Auf dem Brentakanal von Padua nach Venedig

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Auf dem Brentakanal von Padua nach Venedig
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Auf dem Brentakanal
von Padua nach Venedig
T E X T: S A B I N A J A R O S C H
D
ie Reise beginnt höchst prosaisch, nämlich auf dem Busbahnhof von Padua. Ungefähr
eine Viertelstunde später jedoch erreicht
man bereits die Villa Pisani in Stra, die
größte unter den Villen am Brentakanal.
Sie ist heute in Staatsbesitz und damit berechtigt, ein gesalzenes Eintrittsgeld einzuheben.
Diese Villa ist eigentlich ein königlicher
Palast mit der am besten erhaltenen Gartenanlage aller Villen am Brentakanal. Ein
Freskenzyklus von Tiepolo in den inneren
Repräsentationsräumen zeigt die Verherrlichung der Familie Pisani, aus der mehrere venezianische Dogen kamen.
Mich interessierte aber mehr das berühmte Labyrinth mit seinen übermannshohen, dichten Hecken zwischen den
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schmalen Gängen. In der Mitte steht ein
kleiner Aussichtsturm. Aber wie dahin
kommen?
Von labyrinthischen
Verunsicherungen …
Ich war zum ersten Mal in einem wirklichen Labyrinth, wo man nicht über die
Trennwände schauen und sich orientieren
konnte und wo es auch keine Schlupflöcher zwischen den einzelnen Gängen gab.
Eine interessante Erfahrung! Mal sehen,
was ist schon dabei … so die anfängliche
Einstellung. Dann: spannend. Plötzlich
beginnt man schneller zu laufen. Eine
leichte Unruhe macht sich bemerkbar. Ich
komme gar nicht vorwärts, oder doch?
Hier war ich doch schon mal, oder nicht?
Da, wo man sich einer Sache ganz sicher
zu sein scheint, führt der Weg oft in die
Sackgasse. Wie im richtigen Leben halt.
Leider muss ich gestehen, dass ich im
Hinblick auf die begrenzte Besuchszeit
die Prüfung, mich der Erfahrung des Labyrinths auszusetzen, nicht bestanden habe. Aus dem gleichen Grund wohl stand
auf dem Türmchen in der Mitte eine Frau,
die jeden, der seine Hand aus dem grünen
Irrgarten hob, zur Mitte und dann wieder
hinaus dirigierte.
Uff, eine gewisse Erleichterung war
nicht zu leugnen. Nachdenklich wanderte
ich auf den übersichtlichen und breiten
Wegen des Gartens umher. Was solch eine zarte Andeutung von Ausgesetztsein
doch ausmacht, auch wenn kein Minotaurus im Inneren lauert…
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Und dann begann unsere Fahrt auf
dem Brentakanal. Ab dem 15. Jahrhundert entdeckten die Venezianer
die Sommerfrische auf dem Festland.
Besonders beliebt für Ansiedlungen
waren die Ufer des natürlichen Brentakanals. Bald standen die Villen hier
so dicht, dass der Fluss geradezu eine Verlängerung des Canal Grande
war. Außer auf dem Landweg konnte
man schon damals mit einem von
Pferden
gezogenen Schiffchen reisen, dem
Burchiello.
Im September 1786 fuhr Goethe so
von Padua nach Venedig und war
recht angetan. Er schrieb: „Die Fahrt
auf der Brenta, mit dem öffentlichen
Schiffe, in gesitteter Gesellschaft, da
die Italiäner sich voreinander in Acht
nehmen, ist anständig und angenehm.
Die Ufer sind mit Gärten und Lusthäusern geschmückt, kleine Ortschaften treten bis ans Wasser, theilweise geht die belebte Landstraße
daran hin.“ So auch heute.
Canal del Brenta
... und himmlischen
Harmonien
Burchiello
... geistigen
Gartenzäunen,
Wir bestiegen nun unseren Burchiello, ein Motorschiff mit Sonnendeck. Langsam zog das Ufer an uns
vorbei. Es war ein sehr warmer Tag:
die Klimaanlage im Inneren war zu kalt
eingestellt, und auf Deck wurde es den
meisten nach einer Weile zu warm. Es war
also ein ständiges Kommen und Gehen.
Wer aber einmal „seinen“ Platz gefunden
hatte, erwartete, dass sich auch nach längerer Abwesenheit niemand anderer darauf niederließ und bedachte jeden, der dies
dennoch tat, mit bösen Blicken und abschätzigen Worten wie: „Das ist eben ein
anderer Kulturkreis…“ Damit wollte er
wohl zu verstehen geben, dass nur der eigene Kulturkreis Bildung und Höflichkeit
englischen Anwaltsbüro arbeitete. Das
Essen war plötzlich unwichtig.
Wir unterhielten uns angeregt, erzählten von der jeweiligen Lebenssituation,
der Arbeit und den Schönheiten des eigenen Landes. Ich holte den letzten Rest
meiner Chinesisch-Kenntnisse hervor
und sang zum großen Amüsement unseres Tisches die chinesische Version von
„Bruder Jakob“. Billi, wie sich unsere
Chinesin nennen ließ, hatte sogar alles
verstanden: „Zwei Tiger rennen schnell.
Einer hat keine Augen, einer hat keine
Ohren. Ist das nicht komisch, ist das nicht
komisch?“ Sie hielt sich den Bauch vor
Lachen. Vom Nebentisch kamen verständnislose Blicke.
Villa Foscari-Malcontenta
kenne. Was nützt das ganze Reisen, wenn
man seine Gartenzaun-Mentalität überall
hin mitnimmt!
Ich selbst hatte auf dem Schiff eine dieser spontanen Begegnungen, die mich
nicht weniger als glücklich machen.
Schon zu Beginn der Fahrt war ich mit einer Argentinierin ins Gespräch gekommen, die gut Italienisch sprach. Beim Mittagessen setzten wir uns an einen Tisch,
und bald gesellte sich noch eine junge
Chinesin zu uns, die in Shanghai in einem
Die Villa Foscari-Malcontenta in Mira
befindet sich heute wieder in Familienbesitz und hat deshalb nur das Erdgeschoss für Besucher geöffnet. Wenn uns
die Auszeichnung als Weltkulturerbe
nicht von vornherein einen gewissen
Respekt einflößen würde, könnte man ihre Bedeutung glatt übersehen: so selbstverständlich, so absolut passend, so recht
ein Kind und Abkömmling dieses Bodens – so steht sie da. Sie wurde 1560 von
Andrea Palladio gebaut, der vor ein einfaches Grundelement – einen rechteckigen Block – einen ionischen Säulenportikus als Eingang setzte.
Diese Schauseite dreht das Gebäude der
Wasserfront zu, und so sah es auch der
englische Architekt Inigo Jones bei seiner
Fahrt entlang des Kanals im Jahre 1613,
was ihn so beeindruckte, dass er es zum
Ausgangspunkt des englischen Klassizismus machte. Der Tempelportikus der
Antike wurde zum wesentlichen Stilelement eines herrschaftlichen Landhauses
überhaupt und fand von England über
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Russland bis Amerika ungeahnte Verbreitung.
Was man nicht sieht, aber vielleicht
fühlt, sind die baulichen Proportionen, die
nach Palladios Auffassung die Harmonie
der himmlischen Sphären widerspiegeln.
Palladio hatte während mehrerer RomReisen die antike Architektur studiert und
wandte, wo immer möglich, antike Ordnungen und Formen an. Die Grundfläche
des Portikus hat das Verhältnis 12:32, das
sich auch in den Innenräumen fortsetzt
und eine arithmetische Reihe von
12:16:21:32 ergibt. Welch glückliche Zeiten, in denen himmlische Proportionen
auch das irdische Leben bestimmten!
Fragt sich nur, warum so ein Kleinod
den Beinamen Malcontenta, die Unzufriedene trägt. Die Villa war im 19. Jahrhundert dem Verfall nahe und von Gestrüpp
überwuchert. Damals hat sich vermutlich
die romantische Legende von einer Frau
der Familie Foscari gebildet, die wegen
verletzter Familienehre dort in Hausarrest
gehalten wurde. Der Name aber „sitzt“
und unterscheidet diese Villa von anderen
derselben Familie. Gegen Abend tauchte
die unverwechselbare Silhouette Venedigs
auf, immer noch so, wie sie Goethe grüßte, als er „aus der Brenta in die Lagunen
einfahrend“, zum ersten Mal „diese wunderbare Inselstadt, diese Biberrepublik“
sah. Die sich ebenso deutlich abzeichnenden Chemiegiganten von Mestre sind eine
Zugabe für uns Heutige.
Wir fuhren über den Teil der Lagune,
der „mare morto“ – Totes Meer – heißt,
vorbei an versinkenden Inselchen, langsam auftauchenden Schilfflächen, längst
überflüssig gewordenen Befestigungsanlagen, immer entlang der „bricole“, der
drei zusammengebundenen Holzpfähle,
die eine Fahrtrinne kennzeichnen. Nur der
Uneingeweihte glaubt, man könne überall
fahren, wo Wasser ist. Die Wasserstraßen
müssen regelmäßig gewartet werden, so
wie die gesamte Lagune gepflegt werden
muss, damit dieses Kunstwerk, das aus der
Zusammenarbeit von Mensch und Natur
entstanden ist, erhalten bleibt.
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In der Nähe des Markusplatzes war
unsere Fahrt zu Ende.
Wer diese Reise auf eigene Faust unternehmen will, kann sich z.B. auf der deutschsprachigen Website von www.ilburchiello.it
informieren.
Die Proportionsangaben zur Villa Foscari
habe ich dem Band „Venedig“ von Hugh
Honour entnommen. Erschienen 1966 bei
Prestel, München.
Über die Villa Foscari-Malcontenta informiert
die Website www.lamalcontenta.com
Der Renaissancearchitekt Andrea Palladio
wurde 1508 in Padua als Sohn eines Müllers
geboren. Sein Vater gab ihn zu einem Steinmetz in die Lehre. Ein Mäzen ermöglichte ihm
mehrere Studienaufenthalte in Rom, wo er die
antiken römischen Bauten studierte und 1554
in seinem Werk „Antichità di Roma“ niederlegte. Seine Bautätigkeit, ausschließlich in
Venedig und dem venezianischen Festland,
umfasst Paläste, Villen, Kirchen und öffentliche Gebäude. Klassische Klarheit und Harmonie zeichnen seine Bauten aus. Er starb 1580
in Vicenza.
Villa Pisani
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