenen Nutzungsformen des Goldenstedter
Moores dargestellt. Dabei muss schon mal Torf in Abbildung 3: Moorlehrpfad im Goldenstedter Moor
die Hand genommen werden, um zu "begreifen“, Quelle: www.goldenstedter-moor.de
was Moor eigentlich ist . Ein Erlebnis besonderer Art ist der Barfußpfad. [...] Beeindruckend
ist vor allem der Gegensatz zwischen der Monotonie riesiger Abtorfungsflächen und der
Lebensfülle großflächiger Renaturierungsgebiete.
20
Die grau geschriebenen Textteile sind Auszüge der Internetseiten Hwww.goldenstedter-moor.deH Stand 02/
06
Die im Original auf den Seiten vorhandenen Schreibfehler wurden korrigiert.
11
Moorbioskopion:
Das Moorbioskopion ist ein
dreigeschossiger Holzturm, er bietet vor allem Schülern
die Möglichkeit, im Umweltlabor (Erdgeschoss) an
Binokularen und Mikroskopen Torf auf seine
Bestandteile zu untersuchen. Im zweiten Geschoss ist ein
Unterrichtsraum eingerichtet, der sich als Tagungsraum
hervorragend eignet. Auf der Aussichtsplattform (dritte
Etage) erhält der Besucher einen unvergesslichen
Eindruck von der faszinierenden Weite und
landschaftlichen Schönheit des Moores. Der Besucher
sieht von diesem Turm aus aber vor allem die
Entwicklung der Wiedervernässung und Renaturierung
von teilabgetorften Moorflächen auf dem NIZ-Areal und
im angrenzenden Dreiecksmoor.
Abbildung 4: Moorbioskopion
Quelle: www.goldenstedter-moor.de
Bahnhof:
Hier
beginnt
und
endet
die
Fahrt
mit
der
Moorbahn.
In der Außenwand des Bahnhofs ist ein Touch-Monitor angebracht, der eine interaktive
Auseinandersetzung mit dem Thema "Moor" ermöglicht. Der Besucher kann sich also über
das Moor auch dann schlau machen, wenn die Moorbahn ihm vor der Nase weggefahren ist
und er leider keine Zeit hat, auf die nächste Fahrt zu warten.
Arkeburger Moorhexen: Ein Angebot ohne wissenschaftlichen Hintergrund sind die
sogenannten Arkeburger Moorhexen. Frauen aus der Region haben Spaß daran, sich als
Moorhexen zu verkleiden und auf dem Gelände des NIZ aus Gräben oder hinter absterbenden
Birken plötzlich aufzutauchen und wieder zu verschwinden. Vor allem für Kinder sind sie ein
besonderes Erlebnis, wenn diese den ersten Schrecken überwunden haben. Die Arkeburger
Moorhexen können auch für Kindergeburtstage im Moor gebucht werden.
In einem kleinen Shop können NIZ-Andenken wie z. B. Bücher, Postkarten, Moorfotos, CDROM, Moortropfen, Honig, Heidelbeermarmelade, Nistkästen, Futtereulen und Fackeln
gekauft werden.
Verschiedene Aktionen – Vorträge, Moormarathon und Apfeltag - sollen verstärkt Besucher
ins NIZ locken. Im vergangenen Jahr fand ein 5tägiges Ferien-Erlebniscamp für Schulkinder
im Goldenstedter Moor statt, das im diesjährigen Programm der Wildnisschule nicht genannt
ist21.
21
Hhttp://www.wildnisschule.de/html/kursbeschreibungen.htmlH 24.02.06
12
2.2.3 Zielgruppe
Angesprochen werden soll jedermann - vom Grundschüler bis zum Moorexperten. An den
einzelnen Stationen werden die Ökologie des Moores und seine Nutzung, insbesondere der
Torfabbau mit einfachen Worten anschaulich erklärt. Für alle, die tiefer in die Thematik
einsteigen möchten, werden in einem Begleitheft alle angesprochenen Themenbereiche
eingehend behandelt. Für Schulklassen und angemeldete Gruppen sind spezielle Programme
buchbar.
2.2.4 Finanzierung
Das NIZ „Goldenstedter Moor“ finanziert sich im wesentlichen über den gleichnamigen
Förderverein, über die Gastronomie sowie über die Preise für Moorbahnfahrt, Führungen,
Dia-Multivisionsschau und Schulprogramme. Über den Förderverein können Spendenmittel
eingeworben werden. Viele Arbeiten werden von ehrenamtlichen Helfern erledigt.
Eine Preisliste der Angebote befindet sich im Anhang.
Nach Auskunft Herrn Wiechmanns arbeitet das NIZ damit kostendeckend22.
2.2.5 Öffentlichkeitsarbeit
Die Werbung für das NIZ läuft zum großen Teil über den Naturpark Wildeshauser Geest, in
dessen Broschüren auf das Goldenstedter Moor hingewiesen wird. Das NIZ verfügt über
einen eigenen Flyer. Der Bürgermeister der Gemeinde schreibt gelegentlich Artikel, die in der
Regionalpresse erscheinen23. Man nutzt Messen wie den Reisepavillon, um auf sich
aufmerksam zu machen. Mit Erfolg, wie es scheint: seit Jahren nehmen die Besucherzahlen
stetig zu. Derzeit kommen jährlich 25.000 bis 30.000 Besucher24 ins Goldenstedter Moor –
die Hälfte der Besucher reist mit Bussen in Reisegruppen an.
Abbildung 5: Haus im Moor Quelle: www.goldenstedter-moor.de
22
WIECHMANN 2006
ebenda
24
ebenda
23
13
2.3
Moortourismus in Goldenstedt = Ökotourismus ?
In Anlehnung an die Definition von STRASDAS werden die Kriterien für Ökotourismus den
Bedingungen im Goldenstedter Moor gegenübergestellt:
a) ... verantwortungsbewusstes Reisen in naturnahe Gebiete ...
„Naturnahe“ Ökosysteme sind gekennzeichnet durch „[...] eine große ökologische Vielfalt
und anthropogen kaum beeinflusste Geoökofaktoren. Dabei stehen die organischen den
natürlichen bzw. potentiell natürlichen Verhältnissen noch nahe, und die anorganischen
Geoökofaktoren sind infolge geringer Nutzungsintensität nicht oder nur lokal gestört“25.
Intakte Moore zählen zweifellos zu den naturnahen Ökosystemen. Jedoch nur noch 1% der
ursprünglichen Moorfläche in Deutschland kann heute als naturnah bezeichnet werden.
Das Goldenstedter Moor ist durch jahrelangen Torfabbau verbunden mit Entwässerung ein
stark degeneriertes Moor. Die Bereiche, in denen heute noch Torf abgebaut wird, sind
naturfremd. Auf zwei Dritteln der Fläche ist die Renaturierung eingeleitet - auf den ältesten
Flächen bereits seit zwei Jahrzehnten. Ziel der Renaturierung ist es allgemein, den
ursprünglichen Zustand wieder herzustellen – bei Mooren ist das nur bedingt möglich. Die
Regeneration von Mooren ist ein sehr langwieriger Prozess - erst über einen Zeitraum von
Jahrzehnten wird mit dem erneuten Torfbildungsvermögen wiedervernässter Flächen
gerechnet26.
Die wiedervernässten Moorflächen bei Goldenstedt befinden sich in unterschiedlichen
Entwicklungsstadien. Auf einigen Bereichen hat sich bereits torfbildende
Hochmoorvegetation wie Torfmoos und Wollgras entwickelt. Inwieweit diese Flächen im
engeren Sinne der Definition als „naturnah“ bezeichnet werden können, und ob der
vorangegangene menschliche Eingriff und damit die irreversible Änderung des
ursprünglichen Zustandes überhaupt das Prädikat „naturnah“ zulassen, müsste weiter
untersucht werden.
Mit fortschreitender Regeneration und Ausbildung der
hochmoortypischen Vegetation wird sich der Zustand des Moores jedenfalls weiter den
natürlichen Verhältnissen eines Hochmoores „nähern“.
Nach STRASDAS werden die naturnahen Zielgebiete noch zusätzlich beschrieben als „[...],
häufig Schutzgebiete, die touristisch interessante natürliche Attraktionen aufweisen27.“ Dieser
Aspekt trifft für das unter Schutz gestellte Goldenstedter Moor zu.
25
Leser et al. 1993, S.10
sinngemäß Umweltministerium MV
Hhttp://www.um.mv-regierung.de/moore/grundlagen/pages/gz-zusfassung.htmlH
27
Strasdas 2001, S. 4
26
14
→ Das Kriterium „naturnahe Gebiete“ wird im Goldenstedter Moor i.e.S. der Definition
„naturnah“ nicht erfüllt. (-)28
Die Touristen kommen aus der Region selbst oder aus benachbarten Urlaubsregionen für
einen Tagesausflug nach Goldenstedt. Die Hälfte der Besucher reist in einer Gruppe mit
Reisebussen an. Es ist zu vermuten, dass die anderen Gäste mit dem Auto kommen. Auf dem
Flyer des NIZ wird nur die Anreise mit dem Auto (Straßenübersichtskarte) beschrieben.
Vermutlich besteht keine Möglichkeit, mit Öffentlichen Verkehrsmitteln bis zum
Goldenstedter Moor zu gelangen.
→ Im Vergleich zu Fern- bzw. Flugreisen ist die Anreise zum Goldenstedter Moor im
Rahmen des Möglichen „verantwortungsbewusst“. (+)
b) ... Erleben von Natur im Mittelpunkt ...
Das „Erleben“ des Moores steht klar im Mittelpunkt der Angebote des NIZ. Auf dem
Moorerlebnispfad läuft man auf Bohlen über sonst nicht betretbare Moorflächen. Wer sich
bückt, kann auch mal den Schwingboden fühlen. Torf kann in die Hand genommen und
„begriffen“ werden. Ganz Mutige wagen ein Moor(Fuß-)bad auf dem Barfußpfad. Auf der
Fahrt mit der Moorbahn durchquert man das Moor und genießt immer wieder neue Ansichten.
Vom 12 m hohen Moorbioskopion hat man eine herrliche Aussicht auf die großflächige
Moorlandschaft. Exkursionen ins Naturschutzgebiet oder in Moorrandgebiete sind unter
sachkundiger Führung möglich.
Der Ausstellungsteil im „Haus im Moor“ mit Dia-Show oder die Gastronomie können das
beeindruckende Erleben des Moores auf dem Außengelände mit Sicherheit nicht überbieten.
→ Das Kriterium „Erleben von Natur im Mittelpunkt“ wird erfüllt. (+)
c) ... Minimierung negativer ökologischer Auswirkungen
Jede Form von Tourismus – wie „sanft“, „ökologisch“ oder "nachhaltig" sie auch immer
gestaltet sei – geht mit mehr oder weniger großen Umweltauswirkungen,
Ressourcenverbrauch und Schadstoffemissionen einher.
In dem stark degenerierten Hochmoor sind die ökologischen Auswirkungen der touristischen
Aktivitäten nicht so gravierend wie in einem intakten, bislang unerschlossenen Hochmoor.
Trotzdem sind auch hier einige Grundsätze – gerade im Hinblick auf den
Renaturierungsprozess - zu beachten.
Wie eingangs beschrieben reagiert das Ökosystem Moor äußerst empfindlich auf
Trittschäden. Im Goldenstedter Moor durchquert man den Moorerlebnispfad auf
28
(+) Kriterium erfüllt (~) Kriterium teilweise erfüllt (-) Kriterium nicht erfüllt
15
Bohlenstegen. Bohlenstege sind ein ideales Instrument der Besucherlenkung. Die
Besucherströme werden so kanalisiert und von besonders sensiblen Bereiche ferngehalten.
Das Verlassen der Stege und damit Trittschäden werden kaum beobachtet29. Da sich der
begehbare Teil (5 ha) damit auf eine kleine Fläche beschränkt, haben menschenscheue Tiere
wie Birkhuhn und Großer Brachvogel ausreichend Rückzugsfläche. Im Goldenstedter Moor
wird streng darauf geachtet, dass niemand tiefer ins Moor hinein geht30.
Aufgeständerte Bohlenstege bieten u. U. Flora und Fauna sogar besonderen Schutz vor
widrigen Witterungseinflüssen. Auf Grund der „Überbrückung“ ist der Effekt der
Zerschneidung des Habitats durch Wege ebenfalls nicht zu befürchten. Im Gegensatz zu
aufgeschütteten Wegen stellen Stege für Kleinstlebewesen kein unüberwindbares Hindernis
dar.
Bohlenstege verdichten oder versiegeln die Fläche nicht. Die Auswirkungen beim Bau des
Weges können bei sachkundiger, rücksichtsvoller Ausführung der Arbeiten minimiert
werden.
Ein Problem an Wegen ist oft der anfallende Müll. Dieser sollte möglichst sofort regelmäßig
eingesammelt werden, um den Nachahmungseffekt zu vermeiden31. Auch wenn dem
vorliegenden Datenmaterial nicht entnommen werden kann, ob Müll ein Problem darstellt,
lassen die relativ hohen Besucherzahlen ein solches vermuten.
Die Moorbahn fährt auf den alten Gleisen der
Loren, die beim Torfabbau genutzt wurden.
Zusätzliche Flächeninanspruchnahme war
daher nicht nötig. An ausgewählten, weniger
sensiblen Haltepunkten können die Besucher
viel Interessantes über das Moor erfahren, sie
können jedoch nicht auf eigene Faust das
Moor erkunden.
Abbildung 6: Moorbahn
Quelle: www.goldenstedter-moor.de
Die vom NIZ angebotenen Exkursionen ins
Moor bzw. in Randgebiete erfolgen immer mit ausgebildeten Führern. Inwieweit dabei
vorhandene Wege verlassen werden, lässt sich den Internetinformationen nicht entnehmen.
Das NIZ hat nur von März bis Oktober geöffnet. Die Tierwelt ist in der ohnehin
kräftezehrenden Winterzeit damit weitgehend ungestört.
Problematisch scheinen die Besucherzahlen von bis zu 30.000. Verteilt auf die Wochenenden
der acht Monate ist die Belastungsgrenze an einzelnen Tagen sicher erreicht. Besucherzahlen
29
KLAUß 2005
ZURBORG 2006
31
ebenda
30
16
beschränkende Maßnahmen sind nicht erkennbar. Durch begrenztes Platzangebot auf der
Moorbahn sowie in den Gruppen der geführten Wanderungen reguliert sich die Verteilung der
Besucher im offenen Gelände im gewissen Maße selbst.
Die zum NIZ gehörenden Holzhäuser sind in umwelt- und gesundheitsverträglicher Bauweise
errichtet. Der Trinkwasserbedarf für die Gastronomie sowie die Abwasserbehandlung erfolgt
vermutlich - wie in Deutschland üblich - problemlos über das örtliche System.
Fragwürdig ist der Moor-Marathon, der einmal
jährlich im Sommer zahlreiche Sportler und
„Zaungäste“ anlockt. Herr Zurborg deutete in
seinem Vortrag auf dem Reisepavillon selbst
seine Zweifel an der „Umweltverträglichkeit“
dieses Großereignisses an. Auch mit dem
Argument, die Streckenführung nutzt nur
vorhandene Wege, ist bei der Menschenmenge
schon allein durch die motorisierte An- und
Abreisereise
mit
großer
Lärmund
Luftbelastung, außerdem mit Müll und Fäkalien
an den Wegrändern zu rechnen.
Abbildung 7: Moor-Marathon 2005 Quelle:
www.moormarathon.de
→ Das Kriterium „Minimierung negativer ökologischer Auswirkungen“ wird weitestgehend
erfüllt. (+)
d) ... Minimierung negativer sozio-kultureller Auswirkungen ...
Die sozio-kulturellen Auswirkungen des Tourismus auf die einheimische Bevölkerung ist in
diesem Fall nicht vergleichbar mit jenen in Entwicklungsländern, wo die Lebensweise und
Kultur ethnologischer Gruppen durch Touristen überprägt werden.
Von diesem Projekt scheinen nur positive Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung
auszugehen. Glaubt man den Ausführungen von Herrn Zurborg und Herrn Wiechmann32, so
steht die Gemeinde Goldenstedt voll hinter diesem Vorhaben. Die Tätigkeiten im
Förderverein, das gemeinsame Ziel, das Projekt Goldenstedter Moor voranzubringen, trägt
zum Zusammengehörigkeitsgefühl der Goldenstedter bei und erhöht den Stolz auf die eigene
Region.
32
Gespräch auf dem Reisepavillon
17
Die weite Moorlandschaft und das Torfstechen hat das Leben der Menschen im Oldenburger
Münsterland über viele Jahrhunderte geprägt. Die Darstellung des Torfabbaus und die
Einbeziehung der Erinnerungen älterer Goldenstedter lässt diese Tradition nicht in
Vergessenheit geraten. Die Bewirtung der Gäste mit Buchweizenspezialitäten verhindert, dass
die alten Rezepte verloren gehen.
→ Das Kriterium „Minimierung negativer sozio-kultureller Auswirkungen“ wird erfüllt. (+)
e) ... Beitrag zur Finanzierung von Schutzgebieten oder Naturschutzmaßnahmen
Die Renaturierung der Abtorfungsflächen müssen von den heimischen Torfwerksbesitzern
bezahlt werden. Da die Renaturierung unter ständiger Beobachtung zahlreicher Besucher
stattfindet und der Förderverein großes Interesse und eine starke Lobby im Ort hat, ist die
ordnungsgemäße Abwicklung dieser Auflage garantiert, indirekt wird somit auf die
Finanzierung eingewirkt.
Der Förderverein wirbt Spendengelder ein, die in das Projekt Goldenstedter Moor fließen. Der
Verein hat großes Interesse an der Durchführung von Naturschutz- und Pflegemaßnahmen, da
diese zur Erhöhung der touristischen Attraktivität des Gebietes beitragen. Vereinsmitglieder
selbst leisten aktive Unterstützung bei der Pflege (z.B. Entkusseln33) des Moorgebietes.
Die Einnahmen der Gastronomie und der Angebote (Moorbahn, Führungen etc.) werden
ebenfalls zum Erhalt und zur Pflege des NIZ verwendet.
→ Das Kriterium „Beitrag zur Finanzierung von Schutzgebieten
Naturschutzmaßnahmen“ wird zumindest in kleinem Maße erfüllt. (+)
oder
f) ... Einkommensmöglichkeit für die lokale Bevölkerung ...
Im Flyer des Goldenstedter Moores ist von Mitarbeiterinnen die Rede, die wochentags
zwischen 9.00 und 14.00 Uhr telefonisch erreichbar seien. Vermutlich erhalten diese auch ein
Einkommen für ihre Arbeit. Viele Aktivitäten im Goldenstedter Moor laufen ehrenamtlich,
kleine Honorare für Führungen, der Verkauf von regionalen Produkten im Shop des NIZ u.ä.
dürften nur ein „Zubrot“ für die Einheimischen sein.
Indirekt profitieren sicher auch Gastronomen und andere Gewerbetreibende in Goldenstedt
von den Besuchern, die im Ort einkaufen oder essen gehen.
→ Das Kriterium „Einkommensmöglichkeit für die lokale Bevölkerung“ wird in geringem
Maße erfüllt. (+)
33
Entkusseln = Beseitigung junger Gehölze auf den Flächen
18
g) ... Umweltbewusstsein stärken ...
Die Einrichtungen des NIZ bieten viele wichtigen Informationen zum Thema Moor.
Wichtiger jedoch als das Wissen ist das Wecken von Emotionen durch Ansprechen aller
Sinne. Wie Herr Zurborg bestätigte, gehen die Gäste vollkommen beeindruckt wieder nach
Hause.
Die bislang unbekannten Ansichten der renaturierten Moorflächen – auch im Kontrast zu den
abgetorften kahlen Gebieten – hinterlassen tiefe Eindrücke bei den Besuchern. Das
Verständnis für die Schutzwürdigkeit von Moorflächen wird dadurch geweckt.
Für Schulklassen werden halb- oder ganztägige Programme angeboten.
→ Das Kriterium „Umweltbewusstsein stärken“ wird klar erfüllt. (+)
g) ... Indirekt: Erhöhung der Naturschutzakzeptanz relevanter gesellschaftlicher
Akteure ...
Relevante Zielgruppen sind in diesem Zusammenhang nach STRASDAS neben der lokalen
Bevölkerung, den Naturtouristen und touristischen Anbietern in Deutschland auch
wirtschaftlich mächtige Akteure und politisch wichtige Entscheidungsträger34.
Der Wert und die Schutzwürdigkeit der Moore sind in Deutschland längst bekannt und in die
Gesetzgebung eingegangen. Der Erfolg solcher Projekte wie das Goldenstedter Moor dürften
auch die Politiker auf der kommunalen Ebene überzeugen. Der Bürgermeister selbst steht
voller Enthusiasmus hinter dem Vorhaben.
Die einheimischen Torfwerksbesitzer sind – noch vor der Unterschutzstellung - von Anfang
an bei den Renaturierungsmaßnahmen dabei. Über ihre Motive kann man nur spekulieren.
In Goldenstedt selbst dürfte am Anfang der Wiedervernässung der abgetorften Flächen so
manch Zweifler gewesen sein, der die zerstörten Flächen für nicht renaturierbar hielt. Die
Schönheit der heutigen Moorflächen sollte auch diese Zweifler vom Nutzen und der
Notwendigkeit dieser Naturschutzmaßnahmen überzeugen.
→ Das Kriterium „Erhöhung der Naturschutzakzeptanz relevanter gesellschaftlicher Akteure“
wird erfüllt. (+)
Grundsätzlich haben Ökotourismus-Projekte nur Sinn, wenn sie konkurrenzfähig und
ökonomisch ergiebig sind. Das NIZ Goldenstedter Moor trägt sich selbst, das Management
arbeitet offensichtlich erfolgreich und effektiv.
34
sinngemäß Strasdas 2001, S. 10
19
Ist der im Goldenstedter Moor betriebene Tourismus Ökotourismus?
Jein!
Zahlreiche Kriterien des Ökotourismus treffen auf das Projekt Goldenstedter Moor zu. Ein
Paradebeispiel für Ökotourismus in Mooren ist es jedoch nicht.
Im engeren Sinne der Definition für Naturnähe und Ursprünglichkeit ist das Zielgebiet
Goldenstedter Moor kein „naturnaher oder natürlicher Raum“. Im allgemeinen
Sprachgebrauch und im Empfinden der Besucher auf Grund des optischen Eindrucks würde
das Gebiet jedoch als solches bezeichnet werden.
Je nach dem wie eng der Begriff „naturnah“ in der Definition des Ökotourismus’ von
STRASDAS sich an dessen wissenschaftlicher Begriffsbestimmung orientiert, kann die Frage
im Hinblick auf das Goldenstedter Moor mit JA oder NEIN beantwortet werden.
3
Fazit
Moore haben in heutiger Zeit zwar an Schrecken – nichts aber an ihrer Faszination verloren.
Sie verkörpern wie kaum ein anderes Ökosystem in Europa Wildnis, Ursprünglichkeit und
Empfindlichkeit zugleich. Zahlreiche Märchen, Mythen und Legenden machen das Moor zu
einem mystischen Ort, der eine eigenartige Stimmung bei dem empfänglichen Besucher
aufkommen lässt.
Moore werden heute nach und nach als touristisch attraktive Zielgebiete entdeckt. Der
Moortourismus boomt. Insbesondere in den westlichen Bundesländern gibt es zahlreiche
Beispiele für eine mehr oder weniger gelungene Aufbereitung der Thematik. Bei
www.google.de finden sich 939 Einträge (23.02.06) unter dem Begriff „Moorlehrpfad“. Im
moorreichen Land Brandenburg gibt es erst einen Moorlehrpfad. Geplant ist in
Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Eberswalde die Anlage eines weiteren Pfades im
Stechlinseegebiet.
Das Beispiel Goldenstedter Moor steht für viele Moorerlebnisangebote auf ehemals
landwirtschaftlich genutzten oder abgetorften Moorflächen in Deutschland. Nur 1% der
einstigen Moore können heute noch als intakt und ursprünglich, damit als „naturnah“
bezeichnet werden. Entsprechend gering ist das touristische Angebot in tatsächlich
naturnahen Moorgebieten. Annähernd naturnahe, vergleichsweise kleinflächige Moore
(Hangmoore, Kesselmoore) lassen sich zum Beispiel im Nationalpark Harz und geplant im
Stechlinseegebiet erkunden. Interessant wäre es zu ermitteln, inwiefern diese Angebote den
Kriterien des Ökotourismus entsprechen.
Im Hinblick auf die ökologischen Auswirkungen von Tourismus ist gut abzuwägen, ob die
touristische Erschließung von ursprünglichen, intakten Mooren notwendig ist. Mit gezielter
20
Besucherlenkung und reduzierten Besucherzahlen verbunden mit sachkundiger Führung
lassen sich die Auswirkungen vermeiden. Wenn die Anbieter wie auch die Nutzer dieser
(öko-)touristischen Angebote mit einer gewissen Ehrfurcht dem Moor gegenübertreten und
das Moor nicht zur bloßen Attraktion und Effekthascherei („Wo sind denn hier die
Moorleichen?“) dient, ist Ökotourismus in intakten Mooren durchaus möglich.
Aber auch weniger naturnahe bzw. renaturierte Moore können einen Eindruck von der
Schönheit und der Verletzlichkeit dieses Ökosystems vermitteln.
Ein hohes Potential für Ökotourismus bieten Moore allemal!
21
Abbildungsverzeichnis:
Abbildung 1: Schematische Darstellung Naturtourismus – Ökotourismus – Nachhaltiger
Tourismus ..................................................................................................................................4
Abbildung 2: Übersichtskarte Naturpark Wildeshauser Geest ..................................................9
Abbildung 3: Moorlehrpfad im Goldenstedter Moor ..............................................................11
Abbildung 4: Moorbioskopion .................................................................................................12
Abbildung 5: Haus im Moor Quelle: www.goldenstedter-moor.de......................................... 13
Abbildung 6: Moorbahn ...........................................................................................................16
Abbildung 7: Moor-Marathon 2005 ....................................................................................... 17
22
Quellenangabe
Literatur
Bartels, Wolfgang (1992):
Moorlandschaften. Stürtz-Verlag, Würzburg; 112 S.
Becker, Christoph; Job, Hubert; Tourismus
und
nachhaltige
Witzel, Anke (2002):
Wissenschaftliche Buchgesellschaft; 184 S.
Entwicklung.
Jedicke, Leonie & Eckhardt
(1992):
Farbatlas Landschaften und Biotope Deutschlands. UlmerVerlag, Stuttgart; 320 S.
Leser et al. (1993):
Wörterbuch Ökologie und Umwelt. Bd. 2 N-Z; Deutscher
Taschenbuch Verlag, München; 233 S.
Müller, Hansruedi (2003):
Tourismus und Ökologie. Oldenbourg Verlag, München,
2.Aufl.; 296 S.
Schwertner, Peter (1991):
Heimische Biotope – Ein Arbeitsbuch für den Naturschutz.
Natur-Verlag Augsburg; 111S.
Strasdas, Wolfgang (2001):
Ökotourismus in der Praxis. Studienkreis für Tourismus
und Entwicklung e.V. Ammerland; 291 S.
Succow, Michael; Jeschke,
Lebrecht (1990):
Moore in der Landschaft. Verlag Harry Deutsch, Frankfurt;
268 S.
Vorträge, Gespräche, „graue Literatur“
Wiechmann, Ralf (2006):
Naturpark Wildeshauser
Reisepavillon 04.02.2006
Geest;
Gespräch
auf
dem
Zurborg (2006):
Vortrag auf dem Reisepavillon über das Goldenstedter
Moor am 04.02.2006, anschließend Gespräch
Luthardt, Vera (2005):
Vorlesung am 26.10.05 an der FH Eberswalde
Klauß, Richard (2005)
Belegarbeit im Wahlpflichtfach Moorkunde, o.A.
Broschüren des Nationalparkes Wildeshauser Geest sowie
des Goldenstedter Moores
23
Internetquellen:
http://www.naturparkwildeshausergeest.de/v3.asp?Seite=14&Gemeinde=Goldenstedt
http://www.umweltdatenbank.de/lexikon/oekotourismus.htm
http://www.oneworld.at/tourismus/tourismus-oeko.htm
http://www.meteoros.de/irrlicht/irrlicht.htm
http://www.wykar.de/texte/wesen/irrlichter.html
http://www.brandenburg.de/cms/media.php/2338/btk2moore.pdf
http://www.wildnisschule.de/html/kursbeschreibungen.html 24.02.06
http://www.goldenstedter-moor.de
http://www.moormarathon.de
24

Documents pareils