Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen

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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Zukunft der Städte in NRW
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Bericht der
Enquetekommission
des Landtags von
Nordrhein-Westfalen
Zukunft der Städte
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Eine Vorbemerkung zum Sprachgebrauch:
Die deutsche Sprache bietet uns keine flüssigen Begriffe, die den weiblichen und männlichen Akteuren gleichermaßen gerecht werden. Entweder wird der Text langatmig oder
der Lesbarkeit liegen Stolperschwellen im Wege. Da die ohnehin komplizierte Materie
nicht unnötig belastet werden soll, wird der Bericht der Enquetekommission dem gängigen Sprachgebrauch angepasst.
Der Bürgermeister, von dem beispielsweise die Sprache ist, soll lediglich eine Berufsbezeichnung sein und die Bürgermeisterin ebenso einschließen wie der Begriff des Bewohners die Bewohnerin etc. Wir bitten die weiblichen Beteiligten und Betroffenen um
Verständnis.
Impressum
Herausgeber
Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen
Enquetekommission "Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen"
Platz des Landtags 1
40221 Düsseldorf
http://www.landtag.nrw.de
Der vorliegende Bericht ist zugleich Landtagsdrucksache: 13/5500
Technische Gesamtherstellung
Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung
und Bauwesen des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS NRW)
Druckerei
Lensing Druck, 44149 Dortmund
Gedruckt auf chlorfreiem Papier
© 1. Auflage 2004
Verlagsauslieferung
Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung
und Bauwesen des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS NRW)
Deutsche Straße 5
44339 Dortmund
Tel.: 0231 951-0
Fax: 0231 951-155
http://www.ils.nrw.de
ISBN 3-8176-1130-7
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Zukunft der Städte
Bericht der Enquetekommission
des Landtags von Nordrhein-Westfalen
Düsseldorf 2004
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Vorwort des Landtagspräsidenten
Der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat mit der Einrichtung der Enquetekommission „Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen“ zu Beginn der 13.
Legislaturperiode eine noch recht junge Tradition fortgesetzt. Die Möglichkeit,
Enquetekommissionen zu grundlegenden politischen Fragestellungen einzurichten, denen Abgeordnete und andere Sachverständige
angehören, sieht die Geschäftsordnung des Landtags erst
seit 1994 vor.
Die Erfahrungen mit den beiden Enquetekommissionen der
letzten Legislaturperiode zur Zukunft der Arbeit und zur
Zukunft der Mobilität haben gezeigt, dass mit der Aufnahme
eines aus wissenschaftlicher und politischer Kompetenz
kombinierten Gremiums in den Kanon des parlamentarischen
Instrumentariums nicht nur ein wichtiger Schritt im Rahmen
der Parlamentsreform verbunden ist, sondern dass die erarbeiteten Ergebnisse außerdem auf großes Interesse in der
Politik und der interessierten Fachöffentlichkeit stoßen.
Diese Tradition scheint mir mit dem vorliegenden Bericht in
bewährter Weise fortgesetzt zu werden. Die weitgehend vom
politischen Tagesgeschäft unbelastete Arbeit hat den Raum
für eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den komplexen Themen der räumlichen wie gesellschaftlichen Stadtentwicklung in nordrhein-westfälischen Städten gegeben. Die
heterogene Zusammensetzung der Kommission, deren Mitglieder aus verschiedenen politischen wie wissenschaftlichen Bereichen kommen und deshalb mit unterschiedlichen Kenntnissen und Rationalitäten an die
zu erörternden Fragestellungen herangegangen sind, hat zu spannenden
Diskussionen und interessanten Ergebnissen geführt. Die dabei herausgestellten Entwicklungsperspektiven nordrhein-westfälischer Städte, vielmehr aber
noch die von der Kommission erarbeiteten Handlungsempfehlungen für die Landespolitik, werden sicherlich auf großes Interesse bei den Fachressorts der Landesregierung aber auch bei den Regierungs- und Oppositionsparteien stoßen.
Mein Dank gilt an dieser Stelle der gesamten Kommission, die in den drei Jahren seit ihrer Konstituierung in kontinuierlicher Arbeit ein Werk erstellt hat, auf
dass die Landespolitik in den nächsten Jahren hoffentlich noch häufig zurückgreifen wird.
Ulrich Schmidt MdL
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Vorwort des Kommissionsvorsitzenden
Der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat als erstes deutsches Parlament eine
Kommission eingerichtet, die sich systematisch mit der Zukunftsentwicklung
der Städte befasst. Im vorliegenden Bericht der Enquetekommission „Zukunft
der Städte in NRW“ haben sich Wissenschaftler und Politiker vorrangig mit den
Entwicklungsperspektiven nordrhein-westfälischer Städte beschäftigt und
dabei Handlungsempfehlungen für die Landespolitik und die Kommunalpolitik
entwickelt.
Es liegt in der Natur der Sache, dass ein solcher Bericht nicht allumfassend sein
kann. So konnte weder der nationalstaatliche noch der europäische Kontext
Berücksichtigung finden, obwohl der europäische Einfluss auch auf die Entwicklung der Städte zukünftig sicherlich stärker wirken wird.
Ebenso wurden die Aspekte der Mobilität und der Kommunalfinanzen weitestgehend ausgeklammert, da der Landtag
von Nordrhein-Westfalen zur Mobilität bereits ein Enquetekommissionsergebnis vorweisen kann und sich derzeit mehrere Expertengremien mit den Kommunalfinanzen befassen.
Dennoch ist im Verlauf der Arbeit erkennbar geworden, dass
viele Problemfelder und Entwicklungschancen der Städte
nicht isoliert für Nordrhein-Westfalen zu betrachten sind.
Insoweit wird der vorliegende Bericht auch für außerhalb von
Nordrhein-Westfalen liegende Städte und Regionen sowie
Länder vergleichbarer Entwicklungsstufen Lösungsansätze
und politische Handlungsperspektiven für die Stadtentwicklung hergeben.
Die Mitglieder der Enquetekommission haben die Hoffnung,
mit dem vorliegenden Abschlussbericht wesentliche Impulse
für die Städte und Gemeinden des Landes, insbesondere
aber für die zukünftige Landespolitik geben zu können. Inwieweit dies gelungen ist, wird sich in der anstehenden 14.
Legislaturperiode des Landtags zeigen. Die Tatsache, dass alle Beratungen im
Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik, die in der Regel wiederum
lobbyistischen Interessen ausgesetzt ist, letztlich zu einem konsensualen Ergebnis ohne Minderheitenvotum geführt haben, scheint mir in diesem Zusammenhang jedoch sehr viel versprechend. Ich verstehe diesen Bericht als Grundlage
für eine weitere Bearbeitung und Erstellung von operativen Handlungsstrategien, die durch Verbände und Parteien weiter ausgestaltet werden sollten und
würde mich freuen, wenn die jeweiligen Akteure die dargelegten Initiativen aufgreifen würden.
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Dass die erfolgreiche Arbeit in relativ kurzer Zeit von drei Jahren abgeschlossen
werden konnte, ist vor allem dem intensiven Einsatz aller Beteiligten bei der
Kommissionsarbeit zu verdanken. Insbesondere danke ich dem ersten Kommissionsvorsitzenden, Herrn Dr. Axel Horstmann, der nach der Berufung zum
Minister das Amt des Kommissionsvorsitzenden niederlegen musste, dem stellvertretenden Vorsitzenden, Herrn Klaus Kaiser, MdL (CDU) sowie den Obleuten
der Fraktionen, Herrn Rainer Schmeltzer, MdL (SPD), Herrn Bernd Schulte, MdL
(CDU), Herrn PD Dr. Thomas Rommelspacher, MdL (Bündnis 90/DIE GRÜNEN)
und Herrn Karl Peter Brendel, MdL (FDP). Ebenso herzlich danke ich den wissenschaftlichen, sachverständigen und abgeordneten Kommissionsmitgliedern,
sowie den Fraktionsreferenten und dem Kommissionssekretariat, die durch die
konstruktive und disziplinierte Mitarbeit die vorliegende Veröffentlichung erst
ermöglicht haben.
Hans-Peter Milles MdL
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort des Landtagspräsidenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
Vorwort des Kommissionsvorsitzenden . . . . . . . . . . . . . . . 6
A
Einleitung
Hintergrund, Aufgabenstellung und Arbeitsweise
der Enquetekommission
1.
2.
3.
4.
Herausforderungen an die Städte in Nordrhein-Westfalen. . . . . . . . . . 15
Konstituierung der Enquetekommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Zusammensetzung der Enquetekommssion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
Arbeitsweise der Enquetekommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
B
Die Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen:
Trends und Entwicklungsperspektiven Herausforderungen für die Landespolitik
B1
Stadt ist nicht gleich Stadt - Die Vielfalt der Städte
in Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Der Versuch einer Städtetypisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Empirische Überprüfung der Expertenurteile . . . . . . . . . . . . . . . .
Unterschiede in den Zukunftsperspektiven - ein erster Überblick
Erste Schussfolgerungen - Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.1
1.2
1.3
1.4
B2
2.1
2.2
2.3
2.4
2.5
2.6
2.7
B3
3.1
3.2
3.3
3.4
8
Die Städte vor den Herausforderungen
des demografischen Wandels . . . . . . . . . . . . .
Bevölkerungsentwicklung in Deutschland . . . . . .
Bevölkerungsentwicklung in Nordrhein-Westfalen
Bevölkerungsprognose für Nordrhein-Westfalen .
Räumliche Wirkung der Bevölkerungsentwicklung
in Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Demografische Entwicklung und Auswirkungen
auf die Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Strategien kommunalen Handelns . . . . . . . . . . . .
Handlungsmöglichkeiten des Landes . . . . . . . . .
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28
31
33
35
38
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42
43
45
46
. . . . . . . . . . . . . . . 50
. . . . . . . . . . . . . . . 55
. . . . . . . . . . . . . . . 58
. . . . . . . . . . . . . . . 59
Ökonomische Potenziale und regionale Profilierung . . . .
Globale Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Städte Nordrhein-Westfalens im ökonomischen Wandel
Kompetenzfelder, Strukturpolitik und kommunale
Wirtschaftsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die wirtschaftliche Entwicklung der Städte
in Nordrhein-Westfalen - eine Typisierung . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . 62
. . . . . . . 63
. . . . . . . 70
. . . . . . . 72
. . . . . . . 75
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3.5
3.6
B4
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Chancen der Städte Nordrhein-Westfalens im Wettbewerb
der Zukunft - Handlungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
Exkurs: Bedeutungszuwachs von Informations- und
Kommunikationstechnologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
4.5
4.5.1
4.5.2
4.5.3
4.5.4
4.5.5
4.5.6
4.6
4.7
Stadtentwicklung und Landesplanung im Zeichen
räumlicher Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
Das Leitbild der Zentralen Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
Instrumente der Landesplanung in Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . 100
Entwicklungen nordrhein-westfälischer Landesplanungspolitik . . . . 101
Ausprägungen der räumlichen Dekonzentration
in Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
Kategorisierung von Gemeindetypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
Bevölkerungsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
Bevölkerungswanderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
Bechäftigtenentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
Pendlerverflechtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
Sozialstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
Wanderungsmotive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
Ursachen der Dezentralisierung von Gewerbe
und Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Entwicklungsperspektiven und Handlungsmöglichkeiten . . . . . . . . . 128
Perspektiven der Suburbanisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
Was wird aus der Zwischenstadt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
Trends neben der Suburbanisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
Welche Chancen hat die Kernstadt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
Entwicklungsperspektiven der Zentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
Netzstadt - ein mögliches Leitbild? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
Herausforderungen an die Landespolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
Exkurs: Brachflächen als städtische Entwicklungspotenziale . . . . . . 145
B5
5.1
5.2
5.2.1
5.2.2
5.2.3
5.3
5.3.1
5.3.2
5.3.3
5.4
5.5
Die Städte als Spiegel des gesellschaftlichen Wandels . . . . . . . 150
Gesellschaftliche Entwicklungstrends . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Innerstädtische und regionale Ausdifferenzierungsprozesse . . . . . . . 156
Zunehmende Bedeutung der Segregationsforschung . . . . . . . . . . . 156
Dimensionen sozialer Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
Ausprägungen ethnischer Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
Bedeutungswandel des öffentlichen Raums . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
Wandel und Öffnung des öffentlichen Raums . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
Öffentlicher Raum als Ort der Begegnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
Belebung des öffentlichen Raums - Handlungsempfehlungen . . . . . 183
Bedeutung städtischer Wissensmilieus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
Familienpolitik im Zeichen der modernen Stadtgesellschaft . . . . . . . 190
4.1
4.2
4.3
4.4
4.4.1
4.4.2
4.4.3
4.4.4
4.4.5
4.4.6
4.4.7
4.4.8
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5.6
Lebensqualität und soziale Stabilität in der modernen
Stadtgesellschaft - Handlungsempfehlungen an die Landespolitik
5.7 Exkurs: Sozialraumstrukturen und Soziale Milieus
in Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.7.1 Soziale Milieus von Sinus Sociovision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.7.2 Milieuorientierte Stadtpolitik - Handlungsempfehlungen . . . . . .
B6
6.1
6.1.1
6.1.2
6.1.3
6.1.4
6.1.5
6.2
6.3
6.3.1
6.3.2
6.3.3
6.3.4
. . . 196
. . . 203
. . . 203
. . . 217
Wohnungsmärkte im Spannungsfeld regionaler
und gesellschaftlicher Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
Entwicklung der Wohnungsmärkte in Nordrhein-Westfalen . . . . . . . 221
Entwicklung der Angebotsseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
Differenzierung der Wohnungsnachfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
Regional unterschiedliche Entwicklungen der Wohnungsmärkte . . . 239
Wohnungsmarkt und Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
Wohnraumförderung in Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
Wohnungsbedarf bis 2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
Neue Rahmenbedingungen für die Wohnungsmärkte
in Nordrhein-Westfalen - Handlungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . 247
Regionalisierung der Wohnraumförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Ansätze für einen differenzierten Wohnungsbau . . . . . . . . . . . . . . . . 251
Öffentliche Wohnraumförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
Stadtumbau - Stadtentwicklung im Zeichen des demografischen
Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
B7
7.1
7.2
7.3
7.3.1
7.3.2
7.3.3
7.4
Die moderne und bürgerorientierte Kommunalverwaltung . . . . . 262
Bürger und Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
Die Rolle der kommunalen und regionalen Akteure . . . . . . . . . . . . . 265
Neue Organisationsformen in der öffentlichen Verwaltung . . . . . . . . 271
Das Neue Steuerungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
E-Government . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
Public Private Partnership . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
Handlungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
B8
8.1
8.2
8.3
8.4
8.5
Die Stadt in der Region - Chancen Regionaler Kooperation . . . . 286
Region und Regionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
Formen der Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
Informelle oder institutionalisierte Kooperation? . . . . . . . . . . . . . . . 296
Rahmenbedingungen der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
Landespolitische Voraussetzungen für regionale Kooperation . . . . . 301
C
Strategien und Orientierungen für die künftige
Städtepolitik in Nordrhein-Westfalen
C1
Lebendige Städte in starken Regionen - Ein Leitbild
für Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
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1.1
1.2
1.3
1.4
1.5
1.6
Urbane Vielfalt, Entscheidungen vor Ort . . . . . .
Städtisches Leben in lebendigen Städten . . . . .
Die verantwortliche Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . .
Mehr Verantwortung auch für die Bürger . . . . . .
Starke Regionen durch kommunale Kooperation
Die Tüchtigen fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.
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. . . . . . . . . . . 306
. . . . . . . . . . . 307
. . . . . . . . . . . 309
. . . . . . . . . . . 311
. . . . . . . . . . . 312
. . . . . . . . . . . 314
C2
2.1
2.2
2.3
2.4
Handlungsschwerpunkte für die Städte der Zukunft . . . . . . . . . . 316
Entwicklung von Stadtqualitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
Ökonomie und Wissenskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
Qualitative Bestandsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320
Soziale Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
C3
3.1
3.2
3.3
3.4
Steuerungsprinzipien einer zukunftsorientierten Städtepolitik . . . 324
Dezentralisierung und Differenzierung der Städtepoltik . . . . . . . . . . 326
Regionale Konzepte und Entscheidungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . 327
Budgetierung und Bündelung von Fördermitteln . . . . . . . . . . . . . . . 328
Steuerungskontrolle und Monitoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
C4
Städte- und Regionalmonitoring: Strategisches
Steuerungsinstrument einer flexiblen Förderpolitik . . . . . . . . . . . 334
4.1 Zielsetzung eines Städte- und Regionalmonitoringsystems . . . . . . . 335
4.2 Erfahrungen mit Monitoring- und Controllingsystemen in der Praxis . . 338
4.3 Konzeption eines modularen Monitoringsystems . . . . . . . . . . . . . . . 340
4.3.1 Landesweites Monitoring als Grundmodul . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
4.3.2 Modulerweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348
4.3.3 Förderprogrammcontrolling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
4.4 Anforderungen an politische und administrative
Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
D
Szenario:
Die Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen Ein Blick zurück aus dem Jahre 2030 . . . . . . . . . . . . . . . 365
E
Empfehlungen an die Landespolitik - Ein Überblick . . 393
Anhang
I
II
III
IV
V
Die Städtelandschaft Nordrhein-Westfalen (Faltkarte) . . . .
Forschungsaufträge, Expertengespräche und Exkursionen
der Enquetekommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . 413
.
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Einleitung
Hintergrund, Aufgabenstellung
und Arbeitsweise
der Enquetekommission
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1. Herausforderung an die Städte in Nordrhein-Westfalen
Städte sind seit jeher Spiegelbild und Kristallisationspunkte gesellschaftlicher
Entwicklungen. Historisch waren sie schon immer die Zentren des Handels,
Standorte wirtschaftlicher Produktion und Dienstleistungen. Als Zentren von
Wissenschaft, Forschung und Bildung sind Städte Orte der Innovation und der
Modernisierung. Als Zentren des sozialen und kulturellen Lebens und Sammelbecken von Fremden sind Städte Orte der Kommunikation, der Identifikation
und der Integration. Durch ihre Kristallisationsfunktion verdichten und forcieren
sich aber auch soziale Konflikte, wirtschaftliche Umbrüche wie auch gesellschaftliche Neuerungen. Im stetigen Anpassungsprozess werden in den Städten die wesentlichen Weichen für die Zukunft der gesellschaftlichen Entwicklungen gestellt.
In der Postmoderne des 21. Jahrhunderts befinden sich die Städte in einer
zunehmenden Verflechtung mit dem nationalen und internationalen Umfeld.
Ökonomische Globalisierung, informationstechnologische Neuerungen und
internationale Wanderungsprozesse werden die Struktur und die Rolle der Städte nachhaltig verändern. Begleitet wird diese Transformation von einem soziodemografischen Wandel, der hoch entwickelten Gesellschaften immanent zu
sein scheint: In Deutschland befindet sich eine Vielzahl von Städten in einem
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
anhaltenden Alterungs- und Schrumpfungsprozess, während sich die Lebensstile immer mehr ausdifferenzieren. In diesem Sinne nehmen die Städte eine
Entwicklung vorweg, die sich zeitlich verzögert auch in anderen Siedlungsformen niederschlagen wird.
In Nordrhein-Westfalen erscheint es im Rahmen der landespolitischen Verantwortung besonders geboten, vor diesem Hintergrund über die Zukunftsperspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten der Städte und die künftige Ausrichtung der Städtepolitik des Landes grundlegend nachzudenken. Dafür ist ein
umfassender Überblick zur Situation der Städte in Nordrhein-Westfalen erforderlich. Es liegt sowohl im Interesse der Städte als auch der Landespolitik,
grundlegende Erfordernisse auf städtischer Ebene zu erkennen und gegebenenfalls notwendige Korrekturen der landespolitischen Rahmenbedingungen im
Sinne einer nachhaltigen Strategie vorzunehmen. Hierfür müssen von Landesseite die für diesen Gestaltungsprozess erforderlichen politischen Impulse auch
langfristig entwickelt werden. Der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat daher
zu Beginn der 13. Wahlperiode die Enquetekommission zur Zukunft der Städte
in Nordrhein-Westfalen eingerichtet (Landtagsdrucksache NRW 13/459 vom 30.
November 2000), um die Diskussion auf der Basis fundierter Informationen zu
führen und um in einem weiteren Schritt konkrete Handlungsempfehlungen an
die Landespolitik zu formulieren.
Die Kommission soll dabei insbesondere aufzeigen, welche Auswirkungen
absehbare wirtschaftliche und soziale Entwicklungen nationaler und globaler Art
auf den Lebensraum Stadt und seine Bewohnerinnen und Bewohner haben
könnten und wie sich dadurch die Handlungsbedingungen und -erfordernisse
nordrhein-westfälischer Politik verändern. Sie soll Entscheidungen des Landtags vorbereiten, die der Zukunftssicherung der Städte in Nordrhein-Westfalen
dienen. Dabei ist zu prüfen, inwieweit das Land durch die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen oder praktischer Impulse auf den verschiedenen
Politikfeldern bestmöglich dabei unterstützen kann, attraktive städtische
Lebens- und Arbeitsbedingungen in Nordrhein-Westfalen zu sichern und die
urbane Qualität im Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft in den Städten zu
bewahren und weiter zu entwickeln.
In Nordrhein-Westfalen als dem bevölkerungsreichsten Bundesland, dem Flächenland mit der höchsten Bevölkerungsdichte und der größten Dichte von
Städten konzentrieren sich die Veränderungsprozesse besonders deutlich und
in einer außerordentlichen Vielschichtigkeit. Um Beispiele zu nennen: Das Ruhrgebiet übt seit der Industrialisierung eine hohe Anziehungskraft auf internationale Zuwanderer aus und wird in Zukunft weiterhin erhebliche Integrationsleistungen zu erbringen haben. Die Metropolen der Rheinschiene haben sich im
nationalen Wettbewerb etabliert, stehen aber im Fokus verschärfter internationaler Standortkonkurrenzen. Die Städte in Ostwestfalen oder am Niederrhein
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Herausforderungen an die Städte
konkurrieren hingegen als traditionelle Standorte arbeitsintensiven Gewerbes im
Zuge der europäischen Integration zunehmend mit Produktionsstandorten in
osteuropäischen Niedriglohngebieten.
Die Profilierung der ökonomischen Potenziale und die Stärkung der stadtregionalen Kompetenzen gewinnen in allen nordrhein-westfälischen Städten an
Bedeutung. Zukunftsfähige und lebenswerte Städte sind dabei wichtige Standortfaktoren für die weitere wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Es wird
besonders darauf ankommen, eine innovationsorientierte Wirtschaftsförderung
im Bereich der Informations- und Wissenstechnologien mit Aufgaben der Städtebaupolitik zu verknüpfen. Als Resultat des Strukturwandels sind es vor allem
die Areale mit brachliegenden, ehemals gewerblich, verkehrlich oder militärisch
genutzten Flächen, die eine Chance für neue Ansätze der innerstädtischen
Entwicklung darstellen und somit die urbane Lebensqualität verbessern
können.
Trotz der gegen Ende dieses Jahrzehnts zu erwartenden Bevölkerungsabnahme
in Nordrhein-Westfalen ist die Lage in landesweiter Betrachtung zunächst nicht
als dramatisch anzusehen. Im städtischen Vergleich hat die demografische Entwicklung jedoch höchst unterschiedliche Dimensionen. Weiterhin wachsenden
bzw. stagnierenden Regionen - insbesondere der Rheinschiene und den Ballungsrändern - steht der stark schrumpfende Ballungsraum des Ruhrgebiets
gegenüber. Ähnliche Unterschiede sind in der Entwicklung der Altersstruktur zu
erwarten. Hier altern die Kernstädte deutlich schneller als die Umlandregionen.
Aus den Schrumpfungsprozessen resultieren Bedarfs- und Angebotsveränderungen in allen Lebensbereichen.
Auch durch die anhaltende Bevölkerungssuburbanisierung verschieben sich die
räumlichen und sozialen Gewichtungen zwischen den Kernstädten und dem
Umland. Allerdings stellen sich die räumlichen Verflechtungen und Wanderungsmuster sehr viel komplexer dar als in anderen, monozentral ausgerichteten Regionen. Ebenso sind mit Blick auf die Beschäftigtenentwicklung Dezentralisierungstendenzen zu erkennen, die auf eine eigenständige Entwicklung der
Umlandräume zurückzuführen sind. Zwischenstadt, Netzknoten und Metropolregionen gewinnen ergänzend zum traditionellen Zentrenkonzept in der landesplanerischen Entwicklung an Bedeutung.
Angesichts der Pluralisierung und Individualisierung der Lebensstile sowie der
sich vornehmlich in den Ballungsräumen konzentrierenden Einwohner mit
Migrationshintergrund stehen die Städte in Nordrhein-Westfalen vor wachsenden Integrationsanforderungen. Dem Leitbild der sozialen Stabilität folgend,
gewinnen präventive Politikstrategien in der Kommunalpolitik an Bedeutung, um
den Gefahren sozialer und ethnischer Segregation, aber auch der Alterssegregation frühzeitig entgegenwirken zu können. Damit auch sozial und sprachlich
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benachteiligte Kinder eine Zukunftschance haben, kommt der Prävention in den
Bereichen Bildung und Gesundheit sowie einer familiengerechten Kommunalpolitik eine besondere Rolle zu.
Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft stehen vor der Herausforderung, sich
den regional differenzierenden Entwicklungen und den sich verändernden Nachfragestrukturen anzupassen. Neben weiterhin wachsenden oder zumindest
stagnierenden Märkten wird in einigen Städten des Ruhrgebiets der Rückbau
von Wohnungsbeständen und Infrastruktur die notwendige Konsequenz sein.
Insgesamt bedarf es sowohl beim Bestand als auch beim Neubau einer eindeutigen Qualitätsorientierung und einer Aufwertung der Lebens- und städtebaulichen Qualitäten. Dem öffentlichen Raum, den Freizeit- und Naherholungsmöglichkeiten kommt bei den Wohnumfeldqualitäten ein besonderer Stellenwert zu.
Auch die Kommunalverwaltungen sind auf die kontinuierliche Modernisierung
ihrer Verwaltungsstrukturen sowie eine partnerschaftliche Einbindung des Bürgers und der lokalen Akteure angewiesen. Neben einer Stärkung des privaten
Engagements bietet die Integration neuer Informationstechnologien Chancen,
direkter mit dem Bürger zu kommunizieren.
Angesicht wachsender räumlicher Verflechtungen und der Zunahme gemeindeübergreifender Aufgaben gewinnt die Region als Handlungsebene weiter an
Bedeutung. Hier gilt es, Ansätze zu entwickeln, die den unterschiedlichen regionalen Voraussetzungen, Interessen- und Problemlagen in Nordrhein-Westfalen
Rechnung tragen.
Es steht außer Frage, dass in einem Land mit so ausgeprägten siedlungsstrukturellen Unterschieden wie in Nordrhein-Westfalen Stadtpolitik nicht ausschließlich Großstadtpolitik sein kann. In gleichem Maße müssen die Belange der oftmals aus dem direkten Blickfeld gerückten Klein- und Mittelstädte berücksichtigt werden - immerhin zählt das Land 206 Städte mit über 20.000 Einwohnern.
Insgesamt leben in Nordrhein-Westfalen rund 87 Prozent der Bevölkerung in
den Städten bzw. in städtischen Agglomerationen. Somit ist die Zukunft des
Landes nicht zuletzt von der Zukunft der Städte abhängig.
Gerade in den letzten Jahren sehen sich die Städte und Kommunen insgesamt
verstärkt dem Verlust ihrer Handlungs- und Entscheidungsspielräume ausgesetzt. Angesichts der Problematik der wirtschaftlichen Entwicklungen, zunehmend knapper Finanzspielräume und den skizzierten wachsenden Herausforderungen steht das Wesen der kommunalen Selbstverwaltung immer mehr in
Frage. Im Hinblick auf eine zukunftsorientierte Stadtpolitik des Landes wird es
darauf ankommen, den verantwortlichen Gestaltungsspielraum der Städte zu
erweitern und sie zu befähigen, ihre Stärken zu entwickeln damit sie ihre Funktionen in Zukunft weiterhin wahrnehmen und ein funktionierendes Gemeinwesen
fortentwickeln können.
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Herausforderungen an die Städte
Wesentliche Prämisse künftiger Stadtpolitik muss sein, der Vielfalt der Städte in
Nordrhein-Westfalen Rechnung zu tragen und Raum für die Entwicklung ihrer
individuellen Potenziale zu schaffen. Ein Überblick über die nordrhein-westfälische Stadtlandschaft offenbart höchst unterschiedliche Begabungen, die nicht
nur in der Größe oder der Lage der Städte, sondern vor allem auch in ihren
unterschiedlichen Entwicklungsvoraussetzungen begründet liegen. Für alle
Handlungsebenen - also Städte, Regionen und auch einzelne Akteure - gilt es,
den jeweiligen Handlungsspielraum zu erweitern und dabei die Tüchtigen zu
stärken. Die Akteure können ihre eigenen Stärken nur selbst entwickeln; es ist
aber ebenso eine ideelle und materielle Anerkennung von außen notwendig,
damit gute Ansätze als solche erkannt und gefördert werden.
Der Vielfalt der nordrhein-westfälischen Städtelandschaft muss ebenso durch
eine Stärkung der kommunalen Handlungsautonomie Rechnung getragen werden. Angesichts der zunehmenden Komplexität kommunaler Aufgaben
erscheint es notwendig, Einzelmaßnahmen sowohl auf der lokalen als auch auf
den übergeordneten Ebenen verstärkt in Gesamtstrategien einzubetten und
auch die wachsenden interkommunalen Verflechtungen durch Kooperationen
sinnvoll aufzugreifen. Im Sinne der Zukunft der Städte bedeutet dies zwangsläufig eine Neuorientierung der Städtepolitik in Nordrhein-Westfalen, die durch
eine neue partnerschaftliche Aufgabenteilung zwischen Land und Kommunen
und durch eine strategisch ausgerichtete Förderpolitik gekennzeichnet ist.
2. Konstituierung der Enquetekommission
Der Präsident des Landtags, Ulrich Schmidt, hat die Kommission am 4. Januar
2001 konstituiert. Sie hat einstimmig den Abgeordneten Dr. Axel Horstmann
(SPD) zum Vorsitzenden und den Abgeordneten Klaus Kaiser (CDU) zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Nach dem Eintritt von Dr. Horstmann in die
Landesregierung hat die Kommission am 7. Januar 2003 den Abgeordneten
Hans-Peter Milles (SPD) einstimmig zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt.
3. Zusammensetzung der Enquetekommission
Die Enquetekommission setzt sich aus neun Abgeordneten der im 13. Landtag
von Nordrhein-Westfalen vertretenden vier Fraktionen sowie sechs vom Landtagspräsidenten auf Vorschlag der Fraktionen berufenen Sachverständigen
zusammen. Darüber hinaus haben alle Fraktionen von der Möglichkeit, stellvertretende Sachverständige - ohne Stimmrecht - zu benennen, Gebrauch gemacht, die in ihrer beratenden Funktion intensiv an der Arbeit der Enquetekommission mitgewirkt haben.
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Die Mitglieder, Referenten und Assistenten der Enquetekommission vor einer Kommissionssitzung
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Zusammensetzung der Enquetekommission
Der Enquetekommission „Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen“ gehören
nachfolgende Abgeordnete und Sachverständige Kommissionsmitglieder an:
Ordentliche Mitglieder
Vorsitzender
Vorsitzender seit 7. Januar 2003
Hans-Peter Milles (SPD)
Vorsitzender bis 7. Januar 2003
Dr. Axel Horstmann (SPD)
Stellvertretender Vorsitzender
Klaus Kaiser (CDU)
Abgeordnete
SPD
Hans-Peter Milles
Dr. Axel Horstmann, bis Januar 2003
Rainer Schmeltzer
Gerda Kieninger
Dr. Georg Scholz, seit Januar 2003
CDU
Bernd Schulte
Klaus Kaiser
Heinz Sahnen
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
PD Dr. Thomas Rommelspacher
FDP
Karl Peter Brendel
Sachverständige
Prof. Dr. Ilse Helbrecht
Institut für Geographie der Universität
Bremen, bis Oktober 2002 Geographisches
Institut der TU München
Dr. Alexander Schink
Hauptgeschäftsführer des Landkreistags
Nordrhein-Westfalen
PD Dr. Werner Schönig
Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung an der Universität Hannover
(ies), bis Februar 2004 Forschungsinstitut für
Sozialpolitik und Seminar für Sozialpolitik
der Universität Köln
ˇ
Prof. Dr. Faruk Sen
Direktor der Stiftung Zentrum für Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen
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Ullrich Sierau
Stadtrat der Stadt Dortmund, Umwelt- und
Planungsdezernent
Prof. Dr. Ulrich van Suntum
Geschäftsführender Direktor des Instituts für
Siedlungs- und Wohnungswesen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
Stellvertretende Mitglieder
Abgeordnete
SPD
Bernhard von Grünberg
Oda-Gerlind Gawlik, bis März 2003
Carina Gödecke, seit April 2003
Hildegard Nießen
Horst Vöge
CDU
Dr. Renate Düttmann-Braun, seit März 2002
Wolfgang Hüsken
Thomas Kufen
Marie-Theres Ley, bis März 2002
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Peter Eichenseher
FDP
Brigitte Capune-Kitka
Sachverständige
Dr. Dirk Halm
Stiftung Zentrum für Türkeistudien an der
Universität Duisburg-Essen, seit April 2002
Dr. Winfried Michels
Institut für Siedlungs- und Wohnungswesen
der Westfälischen Wilhelms-Universität
Münster
Gisela Nacken
Stadt Aachen, Dezernat für Umwelt und
Wohnen
Stephan Schmickler
Stadt Bergisch Gladbach, Stadtbaurat/
Technischer Beigeordneter
Dr. Birgit Stermann
Geographisches Institut der RheinischWestfälischen Technischen Hochschule
Aachen, bis März 2002
Stefan Thabe
Stadt Dortmund, Umwelt- und Planungsdezernat
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Arbeitsweise der Enquetekommission
Referenten der Fraktionen
Alexander Dahmen
SPD
Pascal Wagener
CDU, seit Januar 2002
Marcus Optendrenk
CDU, bis Dezember 2001
Dr. Birgit Stermann
FDP, seit April 2002
Raoul Mügge
FDP, bis Januar 2002
Mehrdad Mostofizadeh
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, seit Dezember
2002
Martin Tönnes
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bis November
2002
Kommissionssekretariat
Wissenschaftliche Assistenten
Florian Dohmen, seit Juli 2001
Dr.-Ing. Martina Werheit, seit August 2001
Maria-Anna Schmitz, bis Juni 2001 (kommissarisch)
Mitarbeiterinnen
Birgit Russ, Patricia Montenero, Sabine Orlowski, Doris Höhn (kommissarisch)
Protokoll
Uwe Scheidel (verantwortlich)
4. Arbeitsweise der Enquetekommission
Kommissionssitzungen
Die Kommission hat insgesamt 34 Sitzungen, davon drei Anhörungen, drei
externe Klausurtagungen und drei Expertengespräche mit externen Sachverständigen durchgeführt. Darüber hinaus hat die Kommission sechs Informationsreisen in nordrhein-westfälische Städte unternommen. Bestandteil der
ersten Kommissionssitzungen und Expertengespräche war die Entwicklung des
Arbeitsprogramms, das in der sechsten Sitzung am 23. Oktober 2001 beschlossen wurde. In der Folge dienten die Kommissionssitzungen der inhaltlichen
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Abstimmung und der Vergabe von Forschungsaufträgen sowie der Diskussion
und Auswertung der Forschungsergebnisse.
Anhörungen und Expertengespräche
Zur inhaltlichen Präzisierung des Untersuchungsauftrags, zur Konkretisierung
und Abgrenzung von Fragestellungen und zur Entwicklung des Arbeitsprogramms hat die Kommission zu Beginn ihrer Arbeit zunächst drei nicht öffentliche Anhörungen mit externen Sachverständigen durchgeführt. Im Verlauf der
Arbeit wurden darüber hinaus zur Vertiefung spezieller Fragestellungen sowie
zur intensiven Auseinandersetzung mit Erfahrungen in bestimmten Handlungsfeldern drei weitere Expertengespräche zu speziellen Themengebieten durchgeführt (siehe Übersicht im Anhang).
Forschungsaufträge
Um wichtige Erkenntnisse zur Situation in den Städten Nordrhein-Westfalens,
fundierte Informationen über deren künftige Entwicklung und einen grundlegenden Überblick zum Diskussionsstand aus Wissenschaft und Praxis zu erhalten,
hat die Kommission zu bestimmten Fragestellungen Forschungsaufträge in
Form von Gutachten, Studien, Expertisen und Literaturauswertungen vergeben
(siehe Übersicht im Anhang).
Die Gutachten beinhalteten in der Regel empirische Analysen sowie darauf
begründete fachliche Empfehlungen und konzeptionelle Weiterentwicklungen zu
grundsätzlichen Themen. Bei Studien und Expertisen wurden einzelne Fragestellungen - häufig in Form von Fallbeispielen - untersucht und darauf aufbauend wissenschaftliche Empfehlungen abgeleitet. Die Literaturstudien gaben im
Wesentlichen einen breiten Überblick über die fachliche Diskussion sowie zum
Stand der Entwicklung in einzelnen Handlungsfeldern. Darüber hinaus wurden
zu vereinzelten Themen Berichte der Landesressorts eingeholt.
Exkursionen und Informationsreisen
Um auch vor Ort ein Bild zu erhalten und um Erkenntnisse bei der Umsetzung
erfolgreicher Beispiele zu gewinnen, hat die Kommission darüber hinaus in
sechs nordrhein-westfälischen Städten Exkursionen durchgeführt und intensiv
mit den kommunalen Akteuren Erfahrungen erörtert. Dabei wurden zahlreiche
Projekte nordrhein-westfälischer Stadtentwicklung besichtigt. Die Erfahrungen,
die die Akteure und die Städte bei der Umsetzung gemacht haben, sind in den
Bericht eingeflossen. Eine Übersicht der besuchten Städte und eine Darstellung
der Projekte finden sich im Anhang.
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Arbeitsweise der Enquetekommission
Berichterstellung
Die Erkenntnisse aus den Forschungsaufträgen, den Expertengesprächen
sowie den Informationsreisen mündeten in einen fortwährenden internen
Diskussionsprozess. Die Ergebnisse dieser intensiven Auseinandersetzung sind
in dem vorliegenden Abschlussbericht zusammengeführt, dessen Gliederung in
der Klausurtagung im Mai 2003 beschlossen wurde. Auf Grundlage der Gliederung wurden parallel zur laufenden Plenararbeit der Kommission Arbeitsgruppen
gebildet, die Textentwürfe für die inhaltliche Beratung des Abschlußberichts
erarbeitet haben.
Am Entwurf der einzelnen Kapitel haben im Wesentlichen folgende Mitglieder
der Kommission mitgewirkt:
B1 Stadt ist nicht gleich Stadt - Die Vielfalt der Städte in Nordrhein-Westfalen
Prof. Dr. Ilse Helbrecht, Klaus Kaiser MdL
B2 Die Städte vor den Herausforderungen des demografischen Wandels
PD Dr. Werner Schönig
B3 Ökonomische Potenziale und regionale Profilierung
PD Dr. Werner Schönig, Prof. Dr. Ulrich van Suntum
B4 Stadtentwicklung und Landesplanung im Zeichen räumlicher
Dekonzentration
Stephan Schmickler, Ullrich Sierau
B5 Die Städte als Spiegel des gesellschaftlichen Wandels
Dr. Dirk Halm, Gerda Kieninger MdL, PD Dr. Thomas Rommelspacher MdL,
ˇ
Heinz Sahnen MdL, PD Dr. Werner Schönig, Prof. Dr. Faruk Sen
B6 Wohnungsmärkte im Spannungsfeld regionaler und gesellschaftlicher
Differenzierungen
Dr. Georg Scholz MdL, Bernd Schulte MdL
B7 Die moderne und bürgerorientierte Kommunalverwaltung
Karl Peter Brendel MdL, Klaus Kaiser MdL, Gerda Kieninger MdL,
PD Dr. Thomas Rommelspacher MdL, Dr. Alexander Schink,
Rainer Schmeltzer MdL, Ullrich Sierau, Prof. Dr. Ulrich van Suntum
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B8 Die Stadt in der Region - Chancen Regionaler Kooperation
PD Dr. Thomas Rommelspacher MdL, Dr. Alexander Schink,
Stephan Schmickler, Ullrich Sierau, Prof. Dr. Ulrich van Suntum
C Strategien und Orientierungen für die künftige Städtepolitik
in Nordrhein-Westfalen
Dr. Dirk Halm, Prof. Dr. Ilse Helbrecht, PD Dr. Thomas Rommelspacher, MdL,
PD Dr. Werner Schönig, Stefan Thabe, Prof. Dr. Ulrich van Suntum
D Szenario: Die Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen - Ein Blick zurück aus
dem Jahre 2030
Ullrich Sierau
Die maßgebliche Beratung und Abstimmungen der Vorlagen für den Abschlußbericht erfolgten auf den Klausurtagungen der Kommission im Dezember 2003
und im Februar 2004 sowie in den sich unmittelbar daran anschließenden Kommissionssitzungen im Februar, März und April 2004.
Die endgültige Fassung des gesamten Berichts wurde in der 34. Sitzung am
10. Mai 2004 einstimmig beschlossen.
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B
Die Zukunft der Städte
in Nordrhein-Westfalen:
Trends und Entwicklungsperspektiven Herausforderungen
für die Landespolitik
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B1 Stadt ist nicht gleich Stadt
Die Vielfalt der Städte
in Nordrhein-Westfalen
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Nordrhein-Westfalen ist kein Stadtstaat, aber ein städtisches Land. Es ist unter
den sechzehn Bundesländern das Land mit der reichhaltigsten Stadtlandschaft.
Wie in keinem anderen Teilraum Deutschlands sind hier die Lebensweisen der
Bevölkerung, die Rahmenbedingungen der Wirtschaft ebenso wie die politischen Steuerungsmöglichkeiten geprägt von einer historisch gereiften, flächenhaften Urbanisierung. Aus dieser besonderen Situation einer hochgradig urbanen Prägung ergeben sich spezifische Herausforderungen und Gestaltungsmöglichkeiten für die Bevölkerung, für Unternehmer und Politiker. Landesentwicklung in Nordrhein-Westfalen ist zu einem großen Teil Stadtentwicklung.
Im Sinne einer urban orientierten, politischen Landestradition mit bundesweitem
Modellcharakter sind auch die Handlungsansätze dieses Berichts für die Förderung und Entwicklung der Städte Nordrhein-Westfalens zu betrachten. Eine
erste Ausgangsmaxime ist daher, dass der Städtepolitik zwar nahezu flächendeckend im Land eine große Bedeutung zukommt, sie jedoch keineswegs deshalb auch flächendeckend überall gleich agieren kann. Vielmehr trifft die Landespolitik auf lokal und regional sehr unterschiedliche Problemsituationen und
Handlungskontexte, die einer differenzierten Betrachtung und Behandlung
bedürfen.
Es ist eine historisch erlernte Einsicht, dass Städte noch nie gleich waren. Immer
schon bestanden Unterschiede hinsichtlich der Zahl der Einwohner, des ökono29
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mischen Gewichts, der geografischen Ausstattung und Lage, des politischen
Einflussbereichs oder der Lebens- und Bürgerkultur. Heute jedoch, unter den
veränderten Bedingungen des 21. Jahrhunderts, gilt das vertraute Motto „Stadt
ist nicht gleich Stadt“ auf neue Weise. Hinter der vermeintlich allgemeinen Kategorie von Stadt verbirgt sich eine wachsende Vielfalt unterschiedlicher städtischer Größentypen wie auch sehr verschiedenartig und funktional spezialisierter Struktur- und Regionaltypen. Die wachsende Pluralität städtisch-lokaler Profile beruht auf gravierenden Einschnitten und grundlegenden historischen Veränderungen in den weltweiten Rahmenbedingungen der Stadtentwicklung.
Globalisierung, Digitalisierung und Tertiärisierung bilden ein komplexes Ursachengefüge für neuartige städtische Ausdifferenzierungs- und Selektionsprozesse, die gerade seit etwa Mitte der 1970er Jahre an Dynamik gewonnen
haben (vgl. hierzu die Beiträge in Kapitel B5). Sowohl die regionale Differenzierung teilräumlicher Entwicklungen wie auch die Vielfalt der Stadttypen nimmt zu.
So besteht in Nordhrein-Westfalen beispielsweise der Kontrast der Rheinschiene zum Ruhrgebiet. Und es bilden sich etwa neue Typen der Zwischenstadt,
Altenstadt, Dienstleistungsstadt, Medienstadt heraus (vgl. Kapitel B4). Dabei
stellen sich die Herausforderungen etwa der peripheren Klein- und Mittelstädte
gänzlich anders dar als die Aufgaben, vor denen künftig die Großstädte und
Metropolen stehen. Aus der historischen Entwicklung ergeben sich derzeit und
auch in naher Zukunft in den alten Industriestädten im Ballungsraum Ruhrgebiet
andere Probleme als in den industriell geprägten ländlichen Solitärstädten, beispielsweise im östlichen Westfalen oder am linken Niederrhein. Der schlichte
Typus der altindustriellen Stadt gibt somit kein hinreichend differenziertes Bild
für die verschiedenen Problemlagen, denen sich die ehemaligen nordrheinwestfälischen Industriestädte stellen müssen.
Vor diesem Hintergrund soll zunächst ein erster Überblick über die Vielfalt und
Gestalt der nordrhein-westfälischen Stadtlandschaft hergestellt werden. Gerade
für eine differenzierte Wahrnehmung von lokalen Ausgangslagen und Problemkonstellationen sowie Entwicklungsverläufen und damit auch politischen Interventionsmöglichkeiten ist eine Kategorisierung und Untergliederung der Städte
in Stadttypen hilfreich und nötig. Die Herausforderung besteht in der Frage: Lassen sich innerhalb der Gesamtmenge der Städte in Nordrhein-Westfalen verschiedene Stadttypen bilden, die sowohl ausreichend differenziert sind, um die
spezifischen Situationen in den Städten des Landes treffend zu charakterisieren,
als auch solche allgemeinen Grundzüge aufzeigen, um aufbauend auf ihnen
Typen bezogene Handlungsempfehlungen für die künftige Landespolitik abzuleiten?
Ansatzpunkte für Typisierungsversuche bieten dabei etwa folgende Merkmale:
• Stadtgröße, räumliche Lage und regionale Funktion (solitäres Zentrum,
Agglomerationszentrum, Metropole, Wohnstadt etc.),
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Vielfalt der Städte
• Stadt-Umland-, regionale und interstädtische Verflechtungen (Wanderungs-,
Mobilitätsströme etc.),
• Branchen-, Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsentwicklung (sektoraler Wandel, Dienstleistungen, Neue Technologien, internationale Wettbewerbsfähigkeit, regionale Kompetenzen etc.),
• Stellung und Funktion im nordrhein-westfälischen und europäischen Städtesystem,
• historische, aktuelle und zu erwartende Siedlungsstrukturentwicklung (Suburbanisierung, städtische Peripherie/Umland, Dispersion, Verdichtung etc.),
• Soziodemografische und sozialräumliche Entwicklung (Sozialstrukturen,
ethnische Differenzierung, Einwohnerentwicklung, Wanderungsströme).
1.1
Der Versuch einer Städtetypisierung
Städtetypisierungen sind zielabhängig. Allgemeingültige Kennzeichnungen
kommunaler Profile sind nicht möglich, sondern nur für bestimmte Zwecke entworfene Unterscheidungsmerkmale. Um eine Typenbildung zu erreichen, die
sich an den Zukunftschancen der Städte orientiert und deshalb zugleich politische Interventionsmöglichkeiten offenbart, müssen die Zukunftsdimensionen
städtischer Entwicklung - Entwicklungsstand, Chancen und Risiken, zukünftige
Herausforderungen - in der empirischen Untersuchung besonders betont werden. Basierend sowohl auf qualitativen Einschätzungen einzelner befragter
Experten als auch auf quantitativen Daten des Statistischen Landesamtes wird
der Versuch einer flächendeckenden Typisierung der Städte Nordrhein-Westfalens unternommen. Hierfür werden von den insgesamt 206 Städten NordrheinWestfalens mit mehr als 20.000 Einwohnern in einem mehrstufigen empirischen
Verfahren deren gegenwärtige Situation und ihre Zukunftsaussichten untersucht.
In einem ersten empirischen Schritt werden bundesweit ausgewählte Experten
aus Hochschulen, öffentlichen und privaten Beratungseinrichtungen, Verbänden, Akademien, Kommunen und Bezirksregierungen nach ihren Einschätzungen zu dem gegenwärtigen Entwicklungsstand sowie den Zukunftschancen der
206 Städte befragt. Die in Fragebogenform erhobenen Informationen zur qualitativen Beurteilung der Stadtlandschaft Nordrhein-Westfalens werden in einem
zweiten Schritt empirisch angereichert durch eine Fragebogenerhebung bei den
Kommunen selbst. Diese werden jedoch nicht nach ihrer Einschätzung des
eigenen Entwicklungsstands befragt, sondern sehr pauschal nach den aktuellen
Schwerpunkten in der Stadtentwicklungspolitik. Drittens erfolgt eine quantitati31
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ve Analyse der Struktur- und Entwicklungsmerkmale eben jener 206 Städte auf
der Basis von Daten des Statistischen Landesamtes. Die Städtetypisierung ist
damit charakterisiert durch ein dreistufiges empirisches Verfahren, das aufgrund
der Verbindung von harten und weichen Daten als Methodenmix bezeichnet
werden kann.
Nach dem Expertenurteil werden die positiven Zukunftschancen der Städte primär durch drei Faktoren beeinflusst:
• die Lagemerkmale der Städte (Zentralität, Verkehrsanbindung, Erreichbarkeit, günstiges Flächenangebot),
• die günstige Wirtschaftsstruktur, -entwicklung und -potenziale (mittelständische Wirtschaftsstruktur, Tertiärstandort, Wirtschaftsschwerpunkt Bildung
und Forschung, günstiger Branchenmix),
• die urbane Attraktivität (guter Wohnstandort, besondere städtebauliche
Qualität, insgesamt hohe Lebensqualität, hohes Kultur- und Freizeitangebot).
Tab. 1: Merkmalsdimensionen von Zukunftschancen
Lagevorteile
Ausschließlich
positiv
Sowohl
als auch
Ausschließlich
negativ
43,2
14,2
18,6
Lagenachteile
Negative Wirtschaftsstruktur, -entwicklung,
wirtschaftl. Probleme
Günstige Wirtschaftsstruktur, -entwicklung,
-potenziale
42,5
20,4
17,7
Urbane Attraktivität
29,9
4,4
22,1
Keine oder mangelnde
Attraktivität
Kompetente, aktive
kommunale
Verwaltung/Politik
17,7
2,2
4,4
Eher ineffiziente
kommunale
Verwaltung/Politik
Günstige soziale
Struktur/Integration
8,0
0,0
15,9
Soziale Desintegration/
Problemlagen
Stabile kommunale
Finanzlage
6,2
-
10,6
Kommunale
Finanzkrise
Bevölkerungswachstum
6,2
-
10,6
Bevölkerungsrückgang
Angaben: Ergebnisse aus den Expertenstatements für die Begründung der positiven oder negativen
Zukunftschancen der Städte, Anteil der genannten Städte in Prozent (Städte N = 113)
Quelle: Henckel/Kolleck/Mittag/Seidel-Schulze1
1
32
Die Frage in der Erhebung lautet: Im folgenden Teil geht es um die Merkmale, die Sie bei Beurteilung der jeweiligen Stadt in Frage 1 berücksichtigt haben. Wählen Sie bitte aus der Städteliste (Frage 1) bis zu zwanzig Städte aus, die Sie beurteilt haben. Berücksichtigen Sie dabei
sowohl Städte mit guten und mittleren als auch Städte mit schlechteren Zukunftschancen.
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Darüber hinaus spielen vier weitere Faktoren eine Rolle: die kommunale Finanzsituation, die Kompetenzen und Aktivitäten der Politik und Verwaltung, die soziale Struktur unter den Aspekten Integration bzw. Desintegration sowie die
Bevölkerungsentwicklung.
Ein anderes Bild bietet sich, fragt man die Experten nicht nach den Gründen für
die Einschätzung der Entwicklungsaussichten einzelner Städte, sondern generell nach den Grundvoraussetzungen und Merkmalen einer zukunftsfähigen
kommunalen Entwicklung. Auf die Frage „Welche Variablen halten sie für die
Zukunftschancen der Städte grundsätzlich für wichtig oder weniger wichtig?“
antworten die Experten sehr uneinheitlich. Von der Möglichkeit, aus einer Liste
von 60 Einzelmerkmalen die ihrer Auffassung nach wesentlichen Kriterien für die
Beurteilung der Zukunftschancen der Städte herauszufiltern, machen die
Befragten sehr unterschiedlich Gebrauch. Hier zeigt das Ergebnis der Befragung eine große Bandbreite im Urteil der Experten, die sich zum einen in Abweichungen und Disparitäten zwischen den Befragten niederschlägt und sich zum
anderen auch in den zum Teil widersprüchlichen Einschätzungen der Experten
zeigt. Es gibt wenig Korrelationen zwischen den Expertenurteilen. Tatsächlich
bestehen große Differenzen in den Bewertungsmaßstäben, die die Experten verwenden, wenn sie die Zukunftsfähigkeit von Städten allgemein - ohne die Nennung von Beispielen - beurteilen.
1.2
Empirische Überprüfung der Expertenurteile
In einem weiteren empirischen Schritt des Versuchs einer Städtetypologie für
Nordrhein-Westfalen geht es darum, die subjektiven Expertenurteile in einer
empirischen Validierung durch die Auswertung von Daten des Statistischen
Landesamtes zu relativieren, zu revidieren oder zu bestätigen. Der Vergleich von
Aussagen im Expertenurteil und der Analyse von Datensätzen wirft eine weitere
Bruchlinie auf: Nicht nur, dass sich die Experten in den Begründungen für ihre
einvernehmlich genannten Urteile über die Schicksale der Kommunen in Nordrhein-Westfalen uneins sind und sich bei der Benennung von Ursachen und
Merkmalen erfolgreicher bzw. negativer Stadtentwicklung zum Teil widersprechen. Auch der darauf folgende Versuch, denjenigen Teil des Expertenurteils,
bei dessen Beantwortung noch Konsens herrscht - nämlich die Bewertung des
gegenwärtigen Entwicklungsstands und der Zukunftsaussichten konkreter
Städte - statistisch zu fundieren, misslingt. Es ist nicht möglich, die Expertenurteile über die 206 bewerteten Städte durch statistische Kenngrößen zu erklären.
Die Städtestatistik des Landes Nordrhein-Westfalen stützt nicht die - kongruenten - Aussagen der Befragten. Es gibt keine Möglichkeit, für die Gesamtheit aller
untersuchten Städte mit über 20.000 Einwohnern akzeptable Abbildungen der
33
Zukunft der Städte in NRW
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Expertenurteile durch statistische Kenngrößen zu finden. Das Fehlen einer
befriedigenden Möglichkeit der Reduktion des Expertenurteils auf landesweit
einheitliche, markante Kenngrößen zeigt, dass das Expertenurteil hierüber entweder offensichtlich unpräzise bzw. unzutreffend ist oder hier die Grenzen der
gegenwärtigen Statistik erreicht sind.
Erst ein Wechsel der räumlichen Maßstabsebene, eine kleinräumigere Perspektive der Betrachtung, kann letztlich eine konstruktive Lösung erbringen. Eindeutigere Ergebnisse bei dem Vergleich der Expertenurteile mit den Datensätzen
des statistischen Landesamtes werden erzielt, wenn eine nach Größe und regionaler Zugehörigkeit der Städte differenzierte Analyse unternommen wird. Das
aber bedeutet, dass das vorgegebene Ziel einer flächendeckenden Typisierung
aller Städte mit über 20.000 Einwohnern in Nordrhein-Westfalen nicht erreichbar
ist. Vielmehr bedarf es punktgenauerer Klassifikationen nach Zentralität und
Größe, gemessen an der Einwohnerzahl und Lage im Land.
Eine solche Differenzierung nach Größenklassen und Zentralität ist beispielsweise möglich, indem man zwischen Oberzentren, Großstädten mit mehr als
100.000 Einwohnern, Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern und Städten mit
weniger als 50.000 Einwohnern unterscheidet. Interessant dabei ist, dass die
Expertenurteile wohl vorwiegend für die Oberzentren und Großstädte zutreffend
sind.2
16 Oberzentren
Die Typisierung der Oberzentren anhand der Wirtschaftsstruktur und Wissenskultur ist relativ mühelos. Dies bestätigt Überlegungen aus der regionalen Entwicklungstheorie, wonach der Bereich Forschung und Bildung großen Einfluss
(nicht nur) auf die Zukunftschancen von Städten hat. Der wesentliche Indikator
zur Messung des Entwicklungsstands der Städte ist der Anteil der Beschäftigten mit Abitur. Dieser Indikator verweist auf Vieles; Er korreliert hoch mit weiteren wichtigen Stadtentwicklungsfaktoren wie etwa den Gewerbesteueranmeldungen und der Bevölkerungsentwicklung. Bei den Oberzentren in NordrheinWestfalen deutet sich eine Zweiteilung und interne Hierarchisierung dieses
Stadttypus in einerseits Städte mit guten Zukunftschancen wie etwa Düsseldorf,
Münster, Köln, Bonn und andererseits altindustrialisierte Gebiete mit ambivalenten Zukunftsaussichten wie Dortmund und Essen an.
Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern (Großstädte)
30 Großstädte gibt es in Nordrhein-Westfalen. Die statistischen Indikatoren für
die Entwicklungschancen dieses Typus von Stadt stimmen ebenfalls stark mit
2
34
Korrelation von Expertenurteil und statistischer Analyse in Form von multipler Regression r = 0,9.
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Vielfalt der Städte
den Expertenurteilen überein.3 Hierbei sind drei Variablen entscheidend: die
Beherbergungsbetten pro tausend Einwohner, die Bevölkerungsentwicklung in
den Jahren 1990 bis 2000 in Prozent und die Gewerbeneuanmeldungen. Möglicherweise stehen diese drei Variablen für die Attraktivität als Tagungsort, als
Wohnort und als Gewerbestandort. Allerdings sind bei diesem Stadttypus identische Klassifikationen mit vielfältigen Indikatoren herstellbar. Demnach scheinen hier komplexe Zusammenhänge zu wirken, die sich nur schwer auf Einzelnes reduzieren lassen.
Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern
In Nordrhein-Westfalen gibt es 77 Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern. Vier
Kenngrößen genügen, um deren Entwicklungsstand und -perspektiven einzuschätzen: der Anteil der mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus geförderten
Wohnungen an allen Wohnungen, die Gewerbeneuanmeldungen pro tausend
Einwohner, die Veränderung der Beschäftigten in der Energie- und Wasserversorgung und sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Dienstleistungsberufen je tausend Einwohner. Auch diese Variablen könnten wirtschaftliche und
gesellschaftliche Entwicklungen kennzeichnen. So spricht beispielsweise eine
Zunahme der Beschäftigten in der Energie- und Wasserversorgung für einen
Ausbau des Energie- und Wasserversorgungsnetzes und damit für einen erhöhten privaten und gewerblichen Infrastrukturbedarf.
Städte mit weniger als 50.000 Einwohnern
Für Städte mit 20.000 bis 50.000 Einwohnern ist keine befriedigende Rückführung des Expertenurteils auf Indikatoren möglich.4 Hier zeigt sich deutlich, dass
der Blick der Experten in Hochschulen, Verbänden, Bezirksregierungen etc. kein
gleichmäßig gestreuter durch das Land ist, sondern sehr selektiv vor allem die
Entwicklungen in den größeren Städten wahrnimmt und fundiert betrachtet.
1.3
Unterschiede in den Zukunftsperspektiven ein erster Überblick
Gerade wegen der Vielfalt der Städte in Nordrhein-Westfalen erscheint es notwendig, eine möglichst übersichtliche und plausible Klassifizierung vorzuneh-
3
Korrelation 0,9.
4
r = 0,6, bei nur ein Drittel erklärter Varianz.
35
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
men, um so dem Land Anknüpfungspunkte für eine Städtepolitik zu bieten und
- wissend um die Schwierigkeiten jedweder Typisierung - einen Beitrag zur wissenschaftlichen Fundierung der Städtepolitik zu leisten.
Wie bereits oben dargestellt, legt die statistische Untersuchung eine Unterteilung in kleine und größere Städte nahe. Die durch Clusteranalysen herausgebildeten Gruppen zeigen sehr viel deutlichere Unterschiede in den Städten mit
über 50.000 Einwohnern als in den kleineren Städten. Ebenso sind die Expertenurteile für die größeren Städte sehr viel besser nachvollziehbar. Auch im Rahmen der vorliegenden Analysen zeigt sich ein ähnliches Bild. Letztlich erscheint
ein zweigeteiltes Vorgehen auch in Anbetracht der klassifizierten Städte als
wesentlich plausibler als das Ergebnis einer Gesamtklassifikation in einem
Durchgang.
Der nachfolgende Versuch soll dieser Unterschiedlichkeit der Städte in Nordrhein-Westfalen Rechnung tragen und die Verschiedenheit der lokalen Problemlagen und Entwicklungsperspektiven verdeutlichen. Es geht in diesem ersten
analytischen Schritt darum, die Varianz der Zukunftsperspektiven der Städte in
Nordrhein-Westfalen im Überblick zu sortieren und zu betrachten (vgl. Abb. 1).
Im weiteren Gedankengang des Berichts werden dann in den folgenden Kapiteln im Hinblick auf spezifische Fragestellungen, etwa der ökonomischen oder
sozialen Struktur, weitere differenzierte Gruppierungen erarbeitet und vorgestellt.
Typen der Mittel- und Großstädte (mehr als 50.000 Einwohner)
Zentraler Zukunftsstandort, Entwicklungsmotor
Bei den zentralen Zukunftsstandorten bzw. den Entwicklungsmotoren finden
sich die Oberzentren wieder, die eine positive Beschäftigung, insbesondere bei
der qualifizierten Beschäftigung bzw. im Bereich der Wissenskultur, weit über
dem Durchschnitt aufweisen. Sie verfügen meist auch über ein überdurchschnittliches Finanzpotenzial, haben aber mit zum Teil erheblichen sozialen Problemen und einem tendenziellen Bevölkerungsrückgang zu kämpfen.
Prosperierende mittelgroße Stadt
Unter dem Typus der prosperierenden mittelgroßen Stadt finden sich die Städte, die durch überdurchschnittliche Beschäftigung und Wissenskultur geprägt
sind. Bei sozialen Problemen und der Bevölkerungsveränderung sind sie
zumeist unauffällig. Auch die Finanzpotenziale dieses Typus sind häufig ebenso
wenig auffallend oder positiv. Vereinzelt befinden sie sich in attraktiven Randlagen neben größeren Städten oder es sind Erholungsstädte.
36
Zukunft der Städte in NRW
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Vielfalt der Städte
Altindustrielle Großstadt mit positiven Entwicklungspotenzialen (Schwellenstadt)
Die altindustriellen Großstädte mit positiven Entwicklungspotenzialen liegen bei
der Beschäftigung und Wissenskultur über dem Durchschnitt, haben aber auch
überdurchschnittliche soziale Probleme und zumeist geringe Finanzpotenziale.
Der Bevölkerungsrückgang liegt im Städtevergleich weit über dem Durchschnitt
und sie weisen im Vergleich eine geringere Attraktivität bzw. einen geringeren
Lebensstandard auf.
Typische mittelgroße Stadt
Die typische mittelgroße Stadt ist in allen Bereichen relativ schwach ausgeprägt.
Möglicherweise kann dies als Zeichen von Stagnation oder als Durchgangsstadium interpretiert werden. In der Tendenz zeigt sie eine leicht negative Beschäftigung, Wissenskultur und Attraktivität. Ebenso sind meist ein Bevölkerungsrückgang und soziale Probleme zu erkennen.
Altindustrielle Problemlage
Die Städte in altindustrieller Problemlage haben deutliche soziale Probleme, die
weit über dem Städtedurchschnitt liegen: Sie verfügen über sehr wenig qualifizierte Beschäftigung und haben in der Regel allgemeine Beschäftigungs- und
Finanzprobleme. Darüber hinaus ist der Bevölkerungsrückgang besonders
hoch.
Attraktive Wohnstadt in der Nachbarschaft größerer Zentren (Suburb)
Der Typus der attraktiven Wohnstadt in der Nachbarschaft größerer Zentren ist
gekennzeichnet durch Städte mit hoher Attraktivität bei meist vergleichsweise
guten Finanzpotenzialen. Während sie zumeist ein Bevölkerungswachstum aufweisen, ist bei diesem Typus die Beschäftigung vergleichsweise gering.
Typen der Kleinstädte (weniger als 50.000 Einwohner)
Kleinstadt mit positiven Entwicklungspotenzialen
Die Kleinstädte mit positiven Entwicklungspotenzialen verfügen in der Regel
über viele qualifizierte Beschäftigte; Sie haben geringe soziale Probleme und
eine wachsende Bevölkerung.
Typische kleinere Stadt
Ähnlich wie beim Typus der typischen mittelgroßen Stadt sind bei den typischen
kleineren Städten mit weniger als 50.000 Einwohnern die Merkmale nur verein37
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
zelt überdurchschnittlich ausgeprägt. Gelegentlich zeigen sie eine hohe Attraktivität bzw. einen hohen Lebensstandard. Die Finanzlage liegt leicht über dem
Durchschnitt und es bestehen eher wenig soziale Probleme. Allerdings stagniert
ihre Bevölkerung. Teilweise tendieren sie zum Typus Suburb - also der attraktiven Wohnstadt in der Nachbarschaft größerer Zentren.
Benachteiligte Randlage
Die Städte der benachteiligten Randlage liegen oft in den altindustriellen Problemlagen. Sie verzeichnen eine geringe Beschäftigung, insbesondere wenig
qualifizierte Beschäftigung, eine geringe Attraktivität bzw. einen geringen
Lebensstandard und stehen öfter in Zusammenhang mit Bevölkerungsverlusten
und geringem Finanzpotenzial.
Attraktive kleinere Vorort- oder Wohnstadt (Suburb)
Zum Typus der attraktiven kleineren Vorort- oder Wohnstadt zählen die kleineren Vorortstädte und ländlichen Lagen. Sie haben geringe soziale Probleme, ein
hohes Bevölkerungswachstum und sind meist besonders attraktiv. Allerdings
sind die Beschäftigung und auch die Wissenskultur eher gering ausgeprägt,
wobei die Finanzlage eher heterogen ausfällt.
1.4
Erste Schlussfolgerungen - Thesen
Insgesamt zeigt sich, dass der Versuch einer flächendeckenden Städtetypologie
für Nordrhein-Westfalen zu sehr differenzierten Ergebnissen führt, die erst im
Überblick transparent erscheinen.
Dieser Überblick lässt sich in sieben Thesen formulieren:
Die Unterschiede zwischen Groß- und Kleinstädten sind signifikant
Für Groß- und Kleinstädte lässt sich keine gemeinsame Städtetypisierung vornehmen. Expertenurteil und der Stand der Literatur zur Zukunft der Stadt beziehen sich vorwiegend auf großstädtische Chancen und Problemlagen. Die
besondere Rolle und spezifische Problematik von Klein- und Mittelstädten
gesondert zu berücksichtigen, scheint eine wichtige Maßgabe für die Landespolitik zu sein.
Die Wirklichkeit wird durch Experten und in Statistiken selektiv wahrgenommen
Die über 170 kleineren Städte dominieren die Ergebnisse der statistischen
Analysen - durch multiple Regression, Faktorenanalyse und latente Struktur38
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Vielfalt der Städte
Abb. 1: Städtetypen der Zukunftsperspektiven in Nordrhein-Westfalen
Quelle: Henckel/Kolleck/Mittag/Seidel-Schulze
analyse - zu den Städtetypen in Nordrhein-Westfalen, während die Expertenratings von den Zuständen und Entwicklungsmustern der Großstädte „leben“
bzw. diese repräsentieren.
Der Weg in die Wissensgesellschaft ist bestimmend für die Zukunft der Stadt
Der Faktor Wissenskultur wird von vorneherein - sowohl in der Literatur wie aus
Sicht der befragten Experten - als bedeutend eingeschätzt. Am Ende der Unter39
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
suchung zeigt sich, dass er noch bedeutender und gewichtiger ist, als im Vorhinein vermutet. Der Anteil der Abiturienten an den sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten ist ein wichtiger statistischer Indikator für den gegenwärtig
erreichten Entwicklungsstand und die Zukunftsaussichten einer Stadt. Er könnte für das intellektuelle Potenzial einer Stadt stehen. Zukunftsfähige Stadtpolitik
ist deshalb vor allem auch lokale Bildungs- und Wissenspolitik.
Starke Rolle des demografischen Wandels
Der demografische Wandel ist von zentraler Bedeutung für die Beurteilung des
gegenwärtigen Entwicklungsstands und die Zukunftsperspektiven der Städte in
Nordrhein-Westfalen. In Form von Bevölkerungswachstum, Bevölkerungsschrumpfung und Überalterung überschattet der lokale demografische Trend
viele andere örtliche Entwicklungen. So beeinflusst er die gegenwärtigen Stadtstrukturen Nordrhein-Westfalens und deren Spiegelung in den amtlichen Daten
in starkem Maße. Unklar ist jedoch, inwieweit er auch kausal wirkt, das heißt, ob
er Ursache oder Wirkung raumstruktureller Veränderungen ist. Schrumpfen ökonomisch schwache Regionen, weil sie auch an Bevölkerung verlieren, oder wandert die Bevölkerung ab, weil die Region schrumpft? Der demografische Wandel ist in jedem Fall ein wichtiger Indikator örtlichen Wachstums oder Schrumpfung, nicht immer jedoch ist er auch deren Verursacher.
Wachsende regionale Differenzierung
Die Stadtlandschaft Nordrhein-Westfalens ist deutlich regional differenziert. Art
und Ausmaß der pluralen, zu Teilen auch disparitären teilräumlichen Entwicklungen nehmen zu.
Urbane Attraktivität ist bedeutend aber schwer quantifizierbar
Der Einfluss der quantitativ schwer messbaren urbanen Attraktivität auf den Entwicklungsstand und die Zukunftsperspektiven der Städte in Nordrhein-Westfalen wird aus Mangel an geeigneten Indikatoren hierfür in statistischen Untersuchungen stets unterbewertet. Dies ist auch hier der Fall.
Städtetypisierung gibt es nur im Plural als Städtetypisierungen
Aufgrund der Differenziertheit lokaler Problemlagen, der nach Stadtgrößen sehr
unterschiedlich ausgeprägten Bevölkerungs- und Branchendifferenzierung
sowie den zudem auch noch regional sehr unterschiedlichen Konstellationen
von Wachstum, Schrumpfung und Stagnation ist die Stadtlandschaft Nordrhein40
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Seite 41
Vielfalt der Städte
Westfalens zu bunt und vielfältig - man kann auch sagen reich (-haltig) - als dass
eine einzige Städtetypisierung in der Lage wäre, diese Vielfalt strukturiert zu
repräsentieren. Bei der Stadtlandschaft Nordrhein-Westfalens zeigt sich je nach
Blickwinkel ein anderes Bild, eine andere Struktur - eine andere Möglichkeit, die
Städte zu typisieren. Die Frage, ob eine Stadt eine Metropole ist, lässt sich unter
Bezug auf die Größe, den Branchenmix oder die Funktion im Städtenetz einschätzen. Das Ergebnis kann dabei jeweils ein anderes sein.
In den nachfolgenden Kapiteln werden ausgehend von diesem Verständnis verschiedene Stadttypologien aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven entwickelt:
• Kapitel B2 betrachtet die Städte Nordrhein-Westfalens aus der demografischen Perspektive und entwickelt eine Typologie auf der Grundlage der
Bevölkerungsstruktur.
• Kapitel B3 stellt die ökonomische Perspektive dar, in der der Branchenmix
und die ökonomische Verflechtung zum Umland die Grundlage der Typisierung sind.
• Kapitel B4 geht bei der Typisierung von den ordnungspolitischen Kategorien des Konzeptes der Zentralen Orte aus und fragt nach der Funktion der
jeweiligen Stadt im Städtesystem.
• Kapitel B5 analysiert Städte und Stadtteile sozialräumlich und gibt flächendeckend einen kleinräumigen Überblick über die Disparitäten zwischen
Stadtteilen.
• Kapitel B6 typisiert Städte und Regionen anhand der Struktur und Dynamik
des Wohnungsmarktes.
41
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B2 Die Städte vor den
Herausforderungen
des demografischen Wandels
42
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2.1
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Seite 43
Bevölkerungsentwicklung in Deutschland
Die Bevölkerungsentwicklungen in wirtschaftlich hoch entwickelten Gesellschaften weisen im internationalen Kontext große Parallelen auf. Aus unterschiedlichen Gründen ist die Fertilität in Wohlstandsgesellschaften in Abgrenzung zu wirtschaftlich eher geringer entwickelten Ländern deutlich rückläufig.1
So betrug Ende des 20. Jahrhunderts die Zahl der Lebendgeborenen pro Frau
in Deutschland bei den Einwohnern mit deutscher Staatsangehörigkeit 1,2 und
bei jenen mit ausländischer 1,9. Dabei hatten die aus europäischen Ländern
Zugewanderten eine ähnlich niedrige oder eine noch niedrigere Geburtenrate als
1
Deutlich wird dies, wenn man für verschiedene Länder die Anzahl der Lebendgeborenen pro
Frau in Abhängigkeit vom Index der menschlichen Entwicklung betrachtet. Jener Index wird von
der UN berechnet und umfasst 1. die Lebenserwartung, 2. den Alphabetisierungsgrad Erwachsener, 3. die durchschnittliche Dauer des Schulbesuchs, 4. das Pro-Kopf-Einkommen und 5. die
Gleichmäßigkeit der Einkommensverteilung. Zwischen der Zahl der Lebendgeborenen und dem
Index der menschlichen Entwicklung besteht ein empirisch enger hyperbolischer Zusammenhang, das heißt ein höheres Niveau der Entwicklung geht mit einer geringeren Geburtenrate einher. Die ärmsten Länder der Welt weisen die höchsten Geburtenraten (vier bis acht Lebendgeborene) auf, die Schwellenländer ein höheres Entwicklungsniveau und eine deutlich geringere
Fertilität (zwei bis vier Lebendgeborene), und die hochentwickelten Länder (zwischen eins und
zwei Lebendgeborene) bleiben deutlich unter dem Bestandserhaltungsniveau von 2,1 Lebendgeborenen pro Frau.
43
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
die Deutschen. Bei den aus der Türkei und aus den Entwicklungsländern Zugewanderten lag jedoch die Kinderzahl pro Frau deutlich über zwei, so dass sich für
alle Ausländer ein Durchschnitt von 1,9 ergibt und für die deutsche und ausländische Bevölkerung zusammen ein Mittelwert von 1,4 Lebendgeburten.2
In hoch entwickelten Ländern mit niedriger Sterblichkeit beträgt die notwendige
Geburtenrate zum Ersatz der Elterngeneration bei 2,1. Dies ist eine Quote, die
in Deutschland schon seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr durchgängig
erreicht wird. Für die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland ist deshalb unter
Vernachlässigung künftiger Zuwanderung eine Bevölkerungsschrumpfung zu
prognostizieren, die bei weiterhin konstant niedrigen Fertilitätsraten die Zahl
potenzieller Eltern wellenförmig abnehmen lässt.
Hinzu kommt, dass der aktuelle Anstieg der Lebenserwartung nahezu vollständig auf der Anhebung der ferneren Lebenserwartung im höheren Alter beruht.
Zurzeit verzeichnet man hinsichtlich der Lebenserwartung innerhalb von jeweils
vier bis fünf Jahren ein zusätzliches Lebensjahr. Im Jahr 2030 werden 65jährige
Männer durchschnittlich eine fernere Lebenserwartung von 18,4 Jahren, Frauen
sogar von 22,6 Jahren haben.3 Dies wird zugleich einen absoluten wie relativen
Rückgang jüngerer Menschen zur Folge haben und einen spürbaren Anstieg
sowohl der nichtdeutschen Bevölkerungsgruppe als auch der deutschen Bevölkerung mit Migrationshintergrund.
Der Rückgang der inländischen Bevölkerung, der bereits mit dem ersten Geburtenrückgang von 1965 bis 1975 einsetzte und auch auf nicht unerhebliche
Abwanderungen zurückzuführen ist, wurde in der Vergangenheit durch Zuwanderung aus dem Ausland, insbesondere seit Öffnung der Grenzen im Osten,
überlagert. Die Grenzöffnungen im Osten und die flüchtlings- und bürgerkriegsbedingten Zuwanderungen haben von 1987 bis 1990 sogar zu einem (zu-) wanderungsbedingten Bevölkerungszuwachs in Deutschland geführt.4 Seitdem
jedoch nimmt die Bevölkerung in Deutschland stetig ab. Selbst für den Fall einer
optimistisch geschätzten künftigen Nettozuwanderung - also der Zuwanderung
abzüglich der Abwanderung - von 200.000 Personen jährlich prognostiziert die
Enquetekommission Demografischer Wandel einen Bevölkerungsrückgang um
zwölf Millionen auf dann etwa siebzig Millionen Menschen in Deutschland bis
zum Jahr 2050.5 Zu diesem Rückgang kommt es, weil in Deutschland in den
nächsten 50 Jahren wesentlich mehr Menschen sterben, als Kinder geboren werden.6
2
Birg 2003, S. 7.
3
Rürup 2004, S. 15.
4
Strohmeier/Neubauer/Prey 2002, S. 2.
5
Enquête-Kommission „Demographischer Wandel“ 2002, S. 63.
6
Klemmer 2001, S. 19.
44
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Demografischer Wandel
2.2
Bevölkerungsentwicklung in Nordrhein-Westfalen
Die Einwohnerzahl Nordrhein-Westfalens ist laut Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen (LDS) von 1980 bis 2003 von gut
17 Millionen auf über 18 Millionen angestiegen (vgl. Tab. 1). Getragen wurde dieser Bevölkerungszuwachs ausschließlich durch Wanderungsgewinne. Während
zwischen 1980 und 2002 insgesamt 283.000 mehr Personen gestorben sind als
Kinder geboren wurden, zogen im selben Zeitraum gut 1,3 Millionen mehr Personen nach Nordrhein-Westfalen als das Land verließen.
Die demografische Entwicklung in Nordrhein-Westfalen hat räumlich gesehen
eine starke Differenzierung aufzuweisen. Die Unterschiedlichkeit der Entwicklungen zeigt sich bei kleinräumiger Betrachtung nach kreisfreien Städten auf der
einen und Kreisen auf der anderen Seite. Der Bevölkerungsanstieg im Verlauf
der beiden letzten Jahrzehnte um über eine Millionen Einwohner in der Landessumme setzt sich zusammen aus einem Zuwachs von knapp 1,3 Millionen in
den 31 Kreisen und einem Rückgang von gut 220.000 Personen in den 23 kreisfreien Städten (vgl. Tab. 1).
Während 1980 44,9 Prozent der Einwohner in den kreisfreien Städten und dementsprechend 55,1 Prozent in den Kreisen lebten, sind es heute 41,1 Prozent in
den kreisfreien Städten und 58,9 Prozent in den Kreisen. Die Bevölkerungsveränderung in den beiden letzten Jahrzehnten zeigt bei regionaler Betrachtung
somit deutliche Unterschiede und vor allem gegenläufige Entwicklungen insbesondere zu Lasten der Städte. Der Gesamtzuwachs von 6,2 Prozent auf Landesebene umfasst Veränderungsraten auf der Ebene der kreisfreien Städte und
Kreise in einer Bandbreite zwischen einem Plus von 32 Prozent im Kreis Paderborn und einem Rückgang um 10,3 Prozent in der Stadt Essen.
Verbunden mit dieser Entwicklung ist auch eine Verschiebung der Altersstruktur:
Der Anteil der Kinder und Jugendlichen bis unter 19 Jahren verringerte sich von
25,3 im Jahr 1980 auf 20,3 Prozent Ende 2002 (-634.000); der Anteil der Personen im Rentenalter mit 60 und mehr Jahren erhöhte sich im selben Zeitraum um
1.265.000 Personen von 18,5 auf 24,4 Prozent (vgl. Abb. 1). Die Bevölkerung im
Tab. 1: Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen 1980 und 2003, kreisfreie Städte und Kreise
Quelle: LDS NRW
1. Januar 1980
1. Januar 2003
Veränderung
NRW
17.017.075
18.076.355
1.059.280
Kreisfreie Städte
7.645.622
7.422.062
- 223.560
Kreise
9.371.453
10.654.293
1.282.840
45
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
30
25
Alter von 19 bis unter 60 Jahren ist von
1980 bis Ende 2002 um 430.000 Personen angewachsen.
20
Deutliche Unterschiede zeigt ein Vergleich der Altersstrukturen zwischen den
Kreisen und kreisfreien Städten: Während
10
1980 der Anteil der Kinder und Jugendlichen in den Kreisen bei 27,5 Prozent lag,
5
erreichte er in den kreisfreien Städten nur
0
einen Wert von 22,5 Prozent; gegenwärtig
1980
2002
liegen die entsprechenden Quoten bei
0 bis 19 Jahre
60 und älter
21,6 Prozent in den Kreisen und 18,4 ProAbb. 1: Verschiebung der Altersstruktur
zent in den kreisfreien Städten Nordrheinin Nordrhein-Westfalen 1980 und 2002
Westfalens. Im selben Zeitraum erhöhte
Angaben in Prozent
sich der Anteil der Personen im RentenalQuelle: LDS NRW
ter (60 Jahre und älter) in den Kreisen von
17,3 Prozent auf 23,7 Prozent und in den kreisfreien Städten von 20 auf 25,4
Prozent. Für die Kreise ergab sich ein Zuwachs an Personen im erwerbsfähigen
Alter zwischen 19 bis unter 60 Jahren von 649.000. Dagegen hat diese Altersgruppe in den kreisfreien Städten um 220.000 Personen abgenommen.
15
Die Grundtendenz der Entwicklung, mit sinkenden Bevölkerungszahlen in den
kreisfreien Städten und einer Bevölkerungszunahme in den Kreisen, wird sich
aller Voraussicht nach auch in Zukunft weiter fortsetzen.
2.3
Bevölkerungsprognose für Nordrhein-Westfalen
Nach der aktuell vom LDS durchgeführten Bevölkerungsprognose ist bis zum
Jahr 2020 für das Land insgesamt ein relativ geringer Rückgang der Einwohnerzahl um etwa 100.000 zu erwarten. Während sich nach diesen Berechnungen für die Kreise ein Zuwachs von 380.000 Personen ergibt, muss für die kreisfreien Städte von einem weiteren Rückgang um etwa 480.000 Einwohner ausgegangen werden (vgl. Abb. 2). Damit werden die Kreise einen Zuwachs erreichen, der der gesamten Bevölkerung des Kreises Borken entspricht, während
die kreisfreien Städte so viele Einwohner verlieren werden, wie heute die Städte
Oberhausen und Krefeld zusammen haben. Die Prognoseergebnisse für das
Jahr 2020 auf der Basis der Zahlen aus 2002 weisen eine Bandbreite bei der
Entwicklung einen Zuwachs von 12,5 Prozent im Rhein-Sieg-Kreis bis zu einem
Rückgang um 16,3 Prozent für die Stadt Hagen aus. Der Anteil der in den kreisfreien Städten lebenden Menschen würde nach den vorliegenden Prognoseergebnissen damit unter 40 Prozent fallen.
46
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Demografischer Wandel
Abb. 2: Bevölkerungsentwicklung in den kreisfreien Städten und Kreisen 1998 bis 2020
Angaben: Veränderung in Prozent, Ergebnisse der Bevölkerungsprognose 2002 bis 2020/2040
Quelle: LDS NRW
Die Einwohnerzahl von Nordrhein-Westfalen insgesamt wird sich bis zum Jahr
2040 voraussichtlich weiter auf knapp 16,9 Millionen verringern und damit einen
Stand wie vor etwa 15 Jahren erreichen. Nach den Ergebnissen dieser Modellrechnung ist außerdem mit einer Fortsetzung des bereits begonnenen Alterungsprozesses der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen zu rechnen, das heißt,
der Anteil der Kinder und Jugendlichen wird ebenso wie der Anteil der jüngeren
Personen im Erwerbsalter von 19 bis 39 Jahren zurückgehen und der Anteil der
sehr Alten ab 75 und älter nimmt zu (vgl. Abb. 3).
47
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Kreise
28,5
29,9
29,4
30
26,9
25
9:11
26,3
25,3
26,2
24,1
26,7
20,5
20
18,2
17,1
17,1
17
16,3
15
13,9
13,2
10
7
11,2
5,3
5
1980
2000
unter 19
2020
19 bis 39
40 bis 59
2040
60 bis 74
75 und älter
Abb. 3: Prognose der Altersstruktur in Nordrhein-Westfalen bis 2040
Angaben in Prozent
Quelle: LDS NRW
35
kreisfreie Städte
30,6
30,2
28,5
30
27,3
25
27,3
26,4
22,5
18,5
20
17,1
16,8
15,6
14,2
15
11,5
10
7,6
5,8
5
0
Kreise
35
30
28,7
28,4
29,3
27,9
26,5
26,2
25,6
25
22
18,1
20
16,9
15,9
15
12,4
11
10
6,6
4,9
5
0
1980
unter 19
2000
19 bis 39
40 bis 59
2020
60 bis 74
75 und älter
Abb. 4: Prognose der Altersstruktur in den Kreisen und kreisfreien Städten bis 2040
Angaben in Prozent, Ergebnisse der Bevölkerungsprognose 2002 bis 2020 bzw. 2040
Quelle: LDS NRW
48
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Demografischer Wandel
Der Anteil der Kinder und Jugendlichen wird weiter zurückgehen und bis 2020
in den Kreisen einen Wert von 19,8 Prozent, in den kreisfreien Städten von 17,8
Prozent erreichen. Der Anteil der Personen im Rentenalter mit 60 Jahren und
älter wird bis 2020 in den Kreisen 27,9 Prozent und in den kreisfreien Städten
28,6 Prozent ausmachen. Eine differenzierte Betrachtung dieser nach oben
offenen Altersgruppe zeigt allerdings, dass sowohl in den Kreisen als auch in
den kreisfreien Städten sich der Anteil der Personen im Alter von 60 bis 74 Jahren nur leicht erhöht, während der Anteil der mindestens 75 Jahre alten Menschen in den Kreisen auf 11 und in den kreisfreien Städten auf 11,5 Prozent
ansteigen wird (vgl. Abb. 4).
Insgesamt sind bis zum Jahr 2020 deutliche Veränderungen in den Besetzungsstärken der Altersgruppen in Nordrhein-Westfalen zu erwarten. Die Zahl
der Kinder und Jugendlichen bis zu 18 Jahren wird, ausgehend vom Basisjahr
2002, um 603.000 zurückgehen, die Zahl der Personen im Erwerbsalter zwischen 19 und 59 Jahren wird um etwa 177.000 geringer, während sich die Zahl
der Personen im Rentenalter mit 60 und älter um rund 678.000 erhöht.
Die Entwicklung verläuft in den einzelnen Kreisen und kreisfreien Städten sehr
unterschiedlich. Die Stadt Essen beispielsweise wird bis 2020 insgesamt 64.000
Einwohner verlieren, der Kreis Paderborn dagegen 36.000 hinzu gewinnen. Der
Bevölkerungsrückgang in Essen erstreckt sich unterschiedlich stark auf alle Altersgruppen mit Ausnahme der mindestens 75jährigen, deren Zahl um 15.300 zunehmen wird. Im
Kreis Paderborn wird dagegen nur die Zahl der unter 19jährigen abnehmen, während die 40 bis 59jährigen ebenso wie
die Älteren Zuwächse verbuchen werden. Insgesamt wird die
Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in Essen bis 2020 um
41.700 Personen zurückgehen, im Kreis Paderborn dagegen
um 20.900 Personen zunehmen.
Der aus den vorgenannten Zahlen erkennbare Alterungsprozess wird bei einer etwas tieferen Altersgliederung in Bezug
auf die Gesamtzahlen von Nordrhein-Westfalen noch deutlicher: Der Rückgang in der Altersgruppe 19 bis 59 Jahre um
176.000 Personen insgesamt zeigt eine Zweiteilung in Jüngere und Ältere. Bei den Älteren zwischen 40 und 59 Jahren
wird mit einem Zuwachs von 330.000 und bei den Jüngeren
zwischen 19 bis 39 Jahren mit einem Rückgang von 506.000
Personen gerechnet. Die nachwachsende Generation in
Nordrhein-Westfalen wird somit schon zahlenmäßig nicht
mehr in der Lage sein, die scheidende Altengeneration auszugleichen. Bis zum Jahr 2040 wird sich die Zahl der Personen im Erwerbsalter
gegenüber heute um über 1,4 Millionen verringern, während die Altersgruppe im
Rentenalter um etwa eine Millionen zunehmen wird. Innerhalb der letztgenannten Altersgruppe zeigt sich eine ähnliche Zweiteilung.
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Der Zuwachs in dieser Altersgruppe bis 2020 um insgesamt 680.000 Personen
ist bei einem nahezu unveränderten Wert für die 60 bis 74jährigen ausschließlich auf einen Anstieg bei den mindestens 75jährigen Personen zurückzuführen.
Bis zum Jahr 2040 werden die über 75jährigen in Nordrhein-Westfalen um weitere 330.000 Personen ansteigen und die 60 bis 74jährigen jedoch nur um
30.000 zunehmen.
Deutlich unterschiedliche Entwicklungen zeigen sich auch bei einer detaillierten
Betrachtung einzelner Altersbereiche in der Gruppe der Kinder und Jugendlichen. Die Zahl der unter Dreijährigen verringert sich bis 2020 um 36.000 Personen, die Gruppe der Drei- bis Fünfjährigen um 82.000 und die der Sechs- bis
Zehnjährigen sogar um 143.000. Noch deutlicher ist der Rückgang in der Altersgruppe mit zehn bis 15 Jahren um 290.000, während bei den 16 bis 18jährigen
mit einer um 53.000 geringeren Zahl zu rechnen ist. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die Entwicklungen der einzelnen Altersgruppen im Zeitverlauf, die durch unterschiedliche Intensitäten und zum Teil durch wechselnde
Entwicklungen gekennzeichnet sind. So zeigt sich in dem Bereich der 16 bis
18jährigen im Verlauf der ersten fünf Prognosejahre bis zum Jahr 2007 ein
Anstieg um etwa 75.000 Personen. Unmittelbar danach setzt ein Richtungswechsel ein, der in den folgenden 13 Jahren bis 2020 zu einem Rückgang um
etwa 128.000 Personen in der unter anderem für Kapazitätsplanungen im Bildungs- und Ausbildungsbereich relevanten Altersklasse führt.
2.4
Räumliche Wirkung der Bevölkerungsentwicklung
in Nordrhein-Westfalen
Für ganz Nordrhein-Westfalen erscheint die Bevölkerungsentwicklung zunächst
wenig spektakulär. Betrachtet man diesen Prozess jedoch kleinräumiger, ergeben sich erhebliche regionale Unterschiede. Das Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen Nordrhein-Westfalen (ILS) prognostiziert
für das Ruhrgebiet bis 2015 einen Bevölkerungsverlust von 6,92 Prozent. Je
nach Kommune schwanken die Verluste zwischen fünf und zwölf Prozent, während beispielsweise für die kreisfreien Städte Aachen und Münster mit Zuwächsen gerechnet wird. In einem Teil des ländlichen Umlandes steigt die Zahl der
Einwohner durch Wanderungsgewinne sogar um über zehn Prozent.7 Das
Pestel Institut erwartet bis 2015 lediglich noch in den Kreisen Borken, Coesfeld,
Gütersloh und Paderborn einen leichten Geburtenüberschuss aufgrund des niedrigen Altersschnitts der Bevölkerung.8
7
ILS NRW 2002a, S. 6f.
8
Möller/Günther 2003, S. 39f.
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Demografischer Wandel
Das Ruhr-Forschungsinstitut für Innovations- und Strukturpolitik (RUFIS) hat
2002 für die Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen eine Studie zur
demografischen Entwicklung in Nordrhein-Westfalen erarbeitet, nach der sich
hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung unterschiedliche Regionstypen herausstellen lassen.9 Ausgehend von einer Differenzierung der Bevölkerungsdaten
nach Alterskohorten10 werden dabei die 54 Kreise und kreisfreien Städte zu
Gruppen (Cluster) zusammengefasst, die eine ähnliche Struktur der Bevölkerungsentwicklung aufweisen. Dabei werden die Unterschiede innerhalb der
Gruppen möglichst klein, zwischen den Gruppen jedoch möglichst groß gewählt. Leitgedanke für die Analyse ist die Abweichung der jeweiligen Gebietskörperschaften vom zu erwartenden Landesdurchschnitt.
Neben den Bevölkerungsdaten des LDS sind in der nachfolgend eingehender
dargestellten Untersuchung weitere räumliche Strukturdaten des Bundesamtes
für Bauwesen und Raumordnung (BBR) ausgewertet worden.11
Zur Bildung von Clustern kamen dabei 95 Indikatoren aus folgenden Bereichen
hinzu:
• Bevölkerung und Siedlungsstruktur
• Bevölkerungsstand und natürliche Entwicklung
• Bevölkerungsentwicklung: Mobilität
• Altersstruktur
• Sozialstruktur
• Beschäftigung
• Wirtschaft
• Wirtschaftskraft und Finanzen
• Arbeitslosigkeit
• Bildung
• Verkehr und Energie
• Ausgewählte raumwirksame Fördermittel
• Baulandmarkt und Wohnungsbestand
• Wohnungsbau
9
Kersting/Werbeck 2002.
10 Hauptkohorten: a) bis 18 Jahre; b) 19 bis 64 Jahre; c) ab 65 Jahre, Unterkohorten: a) bis 2 Jahre,
3 bis 5 Jahre, 6 bis 18 Jahre; b) 19 bis 29 Jahre, 30 bis 49 Jahre, 50 bis 59 Jahre, 60 bis
64 Jahre; c) 65 bis 74 Jahre, ab 75 Jahre.
11 BBR 2001a.
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Abb. 5: Cluster der Bevölkerungsstruktur nach Kreisen und kreisfreien Städten
Quelle: Kersting/Werbeck 2002, S. 29
Schließlich werden für die räumliche Bevölkerungsstrukturuntersuchung fünf
Cluster gebildet. Im Ergebnis können Kreise und kreisfreie Städte in NordrheinWestfalen bestimmt werden, die über alle Prognosejahre einer Clustergruppe
angehören oder die in dem Prognosezeitraum die Gruppenzugehörigkeit wechseln. Differenziert nach Clustern wird in Abb. 5 die räumliche Verteilung der
jeweiligen clusterangehörigen Kreise und kreisfreien Städte mit stabiler Gruppenzugehörigkeit dargestellt.
Als Ansatz zur Erklärung der demografischen Unterschiede zwischen den Clustern können die geografische Lage und ihre siedlungsstrukturelle Bedeutung
herangezogen werden. Daher wird in der Karte zusätzlich die siedlungsräumliche Grundstruktur des Landesentwicklungsplans wiedergegeben.12
12 Vgl. auch MURL NRW 1995, S. 374.
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Demografischer Wandel
Abb. 6: Wechsel der Cluster von Kreisen und kreisfreien Städten bis 2015
Quelle: Kesting/Werbeck 2002, S. 30
Nach der Studie von RUFIS bildet das Cluster 1 einen überdurchschnittlichen
Anteil an Personen im erwerbsfähigen Alter. Es besteht mit Düsseldorf, Köln und
Bonn aus den Metropolen des Rheinlands sowie aus den kreisfreien Städten
Aachen und Bochum. Diese Städte liegen alle in siedlungsstrukturellen Ballungskernen. Das Cluster 2 ist durch einen überdurchschnittlichen Anteil an Personen mit über 65 Jahren geprägt. In diesem Cluster finden sich zum überwiegenden Teil die Kreise im Ballungskern der Europäischen Metropolregion RheinRuhr, insbesondere das Ruhrgebiet und das Bergische Städtedreieck. Ebenso
weist bezogen auf die Einteilung der Cluster die Stadt Bielefeld als solitäres Verdichtungsgebiet ähnliche demografische Entwicklungen wie der größte Teil des
Ruhrgebiets auf.
Das Cluster 3 kennzeichnet einen hohen Anteil an Familien. Die zu dieser Gruppe zugehörigen Kreise finden sich in der unmittelbaren Nachbarschaft zu den
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Clustern 1 und 2. Sie liegen nördlich des Ruhrgebiets und grenzen links- und
rechtsrheinisch an die Metropolen des Rheinlands bis hin nach Aachen.
Die Cluster 4 und 5 sind durch ländliche Raumstrukturen geprägt. Das durch
einen überdurchschnittlichen Anteil an Kindern und Personen über 65 Jahren
gekennzeichnete Cluster 4 umfasst Ostwestfalen und den Hochsauerlandkreis,
einschließlich der Stadt Hamm. Im Cluster 5 finden sich der Rest des Sauerlands, das Sieger- und das Münsterland sowie die Kreise Kleve und Heinsberg.
In dieser Gruppe liegt ein hoher Kinderanteil vor.
Nach RUFIS bleibt die jeweilige Zugehörigkeit der Kreise zu den einzelnen Clustern für die Jahre 1999 und 2000 zunächst konstant. Ab dem Jahre 2005 wechseln jedoch elf der 54 Kreise bzw. kreisfreien Städte bis 2015 mindestens einmal das Cluster (vgl. Abb. 6).
Der Oberbergische Kreis wird demnach 2005 von einem hohen Kinderanteil
(Cluster 5), die Stadt Remscheid hingegen 2010 von einem hohen Anteil von
Rentnern in die Gruppe des mit einem mit einem überdurchschnittlichen Anteil
an Kindern und Alten geprägten Cluster 4 wechseln. Der Kreis Siegen-Wittgenstein vollzieht nach der Prognose im Jahr 2005 einen deutlichen Wechsel vom
kinderreichen Cluster 5 in das altenreiche Cluster 2. Münsterland, Ostwestfalen,
weite Teile des Sauerlands sowie die Regionen der Metropolen des Rheinlands
bis nach Aachen bleiben in ihrer Bevölkerungsstruktur dagegen unverändert.
Besonders auffallend in der Prognose ist jedoch die räumliche Entwicklung des
Clusters 2. Diese in den ersten Jahren vorrangig aus den meisten Ruhrgebietsstädten bestehende Gruppe dehnt sich ab 2005 auf die Kreise und Städte nördlich des Ruhrgebiets (Landkreis Wesel erst 2010) sowie die rechtsrheinischen
Kreise Mettmann und Rheinisch-Bergischer Kreis weiter aus. Lediglich der Kreis
Unna wechselt zum Ende des Prognosezeitraums im Jahr 2015 wieder zu seinem einstigen Cluster 3 (hoher Familienanteil) zurück. Im Hinblick auf die unterschiedlichen räumlichen demografischen Entwicklungen des Landes werden
sich nach der Prognose die durch einen überdurchschnittlichen Anteil älterer
Menschen geprägten Kreise und kreisfreien Städte in den nächsten zehn Jahren - ausgehend vom Ruhrgebiet - deutlich ausdehnen.
Die Untersuchung des RUFIS zeigt, dass die Bevölkerung im Kern des Ruhrgebiets bereits stark altert. Es ist davon auszugehen, dass im Ruhrgebiet in den
nächsten Jahren die Bevölkerung spürbar zurückgehen wird. Diese Entwicklung
wird räumlich in den nächsten Jahren auf den nördlichen Rand des Ruhrgebiets
und auf das Bergische Land übergreifen. Die übrigen Teile des Landes entwickeln sich ähnlich wie der Bundes- und Landestrend. Hier differenziert RUFIS
allerdings unterschiedliche Regionstypen. Dies betrifft (1) die Metropolen des
Rheinlands, (2) weite Teile des ländlichen Raums im Münsterland und (3) im
Rheinland sowie (4) Ostwestfalen. Einschließlich des Ruhrgebiets bzw. des Ber54
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Demografischer Wandel
gischen Städtedreiecks (5) kann man somit hinsichtlich der demografischen
Entwicklungsperspektiven für Nordrhein-Westfalen insgesamt fünf Regionstypen ausmachen.13
2.5
Demografische Entwicklung und Auswirkungen
auf die Kommunen
Es steht außer Frage, dass die skizzierte Entwicklung gravierende Auswirkungen
auf Erwerbstätigkeit, Einkommensverteilung und Konsumgewohnheiten der
Bevölkerung haben wird, die sich auch räumlich, das heißt insbesondere auch
auf die Entwicklung der Städte niederschlagen werden. Dieser räumliche und
kommunale Aspekt der demografischen Schrumpfung erfordert eine weitere
Differenzierung, für die der wissenschaftliche Kenntnisstand unbefriedigend ist
und die Prognoserisiken zusätzlich erhöht sind.
Es fehlen vielfach Differenzierungen:
• regional zwischen Städten bzw. Kreisen,
• kleinräumig zwischen Stadtteilen,
• nach Größe und Entwicklungstyp sowie
• nach Ursachen und Handlungsfeldern.
Die deutsche Wirtschafts- und Sozialordnung und ebenso die Kommunen sind
auf Wachstum hin orientiert. Neben der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist
dabei insbesondere auch ein Wachstum der Bevölkerung relevant, wobei beide
Aspekte eng miteinander verbunden sind:14 Ein positives Bevölkerungswachstum setzt Wachstumsimpulse, eine anhaltende Bevölkerungsschrumpfung wird
bei gegebener Verteilungsstruktur für sich genommen das Pro-Kopf-Einkommen sinken lassen. Die Situation einer anhaltenden, sich sogar verstärkenden
Bevölkerungsschrumpfung ist ein historisch neues Phänomen. Zwar gab es
immer wieder Phasen des Bevölkerungsrückgangs, diese waren jedoch Zäsuren durch Kriege oder Naturkatastrophen (unter anderem 30jähriger Krieg, Pestepidemien), die den langfristigen Wachstumstrend der Bevölkerung weder
umkehrten noch überhaupt in Frage stellten. Für die heute absehbare Entwicklung liegen somit keine historischen Erfahrungen vor, die als Grundlage für Szenarien herangezogen werden könnten. Nur jene wenigen Kommunen, die in der
Vergangenheit bereits im Zuge eines Strukturwandels nachhaltige wirtschaftliche und demografische Schrumpfungsprozesse durchlaufen haben und diese
13 Siehe dazu auch die ausführliche Untersuchung des RUFIS in Kersting/Werbeck 2002.
14 Schönig 2002.
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politisch bewältigen mussten, verfügen über erste Erfahrungen mit dieser Thematik.
Für das Gros der nordrhein-westfälischen Städte ist eine Umkehrung der Perspektive notwendig: Die heutige Ausnahme der demografischen, gegebenenfalls auch ökonomischen Schrumpfung wird zur Regel und die heutige Regel mit
Wachstum bzw. Stabilisierung wird zur Ausnahme. Verschärft wird die Situation
dadurch, dass sich der notwendige Kurswechsel bei dauerhaft angespannten
Haushaltslagen vollziehen muss, so dass die Kommunen keine finanzielle Entlastung durch übergeordnete Gebietskörperschaften erwarten können.
Dort, wo bereits heute die demografische Schrumpfung für die Kommunalpolitik spürbar ist, setzt man sich schon jetzt systematisch mit der Thematik auseinander. Dies betrifft vor allem Städte in den neuen Bundesländern und Städte
des Ruhrgebiets. Die Mehrzahl der Städte und Gemeinden ist hingegen von der
aktuellen Tagespolitik und der Bewältigung der prekären Finanzlage derart eingenommen, dass ihnen wenig Raum für die strategische Auseinandersetzung
mit dem zu erwartenden Bevölkerungsrückgang bleibt.
Im Vergleich zur gesamtwirtschaftlichen Betrachtung ist die Thematik Demografie und Kommune durch folgende Spezifika gekennzeichnet:
• Je nach Situation vor Ort setzen spürbare Veränderungen nicht erst in den
Jahren 2015 bzw. 2030 ein, sondern zum Teil wesentlich früher und sind
bereits heute zu beobachten.15
• Wegen der räumlichen Differenzierung sind die Auswirkungen des demografischen Wandels auf kommunaler Ebene zum Teil weitaus dramatischer als
auf volkswirtschaftlicher Ebene, auf der sich die Extremfälle statistisch aufheben.
• In schrumpfenden Städten wird sich vermutlich die kleinräumige Segregation zur Polarisierung verstärken. Es kommt dabei nicht zur klassischen
Segregation im Sinne eines Verdrängungsprozesses, sondern zu Leerzug
und Abwanderung aus problembelasteten Stadtteilen. So wirken sozioökonomische, demografische und ethnisch-kulturelle Segregation eng und
gleichgerichtet zusammen. Sozial selektive Wanderungen können dabei auf
einem tendenziell entspannten Wohnungsmarkt schneller und kostengünstiger durchgeführt werden, wodurch ein selbst verstärkender Prozess kleinräumiger Polarisierung in Gang gesetzt werden kann.16
• Die spezielle Situation einer Kommune ergibt sich aus dem Zusammenwirken von Wanderungen (Zu- und Abwanderungen) mit der natürlichen
15 Klemmer 2001, S. 35.
16 Strohmeier/Neubauer/Prey 2002.
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Schrumpfung der ansässigen Bevölkerung. Wanderung und natürliche
Schrumpfung stehen in engem Zusammenhang. Wanderungsgewinne können die natürliche Schrumpfung kompensieren, Wanderungsverluste verschärfen die Problemlage.17 Eine heute absehbare, besonders ausgeprägte
natürliche Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung hat ihre Ursache in
den Nettoabwanderungen der letzten Dekaden. Eine besonders ungünstige
Altersstruktur ist somit Spätfolge lang anhaltender Wanderungsprozesse in
der Vergangenheit.18 Kommunale „Gewinner“ und „Verlierer“ der weiteren
Entwicklung stehen mithin bereits heute fest: „Die Städte und Kreise, die in
Zukunft wachsen werden, sind die, die in der Vergangenheit gewachsen sind,
die Verlierer der Zukunft sind die Verlierer der Vergangenheit“.19
• Neben die klassische Suburbanisierung ist eine zunehmende Komplexität
der Wanderungsmuster, aber auch der Wanderungsmotive getreten (vgl.
dazu insbesondere die Ausführungen in Kapitel B4). Alterung und Bevölkerungsrückgang werden tendenziell die Finanzlage verschärfen. Bislang vorliegende Erfahrungen mit dem Ausgabenverhalten schrumpfender Städte
weisen darauf hin, dass mit rückläufigen Einwohnerzahlen die städtischen
Ausgaben keineswegs proportional
und schon gar nicht überproportional sinken. Der Reduktion von Ausgaben in einigen Bereichen stehen
verstärkte Ausbauaktivitäten - also
qualitativ - und steigende Kosten mithin quantitativ - in anderen
Bereichen gegenüber.20 Auf der
Ausgabenseite ist somit zwischen
Art der Leistung (freiwillige gegenüber Pflichtleistungen) und dem Verhältnis von variabeln zu fixen Kosten zu differenzieren. Auf der Einnahmeseite ist mit steigenden Gebührensätzen, sinkendem Einkommensteueranteil
und sinkendem Aufkommen an Gewerbe- und Grundsteuer sowie sinkenden
Zuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich zu rechnen.
• Im Hinblick auf die Wanderungstypen ist für die Kommunen die Bereitstellung sozialer Infrastruktur im Bereich von Erziehung, Bildung und Pflege ein
wichtiger gesellschaftlicher wie ökonomischer Handlungsparameter. Auf-
17 ILS NRW 2002a, S. 6.
18 Klemmer 2001, S. 39.
19 Strohmeier 2002, S. 18.
20 von Loeffelholz/Rappen 2002, S. 6f.
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grund finanzieller Zwänge werden Kommunen allerdings in der Regel prozyklisch reagieren müssen und den Umfang der Infrastruktur an die Nachfrage koppeln.21 Die Nutzung des Nachfragerückgangs zu einer Steigerung der
Versorgungsquoten, z.B. bei Kindergärten scheint in den meisten Kommunen keine realistische Option.
2.6
Strategien kommunalen Handelns
Kommunalwissenschaft wie Kommunalpraxis haben zu den Problemen der
demografischen Herausforderung für die Kommunen unterschiedliche Handlungsstrategien entwickelt. Das ILS hat dazu - als Ergebnis einer Befragung von
21 kreisfreien Städten und sechs Kreisen in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2001 eine geeignete Typisierung kommunalen Handelns entwickelt (vgl. Tab. 2). Es
liegt auf der Hand, dass jede dieser Strategien primär Besonderheiten der individuellen Betroffenheit der Kommunen mit Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung widerspiegelt: Eine expansive Strategie steht nur jenen Kommunen zur
Verfügung, die überhaupt über marktfähige Baulandreserven verfügen, eine
Bestandspflege kommt für jene Kommunen in Betracht, die aufgrund günstiger
Bedingungen nicht akut von Schrumpfung betroffen sind. Die geordnete
Schrumpfung setzt voraus, dass überhaupt noch Handlungsoptionen bestehen,
so dass noch keine Schrumpfung als
Teufelskreis einsetzen muss.
Die Schrumpfung als Teufelskreis ist
der Worst Case einer Kommunalpolitik,
die von Resignation gekennzeichnet
ist, falls die schrumpfenden Ressourcen keinesfalls die wachsenden Probleme aufheben können. Treten wirtschaftlicher Strukturwandel, Bevölkerungsrückgang und eine Verschiebung
der Nationalitätenstruktur gleichzeitig
auf, so kann sich dies zu einem „sich negativ verstärkenden Prozess hochschaukeln“, den die Kommune allein kaum aus eigener Kraft bewältigen kann.22
Es muss auf jeden Fall vermieden werden, dass z.B. leer stehende Wohnungen,
Brachflächen oder ein weiterer Abbau von Arbeitsplätzen das Image dieser
Städte und Gemeinden weiter belasten. Ziel ist hier der Übergang zur Strategie
21 Deutscher Städtetag 2001.
22 Klemmer 2001, S. 51.
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Tab. 2: Typen kommunalen Handelns bei Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an ILS NRW 2002a, S. 25
Aktiv
Passiv
Typ
Expansion
Bestandspflege
geordnete
Schrumpfung
Schrumpfung als
Teufelskreis
Ziel
Randwanderung im
Stadtgebiet halten
Prävention durch
Attraktivitätssicherung
Nutzung für
bessere Lebensqualität
-
Instrumente
Flächenausweisung,
Eigenheimförderung
Zielgruppenangebote, Anpassung
der Infrastruktur
Infrastrukturrückbau, Brachflächen
als Freiräume
Rückerlangung
der Handlungsfähigkeit
der geordneten Schrumpfung, wie in Kapitel B6 näher aufgezeigt wird. Ohne
eine Intervention von Bund und Land scheint hier eine Lösung der Problematik
aus eigener Kraft kaum möglich.
2.7
Handlungsmöglichkeiten des Landes
Die Schrumpfung der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen insgesamt erscheint
aktuell wenig dramatisch. Durch die regional differenzierte Überlagerung von
natürlicher Bevölkerungsentwicklung und Wanderungen ist die Lage für eine
Reihe von Kommunen, insbesondere im Ruhrgebiet, aber besorgniserregend.
Politik kann zwar die Geburtenrate nicht direkt beeinflussen, sie schafft aber
Rahmenbedingungen und gestaltet Lebensumfelder, die potenzielle Eltern in
ihre Entscheidungen einbeziehen. Im Folgenden werden einige Aspekte skizziert, die im weiteren Bericht vertieft werden.
Während die Alterung der Bevölkerung einerseits eine entsprechende Anpassung der urbanen Räume erforderlich macht, wird es andererseits notwendig,
auch für Kinder, Jugendliche und junge Familien attraktive Stadträume zu entwickeln. Politik steht damit vor der Herausforderung, den Interessen einer zahlreicher werdenden Gruppe alter Menschen gerecht zu werden, ohne dabei die
Interessen von Kindern, Jugendlichen und Familien außer Acht zu lassen. Die
Interessen von Kindern und alten Menschen sind dabei allerdings nicht prinzipiell gegenläufig. Für die Gestaltung des Wohnumfeldes sind sie sogar weitgehend ähnlich. Sowohl Kinder als auch alte Menschen sind auf sichere Wegebeziehungen und nahräumliche Versorgungsmöglichkeiten sowie leicht erreichbare Freiräume angewiesen.
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Ziel des Landes sollte es hier sein, Modellprojekte der Gestaltung alten-, familien- und kinderfreundlicher Städte zu initiieren. Vorreiter einer Stadtpolitik für
Kinder und Jugendliche auf Landesebene sind beispielsweise das Land Rheinland-Pfalz mit der in Modellprojekten entwickelten Spielleitplanung oder das
Land Schleswig-Holstein.23 Allerdings erstreckt sich die Umsetzung in diesen
ländlich geprägten Bundesländern bislang nur auf Dörfer und Kleinstädte.
„Nordrhein-Westfalen - Städte für Kinder“ könnte etwa das Signal an Kinder,
Jugendliche und deren Eltern sein, das auch die regionalen Wanderungsbewegungen aus den Ballungsräumen beeinflussen könnte. Weitere Ansätze einer
kinderfreundlichen Stadtpolitik finden sich in Kapitel B5.
Neben der entsprechenden Gestaltung öffentlicher Räume sind auch trotz
schrumpfender Bevölkerung familienorientierte Infrastrukturen zu erhalten und
weiter zu entwickeln. Aufgrund der finanziellen Notlagen der Kommunen bedarf
es auch hier innovativer Wege, die das Potenzial, das die älteren Menschen darstellen, mit den Bedürfnissen von Kindern, Jugendlichen und Familien verbindet. Um aus dem Schrumpfen als Teufelskreis auszusteigen, erscheinen solche
grundlegenden Innovationen unumgänglich.
23 Nähere Informationen zur Spielleitplanung unter www.spielleitplanung.de.
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B3 Ökonomische Potenziale
und regionale Profilierung
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3.1
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Globale Rahmenbedingungen
Die Stadt ist nicht nur Kommunikations-, Kultur- und Wohnort, sondern auch
zentraler Standort ökonomischer Transaktionen. Die ökonomische Funktion der
Stadt ist allerdings einem ständigen Wandel unterzogen, der sich zudem in den
letzten Jahren beschleunigt hat. Dies hat seine Ursache vor allem im Wandel der
ökonomischen Wertschöpfungsprozesse selbst: Kapital und Arbeit sind mobiler
geworden und dies sowohl international als auch in kleinräumiger Hinsicht. Der
Dienstleistungssektor hat gegenüber der klassischen Industrieproduktion die
Führungsrolle übernommen und gewinnt weiter an Bedeutung.
Gleichzeitig nimmt auch die Tertiärisierung des industriellen Sektors selbst zu.
Standortgebundene Wirtschaftsbereiche wie Kohle und Stahl weichen räumlich
flexibleren Produktionszweigen, die in starkem Maße auf überall verfügbare Produktionsfaktoren zurückgreifen können. Neue Informations- und Kommunikationstechnologien wie das Internet ermöglichen die rasche Verbreitung und den
unmittelbaren Austausch von Wissen auch abseits großer Agglomerationen,
während städtische Kultur, auch Wissenskultur, vor allem für Führungskräfte als
so genannter weicher Standortfaktor an Bedeutung gewinnt. Flächenextensive
Bodennutzungen wie Einzelhandel, industrielle Großbetriebe, Flughäfen oder
Logistikzentren sehen sich in den Städten zunehmender Konkurrenz durch
arbeitsintensive Dienstleistungsbetriebe und Wohnnutzung gegenüber. Politische Prioritäten verstärken vielfach diese Konkurrenz.
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Inwieweit diese globalen Trends die Städte als Wirtschaftsstandorte eher belasten oder begünstigen, lässt sich nicht generell beantworten. Grundsätzlich ist
das Standortwahlverhalten der Unternehmen von sehr unterschiedlichen Motivationsstrukturen geprägt. In diese strategischen Entscheidungen fließen neben
harten Kosten- und Absatzkalkulationen auch so genannte weiche soziokulturell
geprägte Standortfaktoren, insbesondere bestehende Netzwerke aus Unternehmen, Abnehmern und Forschungseinrichtungen und die spezifischen örtlichen
Infrastrukturen ein.
Im Einzelnen sind vor allem folgende Zukunftstrends für den Standort Stadt von
besonderem Belang:
Langfristige Stabilität von Standortstrukturen
Auch wenn in jüngster Zeit sehr viel Aufmerksamkeit auf einzelne Standortverlagerungen gerichtet wurde wie etwa auf den Umzug der Firma Brandt von
Hagen in die neuen Bundesländer, erweisen sich langfristig wirtschaftliche
Standortstrukturen als äußerst stabil. So haben sich die Standortstrukturen der
Automobilindustrie in den 1930er Jahren herausgebildet und bis heute kaum
verschoben.1 Ähnliches lässt sich für die Chemische Industrie sagen. Dies wird
auch daran deutlich, dass die Neustrukturierung in den neuen Bundesländern in
den 1990er Jahren an den historischen Strukturen anknüpfte, was sich an den
Investitionen der Automobilindustrie in ihrem ehemaligen Stammland Sachsen,
der Chemischen Industrie etwa in Bitterfeld oder der Mikroelektronik in Dresden
zeigen lässt.
Gegründet werden Unternehmen bevorzugt am Wohnort eines Unternehmers.
Die Chance für derartige Gründungen ist dort besonders hoch, wo bereits
Unternehmen oder Leitkunden dieser Branche vorhanden sind; Standortverlagerungen werden so lange wie möglich hinausgeschoben. Wenn sie erfolgen,
dann meistens in einem Umkreis von etwa 50 Kilometer vom ursprünglichen
Standort. So lassen sich die wesentlichen auf sozialen Netzwerken und regionalen Kompetenzen basierenden Stabilitätsfaktoren zusammenfassen.2 Dieses
Verhalten ist auch eine der wesentlichen Ursachen für die wirtschaftliche Suburbanisierung, wie in Kapitel B4 näher erläutert wird.
Allerdings darf diese Kontinuität nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich
Standortstrukturen auch weltweit verändern. Globale Investitionen erfolgen in
der Regel als Erweiterungsinvestitionen - sie folgen dem Markt. Daraus ergibt
sich, dass gerade in den Kernbranchen des produzierenden Gewerbes nur noch
1
Vgl. Rehfeld 1993.
2
Vgl. Rehfeld 1999.
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Ökonomische Potenziale
begrenzt Wachstumsimpulse über den Export realisierbar sind. Bei gleichzeitig
anhaltender Rationalisierung wie auch steigender Konkurrenz durch internationale Anbieter wird generell kein Beschäftigungswachstum im unmittelbar produzierenden Bereich mehr zu erwarten sein. Die Veränderungen verlaufen langfristig und sektoral sehr selektiv. Die sich daraus ergebende Verschiebung zu
den Dienstleistungsbranchen ist daran sichtbar, dass der industrielle Sektor in
den städtisch strukturierten Regionen Nordrhein-Westfalens bereits heute stark
unterproportional vertreten und damit keineswegs mehr an den Standort Stadt
und seine spezifischen Merkmale gebunden ist.
Regionale Kompetenz bzw. Clusterbildung als Standortfaktor
Es lässt sich eine steigende Bedeutung der regionalen Kompetenz als Standortfaktor konstatieren. Diese Kompetenz hängt eng mit den spezifischen regionalen sektoralen Profilen (Clustern) zusammen, ist also immer begrenzt.3
Hervorzuheben ist, dass sich die Clusterbildung und -entwicklung gängigen
Unterscheidungen wie Industrie oder Dienstleistungen, kleine oder mittlere
Unternehmen, alte oder neue Wirtschaft entzieht. Cluster sind auch nicht ohne
weiteres mit der Konzentration von Unternehmen einer Branche gleichzusetzen.
Wesentlich ist vielmehr, dass für bestimmte Wertschöpfungsketten notwendige
und differenzierte Kompetenzen vor Ort konzentriert sind und zwischen diesen
Elementen vielfältige, informelle und formelle Austauschprozesse bestehen, die
Grundlage für eine innovative regionale wirtschaftliche Dynamik bilden.
In der Terminologie der klassischen Standorttheorie Webers geht es letztlich
darum, Lokalisations- und Urbanisationsvorteile zu schaffen:4
• Lokalisationsvorteile entstehen aus der räumlichen Nähe von Unternehmen
mit gleicher oder zumindest ähnlicher Branchenausrichtung. Zentrale Elemente von Lokalisationsvorteilen sind das Vorhandensein entsprechend ausgebildeter bzw. spezialisierter Arbeitskräfte, einschlägiger Vorproduktlieferanten und gegebenenfalls spezifischer Infrastrukturen. Hinzu kommt der
Informationsvorteil aus der räumlichen Nähe zu den unmittelbaren Konkurrenten, was etwa neue Techniken, Produkte und Absatzwege betrifft. Wichtig ist auch, dass die lokalen Entscheidungsträger in Politik, Verwaltung und
Banken die Spezifika und Bedürfnisse der betreffenden Branchen kennen
3
Die Begriffe Cluster und Kompetenzfelder werden hier synonym benutzt. Sie ließen sich zwar
theoretisch durchaus unterscheiden und präziser definieren, wir folgen hier aber dem Sprachgebrauch der Strukturpolitik in Nordrhein-Westfalen, der ebenfalls zwischen beiden Begriffen
nicht unterscheidet.
4
Vgl. Weber 1909; Maier/Tödtling 1992, S. 103ff.
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und so eine vertrauensvolle Zusammenarbeit auch in schwierigen Situationen ermöglicht wird.
• Urbanisationsvorteile sind allgemeinerer Natur und entstehen auch schon
dann, wenn Unternehmen und Betriebe ganz unterschiedlicher Branchen
regional konzentriert sind. Klassische Beispiele für solche Vorteile sind eine
entsprechend ausgebaute allgemeine Infrastruktur, ein hohes örtliches Nachfragepotential sowie weiche Standortfaktoren wie zum Beispiel das Flair und
die Vielschichtigkeit des Lebens und Arbeitens in einer Großstadt. Auf dieser
Basis können durchaus branchenübergreifende Cluster etwa im Sinne einer
Dienstleistungshochburg, einer Technologieregion oder einer Industriestadt
entstehen.
Die in der regionalisierten Strukturpolitik angestrebte Ausrichtung an Kompetenz- bzw. Clusterentwicklung ist allerdings meist wesentlich enger gefasst. Sie
setzt auf technologieintensive, als zukunftsträchtig eingestufte Unternehmen
und sucht diese auf engem Raum zu konzentrieren. Eigens dafür angelegte
Technologie- und Medienparks sollen diese Unternehmen miteinander sowie
mit möglichen Kunden, Kapitalgebern und Arbeitskräften in Kontakt bringen und
ihnen darüber hinaus vor allem in der Anfangsphase Kostenvorteile verschaffen.
Die bisherigen Erfahrungen mit dieser Art von Clusterpolitik sind indessen zwiespältig: So können die Hochschulgründungen auch in Nordrhein-Westfalen in
der Regel als Beispiele für einen gelungenen Impuls zum Strukturwandel in der
Region genannt werden. Ihre besondere Stärke liegt dabei in zwei Faktoren
begründet: Ein erster Faktor ist die Breite der akademischen Infrastruktur, die
eine Vielzahl von Qualifikationen vorhält und ausbildet und insofern eine der
essentiellen Grundlagen zur Entwicklung in Richtung auf eine Wissensgesellschaft legt. Jene Entwicklung
benötigt - und dies bezeichnet den
zweiten Faktor - Zeit, um einen Diffusionsprozess zu bewirken und nachhaltige Wohlfahrtssteigerungen zu ermöglichen.
Neben der Funktion einer Hochschule
als Bildungsfaktor, übernehmen die
Hochschulen vielfach auch die Funktion eines regionalen Innovationsfaktors. Aus beiden Funktionen resultiert
ein direkter Standortzusammenhang zwischen Hochschule und der regionalen
Unternehmensstruktur. Während Technische Hochschulen eine besonders starke Anziehungskraft auf privatwirtschaftliche forschungsintensive Unternehmen
ausüben, profitieren insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen
vom Technologietransfer mit den Fachhochschulen. Aufgrund der wachsenden
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Wissensintensität bei der Güter- und Dienstleistungsproduktion nimmt die
regionale Bedeutung von universitären und privaten Forschungseinrichtungen
stetig zu.
Auch der Erfolg von Technologie- und Gründerzentren hängt entscheidend von
der regionalen Verfügbarkeit innovativen Wissens ab. Dieses ist fast zwangsläufig an die Existenz von Hochschulen mit technischen Schwerpunkten gebunden. Eine ausreichende Anzahl und Qualität von Spin-off Gründungen aus den
Hochschulen und damit eine genügend große Zahl von Absolventen ist zwingende Voraussetzung für den langfristigen Erfolg solcher Zentren. Zu den regional sehr differenzierten Erfahrungen mit Technologiezentren zählt auch, dass
sich insbesondere solche Zentren als erfolgreich erwiesen haben, denen die
Konzentration auf ein oder mehrere Cluster gelungen ist.
Die meisten Technologieparks sind indessen heute kaum noch von herkömmlichen Gewerbegebieten zu unterscheiden. Vielfach ist es zu Fehlbelegungen
dergestalt gekommen, dass sie beispielsweise als konventionelle Büroräume
genutzt werden, nicht aber als Räume wirklich technologieintensiver Unternehmen. Im Sinne des ursprünglich angestrebten Zweckes müssen sie als Fehlinvestitionen, in einigen Fällen sogar als Investitionsruinen bezeichnet werden. Die
Investition hat sich nur dann für die Region gelohnt, wenn es gelingt, die Unternehmen und deren Beschäftigte nach erfolgreichem Ausscheiden aus dem
Technologiezentrum auch langfristig an die Region zu binden. Dies stellt große
Herausforderungen an die regionalen Wohn- und Wohnumfeldqualitäten.
Gerade bei innovativen Projekten zeigt sich, dass ungeachtet der Möglichkeit
neuer Technologien die Face-to-Face-Kontakte und das vor Ort gebündelte,
nicht transferierbare implizite Wissen eine anhaltend zentrale Bedeutung haben.
Zudem sind Innovationen immer mit Unsicherheit verbunden, welche durch
soziale, in einer Region verdichtete Netzwerke reduziert werden kann (innovative Milieus). Freilich setzt dies auch eine gewisse Vielfalt voraus, weshalb die Bildung von Kompetenz-Clustern keineswegs zu einer Monostrukturierung führen
sollte.
Des Weiteren haben Analysen der Standortstrategien von Unternehmen gezeigt,
dass diese sich keineswegs nur an niedrigen Produktionskosten orientieren,
sondern bevorzugt solche Standorte auswählen, die eine spezifische Kompetenz für Innovationen in bestimmten Produktionsketten aufweisen.
Festzuhalten ist: Für wirtschaftlichen Erfolg im Allgemeinen und für Innovationen
im Besonderen wird die Fähigkeit immer wichtiger, eine Vielfalt unterschiedlicher
Kompetenzen zusammenzubringen. Dabei müssen die inner- und zwischenbetrieblichen Strukturen neu organisiert und auf neue Märkte hin gebündelt werden. Dies setzt Netzwerke oder Standortverbünde voraus. Deshalb machen vor
Ort verfügbare Fertigkeiten, Gutachten, Zulieferer, Aus- und Weiterbildungsein67
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richtungen sowie effektive lokale Institutionen einen künftig wettbewerbsfähigen
Standort aus.
Zweifellos haben die Städte in dieser Hinsicht spezifische Standortvorteile
gegenüber weniger verdichteten Räumen. Inwieweit diese Vorteile in Zukunft an
Bedeutung eher zu- oder abnehmen werden, ist allerdings nicht eindeutig. Verschiedene Einflussfaktoren spielen hier eine Rolle, und diese weisen nicht alle in
dieselbe Richtung.
Neue Produktionskonzepte
Die kurzen Produktlebenszyklen verlangen von Produktionskonzepten der
Zukunft ein immer höheres Maß an Flexibilität. Konzepte wie Smart-, Mini- oder
E-Factory ermöglichen die Einrichtung mobiler modularer Produktionsstätten, in
denen sich Alternativstrategien schnell realisieren lassen. Die flexiblen Produktionsanlagen orientieren sich an den Erfordernissen der Produkte und nicht an
denen der Produktionstechniken.5 Damit steigt insgesamt der Anspruch an qualifiziertes Personal und an die technische und wissensorientierte Infrastruktur
am Standort.
Die raumprägende Bedeutung dieser neuen Produktionskonzepte ist umstritten.
Sie können durchaus im Rahmen von Konzepten wie Just-in-Time, Smart-Factory oder Produktionsverbünden zur Bildung neuer Standorte wie etwa in der
Automobilindustrie oder zur Neupositionierung traditioneller Standorte wie bei
den Chemieparks führen. Hier besteht eine enge Beziehung zu den oben skizzierten Kompetenz- bzw. Clusteraspekten, insbesondere wenn bisher innerbetrieblich geleistete und koordinierte Funktionen durch zwischenbetriebliche, vernetzte Kooperationen substituiert werden. Während die Verfügbarkeit von hochqualifizierten Arbeitskräften und ihre Wissenskultur die Stadt als Standort für
solche Produktionskonzepte tendenziell begünstigt, dürften sich eingeschränkte Flächenverfügbarkeit und Verkehrsprobleme besonders nachteilig auswirken.
Tertiärisierung bzw. Wissensbasierung
Die klassische Drei-Sektoren-Hypothese als Grundmodell wirtschaftlichen
Strukturwandels wird in jüngerer Zeit durch einen weiteren Trend, nämlich die
zunehmende Wissensbasierung aller Branchen bzw. Wirtschaftsbereiche überlagert. Nicht nur Dienstleistungen, auch industrielle Produktionen erfordern
heute einen hohen Einsatz von Informationen, Kommunikation und Expertenwissen, das nicht überall in gleichem Maße verfügbar ist.
5
68
Vgl. Kalcic 2002.
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Ökonomische Potenziale
Die räumlichen Konsequenzen des wirtschaftlichen Strukturwandels sind indessen nicht eindeutig. Da sich Dienstleistungsproduktion aufgrund der notwendigen Marktnähe wesentlich stärker im Raum verteilt als der sekundäre Sektor, ist
insoweit zwar von einer Dezentralisierung der Wirtschaft auszugehen, zumal
sich auch die Bevölkerung gleichmäßiger im Raum verteilt. Dieser Trend wird
noch dadurch verstärkt, dass auch industrielle Produktion zunehmend mit
Dienstleistungen wie Betreibung, Betreiberfunktionen, Überwachung und Wartung oder Abrechnungssystemen unterstützt wird.6
Gleichzeitig zeigt sich aber bei höherwertigen Dienstleistungen ein wachsendes
metropolitanes Standortverhalten. Die Anbieter solcher Dienstleistungen suchen
in den sogenannten Global Cities Agglomerationsvorteile, welche ihnen das
Umland nicht bieten kann. Bei der bereits angesprochenen Bildung von Clustern
spielt vor allem das nicht ohne weiteres transferierbare, implizite Wissen eine
zentrale Rolle, welches tendenziell die agglomerierten Räume begünstigt. Auch
zeigt sich insbesondere bei den hochwertigen unternehmensbezogenen Dienstleistungen vielfach ein (Re-)Import von der Peripherie in die Zentren bzw. Mittelzentren. Dies gilt auch für solche Prozesse, die in den vergangenen Jahren Träger von Suburbanisierung waren, etwa Finanzdienstleistungen.7
Urbanes und metropolitanes Milieu als Standortfaktor
Ein städtisches, kreatives Umfeld spielt sowohl für Anbieter unternehmensorientierter Dienstleistungen, die sich oft in ummittelbarer Nähe ihres Wohnstandortes gründen8, als auch für die Standortwahl großer Konzerne eine wichtige Rolle und kann insofern als Urbanisationsvorteil gesehen werden. Der Organisationsraum, also der Konzern- oder Kooperationsverbund, in dem sich einzelne Unternehmen bewegen, ist zwar zunehmend global. Dennoch muss der
konkrete Standort attraktiv genug sein, um die notwendigen Beschäftigten zu
binden, und auch für Kunden- oder Zuliefererkontakte (Schulung, Projekte, Präsentation etc.) wird ein repräsentativer Standort zunehmend als wichtig angesehen. Dies betrifft ebenso das Interesse an Repräsentation durch die Unternehmen selbst (Architektur, Ausstellungen, Sponsoring) wie auch deren Forderung
nach einem regionalen Umfeld mit einer hohen Lebensqualität, also nach stärkerer Pflege der weichen Standortfaktoren. Für diese Unternehmen sind ebenso wie bei den oben angesprochenen Dienstleistern städtebauliche Qualitäten
in Verbindung mit günstigen Mietpreisen und guter innerstädtischer Infrastruktur von Bedeutung.
6
Vgl. Lay 1998.
7
Vgl. Neuhoff 1998, S. 50ff.
8
Diese Wirtschaftssubjekte lassen sich durch die üblichen Statistiken kaum einfangen, spielen
aber sowohl als Wirtschaftsfaktor als auch als Standortfaktor eine wichtige Rolle.
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Veränderte Nachfrage- und Konsumstrukturen
Bei den veränderten Nachfrage- und Konsumstrukturen handelt es sich um sehr
unterschiedlich wirkende Trends, deren raumwirksame Bedeutung noch längst
nicht eindeutig erkennbar ist und die daher hier nur exemplarisch angeführt werden:
• Eine veränderte Freizeitorientierung führt zu einem mobileren Nachfrageverhalten als bisher, insbesondere nach integrierten Konsum- und Freizeitangeboten (vgl. in Kapitel B4 zum Begriff „Generation Regionalstadt“). Dies kann
sowohl innerhalb von Städten befriedigt werden wie etwa durch das CentrO
in Oberhausen als auch abseits der Städte bzw. in deren Umland, wie die
verschiedenen Aktivitäten und Planungen beispielsweise im nördlichen
Ruhrgebiet zeigen.
• Verschiebungen in der Altersstruktur und damit zusammenhängende Aktionen, die seit einiger Zeit unter Stichworten wie Seniorenwirtschaft oder
50plus geführt werden, zielen darauf ab, die spezifische Kaufkraft älterer
Menschen vor Ort zu binden. Auch hier ist das Umland als Konkurrent der
großen Städte ebenso aktiv wie die - allerdings mit erheblichen Problemen
kämpfenden - Kurorte.
• Das gewachsene ökologische Bewusstsein strebt einerseits nach der Ausweitung und Stärkung regionaler Wertschöpfungsketten und der entsprechenden Bindung regionaler Nachfrage. Auf der anderen Seite trägt es zur
Verdrängung von emissions- und transportintensiven Unternehmen aus der
Stadt bei und manifestiert sich auch in gestiegenen Ansprüchen an die
Umweltqualität der Menschen, denen die Städte nur mit überproportionalem
Kostenaufwand gerecht werden können.
3.2
Die Städte Nordrhein-Westfalens im ökonomischen Wandel
Die Tatsache, dass rund zwei Drittel der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens in
Ballungszonen leben, hat in erster Linie wirtschaftshistorische Ursachen. Mit
Beginn der Industrialisierung strömten die Menschen Mitte des 19. Jahrhunderts in die großen Städte, um dort Arbeit zu finden. Namentlich im Ruhrgebiet
führte dies aufgrund der standortgebundenen Kohle- und Stahlindustrie zur
größten Bevölkerungskonzentration in Deutschland überhaupt. Hinzu kamen die
großen Industriebetriebe der Chemie- und Automobilindustrie an Rhein und
Ruhr, die zusammen mit der eher mittelständisch geprägten Kleineisen- und
Textilindustrie im Bergischen Städtedreieck bzw. an Niederrhein und im
Münsterland einen riesigen, industriell geprägten Agglomerationsraum bildeten.
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Ökonomische Potenziale
Der Bedeutungsrückgang der Industrie ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, im Ruhrgebiet vor allem der Montanindustrie, entzog dieser historisch
außergewöhnlichen Konzentration von Menschen und Arbeitsplätzen allmählich
ihre ursprüngliche ökonomische Grundlage. Zwar entfalteten die gut ausgebaute Infrastruktur, das große Potenzial von gut ausgebildeten Arbeitskräften und
nicht zuletzt die unternehmerische Tradition der Region nach wie vor eine hohe
Anziehungskraft. Zudem haben die Universitätsneugründungen in Bochum,
Duisburg, Essen und Dortmund diesen Städten und ihrem Umland wesentliche
Impulse gegeben und sind auch heute noch Kristallisationskerne des Strukturwandels hin zur Informationsökonomie. Die dadurch ausgelösten Neuansiedlungen von Unternehmen und Menschen konnten jedoch per Saldo die Arbeitsplatz- und Bevölkerungsverluste des Ruhrgebiets nicht ausgleichen. Einige
Städte außerhalb des Ruhrgebiets, wie etwa Köln und Düsseldorf an der Rheinschiene oder Münster und Aachen, haben sich inzwischen zu erfolgreichen
Standorten hochwertiger Dienstleistungs- und Technologieunternehmen gewandelt. Andere Städte, neben den Ruhrgebietsmetropolen vor allem auch im
kleinindustriell geprägten Bergischen Land, waren weniger erfolgreich. Hier
überwogen trotz massiver politischer Unterstützung die Verluste von Bevölkerung und Arbeitsplätzen an das Umland.
Vergleichbare Prozesse spielen sich auch in anderen Regionen mit früher dominierender Großindustrie ab, etwa an den Werftstandorten oder am früheren Chemiestandort Halle/Bitterfeld in Sachsen-Anhalt. Hier wie dort gilt es, einerseits
die traditionellen Standortvorteile und Unternehmensnetzwerke als Ausgangspunkt der weiteren Wirtschaftsentwicklung zu nutzen und andererseits offen für
Ansiedlungen anders gelagerter Unternehmen zu sein. Städte im Strukturwandel kommen nicht umhin, zwischen diesen beiden Polen ihren eigenen Weg zu
suchen.
Wenn die Produktionsfaktoren beweglicher, die Produktionsprozesse schlanker
und flexibler und die öffentliche und nicht-öffentliche Infrastruktur allgemeiner
verfügbar werden, dann entstehen unter dem Gesichtspunkt der einzelwirtschaftlichen Effizienz zwangsläufig ökonomische Zentrifugalkräfte zugunsten
von weniger stark verdichteten Siedlungsstrukturen. Andererseits gibt es insbesondere im Bereich hochqualifizierter Dienstleistungen Fühlungsvorteile zugunsten hoch konzentrierter Branchencluster, die diesen Zentrifugalkräften entgegenwirken. Insgesamt ist daher die räumliche Wirkung branchenspezifisch
differenziert zu bewerten.
Hinsichtlich der Kosten einer neu aufzubauenden Infrastruktur ist von Bedeutung, die Investitionskosten beim Aufbau von jenen des Unterhalts zu unterscheiden. Erstere sind in der Regel auf den Freiflächen am Siedlungsrand in
Relation zur Agglomeration niedriger, da dort zum Beispiel die Bodenpreise und
andere Teile der Kostenstruktur niedriger sind. Betrachtet man hingegen die
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Kosten des Unterhalts der Versorgungsinfrastruktur, so sind diese für den Ballungsraum aufgrund der höheren Auslastung oft geringer. Auch hinsichtlich der
Kosten ist somit eine differenzierte Bewertung nötig.
Dies gilt vor allem auch für einen weiteren Aspekt: Es liegt auf der Hand, dass
den in den Staatskassen und Umweltbilanzen gegebenenfalls auftretenden
Kosten aufgrund steigender Umweltbelastungen infolge der Suburbanisierung
erhebliche Gewinne an Lebensqualität für einige Gruppen der Bevölkerung
gegenüberstehen können. Sie sind zwar bisher nirgendwo exakt beziffert, können aber durchaus ein Vielfaches der in der politischen Diskussion im Vordergrund stehenden externen Kosten ausmachen. Jene Kosten und Nutzen können
nicht ohne weiteres gegeneinander aufgerechnet werden, da sie zu unterschiedlichen Zeiten anfallen und daher unterschiedliche Bevölkerungsgruppen,
im Sinne von Generationen, betreffen. Die volkswirtschaftlich einzig mögliche
Lösung des Problems wäre daher, alle echten Kosten möglichst sachgerecht
ihren Verursachern anzulasten und dann den Wettbewerb der Standorte entscheiden zu lassen. Wo eine hinreichend sachgerechte Zurechnung nicht möglich ist, müsste von der Politik eine besonders sorgfältige Entscheidung eingefordert werden.
3.3
Kompetenzfelder, Strukturpolitik und kommunale
Wirtschaftsförderung
Die kommunale Wirtschaftsförderung hat in den vergangenen Jahrzehnten eine
grundlegende Ausweitung des Aufgabenspektrums erlebt: Konzentrierte sich
Wirtschaftsförderung bis weit in die 1970er Jahre hinein auf die Erschließung
von Gewerbeflächen und die Bereitstellung wirtschaftsnaher Infrastruktur sowie
auf die Akquisition neuer und die Umsiedlung vorhandener Unternehmen, so
kamen in den folgenden Jahren umfangreiche Aufgabenbereiche hinzu. Technologieförderung und Technologietransfer, Existenzgründung und Zugang zu
Risikokapital, Sicherung von Betriebsübernahmen, Netzwerkmanagement und
Entwicklung von Clustern, Kompetenzfeldern oder Wertschöpfungsketten sind
Zielsetzungen, die sich in der einen oder anderen Form mittlerweile in allen Wirtschaftsförderungseinrichtungen finden.
Bei der Entwicklung von Kompetenzfeldern geht es nicht darum, alle Anstrengungen auf eine (neue) Branche zu konzentrieren, sondern vielmehr darum,
bereits vorhandene Branchen im städtischen oder regionalen Umfeld bei ihrer
Spezialisierung, Ausdifferenzierung, Neuorientierung und ihrem Wachstum zu
unterstützen. In jeder Kommune oder Region finden sich dazu mittlerweile weitere Einrichtungen der Wirtschaftsförderungen wie zum Beispiel Entwicklungs72
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agenturen oder Regionalbüros, kommunale oder regionale Marketinggesellschaften, Einrichtungen des Technologietransfers bzw. Innovations- oder Gründerzentren, nicht zuletzt kooperative Arbeitskreise etwa als Beschäftigungsbündnis oder im Rahmen der Agenda 21.
Vor diesem Hintergrund erfolgte auch die Neuorientierung der Strukturpolitik
des Landes Nordrhein-Westfalen sukzessive seit Anfang der 1990er Jahre unter
Stichworten wie Cluster, regionale Netzwerke und Kompetenzfelder.
Diese Neuausrichtung ist durch folgende Perspektiven gekennzeichnet:
• Es wird versucht, ein regionales Profil (möglichst als überregionales wenn
nicht international ausstrahlendes Alleinstellungsmerkmal) herauszuarbeiten
und in seiner Entwicklung zu unterstützen.
• Die Ausrichtung auf Cluster zielt dabei auch darauf ab, die immer knapper
werdenden strukturpolitischen Mittel strategisch zu bündeln.
• Auf der regionalen Ebene werden Kompetenzen dann als vorhanden angesehen, wenn diese komplementär zu einander, also nicht zu breit gestreut
sind.
• Regionale Akteure aus Unternehmen, Politik und Verwaltung, Gewerkschaften und Verbänden sollen in einer Art miteinander vernetzt werden, dass
ihren Aktivitäten eine gemeinsame Orientierung zugrunde liegt und damit
eine strategische Bündelung möglich wird.
• Der erhoffte Vorteil besteht darin, dass aus dem Zusammenwirken der verschiedenen Ressourcen eine Dynamik entsteht, die dazu beiträgt, dass Innovationen in dieser Region häufiger stattfinden als in anderen Regionen.
• Schließlich wird davon ausgegangen, dass innerhalb einer derartigen Konstellation vielfältige informelle Prozesse vor allem auch in Form des Austauschs informellen Wissens ablaufen, die regional einmalig und daher auch
nur schwer zu imitieren und zu transferieren sind.
Auf der Grundlage dieser Überlegungen hat die Landesregierung NordrheinWestfalen im Zuge der Weiterentwicklung der regionalisierten Strukturpolitik seit
1993 in mehreren Programmen regionale Kompetenzfelder definiert:
• Informations- und Kommunikationstechnologien,
• Logistik,
• Mikrostrukturtechnik und Mikroelektronik,
• Neue Werkstoffe,
• Medizintechnik und Gesundheitswirtschaft,
• Design,
• Wasser- und Abwassertechnik,
• Maschinenbau,
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• Tourismus und Freizeit,
• Energie und neue Energietechniken,
• Bergbautechnik und
• neue Chemie.
Die ersten Eindrücke aus diesen Projekten sind ambivalent, da die Entwicklung
und Vernetzung innerhalb der einzelnen Kompetenzfelder sehr unterschiedlich
erfolgt. Insbesondere hinsichtlich der begrenzten Einbindung von Unternehmen
sowie der mangelnden Erfahrungen und institutionellen Ausrichtungen der für
die Umsetzung zentralen Akteure ist Kritik angebracht, da die Engpässe bei der
Umsetzung des Konzepts auf der Hand liegen.
Andererseits kann sich der Kompetenzfeldansatz - soweit er seitens der Landesregierung klug eingesetzt wird und nicht zu einer Bevormundung der Städte
führt - durchaus als wirtschaftlich lohnend erweisen. Für eine systematische
Bewertung ist es ohne Zweifel noch zu früh, da wirtschaftsstrukturelle Veränderungen nur sehr langfristig wirken. Harte Evaluierungsverfahren für strategische
Ansätze, die auf Interaktion, Aktivierung und Vernetzung ausgerichtet sind,
befinden sich bestenfalls noch in der Erprobung.9
In Kompetenzfeldern regionale Stärken profilieren
Eine erste Einschätzung des Kompetenzfeldansatzes sollte folgende Aspekte
berücksichtigen, die gleichzeitig als Checkliste und Voraussetzung für seine
erfolgreiche Umsetzung gelten können:
• Es ist nicht möglich, Cluster oder Kompetenzfelder aus dem Nichts aufzubauen. Die Entwicklung und Unterstützung von Clustern soll an den vorhandenen Wirtschaftsstrukturen ansetzen und die vorhandenen Stärken stärken.
Dem entspricht, dass die Wurzeln von Clustern oft jahrzehntelang zurückreichen. Dabei ist dies keineswegs ein nur in größeren Städten vorkommendes
Phänomen: Es können durchaus auch kleinere Städte eine Vorreiterrolle bei
spezifischen Branchen innerhalb Nordrhein-Westfalens einnehmen (etwa
Unna als Logistikstandort, Lippstadt im Technologiebereich Messen, Steuern, Regeln).
• Es gilt, die Potenziale für neue Cluster oder für die Veränderung von Clustern
möglichst früh zu erkennen und ihre weitere Entwicklung durch wirtschaftspolitische Maßnahmen zu unterstützen. Abhängig davon, ob bestehende
Branchen bei der Umstrukturierung unterstützt oder aber Unternehmensneugründungen gestärkt werden sollen, lassen sich verschiedene Formen
von Kompetenzfeldpolitik unterscheiden.10
9
Zum Stand der methodischen Forschung vgl. Gornig/Toepel 1998.
10 Vgl. Rehfeld/Baumer/Wompel 2000.
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In Abwägung des Für und Wider hängt erfolgreiche Kompetenzfeldpolitik nicht
zuletzt von dem aktiven Beitrag aller Beteiligten ab und ist daher wesentlich
weniger planbar oder von den Ergebnissen her definierbar als frühere Konzepte
der Strukturpolitik. Auf Kompetenzfelder ausgerichtete Strukturpolitik wirkt eher
als Katalysator für die Interaktion wirtschaftlicher und öffentlicher Akteure.
Die Stärkung der lokalen Ökonomie, wie sie im Programm Soziale Stadt vorgesehen ist, hat zwar einen Bezug zum Strukturwandel, diesen aber vielfach eben
nur lokal (z.B. in Form von Handwerkerhöfen). Eine Verknüpfung mit dem Kompetenzfeldansatz oder auch nur der gesamtstädtischen Profilbildung ist im Einzelfall lohnend, kann jedoch längst nicht immer geleistet werden.
Um dem Beratungsbedarf insbesondere kleinerer und mittlerer Städte konzeptionell entgegenzukommen, könnte das Land Erfahrungen aus den Städten auswerten, diese für die verschiedenen Stadttypen aufbereiten und den Kommunen
zur Verfügung stellen. Dabei ist es wichtig, verschiedene Evaluierungs- und
Beratungsebenen möglichst zusammenzuführen. Es dürfte zudem für die künftige Umsetzung der Cluster- oder Kompetenzfeldpolitik zentral sein, ihre Erfolge
regelmäßig zu evaluieren und durch Qualitätskriterien Standards zu setzen.
Wenngleich dies in erster Linie eine Aufgabe unabhängiger wissenschaftlicher
Institutionen ist, könnte das Land hier durchaus eine Orientierungsfunktion
übernehmen.
3.4
Die wirtschaftliche Entwicklung der Städte
in Nordrhein-Westfalen - eine Typisierung
Die Städte Nordrhein-Westfalens stehen im Standortwettbewerb der Zukunft
nicht alle mit den gleichen Voraussetzungen da. Es kommt darauf an, den Städten eine Standortpolitik im Sinne ihrer spezifischen Begabungen und Vorteile zu
ermöglichen. Das Leitbild sollte fairer Standortwettbewerb in diesem Sinne und
nicht die Nivellierung unterschiedlicher Begabungen und Anstrengungen der
Vergangenheit sein.
Die Bewältigung des wirtschaftlichen Strukturwandels verdient besondere
Beachtung in ihrer Bedeutung als eigenständiges Handlungsfeld der Politik. Die
Vielfalt der Städtetypen steht dabei der Verbreitung von Patentrezepten für die
Landespolitik entgegen. Fragt man nach den städtischen Chancen und Risiken
im Einzelnen, so kristallisieren sich unter den 77 Städten mit mehr als 50.000
Einwohnern in Nordrhein-Westfalen sechs unterschiedliche Städtegruppen heraus, von denen jeweils drei aus heutiger Sicht eher gute, die anderen drei eher
risikobehaftete Zukunftsperspektiven haben (vgl. Abb. 1).
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Abb. 1: Verteilung der wirtschaftsstrukturellen Stadttypen in Nordrhein-Westfalen
Quelle: Gärtner/Grote Westrick/Helmstädter/Rehfeld
Oberzentren mit vorrangig metropolitanen und wissensbasierten Sektoren
Die erste Gruppe von Städten umfasst Oberzentren mit vorrangig metropolitanen und wissensbasierten Sektoren - im Folgenden kurz Metropolen genannt.
Die fünf Städte dieser Gruppe zeichnen sich durch einen überproportionalen
Anteil an wissensbasierten Dienstleistungen und metropolitanen Sektoren aus:
Mindestens 17 Prozent der Beschäftigten in Aachen, Bonn, Düsseldorf, Köln
und Münster arbeiten in einem dieser Sektoren, gut sechs mal so viele wie im
Durchschnitt der 77 Städte. Metropolitane Funktionen nehmen diese Städte
innerhalb Nordrhein-Westfalens durch die überproportionale Präsenz des
Finanz- und Versicherungssektors, des Linienflugverkehrs, der auswärtigen
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Angelegenheiten und der Hörfunk- und Fernsehanstalten ein. Bei den wissensbasierten Dienstleistungen übernehmen sie eine ähnlich wichtige Position im
Lande: Hochschulen und Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, Unternehmensberatungen und die Werbebranche sind Bereiche, die sich vorrangig in
den Landesmetropolen konzentrieren.
Alle Metropolen sind Oberzentren mit einem mindestens 750.000 Menschen
umfassenden Versorgungsgebiet. Ihre Bedeutung spiegelt sich auch in hohen
Pendlerüberschüssen wider: So pendeln zum Beispiel nach Düsseldorf und
Köln täglich weit über 100.000 Berufstätige. Die Städte selbst zeichnen sich
zudem durch eine sehr hohe Einwohnerdichte aus. Zwar verlieren auch die
Metropolen aufgrund der anhaltenden Suburbanisierung Bevölkerung. Auf der
anderen Seite sind sie aber - im Gegensatz zu anderen Großstädten - auch starke Anziehungspunkte für neue Zuwanderung. Diese Bevölkerungsgewinne, die
aus anderen Groß- und Mittelstädten oder dem ländlichen Raum generiert werden, kompensieren die Verluste der Suburbanisierung nahezu. Beide Entwicklungen sind Zeichen für die Attraktivität der Metropolen, sowohl im wirtschaftlichen als auch im privaten Bereich.
Die einzigartige Konzentration verschiedener, hochwertiger Dienstleistungen ist
der spezifische Standortvorteil der Metropolen. Es gibt zwar nur sehr wenige
Branchen, die auf diese Konzentration objektiv angewiesen wären und für die
sich daher jegliche Standortalternative ausschließen würde. Jedoch werden die
vorhandenen Urbanisationsvorteile der Metropolen wie die kurzen Wege, die
formellen und informellen Kontakte in einer Stadt und das kreative Milieu einer
Branche (zum Beispiel Medien) sehr hoch eingeschätzt und sind in dieser Form
eben nur hier zu finden.
Städte im Sog von Metropolen bei breitem Sektorprofil
Die einzelnen Stadttypen stehen bewusst nicht für sich, sondern sind mehr oder
weniger deutlich auf ihr Umland bezogen. Besonders deutlich wird dies an den
zwölf Städten im Sog von Metropolen und ihrem wechselseitigen Verhältnis zu
diesen. Damit nehmen sie eine Zwischenposition zwischen dem ersten und dem
zweiten Städtetyp ein. Die hier zusammengefassten Städte Neuss, Willich, Hilden, Hürth, Kerpen, Pulheim, Ratingen, Erftstadt, Langenfeld, Meerbusch, Mülheim an der Ruhr und Viersen liegen zum Teil in direkter Nachbarschaft zu den
Metropolen Köln oder Düsseldorf. Ähnlich wie diese haben sie einen überdurchschnittlich hohen Dienstleistungsanteil, wenngleich dieser deutlich schwächer ausgeprägt ist und vor allem die allgemeinen unternehmensnahen Dienstleistungen betrifft.
Die Abhängigkeit von den Metropolen ist keineswegs einseitig, denn es bestehen wechselseitige Interdependenzen, die auch für die Metropolen sehr wichtig
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sind. Viele Städte haben neben ihren zum Teil ursprünglichen Branchen und
dem Handel eine Nische gefunden, in der sie weitere Dienstleistungen für das
Umland bzw. speziell für den Metropolraum zur Verfügung stellen. In Hürth ist
dies beispielsweise der Medienbereich mit großen Kapazitäten in der TV-Produktion, Ratingen hat sich als attraktiver Unternehmenssitz mit einem hohen
Anteil wissensbasierter Dienstleistungen wie Unternehmensberatungen, Werbefirmen, Softwarehäusern sowie Ingenieur- und Architekturbüros in der Nähe
Düsseldorfs etabliert. Weitere Beispiele sind Viersen mit einem hohen Anteil an
Infrastrukturwirtschaft bzw. Entsorgung sowie Neuss und Langenfeld mit überdurchschnittlichen Anteilen im Speditions- bzw. Post- und Kurierdienst. Pulheim
steht stellvertretend auch für andere Städte der Region als spezialisierter und
zukunftsträchtiger Speditionsstandort.
Allerdings stagniert das Wachstum in fünf Städten dieser Gruppe. Bis auf Mühlheim an der Ruhr und Viersen hat sich in den Städten dieser Gruppe die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten überdurchschnittlich erhöht.
Auch hier kann dies eindeutig auf den Ausbau der heute starken Sektoren, Handel und unternehmensnahe Dienstleistungen, zurückgeführt werden.
Auffällig ist, dass die meisten der Städte mit einem hohen Beschäftigungsanstieg auch einen Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen haben, zum Teil sicher
auch ein Effekt der Suburbanisierung aus den Metropolen. Dieser positiven Entwicklung steht jedoch in der Hälfte der Städte ein Verlust an Kaufkraft gegenüber, eigenartigerweise besonders dort, wo die Zahl der Arbeitsplätze gestiegen
ist. Möglicherweise haben die neuen (geringer bezahlten) Dienstleistungsarbeitsplätze in Handel und Logistik das bisherige Durchschnittslohnniveau in diesen Städten gedrückt.
Andererseits haben sie die Chance der Nachfrage aus den Metropolen genutzt
und die betreffenden Sektoren teilweise strategisch auszubauen gewusst, ohne
dabei ihr altes (industrielles) Profil und damit ihre Basis völlig aufzugeben, die als
Rückgrat nach wie vor wichtig ist. Ein Vorteil sind sicherlich die gegenüber den
Metropolen größeren und günstigeren Flächen, die besonders flächenintensive
Dienstleistungen wie Handel, Logistik oder auch die Filmindustrie benötigen.
Gerade flächenintensive Unternehmen, die häufiger Probleme mit öffentlicher
Straßennutzung oder ähnlichem haben, attestieren kleineren Städten und Kommunen zudem ein besseres Verhältnis zu den Unternehmen.
Städte mit eigenständigem dynamischem Dienstleistungsprofil
Die insgesamt sieben Städte mit eigenständigem dynamischem Dienstleistungsprofil unterscheiden sich insofern von den Metropolen, als sie nicht über
eine vergleichbare Konzentration metropolitaner und wissensbasierter Dienstleistungen verfügen. Vergleichbar mit den Metropolen kann aber auch bei diesen
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Städten ein mehr oder minder klares Profil und ein hohes Zukunftspotenzial ausgemacht werden. Das prägende Element der Städte Bad Oeynhausen, Detmold,
Essen, Gütersloh, Paderborn, Sankt Augustin und Unna ist die Kombination aus
personenbezogenen, unternehmensbezogenen oder wissensbasierten Dienstleistungen, ergänzt um eine industrielle Basis. Dieses eigenständige Profil
sichert ihnen eine relative Unabhängigkeit trotz zum Teil großer räumlicher Nähe
und engen Verflechtungen zu einzelnen Metropolen.
Die wirtschaftlichen Entwicklungsdaten der letzten zehn Jahre zeigen Stagnationen in Essen, Paderborn und Unna, jedoch auch positive Entwicklungen
besonders in den drei anderen Städten in Ostwestfalen-Lippe auf. Diese positive Entwicklung, welche die der Metropolen deutlich übersteigt, lässt auf einen
Bedeutungsgewinn dieser Städte in den letzten zehn Jahren schließen. Dabei
haben die größten Beschäftigungszuwächse wiederum in den Branchen stattgefunden, die das heutige Dienstleistungsprofil prägen: So waren in Bad Oeynhausen beispielsweise neben 1.400 neu geschaffenen Arbeitsplätzen im Gesundheitswesen auch Zuwächse bei den wissensbasierten Dienstleistungen
entscheidend für den Anstieg der Beschäftigtenzahlen.
Die wirtschaftlich erfolgreichsten Städte dieser Gruppe liegen somit im ländlichen Raum. Ein Zusammenhang zwischen einer zentralen Lage und einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung kann in diesem Fall nicht abgeleitet werden.
Mehr als die Lage im Raum beeinflusst ein eigenständiges, jedoch mit dem
Umland vernetztes bzw. komplementär gestaltetes Profil der Stadt deren wirtschaftliche Entwicklung. Für die positive Entwicklung dieser Städte hat neben
spezifischen regionalen Voraussetzungen wie dem Vorhandensein eines großen
Unternehmens und damit eines bestimmten Milieus auch die frühzeitige Spezialisierung auf wachstumsintensive Bereiche eine Rolle gespielt.
Städte mit industrieller Prägung bei starker Sektor- bzw.
Unternehmenskonzentration
Die vierzehn Städte mit industrieller Prägung bei starker Sektor- bzw. Unternehmenskonzentration verbindet nicht nur ein stark industriell geprägtes Profil, sie
zeichnen sich zudem durch eine hohe Konzentration der Beschäftigten auf
einen dominanten Sektor, in vielen Fällen sogar auf ein einziges oder einige
wenige Unternehmen aus. Herausragende Beispiele sind Leverkusen, Dormagen, Marl und Bergkamen mit ihrer starken Konzentration auf die Chemische
Industrie. Typisch für das nördliche Ruhrgebiet ist zudem der hohe Beschäftigtenanteil von Logistik- und Speditionsunternehmen in Marl, der nur zum Teil in
Verbindung zur Chemieindustrie steht.
Außer in Dormagen verlief in allen Chemiestädten Nordrhein-Westfalens die
wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre sehr negativ. Es sind zwar viele
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neue Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor geschaffen worden, jedoch konnten diese nicht den Verlust in der Chemischen Industrie und benachbarten
Branchen nicht wettmachen. Die Städte Bottrop, Dorsten, Dinslaken, Bergheim,
Eschweiler, Grevenbroich, Duisburg und Gladbeck verbindet demgegenüber ein
immer noch dominanter Montansektor. Entsprechend dem
Bedeutungsverlust des Sektors ist die Zahl der Beschäftigten
in den letzten zehn Jahren auch in diesem Bereich stark
zurückgegangen.
Bochum und Bocholt schließlich kennzeichnet die starke
Dominanz jeweils einiger weniger Unternehmen aus den
Bereichen Maschinenbau, Fahrzeugbau oder Elektrotechnik.
Daneben zeichnet sich Bochum mit einem Anteil von knapp
zehn Prozent auch durch einen relativ hohen Grad an wissensbasierten Dienstleistungen aus, Bocholt durch einen vergleichsweise hohen Anteil der dort traditionell starken Textilindustrie. Bocholt ist ebenfalls ein Beispiel dafür, dass die
Arbeitsplatzverluste in den traditionellen Sektoren durch
einen stark wachsenden Dienstleistungssektor ausgeglichen
werden können. Die Zahl der Arbeitsplätze ist hier von 1990
bis 2000 um knapp 16 Prozent gestiegen, die Kaufkraft um
etwa drei Prozent.
Gleichwohl ist das Risikopotenzial für die weitere wirtschaftliche Entwicklung der Städte dieser Gruppe hoch. Mit ihren
hochkonzentrierten Branchen sind sie im wirtschaftlichen
Sinne meist wenig in die Region eingebunden. Auch die Unternehmensvernetzungen sind gering einzustufen, da oft Unternehmen oder Konzerne dominieren, die sich von der lokalen Wirtschaft absondern.
Städte mit industrieller Prägung durch klein- und mittelbetriebliche Sektoren
Die fünfundzwanzig Städte mit industrieller Prägung durch klein- und mittelbetriebliche Sektoren spiegeln den Prototyp eines wirtschaftsstrukturell breit
gestreuten, noch immer stark industriell geprägten, am Ballungsrand oder in der
ländlichen Zone gelegenen Mittelzentrums wider. Die meisten von ihnen haben
historisch bedingt einen überdurchschnittlichen Anteil an der Metallerzeugungsund Verarbeitungsindustrie.
Die räumlichen Knotenpunkte liegen dabei im Bergischen Städtedreieck, bzw.
im Bergischen Land und im Sauerland. Daneben zeichnen sich einige Städte wie
zum Beispiel Minden und Arnsberg durch einen hohen Beschäftigungsanteil in
der Elektroindustrie oder andere wie Remscheid und Troisdorf durch den
Maschinenbau aus. Andere Städte haben einen hohen Anteil an der Automobil80
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zulieferindustrie, welche sich wiederum mit der Metallverarbeitung und der
Elektroindustrie überschneidet. Daneben gibt es aber auch noch eine Reihe von
Städten, die sich durch einen breiten Branchenmix auszeichnen. Vor allem die
beiden Oberzentren Wuppertal und Bielefeld haben einen relativ hohen Anteil an
metropolitanen Dienstleistungen und Bildung, Forschung und Entwicklung.
Daneben prägt sie ebenso wie insbesondere die Kreisstädte ein überdurchschnittlicher Anteil an öffentlichen Einrichtungen und Verbänden.
Trotz zum Teil sehr technologieorientierter und innovativer Branchen wie der
Elektroindustrie weisen die Städte dieses Typs jedoch einen teilweise stark
unterdurchschnittlichen Anteil an wissensbasierten Dienstleistungen auf. So
liegt dieser etwa in Lüdenscheid, Velbert oder Lippstadt nur bei einem Drittel bis
50 Prozent des durchschnittlichen Städteniveaus. Die meisten Städte dieser
Gruppe haben hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung keine großen Aufoder Abschwünge in den letzten zehn Jahren durchlaufen. Die Kaufkraft ist vor
allem in den Städten des Bergischen Städtedreiecks, das heißt in den traditionell von Metallverarbeitung geprägten Städten, rückläufig gewesen.
Im Gegensatz zu den hochkonzentrierten Städten kann für diese netzwerkstrukturierten Städte vermutet werden, dass hier die Branche etwas weniger
ausschlaggebend ist für die Entwicklung. Einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung liefert aber die Region. Insbesondere die regionale Einbettung der Branchen, interne und externe Verflechtungen und die Unternehmensstruktur spielen dabei eine wesentliche Rolle.
Städte im Umbruch bei starker sektoraler Streuung
Das wirtschaftliche Profil der vierzehn Städte im Umbruch bei starker sektoraler
Streuung hat sich durch den Strukturwandel in den letzten Jahren erheblich verändert, lässt aber noch keine klare neue Struktur erkennen. Viele dieser Städte
liegen im Kern des Ruhrgebietes, insbesondere in dessen Norden. Außer Herten, Lünen und Castrop-Rauxel haben alle Städte über 100.000 Einwohner,
Dortmund mit knapp 600.000 ist die größte.
Im Detail weist fast jede dieser Städte ein bestimmtes, jedoch nicht dominantes
Profil auf. So zeichnet sich Dortmund durch überdurchschnittliche Anteile an
metropolitanen Branchen (Versicherungen), informations- und technologiebezogenen Dienstleistungen (Software), produktionsnahen Dienstleistungen
(Architektur- und Ingenieurbüros) und im Bereich Bildung sowie Forschung und
Entwicklung (Hochschulen) aus. Castrop-Rauxel verfügt über überdurchschnittlich hohe Beschäftigtenanteile bei der Entsorgung, ebenso wie Herten, das sich
auch durch hohe Anteile bei der Fleischverarbeitung und bei den Verkehrs- und
Logistikdienstleistungen auszeichnet. Hagen ist in der Metallverarbeitung stark,
während Mönchengladbach, Lünen, Oberhausen und Witten im Maschinen81
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und Fahrzeugbau etwa doppelt so viele Arbeitnehmer beschäftigen wie der
Durchschnitt der Städte.
Neben Dortmund haben auch Siegen und Hagen aufgrund ihrer Hochschulen in
diesem Sektor mehr Beschäftigte als der Durchschnitt. Mönchengladbach hat
etwa doppelt so viele Beschäftigte in Druckereien und der Satzherstellung und
Reproduktion aufzuweisen wie das rechnerische Mittel. Die Profile dieser Städte können jedoch nicht mit denen der hochkonzentrierten oder der stark industriell geprägten Städte verglichen werden. Die Anteile der genannten starken
Bereiche in diesen Städten übersteigt den Durchschnitt zwar meist um rund
hundert Prozent, jedoch sind es nur selten über fünf Prozent der Beschäftigten,
die in diesen Bereichen arbeiten.
Die wirtschaftliche Entwicklung ist in den letzten zehn Jahren in allen Städten
dieser Gruppe negativ verlaufen, sowohl die Zahl der Beschäftigten als auch die
Kaufkraft war durchweg rückläufig. Der Abbau der Arbeitsplätze konnte nur in
wenigen Städten durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze kompensiert werden,
überwiegend im tertiären Sektor, vor allem im Gesundheitswesen, bei Altersheimen, der Rechts- und Wirtschaftsberatung, der Vermögensverwaltung und den
sonstigen Dienstleistungen. Nur in Ausnahmefällen wie Dortmund oder Moers
wurden auch neue Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe geschaffen, so
zum Beispiel in der Elektrotechnik oder im Maschinenbau.
Während einige der Städte dieser Gruppe erst vor kurzer Zeit in die Phase des
Umbruchs eingetreten sind und sich noch auf einer Talfahrt befinden, nehmen
andere Städte wie zum Beispiel Herten und Dortmund schon eine positive Entwicklung auf. Sie leiden zwar immer noch unter den Auswirkungen der Strukturveränderungen, jedoch kristallisierten sich insbesondere in Dortmund inzwischen Bereiche heraus, die diese Verluste in den nächsten Jahren verstärkt ausgleichen könnten.
Fasst man diese Skizzen zusammen, so zeigt sich, dass Ursache und Wirkung
einer günstigen oder ungünstigen Entwicklung nicht leicht zu trennen sind. So ist
ein hohes durchschnittliches Bildungsniveau der Bevölkerung ein wirtschaftlicher
Standortvorteil. Gleichzeitig bringt wirtschaftlicher Wohlstand ein hohes durchschnittliches Bildungsniveau hervor. Kommunale Wirtschaftsförderung muss
daher generell breit ansetzen: sowohl bei der Gestaltung von Innenstadt und
Wohnumfeld zur Entwicklung eines attraktiven Wohn- und Lebensortes als auch
bei der Schaffung von Bildungs- und Kultureinrichtungen. Zudem ergeben sich
die Entwicklungspotenziale einer Stadt aus dem Zusammenwirken von natürlichen, unbeeinflussbaren Faktoren wie z.B. der räumlichen Lage und den
erzeugten, beeinflussbaren Faktoren wie etwa dem Branchenmix.
Die Entwicklungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass keiner der beiden Faktoren allein ausschlaggebend ist. Entgegen vorschneller Erwartungen an eine
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virtuelle Ökonomie hat vor allem die Lage im Raum, gekennzeichnet durch Verkehrswege und die Nähe zu den Oberzentren, nach wie vor eine große Bedeutung, auf welche die Wirtschaftsförderung bei der Profilbildung eingehen kann
und muss.
Für die Wirtschaftsförderung ist dabei zunächst entscheidend, dass die Profilbildung überhaupt in Angriff genommen und seitens der Städte steuernd eingegriffen wird. In großen Städten ist man hier naturgemäß konzeptionell
weiter fortgeschritten. Aber auch kleinere Städte sollten, sofern sie es nicht
bereits getan haben, rechtzeitig mit einer eigenständigen Profilbildung beginnen. Je kleiner die Stadt ist, desto eher bieten sich dafür regionale Kooperationen an.
3.5
Chancen der Städte Nordrhein-Westfalens im Wettbewerb
der Zukunft - Handlungsempfehlungen
Dass die Stadt als urbaner Raum seit geraumer Zeit zu den Verlieren des wirtschaftlichen Strukturwandels und der demografischen Entwicklung gehört, ist
eine oft vertretene These, die jedoch keine Allgemeingültigkeit beanspruchen
kann. Es ist zwar ein sowohl wirtschaftlicher als auch demografischer Suburbanisierungsprozess von den Zentren in die Peripherie nachweisbar, andererseits werden aber auch alte und neue Potenziale der Städte wieder entdeckt.
Einerseits verliert das Gravitationszentrum Stadt an Kraft und die verschiedenen
städtischen Funktionen diffundieren ins Umland.
Dies betrifft Funktionen wie:
• den Standort für die Industrie, bei der sich eine abnehmende Bedeutung
aufgrund hoher Grundstückspreise und strenger Umweltauflagen zeigt,
• den Handelsplatz, wo die Stadt verstärkt mit Standorten auf der grünen
Wiese konkurriert; in Stadtteilzentren und in den Klein- und Mittelstädten, die
vielfach unter den Glitzer-Welten auf der Grünen Wiese und in den Großstädten leiden, kann es zu weiterem Konkurrenzdruck durch E-Commerce
kommen,
• den Bildungs-, Wissenstransfer- und Kulturraum, bei denen die Bedeutung
der Stadt als Kristallisationspunkt durch die zunehmende flächendeckende
Versorgung mit diesen Infrastrukturkomponenten abnimmt,
• Wohnen, bei dem die Stadt durch die zunehmend wahrgenommenen
Umwelt- und Verkehrsbelastungen ins Hintertreffen gerät.
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Andererseits zeigen sich neben allen Unkenrufen auf die Funktion der europäischen Stadt aber gleichzeitig auch neue und alte Potenziale der Stadt:
• Eine zwar kleine - aber dennoch steigende - Bevölkerungsgruppe hat den
urbanen Lebensraum wiederentdeckt. Weiche Standortfaktoren wie das
lokale Milieu, intraregionale Netzwerke und die Qualität der räumlichen Nähe
gewinnen für bestimmte Branchen an Bedeutung.
• Der städtische Raum ist dabei mehr als bloßer Standort, er wird zum sozioökonomischen Interaktionsfeld. So breiten sich zum Beispiel Business-toConsumer-Aktivitäten (B2C) in verstädterten Räumen schneller und intensiver aus als in peripheren Regionen, in denen der Nutzen aufgrund mangelnder Zentrenerreichbarkeit eigentlich größer wäre.11
• Innenstädte mit einem größeren Einzugsgebiet - insbesondere die 1a-Lagen - haben aufgrund des Erlebnis- und Eventcharakters des Einkaufs gute
Chancen, auch bei zunehmendem Marktanteil im E-Commerce ihre Kristallisationsfunktion zu erhalten bzw. auszubauen.
• In Business-to-Business-Beziehungen (B2B) können die Städte ihre urbanen
Milieus einbringen und verfügen aufgrund der Unternehmensdichte, insbesondere im Bereich der wissensbasierten Dienstleistungen, über besondere
Potenziale bei der webbasierten Vernetzung von Unternehmen (vgl. dazu
auch die Ausführungen zum Thema E-Government in Kapitel B7).
Die Entwicklung des Handels ist insgesamt ein bipolarer Prozess: Es setzt sich
auf Dauer nur das durch, was vom Nachfrager gewünscht wird. Die Ähnlichkeit
der Konsumwelten wird vielfach nicht bewusst gewollt oder akzeptiert. Sie ist
vielmehr das Nebenprodukt preisbewussten Konsumverhaltens, das Massenproduktion und -vertrieb erforderlich macht. Die Ähnlichkeit der Konsumwelten
zwischen Düsseldorf, Singapur und Kuala Lumpur ist somit genauso wie die
Etablierung von Permanent-Räumungsverkauf-Filialisten in den 1b-Lagen ein
vom Konsumenten ausgelöster Prozess.
Das Konzentrationsmaß der Dienstleistungsproduktion ist unter anderem abhängig von ihrem Spezialisierungsgrad und der Höhe der Wertigkeit. So verteilen sich hochwertige unternehmensbezogene Dienstleistungen weniger stark in
der Fläche.12 Das urbane Milieu hat besonders für hochwertige Dienstleistungen
und hochproduktive Wirtschaftsaktivitäten eine zentrale Bedeutung.13 Zugleich
zeigt sich aber bei den unternehmensbezogenen Dienstleistungen eine zeitlich
geschichtete Diffusion ins Umland, es kommt zu komplexen Wanderungsprozessen, die mit herkömmlichen Theorien nicht mehr hinreichend erklärt werden
können.
11 Vgl. Hassenpflug 2002, S. 53ff.
12 Vgl. Neuhoff 1998, S. 50ff.
13 BBR 2000, S. 23ff.
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Neben der Verödung von Innenstädten ist auch eine Aufwertung einzelner urbaner Quartiere mit individualisiertem Einzelhandel sowie der Metropolen erkennbar. Factory Outlets entstehen weiterhin auf der Grünen Wiese, während räumlich nicht integrierte Shopping Malls ihren Zenit bereits überschritten haben
könnten. Ein gewisser Trend wieder hin zu innerstädtischen Entwicklungen ist
durchaus erkennbar (siehe Näheres zu den räumlichen Entwicklungen in Handel
und Dienstleistungen in Kapitel B4).
Entwicklungschancen und Handlungsoptionen für die sechs
ökonomischen Städtetypen
Die Entwicklungschancen der Städte in Nordrhein-Westfalen stellen sich insgesamt als dispers dar, wobei folgende Chancen und Handlungsoptionen der
sechs oben charakterisierten Städtetypen im Wettbewerb der Zukunft identifiziert werden können.
Oberzentren mit vorrangig metropolitanen und wissensbasierten
Sektoren
Die Oberzentren mit vorrangig metropolitanen und wissensbasierten Sektoren
haben gute Chancen, sich auch in Zukunft als Oberzentren mit den entsprechenden Funktionen präsentieren zu können. Ihr urbanes bzw. metropolitanes
Milieu wirkt zunehmend als wichtiger Standortfaktor, um ein kreatives, repräsentatives und attraktives Umfeld für Unternehmer zu schaffen. Eine industrielle Basis bietet auch für Metropolen nach wie vor komplementäre Wachstumschancen, jedoch muss diese nicht in
der Stadt vorhanden sein, sondern
kann auch ins Umland diffundieren.
Die Metropolen können von einer funktionsfähigen Arbeitsteilung mit ihren
komplementären Umlandstädten sogar profitieren. Sie könnten ohne dieses „Überlaufbecken“ für Dienstleistungen, Produktion und Wohnfunktion
gar nicht funktionieren. Zudem stehen
sie nicht nur untereinander, sondern
auch mit international profilierten Standorten wie Frankfurt, London oder Tokio
im Wettbewerb um Unternehmenszentralen, staatliche Organisationen und Verbände. In diesem Wettbewerb kann eine arbeitsteilige Kooperation sowohl
untereinander als auch und vor allem mit den Umlandstädten von entscheidendem Vorteil sein.
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Städte im Sog von Metropolen bei breitem Sektorprofil
Die Städte im Sog von Metropolen haben aufgrund ihrer in den letzten Jahren
ausgebauten Position eine gute Chance, sich auch weiterhin positiv zu entwickeln. Auf dieser Basis können sie zum einen die Strategie verfolgen, sich wirtschaftsstrukturell komplementär zur Metropole zu entwickeln, also in einem
möglichst abgestimmten arbeitsteiligen Prozess eine notwendige Entlastungsfunktion für die Metropolen einzunehmen. Damit würden sie sich allerdings stark
von der Entwicklung der jeweiligen Metropole selbst abhängig machen. Deshalb
ist auch die Wahrung der alten Wirtschaftsbasis aus dem produzierenden
Gewerbe weiterhin wichtig.
Als zweite Alternative könnten die Städte auf Basis ihres bereits geschärften
Profils auf das gleiche Dienstleistungsangebot wie ihre großen Nachbarstädte
setzen und mit den Vorteilen der kleinen Städte in direkter Nähe zu den großen
werben. Geht diese Strategie allerdings nicht auf, droht das Risiko zur konturlosen Stadt zu werden. Schließlich bleibt als dritte Entwicklungsalternative die
Funktion einer reinen Schlafstadt. Dabei ist dieses Profil nicht zwingend wirtschaftlich unattraktiv, zumal wenn zusätzlich die Nachfrage nach Freizeitaktivitäten und Naherholung abgeschöpft werden kann. Ländliche Idylle für Kinder
oder auch bestimmte Angebote für
Senioren könnten dabei potenzielle
Strategien sein, sich im Umland einer
Metropole zu platzieren. Eine Kombination aus der ersten und der dritten
Alternative wäre sicherlich denkbar
und ist in Städten wie Pulheim, Kerpen, Meerbusch und Ratingen auch
schon mehr oder minder Realität.
Eine enge Kooperation auch untereinander wäre hilfreich, um mit einem
gewissen Gegengewicht der Metropole gegenüber zu stehen. In diesem
Zusammenhang ist die Gewerbeflächenpolitik von besonderem Interesse, aber
auch bei Diskussionen um Betriebsverlagerungen von wachsenden Unternehmen innerhalb der Metropole bzw. ins Umland besteht Kommunikationsbedarf.
Wie bereits dargestellt wurde, sind die übrigen drei Städtetypen in ihrer Wirtschaftsstruktur (noch immer) industriell geprägt und konkurrieren daher in erster
Linie mit peripheren Räumen, die günstigere Produktionsfaktoren aufweisen.
Diese sind entsprechend dem Produktlebenszyklus zunehmend auch in den so
genannten Billiglohnländern vorzufinden. Die Stadt als idealer Standort industrieller Branchen gerät immer mehr ins Hintertreffen, wobei sie gleichzeitig als
Standort für Dienstleistungen - insbesondere für wissensbasierte - bedeutsamer
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wird. Dies heißt aber nicht, dass die industriell geprägten Städte im Strukturwandel chancenlos sind. Mit einer zukunftsfähigen Positionierung haben auch
diese Städte teilweise positive Aussichten. Durch den Ausbau des städtischen
Milieus und die weitere Profilierung als Industriestädte mit innovativer und flexibler Produktentwicklung und Produktionstechnik können diese Chancen
erhöht werden. In diesem Zusammenhang sind die Vernetzungen vor Ort auszubauen und zudem hochwertige unternehmensbezogene Dienstleistungen zu
fördern.
Städte mit eigenständigem dynamischem Dienstleistungsprofil
Auch die Chancen der Städte mit eigenständigem Dienstleistungsprofil sind
grundsätzlich positiv einzuschätzen. Die Profilierung der letzten Jahre und die
meist positive Entwicklung haben eine Basis geschaffen, von der aus sich die
Städte weiter entwickeln können. Die Städte dieses Typs haben somit gute Voraussetzungen, um alleine oder mit ihrem Umland zusammen ihre Position im
überregionalen oder auch nationalen Wettbewerb auszubauen. Die Chancen,
sich weiterhin in Richtung spezialisierte Stadt zu bewegen, sind für viele der
Städte in dieser Gruppe positiv zu bewerten. Allerdings sollte eine zu starke
Konzentration der wirtschaftsstrukturellen Bemühungen auf die dominierenden Unternehmen vermieden werden, um die Risiken in Grenzen zu halten.
Für Städte, die aufgrund zu starker
Konkurrenz oder fehlender eigener
Stärke eine eigenständige Spezialisierung langfristig nicht realisieren können, bietet sich die alternative Strategie der „Region als Stadt“ an. Dabei sollte
das Ziel verfolgt werden, die eigenen Kompetenzen in Zusammenhang mit
denen anderer Städte in der Region sinnvoll zu verknüpfen und Synergieeffekte
freizusetzen. Nur durch die in der Region aufeinander abgestimmte Planung und
Entwicklung haben diese Kommunen die Chance, im nationalen und internationalen Wettbewerb der Regionen zu bestehen.
Wollen sich die Städte dieses Typs gegen Ballungsräume behaupten, müssen
sie neben den Vorteilen der weichen Standortfaktoren wie Erholungswert vor
allem gute Bedingungen im Infrastrukturbereich bieten. Neben einer guten
Erreichbarkeit ist dies vor allem eine technische Infrastruktur für Dienstleistungen und Technologiebereiche.
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Städte industrieller Prägung bei starker Sektor- bzw.
Unternehmenskonzentration
Die Städte industrieller Prägung bei starker Sektor- bzw. Unternehmenskonzentration zeichnen sich weniger durch eine regional orientierte als vielmehr durch
eine konzernbezogene Wertschöpfungskette aus. Selbst wenn komplementäre
Funktionen am Standort vorhanden sind, kann nicht von einer Vernetzung vor
Ort ausgegangen werden. Von den dominierenden Branchen werden in Zukunft
nur geringe Beschäftigungsimpulse ausgehen. Es kann sogar ein weiterer
Beschäftigungsabbau vermutet werden, der durch Produktivitätssteigerung und
Standortverlagerungen verursacht wird.
Bei keinem anderen Stadttyp besteht eine so große Abhängigkeit von externen
Faktoren wie bei diesen Städten. So hängt die Zukunft der Stein- und Braunkohle an einem Standort in erster Linie von politischen Entscheidungen und der
daraus resultierenden Förderung ab. Auch Standortverlagerungen konzernabhängiger Unternehmen hängen eher von globalen Unternehmensstrategien ab
als von den vor Ort beeinflussbaren Standortfaktoren. Dies heißt aber nicht,
dass keine Chancen und nutzbaren Potenziale für diese Städte bestehen. Chancen liegen zum Beispiel darin, dass die starren Unternehmensstrukturen seit
einiger Zeit aufbrechen und sich gleichzeitig neue Unternehmen herausbilden.
Begünstigt wird diese Entwicklung dadurch, dass sich die Großkonzerne zunehmend auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und andere Leistungsbereiche
auslagern.
Durch den Wandel von der innerbetrieblichen zur zwischenbetrieblichen
Arbeitsteilung werden Flexibilitäts- und Innovationspotenziale frei. Chancen lassen sich auch aus der bestehenden industriellen Basis, einschließlich der Zulieferstrukturen und Absatzinfrastrukturen ableiten. Dazu ist unter Umständen eine
gemeinsame Positionierung mit benachbarten Städten sinnvoll. Zukunftsentscheidend für alle Städte dieser Gruppe ist es aber, neben der Funktion als Industriestandort auch eine Funktion als Stadt zu haben. Sie müssen sich der Herausforderung stellen, die Lebensqualität ihrer Bewohner und ihre urbanen Qualitäten zu optimieren.
Städte mit industrieller Prägung durch klein- und mittelbetriebliche Sektoren
Die spezifischen Vorteile der Städte mit industrieller Prägung durch klein- und
mittelbetriebliche Sektoren bestehen theoretisch darin, klein genug und damit
flexibel zu sein und groß genug, um Skaleneffekte zu nutzen sowie Forschung
und Entwicklung betreiben zu können. Die Defizite dieser Städte liegen jedoch
oftmals in fehlenden hochwertigen unternehmensbezogenen Dienstleistungen,
die besonders für die Schaffung eines innovativen Klimas förderlich sind. Auch
die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten werden bisher oft vernachlässigt.
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Das Vorantreiben von Forschungs- und Produktentwicklungsaktivitäten wäre
daher sinnvoll.
Die Position als spezialisierte Stadt kann einigen Städten bereits jetzt zugestanden werden, andere müssen dazu das Profil grundsätzlich schärfen. Eine Positionierung kann auch gemeinsam mit benachbarten Städten erfolgen, wodurch
die „Region als Stadt“ zum Stadtbild der Zukunft wird. Diese beiden Stadtbilder
müssen sich allerdings nicht ausschließen. In Teilgebieten ist es vielleicht sinnvoll, sich allein zu profilieren, auf anderen Gebieten dagegen bietet es sich eher
an, mit den Umlandstädten zu kooperieren.
Bei den Städten, die es nicht schaffen die notwendigen Rahmenbedingungen
richtig zu setzen und deren Branchenstruktur sich für die Zukunft als ungünstig
erweist, besteht die Gefahr, durch einen kumulativen Abwärtstrend zur fragmentierten Stadt zu werden. Für die mittelgroßen Städte ist eine Positionierung
als spezialisierte Stadt dabei oftmals nicht sinnvoll, vor allem wenn es beispielsweise um die Schaffung entsprechender Forschungsinfrastrukturen geht.
Hier ist die gemeinsame Kompetenzprofilierung mit anderen benachbarten
Städten angebracht, auch um die komplementäre Wirtschaftsstruktur gegenseitig zu nutzen.
Städte im Umbruch bei starker sektoraler Streuung
Für die Städte im Umbruch bei starker sektoraler Streuung lassen sich derzeit
noch keine eindeutigen Entwicklungstrends aufzeigen. Die Risiken bestehen für
diese Städte nicht nur prognostisch, sie haben sich ganz im Gegenteil bereits
real durchgesetzt, was sich an der überwiegend problematischen wirtschaftlichen Entwicklung dieser Städte zeigt. Aber es bestehen auch Chancen für
diese Städte: So kann die frühere industrielle Basis durchaus Motor für die
weitere Entwicklung sein, indem aus
Backward- und Forward-Linkages
neue Kompetenzen zum Beispiel in
den Bereichen Technologische Dienstleistungen, Umwelttechnik oder Labor/
Analyse entstehen.
Die wesentliche Herausforderung für
die Zukunft dieser Städte liegt in der
Tertiärisierung hin zu hochwertigen
Dienstleistungen und zu urbanen bzw. teilweise metropolitanen Funktionen.
Eine aktive Stadtpolitik hinsichtlich der wirtschaftsstrukturellen Positionierung
ist für diese Städte besonders notwendig. Auch das Entwicklungsbild der
schrumpfenden Stadt muss nicht zwingend ein Negativ-Szenario sein, sondern
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kann als Paradigma durchaus akzeptiert und positiv genutzt werden. So können
beispielsweise preislich günstige, aufgelassene Flächenkontingente in innerstädtischer Lage die Basis für innovative Entwicklungen bieten. Insbesondere
bei der kurzfristigen Verwendung von freien Flächen und Gebäuden, für die
langfristige Nutzungen gesucht werden, sind die Städte gefordert, innovative
Lösungen zu finden.
Konsequenzen für die Landespolitik
Das Land kann und sollte die Regionen bei der Wirtschaftsförderung durchaus
unterstützen. Seitens des Landes können Kompetenzfelder definiert, Kooperationen angeregt und der Wettbewerb begleitet werden. Dabei steht außer Frage,
dass die Städte vorrangig Wirtschaftsförderung aus eigener Kompetenz und auf
eigenes Risiko betreiben. Im Bereich der Wirtschaftsförderung hat das Wettbewerbsprinzip seine originäre Anwendung und Berechtigung, so dass die Landespolitik hier eher zurückhaltend agieren sollte. Damit wird nicht einer ruinösen
Kirchturmpolitik das Wort geredet; gemeint ist vielmehr der Wettbewerb zwischen größeren Regionen, innerhalb derer die beteiligten Kommunen besser
zusammenarbeiten sollten. Die Analyse und Typisierung der Städte in Nordrhein-Westfalen aus ökonomischer Sicht zeigt, dass die gelungene funktionale
Einbettung der Städte in ihr Umland bzw. ihre Verflechtung mit anderen Städten
in der Region eine wichtige Grundlage für wirtschaftliche Zukunftsperspektiven
ist.
Wichtig ist Landespolitik daher dort, wo es ein übergreifender Blick ermöglicht,
Chancen zu erkennen und den wirtschaftlichen Strukturwandel eine Zeit lang zu
begleiten. In der Regel bedeutet dies eine Unterstützung der regionalen Positionierung. Insbesondere dort, wo regionale Kooperation sinnvoll und notwendig
erscheint, liegt es an der Landespolitik, dafür die notwendigen Voraussetzungen
zu schaffen und die dafür erforderlichen Abstimmungsprozesse zwischen den
beteiligten Kommunen gegebenenfalls anregend und moderierend zu begleiten.
Dabei können und sollten durchaus Anreize, etwa finanzieller Art, für erfolgreiche Kooperationsprojekte gesetzt werden, ohne jedoch deren Inhalte und Ziele
landesseitig vorgeben zu wollen. Erfolgreiche Wirtschaftspolitik erfordert zwar
oft entsprechende Kooperation, aber erfolgreiche Kooperation erfordert gleichzeitig Freiwilligkeit und ein hohes Maß an selbstbestimmten Handlungsräumen.
Im Zweifel wissen die Kommunen und Regionen selbst am besten, wo jeweils
ihre strategischen Stärken liegen.
Mit anderen Worten: Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die aus den hier
skizzierten Szenarien zu entwickelnden Handlungsempfehlungen in erster Linie
an die Städte selbst richten. Die vom Land gesetzten Rahmenbedingungen und
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gegebenenfalls Förderpolitiken sollten im Prinzip für alle Städte gelten. Es ist
Aufgabe der verantwortlichen Stadt, in diesem Rahmen ihre komparativen Vorteile und Begabungen, aber auch Risiken zu erkennen und sich dementsprechend im Wettbewerb der Standorte zu positionieren. In der Regel wird dies
regionale Kooperationen erfordern, denn der Standortwettbewerb spielt sich
weniger zwischen einzelnen Städten und auch nicht vorrangig zwischen Stadt
und Umland ab, sondern zwischen funktional verflochtenen Regionen.
Eine wichtige Aufgabe der Landespolitik wird in Zukunft darin bestehen, diese
Regionen - gemeinsam mit den Betroffenen - zu identifizieren und die verwaltungstechnischen Voraussetzungen sowie auch Anreize dafür zu schaffen, dass
solche Kooperationen auf freiwilliger Basis zustande kommen können.
3.6
Exkurs: Bedeutungszuwachs von Informations- und
Kommunikationstechnologien
Neben dem allgemeinen ökonomischen Strukturwandel hat die technologische
Entwicklung eine besondere Bedeutung für die Zukunft der Städte. Die Informations- und Kommunikationstechnologien greifen als Querschnittstechnologien in nahezu alle Bereiche des täglichen Lebens ein.
Diese Technologien haben vor allem in den Bereichen der Übertragungsgeschwindigkeit und der Mobilität von Endgeräten in den letzten Jahren wesentliche Fortschritte erbracht. Das Zusammentreffen dieser beiden Entwicklungen
setzt ein großes Potenzial wirtschaftlicher Effizienzsteigerung frei, deren Effekte
bereits heute spürbar sind. Waren die Effekte zunächst nur von betriebswirtschaftlichem Interesse, so sind inzwischen auch sich daran anschließende Auswirkungen auf die Volkswirtschaft sowie auf die Städte und hier insbesondere
die Stadtentwicklung zu erkennen.
Der verstärkte Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien ist
mit einer Reihe von strukturellen Veränderungen der Funktion Arbeiten verbunden.
Dazu gehören insbesondere
• die Flexibilisierung von Arbeitsorten und Arbeitszeiten und
• die Veränderung von Wertschöpfungsketten.
Diese Veränderungen der Arbeitsteilung können innerhalb des Städtesystems
mit erheblichen räumlich funktionalen Veränderungen verbunden sein. Diese
Veränderungen werden die Städte in Nordrhein-Westfalen aber nur in ausgewählten Bereichen betreffen.
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Abb. 2: Einbindung der wichtigsten Knoten des World City Networks
Anmerkung: Dargestellt ist die relative „network connectivity“ von einzelnen Städten bezogen auf
die Unternehmensvernetzung von hundert weltweit agierenden Dienstleistungsunternehmen
gemessen an den World Cities New York und London
Quelle: Taylor/Catalano/Walker 2002
Die Informations- und Kommunikationstechnologien unterstützen einen Hierarchisierungsschub nationaler und internationaler Städtenetze, der mit der seit
Anfang der 1980er Jahre diagnostizierten veränderten Arbeitsteilung international agierender Großunternehmen verbunden ist.14 Zumindest in Städten, die
stärker in internationale Austauschprozesse eingebunden sind, sind Konzentrationsprozesse von hoch spezialisierten Funktionen in Ballungsräumen von Global Cities zu beobachten, die sich vermutlich fortsetzen werden.15 Die Städte
sind Knoten in einem Netz von Wirtschaftsstandorten, das die räumliche Logik
der Nationalstaaten überlagert, und sie treten in den direkten Wettbewerb unter-
14 Floeting/Henckel 1993.
15 Sassen 1991; Sassen 1994; Castells 1996, S. 378ff; Kurnol/Lorenz-Hennig 1998.
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einander. Die Konzentration spiegelt dabei eine Hierarchie unterschiedlicher
Ebenen wider, auf denen sich städtische Zentren befinden.
Die Hervorhebung von Besonderheiten in diesem Standortwettbewerb bedarf
der Kommunikation von Bildern, von Images. Nicht zufällig ist deswegen gegenwärtig und auf absehbare Zeit Stadtmarketing und die Durchführung von Imagekampagnen ein wesentliches kommunales Betätigungsfeld - auch die „Festivalisierung“ von Städten gehört dazu. Hinzu treten Großprojekte, die im internationalen Standortwettbewerb um Unternehmen und Investoren auffallen und
dabei das Thema Informations- und Kommunikationstechnologie aufgreifen
(Hafencity Hamburg, Messestadt München, Wissenschaftsstadt Berlin-Adlershof, MediaPark Köln, E-City Dortmund, Medienhafen Düsseldorf etc.). In der
Literatur werden für Deutschland bisher vor allem Frankfurt am Main, in einigen
Untersuchungen auch Hamburg und München als Global Cities benannt.16
In Nordrhein-Westfalen kann man Konzentrationsprozesse hoch spezialisierter
Funktionen vor allem im Kölner und Düsseldorfer Raum beobachten. Beide
Städte gehören - gemessen an der Einbindung in das Netzwerk weltweit agierender Dienstleistungsunternehmen - zu den zehn deutschen Städten mit der
höchsten „network connectivity“ (vgl. Abb. 2).17 Von einem Global-City-Phänomen kann man aufgrund der fehlenden Dominanz der globalen gegenüber den
europäischen, nationalen und regionalen Einflussfaktoren aber kaum sprechen.
Zwar entstehen Disparitäten zwischen den Steuerungszentralen und den
abhängigen Regionen, und es kann zu einer Vergrößerung der regionalen Disparitäten infolge der Spezialisierung von Standorten kommen. Zu erwarten ist
auch, dass es in verstärktem Maße von der Entwicklung abgehängte Resträume
geben könnte, also ungünstig strukturierte Regionen, die damit in eine dauerhafte Spirale der Abwärtsentwicklung kommen.18 Die breite Verteilung von
Funktionen über das Städtesystem, Städtenetze mit komplementären Funktionen und Kompetenzverteilungen sowie bestehende Spezialisierungen werden
aber weiter bestehen.19 Anders als in vielen anderen europäischen Ländern
oder den USA gibt es in Deutschland keine Konzentration auf ein herausgehobenes Zentrum. Trotz einiger räumlicher Entwicklungsunterschiede im Bereich
der Informations- und Kommunikationstechnik sind die großen deutschen Städte weitgehend ähnlich ausgestattet.
Trotz des Zugewinns an Standortfreiheit von Unternehmen bleiben doch vorhandene Standortstrukturen bestehen. Mit einem stärker umsatzorientierten
16 van Beaverstock/Hoyler/Pain/Taylor 2001.
17 Taylor 2001; Taylor/Catalano/Walker 2002.
18 Floeting/Henckel 1993; Gareis/Kordey/Korte 2002; Mitchell 1995.
19 Floeting/Grabow 1998.
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Abb. 3: Internet- und E-Commerce-Gründungen in Nordrhein-Westfalen 1993 bis 2000
Quelle: Stiftungslehrstuhl für Gründungsmanagement und Entrepreneurship European Business
School 2001
Ausbau der Telekommunikationsinfrastruktur wird eine Konzentration der Angebote in ertragsstarken Räumen wahrscheinlich sein. Seit langem erwirtschaften
Telekommunikationscarrier etwa die Hälfte ihrer Umsätze mit wenigen ihrer Kunden.
Vor allem große Unternehmen und Organisationen sind also für sie interessant.
Gerade die Städte, die Standorte dieser Unternehmen und Einrichtungen sind,
werden also von den verbesserten Telekommunikationsangeboten profitieren.
Umgekehrt fehlt den ländlichen Bereichen oft die ergänzungsfähige Wirtschaftsstruktur, die eine Erschließung der Entwicklungspotenziale erst ermöglicht. Es bestehen zudem keine Anzeichen dafür, dass Telearbeit diese Entwicklung nennenswert umkehren könnte. Auch auf der Ebene der einzelnen Stadt
kann die Flexibilisierung des Arbeitsortes erhebliche Auswirkungen haben. Für
die Teilräume der Städte können sich ganz unterschiedliche Entwicklungsperspektiven ergeben.
Der Gründerboom in den Jahren 1993 bis 2000 im Internet- und E-CommerceBereich hat auch in Deutschland zu einer Dynamisierung der Standortentwicklung geführt, die sich zunächst in einem sprunghaften Anstieg von Unternehmensgründungen und Arbeitsplätzen niederschlug. So sind in diesem Bereich
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Ökonomische Potenziale
rund 15.000 neue Unternehmen und etwa 200.000 Arbeitsplätze entstanden.
Zwar ist ab dem Jahr 2000 der quantitativ messbare Effekt stark zurückgegangen, es hat sich gleichwohl auch in Nordrhein-Westfalen dauerhaft ein Informations- und Kommunikations-Sektor mit erheblichem Einkommens- und Innovationspotenzial herausgebildet (vgl. Abb. 3). Auf diesem nunmehr weitgehend
stabilisierten Kern kann die Stadtentwicklungspolitik aufbauen. Mit einem Fünftel der Gründerunternehmen entfiel der größte Anteil auf die Region Rhein-Ruhr.
In Nordrhein-Westfalen haben besonders Köln mit 4,4 Prozent und Düsseldorf
mit 3,1 Prozent aller Internet- bzw. E-Commerce-Gründungen in Deutschland
von dem Gründerboom profitiert. Aber auch andere Regionen in NordrheinWestfalen wie Wuppertal, Dortmund, Bonn, Duisburg oder Aachen konnten
davon profitieren.20 Mit dem Gründungsboom war die Entwicklung spezifischer
kleinräumiger Standorte in einzelnen Städten verbunden, in denen sich kreative
Milieus entwickelt haben. Technologische Entwicklungen werden auch in
Zukunft das Gründungsgeschehen beeinflussen. Die Entwicklung neuer kreativer Milieus zeigt sich in den Städten unter anderem in der Umnutzung überkommener Baustrukturen und in spezifischen Gentrifizierungsprozessen.
In den Verdichtungsräumen ist seit Jahren ein stabiler Trend einer Suburbanisierung von Dienstleistungen zu beobachten.21 Durch die Möglichkeiten verbesserter telekommunikativer Anbindungen wird dieser Prozess eher gefördert
und sich daher vermutlich kaum abschwächen. Vor allem suburbane Zentren
werden die Gewinner solcher Dekonzentrationsbewegungen sein.
Gefährdet sind suburbane Zentren aber dann, wenn die bisher hier verorteten,
nachgeordneten und stark routinisierten Wirtschaftsabläufe, z.B. im Rahmen
von Off-Shore-Telearbeit, ins Ausland verlagert werden. In jüngster Zeit stellen
Untersuchungen für die zweite Hälfte der 1990er Jahre eine grundlegende Veränderung in der Entwicklung der räumlichen Arbeitsteilung fest. Das zeigt sich
darin, dass der über Jahrzehnte anhaltende Prozess der Dezentralisierung zum
Stillstand gekommen scheint. Damit deutet sich eine Stabilisierung der urbanen
Zentren in der räumlichen Arbeitsteilung an.
Wohnquartiere können durch verstärkte Teleheimarbeit auch als Arbeitsorte an
Bedeutung gewinnen. Es ließen sich neue Potenziale der Nutzungsmischung
erschließen. Bei der derzeitigen und zu erwartenden Verbreitung der Telearbeit
in ihren verschiedenen Formen werden diese Prozesse aber auf absehbare Zeit
vermutlich nur zu marginalen Veränderungen führen.22 Einzelne Projekte greifen
20 Stiftungslehrstuhl für Gründungsmanagement und Entrepreneurship European Business School
2001.
21 Vgl. Bade 1996.
22 Vgl. Korte 1996.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
diese Potenziale aber explizit auf und versuchen, in diesem Rahmen neue
Mischnutzungskonzepte zu realisieren.
Durch die Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnologien
kann es zu einem sozialen Polarisierungsschub kommen. Die neuen informationstechnisch unterstützten Organisationskonzepte der Wirtschaft setzen auf
höhere Qualifikationen und Flexibilität der Arbeitnehmer. Die Städte spüren dies
bereits und werden es noch stärker spüren bei einer wachsenden sozialen
Segregation und in Form von wachsenden sozialen Lasten.23 Besonders deutlich wird dies auch in Wohngebieten werden.
Im informationstechnischen Bereich wird diese Ausgrenzung als „digitale Spaltung“ sichtbar zwischen Bevölkerungsgruppen, die den Zugang zu den modernen Kommunikationsmedien haben, und jenen, die längerfristig ausgegrenzt
sind. Zwar verfügen 44 Prozent aller Haushalte in Nordrhein-Westfalen bereits
heute über einen Internetanschluss, dennoch wird es noch längere Zeit Haushalte geben, die das Internet nicht nutzen können. Die Nutzung ist immer noch
sozial sehr selektiv, obwohl mittlerweile nicht mehr mehrheitlich gut gebildete,
gut verdienende männliche Nutzer die Hauptnutzergruppe des Internets darstellen. Neueste Untersuchungen zeigen, dass vor allem Haushalte mit Kindern
zu den Nutzern neuer Informations- und Kommunikationstechnologien gehören.
Während 85 Prozent der Haushalte mit Kindern in Nordrhein-Westfalen einen
Computer besitzen, sind es bei Haushalten ohne Kinder nur 49 Prozent. Auch
der eigene Internetanschluss ist in Haushalten mit Kindern mit 63 Prozent fast
doppelt so häufig vorhanden wie in kinderlosen Haushalten mit 37 Prozent.24
Konsequenzen für die Politik und Handlungsempfehlungen
Der Umgang mit dem Thema Neue Medien und Stadtentwicklung wird bisher
sehr stark von technischen Leitbildern und Pilotprojekten geprägt. Sinnvoller für
eine Weiterentwicklung von Städtebau und Stadtentwicklungspolitik erscheint
aber eine Verknüpfung technologischer Konzepte und Projekte mit konkreten
Fragestellungen der Stadtentwicklung. Eine normative und strategische Auseinandersetzung mit dem technologisch Möglichen in Verbindung mit der Diskussion um das gesellschaftlich Sinnvolle und Erwünschte ist unabdingbar, um
gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu vermeiden und um mittel- und langfristig
vom Nutzen dieser Technologien zu profitieren.
23 Floeting/Henckel 1993.
24 LDS NRW, Pressemitteilung vom 4. März 2003.
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Ökonomische Potenziale
Das vorhandene Wissen über erfolgreiche Beispiele sollte besser erschlossen
und der Fachöffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Dies könnte etwa über
den Aufbau einer internet-gestützten Datenbank von Good Practices geschehen. An Beispielsammlungen fehlt es dabei kaum, wohl aber an bewerteten und
vergleichbaren Informationen. Das Einbeziehen internationaler Erfahrungen sollte in stärkerem Maß erfolgen. Dies kann durch eine Verbesserung des Erfahrungsaustauschs von Experten ebenso geschehen wie durch das Einbeziehen
internationaler Good Practices.
Es gibt keine lineare Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen der Entwicklung
der Informations- und Kommunikationstechnologie und der Stadtentwicklung.
Die Wirkungen der Technologien sind vielmehr vermittelt. Dementsprechend
bestehen Gestaltungspotenziale, die bisher aber nur unzureichend erschlossen
werden. Dies liegt vor allem daran, dass deutliche Trennungen zwischen den
Sphären Technologie und Stadtentwicklung bestehen. Die Stadtentwicklungspolitik hat in den meisten deutschen Städten bisher kaum inhaltlichen oder strategischen Zugang zum Thema Informations- und Kommunikations-Technologien als Vehikel für Stadtentwicklungsprozesse. Dies gilt auch für die Städte und
Gemeinden Nordrhein-Westfalens, wenngleich dort eine Reihe von Vorreiterstädten zu finden ist. Nur in einigen wenigen Städten hat man sich in den vergangenen Jahren umfassend dem Thema gewidmet und eine technologieorientierte Stadtentwicklungspolitik verfolgt.
In den Kommunen wurden allenfalls zahlreiche Ideen für Ansatzpunkte technologieorientierter Stadtentwicklungskonzepte entwickelt. Häufig fehlt es aber an
einem konkreten Anlass oder an der Zeit zur Beschäftigung mit dem Thema. Es
muss als Aufgabe der Stadtentwicklung häufig erst definiert werden. Eine sinnvolle Maßnahme zur Förderung technologieorientierter Stadtentwicklungskonzepte wäre daher beispielsweise die Auslobung eines Städtewettbewerbs zu
diesem Thema. Erfahrungen anderer Städtewettbewerbe haben gezeigt, dass
deren Nutzung deutlich über die Förderung konkreter Projekte in wenigen Preisträgerstädten hinausgeht, da die Diskussion in allen Städten, die sich am Wettbewerb beteiligen, angestoßen wird, das Bewusstsein für die Relevanz des Themas wächst, persönliche und institutionelle Netzwerke entstehen und auch
unabhängig von einer externen Förderung entwickelte Konzepte umgesetzt
werden.
Von besonderer Bedeutung in der Wissensgesellschaft wird gerade das aktive
Einbeziehen von Bildungseinrichtungen in Stadtentwicklungs- und Stadterneuerungskonzepte sein. Dies betrifft gerade auch Angebote der Informations- und
Kommunikationstechnologie. Beispiele einer gelungenen Umsetzung sind bisher aber noch rar. Für das Land Nordrhein-Westfalen bestünden hier weitere
Profilierungspotenziale im Sinne einer integrierten Medien-, Kommunikationsund Stadtentwicklungspolitik.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
B4 Stadtentwicklung
und Landesplanung im Zeichen
räumlicher Entwicklungen
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4.1
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Das Leitbild der Zentralen Orte
Neben dem Leitbild der Europäischen Stadt, das auch in aktuellen Diskussionen
trotz aller Veränderungen immer noch eine wesentliche Rolle spielt, hat es über
Jahrzehnte auch für die Raumordnung ein Leitbild gegeben, das sich historisch
aus den Untersuchungen von Walter Christaller in den 1930er Jahren entwickelt hat. Christaller hat damals, bei relativ idealen Rahmenbedingungen, in
empirischen Untersuchungen ein klar strukturiertes räumliches Muster der Zentrenbildung festgestellt. Im Rahmen der Formalisierung und Kodifizierung der
Raumordnung, Landes- und Regionalplanung in den 1960er Jahren, wurde aus
diesen Grundgedanken ein räumliches Ordnungskonzept entwickelt und in
Gesetzen festgeschrieben, das bis heute Gültigkeit hat. Unter dem Raumordnungsziel der gleichwertigen Lebensbedingungen sollte sich ein hierarchisch
geordnetes Netz von Zentren entwickeln. Um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse herzustellen, werden Ziele hinsichtlich der Funktion und Infrastrukturausstattung der Zentren und leistungsfähiger Verbindungsachsen definiert.
Gleichzeitig sollten bei diesem Konzept negative Entwicklungen, wie die von
Bandstädten oder von unstrukturierten Siedlungsteppichen, vermieden werden.
Die Kritik an dieser Grundkonzeption ist genau so alt wie die Konzeption selbst,
allerdings haben die kritischen Bemerkungen in den letzten Jahren zugenom99
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
men. Eine genaue Betrachtung der Entwicklungen in Nordrhein-Westfalen zeigt,
dass die tradierte Zentrenstruktur durch die Prozesse der Suburbanisierung an
Bedeutung verloren hat, und zwar bereits seit dem Zeitpunkt ihrer Einführung.
Unabhängig von der Frage, ob ein wie auch immer konstruiertes zentralörtliches
System künftig noch als Erklärungs- oder Steuerungsmodell für regionale Entwicklung taugt, ist festzustellen: Dieses System ist „jedenfalls nicht mehr die
planerische Allzweckwaffe“.1
4.2
Instrumente der Landesplanung in Nordrhein-Westfalen
Ganz pauschal ist bei den Steuerungsmöglichkeiten des Landes zwischen
restriktiven und befördernden Instrumenten zu unterscheiden. Auf der begrenzenden Seite steht dem Land das gesamte gesetzliche und planerische Instrumentarium der Landes- und Regionalplanung einschließlich der einschlägigen
Durchsetzungsinstrumente zur Verfügung. In der Praxis wirkt dieses Instrumentarium in erster Linie durch die Planung; landesplanerische Zwangsinstrumente
werden selten angewandt.2
Die planerischen Instrumente, das heißt die Landes- und Gebietsentwicklungspläne stehen seit jeher in der Diskussion. Aus kommunaler Sicht weisen sie häufig zu wenig Entwicklungsflächen aus, aus der Sicht übergeordneter Stellen insbesondere des Umweltsektors sollte der Flächenverbrauch hingegen noch weitreichender eingeschränkt werden. Die konkrete Umsetzung erfolgt letztendlich
über die Anpassungsregelung im Landesplanungsgesetz. Diese Regelung ist ein
rein reaktives Instrument, das heißt, sie greift nur, wenn die Gemeinde ihrerseits
eine Planungsabsicht verfolgt und dementsprechend pflichtgemäß bei der Bezirksplanungsbehörde anfragt.
In der planerischen Praxis hat dieses bestehende Instrumentarium nur begrenzte Wirkung, was an der aktuellen Siedlungsentwicklung abgelesen werden kann.
Landes- und Regionalplanung müssen aus juristischen, planerischen und ökonomischen Gründen den Gemeinden Entwicklungsspielräume und Entscheidungsalternativen belassen. Insofern stößt das landesplanerische Instrumentarium mit seinem überwiegend flächenorientierten Grundansatz an Grenzen, da
es letztendlich die nachhaltigen Funktionsverlagerungen im Rahmen der Suburbanisierungsprozesse nicht aufzuhalten vermag.
Der grundsätzlich andere und ebenso bis heute gültige Weg führt über Förderinstrumente. Die traditionelle Städtebauförderung ist, bei aktuell deutlich ver1
Blotevogel 2000.
2
So z.B. zur Anpassung des Flächennutzungsplans nach Landesplanungsgesetz.
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Räumliche Entwicklung
ringertem Volumen, in aller Regel eine Förderung für die unterschiedlichsten
Formen von Infrastruktur. Darüber hinaus gab und gibt es spezielle Fördertöpfe
für bestimmte Fachbereiche wie Schulen oder Sportstätten. In diesen Bereichen
ist ein Trend zur Pauschalierung und damit zur Dezentralisierung erkennbar.
Diese Förderinstrumente haben nur eine sehr begrenzte regionalpolitische Bedeutung erlangt. Zum Teil sind sie schlicht flächendeckend angelegt, da der
Grundsatz der gleichwertigen Lebensbedingungen zu beachten ist: Wenn Siedlungen existieren und Menschen dort wohnen, müssen beispielsweise Schulfördermittel fließen, unabhängig vom Standort der Schule. In anderen Fällen ergänzen sich verschiedene Förderinstrumente räumlich. Was etwa für die städtischen Bereiche die Städtebauförderung war, war in ländlichen Ortsteilen die
Dorferneuerung.
Die Wohnraumförderung enthält ebenfalls keine Komponenten, die eine regionalplanerische Steuerung ermöglichen würden. Die Frage, ob die Wohnraumförderung hierfür überhaupt das geeignete Instrument darstellt, bleibt offen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die bestehenden Förderinstrumente des Landes allenfalls sehr begrenzt wirksame regionalplanerische Ansätze enthalten. In keinem Fall sind sie heute in der Lage, die negativen Effekte der
Suburbanisierung zu verhindern.
4.3
Entwicklungen nordrhein-westfälischer
Landesplanungspolitik
Das Konzept der Zentralen Orte wird aktuell in vielfacher Hinsicht als Leitbild für
die nordrhein-westfälische Landesplanung infrage gestellt. In besonders deutlicher Form ist dies mit dem Landesplanungsbericht vom November 2001
geschehen. Ein Blick einige Jahre zurück zeigt aber bereits Mitte der 1990er
Jahre einen entscheidenden Schritt: Mit der Einführung der Metropolregionen im
Jahr 1995 hat die Ministerkonferenz für Raumordnung die bisherigen Grundsätze erstmals und auch recht deutlich relativiert. Unterschiede sollten demnach
nicht mehr ausgeglichen, sondern im Gegenteil ausdrücklich profiliert werden.3
Dabei ist allerdings zu bemerken, dass die Unterschiede in der räumlichen Ausstattung zwischen ländlichen Räumen und Stadtzentren im Jahr 1995 nicht
mehr die gravierende Dimension aufwiesen wie in den 1960er Jahren. Ein Mindeststandard gleichwertiger Lebensverhältnisse war zu diesem Zeitpunkt weitgehend flächendeckend erreicht. Gleichzeitig hat sich die Infrastruktur zur
3
Stiens 2000, S. 526.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Deckung des täglichen Bedarfs in den Grundzentren spürbar ausgedünnt und
neue Disparitäten zwischen dynamischen und stagnierenden Regionen und Teilräumen sind entstanden.
Ob das Instrument der Metropolregionen in der Tat die richtige Reaktion auf die
Globalisierungsprozesse war bzw. ist oder nicht, mag dahingestellt bleiben.
Stiens zweifelt dies beispielsweise deutlich an. Er hält eine besser funktionierende innere Struktur von Regionen für erforderlich, um ihr Handeln besser zu
koordinieren und bei konkreten Projekten effektiver zu kooperieren.4
Auf der anderen Seite sind die Prozesse der Globalisierung mit allen Konsequenzen nicht aufzuhalten und erfordern eine Reaktion. Wird aus einem anderen europäischen Staat oder gar aus einem anderen Kontinent ein Standort in
Deutschland gesucht, ist der regionale Fokus ein völlig anderer als aus dem hiesigen Blickwinkel. Eine Region hat dann durchaus eine Ausdehnung von mehreren hundert Kilometern, und wenn sie den Standortwettbewerb gewinnen will,
muss sie in diesem großen Bereich über alle kommunalen, Bezirks- und gegebenenfalls auch Ländergrenzen hinweg den optimalen Standort präsentieren.
Dabei werden Metropolregionen nach wie vor mit ihren Metropolstädten identifiziert. Genau hier aber liegt ein charakteristisches Problem der Region RheinRuhr, die mit ihrer polyzentrischen Struktur aus selbstbewussten, auf Eigenständigkeit bedachten Zentren keine echte international bekannte Metropole als
Zentrum besitzt. Die heutige Vertretung über den Kommunalverband Ruhrgebiet
(KVR) zeigt dieses Dilemma und macht deutlich, dass zu einer ruhmvollen
Region Rhein-Ruhr noch manche Schritte erforderlich sind.
Fest steht allerdings, dass Produktion wie Dienstleistungen heute stärker
arbeitsteilig und inzwischen häufig auch international organisiert werden. Als
Beispiel sei die internationale Arbeitsteilung in der Pkw-Produktion genannt. Ein
großräumiger Wettbewerb der Regionen entsteht, auf den Akteure aller Ebenen
reagieren müssen, wenn sie auch nur wenig steuernden Einfluss behalten wollen. Derartige grundsätzliche Entwicklungen können nicht ohne Auswirkungen
auf geltende Zielsysteme und Handlungsmuster bleiben.
Einen wichtigen Schritt machte 1997 Sieverts, indem er die bisherige „Suburbia“
aus ihrer undefinierten Rolle zwischen konzentriertem Kern und ländlicher Zone
herausholte und ihr mit der eigenen Bezeichnung der Zwischenstadt erstmalig
auch eine Art eigener Identität vermittelte.5 Damit war nicht nur die Basis für
eine deutlich breiter angelegte, vertiefte Erkenntnis über die Siedlungsform
gelegt. Nicht zuletzt die Tatsache, dass Sieverts die Zwischenstadt nicht gene-
4
Stiens 2000, S. 532.
5
Sieverts 1999.
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Räumliche Entwicklung
rell als schlecht und als Fehlentwicklung verdammte, schuf eine Basis für eine
konstruktivere Auseinandersetzung mit der Aufgabenstellung und für die
Erkenntnis, dass Ignoranz oder pauschale Ablehnung einer inzwischen so
umfangreichen und ausdifferenzierten Siedlungsform nicht gerecht werden. Vor
diesem Hintergrund soll im weiteren Text der Begriff „Zwischenstadt“ verwendet
werden.
4.4
Ausprägungen der räumlichen Dekonzentration
in Nordrhein-Westfalen
Noch in den 1960er und bis in die 1970er Jahre waren die Lebensbedingungen
in den ländlichen Räumen auch im weiteren Umland der Großstädte ganz andere als in der Kernstadt.6 In vielfältiger Hinsicht fand sich dort noch eine andere
Welt: Arbeitsplätze konzentrierten sich, wenn sie nicht gezielten Bezug zu landwirtschaftlichen Strukturen oder Rohstoffvorkommen hatten, in wenigen Bereichen. Eigenversorgung stand im Mittelpunkt. Das Wohnungsangebot war
begrenzt, Bildungs- und Kulturangebote nur sehr einseitig. Die Stadt war zu dieser Zeit noch Symbol für andere Lebensweisen, für Toleranz, Integration und
Demokratie.
Ein erster wesentlicher Anlass zur Änderung dieser Situation liegt in der Massenmotorisierung der 1960er Jahre. Der Aktionsradius der Menschen erweiterte
sich schlagartig und war auch nicht mehr auf die Netze der öffentlichen Verkehrsangebote beschränkt. Leistungsfähige Fernstraßen wurden allerorten
errichtet und hatten nachhaltige Folgen für die Siedlungsentwicklung. Gleichzeitig verloren die überkommenen Industriewelten an Bedeutung. Traditionelle
Industriezweige wie die Montan- oder die Textilindustrie gerieten in massive
Strukturkrisen; nicht allein daraus entstanden in vielen Städten deutliche soziale Problemlagen. Die Umweltsituation unterschied sich sehr deutlich vom (vermeintlichen?) Idealzustand „auf dem Lande“.
Erste Suburbanisierungsschritte wurden getan, und mit diesen veränderte sich
der ländliche Bereich. Mit dem Zuzug der Menschen aus der Stadt kam neue
Infrastruktur, die im Zuge der Bemühungen um gleichwertige Lebensbedingungen neue Qualitäten schaffte, die bisher in den ländlichen Zonen unbekannt
gewesen waren. Das Wohnungsangebot wurde ausdifferenziert. Waren es
zunächst neben wenigen Großprojekten im näheren Umfeld der Städte überwiegend die Häuslebauer, die sich das sprichwörtliche Eigenheim im Grünen
errichteten, entstanden später und entstehen noch heute ebenso Eigentumsund Mietwohnungen.
6
Aring 2001, S. 124.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Mit der Bevölkerung kamen schnell die Wohnfolge-Arbeitsplätze. Recht bald
erkannten aber auch andere Branchen die Ansiedlungsmöglichkeiten, so dass
sich im Laufe der Zeit ein vielfältiges Arbeitsplatzangebot einschließlich der
dazugehörigen beruflichen Ausbildungsplätze entwickelte. Hierzu leisteten nicht
nur die günstigen Bodenpreise, sondern auch moderne Kommunikationstechnologien, die Flächenknappheit in den Ballungsräumen und der allgemeine wirtschaftliche Strukturwandel ihren maßgeblichen Beitrag.
Wohnen und Arbeitsplätze zogen Bildungseinrichtungen und auch kulturelle
Angebote nach sich. Unter dem Gebot gleichwertiger Lebensverhältnisse sollten auch Menschen in den ländlichen Zonen einen Zugang zu hochwertigen Bildungseinrichtungen erhalten, weshalb nicht nur weiterführende Schulen, oft in
Form von Schulzentren, sondern auch Fachhochschulen etc. errichtet wurden
(unter anderem in Bocholt). Manches interessante historische Gebäude erhielt
mit starker öffentlicher Förderung eine kulturelle Nutzung und erweist sich heute
als Publikumsmagnet (z.B. Schloss Moyland, Schloss Nordkirchen).
Mit diesen Entwicklungen verbunden war eine veränderte Sozialstruktur. Soziale Muster und Problemlagen der Ballungsräume wurden auf die ländlichen
Zonen übertragen. Auch der Ausländeranteil stieg und erreicht heute Dimensionen, wie sie früher für Kernstädte typisch waren. Ursache hierfür sind nicht
Zuwanderungen, sondern vor allem
Geburtenüberschüsse und Familiennachzüge. Dennoch kann bis heute
festgehalten werden, dass das Umland
in seinen Strukturen homogener, überschaubarer und ruhiger geblieben ist.
Durch einen Wegzug „auf’s Land“ kann
man also nach wie vor quasi „die Zeit
anhalten“. Im Umland kann man in
Strukturen weiterleben, die in den
1970er und 1980er Jahren in den Großstädten anzutreffen waren. Auch die
Stadt hat sich zwischenzeitlich weiter entwickelt. Soziale Probleme haben
zugenommen, gleichzeitig ist mit der Nivellierung der Lebensverhältnisse und
den bekannten ökonomischen Problemen der besondere Vorzug städtischen
Lebens entfallen. Die Städte haben ihren „utopischen Gehalt“ verloren und ihre
Funktion beschränkt sich heute mehr und mehr auf die „konsumierbare Urbanität“.
Führt man nun gedanklich die Entwicklungen der Ballungskerne und ihres
Umlandes wieder zusammen, so ergibt sich, wie Sieverts zutreffend formuliert,
eine hoch komplexe und vielgestaltige Landschaft, die Bereiche mit sehr unterschiedlicher Begabung umfasst. Er weist damit darauf hin, dass heutige Anforderungen an den Siedlungsraum so stark ausdifferenziert sind, dass es auch
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Räumliche Entwicklung
einer ausdifferenzierten Landschaft mit einer solchen Vielzahl an Funktionen
bedarf. Er erwähnt in diesem Zusammenhang die Bemühungen im Rahmen der
Internationalen Bauausstellung Emscher Park, diese sehr komplexe, „verschlüsselte“ Landschaft wieder „lesbar“ zu machen und gibt damit einen ersten
Hinweis zum künftigen Umgang mit der Zwischenstadt.7
Aring bezeichnet diese Ausdifferenzierung als „Reifeprozess“.8 Damit wird deutlich, dass die Stadtumlandwanderungen nicht alleine nur im Spiegel der Zahlen
über Bevölkerungs- und Arbeitsplatzwanderungen zu betrachten sind, sondern
dass grundsätzliche strukturelle Veränderungen und dementsprechend auch
komplexe Erklärungsmuster für diese Wanderungen vorliegen. Die Entstehung
eines ausdifferenzierten und viele Funktionen erfüllenden Stadtumlands geht auf
ein ebenso komplexes Muster an Wanderungsmotiven, bestehend aus Pushund Pullfaktoren, zurück und lässt sich in großen Teilen nicht mehr mit der vierköpfigen Standardfamilie erklären, die in den 1960er oder 1970er Jahren das
Einfamilienhaus auf dem Lande errichtete. Im Ergebnis entsteht eine vielschichtige Städtelandschaft, in der sich einerseits die herausgehobene Bedeutung der
Ober- und Mittelzentren relativiert, in der aber andererseits die Deckung des
täglichen Bedarfs im Nahbereich der Grundzentren durch Konzentrationsprozesse und Verlagerungen an die Peripherie erschwert wird. Trotz des generellen
Angleichs der Lebensverhältnisse zwischen ländlichem Raum und Stadtzentren
entstehen neue Disparitäten zwischen Regionen und innerhalb von Teilräumen.
4.4.1 Kategorisierung von Gemeindetypen
Das Phänomen der Stadtumlandwanderung kann in Nordrhein-Westfalen nicht
als einheitlicher Prozess für alle Städte bzw. Stadtregionen gezeichnet werden.
In der Suburbia der Zentren bildet sich nicht zwangsläufig die Zwischenstadt
heraus. Vielmehr lassen sich unterschiedliche Entwicklungen bei den räumlichen Veränderungen von Bevölkerung und Arbeitsplätzen feststellen, die aber
bei der nachfolgenden systematischen Betrachtung das bereits erwähnte
Grundmuster eines Reifeprozesses aufweisen.
Auf der Basis einer einfachen, lageabhängigen Kategorisierung, die auf die
Siedlungskategorien des Landesentwicklungsplans (LEP) Nordrhein-Westfalen
aufbaut, sind sechs Gemeindetypen auszumachen. Diese Typisierung umfasst
mit den Ballungsräumen und den Mittelstädten zwei Kernstadttypen sowie drei
suburbane Raumtypen, die sich abgestuft um die jeweiligen Kerne bilden. Eine
restliche Gruppe von peripheren Kommunen lässt sich keiner dieser Kategorien
zuordnen (siehe Abb. 1).
7
Sieverts 1999, S. 139.
8
Aring 2001.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
BIELEFELD
MÜNSTER
DORTMUND
DUISBURG
ESSEN
ARNSBERG
DÜSSELDORF
KÖLN
SIEGEN
AACHEN
BONN
Abb. 1: Lage der Siedlungstypen in Nordrhein-Westfalen
Quelle: Aring
Großstadtzentren
• Ballungskern-Kommunen nach LEP Nordrhein-Westfalen
• Solitäre Verdichtungsgebiete laut LEP Nordrhein-Westfalen (Städte Aachen,
Siegen, Paderborn, Bielefeld, Münster)
• Stadt Hamm (zählt über 100.000 Einwohner und hat eine montanindustrielle
Vergangenheit)
Erster Suburbia- bzw. Umlandring um Großstadtzentren
• Ballungsrandzone nach LEP Nordrhein-Westfalen
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Räumliche Entwicklung
Zweiter Suburbia- bzw. Umlandring um Großstadtzentren
• Gemeinden, die unmittelbar an die Ballungsrandzone oder an die Städte
Paderborn, Bielefeld, Siegen, Münster angrenzen (in diesen Kommunen ist
der Ballungsrand, das heißt der erste Umlandring eingemeindet)
• Gemeinde, die an Osnabrück angrenzt
• Ausnahme 1: kein zweiter Ring um Aachen, da hier für die Solitärstadt mit
der Ballungsrandzone (laut LEP) bereits ein Umlandring definiert ist
• Ausnahme 2: kein zweiter Ring am Ostrand der Ballungsrandzone des Ruhrgebiets, weil hier die Ballungsrandzone schon sehr weit definiert ist und
Hamm eine Sonderform des Typs der Großstadtzentren darstellt (s.o.)
• Ausnahme 3: Gemeinden, die den Kriterien der Mittelstädte entsprechen
(s.u.), werden auch diesem zugeordnet (Verdichtungsräume Bielefeld und
Siegen)
Mittelstädte
• Zentren außerhalb der Ballungskern- und Ballungsrandzonen
• Gemeinden mit mehr als 25.000 Einwohnern und mit positivem Einpendlersaldo
Suburbia- bzw. Umlandring um die Mittelstädte
• alle Gemeinden, die unmittelbar an den zweiten Suburbiaring und die Mittelstädte angrenzen und nicht in die Ballungskern- oder Ballungsrandzonen fallen
• zusätzlich: einzelne Gemeinden, die diesem Kriterium nicht entsprechen,
aber aufgrund ihrer Verkehrsanbindung eine hohe Erreichbarkeit haben
(Autobahnanschluss oder gut ausgebaute Bundesstraße)
Periphere Kommunen
• alle anderen Kommunen (Gemeindecluster in der Eifel, dem Sauerland, OstWestfalen und dem Münsterland)
4.4.2 Bevölkerungsentwicklung
Im Vergleich zur Verstädterungsphase im späten 19. Jahrhundert ist die Bevölkerungszahl in Nordrhein-Westfalen insgesamt in den letzten Jahrzehnten rela107
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tiv konstant geblieben. Während - mit
Ausnahme des Zuwanderungsbooms
durch die deutsche Vereinigung Anfang
der 1990er Jahre - die Bevölkerungszahl
kaum Veränderungen aufweist, zeigen
sich deutliche räumliche und soziale Verschiebungen zwischen den Gemeindetypen.
in Millionen
9
8
7
6
5
4
3
2
1
0
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Großstadtzentren
Mittelstädte
1. Umlandring um
Großstadtzentren
Mittelstadtumland
2. Umlandring um
Großstadtzentren
Periphere Kommunen
Abb. 2: Entwicklung der Einwohner nach Siedlungstypen
Angaben: Anzahl der Einwohner absolut,
Index 1970 = 100
Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring
Die Muster weisen auf eine zwar langsame, aber über die Jahrzehnte hinweg
kontinuierliche Verschiebung hin, bei der
die großstädtischen Zentren eindeutig
als Schrumpfungsräume auszumachen
sind (Abb. 2). Mit einem Bevölkerungszuwachs von knapp 40 Prozent in den letzten drei Jahrzehnten sind die Gemeinden
im zweiten Umlandring die am stärksten
wachsenden Bereiche. Ähnlich profitierten die Umlandgemeinden der Mittelstädte mit einem Gesamtzuwachs von
nahezu 25 Prozent seit 1970. Trotz der
Tatsache, dass in den Ballungsrandzonen und den Mittelstädten die Bevölkerung insgesamt deutlich zunimmt, ist das
Wachstum wesentlich schwächer als im
zweiten Umlandring und dem Umland
der Mittelstädte.
Obgleich die Dynamik dieses Prozesses begrenzt ist, macht der Zeitvergleich
eine deutliche Gewichtsverlagerung zu Lasten der Kernstädte und zu Gunsten vor allem der zweiten Umlandringe deutlich. Während die Bevölkerung
in den großen Zentren dabei in den letzten Jahrzehnten um fast sieben Prozent
zurückgegangen ist, wachsen vor allem die Gemeindetypen im Umland
(Abb. 3).
4.4.3 Bevölkerungswanderung
Aussagekräftiger als die Bevölkerungsveränderungen, in die zu erheblichen Teilen
auch die natürliche Entwicklung eingeht, ist eine Analyse der Wanderungsbeziehungen. Wanderungen stellen gewissermaßen die „Abstimmung mit den Füßen“
über unterschiedliche Standorte dar. Ob Wanderungen dabei letztlich extern durch
berufliche oder familiäre Gründe erzwungen oder als subjektive Standortoptimie108
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Räumliche Entwicklung
rung etwa der Wohnqualität
gewollt sind, ist dabei zunächst
nachrangig.
Eine Analyse der Daten aus den
1990er Jahren zeigt, dass der
weitaus überwiegende Teil der
Gemeindegrenzen überschreitenden Wanderungen zwischen
den Kommunen innerhalb von
Nordrhein-Westfalen stattfindet
(Abb. 4). Das jährliche Wanderungsvolumen liegt mit etwa
einer Millionen Wanderungen
etwa jeweils viermal so hoch wie
das Wanderungsvolumen mit
dem übrigen Bundesgebiet und
dem Ausland. Der Saldo der
Wanderungen mit dem übrigen
Bundesgebiet und dem Ausland
ist nach dem Zuwanderungsboom zu Beginn der 1990er
Jahre auf nahezu Null zurückgegangen. Die Bevölkerungsveränderungen der letzten Jahre zwischen den Siedlungstypen in
Nordrhein-Westfalen gehen also
überwiegend auf Regionalwanderungen und auf unterschiedliche Ausprägungen bei der natürlichen Bevölkerungsentwicklung zurück.
46,1
Großstadtzentren
52,7
18,5
1. Umlandring um
Großstadtzentren
16,8
9,4
2. Umlandring um
Großstadtzentren
7,2
10,9
Mittelstädte
10,3
13,1
Mittelstadtumland
11,3
Periphere Kommunen
0
1,9
1970
1,8
1999
10
20
30
40
50
60
Abb. 3: Relativer Anteil der Einwohner nach Siedlungstypen
1970 und 1999
Angaben: Anteil der Einwohner an Nordrhein-Westfalen gesamt
in Prozent
Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring
1,4
in Millionen
1,2
1,0
0,8
0,6
0,4
0,2
0
- 0,2
Die Darstellung der Binnenwanderungen in Form einer Matrix
erlaubt eine Erfassung der Wanderungen in und zwischen den
einzelnen Siedlungstypen über
die Gemeindegrenzen hinweg.
Mit Hilfe der Daten des LDS lassen sich sowohl die Bruttowanderungsströme wie auch die Salden berechnen (Abb. 5 und 6).
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
in NRW über Gemeindegrenzen (Volumen)
1998
1999
2000
mit Ausland (Volumen)
mit übrigem Bundesgebiet (Volumen)
Ausland (Salden)
übriges Bundesgebiet (Salden)
Abb. 4: Wanderungsvolumina und Wanderungssalden in
Nordrhein-Westfalen 1991 bis 2000
Anmerkung: Wanderungsvolumen (Summe der Zu- und Fortzüge), Wanderungssalden (Differenz von Zu- und Fortzügen),
Saldo der Gemeindegrenzen überschreitenden Binnenwanderungen in Nordrhein-Westfalen ist Null
Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring
109
Zukunft der Städte in NRW
04.06.2004
9:11
Seite 110
Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Wanderungen 2000
von...
Großstadt- 1. Umlandzentren
ring
nach...
2. Umlandring
Mitelstädte
Mittelstadtumland
Periphere
Kommunen
Summe
ohne eigene
Zone
Summe
gesamt
Großstadtzentren
83.456
48.321
21.149
12.487
13.238
2.597
97.792
181.248
1. Umlandring
60.626
39.244
9.630
3.331
5.410
1.238
80.235
119.479
2. Umlandring
27.233
13.017
13.889
5.809
8.615
698
55.372
69.261
Mittelstände
11.149
3.163
5.639
9.746
22.885
1.514
44.350
54.096
Mittelstadtumland
15.691
8.043
10.847
24.397
24.041
3.547
62.525
86.566
Periph. Kommunen
2.315
997
748
1.498
3.360
2.718
8.918
11.636
349.192
Summe (ohne Zuzüge in
derselben Region)
117.014
73.541
48.013
47.522
53.508
9.594
Summe Gesamt
200.470
112.785
61.902
57.268
77.549
12.312
Einwohner 1999
8.297.453
3.338.960
1.699.346
1.961.790
2.352.635
349.616
24,1
33,8
36,4
29,2
33,0
35,2
Wanderungen 1998
von...
Großstadt- 1. Umlandzentren
ring
2. Umlandring
Mitelstädte
Mittelstadtumland
Periphere
Kommunen
Summe
ohne eigene
Zone
Summe
gesamt
Wanderungen je tausend
nach...
522.286
17.999.800
Großstadtzentren
82.215
47.383
20.572
12.493
12.179
2.838
95.465
177.680
1. Umlandring
67.360
41.813
10.178
3.272
5.232
1.386
87.428
129.241
2. Umlandring
30.445
13.781
14.825
5.828
8.890
900
59.844
74.669
Mittelstände
11.847
3.339
5.973
10.252
24.093
1.924
47.176
57.428
Mittelstadtumland
17.060
8.304
11.586
26.442
24.893
3.743
67.135
92.028
Periph. Kommunen
2.436
1.076
829
1.611
3.622
3.066
9.574
12.640
366.622
Summe (ohne Zuzüge in
derselben Region)
129.148
73.883
49.138
49.646
54.016
10.791
Summe Gesamt
211.363
115.696
63.963
59.898
78.909
13.857
Einwohner 1999
8.367.009
3.317.450
1.672.639
1.951.892
2.318.995
346.502
25,3
34,9
38,2
30,7
34,0
40,0
Wanderungen 1995
von...
Großstadt- 1. Umlandzentren
ring
2. Umlandring
Mitelstädte
Mittelstadtumland
Periphere
Kommunen
Summe
ohne eigene
Zone
Summe
gesamt
Wanderungen je tausend
nach...
543.686
17.974.487
Großstadtzentren
78.229
46.206
19.382
12.502
11.616
2.012
91.718
169.947
1. Umlandring
62.992
39.437
9.662
3.943
5.186
924
82.707
122.144
2. Umlandring
28.984
12.786
14.369
6.954
8.522
746
57.992
72.361
Mittelstände
12.488
3.183
5.329
10.643
24.134
1.609
46.743
57.386
Mittelstadtumland
17.343
7.472
10.497
27.349
24.553
3.593
66.254
90.807
Periph. Kommunen
2.621
944
769
1.805
3.568
2.943
9.707
12.650
355.121
Summe (ohne Zuzüge in
derselben Region)
124.428
70.591
45.639
52.553
53.026
8.884
Summe Gesamt
202.657
110.028
60.008
63.196
77.579
11.827
Einwohner 1999
8.404.863
3.290.399
1.640.381
1.937.990
2.277.205
342.207
24,1
33,4
36,6
32,6
34,1
34,6
Wanderungen je tausend
525.295
17.893.045
Abb. 5a-b: Wanderungsströme von Gemeindegrenzen überschreitenden Wanderungen in Nordrhein-Westfalen nach Gemeindetypen
Anmerkung: Abwanderungen aus Unna gleich Null, daher Abweichungen gegenüber amtlichen
Angaben
Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring
110
Zukunft der Städte in NRW
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Seite 111
Räumliche Entwicklung
nach...
Wanderungen 1987
von...
Großstadt- 1. Umlandzentren
ring
2. Umlandring
Mitelstädte
Mittelstadtumland
Periphere
Kommunen
Summe
ohne eigene
Zone
Summe
gesamt
152.497
Großstadtzentren
67.048
42.844
17.935
10.517
11.804
2.349
85.449
1. Umlandring
50.263
32.934
8.294
2.535
4.883
703
66.678
99.612
2. Umlandring
21.637
9.616
10.478
3.964
6.460
509
42.186
52.664
Mittelstände
10.350
2.731
4.366
7.673
17.334
1.258
36.039
43.712
Mittelstadtumland
13.199
5.748
7.080
17.020
16.809
2.267
45.314
62.123
Periph. Kommunen
2.120
726
587
1.015
2.359
1.885
6.807
8.692
282.473
Summe (ohne Zuzüge in
derselben Region)
97.569
61.665
38.262
35.051
42.840
7.086
Summe Gesamt
164.617
94.599
48.740
42.724
59.649
8.971
Einwohner 1999
8.109.615
3.059.104
1.454.927
1.762.790
2.021.101
307.308
20,3
31,0
33,5
24,2
29,5
29,2
Wanderungen je tausend
419.300
16.711.845
Abb. 5b
Betrachtet man zunächst die Wanderungsströme, so ergibt sich folgendes Bild:
Das Wanderungsvolumen in den Jahren 1995, 1998 und 2000 liegt mit 520.000
bis 540.000 Bewegungen etwa gleich hoch (Abb. 5). Weil jede Bewegung in
einem Ort als Wegzug und in einem anderen Ort als Zuzug gezählt wird, kommt
man rechnerisch auf ein Wanderungsvolumen von gut einer Millionen Zu- und
Fortzügen. Das jährliche Volumen lag damit in der jüngeren Vergangenheit um
etwa zwei Prozent über dem Niveau von 1987.
Ein Anteil von etwa einem Drittel waren Wanderungen zwischen Kommunen
desselben Gemeindetyps. Zwei Drittel führten über die Grenzen der Siedlungstypen. Absolut waren dies jeweils etwa 350.000 Wanderungen (1987 rund
280.000).
Nach den Wanderungssalden zeigt sich für alle untersuchten Jahre ein einheitliches Grundmuster: Die Großstädte verlieren im Saldo Bevölkerung an alle suburbanen Raumtypen (Abb. 6). Der Ballungsrand gewinnt von den Kernstädten
und verliert an den zweiten Umlandring und das Mittelstadtumland. Der zweite
Umlandring verlor schließlich 1995 bis 2000 leicht an das Mittelstadtumland.
Insgesamt beobachtet man also ein kaskadenartiges Wanderungsmuster von
Innen nach Außen, das wiederum dem Bild der räumlichen Bevölkerungsverschiebung entspricht.
Die Niveaus der Verluste sind zwischen den einzelnen Jahren aber durchaus
unterschiedlich. 1987 lag der kumulierte Verlust der Kernstädte bei etwa 7.400
Einwohnern an den Ballungsrand und 3.700 Einwohnern an den zweiten Ring.
Bis 1998 haben sich diese Verluste auf nahezu 20.000 bzw. 10.000 erhöht. Die
Zahlen für das Jahr 2000 zeigen dann wieder mit Verlusten in Höhe von etwa
12.300 und 6.100 Einwohnern deutlich niedrigere Werte. Dies könnte als Hinweis auf eine wieder rückläufige Abwanderungsintensität gedeutet werden.
111
Zukunft der Städte in NRW
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Seite 112
Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Wanderungssalden 2000
aus Sicht von...
mit...
Großstadtzentren
Großstadt- 1. Umlandzentren
ring
2. Umland- Mitelstädte
ring
Mittelstadt- Periphere
umland
Kommunen
Summe
0
12.305
6.084
-1.338
2.453
-282
19.222
1. Umlandring
-12.305
0
3.387
-168
2.633
-241
-6.694
2. Umlandring
-6.084
-3.387
0
-170
2.232
50
-7.359
Mittelstände
Mittelstadtumland
Periph. Kommunen
Summe
1.338
168
170
0
1.512
-16
3.172
-2.453
-2.633
-2.232
-1.512
0
-187
-9.017
282
241
-50
16
187
0
676
-19.222
6.694
7.359
-3.172
9.017
-676
0
Wanderungssalden 1998
aus Sicht von...
mit...
Großstadtzentren
Großstadt- 1. Umlandzentren
ring
2. Umland- Mitelstädte
ring
Mittelstadt- Periphere
umland
Kommunen
Summe
0
19.977
9.873
-646
4.881
-402
33.683
1. Umlandring
-19.977
0
3.603
67
3.072
-301
-13.545
2. Umlandring
-9.873
-3.603
0
145
2.696
-71
-10.706
646
-67
-145
0
2.349
-313
2.470
-4.881
-3.072
-2.696
-3.349
0
-121
-13.119
402
310
71
313
121
0
1.217
-33.683
13.545
10.706
-2.470
13.119
-1.217
0
Mittelstände
Mittelstadtumland
Periph. Kommunen
Summe
Wanderungssalden 1995
aus Sicht von...
mit...
Großstadtzentren
Großstadt- 1. Umlandzentren
ring
2. Umland- Mitelstädte
ring
Mittelstadt- Periphere
umland
Kommunen
Summe
0
16.786
9.602
-14
5.727
609
32.710
1. Umlandring
-16.786
0
3.124
-760
2.286
20
-12.116
2. Umlandring
-9.602
-3.124
0
-1.625
1.975
23
-12.353
Mittelstände
Mittelstadtumland
Periph. Kommunen
Summe
14
760
1.625
0
3.215
196
5.810
-5.727
-2.286
-1.975
-3.215
0
-25
-13.228
-609
-20
-23
-196
25
0
-823
-32.710
12.116
12.353
-5.810
13.228
823
0
Abb. 6a: Wanderungssalden von Gemeindegrenzen überschreitenden Wanderungen in NordrheinWestfalen nach Gemeindetypen
Anmerkung: Abwanderungen aus Unna gleich Null, daher Abweichungen gegenüber amtlichen
Angaben
Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring
112
Zukunft der Städte in NRW
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9:11
Seite 113
Räumliche Entwicklung
Wanderungssalden 1995
aus Sicht von...
mit...
Großstadtzentren
Großstadt- 1. Umlandzentren
ring
2. Umland- Mitelstädte
ring
Mittelstadt- Periphere
umland
Kommunen
Summe
0
7.419
3.702
-167
1.395
-229
12.120
1. Umlandring
-7.419
0
1.322
196
865
23
-5.013
2. Umlandring
-3.702
-1.322
0
402
620
78
-3.924
Mittelstände
Mittelstadtumland
Periph. Kommunen
Summe
167
-196
-402
0
-314
-243
-988
-1.395
-865
-620
314
0
92
-2.474
229
-23
-78
243
-92
0
279
-12.120
5.013
3.924
988
2.474
-279
0
Abb. 6b
Auch aus einzelnen Kommunen und anderen Raumbeobachtungen kommen
entsprechende Hinweise.9
Insgesamt stellt sich in der kumulierten Bilanz das Abwanderungsgeschehen in
quantitativer Hinsicht als nicht besonders bedeutend dar. Wenn die 31 Großstädte mit zusammen etwa 8,3 Millionen Einwohnern in der zweiten Hälfte der
1990er Jahre etwa 30.000 Einwohner jährlich an andere Gemeindetypen verloren haben und dieser Wert im Jahr 2000 sogar auf einen Verlust von knapp
20.000 zurückging, dann relativieren sich die Gesamtverluste, die durch die
Suburbanisierung entstehen.
Erscheinen in der Gesamtschau der Kernstädte die wanderungsbedingten Verluste an das Umland noch moderat, zeigen die typenbezogenen Wanderungssalden, dass einzelne Großstädte aus dem Muster herausfallen (Abb. 7). Relativ
betrachtet bilden im Jahr 2000 die Städte Hamm, Gelsenkirchen, Duisburg,
Hagen und Dortmund mit einem Verlust zwischen 4,4 und 13,2 Einwohnern je
tausend Einwohner das Schlusslicht.10 Bonn, Recklinghausen, Leverkusen,
Neuss und Oberhausen belegen hingegen mit positiven Salden die fünf Spitzenplätze in diesem Jahr. Hier werden auch die Grenzen einer Typisierung von
Städten nach funktionsräumlichen Kriterien deutlich. Andere Ansätze der Typisierung, wie sie in den Kapiteln B1 und B3 vorgenommen werden, bilden die Differenzierung innerhalb der Großstädte deutlicher ab.
9
Hallenberg 2002.
10 Die Städte mit den größten absoluten Einwohnerverlusten waren im Jahr 2000 Duisburg
(-3.105), Dortmund (-2.620), Hamm (-2.406), Gelsenkirchen (-1.860) und Köln (-1.878). Den
absoluten Gegenpol markierte Bonn mit einem positiven Wanderungssaldo von 1.100 Einwohnern.
113
Zukunft der Städte in NRW
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Seite 114
1,4
Bonn
Wanderungssaldo mit anderen
Gemeindetypen
Recklinghausen
Wanderungssaldo gesamt
2,4
0,0
Leverkusen
Neuss
-1,6
Oberhausen
-1,6
1,4
-0,1
1,2
-0,7
Witten
1,8
1,6
Paderborn
0,1
-2,4
Mülheim a.d. Ruhr
-0,1
0,3
Solingen
-0,3
-3,3
Gladbeck
-0,4
-1,8
Castrop-Rauxel
-0,7
-1,1
-0,9
Bielefeld
-1,3
Remscheid
-0,9
-2,8
Bottrop
-1,0
-3,1
Düsseldorf
-1,1
-0,7
Bochum
-1,3
-1,9
-1,6
Mönchengladbach
-2,2
-1,9
Aachen
-4,2
Köln
-2,0
Herne
-1,8
-2,1
Münster
-2,1
-2,2
-3,0
-2,8
Krefeld
-1,7
Essen
-3,4
-4,0
-3,5
Herten
Wuppertal
-4,2
Siegen
-4,2
-2,9
-2,6
-3,6
Dortmund
-4,4
Hagen
-5,4
Duisburg
-6,0
Gelsenkirchen
-3,5
-5,0
-3,1
-6,6
Hamm
-7,1
-13,2
-16,0
-14,0
-12,0
-10,0
-8,0
-6,0
-4,0
-2,0
0,0
2,0
Abb. 7: Wanderungssalden der Großstadtzentren mit den anderen Gemeindetypen
Angaben: Salden der Zu- und Abwanderungen pro tausend Einwohner in 2000
Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring
114
3,6
0,4
4,0
Zukunft der Städte in NRW
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9:11
Seite 115
Räumliche Entwicklung
Die Einzelbetrachtung der Kernstädte verdeutlicht auch, dass die Abwanderung
in die suburbanen Räume für viele Städte nur die Hälfte des Verlustes ausmacht
(z.B. bei Hamm, Gelsenkirchen, Essen). Hier deuten sich Attraktivitätsdefizite
an, die auch typische Stadtmenschen zu einer räumlichen Neuorientierung
motivieren. In den Eckstädten des Ruhrgebietes Dortmund und Duisburg ist hingegen tatsächlich die Suburbanisierung dominierend, wobei die Stadt Dortmund nach neuesten Zahlen wieder leichte Bevölkerungsgewinne verbuchen
kann.11 Ein dritter Städtetyp mit Köln, Düsseldorf und Bonn kann Suburbanisierungsverluste durch Zuwanderungsgewinne aus anderen Groß- und Mittelstädten sogar teilweise kompensieren. Es zeigt sich, dass eine Betrachtung anhand
der Gebietskategorien die Unterschiede zwischen wachsenden und schrumpfenden Städten nicht abbildet. Die auf den Strukturwandel zurückgehenden
Brüche werden in den Kapiteln B3 (Ebene von Städten) und B5 (kleinräumig auf
Stadtteilebene) dargestellt.
4.4.4 Beschäftigtenentwicklung
Die Gesamtentwicklung der Beschäftigten weist ebenso wie die Bevölkerungsentwicklung eine eindeutige räumliche Dekonzentration auf. Während die Ballungskerne zwischen 1970 und 1997 rund zehn Prozent der Arbeitsplätze verloren haben, hat die Zahl der Beschäftigten in allen anderen Raumtypen zugenommen. Besonders stark waren die Zuwächse im zweiten Umlandring und im
Mittelstadtumland. Wie auch bei der Bevölkerungsentwicklung erkennt man bei
den räumlichen Verschiebungen der Beschäftigtenentwicklung zwischen dem
Ballungskern und dem Umland bzw. den Mittelstädten einen langsamen Prozess. Das Grundmuster eines dominanten Ballungsraumes und weniger gewichtiger Ergänzungsräume bleibt erhalten, jedoch sind die Verschiebungen zwischen Ballungskern und Umland bzw. Mittelstädten erkennbar (Abb. 8).
Es ist offensichtlich, dass ein Teil der Arbeitsplatzdynamik im Umland eine Folge
der Bevölkerungssuburbanisierung ist. Wachsende suburbane Räume ziehen
haushaltsnahe Dienstleistungen wie Handel und Verwaltungen nach sich. Eine
relative Betrachtung der Beschäftigten je tausend Einwohner ermöglicht eine
Bereinigung des Effekts durch die Einwohnerentwicklung. Die Beschäftigungsdichte ist, den unterschiedlichen Zentralitäten der sechs Raumtypen
entsprechend, in den Ballungskernen und Mittelstädten weiterhin überdurchschnittlich, jedoch sind die Raumtypen stetig näher aneinandergerückt (Abb. 9).
Seit Beginn der 1970er Jahre hat sich im Maximum der Abstand vom Ballungskern von etwa 200 auf 130 Beschäftigte reduziert.
11 Angaben Stadt Dortmund, Fachbereich Statistik und Wahlen.
115
Zukunft der Städte in NRW
04.06.2004
9:11
Seite 116
Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
4,5
Die Abnahme der Beschäftigten im
sekundären Sektor ist im Vergleich
der Raumtypen insbesondere im
Ballungskern erkennbar. Inzwischen sind die Mittelstädte diejenigen Räume mit der stärksten Industrialisierungsdichte, während alle
anderen Typen dahinter zurückbleiben und sich gleichzeitig in
ihren Strukturen immer ähnlicher
werden (Abb. 10).
4,0
3,5
3,0
2,5
2,0
1,5
1,0
0,5
0,0
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Großstadtzentren
Mittelstädte
1. Umlandring um Großstadtzentren
Mittelstadtumland
2. Umlandring um Großstadtzentren
periphere Kommunen
Abb. 8: Beschäftigte 1970 bis 1997
Angaben: Beschäftigte insgesamt, Arbeitsplatzzählung
1970 und 1987, Anpassungsrechnungen für 1990, 1995
und 1997
Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring
600
500
460
436
400
300
308
259
200
100
0
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Nordrhein-Westfalen gesamt
Großstadtzentren
Mittelstädte
1. Umlandring um Großstadtzentren
Mittelstadtumland
2. Umlandring um Großstadtzentren
Periphere Kommunen
Abb. 9: Relative Entwicklung der Beschäftigten nach
Raumtypen - alle Beschäftigten
Angaben: Beschäftige pro tausend Einwohner
Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring
116
Die Entwicklung der Dienstleistungsbeschäftigten zeigt, dass in
den Umlandtypen deutlich erkennbare Wachstumsprozesse im tertiären Bereich stattfinden. Es wird
aber auch deutlich, dass dieses
Wachstum weniger im Bereich Handel, Verkehr und Nachrichten stattfindet (Abb. 11). Die Dynamik wird
vor allem durch die Beschäftigten in
den sonstigen Dienstleistungen
(Kredit, Versicherungen und sonstige Dienstleistungen) getragen (Abb.
12).
Das Wachstum ist allerdings nicht
parallel zur Bevölkerungsentwicklung verlaufen, sondern hat sich in
Relation zur Einwohnerzahl sogar in
etwa verdoppelt. Zwar haben alle
Raumtypen über die beobachteten
Jahre hinweg deutlich zugelegt,
jedoch ist sowohl das Niveau als
auch das Wachstumstempo im Ballungskern deutlich höher ausgeprägt als in den Umlandtypen. Eine
differenziertere Betrachtung der
einzelnen Ballungskerne in ökonomischer Hinsicht zeigt innerhalb
dieses Typs noch einmal deutliche
Unterschiede (vgl. Kapitel B3).
Zukunft der Städte in NRW
04.06.2004
9:11
Seite 117
Räumliche Entwicklung
Abb. 10: Relative Entwicklung der
Beschäftigten im sekundären
Sektor nach Raumtypen
Angaben: Beschäftige pro tausend
Einwohner
Quelle: LDS NRW, Berechnungen
Aring
300
250
200
150
100
50
0
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Nordrhein-Westfalen gesamt
Abb. 11: Relative Entwicklung der
Beschäftigten in sonstigen Dienstleistungen im Bereich Handel,
Verkehr und Nachrichten nach
Raumtypen
Angaben: Beschäftige pro tausend
Einwohner
Quelle: LDS NRW, Berechnungen
Aring
Großstadtzentren
Mittelstadtumland
1. Umlandring um Großstadtzentren
Mittelstädte
2. Umlandring um Großstadtzentren
Periphere Kommunen
300
250
200
150
100
50
0
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Nordrhein-Westfalen gesamt
Abb. 12: Relative Entwicklung der
Beschäftigten in Dienstleistungen
im Bereich Kredit, Versicherungen,
sonstige private Dienstleistungen
nach Raumtypen
Angaben: Beschäftige pro tausend
Einwohner
Quelle: LDS NRW, Berechnungen
Aring
Großstadtzentren
Mittelstädte
1. Umlandring um Großstadtzentren
Mittelstadtumland
2. Umlandring um Großstadtzentren
Periphere Kommunen
300
250
200
150
100
50
0
1965
1970
1975
1980
1985
1990
1995
2000
Nordrhein-Westfalen gesamt
Großstadtzentren
Mittelstädte
1. Umlandring um Großstadtzentren
Mittelstadtumland
2. Umlandring um Großstadtzentren
Periphere Kommunen
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
4.4.5 Pendlerverflechtungen
Diskutiert man die Entwicklung von Pendlerstrukturen im Kontext einer wachsenden Suburbanisierung, so werden verschiedene Thesen vertreten. Generell
geht man von einer steigenden Pendlerintensität aus, weil Wohn- und Arbeitsort
in großflächig urbanisierten Räumen immer öfter auseinander fallen. Gleichzeitig
nimmt aber die Dominanz der Pendelorientierung auf den Ballungskern und die
Mittelstädte ab. Zunehmend wird auch aus den Kernstädten ausgependelt, und
es finden gleichzeitig vermehrt Querbewegungen innerhalb der suburbanen
Räume statt.
Mit dem bisher vorliegenden Zahlenmaterial12 lassen sich diese Thesen weder
bestätigen noch widerlegen, weil es an einer Zeitreihe über einen längeren ZeitPendler 1999 von...
2. Umlandring
Mitelstädte
Summe
Summe
Periphere
Kommunen
zonenüberschreitend
gesamt
74.868
9.376
782.088
1.300.047
nach...
Großstadtzentren
517.959
443.803
207.003
1. Umlandring
202.617
192.232
64.995
8.001
27.290
1.743
304.646
496.878
2. Umlandring
48.248
24.756
48.942
20.578
36.799
1.506
131.887
180.829
Mittelstände
28.687
10.722
33.823
65.207
175.331
11.380
259.943
325.150
Mittelstadtumland
13.880
9.143
25.216
83.365
110.399
15.540
147.144
257.543
725
164
411
2.494
9.184
13.814
12.978
26.792
Summe
(Zonenüberschreitend)
294.157
488.588
331.448
161.476
323.472
39.545
1.638.686
Summe Gesamt
812.116
680.820
380.390
226.683
433.871
53.359
1. Umlandring
2. Umlandring
Mitelstädte
Mittelstadtumland
Periphere
Kommunen
Periph. Kommunen
1. Umlandring
Mittelstadtumland
Großstadtzentren
47.038
2.587.239
Pendlersalden 1999
Großstadtzentren
nach...
Großstadtzentren
0
-241.186
-158.755
-18.351
-60.988
-8.651
1. Umlandring
241.186
0
-40.239
2.721
-18.147
-1.579
-487.931
183.942
2. Umlandring
158.755
40.239
0
13.245
-11.583
-1.095
199.561
Mittelstände
18.351
-2.721
-13.245
0
-91.966
-8.886
-98.467
Mittelstadtumland
60.988
18.147
11.583
91.966
0
-6.356
176.328
Periph. Kommunen
8.651
1.579
1.095
8.886
6.356
0
26.567
487.931
-183.942
-199.561
98.467
-176.328
-26.567
0
Summe
(Zonenüberschreitend)
Abb. 13: Pendler in Nordrhein-Westfalen 1999
Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring
12 Abgleich der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit den gemeldeten Wohnorten und
Unternehmenssitzen.
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Zukunft der Städte in NRW
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Seite 119
Räumliche Entwicklung
raum fehlt. Die Pendlerdaten für 1999 geben nur einen Einblick in das aktuelle
Muster (Abb. 13). Dieses deckt sich mit der These einer hohen Pendlerverflechtung. So pendeln beispielsweise fast 444.000 Beschäftigte aus dem Ballungsrand in den Ballungskern. Gleichzeitig pendeln aber auch nahezu 203.000
Beschäftigte in die Gegenrichtung. Der Ballungskern hat zwar einen hohen Einpendlerüberschuss, aber die berufsbedingten Pendlerströme finden nicht mehr
auf einer Einbahnstraße statt.
4.4.6 Sozialstrukturen
Unser Vorstellungsbild des suburbanen Raumes ist von amerikanischen Erfahrungen geprägt. Was auf der städtebaulichen Seite mit dem Klischee des Einfamilienhausteppichs verbunden wird, wird auf der sozialen Seite vom Bild der
deutschen Mittelschichtfamilie flankiert. Dieses Bild trifft für Nordrhein-Westfalen keineswegs zu. Natürlich gibt es deutliche Unterschiede zwischen dem Ballungskern und den anderen Raumtypen des Landes. Das soziale Stadt-UmlandGefälle wird vor allem durch die sozialräumlichen Analysen deutlich (vgl. Kapitel
B5). Bestimmte Unterschiede (besser: „Abstände“ in den Sozialstatistiken) sind
auch trotz der Veränderungen der letzten Jahrzehnte bestehen geblieben oder
haben sich sogar vergrößert. Gleichzeitig finden sich heute in den Umlandräumen Sozialstrukturen, die vor einigen Jahren bzw. Jahrzehnten noch als typisch
großstädtisch galten.
So ist beispielsweise der Anteil der nicht-deutschen Bevölkerung insgesamt
deutlich gestiegen. Die stärksten Anstiege verzeichneten dabei die Ballungskerne. Dennoch haben auch in
2,0
0
4,0
10,0 12,0 14,0 16,0
6,0
8,0
den Umlandtypen innerhalb eines Jahrzehnts die Großstadtzentren
Anteile der nicht-deutschen Erster Umlandring
Bevölkerung so deutlich
zugenommen, dass die Bal- Zweiter Umlandring
lungsrandzone im Jahr Mittelstädte
2000 das Niveau des Ballungskerns
von
1987 Mittelstadtumland
erreicht hat, der zweite Periphere Kommunen
Ring hingegen das Niveau
der Ballungsrandzone von Nordrhein-Westfalen
gesamt
1987 (Abb. 14). Zwischen
1987
den Mittelstädten, die nach
Zuwachs 1987 bis 1999
einem Jahrzehnt den Aus- Abb. 14: Ausländerquoten 1987, Veränderung bis 2000
gangslevel des Ballungs- Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring
119
Zukunft der Städte in NRW
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Seite 120
Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
45,0
1970
40,0
1987
39,3
35,0
30,0
28,3
27,9
Referenzniveau
Große Zentren 1970
32,9
27,6
23,9
25,0
22,6
21,1
20,0
20,0
16,8
15,0
10,0
21,9
21,4
15,7
21,4
kerns erreichen, und
dem Mittelstadtumland
zeichnen sich ähnliche
Prozesse ab. Diese Entwicklung hat wenig mit
einer Randwanderung
der ausländischen Bevölkerung zu tun. Eher
spiegeln sich in diesen
Prozessen ein Geburtenüberschuss und ein
Familienzuzug wider.
5,0
Für die Entwicklung der
Haushaltsgrößen liegen
Großstadt1. Um2. UmMittelMittelstadt- periphere
NRW
lediglich Daten auf Gezentren
landring
landring
städte
umland Kommunen gesamt
meindeebene aus den
Abb. 15: Einpersonenhaushalte 1970 und 1987
Volkszählungen
vor. ÄhnAngaben: Anteil der Einpersonenhaushalte an allen Haushalten in Prozent, Volkszählungen 1970 und 1987
lich wie bei der EntwickQuelle: LDS NRW, Berechnungen Aring
lung der Ausländeranteile hat es bei der Zahl der Einpersonenhaushalte zwischen 1970 und 1987 eine
Seitwärtsbewegung gegeben (Abb. 15). In allen Raumtypen ist die Anzahl der
Einpersonenhaushalte gestiegen. Ein Niveauabstand zwischen Städten und
Umland ist geblieben, aber die Ballungsrandzone hat 1987 das Niveau des Ballungskerns von 1970 erreicht. Ähnlich haben sich die anderen Raumtypen entwickelt. Auch hier ist die Entwicklung in den Ballungskernen am stärksten ausgeprägt.
0,0
Die beiden Kenndaten zeigen deutlich, dass die soziokulturellen Unterschiede
zwischen den Kernstädten und den Umlandgemeinden weiterhin bestehen,
obwohl die frühere Homogenität der Strukturen im ländlichen Raum verloren
gegangen ist. Aber die verschiedenen Umlandtypen durchlaufen einen deutlichen Veränderungsprozess. In weiten Teilen des suburbanen Raumes finden
sich heute Quoten an Einpersonenhaushalten und Ausländern, die zwei Jahrzehnte zuvor noch als ausgesprochen großstädtisch bezeichnet worden wären.
Dies stützt die These einer Urbanisierung des Umlandes, das durch zunehmende Vielfalt in Bevölkerungszusammensetzung und Funktionen einen deutlichen
Reifeprozess durchläuft.
Auch die aktuellen siedlungsstrukturellen Untersuchungen von Siedentop und
anderen lassen in Deutschland eine kontinuierliche Angleichung etwa im Einkommensniveau erkennen, da das Wohlstandswachstum in den peripheren
Regionen im Zeitverlauf stärker als in den Kernen ansteigt. In einigen Agglomerationen liegt das Wohlstandsniveau der Räume unmittelbar um die Kernstädte
120
Zukunft der Städte in NRW
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Seite 121
Räumliche Entwicklung
bereits deutlich höher als das der Kernstädte. In der gleichen Untersuchung
wird festgestellt, dass eine mögliche altersselektive Suburbanisierung, nach der
vor allem jüngere Haushalte in den suburbanen Raum abwandern, insbesondere durch den internationalen Zuzug junger Haushalte abgeschwächt wird.13
Die Unterschiede zwischen dem Ballungskern und dem Umland haben sich insgesamt vergrößert, so dass der Ballungskern weiterhin eine Vorreiterrolle bei
den großen sozialen Veränderungen übernehmen muss. Damit können gerade
großstädtische Strukturen auch weiterhin als eine der Ursachen für eine Abwanderung von Teilen der Bevölkerung ins Umland bleiben.
4.4.7 Wanderungsmotive
In Nordrhein-Westfalen haben in den letzten Jahren eine Reihe von Großstädten
Wanderungsumfragen durchgeführt. Im Arbeitskreis Kommunale Wohnungsbeobachtung mit der Wohnungsbauförderungsanstalt (Wfa) als Koordinierungsstelle, kommen Vertreter von 21 Städten und dabei überwiegend Großstädte
aus Nordrhein-Westfalen zu einem Erfahrungsaustausch zusammen.
Aus diesem Kreis haben die Städte Dortmund, Duisburg, Düsseldorf, Hagen und
Münster in den letzten Jahren Wanderungsanalysen durchgeführt und publiziert.14 Unabhängig von dem Arbeitskreis hat die Stadt Leverkusen sowohl Meldedaten ausgewertet als auch eine Zu- und Fortziehendenbefragung durchgeführt.
Alle Arbeiten haben grundsätzlich mit einem methodischen Dilemma zu kämpfen: Etwa sechs Prozent der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens zogen in den
letzten Jahren jährlich um und überschritten dabei Gemeindegrenzen. Mit rund
550.000 Personen zogen jährlich etwa drei Prozent der Bevölkerung innerhalb
Nordrhein-Westfalens in eine andere Kommune, wobei diese Umzüge in der
Statistik doppelt gezählt werden: Einmal in einer Kommune als Fortzug und einmal in einer anderen Kommune als Zuzug. Das entspricht dann etwa 1,1 Millionen Wanderungsbewegungen in Nordrhein-Westfalen pro Jahr, die über die
Gemeindegrenzen hinweg erfolgen. Wirkungen auf das räumliche Gefüge gehen
aber letztlich von den Salden aus. Die Summe aller kommunalen Salden belief
sich im Jahr 2000 gerade einmal auf etwa 46.000 Personen, was etwa acht Prozent der genannten Umzüge entspricht. Und auch hierin sind noch Umzüge zwischen Kommunen des gleichen Raumtyps enthalten.
Die schwierige Aufgabe für alle Wanderungsanalysen besteht darin, aus einem
enorm hohen „Grundrauschen“ aller Wanderungen den für Verschiebungen zwi13 Siedentop/Kausch/Einig/Gössel 2003, S. 137ff.
14 Die Stadt Köln hat jüngst eine Studie durchgeführt, deren Ergebnisse noch nicht veröffentlicht
sind.
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Zukunft der Städte in NRW
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Seite 122
Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
schen Kernstädten und Umland relevanten Teil herauszufiltern. Hieraus und aus
der großen Bedeutung sehr persönlicher, zum Teil komplexer Wanderungsmotive wird deutlich, dass alle Aussagen entsprechender Untersuchungen nur eingeschränkte Übertragbarkeit besitzen. Die Motivforschung hat hierzu ergeben,
dass es nicht ein dominierendes Abwanderungsmotiv gibt, sondern dass verschiedene Wanderungstypen - wie z.B. Preisoptimierer, Lebensqualitätsoptimierer, biografische Wanderer und andere - unterschieden werden müssen, die
jeweils unterschiedliche Anforderungen an Wohnung und Wohnumfeld stellen.15
Die Wanderungsanalysen der Städte Dortmund und Leverkusen lassen durch
die räumliche Zuordnung der Fort- und Zuziehenden allgemeine Aussagen zu
typenübergreifenden Wanderungsmotiven zu.16 Bei einer vergleichenden Auswertung der Analysen zeigen sich immer wieder zwei Ergebnisse, die jedoch
nicht immer gleichgewichtig dargestellt werden.
Erstens: Die Wanderungsmuster sind komplex. Ein erheblicher Teil der Wanderungen hat persönliche Motive, die losgelöst vom Raumtyp sind und - sieht man
einmal von der Beschäftigungssituation ab - kaum politisch beeinflussbar sind.
Da die Umlandräume im Laufe der Jahre ein differenziertes Wohnungsangebot
entwickelt haben, ziehen längst nicht nur Familien mit Kindern ins Umland, sondern auch Singles und Zweipersonenhaushalte, Junge und Alte. Mieteranteile
von über 50 Prozent sind bei den Umlandwanderern nicht außergewöhnlich.
Wenn daraus allerdings im Umkehrschluss gefolgert wird, die Themen Wohneigentum und Eigenheim seien weniger wichtig als gemeinhin gesagt wird, liegt
eine Fehleinschätzung vor. Etwa die Hälfte der Haushalte in Deutschland gehen
im Lebenszyklus den Schritt zum Wohneigentum, zumeist bis zum Alter von 45
Jahren. Spätestens dann wird unter den heutigen Bedingungen für viele eine
endgültige Standortwahl zwischen Stadt und Umland zugunsten des Umlandes
getroffen. Dabei ist es belanglos, dass sie sich in jungen Jahren drei- oder viermal bei Umzügen pro Stadt entschieden haben.
Zweitens: Jenseits des Grundrauschens des allgemeinen Wanderungsgeschehens, das längst die Umlandräume in voller Breite mit eingebunden hat und Ausdruck von Vielfalt ist, gibt es weiterhin eine klassische Suburbanisierung. Die
Befragungen, bei denen Zu- und Fortwanderung im Kontext analysiert werden,
zeigen in der Bilanz ein differenziertes Bild. Die Umlandräume sind grüner, ruhiger und überschaubarer. In ihnen lässt sich leichter Wohneigentum bilden und
ein Eigenheim realisieren. Wohnen im Umland führt für die Haushalte unter dem
Strich meist nicht zu einer Reduktion der Wohnkostenbelastung. Die Bodenpreis- und Immobilienkostenvorteile erlauben jedoch, dass man für das gleiche
Geld mehr Wohnraum und mehr Freiraum erhält.
15 ILS NRW 2002a, S. 10.
16 Vgl. Stadt Dortmund 2001 und Stadt Leverkusen 1999.
122
Zukunft der Städte in NRW
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Räumliche Entwicklung
Die Rolle der Wohnkosten bzw. Bodenpreise wird besonders in der Wanderungsumfrage aus Münster deutlich.17 Münster stellt für viele eine ausgesprochen attraktive Stadt dar. Eine im positiven Sinne provinzielle Urbanität, eine
historische Altstadt, attraktive Wohnquartiere, viel innerstädtisches Grün und
kurze Wege in die freie Landschaft prägen die Stadt. Trotz dieser Qualitäten verliert Münster aufgrund einer negativen Wanderungsbilanz Einwohner. Bei der
Fortziehendenbefragung äußerten 60 Prozent der Befragten, sie wären lieber in
Münster geblieben (Dortmund 42, Hagen 33 Prozent). Die Wohnungswahl ist
immer ein Abwägungsprozess zwischen Preisen und Präferenzen. „Typisch im
Abwägungsprozess sind Opportunitätsüberlegungen und -entscheidungen. Die
Haushalte müssen ihre Präferenzen mit dem Angebot und den Preisstrukturen
in Einklang bringen. Hier gibt es grundsätzlich drei Anpassungsmöglichkeiten:
das Ausweichen in billigere Räume, die Reduktion der eigenen Ansprüche oder
der Konsumverzicht in anderen Bereichen“.18
Unterstrichen werden diese Erkenntnisse auch von Hallenberg, wenngleich aus
der Perspektive einer möglichen Rückkehr in die Stadt: Die allgemeine Attraktivität der Stadt, eine gute Wohnumfeldqualität sowie ein hinreichendes Baulandund Wohnungsangebot reichen nicht aus, wenn die infrage kommende wanderungsbereite Bevölkerung nicht auch über die ökonomischen Möglichkeiten zur
Rückkehr in die Stadt verfügt.19 Das Niveau der Bodenpreise einschließlich der
umfangreichen Kosten bis zum Baubeginn, z.B. für Hausanschlüsse der Verund Entsorgungsbetriebe ist hier ebenso wichtig wie das Mietniveau. Hallenberg
stellt einen zwar etwas zeitverschobenen, aber eindeutigen Zusammenhang
zwischen dem Umfang der Fortzüge ins Umland und den Neubaumieten fest. Er
weist diese Entwicklung seit der zweiten Hälfte der 1980er Jahre und insbesondere für die wohnungsmarktaktive Gruppe der 30 bis 49jährigen nach.
4.4.8 Ursachen der Dezentralisierung von Gewerbe
und Dienstleistungen
Die Beschäftigtenentwicklung in Nordrhein-Westfalen wird langfristig durch vier
große Trends dominiert:
• den Rückgang im Bergbau und bei den traditionellen Massenindustrien (insbesondere Stahlwerke, Metallverarbeitung, Textilien),
• die Tertiärisierung in und zwischen den Branchen,
17 Stadt Münster 2000.
18 BMBau 1996, S. 71.
19 Hallenberg 2002.
123
Zukunft der Städte in NRW
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
• die Standortentscheidungen bzw. -verlagerungen der Wirtschaftsunternehmen und
• die konjunkturellen Zyklen.
Während konjunkturelle Zyklen nahezu flächendeckend das gesamte Land
betreffen, hat der Strukturwandel eine ausgesprochen räumliche Komponente.
Alte Industrien können nur da wegbrechen, wo sie entstanden sind - das heißt
in den großen Städten und anderen Konzentrationsräumen (z.B. Textilindustrie
Westmünsterland). Neue Arbeitsplätze reflektieren hingegen die aktuellen
Standortbedingungen und ihre Wertungen.
So wird nach der Beschäftigtenentwicklung insgesamt eine Arbeitsplatzdezentralisierung bzw. eine Urbanisierung des Umlandes erkennbar. Insbesondere der
Kernumlandring und das Mittelstadtumland sind die wachsenden Räume. Dennoch dominieren die Kernstädte weiterhin das allgemeine Grundmuster. Vor
allem der aktuelle ökonomische Leitsektor der Finanzdienstleistungen und der
sonstigen Dienstleistungen erweist sich als Domäne der Kernstädte und nicht
als die des Umlandes (siehe dazu auch die Ausführungen in Kapitel B3).
Die räumliche Dekonzentration von gewerblichen und Dienstleistungsarbeitsplätzen ist auf zwei Ebenen zu betrachten. Ein Teil der Arbeitsplatzdynamik in
den Umlandräumen erscheint als unmittelbare Folge der Bevölkerungssuburbanisierung. Die wachsenden suburbanen Räume brauchen vermehrt lokalen Einzelhandel, lokale Dienstleistungen wie Ärzte, Apotheken oder Anwälte sowie
lokale Verwaltungen. Hier handelt es sich um einen Anpassungsprozess auf
einen bestimmten notwendigen Mindestbesatz an vor allem haushaltsnaher
Dienstleistungsinfrastruktur, also um eine endogene Entwicklung.
Hingegen lassen die bisherigen Erkenntnisse noch keine eindeutige Aussage zu,
in welchem Umfang die zu beobachtende Dekonzentration auf eine Suburbanisierung des gewerblichen Sektors und der Dienstleistungen zurückzuführen ist.
Es könnte laut Brake auch zu einer Dynamik der suburbanen Räume kommen,
bei der lokale Betriebe eine eigene Wachstumsdynamik entwickeln oder neue
Wirtschaftsaktivitäten unmittelbar im suburbanen Raum stattfinden.20 Der allgemeine wirtschaftliche Strukturwandel, der sich in der Aufgabe alter sowie in der
Gründung völlig neuer Betriebe und Betriebsstrukturen an anderen - geeigneteren - Standorten zeigt, dürfte eine deutlich größere Wirkungsdimension haben
als die - der Suburbanisierung der Bevölkerung vergleichbare - Standortverlagerung bestehender Betriebe in das Umland. In den Bereichen der Gewerbeund Bürosuburbanisierung lassen sich jedoch Entwicklungstendenzen beobachten, die zu neuen Standortmustern führen können.
Für die jüngeren Entwicklungen lässt sicht noch kein einheitliches Muster nachweisen. Weder verläuft die Entwicklung in allen Stadtregionen im gleichen
20 Brake in den einführenden Überlegungen zu Brake/Dangschat/Herfert 2001.
124
Zukunft der Städte in NRW
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Seite 125
Räumliche Entwicklung
Tempo und in die gleiche Richtung, noch zeigt sich innerhalb der Stadtregionen
ein neues homogenes Muster. Derartige Entwicklungen lassen sich mit dem
System der Zentralen Orte allein nicht mehr abbilden.
Dezentralisierung von Gewerbe
Die Dekonzentration von Produktions- und insbesondere flächenintensiven
Distributionsgewerbe ist neben der Auflösung von Gemengelagen vor allem eine
Reaktion auf das Kern-Rand-Gefälle der stadtregionalen Bodenpreise. Die städtischen Bodenmärkte forcieren eine Verlagerung oder gar Auflösung von Produktionsstätten zugunsten von Büronutzungen, die höhere Bodenerträge erwarten lassen.21 Eine weitere Ursache ist auch in strengen Auflagen etwa in Form
von gestalterischen Vorgaben oder der Forderung nach hohen Arbeitsplatzdichten für die Nutzung von zentral gelegenen Gewerbeflächen zu sehen.
Mit Ausnahme vom Raum Düsseldorf ist der Umnutzungsdruck in NordrheinWestfalen weniger ausgeprägt als etwa in München, Stuttgart oder Frankfurt.
Trotzdem gibt es eine Flächenkonkurrenz, da die Nachnutzung von Gewerbeflächen durch Wohnnutzungen und ergänzende Dienstleistungen höhere Bodenerträge verspricht als eine gewerbliche Weiternutzung. Selbst in Räumen mit
einem großzügigen Flächenangebot, in denen sich Flächenumnutzungen lange
hinziehen können, ist die hohe Renditeerwartung ungebremst. Angesichts dieser Erwartungshaltung werden seitens der Grundeigentümer, aber auch der
lokalen Politiker und Planer verdichtete und intensivere Nutzungen eingefordert,
die sich in den Kennziffern der Gewerbeflächen in Nordrhein-Westfalen niederschlagen. So ist in den Ballungsräumen vor allem auf neuen Gewerbeflächen die
durchschnittliche Flächeninanspruchnahme mit 197 Quadratmeter pro Beschäftigten deutlich niedriger als im Ballungsrand oder dem ländlichen Raum mit 284
bzw. 434 Quadratmeter Gewerbefläche pro Beschäftigten.22
Laut Kahnert orientiert sich die Randwanderung des Gewerbes in Deutschland
bereits auf den zweiten oder dritten Ring der Agglomerationen, da im unmittelbaren Umland im Wettbewerb um gewerbliche Standorte verstärkte Nachfrage
von Dienstleistungsbetrieben, ansässigen Unternehmen, Neuansiedlungsinteressen und Umlandwanderern aufeinander treffen.23 In Nordrhein-Westfalen trifft
dies weniger auf den zweiten Umlandring als vor allem auf die Mittelstädte und
deren Umland zu.
Die Beschleunigung von Produktionsprozessen, Größenbeschränkungen in der
Fabrikgröße sowie die Intensivierung von Zuliefererbeziehungen und die Reduk21 Kahnert 1998.
22 Mielke 2002.
23 Kahnert 1998, S. 51.
125
Zukunft der Städte in NRW
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9:11
Seite 126
Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
tion von Lieferbeziehungen wird sich laut Kahnert in Zukunft auch auf die räumlichen Muster niederschlagen. Vor allem kleinere und mittlere Einzelbetriebe
werden sich je nach Agglomeration und Gewerbeflächenangebot und -preisen
in den ersten oder zweiten Agglomerationsring verlagern. Die Verlagerung orientiert sich eher in räumlicher Nähe, um Kundenbeziehungen aufrecht zu erhalten
und qualifizierte Arbeitskräfte zu halten. Insbesondere Unternehmen mit beengten Entwicklungsverhältnissen - vor allem in den Agglomerationen - verlagern
eher in Richtung von Standorten mit ausreichendem Entwicklungsspielraum,
der wiederum vor allem im ländlichen Raum zu finden ist. Wie sich die künftigen
organisatorischen Veränderungen im produzierenden Gewerbe und Änderungen
im Standortverhalten räumlich niederschlagen werden, gilt gegenwärtig noch
als unklar.24
Dezentralisierung von Büroarbeitsplätzen
Neben der Dezentralisierung von flächenintensivem Gewerbe beobachtet man
in den letzten Jahren auch eine zunehmende Dezentralisierung von Dienstleistungen. Die vorangegangenen Analysen zeigen eindeutig, dass in den verschiedenen Umlandtypen entsprechende Wachstumsprozesse bei den Dienstleistungsbeschäftigten, insbesondere bei den Finanz- und sonstigen Dienstleistungen, stattgefunden haben. Allerdings sind das Niveau und das Wachstumstempo weiterhin deutlich geringer als im Ballungskern.
Dienstleistungsarbeitsplätze stellen zu einem guten Teil Büroarbeitsplätze dar. In
einer Studie zur Dezentralen Konzentration wurde Mitte der 1990er Jahre festgestellt: „Nach langen Perioden, in denen es zu einer Konzentration der Neubauten auf Kernbereiche der Agglomerationen kam, ist die Standortwahl seit
einigen Jahren sehr viel dezentraler. Bevorzugt werden die Achsen in Richtung
auf und im näheren Einzugsbereich von Flughäfen. Büroflächen entstehen aber
auch immer mehr in einem Ring von Gemeinden in stark verstädterten Zonen im
Umland der Kernstädte und entlang von Autobahnen an verkehrsgünstigen
Standorten“.25 Diese Einschätzung beschreibt treffend die Entwicklung der späten 1980er und frühen 1990er Jahre. Sie muss aber auch vor dem Hintergrund
des Vereinigungsbooms gesehen werden, der die Preise für Büroimmobilien
zeitweise deutlich anziehen ließ.
Nachdem in Deutschland lange Zeit vorwiegend Büros von Selbstnutzern gebaut
wurden und Mietobjekte ein kleinteiliges ergänzendes Segment bildeten, hat sich
die Situation seit Mitte der 1980er Jahre strukturell grundsätzlich verändert. Damit
differenzierte sich die Nachfrage sowohl im Hinblick auf die Nachfrager als auch auf
24 Kahnert 1998, S. 513.
25 BMBau 1996, S. 58.
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die Standorte, Bürotypen und Qualitäten. Noch schwerer wiegen die räumlichen
Unterschiede.
In Relation zu anderen Bürostandorten in Deutschland haben sich in NordrheinWestfalen die Büromieten nur maßvoll entwickelt. Ein systematisches Herausdrängen von Büroinvestitionen in preiswerte Lagen findet bisher kaum statt. Nach wie
vor sind neben dem Mietpreisgefälle zur Kernstadt Kundennähe und Verkehrsgunst
bestimmend. Solche Argumente haben für unterschiedliche Nachfrager sehr unterschiedliches Gewicht. Die Büroarbeitsplatzsuburbanisierung muss - soweit vorhanden - deshalb mit branchenspezifischen Ausdifferenzierungsprozessen verbunden sein. Schon 1992 schrieb Brake für den Frankfurter Raum: Dort ist „seit den
1980er Jahren ein neuer regionaler Ring von Bürostandorten entstanden, der sich
jedoch mit seiner Nutzung durch unternehmensbezogene Dienste der Technik,
EDV, Gebäudereinigung und Vertrieb in seiner Struktur deutlich von der auf internationale Finanzdienstleistungen und
Unternehmensberatung spezialisierten
City unterscheidet“.26
Auf der empirischen Basis von Fallstudien in den Stadtregionen Bremen, Hannover, Frankfurt und München weisen
Brake und andere eine „deutliche
Gewerbesuburbanisierung“ nach, deren
Träger „zunehmend mehr Dienstleistungen, darunter auch unternehmensbezogene“, sind. Insgesamt gewinnt man den Eindruck, dass „Tätigkeiten, die bei den
Kunden nicht unbedingt auf strategische Erfordernisse eingehen“, „die ihre Leistungen in hoher Routine erbringen“, „die relativ wenig spontane Kooperationsformen zeigen“ und „die im wesentlichen den ganzen stadtregionalen Raum als
Aktionsraum haben, vor allen Dingen ins Umland gehen und vice versa die anderen eher in die innere Stadt“.27 Räumlich richtet sich die überwiegende Masse der
Dezentralisierung auf den suburbanen Gürtel im engeren Sinne.28 In einem zweiten
Ring finden sich Orte mit eigenständiger Standortentwicklung, die jedoch „nicht
von Verlagerungen aus der Kernstadt, sondern eher vom Zuzug in die Region bzw.
auf jeden Fall von Eigenentwicklung“ profitieren.29
26 Brake 1992, S. 225f.
27 Brake/Bullinger/Rautenstrauch/Keim 1998, S. 32.
28 Brake/Danielzyk/Karsten/Rudolph 1997, S. IV.
29 Brake/Bullinger/Rautenstrauch/Keim 1998, S. V.
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4.5
Entwicklungsperspektiven und Handlungsmöglichkeiten
Der Rückblick auf die Entwicklung Nordrhein-Westfalens zeigt, dass es hier
unabhängig von allgemeinen wirtschaftlichen Bedingungen und der jeweils konkreten Lage auf dem Wohnungsmarkt fortlaufend Prozesse der Suburbanisierung gegeben hat. Besonders stark waren diese letztmalig in den 1990er Jahren, die bedingt durch den Fall der Mauer und den Wegfall des Eisernen Vorhangs massive Wanderungsbewegungen aufwiesen. Die urbanen Wohnungsmärkte waren zu dieser Zeit, wie schon einmal in den 1970er Jahren, nicht in der
Lage, der erheblichen Nachfrage gerecht zu werden.
Bei der Analyse von Wirkungsmechanismen fällt die weiter fortschreitende Ausdifferenzierung ins Auge:
• Neben die klassische Stadt-Umland-Beziehung sind z.B. vitale und attraktive Mittelstädte am Ballungsrand getreten, die sowohl Ziel der Stadtflucht als
auch einer möglichen Rückwanderung vom Land in die Stadt sein können.
• Der Bezug eines Eigenheims durch eine (junge) Familie ist zwar nicht die
dominierende, aber auch in Zukunft eine der wichtigen Ursachen und auch
ein entscheidender Zeitpunkt für Wanderungen. Die Städte, inzwischen auch
die großen, haben erkannt, dass hier nur durch gezielte Planungs- und
Flächenpolitik Abhilfe geschaffen werden kann. Insofern sind neue bzw.
erweiterte Entscheidungsmöglichkeiten bei der Wohnungssuche entstanden.
• Ähnliches gilt auch für andere Aspekte des Wohnungsangebotes. So wie einerseits in den großen Städten von den Wohnungsbauunternehmen sukzessive erkannt wird, dass neben den herkömmlichen Wohnungsgrundrissen
auch neue Angebote erforderlich sind, so setzt sich die Ausdifferenzierung
des Wohnungsmarktes andererseits auch in den unterschiedlichen Bereichen der Zwischenstadt fort.
• Hervorzuheben sind die Bemühungen größerer Städte um die Lösung sozialer Probleme; z.B. im Rahmen des Programms Soziale Stadt. Allerdings setzen die finanziellen Möglichkeiten hier enge Grenzen. Zwar sind auch mittelgroße und kleinere Städte im Bereich der Zwischenstadt von sozialen Problemlagen nicht mehr frei, dennoch bleiben Unterschiede bestehen.
4.5.1 Perspektiven der Suburbanisierung
Die Trends der Suburbanisierung haben sich insgesamt abgeschwächt, eine
Entwicklung, die sich nicht allein aus der insgesamt abgeflauten Baukonjunktur
ableiten lässt. Kann aber vor dem geschilderten Hintergrund auch davon ausgegangen werden, dass die Suburbanisierung mit der Zeit ganz zum Erliegen
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kommt? Gelangen die Reifeprozesse zu einem Abschluss oder trägt das Bündel
der Gründe auch in der Zukunft ein gewisses Grundmaß an Suburbanisierung?
Nicht zuletzt mit Blick auf die überlagernden Auswirkungen des demografischen
Wandels, auf die später noch eingegangen werden soll, kann die Antwort nicht
einheitlich ausfallen. Vielmehr ist sachlich und räumlich zu differenzieren. Hallenberg sieht durchaus ernsthafte Chancen einer Reurbanisierung, das heißt
eines Zurückwanderns von Bevölkerung in die Kernstädte.30 Ohne Frage ist bei
vielen Menschen der Wunsch latent vorhanden, in der Stadt zu wohnen - gerade bei Familien in der Gründungsphase. Neben den großen Städten, die ihre
„Hausaufgaben“ zum Teil noch machen müssen, stehen auch die mittelgroßen
Städte - ob im ländlichen Raum, in der Zwischenstadt oder am Ballungsrand bereit und bieten adäquate Wohnmöglichkeiten. Dies bedeutet, dass Reurbanisierungsprozesse nie ausschließlich den herkömmlichen Ballungszentren zu
Gute kommen werden. Die ausdifferenzierten Siedlungsstrukturen in allen Bereichen des Landes bieten gerade in kleineren und mittleren Städten interessante
Kombinationen von Übersichtlichkeit, kurzen Wegen und urbanen Qualitäten
bzw. Dienstleistungen.
Da sich insbesondere moderne Industriezweige - hierzu gehören vor allem stark
forschende und entwicklungsbetonte Bereiche - mit ihren Standorten wesentlich stärker als bisher nach den Arbeitskräftepotenzialen und damit nach Hochschulstandorten richten müssen, werden Chancen eröffnet, attraktive gewerbliche Ansiedlungen in die Ballungskerne zu holen (vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel B3). Hierfür werden allerdings erhebliche Anforderungen an
Umweltbedingungen, Wohnmöglichkeiten und insbesondere an die Qualität des
Bildungs- und Weiterbildungssystems gestellt. Peripheren und singulär gelegenen Hochschulstandorten fehlt hier möglicherweise ein entsprechendes Umfeld.
Standorte in der Zwischenstadt können für die Kernstädte jedoch eine ernsthafte Konkurrenz darstellen.
Weiterhin bildet sich mit der im Schnitt älter werdenden Bevölkerung immer
stärker eine breite Schicht aktiver Rentner heraus, die den Sinn ihres Lebens in
der Teilhabe an vielen Formen des gesellschaftlichen Lebens sehen. Gerade in
einem Alter, in dem die Mobilität beschwerlicher wird, sind zentrale Wohnstandorte wieder gefragt, die Aktivitäten möglichst ohne Autobenutzung zulassen. Mit
Blick auf die enormen wirtschaftlichen Potenziale dieser Entwicklung kann
davon ausgegangen werden, dass entsprechende Angebote entstehen und
damit Beiträge zu einer Reurbanisierung geleistet werden.
Deutlich wird aber auch, dass viele der vorgenannten Effekte in enger Abhängigkeit von der konkreten Stadtpolitik im Grundstücks-, Bau- und Planungsbe-
30 Hallenberg 2002.
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reich stehen. Es ist daher nicht möglich, detailliert vorauszusagen, wie sich die
Entwicklung generell darstellen wird. Vielmehr ergeben sich Szenarien für Entwicklungen je nach konkreter städtischer Politik und nach aktuellen örtlichen
Bedingungen.
4.5.2 Was wird aus der Zwischenstadt?
Wenn sich aufgrund fortentwickelter Verhaltensweisen, veränderter ökonomischer und demografischer Bedingungen sowie einer stärker am Bedarf angepassten großstädtischen Politik deutlich bessere Chancen für die Kernstädte
ergeben, so muss gleichzeitig die Frage nach der Zukunft der Zwischenstadt
gestellt werden. Die Zwischenstadt ist nicht mehr ein in wesentlichen Funktionen von der Großstadt, vom Ballungskern abhängiger Siedlungsbrei. Sie hat im
Rahmen vielfältiger Reifungsprozesse inzwischen eine eigene Funktionalität
erworben. Diese Funktionalität ist hoch differenziert und damit in der Lage, eine
Vielzahl von sehr unterschiedlichen Bedürfnissen im Bereich aller Daseinsgrundfunktionen zu erfüllen. Es gibt ausdifferenzierte Wohnstandorte mit unterschiedlichen Wohnungsangeboten ebenso wie gewerbliche Bauflächen in allen
Größen und Qualitäten. Es sind Einrichtungen der Kultur, der Bildung ebenso
entstanden wie kommerzielle Angebote für Freizeit und Versorgung. Leistungsfähige Verkehrsnetze werden mehr und mehr nicht nur allein auf die Verbindung
in die großen Städte, sondern auch auf die inneren Verkehrsbedürfnisse in der
Region orientiert, wenngleich dies aufgrund der schwierigen differenzierten
Raumstruktur nur eingeschränkt möglich und finanzierbar ist. Selbst die Integration beispielsweise von Migranten, ehedem eine typische Funktion der Großstadt, scheint den Zahlen nach zu gelingen.
Offensichtlich also hat die Zwischenstadt inzwischen eine so deutliche und ausgeprägte eigene Qualität entwickelt, dass sie für viele Menschen bevorzugter
Wohnstandort ist und auch in Zukunft bleiben wird. Insbesondere gilt dies für
solche Bevölkerungsgruppen, die sich ohnehin aus dem regionalen Angebot die
für sie attraktiven Punkte heraussuchen und als „Generation Regionalstadt“
bezeichnet werden.31 Zwar setzt diese Lebensweise hinreichende ökonomische
wie zeitliche Potenziale voraus, über die nicht alle Menschen verfügen, dennoch
handelt es sich um Bevölkerungsgruppen, die durchaus in der Lage sind, eine
gewisse Entwicklung zu tragen.
Allerdings erfolgen diese Entwicklungsprozesse je nach regionaler Situation
weniger quantitativ als - eher im Sinne des Reifungsprozesses - qualitativ. Diese
31 Aring 2004.
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qualitative Entwicklung erlaubt die Aussage, dass es auch in Zukunft nicht zu
der Herausbildung der oftmals befürchteten Einfamilienhausteppiche nach amerikanischem Muster kommen wird. Sie entsprechen weder den vorhandenen
Strukturen, die sich weiterentwickeln werden, noch den Vorstellungen der dort
lebenden Menschen. Hingegen werden die städtischen Qualitäten wenn auch
moderat wohl weiterhin anwachsen. Die urbane Qualität traditionell gewachsener Städte werden die Zwischenstädte jedoch auch in Zukunft nicht erreichen
können.
4.5.3 Trends neben der Suburbanisierung
Der demografische Wandel wird in Nordrhein-Westfalen in den nächsten Jahrzehnten zu erheblichen Veränderungen führen. Dabei wird es wie in allen anderen Bereichen auch zu einer räumlich sehr unterschiedlichen Entwicklung kommen. Die Veränderungen werden je nach Ausgangsvoraussetzung und Attraktivität der Teilräume sehr unterschiedlich sein. Weniger attraktive Räume, die seit
langem von negativen ökonomischen Strukturveränderungen betroffen sind,
weisen in aller Regel schon heute das gesamte Spektrum an demografischen,
sozialen und ethnischen Problemen auf. Ihre Ausgangsbedingungen sind damit
auch für die Umbruchsituation des demografischen Wandels deutlich schlechter. Entwicklungen werden sich potenzieren, wo sich die subjektiven Lebensbedingungen für die wanderungsfähigen und wanderungsbereiten Bevölkerungsgruppen weiter verschlechtern. Hingegen können attraktive, ökonomisch starke
Regionen von diesen Wanderungsbewegungen profitieren, ihre Bevölkerungszahl stabilisieren und möglicherweise sogar noch steigern.
Die künftige Attraktivität wird dabei vor allem von einer stabilen Position der
Städte bestimmt. Hier sind zunächst die eindeutig oberzentralen Städte Köln,
Düsseldorf, Essen und Dortmund zu nennen, die im nationalen und internationalen Kontext auch weiterhin eine wesentliche Rolle spielen. Ähnlich stabil dürften auch die mittelgroßen, eher solitär gelegenen Städte Bonn, Aachen, Münster, eventuell auch Paderborn, Bielefeld und Siegen sein, die neben ihrer Rolle
in der Region vor allem Chancen in der Spezialisierung besitzen (Bonn als
Bundesstadt, Standort internationaler Organisationen, Telekom-Stadt).
Es verbleiben allerdings auch Stadträume mit unklaren, tendenziell schwierigen
Positionen: das Ruhrgebiet mit den Hellwegstädten Bochum, Mülheim und
Duisburg sowie die Emscherzone von Oberhausen bis Castrop-Rauxel, das Bergische Städtedreieck (Wuppertal, Remscheid, Solingen) mit der Stadt Hagen
und die Stadt Mönchengladbach.
Aus den genannten Entwicklungen der Kernstädte ergeben sich Folgen für die
umliegenden verstädterten Bereiche. Wenn die Kernstädte massiv an auch wirt131
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schaftlicher Attraktivität verlieren, wird dies nicht ausschließlich zu einer verstärkten Abwanderung in das Umland der Kernstädte führen. Voraussetzung für
diese Wanderungen war nämlich stets eine solide ökonomische Basis, das heißt
insbesondere ein entsprechendes Arbeitsplatzangebot. Zunächst war dies noch
ein traditionelles Angebot der Kernstadt. Im Laufe der Jahre haben sich jedoch
in der Zwischenstadt Alternativen herausgebildet, die nicht nur konkurrierend,
sondern auch komplementär wirken. Ohne entsprechende ökonomische Basis
wird es demnach, wie es in den großen Abwanderungsregionen der neuen
Bundesländer bereits festzustellen ist, auch zu Bevölkerungsverlusten im
Umland der Kernstädte kommen. Bei dem längerfristig zu erwartenden Wohnungsüberangebot und den sich daraus ergebenden niedrigen Preisen in den
meisten Kernstädten, könnte also die klassische Stadtumlandwanderung somit
tendenziell zum Erliegen kommen, zumindest aber nicht mehr der bestimmende Trend sein. Dominierend werden hier die regionalen Abwanderungsbewegungen sein.
Ganz anders sieht es in den wirtschaftlich starken Regionen aus, die zudem von
Zuwanderung profitieren. Hier besteht auf mehrere Jahrzehnte eine noch zumindest konstante Bevölkerungszahl. Damit wird die Zahl der Haushalte noch auf
längere Frist wachsen, was eine entsprechende Nachfrage nach zusätzlichem
Wohnraum zur Folge hat. Es wird sich die Frage stellen, wo in der Kernstadt
oder im Umland dieser zusätzliche Wohnraum in der von der Bevölkerung gewünschten Qualität und zu akzeptierten Preisen bereitgestellt werden kann.
Damit greifen die oben erläuterten Handlungsmuster: Es wird auf die konkrete
Politik insbesondere der Städte ankommen, ob sie Einwohner in ihren Grenzen
halten und Reurbaniten ansprechen können.
Deutlich wird, dass die Wirkungen des demografischen Wandels sehr unterschiedlich sein können, in jedem Falle aber zu einer weiteren Ausdifferenzierung
der Entwicklungsmuster führen.
An dieser Stelle soll die Frage neuer Lebensstile aufgegriffen werden, die sich
beispielsweise hinter dem bereits erwähnten Begriff von der „Generation Regionalstadt“ verbergen. Stadtentwicklung ist ein langfristiger Prozess; Die baulichen Ergebnisse dieser Entwicklungen bleiben in aller Regel für viele Jahrzehnte erhalten, im ungünstigsten Falle als städtebauliche Brachflächen. Die
„Generation Regionalstadt“ zeichnet sich durch einen Lebensstil aus, den man
umgangssprachlich auch als „Rosinenpickerei“ bezeichnen kann. Sie tut im
Grunde nichts anderes als andere Gruppen auch, sie nutzt ihre ökonomischen
und zeitlichen Möglichkeiten, um ihre Lebenssituation zu optimieren. Nur sucht
sie sich nicht unter verschiedenen Standorten den, der unter Berücksichtigung
aller Lebensbedürfnisse der günstigste ist, sondern sie bedient sich - hochmobil - einer gesamten Region zur Bedürfnisbefriedigung.
Diese hohe Mobilität setzt allerdings ökonomische und zeitliche Potenziale voraus, über die nicht alle Bevölkerungsgruppen verfügen. Generell kann davon
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ausgegangen werden, dass Menschen ohne Kinder, gegebenenfalls noch kleine
Familien am ehesten in der Lage sind, sich entsprechend zu verhalten. Dies sind
dann insbesondere jüngere Menschen, das heißt Menschen vor der Familienphase, und noch mobile und aktive ältere Menschen, bei denen die Kinder das
Haus verlassen haben und berufliche Bindungen nicht mehr oder nur noch in
deutlich geringerem Maße bestehen. Zunehmend sind es auch diejenigen mittleren Alters, eher ohne Kinder, die über ein höheres Haushaltseinkommen verfügen und sich durch Inanspruchnahme von Haushaltsdienstleistungen einen
von zeitlich intensiven Reproduktionsaufgaben unabhängigen Lebensstil erlauben können. Aus beruflicher Sicht bestehen solche Möglichkeiten insbesondere für Menschen, denen der Beruf ein möglichst hohes Maß an zeitlichen Gestaltungsspielräumen eröffnet, sei es durch die Möglichkeit, sich die Arbeitszeiten
frei einzuteilen oder durch eine insgesamt relativ geringe Wochenarbeitszeit.
Schwierig wird es für solche Personengruppen sein, die beruflich sehr stark eingebunden sind und über wenig freie Zeit verfügen, oder die in ein sehr stringentes Zeitraster eingepasst sind, weil sie z.B. Schicht- oder gar Bereitschaftsdienste leisten müssen.
Typische Zielpunkte dieser Mobilität sind Freizeitgroßeinrichtungen, moderne
erlebnisorientierte Einkaufszentren und kulturelle oder sonstige Großereignisse.
In geringerer Zahl treten exklusive Freizeitangebote hinzu.
Die Frage, welche Bedeutung Bevölkerungsgruppen wie die „Generation Regionalstadt“ und regionale Ziele der
genannten Art in Zukunft haben werden, ist schwer abzuschätzen. Deutlich
wird, dass es sich um wenig nachhaltige Lebensentwürfe und ökonomische
Konzepte handelt. Wenn die Reproduktionsrate der Bevölkerung nach vielen
Jahren der Diskussion zu einem ökonomisch nachhaltig unterstützten Ziel der
Politik wird, wird die Zahl der Familien
mit mehreren Kindern steigen und wird
damit ein wesentlicher Bestandteil der „Generation Regionalstadt“ betroffen sein.
Auch wenn deren ökonomische Möglichkeiten trotz der zusätzlichen Kinder durch
staatliche Intervention erhalten bleiben, wird doch die Mobilität objektiv zurükkgehen. Solche Bevölkerungsgruppen werden wieder qualitativ hochwertigere
und vielseitige Angebote in möglichst großer Nähe zu ihren Wohnstandorten
nachfragen und sich bei der Wohnstandortwahl danach ausrichten. Sie würden
sich damit ähnlich wie ökonomisch starke ältere Menschen verhalten, die zwar
immer noch attraktive Angebote in der Region wahrnehmen, allerdings deutlich
stärker darauf achten, wie und in welcher Entfernung diese Angebote erreichbar
sind (siehe auch die weiteren Ausführungen zu Lebensstilen in Kapitel B5).
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Es bleibt abzuwarten, ob und in welchem Umfang sich die erwähnten staatlichen Maßnahmen auswirken. Es ist nicht erkennbar, dass dies in einer solchen
Breite geschieht, so dass die globalen Trends auf mittlere Frist maßgeblich
beeinflusst werden. Insbesondere muss zur Kenntnis genommen werden, dass
auch eine massive Erhöhung der Geburtenraten die generellen Trends des
demografischen Wandels für die nächsten Jahrzehnte nicht umzukehren vermag.
In der Quintessenz ist festzuhalten, dass die „Generation Regionalstadt“ in ihren
quantitativen Dimensionen nicht überschätzt werden sollte. Zwar finden sich
Teile der beschriebenen Handlungsmuster in vielen Bevölkerungsgruppen wieder, doch nur sehr begrenzt in einer solchen Intensität, dass sich hieraus massive Veränderungen der ohnehin bekannten gesellschaftlichen Trends ergeben.
4.5.4 Welche Chancen hat die Kernstadt?
Es erscheint unwahrscheinlich, dass die Städte aus eigener Kraft in der Lage
sind, Abwanderungen durch Suburbanisierungsprozesse generell zu verhindern.
Sie können jedoch versuchen, wieder attraktiver für Zuwanderer zu werden.
Aring stellt hierzu fest, die Stadt habe ihren „utopischen Gehalt“ verloren.32 Ein
Blick in die Vergangenheit erklärt diesen Begriff: Der Schritt vom Land in die
Stadt war oft ein Aufbruch; die Stadt bot umfangreiche Freiheiten und damit
Möglichkeiten der persönlichen Entwicklung, die „auf dem Land“ schlicht
undenkbar waren. Ansätze für eine Renaissance dieser historisch bedeutenden
Funktion der Stadt sind nicht zu erkennen, zumal viele der entsprechenden Qualitäten heute flächendeckend vorhanden sind. Auf Dauer bedeutsam bleibt hingegen die konsumierbare Dimension der Stadt. Hieraus resultieren der wachsende Städtetourismus und städtische Großereignisse mit enormen Besucherzahlen.
Manche Stadt muss damit umgehen, mehr und mehr Kulisse sowohl für Großereignisse als auch für individuelle Lebensentwürfe zu werden. Dies mag man
beklagen, dies muss aber nicht grundsätzlich negative Auswirkungen haben. In
der Verbundenheit vieler Menschen zur Stadt stecken zunächst einmal ökonomische Potenziale, die genutzt werden können. Das vielfach postulierte Bild der
europäischen Stadt war stets das Produkt ökonomischer und politischer Rahmenbedingungen. Veränderten sich diese lokal oder global, musste sich auch
die Stadt verändern. Konnte oder wollte sie sich nicht verändern, verlor sie ihre
ökonomische Basis, ihre Funktionen und manches Mal auch ihre städtische
Existenz.
32 Aring/Herfert 2001.
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Damit wird deutlich, wie wesentlich die Frage ist, ob eine Stadt überhaupt die
Chance hat, sich an die geänderten ökonomischen Bedingungen anzupassen.
Ganz entscheidend wird es für die aus heutiger Sicht (noch) zu wenig profilierten, mit schlechten Zukunftsprognosen belasteten Städte darauf ankommen, ihr
eigenes wirtschaftliches Profil zu entwickeln. Das Beispiel Dortmund zeigt, wie
aus hochwertigen Bildungs- und Forschungseinrichtungen Gewerbeansiedlungen und schließlich auch Wohnungen entwickelt werden können.
Vor allem müssen divergierende Funktionen und Entwicklungsmöglichkeiten
unterschiedlicher Städte beachtet werden. Anders als früher hängen die Entwicklungschancen einer Stadt nicht mehr von ihrer Einwohnerzahl oder Zentralität ab. Damit verlieren auch die klassischen Steuerungselemente der Landesplanung ihre Funktion. Vielmehr wird es um die konkreten Entwicklungsbedingungen einer Stadt gehen, um ihre speziellen Funktionen und Potenziale, auch
um ihre Probleme und Entwicklungsrisiken, wobei die Perspektive der jeweiligen
Region eine entscheidende Rolle spielen wird. Als Beispiel genannt seien die
zwei Großstädte Bonn und Gelsenkirchen, die trotz ähnlicher „Papierform“ ohne
Frage völlig unterschiedliche Entwicklungsperspektiven besitzen.
Entscheidend wird auch die teilweise Umkehrung der Stadt-Umland-Beziehung
sein. Lebte früher grundsätzlich das Umland sehr stark von der Stadt, so hängt
die nachhaltige Entwicklung der Stadt in Zukunft mindestens ebenso stark von
der Qualität ihres Umlands ab. Nicht zuletzt muss sich eine Stadt - oftmals
Namensgeber einer Region - als Zentrum der Region verstehen und profilieren.
Unter dem Stichwort „Herausforderungsräume“ kann sich hier eine neue Planungskultur entwickeln, die negative wie positive Herausforderungen gleichermaßen annimmt. Sie muss neben die traditionellen Strukturen der Raumordnung treten, die nicht mehr in allen Teilbereichen als Erklärungs- und Steuerungsinstrument funktionieren.
Ein weiteres Problem stellt in diesem Zusammenhang die Ausdifferenzierung
eines Stadtraumes dar. Ob eine Stadt in einer Wachstums- oder in einer
Schrumpfungsregion liegt, prägt zwar ihre grundsätzlichen Handlungsmöglichkeiten, sagt aber noch nichts darüber aus, wie sich ihre Teilräume entwickeln.
Die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte zeigen eine stärker werdende
Segregation innerhalb der Städte, bei der sich die sozialen Problemfaktoren
heute in bestimmten Teilräumen konzentrieren und überlagern. Wesentlich für
die Zukunftschancen der Stadt wird es sein, ihre Teilräume zu betrachten und
Hilfestellung zu einer angemessenen Entwicklung der Problemstadtteile zu leisten (vgl. hierzu auch Kapitel B5). Ähnlich wie die Grundsatzfrage der Suburbanisierung ist auch diese Frage unabhängig von bestehenden politischen Grenzen. Suburbanisierte Bereiche können ebenso innerhalb wie außerhalb der politischen Grenzen der großen Kernstädte liegen wie prosperierende oder
schrumpfende Stadtteile.
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4.5.5 Entwicklungsperspektiven der Zentren
Neben den allgemeinen Entwicklungstrends für Städte und Regionen, die allenfalls global zu steuern sind, müssen auch die Möglichkeiten der Städte selbst,
ihre Entwicklung in positive Bahnen zu lenken, betrachtet werden. Hier ist insbesondere zu fragen, wie sich die zentralen Bereiche innerhalb der Städte, das heißt
die innerstädtischen Zentren und Nebenzentren entwickeln werden. Dabei ist es
nicht leicht, Entwicklungen vorherzusagen, da sie von widersprüchlichen Trends
und Tendenzen abhängen. Welche Einflüsse sich im Einzelnen durchsetzen können, kann nur in Grenzen vorausgesehen werden.
Dominierender Faktor für die Entwicklung von Zentren war in der Vergangenheit
stets ihre Handelsfunktion. Gerade der Handel aber befindet sich seit Jahren in
einer Periode der Schwäche und des Umbruchs. Ein erster Faktor hierfür ist die
allgemeine konjunkturelle Lage. Das Budget des einzelnen Haushalts für Konsumzwecke stagniert oder schrumpft; Zukunftsängste führen zu Konsumzurückhaltung. Die Perspektiven, die sich aus dem demografischen Wandel ergeben, werden diese Entwicklungen noch verstärken. Die Prognosen zur Entwickklung der Armut deuten darauf hin, dass die Zahl der Haushalte mit unter dem
Durchschnitt liegendem Einkommen weiter zunehmen wird. Die Lasten zur
Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme werden steigen; die Erlöse des
Einzelnen aus diesen Sicherungssystemen, etwa im Bereich der Rente, werden
sinken.
Hinzu tritt, dass das verfügbare Einkommen heute anders aufgeteilt wird. Die
Kommerzialisierung der Freizeit bindet einen wesentlich größeren Teil des privaten Einkommens als früher. Hierzu zählen Aufwendungen für Fitness, Sport,
Entertainment und Urlaub, die gesellschaftliche Anerkennung und Abwechslung
bringen und zu Lasten des alltäglichen Konsums finanziert werden.
Als dritter Faktor sind veränderte Einkaufsgewohnheiten zu nennen. Mögliche
soziale Hemmschwellen gegenüber dem Einkauf in Discounterläden sind praktisch nicht mehr vorhanden. Der Wochenendeinkauf im städtebaulich nicht integrierten Einkaufszentrum ist ebenso zu einem festen Faktor im Kundenverhalten
geworden wie der Einkauf in der Tankstelle. Beim Einkauf für den mittel- und
langfristigen Bedarf konkurrieren mit Freizeitnutzung kombinierte Einkaufsformen mit den traditionellen Innenstadtstandorten. Hinzu treten Sonderverkaufsaktionen, Flohmärkte, Internethandel und Verbrauchermessen. Nicht zuletzt zu
erwähnen ist der massive Trend zur Filialisierung - teilweise bereits bei 80 bis
90 Prozent -, der innerstädtische Zentren wie Nebenzentren austauschbar
macht und ihnen einen wesentlichen Attraktivitätsfaktor im Konkurrenzkampf
gegen andere Standorte nimmt.
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Diese eher ungünstigen Vorzeichen haben jedoch nicht dazu geführt, dass
Zentren bzw. Nebenzentren in sozial- bzw. bevölkerungsstrukturell überforderten Stadtteilen an Attraktivität verloren haben. Im Gegenteil: Sie haben ihre
urbane Qualität in erstaunlichem Umfange halten können. Hierin besteht ein
erhebliches Entwicklungspotenzial und zeigt die positiven Effekte der gezielten
Städtebauförderung dieser Zentren.
Insgesamt sind aber positive wirtschaftliche Daten, aus denen nachhaltige Entwicklungsimpulse für die Zentren abzuleiten wären, nicht zu erwarten. Auch die
finanziellen Möglichkeiten von Städten und Gemeinden, ihre Zentren alleine
oder mit Fördermitteln zu stärken, sind sehr gering. Bei der Bewertung der Problematik soll allerdings nicht der Fehler begangen werden, die Krise des Einzelhandels bereits zur Krise des gesamten Zentren- und Stadtgefüges aufzuwerten. Vielmehr muss überlegt werden, wie die besondere Qualität der Innenstädte gefördert werden kann, die in Nutzungsdichte und Nutzungsvielfalt liegt.
Bei einer detaillierten Bewertung muss nach Zentrentypen unterschieden werden. Die Innenstädte, das heißt die Cities der Oberzentren, haben heute - anders
als früher - keine Monopolstellung mehr. Dies liegt in Nordrhein-Westfalen an dem Nebeneinander einer Vielzahl leistungsfähiger Zentren und Einkaufscenter im Rhein-RuhrBereich. Bessere Bedingungen haben hier die Zentren der
solitären Verdichtungsräume wie z.B. Münster. Eine Sonderstellung nehmen im Übrigen Köln und Düsseldorf ein, die sich
mit einer günstigen Verbindung von exklusiven, hochpreisigen Warensegmenten, städtebaulich integrierten Shoppingmalls und einem außergewöhnlichen Kultur- und Freizeitangebot den Rang einer Metropole erworben haben.
In der Summe werden sich zwar in den Innenstädten und
Cities der Oberzentren am ehesten die aktuellen gesellschaftlichen Trends widerspiegeln, genau in diesem Umstand
liegt jedoch auch ihre Attraktivität und ihre Chance in der
künftigen Entwicklung. Eine Aufgabe besteht darin, die
Wohnfunktion wieder zu stärken, mit der - angemessene
Preise und Angebote vorausgesetzt - Leerstände insbesondere im Dienstleistungsbereich kompensiert werden können.
Die Kernbereiche der Mittelzentren haben in den vergangenen Jahren von dem Bedeutungsgewinn der Mittelzentren allgemein profitiert. Sie treten sowohl in Verdichtungsräumen als auch in den ländlichen Regionen in eine direkte Konkurrenz zu den Oberzentren. Auch hier zeigen sich die Folgen nicht integrierter konkurrierender Handelsstandorte wie der
Filialisierung. Gerade in kleinen, überschaubaren Städten, in denen die Filialbetriebe zudem nicht ihre höchste Qualitätsschiene ansiedeln, wirkt sich der Ver137
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lust Inhaber geführter Betriebe auf das Angebot besonders negativ aus. Attraktiv und förderungswürdig ist hier in besonderer Weise die Wohnfunktion, die in
den Kernbereichen der meisten Mittelstädte noch eine wesentliche Rolle spielt.
Die Stadt- und Ortsteilzentren, das heißt die Nebenzentren, haben traditionell
eine wichtige Nahversorgungsfunktion für die dort wohnende Bevölkerung übernommen. Zurückgehende Bevölkerungszahlen und negative Veränderungen der
Bevölkerungsstruktur führen in manchen Stadtteilen zu erheblichen Problemen
und schlagen sich in Geschäfts- und Wohnungsleerständen nieder. Nebenzentren sind in besonderem Maße von trading-down-Effekten sowie von der Vergrößerung der Verkaufsfläche der Filialbetriebe berührt, da geeignete Immobilien oft nicht zur Verfügung stehen. Die alten oft zu kleinen Ladenlokale stehen
leer, neue Standorte, oftmals nicht integriert oder sehr stark konzentriert, werden genutzt. Die Nahversorgungsfunktion für die Bevölkerung leidet; zusätzlicher Verkehr wird erzeugt.
Eine extreme Entwicklung hat die Handelsversorgung in Grundzentren genommen, da flächendeckend keine leistungsfähigen Angebote vorhanden sind. Personengruppen ohne Zugriff auf ein Auto haben erhebliche Probleme mit der
alltäglichen Versorgung. Eindeutige Gewinner dieser Trends mit deutlich positiven Entwicklungen sind die nicht
integrierten, häufig sogar peripheren
Standorte.
Perspektivisch werden sich die Effekte
der Bevölkerungsentwicklung auch
in den städtischen Zentren auswirken.
Die Zahl trendbewusster und zahlungskräftiger Menschen jüngeren und
mittleren Alters wird abnehmen, hingegen wird die Anzahl der Singles ebenso wachsen wie die Anteile älterer Menschen und Migranten. Insbesondere auf
die Kaufkraft jüngerer Menschen bauen aber beispielsweise aktuelle Centerkonzepte, die ohne die aktuellen Trendmarkenshops kaum denkbar sind. Konzeptanpassungen dürften hier unvermeidlich sein, auch im städtebaulichen
Bereich.
Als Handlungsansatz wird hier auf neue Konzepte zur Nahversorgung verwiesen, die insbesondere in Süd- und Südwestdeutschland eingeführt wurden.
Nachbarschaftsläden mit Verkaufsflächen von 100 bis 300 Quadratmeter bieten
je nach Konzept ein um die Angebote örtlicher Bäcker oder Metzger ergänztes
Vollsortiment mit Schwerpunkten auf Frischeartikeln oder auch ConvenianceArtikeln an. In Schleswig-Holstein werden seit 1999 nach Prüfung durch eine
Unternehmensberatung so genannte ländliche Dienstleistungszentren - Markt138
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treffs in vier Größenstufen - staatlich gefördert.33 Hier kommt das Prinzip der
zentralen Orte zumindest auf der untersten Stufe der Versorgung wieder zum
Tragen: Landesplanerisches Ziel muss es sein, ein stabiles, attraktives System
der Grundversorgung zu erhalten.
4.5.6 Netzstadt - ein mögliches Leitbild?
Die Landes- und Regionalplanung war über Jahrzehnte auf ein hierarchisch
geordnetes System von Zentren unterschiedlichen Gewichts ausgerichtet.
Deutlich geworden ist, dass dieses räumliche Muster trotz aller Förderungs- und
Steuerungsinstrumente weit weniger als früher - insbesondere hinsichtlich der
Hierarchien - der Realität entspricht. Auf der einen Seite stehen die Metropolregionen, die im Hinblick auf die internationale Konkurrenzsituation weiter entwickelt werden müssen. Auf der anderen Seite ist die regionale Struktur zu
betrachten.
Seit rund einem Jahrzehnt, beginnend mit dem raumordnungspolitischen Orientierungsrahmen der Ministerkonferenz für Raumordnung von 1993, wird in diesem Zusammenhang das Modell der „Dezentralen Konzentration“ diskutiert.
Brake und andere haben entsprechende Entwicklungen anhand von vier ausgewählten deutschen Stadtregionen (Bremen, Hannover, Frankfurt, München)
untersucht.34 Sie schlagen für das enge Umfeld der Zentren eine auf die Zentren orientierte Anreicherung bzw. Profilierung vor. Hier gibt es zwar die deutlichsten Prozesse der Dezentralisierung, aber keine Konzentrationen, sondern
weitgehend diffuse Strukturen. Anreicherung und Profilierung sollen diese Strukturen schärfen und deutlicher auf das Zentrum orientieren.
Anders sind die Erkenntnisse für den ersten Ring der Groß- und Mittelstädte. Er
kann Entlastungsfunktionen für die Zentren wahrnehmen und zeigt als „Stadt
vor der Stadt“ noch am deutlichsten Ansätze einer dezentralen Konzentration.
Konkret sollen diese Standorte, die mehr von und aus der Region als aus der
Kernstadt leben, das große Zentrum also kaum entlasten, gesichert und hinsichtlich ihrer Entlastungsfunktion weiter entwickelt werden.
Die in gewissem Abstand zum suburbanen Gürtel gelegenen mittelgroßen Städte, oft als Mittelzentrum ausgewiesen, erfahren eine sehr unterschiedliche Entwicklung. Eine deutliche dezentrale Konzentration konnte nicht festgestellt werden; unter Umständen sind Maßnahmen zur Standortsicherung geboten. Brake
33 Kettl-Römer 2004.
34 Brake/Danielzyk/Karsten 1999.
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und andere sehen eindeutige Voraussetzungen für die erwähnten regionalpolitischen Ziele. Notwendig wird eine dezidiertere, stärker projektorientierte Regionalplanung, die Plan- und Vertragsinstrumente für konkrete Projekte besitzt. Der
hierin enthaltenen Gefahr des Eingriffs in kommunale Kompetenzen soll durch
eine stärker kommunale Regionalplanung, kombiniert mit einer intensiven regionalen Kooperation, begegnet werden.
In aktuellen Untersuchungen wird ein weiterer gedanklicher Ansatz gewählt:
Aring sieht die überkommunale Zentrensystematik deutlich überlagert, wenn
nicht ersetzt durch eine Vielzahl von Netzstrukturen für die jeweils unterschiedlichen Funktionen.35 Fallen die Knoten solcher Netzstrukturen an einem
bestimmten Ort zusammen, so wird unter Umständen eine klassische Zentralität
erreicht. Fallen sie nicht zusammen, so gibt es eine „Einzelfallzentralität“, beispielsweise bei einem Fachmarkt oder Shoppingcenter an einem Autobahnkreuz oder einer Fachhochschule in einer suburbanen Kleinstadt.
Kunzmann ist der Ansicht, dass man die Stadtregionen als Gesamtheit sehen
muss, und dass sich in diesen weitläufigen Räumen spezialisierte Inseln herausbilden.36 Sicherlich etwas provokant sieht er „acht Inseln im Archipel der
Stadtregion“. Diese Inseln sind (1) Aeroville (Flughafenraum), (2) Knowledge City,
(3) Weltmarkthallen, (4) Funurbia, (5) www.suburbia, (6) Arcadia, (7) Kap der chinesischen Hoffnung und (8) Vorstadtvollzugsidyllen. Liest man dazu im Vergleich
die konkreten Ausführungen von Bördlein zum Raum Frankfurt, so erkennt man
viele Parallelen.37 Inwiefern die Vorschläge für solche neuen Raumbilder langfristig über den Einzelfall hinaus zutreffen und zu systematischen Erklärungen werden, ist jedoch noch offen.
Es erhebt sich die Frage, wie stark diese Netzstrukturen im Einzelnen sind. Entscheidend dürfte dies davon abhängen, wie oft nennenswerte Teile der Bevölkerung bestimmte Netzknoten aufsuchen und welche Bedeutung diese Netzknoten für das tägliche Leben der Menschen haben. Hier wird deutlich zu unterscheiden sein zwischen der Konzentration von Arbeitsstätten oder Einzelhandelsbetrieben, die naturgemäß täglich bzw. wöchentlich aufgesucht werden,
und beispielsweise Freizeitgroßeinrichtungen, die nur monatlich oder noch seltener besucht werden. Dieser Effekt wird auch nur teilweise dadurch kompensiert, dass bestimmte Freizeitgroßeinrichtungen so hohe Besucherzahlen anziehen, dass sie dennoch eine nachhaltige Zentralität, und damit einen wirksamen
Netzknoten erzeugen.
35 Aring/Herfert 2001.
36 Kunzmann 2001.
37 Bördlein 2001.
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Räumliche Entwicklung
Die mögliche Rolle von Netzknoten in der Regionalplanung
Es kann noch nicht abschließend beantwortet werden, welches räumliche Organisationsmuster welche Bedeutung behalten bzw. erlangen wird. Bei der schon
heute bestehenden Vielgestaltigkeit lokaler und regionaler Strukturen im Land
Nordrhein-Westfalen werden sich auch die künftigen Entwicklungen nur schwer
in wenige übergeordnete Kategorien fassen lassen. Dennoch oder gerade deshalb erscheint es sinnvoll, die bereits heute vorhandenen Netzstrukturen präzise aufzuspüren und mit Hilfe der Empirie über Indikatoren zu genaueren Erkenntnissen der Bedeutung der Wirkungsmechanismen solcher Netzstrukturen
zu gelangen. Dabei ist auch zwischen gezielt abseits der traditionellen Zentrenstrukturen geplanten und ohne (bewusste) Planung entstandenen neuen Standorten mit zentralen Funktionen zu unterscheiden.
Mehr als nur eine Einzelfallzentralität, also die Eigenschaft eines Netzknotens,
erreichen Konzentrationen unterschiedlicher, das heißt sich im weiteren Sinne
ergänzender Nutzungen. Im Gegensatz zum Fachmarktzentrum steht hier beispielsweise eine Kombination aus Läden, Bürostandort, Freizeitnutzungen,
gegebenenfalls auch mit Handwerk bzw. Dienstleistung oder Wohnen (Paunsdorf-Center Leipzig). Ebenfalls interessant sind andere vielgestaltige und zum
Teil ergänzende Nutzungen anziehende Konzentrationen wie etwa ein attraktiver
Medienstandort (München-Nord, Köln/Hürth).
Eine eher geringe landes- und regionalplanerische Relevanz haben Netzknoten
dann, wenn sie ausschließlich den Ort einer bestimmten Attraktion darstellen; wenn
sie aufgrund ihrer Nutzung zwar durchaus erheblichen Verkehr anziehen, davon
aber keine weiteren nennenswerten Impulse auf die Umgebung ausgehen. Ganz
anders verhält es sich bei Netzknoten, die Ausgangspunkte für neue städtebauliche Entwicklungen werden und die zu neuen Nutzungsmustern, zu veränderten
Funktionsverteilungen im Raum führen. Können solche Nutzungen identifiziert werden, wird es möglich, ihre Folgewirkung abzuschätzen. Hierzu gehört nicht nur die
Ansiedlung neuer Nutzungen; hierzu zählen auch Verdrängungsprozesse oder
negative Effekte in Bereichen, aus denen die vorgenannten Nutzungen abgewandert sind. Dies wiederum stellt eine erste Basis für einen planerischen Umgang mit
„Netzknoten“ dar, diese erfüllen - anders als „klassische“ Zentren - nicht mehr zentralitätsabhängige standardisierte Funktionen, wozu insbesondere auch das Wohnen gehört - sondern sie weisen ihre jeweils individuelle Nutzungsmischung auf.
An diesen Punkten kann eine gezielte Regionalplanung ansetzen. Sie kann
zunächst bestehende Netzknoten erkennen und bestätigen. Planerisch positiv
zu wertende Standorte können durch Funktionsanreicherung gestärkt und weiter entwickelt werden, wohingegen unerwünschte Entwicklungen zu begrenzen
und zu unterbinden sind.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Dies alles setzt ein Annehmen und damit einen positiven Umgang mit neuen
Netzknoten und Zentrenstrukturen voraus. Es ergibt sich allerdings auch die
Notwendigkeit, die Zentrendarstellungen in den aktuell gültigen Landes- und
Regionalplänen qualitativ wie quantitativ zu überdenken. Hier muss - gerade bei
Mittelzentren - deutlicher nach Entwicklungsmöglichkeiten differenziert werden.
Insgesamt wäre eine Unterteilung in ein primäres und ein sekundäres Zentrennetz denkbar, wobei die Zentren des primären Netzes solche mit einem vollständigen Funktionsspektrum und die des sekundären Netzes solche mit nur
wenigen, allerdings mit mehreren Funktionen sind.
4.6
Herausforderungen für die Landespolitik
Auch aus den aktuellen Diskussionen über die Zukunft der Wohnungsbauförderung wird deutlich, dass sich die seit vielen Jahren bestehenden unterschiedlichen Positionen angesichts der aktuellen statistischen Erkenntnisse nicht verändert haben. Gerade vor diesem Hintergrund wird jedoch eine Neubewertung
der Suburbanisierung und der Zwischenstadt erforderlich.
Zwischenstadt als neue Gebietskategorie annehmen
Erster und wichtigster Ausgangspunkt für diese Neubewertung ist die Tatsache,
dass mit der Zwischenstadt im Suburbia der Städte inzwischen eine eigenständige Siedlungskategorie entstanden ist, die zur Kenntnis genommen und im
positiven Sinne weiter entwickelt werden muss. Das verdichtete Umland der
Kernstädte hat in den vergangenen Jahrzehnten eine Vielzahl von Funktionen
wahrgenommen, die die Kernstädte aus den unterschiedlichsten Gründen nicht
erfüllen konnten, zum Teil auch nicht erfüllen wollten. Wenn die Städte heute
auch andere Ziele und Positionen vertreten, so kann doch nicht davon ausgegangen werden, dass sie deshalb in der Lage sind, alle notwendigen Funktionen
selbst zu erfüllen. Allein das Bodenpreisniveau wird auch in Zukunft Wanderungen bewirken. Zudem ist mit der Zwischenstadt eine eigenständige Gebietskategorie entstanden, die aus sich selbst heraus Entwicklungsbedürfnisse hat und
Wachstumsprozesse bewirkt.
Der neue Raum sollte deswegen als Gebietskategorie akzeptiert und in angemessener Form städtebaulich weiterentwickelt werden. Seine Existenz sollte als
Chance zu einer weiteren Optimierung der Standortbedingungen für Wohnungen und Arbeitsplätze erkannt werden. Diese und weitere Aspekte müssen im
Sinne von Qualitätszielen in ein eigenes städtebauliches Leitbild für die
Zwischenstadt einfließen. Gerade vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden
demografischen Entwicklung ist insbesondere eine Begrenzung des Land142
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Räumliche Entwicklung
schaftsverbrauchs, bis hin zur Rückgewinnung von landschaftlichem Freiraum
durch Renaturierung anzustreben.
Regionale Aufgabenstrukturen erkennen
Anforderungen beispielsweise im Bereich des Verkehrs sind als regionale Aufgabe zu werten und in regionaler Kooperation zu lösen. Die Realität der Suburbanisierungsprozesse fordert also in besonderer Weise die regionale Kooperation heraus - zum einen in der Abstimmung von Flächen- und Nutzungsschwerpunkten, zum anderen hinsichtlich der Errichtung und des Betriebs leistungsfähiger Verkehrssysteme.
Grundlagen der Landesplanung überprüfen
Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach dem bisherigen Ordnungsprinzip der
Landesplanung, dem System der Zentralen Orte, erneut zu stellen. Dabei ist die
entstandene Raumkategorie mit ihrem netzförmigen Verflechtungsraster zur
Kenntnis zu nehmen, ohne den Ordnungsfaktor von Zentralen Orten ersatzlos
aufzugeben.
Auch erst seit einigen Jahren bestehende Konzepte wie das der Metropolregionen müssen in diesen Rahmen eingefügt werden. Schließlich ist die sich hieraus
ergebende Abkehr vom Prinzip gleichwertiger Lebensbedingungen zu klären
und in ihren Auswirkungen zu begrenzen. Gleichwertige Lebensbedingungen
zwischen ländlichem Raum und Stadtzentren sind heute weitgehend erreicht, so
dass die entsprechende politische Forderung in den Hintergrund getreten ist. In
einer Zukunft, in der maßgebliche Teilräume des Landes von massiven
Schrumpfungsprozessen betroffen sind und die Verteilungskämpfe um
beschränkte Ressourcen zunehmen, wird der Anspruch der gleichwertigen
Lebensbedingungen unter völlig neuen Aspekten wieder zu einem zentralen
Thema werden (z.B. fehlende private Angebote der Daseinsvorsorge). Heute
sind maßgebliche Entwicklungsunterschiede eher zwischen wachsenden und
schrumpfenden Städten sowie auf kleinräumiger Ebene zwischen benachteiligten und privilegierten Stadtteilen festzustellen (vgl. Kapitel B5). Eine
frühzeitige, präzise Definition ausgleichender Strukturpolitik ist daher erforderlich.
Neue Instrumente entwickeln
Auch bei einer unbelasteten Betrachtung der Suburbanisierungsprozesse und
der durch sie entstandenen Städtelandschaften bleiben die grundsätzlichen
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Risiken und Probleme dieser Entwicklungen bestehen. Es muss daher geklärt
werden, welche Instrumente in Zukunft angewendet werden sollen, um Fehlentwicklungen zu verhindern oder positive Entwicklungen zu fördern. Das hergebrachte regionalplanerische Instrumentarium in Nordrhein-Westfalen erscheint
dabei nicht mehr als optimale Wahl. Vielmehr sollte verstärkt auf kooperative
Verfahren bis hin zu vertragsähnlichen Lösungen gesetzt werden. Erste Schritte
dahin sind bei den Landes- und Bezirksplanungsbehörden bereits erkennbar.
Betrachtungsmaßstäbe beachten
Abgesehen von Einzelhandelsgroßprojekten wird fast jede Ansiedlung beispielsweise einer größeren Zahl von Arbeitsplätzen standortunabhängig als positiv
angesehen, da alle Beteiligten froh sind, eine solche Ansiedlung überhaupt für
Nordrhein-Westfalen, oder gar für Deutschland gewonnen zu haben. Hier ist von
Bedeutung, dass die internationale Sichtweise auf das Land wesentlich grobkörniger ist und für diffizile Standortvariationen kein Verständnis besteht. Daher
sind die unterschiedlichen Betrachtungsperspektiven und Gewichtungen stärker zu berücksichtigen.
Förderpraxis überprüfen
Traditionell wurden öffentliche Fördermittel, insbesondere Städtebau- und Infrastrukturfördermittel eingesetzt, um regionale Prozesse zu beeinflussen. Die
Wahrscheinlichkeit, auf diesem Wege nachhaltig Veränderungen herbeiführen zu
können, ist jedoch ähnlich gering wie bei den restriktiven Instrumenten. Die Fördertöpfe sind in den vergangenen Jahren stark geschrumpft. Bestehende Förderzusagen bewirken in aller Regel eine sehr langfristige Bindung der Mittel, so
dass kurz- und mittelfristige Reaktionen aufgrund der eingegangenen Verpflichtungen gar nicht mehr möglich sind. Hinzu tritt, dass die Gemeinden kaum noch
in der Lage sind, die erforderlichen Eigenmittel beizusteuern. Für eine absehbare Zukunft ist in all diesen Bereichen nicht mit einer nachhaltigen durchgreifenden Verbesserung zu rechnen. Da aber die Entwicklung auch in den Wachstumspolen auf der Einbettung in ein funktionsfähiges Umland basiert, ist es dringend notwendig, neue Strategien z.B. im Rahmen des Modellprogramms Stadtumbau West zu entwickeln (vgl. hierzu auch Kapitel B6).
Ein Problem wird sich dabei insbesondere in den schrumpfenden Städten zeigen, in denen schlechte Zukunftsperspektiven bestehen. Hier wird es auch mit
öffentlicher Förderung häufig nicht mehr wirtschaftlich sein, zu investieren. Wo
sich ein Projekt grundsätzlich nicht rentiert, wird niemand zu finden sein, der mit
öffentlichen Fördermitteln Projekte realisiert. Programme zur Stadterneuerung
werden es in solchen Situationen schwer haben, überhaupt umgesetzt zu werden. Vor diesem Hintergrund sollte die Städtebauförderung - unter Einbindung
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Räumliche Entwicklung
von Qualitätsvereinbarungen im Rahmen eines Monitorings - neben modellhaften bzw. experimentellen Projekten möglichst pauschaliert und regionalisiert
werden.
Zentrensystem überarbeiten
Ausgehend von einer Akzeptanz der aktuellen Strukturen sind die bestehenden
Zentren landesplanerisch neu zu bewerten: Neben die Bevölkerungszahl müssen die Entwicklungsperspektiven als wesentliches Kriterium treten. Gleichzeitig sind neue Strukturen in Form von Netzknoten aufzuspüren und planerisch zu
bewerten. Wo eine Weiterentwicklung sinnvoll erscheint, sollen vor allem Funktionsergänzungen, beispielsweise durch Wohngebiete oder ergänzende Dienstleistungen, geprüft und angestrebt werden.
Kleine Zentren beachten
Besorgnis lösen die Entwicklungstrends für Grund-, Ortsteil- und Stadtteilzentren aus. Wegbrechende Handelsangebote führen beispielsweise für alle Bevölkerungsgruppen ohne Zugriff auf ein Auto zu massiven Versorgungsproblemen.
Um die notwendige wohnortnahe Versorgung insbesondere mit Waren und privaten Dienstleistungen zu sichern, sind erhebliche Anstrengungen, auch in Form
neuer Konzepte und gegebenenfalls mit staatlicher Unterstützung bzw. in Form
von Public Private Partnership, erforderlich.
Brachflächenpotenziale stärker nutzen
Eine weiterhin interessante Möglichkeit besteht in der Wiedernutzbarmachung
von Brachflächen. Gerade in Zeiten deutlichen wirtschaftlichen Wandels entstehen in Nordrhein-Westfalen solche Flächen im nennenswerten Umfang. Sie können einen interessanten Ausgangspunkt für neue städtebauliche Entwicklungen
darstellen. Zu hohe Erwartungen und Standards wirken allerdings kontraproduktiv und sind daher zu vermeiden.
4.7
Exkurs: Brachflächen als städtische Entwicklungspotenziale
Brachflächen entstehen insbesondere durch die Aufgabe flächiger Nutzungen
von Gewerbe, Industrie, Verkehr (Bahn) und militärischer Nutzung. Zum Teil sehr
zentral, häufig verkehrsgünstig gelegen, eröffnen sie interessante und wichtige
Entwicklungsperspektiven. Ihre Nutzung stellt damit nicht zuletzt eine Alternative zu den ebenfalls für die Stadtentwicklung bedeutsamen und leistungsfähigen
Modellen des kommunalen Baulandmanagements dar. Dies gilt insbesondere
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für die Verdichtungsräume. Dort wird die Einführung solcher Modelle häufig
durch ein hohes Bodenpreisniveau, fehlende Möglichkeiten für großflächige
Stadterweiterungen oder durch wenig kooperative Eigentümer und fehlende
Flächenalternativen erschwert.
Der Umfang der verfügbaren Brachflächen einschließlich differenzierter Werte zu
möglichen Folgenutzungen wird je nach verfügbarer Quelle sehr unterschiedlich
eingeschätzt. Unabhängig hiervon ergeben sich jedoch erhebliche Dimensionen. Die Flächenerhebung des LDS aus dem Jahre 1997 hat für das Land Nordrhein-Westfalen insgesamt 44.000 Hektar an Halden, Unland und ungenutzten
Siedlungsflächen erfasst.38 Hierzu treten nach einer Schätzung des Forum
Bahnflächen Nordrhein-Westfalen rund 20.000 Hektar disponible Bahnflächen
sowie nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums 16.800 Hektar militärischer Flächen, die durch die Bundeswehr freigesetzt werden.39 Zwar werden
bei einer Wiedernutzbarmachung erhebliche Flächenanteile zu Grün- und Freiflächen umgewidmet, dennoch verbleibt ein enormes Entwicklungspotenzial.
Sowohl die bauliche als auch die freiräumliche Revitalisierung von Brachflächen
bietet ökologische, ökonomische, städtebauliche und soziale bzw. kulturellästhetische Vorteile. Zu den ökologischen Vorteilen gehört in erster Linie der
indirekte Effekt einer Verringerung des Freiflächenverbrauchs, aber auch die
häufig zentrale Lage der Brachflächen, die kurze Wege zwischen unterschiedlichen Aktivitäten ermöglicht. Dies wirkt sich auch ökonomisch aus, da in der
Regel in der Nachbarschaft Infrastruktur vorhanden ist, die mitgenutzt und
damit besser ausgelastet wird. Städtebaulich kann die bauliche Wiedernutzung
von Brachflächen zu einer Aufwertung der Umgebung führen, die oft unter dem
meist langjährigen Stillstand gelitten hat. Schließlich werden bei einer Wiedernutzung der Brachflächen durch Betriebsstätten Arbeitsplätze geschaffen und
damit das Umfeld ökonomisch gestärkt. Beim Bau von Wohnungen werden die
bestehenden Gebiete sozial und altersstrukturell besser durchmischt und damit
aufgewertet.
Auch in einer freiräumlichen Wiedernutzung stecken Potenziale. Ökologisch
profitiert die Natur, wird die Grundwasserneubildung auch im innerstädtischen
Bereich erhöht und das Stadtklima verbessert. Neue Lebensräume für Tiere und
Pflanzen entstehen. Ökonomisch können land- und forstwirtschaftliche sowie
gärtnerische Nutzungen etabliert werden. Städtebaulich wird das Stadtgebiet
durch neue Grünflächen gegliedert und aufgewertet. Für die Bevölkerung werden neue Möglichkeiten der Naherholung eröffnet.
38 LDS NRW 1999.
39 Vgl. http://www.wirtschaft.bundeswehr.de/verwertung/start.html.
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Räumliche Entwicklung
Trotz all der genannten Vorteile stößt die Wiedernutzung von Brachflächen auf
Schwierigkeiten. Das größte Hemmnis für eine Revitalisierung von Brachflächen
besteht darin, dass diese häufig nicht an der Stelle liegen, an der sie benötigt
werden. Die Regionen mit hoher Baulandnachfrage und die Regionen mit großen Wiedernutzungspotenzialen sind nicht zwangsläufig identisch. Dies gilt insbesondere für altindustrielle Flächen, ist hingegen für Liegenschaften der Bahn
oder der Bundeswehr von geringerer Bedeutung.
Ein weiteres Problem für viele Verkäufe ist der Buchwert, zu dem die Flächen in
den Unternehmensbilanzen enthalten sind. Deutlich überhöhte Werte machen
das Liegenlassen der Immobilie für den Eigentümer mit Blick auf die Bilanz interessanter, als einen Verkauf. Die Aktivitäten des Landes Nordhrein-Westfalen mit
dem Bahnflächenpool verweisen hier in eine richtige Richtung, da sie nicht nur
eine Mitfinanzierung der Wiedernutzung von problematischen Brachen durch
wirtschaftlich attraktive Brachflächen ermöglichen, sondern auch einen Beitrag
zur Lösung des Bilanzproblems leisten.
Zur planerischen Steuerung der Wiedernutzbarmachung von Brachflächen steht
ein umfangreiches gesetzliches Instrumentarium zur Verfügung. Wesentlicher für
die Umsetzung sind allerdings eine geeignete Organisationsform, ein funktionierendes Prozessmanagement und
leistungsfähige förderpolitische Instrumente. So können beispielsweise
renaturierte Brachflächen als ökologischer Ausgleich für Eingriffe an anderer Stelle genutzt werden. Zur Förderung des Brachflächenrecyclings gibt
es in Nordrhein-Westfalen eine ganze
Reihe von Programmen: Zum einen
gehören hierzu die Fördermittel für
Stadterneuerung und das Ökologieprogramm für den Emscher-Lippe-Raum, zum anderen Initiativen des Landes
zur Belegung von Bahnhöfen und Bahnflächen sowie zur Unterstützung der
Konversion und zur Weiterentwicklung der „wilden Industriewälder“.40
Der Prozess der baulichen Wiedernutzung von Brachflächen ist von Fall zu Fall
sehr unterschiedlich. Nach einer frühzeitigen Erkundung von Altlasten und baulichen Relikten ist zunächst ein städtebauliches Konzept etwa in Form eines
Rahmenplans aufzustellen. Des Weiteren müssen bereits zu diesem frühen Zeitpunkt Überlegungen zur Organisationsform und zur Umsetzungsstrategie angestellt werden. Nach Durchführung der ersten Untersuchungen ist zu prüfen, ob
40 Institut für Bodenmanagement 2001.
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das planerische Wunschkonzept mit der Belastungssituation des Grundstücks
in Einklang zu bringen ist. Hier spielen auch Kostenaspekte eine wesentliche
Rolle, die dann in eine bodenwirtschaftliche Kalkulation einmünden. Im Rahmen
einer solchen Kalkulation sind auch überhöhte Bodenpreisvorstellungen zu korrigieren. Neben der Einwerbung von Fördermitteln sind vor allem imagefördernde Maßnahmen wichtig, durch welche nicht zuletzt Partner für die nachfolgenden Umsetzungsschritte gefunden werden können.41
Es stehen mehrere Organisationsmodelle zur Verfügung, die durchgängig die
Einbindung privaten Know-hows und damit eine unterschiedlich intensive Form
von Public Private Partnership zum Inhalt haben. Der Bogen spannt sich von
einem Treuhändermodell, in dem der private Unternehmer einen quasi öffentlichen Status erhält, bis zu einem Developer-Modell, in dem der Privatunternehmer die städtebauliche Entwicklung komplett eigenwirtschaftlich übernimmt.42
Auch die Auswahl dieser Modelle hängt in erster Linie von den örtlichen Gegebenheiten, das heißt von den der öffentlichen Hand zur Verfügung stehenden
potenziellen Partnern ab.
Praktische Erfahrungen haben auf ein besonderes Risiko bei der Reaktivierung
von Brachflächen hingewiesen. Beachtet werden muss, dass das Anspruchsniveau an die künftige Nutzung nicht zu hoch gesetzt wird. Attraktives Gewerbeoder auch Wohnbauland muss möglichst gute Entwicklungsperspektiven bieten, darf aber nicht durch Überreglementierung wieder unattraktiv werden.
Deutliche planerische Zurückhaltung sowie die möglichst weitgehende Einbindung privaten Know-hows in die Entwicklung der Brachflächen ist daher geboten. Dies gilt auch für die geforderte Nutzungsdichte, die einen wesentlichen kritischen Aspekt in der Konkurrenz zum Umland darstellt, wo in aller Regel sehr
großzügige Flächen günstig erworben werden können.
Bei gezielter Anwendung kann das Brachflächenrecycling einen nennenswerten
Beitrag zur Innenentwicklung der Ballungskerne leisten und damit auch Suburbanisierungstendenzen entgegenwirken. Modellprojekte des Bundesbauministeriums haben gezeigt, dass innerhalb von nur vier Jahren, im Zeitraum von
1997 bis 2000, je nach Situation zwischen 15 und 42 Prozent der Brachflächen
wieder einer Nutzung zugeführt werden konnten.43
Das zentrale Instrument des Landes bei der Reaktivierung von Brachflächen ist
der seit 1980 bestehende Grundstückfonds NRW. Der Fonds, der als Ergebnis
der Ruhrgebietskonferenz im Jahr 1979 in Castrop-Rauxel zunächst als Grund-
41 Vgl. Kötter 1998, S. 51ff, Tomerius/Preuß 2001.
42 Schüller 2002, S. 131.
43 Landtagsvorlage 13/2389, S. 51.
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stückfonds Ruhr gegründet worden ist, versteht sich als revolvierendes Förderinstrument im Rahmen der Stadterneuerungspolitik des Landes. Einnahmen
aus der Veräußerung von aufbereiteten Flächen sollen für den Erwerb und für die
Aufbereitung weiterer Brachflächen eingesetzt werden.
Seit 1980 hat der Grundstückfonds, der treuhänderisch von der Landesentwicklungsgesellschaft NRW verwaltet wird, Flächen im Umfang von rund 2.650 Hektar erworben. Der Flächenbestand weist zum Ende 2002 einen Umfang von
knapp 1.200 Hektar auf. Damit befindet sich fast die Hälfte des gesamten Flächenbestandes weiterhin im Fonds. Für den Erwerb von Brachflächen sind bis
heute Ausgaben in Höhe von 430 Millionen Euro angefallen; für die Aufbereitung
wurden mehr als 755 Millionen Euro bereitgestellt. Nach Auskunft der Landesregierung ist für die Aufbereitung der verbliebenen Flächen ein Finanzvolumen
von über 512 Millionen Euro erforderlich.
Der Grundstückfonds ist immer wieder Gegenstand politischer Auseinandersetzungen. Befürworter und Gegner des Fonds streiten über seine grundsätzliche
Leistungsfähigkeit. Um zu fundierten Aussagen zu kommen, bedarf der Grundstückfonds NRW einer grundlegenden Evaluierung.
Als Alternative zur Freilegung bebauter, aber nicht mehr genutzter gewerblicher
und sonstiger Flächen sollte stets auch eine Nutzung der vorhandenen Bausubstanz geprüft werden. Ein privates Projekt zur Wiedernutzung eines alten
Fabrikgeländes in Werdohl zeigt, dass bei niedrigeren, für die Nutzerbedürfnisse
aber völlig ausreichenden Standards, echte Alternativen zu teuren, von der Folgenutzung unabhängigen Flächensanierungen bestehen. Auch die Entwicklung
des Medienstandortes Schanzenstraße in Köln-Mühlheim ist ein Beispiel dafür,
dass altindustrielle Bausubstanz durchaus für innovative kommerzielle Nutzungen interessant sein kann. Auch Erfahrungen aus den östlichen Bundesländern
zeigen, dass ohne aufwändige Sanierungen kostengünstige Immobilien entstehen, in denen insbesondere neue Wohn- und Arbeitsformen bzw. Kombinationen davon verwirklicht werden können. Dort finden Existenzgründer aus den
verschiedensten Bereichen auch ohne organisierte und geförderte Strukturen
ein großzügiges, durchaus variabel und experimentell nutzbares Flächenangebot.
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B5 Die Städte im Spiegel
des gesellschaftlichen Wandels
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Gesellschaftliche Entwicklungstrends
Die Städte in Deutschland - und damit auch die in Nordrhein-Westfalen - haben
in den letzten 30 Jahren einen erheblichen Veränderungsprozess durchlaufen.
Bis Ende der 1970er Jahre war die gesellschaftliche und urbane Entwicklung
durch eine auf Massenproduktion ausgerichtete Produktion gekennzeichnet. Mit
dem Auslaufen dieser Entwicklung begann eine neue Phase. Ein relativ hohes
Lohnniveau, eine nahezu bestehende Vollbeschäftigung und das weitgehende
Verschwinden von materieller Armut waren die Grundlage für den diese Entwicklungsphase prägenden Massenkonsum. Ein gesellschaftlich breit akzeptierter keynesianischer Interventionsstaat sicherte die Rahmenbedingungen der
Ökonomie, während er als Wohlfahrtstaat einen großen Teil der kollektiven Risiken wie Krankheit, Erwerbsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit, Alter oder Armut absicherte. Der Zugang zu zentralen gesellschaftlichen Gütern wie Bildung, medizinischer Versorgung, sozialer Sicherung und Wohnen war staatlich garantiert und
im Niveau egalitär. Damit hatte diese Phase der gesellschaftlichen Entwicklung
einen hoch inklusiven Charakter.
Dies spiegelte sich auch in den Städten und der Stadtpolitik der 1960er bis
1980er Jahre wider. Die Stadtentwicklung war vom Primat der Gleichheit der
Lebensverhältnisse geprägt. Ziel der Stadtpolitik war, durch Wohnungsbau,
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Stadterneuerung und die Versorgung aller Teilräume mit den wesentlichen Einrichtungen der Daseinsvorsorge diesen Grundsatz zu sichern. Da alle wesentlichen Standards der Stadtentwicklung staatlich formuliert wurden, liefen die
Kommunen immer enger am so genannten goldenen Zügel des Landes. Zu dieser Phase der Stadtentwicklung gehörte auch der breit getragene Konsens,
wichtigen Strukturbrüchen, in Nordrhein-Westfalen etwa der 1957 erstmals zutage tretenden Krise des Steinkohlenbergbaus, mit einer massiven Staatsintervention zu begegnen. Dies umfasste ab Mitte der 1960er Jahre auch tiefe Eingriffe in
die Raumstruktur des Ruhrgebiets.
Seitdem hat der Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft, und in diesem Rahmen auch der Wandel des Staates und seiner Handlungsmöglichkeiten, unsere
Städte in hohem Maße dynamisiert und verändert.
Betrachtet man die gesellschaftlichen Veränderungen vor dem Hintergrund dieser Entwicklungsphase, ist eine Bewegung auf zwei Ebenen erkennbar:
• Die „formierte Mittelstandsgesellschaft“ der 1960er Jahre und ihr enger,
kleinbürgerlicher Lebensstil wurde durch einen Individualisierungsschub
abgelöst, der von einer geradezu explosionsartigen Entfaltung unterschiedlichster Lebensstile begleitet war.1 Die Auflösung tradierter Formen von Vergemeinschaftung und die Loslösung der Menschen aus den Grenzen, die
ihnen bisher durch ihre Herkunft gesetzt waren, bewirkte eine enorme
Zunahme von Freiheitsgraden für die Individuen.
• Die wachsende Individualisierung wird flankiert durch den Rückzug des
Staates aus vielen Feldern gesellschaftlicher Regulierung. Damit wird die
Erhöhung der individuellen Freiheiten stärker an persönliche Verantwortung
gebunden. Dies führt zu einer Zunahme von Optionen und Risiken für den
Einzelnen und - bezogen auf die Gesamtgesellschaft - von sozialer Ungleichheit. Damit steht die Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft, deren Umrisse ab den 1980er Jahren sichtbar wurden, vor der Aufgabe, neue Mechanismen zu entwickeln, um mit den Risiken innovativ umzugehen.
Bei der Veränderung des Lebens in den Städten haben folgende Entwicklungen
eine besondere Rolle gespielt.
Strukturwandel
Der Umbruch der städtischen Ökonomien und das Entstehen der internationalen Konkurrenz von Stadtregionen haben den Strukturwandel beschleunigt. Seit
Ende der 1970er Jahre erfolgt eine rasche Modernisierung der Wirtschaft in den
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Schelsky 1965.
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Gesellschaftlicher Wandel
Städten. Dabei sind Arbeitsplätze im sekundären Sektor verloren gegangen,
während der Dienstleistungsbereich gewachsen ist. Der tertiäre Sektor umfasst
heute selbst im Ruhrgebiet 70 Prozent der Beschäftigung. Allerdings sind die
Orte der Deindustrialisierung nicht die mit einem starken tertiären Wachstum, so
dass mehr gewerbliche Arbeitsplätze entfielen als im Dienstleistungssektor entstehen konnten. Diese Entwicklung führt gegenwärtig in einigen Räumen zu
regionalen Disparitäten und zu struktureller Arbeitslosigkeit. Auch zeigten gerade moderne, wachstumsstarke Teile des Dienstleistungsmarktes eine polarisierte Lohnstruktur: Neben gut bezahlten, hoch qualifizieren Arbeitsplätzen entstehen viele marginalisierte Jobs. In den Städten wächst so ein Segment von
Beschäftigten mit geringer Bezahlung und hohem Arbeitsplatzrisiko. Kommen
Entwicklungen wie der Abbau des (lokalen) Sozialstaats hinzu, besteht die
Gefahr, dass hierbei Gruppen entstehen, die in der Literatur als „urban underclass“ bezeichnet werden. Da diese sich im Zug der Segregation häufig räumlich konzentrieren, entsteht hier ein Handlungsfeld, das die Stadtpolitik seit den
1990er Jahren zunehmend beschäftigt.
Internationale Arbeitsteilung
Der skizzierte Wandel in der Wirtschaft vollzieht sich im Kontext einer Neuordnung der internationalen Arbeitsteilung. Dabei entsteht ein globaler, kaum noch
regulierter Markt für Güter und Dienstleistungen. Es zeichnet sich eine weltweite Hierarchie von Ballungsräumen ab, die untereinander konkurrieren. Damit
wandelt sich auch das Selbstverständnis der Städte. Schon in den 1980er Jahren beginnen Einzelne sich als Unternehmen zu verstehen („Unternehmen Hamburg“), das seine Ressourcen und Steuerungskapazitäten ebenfalls ökonomisch
auszurichten hat.
Neue Lebensformen
Der Wandel der Lebensformen hin zu einer stärkeren Individualisierung und Pluralisierung der Lebensstile und einem Bedeutungsverlust der Familie findet
zunächst vor allem in bestimmten sozialen Gruppen statt. Es sind Menschen
jüngeren und mittleren Alters mit hoher formaler Bildung und gutem Einkommen - oder mit der Aussicht darauf -, in denen Frauen wie Männer eine starke
berufliche Ausrichtung und ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Selbstverwirklichung zeigen. Diese neue Dienstleistungsklasse pflegt Lebensstile, die demonstrativen Konsum, Hedonismus, Flexibilität und Individualismus bis hin zur Entsolidarisierung umfassen. Dies geht einher mit einer Veränderung der Berufswelt, die nun ebenfalls Flexibilität, Entscheidungskraft, Kreativität und die Ökonomisierung von Denken und Handeln verlangt (Ich AG). Die relativ geringe
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
gesellschaftliche Einbindung dieser Lebensstile führt zu ausgeprägten Formen
von Distinktion und somit von der Unterscheidung über die Abgrenzung bis hin
zur sozialen Schließung.
Soziale Ungleichheit
Das Risiko der sozialen Ausgrenzung sowie das Anwachsen der sozialen
Ungleichheit und ihre Verräumlichung (Segregation) nehmen zu. Die tief greifenden Veränderungen am Arbeitsmarkt wirken auch auf die Städte: Untere und
mittlere Qualifikationen im gewerblichen Sektor werden weniger nachgefragt,
während sich die Angebote in hoch und niedrig qualifizierten Positionen der
Dienstleistungsbranchen ausweiten. Gleichzeitig geht die Vollzeitbeschäftigung
zurück und der Anteil der geringfügig Beschäftigten und Arbeitslosen wächst. In
der Folge öffnet sich die Schere der Einkommensentwicklung und die Risiken
am Arbeitsmarkt steigen. Die wachsende Armut akkumuliert sich in den Städten
und wird dort über sozial selektive Umlandwanderungen weiter konzentriert.
Gleichzeitig sinkt im Zuge des Rückzugs des Staats die Leistungsfähigkeit vieler, in der Wohlfahrtsphase geschaffener gesellschaftlicher Puffer, wie z.B. der
soziale Wohnungsbau, der lokale Sozialstaat und ausgleichende Stadtteilpolitiken. Im Ergebnis dieser Prozesse verräumlicht sich die wachsende soziale
Ungleichheit, und es entstehen sozial immer homogenere Quartiere, darunter
auch Armutsgebiete.
Migration und Integration
Die Ausbildung eines Bevölkerungssegments mit Migrationshintergrund unterstreicht diese Entwicklung. In den 1960er und 1970er Jahren war die Integration
nahezu aller Arbeitsmigranten möglich, weil auch gering qualifizierte Arbeitskraft
nachgefragt wurde. Dies ist nun nicht mehr der Fall. Damit sinkt auch die Chance auf Integration eines gewichtigen Teils dieser Gruppe. Segregationsprozesse
greifen in der Folge um sich. Hier besteht die Gefahr einer sich selbst verstärkenden Abwärtsspirale: Geringe Arbeitsmarktintegration senkt die Anreize, Kultur- und Sozialtechniken der Mehrheitsgesellschaft zu lernen, was wiederum die
Integrationschance mindert. Die Ausbildung von homogenen Wohngebieten
einer verarmten, ethnisch geprägten Unterschicht ist Teil der allgemeinen
Armutssegregation in unseren Städten.
Deregulierung öffentlicher Leistungen
Die Schwächung des lokalen (Sozial-) Staates im Kontext zum allgemeinen
Trend der Deregulierung und Privatisierung bisher staatlich bzw. gesellschaftlich
erbrachter Leistungen ist konstitutiver Teil dieses Prozesses, der die physische
154
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Gesellschaftlicher Wandel
und soziale Realität unserer Städte tief greifend verändert. Die Entstehung des
lokalen Sozialstaats im Prozess der Hochindustrialisierung war eine innovative
Leistung der deutschen Städte. Seine ausgleichenden Funktionen konnten soziale Spaltungen verringern und soziale Risken abpuffern. Das ermöglichte es
einer größeren Zahl von Menschen, an der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung teilzuhaben. Indem nun, sei es über zunehmende Finanzprobleme, sei es
über eine ab den 1980er Jahren insgesamt exklusivere Selbstdefinition der
Gesellschaft, diese Funktionen zunehmend nicht mehr ausgeübt werden können, können sich in den Städten die in den allgemeinen sozioökonomischen
Prozessen angelegten sozialen Spaltungen ungehemmter bahnbrechen.
Privatisierung öffentlicher Räume
Der Wandel des öffentlichen Raums hin zu hybriden Mischformen von öffentlich/privaten Räumen ist eine Verräumlichung des gesellschaftlichen Trends, der
sozialen und kulturellen Unterschieden eine positive Bedeutung zukommen
lässt und eine Politik der Lebensstile auch in den Städten etabliert. Die Modernisierungs- und Kulturpolitik vieler Städte schafft durch Styling und Bespielen
öffentlicher Räume eine soziale Schließung zugunsten derer, die diesen Stil
widerspiegeln und den damit verbundenen Konsum bezahlen können. Ausgeschlossen wird, wer nicht mithalten kann oder will. Derartige Schließungen können durch private Rechtsetzung etwa in Form von Wach- und Sicherheitsdiensten auf der Grundlage von kommunalen Satzungen, Hausrecht oder so
genannten Jedermannsrechten unterstrichen und gegebenenfalls auch durchgesetzt werden. In Stadtzentren, die aus privaten Einkaufszentren oder Malls
bestehen, sind diese Prozesse von Anfang an gegeben - das betrifft viele Orte
in den neuen Bundesländern. In den klassischen Stadtzentren, die in der Tradition der gewachsenen europäischen Stadt stehen, werden sie erst Schritt für
Schritt durchgesetzt.
Das Altern der Gesellschaft
Während die hier genannten Entwicklungen bereits seit einigen Jahrzehnten
bestehen und ihre Auswirkungen auf unsere Städte gut zu beobachten sind,
zeichnet sich eine weitere Entwicklungslinie, die das Leben in unseren Städten
stark beeinflussen wird, erst am Horizont ab: Alle entwickelten Gesellschaften
altern. Die Alterung erfolgt, weil die Geburtenraten sinken, während die Lebenserwartung steigt (vgl. hierzu Kapitel B2). Da auch die durchschnittliche Lebensarbeitszeit sinkt, verschlechtert sich die Relation von lohnarbeitendem und
nichterwerbstätigem Bevölkerungsteil zusätzlich. Für Nordrhein-Westfalen
bedeutsam ist, dass die Entwicklung in vom Strukturwandel betroffenen Räu155
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
men wegen der langjährigen Abwanderung jüngerer Menschen der allgemeinen
Entwicklung um rund 25 Jahre voraus läuft. Damit hat besonders das Ruhrgebiet Pilotcharakter. Hier können Verläufe beobachtet und Maßnahmen erprobt
werden. Zu ihnen gehört ein gründlicher Umbau der städtischen Strukturen:
Dies betrifft zunächst die bebauten Räume und die Dienstleistungsangebote.
Nötig sind darüber hinaus aber weitere Veränderungen. Das dominante negative Altersstereotyp versperrt den Blick auf die Potenziale der künftigen Altenbevölkerung: Ein beträchtlicher Teil wird gesund und gut gebildet sein, über interessante berufliche Erfahrungen verfügen und nach Engagements suchen. So
muss in einer künftig stark von Alten geprägten Stadtgesellschaft deren zivilgesellschaftliches Engagement einen hohen Stellenwert erhalten.
5.2
Innerstädtische und regionale Ausdifferenzierungsprozesse
Die Stadt und ihre Stadtteile sind nicht in erster Linie administrative Einheiten,
sondern vielmehr Orte des Lebens und der Arbeit, der Kultur und der Teilhabe.
Jeder Stadtteil hat dabei seine Stärken und Schwächen, wobei diese ungleich
verteilt sind. Schon immer waren Städte und ihre Stadtteile nach sozialer
Schicht und/oder Berufszugehörigkeit ihrer Bewohner räumlich strukturiert. Seit
den 1920er Jahren ist dies wissenschaftlich untersucht worden. Es ist jedoch
eine vergleichsweise junge Entwicklung, dass dem Sozialraum und der sozioökonomischen Segregation seiner Bewohner ein breites Interesse in Wissenschaft und Praxis entgegengebracht wird.
5.2.1 Zunehmende Bedeutung der Segregationsforschung
Grund für dieses verstärkte Interesse ist zum einen der Wandel der Stadtgesellschaft an sich, der auf der Ebene sozialer Milieus, der Lebensformen und
Lebensstile als Reaktion auf den gesellschaftlichen Wandel stattfindet. Dabei
sind die Städte und insbesondere die Großstädte nicht für alle Milieus gleich
attraktiv. Ausdifferenzierungsprozesse sind somit zwischen den Städten und
innerhalb der Städte zu beobachten und zeigen sich als räumliche Wirkungen
des allgemeinen sozialen Wandels. Es liegt auf der Hand, dass eine solche
Dynamik innerstädtischer und regionaler Ausdifferenzierungsprozesse schon an
sich die Wissenschaft zu umfangreicher Forschungsarbeit anregt.
Zum anderen sind es auch die Fachverwaltungen der Städte selbst, die ein verstärktes Interesse an der Analyse sozioökonomischer Segregation und möglichen Handlungsansätzen für die Kommunalpolitik haben. Diese Ausdifferen156
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Gesellschaftlicher Wandel
zierungsprozesse unterliegen einem grundlegenden Trend und sind kommunalpolitisch nur schwer beeinflussbar, da sie von Deregulierungstendenzen der
Sozialpolitik mit verursacht werden. Zugleich ist die soziale Segregation in den
Städten Nordrhein-Westfalens zwar ausgeprägt, jedoch nicht mit der Ghettobildung in andere Ländern und Kontinenten zu vergleichen. Es gibt in NordrheinWestfalen weder hoffnungslos belastete Problemfälle noch systematisch abgeschottete Stadtteile der Reichen. Es eröffnen sich daher Handlungsspielräume,
die eine grundlegende Betrachtung innerstädtischer und regionaler Ausdifferenzierungsprozesse lohnend machen.
Aus wissenschaftlicher Sicht wie auch in der Begrifflichkeit der Fachverwaltungen wird unter Segregation die Ungleichverteilung bestimmter Bevölkerungsgruppen im städtischen Raum verstanden.2 Sie ist die Verbindung von sozialer
und räumlicher Ungleichheit. Räumliche Ungleichheit ist die Folge von topographischen Unterschieden und Lagequalitäten, die sich aus ökonomischen, ökologischen und soziokulturellen Bewertungen innerhalb einer Stadt ergeben. Soziale Ungleichheit hat ökonomische, kulturelle und machtrelevante Dimensionen.
Generell verteilen sich Sozialgruppen nicht gleichmäßig innerhalb eines Stadtgebietes, sondern konzentrieren sich - auch in Abhängigkeit ihres ökonomischen
Potenzials - in bestimmten Teilräumen und zu bestimmten Lebensphasen.
Grundsätzlich kann Segregation sowohl als statischer Zustand, also als disproportionale Verteilung von Bevölkerungsgruppen mit ähnlichen Merkmalsausprägungen, wie auch als dynamischer Prozess der Entmischung verstanden werden.
Generell wird räumliche Segregation
nur dann als problematisch beurteilt,
wenn damit Ungleichheit verfestigt
oder sogar verstärkt wird und wenn sie
nicht freiwillig erfolgt. In den meisten
Städten wurde in den vergangenen
zwei Jahrzehnten ein Prozess der zunehmenden räumlichen Konzentration von
benachteiligten Bevölkerungsgruppen beobachtet, der eine zusätzliche
Benachteiligung dieser Gruppen bzw. eine Verfestigung ihres sozial unterprivilegierten Status nach sich ziehen kann. Solche Stadtteile und die in ihnen wohnende Bevölkerung werden von der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung
abgekoppelt und dauerhaft marginalisiert. Daraus ergeben sich schwerwiegende Nachteile für die Zukunftschancen bestimmter Bewohnergruppen, insbesondere für Kinder und Jugendliche. Aber auch die Gesamtstadt kann durch solche
2
Friedrichs 1995; Harth/Herlyn/Scheller 1998.
157
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Entwicklungen beeinträchtigt werden, wenn sich die sozialräumliche Ungleichheit in einer Stadt in offensichtlicher Verwahrlosung einzelner Quartiere und
wachsenden sozialen Konflikten niederschlägt und so die soziale Integrationskraft der Stadt in Frage steht.3
Obwohl in den Städten die oberste Einkommensschicht in der Regel am stärksten segregiert wohnt, wird dies üblicherweise nicht als problematisch angesehen - die ebenfalls starke Segregation einer sozial und ökonomisch marginalisierten Bevölkerungsgruppe hingegen schon. Dies ist damit zu begründen, dass
bei der Bewertung von Segregation zwischen einer freiwilligen und einer
erzwungenen Segregation unterschieden wird, wobei die selbst gewählte
Segregation als Ausdruck individueller Selbstbestimmung im Allgemeinen nicht
in Frage gestellt wird.
Anders ist die Bewertung dann, wenn die Segregation eben nicht freiwillig
erfolgt, sondern sich beispielsweise einkommensschwache Haushalte oder
Haushalte einer bestimmten ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit mangels
Alternativen in wenigen Stadtteilen konzentrieren. Insbesondere die benachteiligenden Effekte eines Milieus, das aus Benachteiligten gebildet wird, stehen im
Mittelpunkt des Interesses von Wissenschaft und Politik. Diese Effekte bestehen
vor allem hinsichtlich der Sozialisation und in den Beschränkungen sozialer
Interaktion, also in der Einschränkung der gesellschaftlichen Erfahrung und in
der Restriktion von Austauschprozessen.
Zugrunde liegen dieser Einschätzung die Theorie des sozialen Lernens bzw. die
Sozialisationstheorie sowie die Netzwerktheorie.4 Soziales Lernen erfolgt in der
Familie, durch die Medien, in der Schule und in Peer-Groups, das heißt in sozialen Gruppen. Entscheidend für eine erfolgreiche Inklusion ist die Chancengleichheit hinsichtlich der Teilhabe an wirtschaftlichen, sozialen und politischen
Prozessen. Dabei ist die Nachbarschaft bzw. das Quartier als Lernraum angesprochen. In einer Nachbarschaft, in der vor allem Modernisierungsverlierer,
sozial Auffällige und sozial Diskriminierte konzentriert wohnen, sind vor allem
bestimmte, häufig abweichende Normen und Verhaltensweisen repräsentiert,
andere - gesamtgesellschaftlich zum „mainstream“ gehörende - Muster hingegen
nicht oder immer weniger. Dies führt zu einer Dominanz der abweichenden Verhaltensmuster, von denen nun ein Anpassungsdruck ausgeht. Sowohl durch sozialen
Druck wie durch Imitationslernen werden diese Normen immer stärker im Quartier
verbreitet, so dass die Kultur der Abweichung zur dominanten Lebensform wird.
3
Häußermann/Siebel 2001; Alisch/Dangschat 1998; Harth/Scheller/Tessin 2000.
4
Netzwerkstudien wurden von Bott 1957, Pfeil 1965 und Ganzert 1973 durchgeführt, zitiert nach
Friedrichs 1995, S. 155f.
158
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Gesellschaftlicher Wandel
Diese Entwicklung kann selektive Wanderungsprozesse aus den Quartieren
beschleunigen, insbesondere bei Familien mit Kindern, deren Normen und Verhaltensweisen nicht mit denjenigen übereinstimmen, die im Quartier Dominanz
erlangt haben. Je mehr sozial kompetente und aktive Haushalte jedoch mit
Wegzug reagieren, desto geringer werden die Erfahrungsmöglichkeiten mit
positiven Rollen innerhalb des Quartiers. Es ergeben sich - insbesondere für
Kinder und Jugendliche - immer weniger unterschiedliche Lebensmodelle, an
denen sich das eigene Verhalten orientieren könnte. Wenn Kinder oder Jugendliche keinen mehr kennen, der einer regelmäßigen Erwerbsarbeit nachgeht, entwickeln sie auch keine Vorstellung davon, dass pünktliches und regelmäßiges
Aufstehen und die Aufrechterhaltung einer äußeren Ordnung und Selbstdisziplin
eine Lebensmöglichkeit darstellt, die mit gewissen Vorteilen verbunden ist.
Oder: Wenn Jugendliche in ihrem Bekanntenkreis niemanden kennen, der mit
üblicher Erwerbstätigkeit seinen - wenn auch bescheidenen - Lebensunterhalt
verdient, hingegen viele kennen, die sich mit kleinkriminellen Aktivitäten ohne
großen Aufwand eine spektakuläre Lebensführung ermöglichen und sich obendrein über ihren mühseligen Schulbesuch lustig machen - welche Handlungsalternativen bieten sich dann?
Schon diese wenigen Stichworte machen deutlich, dass es sich bei der sozioökonomischen Segregation um einen Themenbereich handelt, dem aus vielfältigen Gründen zunehmend Beachtung geschenkt wird. In den folgenden Ausführungen werden wesentliche empirische Erkenntnisse dargestellt, von denen
im Weiteren Handlungsempfehlungen für die Landespolitik abgeleitet werden.
5.2.2 Dimensionen sozialer Segregation
Regionale Struktur der Lebensverhältnisse in Nordrhein-Westfalen
Einen Ansatz zur Ermittlung sozialer Segregation zwischen Städten bieten
bereits recht wenige Indikatoren, die gleichwohl ausreichen, um regionale Strukturen unterschiedlicher Lebensverhältnisse zu identifizieren. Der Indikatorensatz
der laufenden Gesundheitsberichterstattung der Länder weist regionalisierte
Sozialstruktur- und Bevölkerungsindikatoren aus, die eine brauchbare und jährlich aktualisierbare Datenbasis für eine Klassifikation räumlicher Differenzierung
der Lebenslagen, Lebensformen und Lebensbedingungen der Wohnbevölkerung in den Kreisen und kreisfreien Städten in Nordrhein-Westfalen darstellen.5
Die folgenden acht Merkmale gehen in die anschließenden Analysen ein:
5
Strohmeier/Kersting 1997; Bardehle/Strohmeier/Laaser 2002.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
• Altersgruppe Null bis 14 Jahre in Prozent der Bevölkerung am 31. Dezember
1999,
• Altersgruppe über 65 Jahre in Prozent der Bevölkerung am 31. Dezember
1999,
• Empfänger von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt pro tausend Einwohner
am 31. Dezember 1999,
• Arbeitslose in Prozent der Erwerbspersonen am 30. September 1999,
• Verfügbares Einkommen je Einwohner in DM in 1997,
• nichtdeutsche Bevölkerung in Prozent der Bevölkerung am 31. Dezember
1999,
• Bevölkerungsdichte: Einwohner pro Quadratkilometer in 2000,
• Bevölkerungsveränderung zwischen 1990 und 1999 in Prozent der Bevölkerung am 31. Dezember 1999.
Diese Indikatoren sind, mit Ausnahme des verfügbaren Einkommens, im Allgemeinen in allen Städten für alle Stadtteile verfügbar. Diejenigen Indikatoren, die
Armutslagen, die Altersstruktur und die Zusammensetzung der Bevölkerung
nach Nationalitäten anzeigen, hängen statistisch stark miteinander und mit der
Bevölkerungsentwicklung zusammen. Die Abb. 1 zeigt die Verteilung der Kreise
und kreisfreien Städte in dem durch die Merkmale des so genannten A-Faktors
(s.u.) und des Wohlstandsfaktors aufgespannten Merkmalsraum: In den
schrumpfenden Städten leben viele Alte, wenige Junge, viele Ausländer, viele
Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, diese Gruppen der Bevölkerung werden
als „A-Gruppen“ bezeichnet. Die demografisch wachsenden ländlichen Räume
sind dagegen durch eine junge Alterstruktur, geringe Ausländeranteile und
gering ausgeprägte Armut und Arbeitslosigkeit gekennzeichnet.
Höchste Werte auf dem ersten Faktor (A-Faktor) haben Städte mit hohen Anteilen von Ausländern, Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern („Arme“), Alten (und
geringen Anteilen von Kindern in der Bevölkerung) sowie mit abnehmender
Bevölkerung. Niedrige Werte haben ländliche Regionen, in denen diese Gruppen nur gering vertreten sind. Daraus ergibt sich eine starke Korrelation von
Merkmalen sozialer (Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger), demografischer (Alte)
und ethnischer Segregation (Ausländer) in den schrumpfenden Städten (Bevölkerungsveränderung, Bevölkerungsdichte).
Höchste Werte beim zweiten Faktor, der vor allem durch den Effekt der Variable
des verfügbaren Einkommens pro Kopf geprägt wird, haben Städte mit hohen
Durchschnittseinkommen pro Kopf (und entsprechend vielen kleinen Haushalten), niedrigste Werte weisen Städte und Kreise mit niedrigen Einkommen
und/oder großen Haushalten auf.
160
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Gesellschaftlicher Wandel
Abb. 1 „A-Faktor“ und „Wohlstandsfaktor“ in den Kreisen und kreisfreien Städten
Quelle: Zimmer-Hegmann/Strohmeier/Häußermann und andere; ZEFIR-Datenbank
Beide Skalen sind in der Abbildung so ausgelegt, dass der Durchschnitt über
Nordrhein-Westfalen gleich Null und die mittlere Abweichung (Standardabweichung) der Einzelwerte von diesem Durchschnitt gleich Eins ist.
Die Städte in Nordrhein-Westfalen liegen ausnahmslos in der oberen Hälfte,
während die Kreise vornehmlich in der unteren Hälfte zu finden sind. Die Konzentration der sogenannten A-Gruppen ist damit eindeutig ein Charakteristikum
städtischen Lebens. Die Endpunkte des Kontinuums werden von Gelsenkirchen, Herne, Duisburg auf der einen und den Kreisen Coesfeld und Borken auf
der anderen Seite gebildet.
Die senkrechte Linie markiert eine Wohlstandsgrenze im nordrhein-westfälischen Städtesystem. Rechts oben finden wir mit Düsseldorf als unangefochtenem Spitzenreiter die prosperierenden Städte, links oben die armen Städte wie
Gelsenkirchen oder Herne, rechts unten die prosperierenden ländlichen Räume,
links unten die ärmeren und auch kinderreicheren ländlichen Regionen.
Je weiter oben, desto städtischer sind die Lebensverhältnisse. Betrachtet man
die Städte in den einzelnen Quadranten näher, lässt sich zusätzlich feststellen:
je weiter rechts, desto stärker sind die Gegensätze zwischen Arm und Reich in
den Städten. Je weiter links, desto homogener in Bezug auf die Verbreitung
armer Lebenslagen sind die Städte. Die Abbildung zeigt also recht übersichtlich
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
in den vier Quadranten die regionale
Struktur der Lebensverhältnisse in
Nordrhein-Westfalen.
160
140
120
Kleinräumige
Segregationsstrukturen
100
80
60
Häufigkeit
40
20
0
0
6
12
18
24
30
36
42
48
Abb. 2: Verteilung der ethnischen Segregation
in den Stadtteilen der kreisfreien Städte
Angaben: Häufigkeitsauszählung der Ausländeranteile 2001 in Prozent
Quelle: KOSTAT 2001
Bei der Erfassung kleinräumiger
Segregation bietet es sich an, zwischen drei Dimensionen zu unterscheiden: der sozialen, der demografischen und der ethnischen Segregation. Diese Dimensionen der Segregation können für die Stadtteile und die
meisten kreisfreien Städte in Nordrhein-Westfalen im Wesentlichen aus
den vorhandenen KOSTAT-Datensatz
des Deutschen Städtetags6 sowie aus
den Daten der Volkszählung berechnet
werden.
Zur Erfassung der sozialen, demografischen und ethnischen Segregation werden Indikatoren zum sozialen Rang,
Familienstatus und zum Ausländeranteil herangezogen. Die Abbildungen 2 bis 4
zeigen die Verteilung des Ausländeranteils, des Jugendquotienten sowie des
sozialen Rangs über die Stadtteile in Nordrhein-Westfalen.
Die meisten Stadtteile haben einen Ausländeranteil, der unter dem KOSTATDurchschnitt von zwölf Prozent liegt, einzelne haben Anteile, die ein Vielfaches
davon betragen (z.B. Duisburg-Bruckhausen).
Die Jugendquotienten der Stadtteile sind annähernd normal verteilt. Die große
Mehrheit der Stadtteile hat durchschnittliche Werte, eine kleine Gruppe weist
extrem niedrige, eine ebenso kleine extrem hohe Werte auf.
Im nach wie vor industriell geprägten Nordrhein-Westfalen weist die Mehrheit
der Stadtteile einen sozialen Rang auf, der unter dem Durchschnitt von Null
liegt.
Angesichts der großen Zahl von Stadtteilen und kreisfreien Städten in Nordrhein-Westfalen kann deren sozioökonomische Segregation nicht umfassend
6
162
Die Kommunalstatistik - Deutscher Städtetag (KOSTAT DST GmbH) vertreibt kleinräumig
gegliederte Sachdaten für eine Reihe deutscher Städte. Das Datenangebot umfasst die wohnberechtigte Bevölkerung und die Zahl der Haushalte sowie Einwohnerdaten nach Altersgruppen,
Geschlecht und deutsch bzw. nichtdeutsch.
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Gesellschaftlicher Wandel
beschrieben werden. Aus den empirischen Analysen und insbesondere
dem zeitlichen Vergleich der Entwicklung lassen sich jedoch folgende
Kernaussagen festhalten:
200
Häufigkeit
100
Konvergenz der Dimensionen von
Segregation
0
8
14
20
26
32
38
44
50
56
Abb. 3 Verteilung der demografischen Segregation in den Stadtteilen der kreisfreien Städte
Angaben: Häufigkeitsauszählung des Jugendquotienten 2001 in Prozent
Quelle: KOSTAT 2001
160
80
60
40
Häufigkeit
20
0
-3,0 -2,5 -2,0 -1,5 -1,0 -0,5 0,0
0,5
1,0
1,5
2,0
Abb. 4: Verteilung der ethnischen Segregation
in Stadtteilen der kreisfreien Städte
Angaben: Häufigkeitsauszählung des sozialern
Rangs 1987 (= Arbeiteranteil x (-1)), standardisiert
Quelle: Volkszählung 1987
Der Zusammenhang der drei Dimensionen ist zunehmend stärker geworden. Die weitaus größten Anteile der
inzwischen zahlreicheren Ausländer
leben heute in den Stadtteilen, in
denen auch die größten Anteile der
armen Inländer leben. Dort leben
heute, zumindest in den Städten, auch
die meisten Familien, somit auch Kinder und arme Familien. Der Ausländeranteil ist daher mittlerweile das statistisch bedeutendste Unterscheidungsmerkmal der Stadtteile geworden, denn er ist zugleich ein Armutsindikator und ein Indikator für die demografische Struktur des Stadtteils.
Stadtteile sind dann besonders belastet, wenn in ihnen die drei Formen der
Segregation gemeinsam auftreten.
Eben diese Gleichzeitigkeit der Segregationsdimensionen ist immer häufiger zu beobachten. Gleichwohl darf
daraus nicht auf einen unmittelbaren
kausalen Zusammenhang etwa sozialer und ethnischer Segregation geschlossen werden. So kann es durchaus sein, dass auf kleinräumiger
Ebene - also noch unterhalb der
Stadtteilebene - die Sozialräume nach
ethnischer, sozialer und demografischer Zusammensetzung wieder deutlich zu unterscheiden sind. Das politische Gegensteuern gegen die eine
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Segregationsdimension setzt daher nicht zwingend die Aufhebung auch der
anderen voraus.
Die Strukturen räumlicher Segregation sind relativ konstant
Es gibt eine relative Stabilität von Strukturen sozialer Segregation. Sortiert man
die Städte und Stadtteile nach ihrem sozialen Rang, so ergibt sich im Vergleich
der letzten 30 Jahre annähernd dieselbe Rangfolge. Städte und Stadtteile, die
vor 30 Jahren bereits als sozial benachteiligt galten, sind es in der Regel auch
heute. Städte und Stadteile mit sozial höher gestellter Bevölkerung haben in der
Regel auch heute überdurchschnittliche Einkommen, eine relativ junge Altersstruktur und einen geringen Ausländeranteil. Auch für die Zukunft ist eine Fortschreibung dieser relativen Stabilität sozialer Strukturen zu erwarten.
Abstände zwischen den Städten und Stadtteilen vergrößern sich
Bei konstanter Rangfolge der Städte und Stadtteile haben sich die Abstände
zwischen den Extrema vergrößert. Dies ist vergleichbar mit den Perlen einer
Kette, die auseinander gezogen werden, ohne jedoch ihre Reihenfolge zu verändern. Diese Beobachtung stimmt mit dem verstärkten Zusammenhang der
drei Dimensionen sozialer Segregation überein. In der Gesamtbetrachtung hat
damit die sozioökonomische Segregation eindeutig zugenommen und insbesondere im Bereich benachteiligter Stadtteile eine problematische Ausprägung
erreicht. Deren Bezeichnung als überforderte Nachbarschaften oder soziale
Brennpunkte scheint daher gerechtfertigt.
Hohe Ausländer- oder Altenanteile sind nicht grundsätzlich
problematisch
Die Ausnahmen von der Regel sollten nicht unbeachtet bleiben. Sie liegen z.B.
in den Dienstleistungszentren vor, in denen Stadtteile mit hohem Ausländeranteil gleichzeitig einen hohen sozialen Rang und einen niedrigen Familienstatus
aufweisen. Ebenfalls gibt es alternde Wohngebiete von hohem sozialen Rang
und mit geringem Ausländeranteil in mittelperipheren Lagen, auf welche die
obige Regel nicht zutrifft.
Die Tabelle 1 enthält eine Zuordnung aller Stadtteile in den Städten in NordrheinWestfalen, für die alle drei Indikatoren ermittelt werden konnten. Es handelt sich
hierbei um die erste nahezu flächendeckende Sozialraumanalyse der Stadtteile
in den kreisfreien Städten des Landes Nordrhein-Westfalen.
164
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Gesellschaftlicher Wandel
Ausländer
anteil
Jugendquotient
niedrig (1)
DO Hostedde
GE Resser Mark
HER Sodingen-Süd
OB Schlad
niedrig (1)
niedrig(1)
sozialer Rang
mittel (2)
BI Bethel
BO Altenbochum
BO Grumme
BO Kornharpen
/Voede-Abtweig
BO Südinnenstadt
BO Weitmar-Mark
BO Weitmar-Mitte
BOT Fuhlenbrock
-Wald
BOT Süd-West
DU Ungelsheim
E Borbeck-Mitte
HA Elsey-Süd
HAM Süden,
westl. Werler Str.
HER Börnig
HER Gartenstadt
HER Herne-Süd
MG Flughafen
OB Styrum
RS Falkenberg
RS Garschagen
RS Grenzwall
RS Morsbach
Gesamt
hoch (3)
BI Babenhausen-Ost
BI Großdornberg
BI Hoberge-Uerentrup
BI Lonnerbach
BI Tieplatz
BI Upmannstift
BN Holtdorf
BO Stiepel
BO Wiemelhausen/
Brenschede
D Himmelgeist
D Itter
D Unterbach
DO Barop
DO Bittermark
DO Syburg
DO Westfalendamm
DO Westfalenhalle
DO Wichlinghofen
E Bergerhausen
E Bredeney
E Byfang
E Fulerum
E Haarzopf
E Huttrop
E Kettwig
E Rüttenscheid
E Schönebeck
E Stadtwald
E Werden
HA Emst-West
HA Fleyerviertel
HAM Innenstadt-Ost
Ham Westhausen
K Klettenberg
K Lövenich
K Pesch
K Rath/Heumar
KR Stadtwald
MG Pongs
MG Windberg
MS Aegidii
MS Düesberg
MS Geist
MS Hansaplatz
MS Herz-Jesu
MS Kreuz
MS Martini
MS Mauritz-Mitte
MS Mauritz-West
165
75
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Ausländer
anteil
Jugendquotient
niedrig (1)
BO Bergen/Hiltrop
BO Gerthe
BO Hordel
BO Langendreer
DO Jungferntal
DO Kley
DO Lanstrop
DO Lütgendortmund
DO Wickede
DU Röttgersbach
DU Wehofen
E Gerschede
niedrig (1)
niedrig (1)
sozialer Rang
mittel (2)
GE Beckhausen
GE Erle
BI Heeperholz
BI Holtkamp
BI Jöllenbeck-West
BI Niederdornberg
BI Ubbedissen
BO Dahlhausen
BO Eppendorf
BO Harpen/Rosenberg
BO Hoentrop
BO Linden
BO Westenfeld
BOT Kirchhellen
-Grafenwald
BOT Stadtwald
D Vennhausen
GE Resser Mark
GE Scholven
DO Asseln
DO Brackel
HA Vorhalle-Süd
HAM Sandbochum
HER Hannover
HER Königsgrube
KR Gartenstadt
OB Buschhausen
OB Holten
DO Brechten
DO Holthausen
DO Oespel
DO Schüren
DO Sölde
DO Westrich
DU Bissingheim
DU Buchholz
DU Großenbaum
DU Huckingen
DU Mündelheim
DU RumelnKaldenhausen
E Bedingrade
E Dellwig
E Frintrop
E Kupferdreh
E Überruhr-Hinsel
E Überruhr-Holthausen
GE Heßler
HA Boelerheide
HA Boele-Zentrum
HA Eilpe-Süd/
Selbecke
HA Fley/Helfe
HA Priorei/
Rummennohl
HAM Lerche
HAM Lohauserholz
HAM Ostwennemar
HAM Wiescherhöfen/
Daberg
166
Gesamt
hoch (3)
AC Kornelimünster
AC Laurensberg
AC Soers
BI Babenhausen-Ost
BI Buschkamp
BI Johannistal
BI Kirchdornberg
BI Sieben Hügel
BI Theesen
BN Finkenhof
BN Lessenich/Meßdorf
BN Oberkassel
BN Röttgen
BOT FuhlenbrockHeide
BOT Kirchhellen-Mitte
BOT KirchhellenNord-Ost
D Kalkum
D Ludenberg
D Urdenbach
DO Benninghofen
DO Berghofen
DO Brünninghausen
DO Hacheney
DO Holzen
DO HombruchSüdwest
DO Kirchhörde
DO Lücklemberg
DO Sölderholz
DO Wambel
DO Wellinghofen
DU Baerl
DU Rahm
E Burgaltendorf
E Fischlaken
E Heidhausen
E Heisingen
E Margarethenhöhe
E Schuir
HA Berchum
HA Eppenhausen
HA Garenfeld
HA Holthausen
HAM Freiske
HAM Nordinker
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Gesellschaftlicher Wandel
Ausländer
anteil
Jugendquotient
niedrig (1)
sozialer Rang
mittel (2)
HER Gysenberg
HER Stadtgarten
K Heimersdorf
K Immendorf
KR Baackeshof
KR Fischeln-West
KR Flöthbach/
Plankerdyk
KR Hüls-Ostkern
KR Kempener Feld
KR Königshof
KR Orbroich/
Hülser Bruch
LEV Hitdorf
niedrig(1)
niedrig (1)
mittel(2)
hoch (3)
LEV Lützenkirchen
MG Bettrath-Hoven
MG GiesenkirchenMitte
MG GiesenkirchenNord
MG Hardt-Mitte
MG Hehn
MG Hockstein
MG Neuwerk-Mitte
MG Venn
OB Alstaden-West
OB Dümpten
RS Bökerhöhe
RS Goldenberg
RS Kratzberg
RS Schmittenbusch
RS Stursberg
BI Eckardtsheim
BI Altenhagen
BOT Eigen
BI Brönninghausen
DO Deusen
BI Dingerdissen
DO Kirchderne
BI Grafenheide
DO Schwieringhausen BI Kupferheide
DU Alt-Walsum
BI Lämershagen
HA Spielbrink
BI Lämmkenstadt
HA Westerbauer-Nord BI Milse
HAM Harringholz
BI Oldentrup-Ost
HAM Herringen,
Ortskern
HAM Hövel-Nord
HAM Nordherringen
HAM Werries
KR Elfrath
KR Hohenbudberg
BI Schillingshof
Gesamt
hoch (3)
HAM Westtünnen,
östl. Heiseweg
K Brück
K Elsdorf
K Langel
K Weiß
K Widdersdorf
KR Fischeln-Ost
KR
KR
KR
KR
Kliedbruch
Sollbrüggen
Tierpark
Traar-Ost
LEV Bergisch
Neukirchen
MG Hardter Wald
MG Sasserath
MS Amelsbüren
165
MS Gelmer-Dyckburg
MS Hiltrup-Ost
MS Kinderhaus-Ost
MS Mauritz-Ost
MS Mecklenbeck
MS Nienberge
MS Roxel
MS Sprakel
MS Wolbeck
RS Lennep Nord
RS Westhausen
AC Beverau
AC Oberforstbach
AC Steinebrück
AC Walheim
BI Todrang
BI Wolfskuhle
BN Buschdorf
BN Hoholz
BN Ückesdorf
BN Vilich-Müldorf
BI Vilsendorf
HA Emst-Ost
BI Windwehe
HAM Berge
BI Wrachtruper Lohde HAM Heessen,
Ortskern
BOT KirchhellenHAM Osttünnen
Nord-West
DO Kurl-Husen
HAM Rhynern,
Ortskern
88
167
Zukunft der Städte in NRW
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9:11
Seite 168
Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Ausländer
anteil
Jugendquotient
niedrig (1)
KR Niederbruch
MG Rheindahlen-Mitte
MG Uedding
RS Bergisch Born Ost
RS Hackenberg
niedrig (1)
hoch (3)
Gesamt
47
mittel (2)
168
niedrig (1)
sozialer Rang
mittel (2)
E Freisenbruch
HA Halden/Herbeck
HAM Braam
HAM Dasbeck
HAM Frielick
HAM Geithe
HAM Hölter
Gesamt
hoch (3)
HAM Wambeln
K Esch/Auweiler
K Libur
KR Traar-West
MG Wickrathberg
MS Albachten
MS GremmendorfWest
MS Gremmersdorf-Ost
MS Handorf
HAM Mark
HAM Selmigerheide/
Weetfeld
HAM Uentrop,
MS Rumphorst
Ortskern
HAM Westerheide
HAM Westtünnen,
westl. Heideweg
K Fühlingen
KR Hülbusch
KR Lindental/Tackheide
KR Oppum-Süd
KR Roßmühle/Steeg
MG Ohler
MG Rheindahlen-Land
MG Schelsen
MG Wanlo
MG Wickrath-West
OB Alsfeld
OB Sterkrade-Nord
RS Bergisch Born West
RS Engelsburg
RS Henkelshof
RS LüttringhausenWest
137
144
328
BI Wellensiek
BO Hamme
AC Frankenberg
BI Johannesstift
DU Ruhrort
HER Bickern
HER Wanne-Süd
BI Königsbrügge
BI Rütli
BI Siegfriedplatz
BI Sudbrack
BN Duisdorf-Nord
BI Brackwede-Mitte
BO Wattenscheid-Mitte
BOT Altstadt
D Benrath
D Unterrath
DO Hombruch-Mitte
DO Kaiserbrunnen
DU Neudorf-Nord
DU Neudorf-Süd
AC Burtscheider Abtei
AC Burtscheider
Kurgarten
AC Hansemannplatz
AC Lindenplatz
AC Marschiertor
AC Theater
AC Westpark
BN Grau-Rheindorf
BI Brands-Busch
BN Alt-Endenich
BN Alt-Plittersdorf
BN Baumschulviertel
BN Beuel-Zentrum
BN Bonner Talviertel
BN Dottendorf
BN GronauRegierungsviertel
Zukunft der Städte in NRW
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9:11
Seite 169
Gesellschaftlicher Wandel
Ausländer
anteil
Jugendquotient
niedrig (1)
sozialer Rang
mittel (2)
E Frillendorf
E Frohnhausen
E Rellinghausen
K Riehl
KR Hammer
schmidtplatz
KR Königshof-West
LEV Küppersteg
MS Hafen
OB Altstadt-Mitte
OB Sterkrade-Mitte
RS Lüttringhausen-Mitte
mittel (2)
niedrig (1)
BI Brock
BI Eggeweg
Gesamt
hoch (3)
BN Kessenich
BN Muffendorf
BN Vilich-Rheindorf
BN Vor dem
Koblenzer Tor
BN Wichelshof
D Oberkassel
D Düsseltal
D Flehe
D Golzheim
D Grafenberg
D HAM
D Stockum
DO Eichlinghofen
DO Ruhrallee
DU Altstadt
DU Duissern
E Holsterhausen
E Südviertel
K Bayenthal
K Braunsfeld
K Ensen
K Junkersdorf
K Lindenthal
K Lindenthal
K Müngersdorf
K Neuehrenfeld
K Rodenkirchen
K Sülz
K Wahnheide
K Weiden
K Westhoven
K Zollstock
KR Cracau
MG Am Wasserturm
MG Bungt
MS Aaseestadt
MS Bahnhof
MS Buddenturm
MS Dom
MS Josef
MS Neutor
MS Pluggendorf
MS Schlachthof
MS Schloß
MS Schützenhof
MS Sentrup
MS Überwasser
MS Uppenberg
AC Hangeweiher
169
96
Zukunft der Städte in NRW
04.06.2004
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Seite 170
Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Ausländer
anteil
Jugendquotient
niedrig (1)
BI Frerks Hof
BI Stieghorst
BO Guenningfeld
BO Hofstede
BO Laer
BO LangendreerAlter Bahnhof
BI
BI
BI
BI
BI
BI
BO Leithe
BO Riemke
BO Werne
BOT Batenbrock-Nord
BOT Boy
DO Bodelschwingh
DO Dorstfeld
DO Marten
BOT Süd-West
D Gerresheim
D Wersten
DO Menglinghausen
DU Alt-Homberg
DU Bergheim
DU Wedau
E Leithe
DO
DO
DO
DO
mittel (2)
mittel (2)
Mengede
Nette
Oestrich
Scharnhorst-Alt
DU Aldenrade
DU Mittelmeiderich
DU Untermeiderich
DU Wanheimerort
E Altenessen-Süd
E Bochold
E Kray
GE Horst
GE Rotthausen
GE Ückendorf
HA Delstern
HA Eilpe-Nord
HA Elsey-Nord
HA Westerbauer-Süd
HAM Barsen
HAM Bockum
HAM Heidhof
HAM Westen,
südl. Lange Str.
HER Baukau-Kern
HER Baukau-West
HER Constantin
HER Elpeshof
HER Feldkamp
HER Holsterhausen
HER Pantrings Hof
HER RöhlinghausenKern
170
sozialer Rang
mittel (2)
Gellershagen
Kupferhammer
Schildesche
Stauteiche
Unterhteesen
Welscher
Gesamt
hoch (3)
AC Hörn
BI Bülmannshof
BI Bültmannskrug
BI Pappelkrug
BI Rosenhöhe
BN Alt-Tannenbusch
BN Beuel-Süd
BN Brüser Berg
BN Duisdorf-Zentrum
BN Friesdorf
BN Heiderhof
BN Ippendorf
BN Lengsdorf
BN Limperich/Küdinghoven/Ramersdo
E Steele
BN Neu-Duisdorf
GE Buer-Mitte
BN Neu-Endenich
HA Altenhagen-Süd
BN Obermehlem
HA Dahl
BN Pützchen/
Bechlinghoven
HA Haspe-Süd
BN Venusberg
HER Altenhöfen
D Angermund
K Flittard
D Hubbelrath
K Poll
D Kaiserswerth
K Urbach
D Lohausen
K Vogelsang
D Volmerswerth
KR Inrath
DO Aplerbeck
KR Uerdingen-Markt HAM City
LEV Bürring
HAM Kurpark
LEV Opladen
HAM Süden,
östl. Werler Str.
LEV Steinbüchel
K Dellbrück
MG Eicken
K Eil
MG Geistenbeck
K Hahnwald
MG Grenzlandstadion K Longerich
MG HardterbroichK Merheim
Pesch
MG Heyden
K Raderthal
MG Lürrip
K Sürth
MG Schmölderpark
K Zündorf
MG Schrievers
OB Marienkirche
RS Bliedinghausen
RS Hölterfeld
RS Reinshagen
RS Schöne Aussicht
RS Struck
LEV Schlebusch
MS Gievenbeck
MS Hiltrup-Mitte
RS Ehringhausen
151
Zukunft der Städte in NRW
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Seite 171
Gesellschaftlicher Wandel
Ausländer
anteil
mittel (2)
Jugendquotient
mittel (2)
niedrig (1)
sozialer Rang
mittel (2)
Gesamt
hoch (3)
HER Sodingen-Kern
HER Strünkede
K Merkenich
K Worringen
KR Oppum-Banhof
LEV Quettingen
MG Oldenkirchen-West
MG Waldhausen
OB Alstaden-Ost
OB Bermensfeld
OB Borbeck
OB Heide
OB Klosterhardt-Süd
OB Lirich-Nord
OB Osterfeld-Ost
OB Schwarze Heide
OB Tackenberg
RS Großhülsberg
RS Mixsiepen
RS Neuenkamp
RS Vieringhausen
BI Baumheide
AC Forst
BI Betriebshof Sieker AC Hanbruch
BI Dalbke
BI Südstadt
BI Südwestfeld
BI Windelbleiche
BOT Nord-Ost
D Garath
DO Bövinghausen
DO Kirchlinde
DO Scharnhorts-Ost
DO Westerfilde
DU Beeckerwerth
DU Neuenkamp
DU Neumühl
AC Vaalsquartier
BN Bad GodesbergKurviertel
BI Hillegossen
BN Geislar
BI Jöllenbeck-Ost
BN Holzlar
BI Oldentrup-West
BN Schweinheim
BI Quelle
D Wittlaer
BI Sennestadt
K Rondsdorf
BI Ummeln
K Wahn
BI Vorwerk Schildesche MS Angelmodde
D Hellerhof
MS Hiltrup-West
D Lichtenbroich
MS Kinderhaus-West
E Horst
GE Feldmark
HA Geweke/Tücking
HAM Pelkum, Ortskern
DU Overbruch
DU Rheinhausen-Mitte
E Altenessen-Nord
E Bergeborbeck
E Karnap
E Schonnebeck
mittel (2)
hoch (3)
HER Eickel-Kern
K Dünnwald
K Höhenhaus
K Lindweiler
K Stammheim
MG BonnenbroichGeneicken
E Stoppenberg
MG Holt
HA Altenhagen-Nord MG Odenkirchen-Mitte
HA Henkhausen/Reh MG Wickrath-Mitte
HA Kabel/Bathey
RS Dörrenberg
HAM Hövel-Mitte
RS Haddenbach
HAM Nordenfeldmark- RS Stadtgarten
West
76
171
Zukunft der Städte in NRW
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Seite 172
Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Ausländer
anteil
mittel (2)
Gesamt
hoch (3)
172
Jugendquotient
hoch (3)
niedrig (1)
sozialer Rang
mittel (2)
Gesamt
hoch (3)
HAM Zeche-Sachsen
HER Holthausen
HER Scharpwinkelring
K Roggendorf/
Thenhoven
KR Gatherhof
KR UerdingenStadtpark
LEV Alkenrath
LEV Rheindorf
RS Fichtenhöhe
RS Hasenberg
RS Lennep West
109 98
116
323
AC Adalbertsteinweg
AC Jülicher Str.
BI Dürkopp
BI Fuhrpark
BI Güterbahnhof
AC Kaiserplatz
AC St. Jakob
BI Hammer-Mühle
BI Kesselbrink
BI Landgericht
BI Heeper Fichten
BI Pauluskirche
BN Bad GodesbergZentrum
BN Ellerviertel
AC Markt
AC Ponttor
BI Alt- und Neustadt
BI Universität
BN HochkreuzRegierungsviertel
BN Poppelsdorf
BI Stadtwerke
BN Vor dem Sterntor
BN Bonn-Güterbahnhof
BO Kruppwerke
D Flingern Süd
D Lierenfeld
DO Dorstfelder Brücke
DO Hafen
niedrig (1) DO Hörde
DU Kaßlerfeld
E Nordviertel
K Ehrenfeld
RS Lennep-Neustadt
BO Gleisdreieck
D Derendorf
D Flingern Nord
D Friedrichstadt
D Heerdt
D Oberbilk
D Unterbilk
DU Dellviertel
E Stadtkern
E Südostviertel
E Westviertel
GE Altstadt
HA Remberg
HAM Innenstadt-Süd
K Altstadt-Nord
K altstadt-Süd
K Deutz
K Grengel
K Neustadt-Süd
K Nippes
K Radersberg
K Weidenpesch
KR Stephanplatz
KR Vier Wälle
BN ZentrumMünsterviertel
BN ZentrumRheinviertel
D Altstadt
D Bilk
D Karlstadt
D Lörick
D Pempelfort
D Stadtmitte
DO City
K Marienburg
K Neustadt-Nord
71
Zukunft der Städte in NRW
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Seite 173
Gesellschaftlicher Wandel
Ausländer
anteil
Jugendquotient
niedrig (1)
sozialer Rang
mittel (2)
Gesamt
hoch (3)
MG Gladbach
RS Mitte
AC Panneschopp
AC Trierer Str.
BI Kammeratsheide
BN Bad GodesbergNord
BI Bahnhof Brackwede D Eller
BI Bauerschaft
D Holthausen
Schildesche
BI Kammerich
D Rath
BI Nordpark
HA Zentrum
BI Osningpaß
K Holweide
BOT Ebel-Welheimer K Mauenheim
Mark
D Hafen
K Niehl
D Reisholz
KR Bleichpfad
DU Beeckerwerth
KR Stadtgarten/
Drießendorf
DU Friemersheim
MG Rheydt
DU Hochemmerich
OB Altstadt-Süd
DU Hochfeld
DU Hochheide
E Altendorf
E Ostviertel
GE Bulmke-Hüllen
GE Schalke
GE Schalke-Nord
HA Oege/Nahmer
hoch (3)
mittel (2)
BN Bad GodesbergVillenviertel
BN Mehlem-Rheinaue
BN Pennenfeld
BN Rüngsdorf
BO Querenburg
D Mörsenbroich
D Niederkassel
HA Wehringhausen-Ost
HA WehringhausenWest
HAM Bahnhof
(einschl. Ortsgüterbahn)
HAN Heessen-Mitte
HER Crange
HER Pluto
HER Schambrock
HER Wanne-Mitte
K Buchforst
K Buchheim
K Godorf
K Höhenberg
K Humboldt-Gremberg
K Kalk
K Meschenich
K Mülheim
KR Dießern
KR Schinkenplatz
KR Südring
LEV Manfort
LEV Wiesdorf
71
173
Zukunft der Städte in NRW
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Seite 174
Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Ausländer
anteil
hoch (3)
Jugendquotient
mittel (2)
MG Dahl
MG Westend
RS Altstadt
RS Hasten/Mitte
RS Lennep-Altstadt
RS Nordstadt
RS Scheid
RS Stachelhausen
RS Zentralpunkt
OB Klosterhardt-Nord
AC Kalkofen
AC Rothe Erde
BI Sennestadt Industriegebiet
BI Sieker
BI Windflöte
BOT Batenbrock-Süd
BOT Welheim
D Hassels
DO Borsigplatz
hoch (3)
174
hoch (3)
sozialer Rang
mittel (2)
niedrig (1)
DO Derne
DO Eving
DO Huckarde
DO Lindenhorst
DO Nordmarkt
DU Alt-Hamborn
DU Bruckhausen
DU Fahrn
DU Hüttenheim
DU Laar
DU Marxloh
DU Obermarxloh
DU Obermeiderich
DU Vierlinden
DU WanheimAngerhausen
E Katernberg
E Vogelheim
GE Bismarck
GE Hassel
GE Neustadt
HA Eckesey-Nord
HA Eckesey-Süd
HA Haspe-Zentrum
HA Hohenlimburg
-Zentrum/Wesselbac
HA Kuhlerkamp
HA Vorhalle-Nord
HAM Herringer Heide
HAM Hövel-Radbod
BN
BN
BN
BN
Auerberg
Beuel-Ost
Dransdorf
Lannesdorf
Gesamt
hoch (3)
BN Medinghoven
BN Neu-Plittersdorf
BN Neu-Tannenbusch
MS Coerde
HER Wanne-Nord
K Bickendorf
K Bilderstöckchen
K Bocklemünd/
Mengenich
K Ossendorf
K Porz
K Volkhoven/Weiler
MS Berg Fidel
RS Stadtpark
RS Trecknase
81
Zukunft der Städte in NRW
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Seite 175
Gesellschaftlicher Wandel
Ausländer
anteil
hoch (3)
Jugendquotient
hoch (3)
Gesamt
sozialer Rang
mittel (2)
niedrig (1)
Gesamt
hoch (3)
HAM Mattenbecke
HAM NordenfeldmarkOst
HAM Ostfeld
HAM Westen,
nördl. Lange Str.
HAM Westenfeldmark
HAM Zechensiedlung
HER Herne Zentrum
HER Horsthausen
HER Unser Fritz
K Chorweiler
K Gremberghoven
K Ostheim
K Seeberg
K Vingst
KR Lehmheide
KR Stahldorf
MG Hauptquartier
MG Mülfort
OB Lirich-Süd
OB Osterfeld-West
RS Blumental
RS Honsberg
RS Klausen
RS Kremenholl
RS Wüstenhagen
133
61
29
223
Tab. 1: Ausländeranteil, Jugendquotient und sozialer Rang der Stadtteile in Nordrhein-Westfalen
Angaben ohne Mühlheim, Wuppertal und Solingen
Quelle: KOSTAT 2001; Volkszählung 1987, Berechnungen Zimmer-Hegmann/Strohmeier/
Häußermann und andere
Ordnet man den Dimensionen jeweils Zahlen zu (1 = niedrig; 2 = mittel; 3 = hoch)
und bringt sie in eine feste Reihenfolge mit dem Ausländeranteil an der ersten
Stelle, dem Jugendquotienten an der zweiten und dem sozialen Rang an der
dritten Stelle, dann erhält man z.B. für den Duisburger Stadtteil Bruckhausen
das Wertetripel 331, also Ausländeranteil hoch, Jugendquotient hoch, sozialer
Rang niedrig. Duisburg-Obermeiderich, Köln-Chorweiler oder Essen-Katernberg werden mit der gleichen Zahlenkombination beschrieben. Eine größere
Zahl von Düsseldorfer oder Bonner Stadtteilen weist die Kombination 313 auf,
also hoher Ausländeranteil, niedriger Jugendquotient, hoher sozialer Rang. Hier
leben mit hoher Wahrscheinlichkeit andere Ausländer als im Typus 331. Die
Kombination 311 beschreibt überwiegend innenstadtnahe arme Viertel mit
hohen Migrantenanteilen. Am wenigsten auffällig, aber insgesamt auch mit 44
von 1068 Stadtteilen nur relativ selten, ist die Kombination 222, also der in jeder
175
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Seite 176
Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Hinsicht durchschnittliche, sowohl ethnisch als auch demografisch und sozialstrukturell gemischte Sozialraumtypus. In diese Kategorie gehören zum Beispiel
die Stadtteile Essen-Steele oder Düsseldorf-Gerresheim.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen somit die Kombinationen der extremen
Merkmalsausprägungen, die jeweils ein hohes Maß an Segregation der Bevölkerung anzeigen. Auf den ersten Blick ist ersichtlich, dass es Häufungen dieser
Extremkombinationen in bestimmten Städten gibt.
Wie bereits oben erläutert, ist die ethnische Segregation und insbesondere der
Ausländeranteil in einem Stadtteil als Schlüsselgröße anzusehen. Zugleich hat
sich in Wissenschaft und Politik in den letzten Jahren ein immer differenzierterer Blick auf die Entwicklungschancen ethnisch verdichteter Stadtteile entwickelt. Im Folgenden wird dieser Aspekt vertiefend behandelt.
5.2.3 Ausprägungen ethnischer Segregation
Referenzpunkt für die Einschätzung von Integration und Desintegration in Städten sollte die vorhandene oder nicht vorhandene gleichberechtigte Teilhabe von
Bewohnern unterschiedlicher ethnisch-kultureller Herkünfte an Ressourcen und
Prozessen sein - und nur in zweiter Linie sollte es die Frage der kulturellen
Anpassungsleistungen von Migranten sein. Gelungene Integration bedeutet
Chancengleichheit.
Entsprechend einer notwendigen Differenzierung des Integrationsbegriffs fordern Häußermann und Siebel eine Auffächerung des Begriffs des segregierten
Quartiers. Dabei ist mindestens zu unterscheiden zwischen freiwilliger und
erzwungener, kultureller und sozialer Segregation. Im Zusammenwirken dieser
Dimensionen entstehen vier Segregationstypen, die unterschiedliche Zuwandererquartiere abbilden (vgl. Abb. 5):7
Ghettos: große kulturelle und ökonomische Distanz zwischen Zuwanderern und
Aufnahmegesellschaft. Das entspricht einer Überlagerung von kultureller und
ökonomischer Segregation.
Slums: geringe kulturelle und große ökonomische Distanz - ökonomische, aber
keine ethnische Segregation.
Ethnische Kolonie oder Binnenintegration8; Mosaik-Stadt9: freiwillige Segregation oder Diskriminierung mit großer kultureller und geringer ökonomischer
7
Häußermann/Siebel 2001, S. 47.
8
Vgl. zu dieser alternativen Begriffsbildung für diesen Segregationstyp Heckmann 1992, S. 115;
Elwert 1982, S. 727.
9
Häußermann/Siebel 2001, S. 11.
176
Zukunft der Städte in NRW
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Seite 177
Gesellschaftlicher Wandel
Distanz. Das entspricht einer ethnisch-kulturellen, aber keiner ökonomischen
Segregation.
Assimilation/Mischung: geringe kulturelle und ökonomische Distanz - keine
Segregation.
Eine als Chancengleichheit verstandene Integration in die Stadt kann grundsätzlich gleichermaßen durch gemischtethnische Quartiere und Stadtteile wie
auch durch ethnische Kolonien erzielt werden.
Die Rolle, die der ethnischen Kolonie bei der Integration in der Stadt zukommen
kann, muss politisch definiert werden. Hier ist eine explizite Positionsbestimmung unerlässlich, eine Strategieentwicklung für integrative Stadtpolitik ist
andernfalls nicht möglich. In der von allen Landtagsfraktionen verabschiedeten
Integrationsoffensive Nordrhein-Westfalen werden die hier folgend angesprochenen Elemente weitgehend aufgegriffen - ohne allerdings eine Bewertung der
„ethnischen Kolonie“ als eine mögliche Integrationsform vorzunehmen.
Zugangshindernisse zum Wohnungsmarkt und freiwillige eigroß
klein
genethnische Quartiersbildung
haben in Nordrhein-Westfalen
zu sehr unterschiedlichen moGhetto
Slum
noethnischen und multiethnischen Quartierstypen geführt,
die jeder für sich auch sehr
unterschiedliche Entwicklungschancen und Entwicklungsrisiken bergen. Dies gilt ungeachtet
ethnische
Mischung
Kolonie
der Tatsache, dass in der Makroperspektive - wie oben beschrieben - ein deutlicher ZuAbb. 5: Typen von Integration und Segregation
sammenhang von sozialer und
Quelle: Eigene Darstellung
ethnischer Segregation zu konstatieren ist. Entsprechend ist
die ethnische Kolonie als Gegenentwurf zum so genannten Ghetto für die Bevölkerungsgruppe der ehemaligen Arbeitsmigranten und ihrer Nachkommen bisher
kaum verwirklicht. Durch die Migrantenökonomie getragene, dynamische Entwicklungen der letzten Jahre deuten aber in Richtung einer langsamen Etablierung stabiler und konfliktarmer ethnischer Kolonien in zumindest einigen der
vorrangig von Migranten bewohnten Quartiere.
groß
klein
Ökonomische Distanz
Kulturelle Distanz
Hinzuweisen ist insgesamt auf die große Differenziertheit auch unter denjenigen
Stadtteilen in Nordrhein-Westfalen mit überdurchschnittlich hohem Zuwandereranteil. Es gibt nicht den problematischen Typus des Zuwandererstadtteils,
sondern lediglich sehr unterschiedliche Stadtteilstrukturen mit sehr unter177
Zukunft der Städte in NRW
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
schiedlichen Chancen und Risiken. Dabei kann von „Ghettobildung“ in den
nordrhein-westfälischen Städten nur in Ausnahmefällen die Rede sein. Gleichzeitig garantiert aber auch eine große Migrantenpopulation in einem Quartier
nicht automatisch die Etablierung eigenethnischer Netzwerke der Selbsthilfe
oder einer ethnischen Ökonomie.
Ein konstruktiver Umgang mit ethnischen Kolonien und Segregation ist gerade
im Ruhrgebiet unerlässlich, da in schrumpfenden Städten inzwischen der Wegzug wirtschaftlich leistungsfähiger, deutschstämmiger Haushalte ins Umland,
flankiert von vergleichsweise hohen Geburtenraten in den Zuwanderercommunities, die Hauptursache für ethnische Konzentration darstellt. Hier ist allein die
Frage der Entkopplung von ethnischer und sozialer Konzentration - die
Umwandlung des Ghettos in eine ethnische Kolonie - von pragmatischem Interesse, nicht mehr die Entflechtung des Quartiers.
Segregation wirkt besonders in den Schulen und im Vorschulbereich negativ.
Das Absinken des Lernniveaus in multiethnischen Klassen befördert den Wegzug wirtschaftlich leistungsfähiger (deutschstämmiger) Haushalte. Besonderer
Aufmerksamkeit bedarf daher die Qualität der Schulen in multiethnischen Quartieren. Entsprechend sollte ein für den multiethnischen Klassenverband adäquater Unterricht den Vorrang vor immer wieder in die politische Debatte eingebrachten Quotierungen bekommen. Letztere können mittelbar auch segregationsverstärkend wirken. Entscheidend ist vielmehr die Qualifizierung von Schulen.
Neben statistischen Größen wie Erwerbsbeteiligung und Haushaltseinkommen
ist die Existenz eigenethnischer Netzwerkstrukturen ein wichtiges Merkmal, das
die Kolonie vom Ghetto unterscheidet. Gleichwohl sind die desintegrativen Wirkungen ethnischer Selbstorganisationen, die tradierte Identitäten verfestigen, um
sich ihres eigenen Klientels und der eigenen Rolle zu versichern, nicht zu unterschätzen. Für eine pragmatische Integrationspolitik, die beständig bemüht ist, ein
Mehr an Gemeinsamkeit zwischen Deutschen und Zuwanderern herzustellen, ist
der Ausbau des Wissensstandes über die Motive für ethnische Selbstorganisation nötig. Auf diese Weise kann der Rückzug in ethnische Nischen als Folge
nachlassender Kontakte, Diskriminierung und fehlender Teilhabechancen unterschieden werden von im Kern kulturbedingten, durch Integrationspolitik nicht zu
beeinflussenden Neigungen zur Etablierung eigenethnischer Netzwerke, die für
die Identitätsbildung und -stabilisierung unerlässlich sein können. Aus einer so
verstandenen Integrationspolitik, die sich gleichermaßen mit ethnischer
Mischung und ethnischen Kolonien arrangieren kann, resultiert die Möglichkeit,
Vorteile ethnischer Netzwerke, konfliktarmer und homogener Nachbarschaften
und kultureller Autonomie bei gleichzeitiger Bekämpfung negativer und unfreiwilliger Folgen von Segregation nutzen zu können.
178
Zukunft der Städte in NRW
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Seite 179
Gesellschaftlicher Wandel
5.3
Bedeutungswandel des öffentlichen Raums
Wurzeln, Bedeutung und Merkmale
Mit dem Leitbild der europäischen Stadt verbindet sich das Bild einer Bürgerstadt. In der Stadt als Ort der Emanzipation der Bürger gegenüber der Adelsherrschaft, als Hort der Freiheit und als Marktplatz sind sich die Bürger ungeachtet sozialer Unterschiede als Gleiche begegnet. Sie konnten sich nach allgemeingültigen Regeln verhalten, die keine intime gegenseitige Kenntnis erfordert, sondern auch die Kommunikation unter Fremden ermöglicht. In den beiden, heute noch lebendigen Traditionslinien von Markt und Bürgerpolitik steht
der öffentliche Raum in der europäischen Stadt. Seine Gestaltung, Pflege und
Entwicklung ist Kern- und Daueraufgabe der Städte.10
Straßen, Plätze und Grünanlagen sind öffentliche Räume, die für alle jederzeit
und ohne Zweckbestimmung zugänglich sind. Der öffentliche Raum der Stadt
ist der Ort, an dem Markt und politische Öffentlichkeit stattfinden. Umgekehrt
prägen die Funktionsfähigkeit von Markt und Demokratie die Qualität des öffentlichen Raums. Eine Diktatur kennt dahingehend keinen öffentlichen Raum. So
dokumentierten die Stadtzentren der DDR eindrucksvoll das Fehlen von Öffentlichkeit. Das heißt, dass soziale oder politische Ausgrenzungen auch die Qualität des öffentlichen Raums verändern.
Öffentlicher und privater Raum
Genese und Funktionen des Öffentlichen Raums verweisen darauf, dass es weitere Raumtypen gibt, deren soziale Konstruktion anderen Regeln folgt. Dies sind
Varianten von privaten Räumen, in denen Menschen ihr Familienleben gestalten,
konsumieren oder arbeiten. Hier herrschen andere Verhaltensregeln. Wie alle
sozialen Phänomene unterliegen sie sozialem und kulturellem Wandel. Dem
öffentlichen Raum, der Bühne der Stadt, ist neben Anonymität auch stilisiertes
Verhalten zugeordnet. Er ist der Ort der Begegnung unter Fremden.
Private (Lebens-) Räume sind dagegen Orte der Intimität, Körperlichkeit und
Emotionalität. Hier ist zu beobachten, wie im Laufe der letzten Jahrzehnte Überschneidungen entstehen, die die Polarität von öffentlichen und privaten Räumen
zusehends verwischen. So wirken etwa Handynutzer und Obdachlose in der
Öffentlichkeit gleichermaßen störend, weil sie die vorherrschenden Codes des
urbanen Verhaltens verletzen und Verhaltensweisen, die wir dem privaten Raum
zuordnen, im öffentlichen Raum sichtbar machen: der Handynutzer, indem er
lautstark seine Privatangelegenheiten erörtert, und der Obdachlose, indem er in
10 Kuklinski 2003, S. 2.
179
Zukunft der Städte in NRW
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
einer öffentlichen Anlage zum Beispiel isst und schläft. Dies sind Tätigkeiten, die
ein langer Zivilisationsprozess in die private Sphäre zurückgedrängt hat.
5.3.1 Wandel und Öffnung des öffentlichen Raums
Allerdings war der für alle zugängliche öffentliche Raum auch in europäischen
Städten lange ein unerreichtes Ideal.11 Es gab ihn weder in der Wiege der
Demokratie noch in der Industriestadt: Im antiken Athen hatten lediglich 40.000
von 200.000 Einwohnern Zugang zu öffentlichen Räumen; Unfreie und Frauen
waren ausgeschlossen. Auch Engels´ Beschreibung von Manchester zeigt, dass
öffentlicher Raum für Proletarier nicht zugänglich war. Eine Frau, die sich im
öffentlichen Raum ohne männliche Begleitung bewegte, galt im 19. Jahrhundert
als Prostituierte; und noch in den 1960er Jahren waren Frauen zumindest geächtet, wenn sie in der Öffentlichkeit etwa
rauchten.
Im Zuge der sozialen und kulturellen Modernisierungen der
letzten Jahrzehnte sind die den Frauen auferlegten Nutzungseinschränkungen nahezu völlig verschwunden. Öffentlichkeit und die Nutzung öffentlicher Räume ist kaum noch
männlich dominiert und Frauen erobern, ähnlich wie in
Arbeitswelt und Politik, ihre Räume. Dennoch bleiben nach
wie vor offene wie auch subtile Zugangsbeschränkungen für
manche Bevölkerungs- und Lebensstilgruppen bestehen.
Privatisierung des öffentlichen Raums
Im Zuge des Wandels der Stadtzentren, aber auch aufgrund
innergesellschaftlicher Veränderungen sind neue Tendenzen
der Zugangserschwernis für gesellschaftliche Gruppen
erkennbar. So schafft etwa die Ausbreitung von großflächigen, privat betriebenen Einkaufszentren eine neue Rechtslage: Die Eigentümer können den Zugang zu diesen Anlagen regulieren und tun
dies in aller Regel auch. Betroffen sind insbesondere solche Gruppen, die als
verhaltensabweichend gelten. Aber auch politische oder gewerkschaftliche
Betätigung, das Geldsammeln für mildtätige Zwecke, das Betteln und ähnliche,
für den öffentlichen Raum typische Nutzungsformen werden reguliert bzw. sind
verboten. In die gleiche Richtung wirken Versuche einzelner Städte, ihre Cities
durch die Vergabe von Sondernutzungsrechten oder mit ordnungsrechtlichen
Instrumenten von verhaltensauffälligen und armen Gruppen freizuhalten.
11 Kuklinski 2003, S. 3.
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Gesellschaftlicher Wandel
Aber nicht jeder Einzelfall der Überführung von Teilen der City in private Verfügung bedroht das Konzept des innerstädtischen öffentlichen Raums für jedermann. Auch Einkaufszentren und einzelne private Plätze im öffentlichen Raum
können deshalb mit dem Leitbild eines innerstädtischen Raums für alle vereinbar sein. Die Privatisierung von öffentlichem Raum bedarf aber stets der kritischen Analyse. Es muss gewährleistet sein, dass zentrale Bereiche der Stadt
weiter jedem zur Verfügung stehen. Unangemessene Interventionen privater
Sicherheitsdienste sind zu unterbinden. Auch bei Sondernutzungsrechten muss
im Rahmen der Genehmigungen geprüft werden, ob die Funktion des öffentlichen Raums nicht ausgehöhlt wird. Wichtig ist ein Dialog der Politik mit den
privaten Nutzern, besonders dem Handel. So kann es gelingen, eine relative
Offenheit auch privater Flächen für alle zu realisieren.
Rückgewinnung des öffentlichen Raums
Während Malls in der Regel als Verlust öffentlicher Räume gelten, erleben wir
gleichzeitig im Zuge des Wandels zur Dienstleistungsgesellschaft die „VerÖffentlichung“ privater Räume. Militärstandorte und Industrieanlagen wie
Zechen und Stahlwerke, die verbotenen Zonen, welche auch im juristischen
Sinne privat waren, werden zunehmend der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Die Internationale Bauausstellung Emscher-Park hat viel dazu beigetragen „verbotene Zonen“ großer Industrieareale als Parks, Wohnquartiere und Gewerbegebiete zu öffnen. In einer Flächenbilanz kompensiert die „Ver-Öffentlichung“
privater vermutlich die Tendenzen der Privatisierung von öffentlichen Flächen.
5.3.2 Öffentlicher Raum als Ort der Begegnung
Als Ort der Begegnung ist der öffentliche Raum auch ein Medium der Kommunikation. Damit steht er heute in Konkurrenz zu anderen öffentlichen Medien wie
Radio, Fernsehen und Film sowie zu Formen der Kunst. Gleichzeitig sind viele
Funktionen, die früher im öffentlichen Raum selbstverständlich waren, „Indoor“
gewandert, weil unsere Gesellschaft sich funktional differenziert und für
bestimmte Aktivitäten Bauten wie Jugendzentren, Sportarenen und Versammlungshallen errichtet. Den Anfang machte das Kaufen und Verkaufen: In dem
Maße, in dem es möglich war, hat man wegen des Wetters den Handel zunächst
in Markthallen und später in Kaufhäuser verlegt.
Dass im Wandel neue Qualitäten liegen, zeigen die Malls. Einerseits sind sie
Orte der Ausgrenzung, weil sie bestimmten Gruppen den Zutritt verweigern.
Andererseits ermöglichen sie spezifische Formen der warengestützten Selbstinszenierung. In dieser Funktion werden sie beispielsweise von Jugendlichen
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genutzt, die sich dort gerne treffen, weil man sich mit Freunden ohne Probleme
sehen lassen kann.
Popularkulturen hatten immer schon die Tendenz, das öffentlich zu machen,
was gehobenen bürgerlichen Schichten als intim galt. Jahrmärkte, oder das sich
Küssen auf der Straße anstelle des respektierlichen Flanierens sind dafür Beispiele. Das Körperliche und die Intimität des Privaten sind im öffentlichen Raum
in Europa nicht selbstverständlich;
aber es gab immer Tendenzen, Privates in den öffentlichen Raum einfließen
zu lassen.
Städte sollten für Sinnliches im öffentlichen Raum offen sein und das Körperliche nicht verdrängen. Barthes
spricht von der Erotik des öffentlichen
Raums und der dort stattfindenden
Begegnungen. Dort hat die Inszenierung von Mode oder von gestylten
Bodies und nackten Bauchnabeln ihren Reiz.12 Versuchen, Sport in den öffentlichen Raum zurückzuholen, liegt ein ähnliches Motiv zugrunde. Etliche Städte,
unter anderem Essen und Düsseldorf, tun dies erfolgreich mit Beach-Volleyball,
Biathlon und Eisbahnen. Die Erfahrung des Körperlichen kann durch mediale
Angebote angereichert werden. Großereignisse wie Fußballendspiele können im
öffentlichen Raum übertragen werden. So können sich Fans auf Plätzen versammeln und ihre Begeisterung gemeinsam teilen. Die Screens und virtuellen
Netze leisten einen Beitrag zur Verstärkung der sinnlichen Qualität des öffentlichen Raums.
Kunst verstärkt diese Qualitäten. Das gilt sowohl für die Architektur als auch für
Performances und Straßentheater. Auch die wenig geförderte Off-Szene
braucht öffentliche Räume für ihre Formen kultureller Aktion.
Soziale Kontrolle und subjektives Sicherheitsgefühl
Der öffentliche Raum ist ein Ort der Anonymität. Das ist die Basis für städtische
Freiheiten: Der Fremde kann nicht auf seine Identität verpflichtet werden und
kann sein Leben gleichsam neu beginnen. Er bewegt sich anonym im öffentlichen Raum, kann auch Verhaltensweisen zeigen und Bedürfnissen nachgehen,
12 Barthes 1988, S. 207; zugespitzt findet sich dieses zur Schau stellen im öffentlichen Raum am
Seawalk von Venice/LA.
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die vielleicht nicht ganz ins Schema bürgerlicher Wohlanständigkeit passen,
aber auch zur urbanen Stadt gehören. Weil Menschen sich im öffentlichen Raum
anonym und unerkannt bewegen, besteht auch die soziale Kontrolle etwa durch
Nachbarschaften nicht. Hier liegt eine Chance, Verhalten zu ändern, und damit
auch eine Voraussetzung für Innovation.
Andererseits ist soziale Kontrolle Voraussetzung für die Zugänglichkeit öffentlicher Räume. Ein Park, in dem Frauen fürchten müssen, belästigt zu werden,
oder eine Straße, in der man mit Überfällen rechnen muss, sind keine zugänglichen, öffentlichen Orte. Dort, wo Selbstdisziplin und informelle Kontrollen
durch Passanten nicht greifen, müssen Kontrollen durch Polizei oder Überwachungstechnik die Sicherheit als Voraussetzung für die Zugänglichkeit des
öffentlichen Raums gewährleisten.
Öffentlicher Raum braucht also soziale Kontrolle. Allerdings darf das Anonymität
und damit städtische Freiheit nicht einschränken. Der öffentliche Raum der
Stadt ist nämlich ein Ort der Begegnung von Fremden. Die Stadt ist der Ort, wo
Fremde leben; jeder, nicht nur der Migrant, ist dort dem anderen fremd. Deswegen kann die Situation im öffentlichen Raum nicht vollständig kontrolliert werden. Diese grundsätzliche Unsicherheit muss zugleich ertragen und in Grenzen
gehalten werden. Somit beruht der Öffentlichkeitscharakter städtischer Räume
immer auf einer prekären Balance von Anonymität und Kontrolle, von Sicherheit
und Verunsicherung. Dabei ist die Schere zwischen objektiver (Un-) Sicherheit
und subjektiv empfundener (Un-) Sicherheit groß. Plakativ gesagt: Es fürchten
sich die falschen Menschen an den falschen Orten vor den falschen Menschen.
So ist die Angst vor Gewalt im öffentlichen Raum bei älteren Frauen am größten
und bei jungen Männern am geringsten. Die Opferwahrscheinlichkeit verhält
sich jedoch genau entgegengesetzt.
Die durch einseitige Berichterstattung und Klischees geschaffenen Angsträume (Bahnhöfe, U-Bahn-Haltestellen, Parkhäuser) haben meist keine
signifikant höhere Quote an Gewalttaten als gut beleuchtete Flaniermeilen. Auch dissoziales Verhalten von Randgruppen in der Öffentlichkeit,
z.B. Konsumenten legaler und illegaler Drogen, und Verwahrlosung wird
häufig zu Unrecht mit erhöhter Gewaltaffinität gegenüber Unbeteiligten assoziiert.
5.3.3 Belebung des öffentlichen Raumes - Handlungsempfehlungen
Agenda für den öffentlichen Raum
Generell gilt es die Funktion und die Qualität des öffentlichen Raumes als konstitutives Element der Europäischen Stadt zu stärken. Eine Agenda für den
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öffentlichen Raum als Kampagne des Landes könnte die mit der Initiative
StadtBauKultur und dem 50 Plätze-Programm bereits begonnenen Aktivitäten
unterstützen. Elemente können sein:
Ein ressortintegrierter Strategieplan Öffentlicher Raum sollte zunächst den
Zustand erfassen (wie es Köln derzeit mit seinen Plätzen macht), Schlüsselmaßnahmen und -projekte mit Impulswirkung identifizieren, für die Entwicklung
und Pflege des öffentlichen Raums werben, ein breites Akteursfeld ansprechen
und Mitwirkungsbereitschaft einwerben.
Dabei sollen alle relevanten Akteure an einen Tisch kommen und gemeinsam
Maßnahmen zur Verbesserung des jeweiligen Raums initiieren. Sie können vom
Organisatorischen bis zur Neugestaltung reichen. Auch hier müssen Kommunalverwaltungen integriert und ressortübergreifend handeln. Dabei soll die Mitwirkungs- und Mitfinanzierungsbereitschaft wirtschaftlicher Profiteure eines
attraktiven öffentlichen Raums geweckt werden.
In den letzten Jahrzehnten wurde viel gebaut ohne damit Raumqualitäten zu
erzeugen. Um die Qualität öffentlicher Räume zu steigern, müssen neue Spielarten des Aushandelns von Beiträgen zur Raumqualität gefunden werden. Im
Baugenehmigungsverfahren, bei Gestaltungsbeiräten wird im günstigsten Fall
nach der Bau- und Gestaltqualität von Neubauvorhaben gefragt. Seltener wird
die gestalterische und funktionale Wirkung eines Neu- oder Umbauvorhaben auf
den öffentlichen Raum überprüft.
Öffentliche Räume für Events öffnen
Begegnung, Öffentlichkeit und Selbstdarstellung sind meist individuelle Kommunikationen, die Medien für diese Botschaft (Film, Foto, Internet etc.) haben
sich aber über den öffentlichen Raum hinaus stark erweitert. Als nicht substituierbares Erlebnis bleibt dem öffentlichen Raum in den Städten die unmittelbar
sinnliche Erfahrung von Kommunikation und Körpern. Es kann durch den Einsatz von Film, Fernsehen und Musik im öffentlichen Raum erweitert und verstärkt werden. Stadtpolitisch interessante und einflussreiche Gruppen können
darauf dringen, öffentlichen Raum ihrer sinnlichen Erfahrung weiter zu öffnen, so
dass Sport als Straßensport zurückkehrt, der Film, das Filmen und das Filmstudio als Reality Show im öffentlichen Räumen attraktiv wird, statt in Filmparks
verabschiedet zu sein.
Subjektives (Un-) Sicherheitsgefühl ernst nehmen
Die empfundene (Un-) Sicherheit in Teilen der Bevölkerung ist ernst zu nehmen,
zumal sie häufig zu Vermeidungsverhalten im Hinblick auf Örtlichkeiten führen
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kann. Ziel staatlicher und kommunaler Arbeit im Spannungsfeld von objektiver
und subjektiver Sicherheitslage muss die Aufklärung über Risiken sein, um
die Schere zwischen objektiver (Un-) Sicherheit und subjektiv empfundener
(Un-) Sicherheit zu verringern.
Zentrales Betätigungsfeld ist jedoch die objektive Sicherheit. Abzulehnen sind
aktionistische, auf die Beeinflussung der subjektiven Wahrnehmung zielende
Interventionen. Die von Interessengruppen oft gewünschte Schwerpunktsetzung für die subjektive Sicherheit ist nur eine pseudo-bürgernahe Sicherheitsarbeit. Sie nimmt faktisch die Vernachlässigung der tatsächlichen Sicherheit in
Kauf.
Beratung und Hilfe für den Einzelnen und Sicherheit der Allgemeinheit sind kein
Gegensatz. Die vielen Schnittmengen und Wechselwirkungen zwischen Polizei,
Ordnungsamt und Sozialarbeit müssen genutzt werden. Beispiele aus Köln und
Bonn zeigen, dass da, wo Vertreter dieser drei Gruppen unter Wahrung der beruflichen Identität zielorientiert kooperieren, praxisgerechte, problemminimierende
und sozialverträgliche Konzepte zum Umgang mit den Problemen der Desintegration in unseren Städten erzielt werden.13 Diese unspektakulären aber nachhaltigen Vertrauenspartnerschaften sollten auf allen Ebenen gefördert werden.
13 Seit 1992 existiert im berüchtigten „Bonner Loch“ am Hauptbahnhof die Gemeinsame Anlaufstelle Bonn-Innenstadt (GABI). Mitarbeiter von Polizei und Ordnungsamt gehen von dort aus
gemeinsame Streifen und betreuen die Aufenthaltsplätze von sozialen Rand- und Problemgruppen. Die Sicherheits- und Ordnungskräfte halten ständigen engen Kontakt zu den in der Innenstadt ansässigen sozialen Beratungs- und Hilfeeinrichtungen. In der Summe vieler kleiner, problem- und personenorientierter Abstimmungen hat dieser ganzheitliche Ansatz zu einem von
allen Akteuren als angemessen empfundenen Umgang mit den Problemlagen eines „Schmelztiegels Innenstadt“ geführt. „Angemessener Umgang“ heißt nicht „weiche Welle“! Gewalttätigen
Gruppen und organisierten Drogendealern wird mit klassischen, repressiven polizeilichen Maßnahmen begegnet.
Der dauernde vertrauensvolle Austausch zwischen den Mitarbeitern von Polizei, Ordnungsamt
und sozialen Einrichtungen hat bei allen Beteiligten den beruflichen Horizont erweitert und ein
Frühwarnsystem geschaffen. Das führt zu schnellen, effektiven und sozialverträglichen Interventionen bei problematischen Entwicklungen der Sicherheitslage.
Mit gleicher Zielrichtung wurde im Sommer 2003 ein gemeinsamer Fußstreifendienst in der Kölner Innenstadt (Citystreife) eingerichtet. Anders als in Bonn sind hier die Aufenthaltsplätze von
sozialen Rand- und Problemgruppen über die gesamte Innenstadt verteilt. Im Rahmen der Citystreife (häufig unterstützt durch ein „Sicherheitsmobil“ als vorübergehende stationäre Anlaufstelle) werden alle Problemzonen arbeitstäglich aufgesucht, um dauernd in Kontakt mit Szeneangehörigen und Anliegern zu stehen und auf Negativentwicklungen schnell und angemessen
reagieren zu können. Auch hier wird ein ständiger Austausch mit den sozialen Beratungs- und
Betreuungsstellen gepflegt. Schon nach kurzer Zeit hat dieses Konzept, ebenso wie das Bonner GABI-Modell, zu vielen „kleinen“ Absprachen, Regelungen und Verhaltenskorrekturen
geführt, die bislang aktionistische Verdrängungskonzepte entbehrlich machen.
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5.4
Bedeutung städtischer Wissensmilieus
Der Bildung von Wissenskulturen und Wissensmilieus in Städten und Stadträumen kommt mit Blick auf eine nachhaltige Stadtentwicklung immer größere
Bedeutung zu. Der Generierung von Wissen wird nicht zuletzt durch die zunehmende Globalisierung eine grundsätzlich innovative und damit standortfördernde Wirkung zugeschrieben. Mit der Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen zur Generierung von Wissensmilieus verbinden die städtischen Akteure
eine generell positive Entwicklung, die durch die Ressource Wissen sowohl auf
(stadt-) ökonomische wie (stadt-) gesellschaftliche Faktoren wirkt.
Über die Entstehung von Wissenskulturen und Wissensmilieus in Städten und
Stadtregionen bestehen bisher jedoch nur unzureichende Kenntnisse. Dieses
Manko verwundert wenig, lässt sich der abstrakte Begriff des Wissens doch nur
unzureichend auf eine konkrete räumliche Ebene herunterbrechen. Trotzdem
gibt es erkennbar bestehende komplexe Wirkungsbeziehungen zwischen den
sozioökonomischen und sozialräumlichen Rahmenbedingungen. Dass von
Interdependenzen ausgegangen wird, zeigen auch die bestehenden Steuerungsinstrumente und Förderstrategien, die zur Entstehung von Wissenskulturen und -milieus in den Städten beitragen.
Typologien der Wissensformen
Zur Untersuchung von Entwicklungen und Prozessen einer wissensbasierten
Stadtentwicklung hat das Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung
(IRS) ein heuristisches Konzept der Wissensmilieus entwickelt. Dieses wird verknüpft mit einem governance-capacity-Ansatz zur Untersuchung der Handlungsfähigkeit stadtregionaler Akteure.14 Der Grundgedanke des Wissensmilieukonzepts basiert auf der Annahme, dass sich in den vergangenen Jahren
veränderte Formen und Modi der Wissensgenerierung durchgesetzt haben, die
mit einer Kombination unterschiedlicher Wissensformen sowie der Inwertsetzung von implizitem Wissen als Tacit Knowledge verbunden sind (vgl. Abb. 6).
Diese Entwicklung ist mit jeweils veränderten Raumbedarfen und sozioökonomischen Entwicklungsanforderungen verbunden. Damit verändern sich die Entstehungs- und Vernetzungsbedingungen von Wissen. Neben der Wissensproduktion in eher traditionell fest abgegrenzten Handlungsbereichen (Universitäten, Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Unternehmen, speziellen
Forschungseinrichtungen) treten zunehmend neue Formen der Wissensproduktion hinzu, mit durchlässigen Strukturen, in Form von temporären Projekten,
14 Fichter/Jähnke/Knorr-Siedow 2004.
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Gesellschaftlicher Wandel
interdisziplinären Arbeitsgruppen und Teams mit flachen
it
Ze
Hierarchien. Akteure, die in solW1
chen Kontexten arbeiten, neiMilieuwissen
W6
gen aufgrund ihrer intensiven
Lokales Wissen
W2
Institutionelles
Interaktion dazu, milieuartige
W7
Wissen
Marktwissen
ReflexionsNetzwerke zu bilden. Bei diesen
wissen
W5
Führumgswissen
Wissensmilieus handelt es sich
W3
um soziale Gemeinschaften, die
W4
Produktwissen
Experten- und
Sonderwissen
eine erhöhte Binnenkommunikation aufweisen. Die BeteiligW0
ten an diesen InteraktionszuAlltagswissen
(explizit/implizit)
sammenhängen sind zugleich,
beruflich oder durch eine beAbb. 6: Typologie der Wissensformen
stimmte Form der LebensfühQuelle: Matthiesen/Bürkner 2003
rung, durch neue wissensbasierte Handlungsfelder geprägt,
zum Beispiel durch forschungs- und anwendungsbezogene Wissenskulturen
und Technologien. Hinzu kommt, dass sie spezifische Lebensstile und Konsumorientierungen entwickeln, die bestimmte Anforderungen an Wohn- und
Lebensstandorte in Städten erzeugen und diese kurz- und mittelfristig in ihren
Strukturen beeinflussen. Zugleich bekommen der (stadt-) regionale Zusammenhang von Produktions- und Wissensmilieus, Infrastrukturen für Forschung und
Entwicklung, Kultur und sozialen Milieus sowie eine aktive Verortungspolitik über Ansiedlung von Infrastrukturen hinaus - eine zunehmende Bedeutung. Einfluss und Bedingungen von Wissenskulturen in Städten werden daher nicht nur
von den jeweiligen Wissensinstitutionen, sondern von den Lebensumfeld- und
Standortanforderungen dieser Wissensmilieus geprägt.
W0
Alltagswissen
(explizit/implizit)
Von den neuen Raumbedarfen sowie der tendenziellen Befriedigung dieser
sozioökonomischen und soziokulturellen Anforderungen an die Stadtstruktur
(Wohnumfeld, Freizeit, Kultur, Urbanitätsbedürfnisse etc.) sind standortbildende
Effekte zu erwarten, die sich sowohl auf die wirtschaftliche als auch auf die
gesellschaftliche Entwicklung in den Städten auswirken. Insofern sind die
Wechselwirkungen zwischen diesen neuen Raumansprüchen und entsprechenden Raumangeboten als Chance für entwicklungsplanerisches Handeln im Rahmen einer integrierten, wissensbasierten Stadtentwicklung aktiv zu nutzen.
Anknüpfungspunkte zur Generierung von Wissensmilieus
Spezifische Anknüpfungspunkte zur Entwicklung von Wissensmilieus liegen bei
der Betrachtung der historischen Entwicklungspfade, stadträumlicher Gegebenheiten sowie förderpolitischer Rahmenbedingungen. Hinzu kommen
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akteursbezogene Kontexte und die Interaktionsbedingungen. Dabei hat die
Kombination dieser Faktoren eine ausschlaggebende Wirkung.
Untersuchungen des IRS zur Wissensmilieubildung (z.B. in den Städten Jena,
Erlangen und anderen Teilen Deutschlands) haben ergeben, dass eine Mischung
von hochinnovativen Industrien, Forschung und Entwicklung sowie Hochschulen in der Innenstadt zusammen mit vielfältigen kulturellen und gastronomischen
Angeboten als Anknüpfungspunkte für Kommunikationsprozesse und Wissensaustausch besonders förderlich ist. Von Start-up-Unternehmern der HightechBranche wird diese Mischung als lebendige Szenerie geschildert, durch welche
sich zahlreiche Möglichkeiten zu informellen Gesprächen mit potenziellen
Geschäftspartnern auch außerhalb des Arbeitsalltages ergeben. Mischstrukturen zu fördern sollte damit ausdrückliches Ziel einer wissensbasierten Stadtentwicklung sein.15
Neben der Förderung von Hightech-Wissen muss auch die In-Wert-Setzung von
zumeist ungenutztem und damit entwertetem Erfahrungswissen für wissensbasierte Stadtentwicklung gestärkt werden. Dies betrifft zum einen das Wissen der
Arbeitermilieus (Produktwissen aus der Industriearbeit, Local Knowledge).
Daneben betrifft dies auch das Migrantenmilieu, mit seinem Wissen über andere kulturell geprägte Arbeitsformen und kulturelle Kontexte. Zum anderen übernehmen die so genannten Business-Angels und Mentoren mit der Weitergabe
ihres Erfahrungswissens wichtige Hilfestellungen beispielsweise beim Aufbau
von Unternehmen.
Programme wie Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf können dabei
Hilfestellung leisten, um Beratungsleistungen und interkulturelle Treffpunkte auf
Quartiersniveau bereit zu stellen, Lernnetze zu organisieren und damit für die
Integration von Migranten und bessere
Nachbarschaftsverhältnisse zu sorgen.
Eine Verbesserung der sozialen Infrastruktur in Zusammenhang mit vielfältigen kulturellen Angeboten ist für das
Gesamtimage einer Stadt bedeutend.
Dies zeigt sich zum Beispiel in der Aufwertung der Nordstadt und des Brückstraßenviertels in Dortmund, wo beispielsweise durch Stärkung des lokalen Handwerkes Lowtech-Wissen in
Wert gesetzt und Künstler zur Fassadengestaltung gewonnen werden konnten sowie das neue Konzerthaus als
Leuchtturmprojekt im Brückenstraßenviertel überregional Besucherströme
anzieht. Durch spezifischere Anforderungen der Hightech-Industrien werden
15 Kühn 2004.
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außerdem Lowtech-Industrien, zum Beispiel durch die Anforderungen an eine
vielfältige Produktpalette, gefördert. Gerade in Regionen mit einem hohen Anteil
an strukturbedingter Langzeitarbeitslosigkeit sollte bei der Entwicklung von
High-Tech berücksichtigt werden, dass eine Aufwertung traditioneller Beschäftigungsbranchen einbezogen wird, wie beispielsweise im dortmund-project.
Eine prägnante Koppelung von Wissensformen bildet die Voraussetzung für eine
stadtgesellschaftliche Innovationsdynamik. Die Generierung neuer Wissensformen, einhergehend mit einer Stärkung lokaler Wissensformen, muss dabei im
Vordergrund aller Bemühungen um Wissensmilieubildungen stehen. Neben der
Vermittlung von Fachwissen sollte Milieuwissen darüber, wie die Dinge in einer
Organisation, in Netzwerken üblicherweise laufen, gepaart mit Local Knowledge über die Bedeutung von zum Beispiel Mentalitäten, Einstellungen, Werten der
regionalen Akteure durch teamorientierte Lernprozesse verstärkt ins Bewusstsein gerückt und vermittelt werden. Eine breite Entfaltung von Fachwissen kann
sich stadträumlich nur über intakte sozialräumliche Wissensmilieus ausprägen.
Zur Verbesserung der Interaktionsbedingungen ist die Gestaltung positiver
Beziehungsstrukturen eine wesentliche Voraussetzung für Wissensflüsse und
Wissensaustauschprozesse insbesondere auch zur Überwindung organisatorischer Grenzen. Dabei hat die Vertrauensbildung einen sehr hohen Stellenwert.
Nur in einem vertrauensvollen Klima ist es möglich, Informationen auszutauschen.
Für ein vertrauensvolles Klima sind bestimmte Voraussetzungen fördernd. Dies
ist beispielsweise die Möglichkeit eines geschützten Diskursraums, in dem neue
Ideen (gemeinsam) entwickelt werden, ohne sofort deren Folgewirkungen und
Konsequenzen in der gesamten Tragweite überblicken bzw. verantworten zu
müssen. Auf der Fachebene hat sich im Beispiel Städteregion Ruhr 2030 dieser
Ansatz als milieufördernd erwiesen. Erfahrungen zeigen, dass gering institutionalisierte Organisationsformen Vertrauensbildung begünstigen. Hier ist das
oben genannte Projekt ein gutes Beispiel, weil es einerseits den Rahmen für
Annäherung schafft, andererseits die Eigenständigkeit der Akteure bewahrt.
Das oft ungenutzte Wissen älterer Generationen muss nicht nur im Familienkreis
bewahrt bleiben, sondern sollte auch gesellschaftlich breiter kommuniziert werden. Die Erfahrungen älterer Menschen - ob in beruflicher oder privater Hinsichtstellen einen unschätzbaren Wissenspool für kommende Generationen dar.
Auch hier gilt es, ein vertrauensvolles Umfeld zu schaffen und Menschen zu animieren, auch in größerer Runde ihr Wissen im Sinne bürgerschaftlichen Engagements weiterzugeben.
Geteilte Verantwortung scheint für Milieubildungsprozesse ebenso förderlich zu
sein, wie die Flankierung bzw. Unterstützung von Selbstorganisationsprozessen
durch ein Mindestmaß an Organisationsstruktur (strukturelle Kerne, wie
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Geschäftsstelle etc.), damit auch nach Ablauf der Förderung, über Informationsund Kommunikationsinfrastrukturen Projektergebnisse weitergeführt werden
können.
Zur (räumlichen) Bindung von Wissensmilieus müssen sich attraktive Orte bilden. Für kreative Gestaltung und Besetzung von Räumen (Place-Making) ist
daher Platz zu schaffen. So genannte Raumpioniere suchen sich Nischen im
Stadtraum, meist in sozial und infrastrukturell gemischten innenstadtnahen Vierteln. Weniger regulierte, sozialräumlich und ökonomisch durchmischte Strukturen bieten somit Möglichkeitsräume und Experimentierfelder für kreative Gestaltung und Erprobung neuer Arbeitsformen.
5.5
Familienpolitik im Zeichen der modernen
Stadtgesellschaft
Die stärkere Förderung von Familien ist eine weitgehend unbestrittene Notwendigkeit, für die zum einen sozioökonomische Gründe sprechen (Stichwort:
demografischer Wandel, Bildungsförderung), zum anderen aber auch sozialethisch-normative Gründe und nicht zuletzt der grundgesetzliche Auftrag zum
Schutz von Ehe und Familie. Angesichts der vehement geführten Diskussion um
die Familienförderung auf Bundesebene und im System der sozialen Sicherung
geraten die Kommunen allzu leicht aus dem Blickfeld.
Dabei wird Familienpolitik zu einem guten Teil in den Städten und Gemeinden
gemacht und vor Ort wird über die Lebensbedingungen und die Familienfreundlichkeit im Alltag entschieden. In der Kommune sind Probleme und
Lösungsansätze für Familienförderung unmittelbar verortet; hier ist in den letzten Jahren ein Handlungsfeld entstanden, das - trotz aller Restriktionen - von
den lokalen Akteuren zunehmend aufgegriffen wird. Auffälliges Kennzeichen der
kommunalen Familienförderung ist es, dass sie in großem Umfang, allerdings
nicht „offiziell“ betrieben wird, da Familienförderung eine Querschnittsaufgabe
darstellt. Das gesamte Verwaltungshandeln ist insofern für die Lebensbedingungen von Familien relevant, so dass sich hier ein breites Handlungsfeld auftut - wesentlich breiter zumindest, als dies der enge Begriff expliziter Familienförderung nahe legen würde.
Erfahrungsberichte kommunaler Familienpolitik
Im Rahmen dieses Berichts kann nicht die gesamte Literatur zum möglichen
Instrumentarium kommunaler Familienförderung referiert werden. Die wichtig190
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sten Erfahrungen aus den Projekten der letzten 25 Jahre werden im Folgenden
zusammengefasst:
Zentrale Erfahrungen aus bundesweiten Projekten
Eine zentrale Erfahrung aus der umfangreichen Forschung der letzten Jahre ist
die Vielfalt kommunaler Ansätze in der Familienförderung. Jenseits des Pflichtaufgabenbereiches zählen dazu unter anderem:
• Familienermäßigungen für den Besuch kommunaler Einrichtungen
besonders für sozial schwache Familien (z.B. Frei- und Hallenbäder, Besuch
von Museen und Eisstadien, Musikschulen sowie örtlicher kultureller und
sportlicher Veranstaltungen),
• Ermäßigungen für Familien bei kommunalen Gebühren, insbesondere für
Kindertagesstätten und Kindergärten,
• Ferienpässe für Kinder und Jugendliche (kostenloser oder ermäßigter
Besuch von kommunalen Einrichtungen und bestimmten Veranstaltungen),
• Ermäßigungen für den ÖPNV (Schülerbeförderung), besondere Tarife für kinderreiche Familien sowie Ferienkarten für Kinder,
• Förderung des Erwerbs oder Aus- oder Neubaus von Wohneigentum (z.B.
günstige Darlehen, vergünstigter Erbbauzins, Baukostenzuschüsse, Stundung von Erschließungskosten),
• Hausaufgabenbetreuung,
• Schulmilch und ähnliches.
Hinzu tritt der qualitative Aspekt bei der Erbringung von Pflichtaufgaben z.B. im
Bereich der Familienbildung, der für die Kommunen eine eigene Steuerungsebene darstellt. Auch und gerade innerhalb der Pflichtaufgaben, also in der Art
und Weise ihrer Erbringung, im Personalschlüssel, in mehr oder weniger flexiblen Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen und in der Bereitstellung von Reservekapazitäten liegen wichtige Ansätze, die für die Qualität und
Wahrnehmung der Leistung aus Familiensicht entscheidend sind.
Darüber hinaus betonen kommunale Praxisportraits immer wieder die Bedeutung zentraler Prinzipien und Verfahren der Familienförderung:
• die Entwicklung eines kommunalen Leitbilds,
• die Etablierung einer sozialverträglichen, kinder- bzw. familienfreundlichen
Planung sowie die damit zusammenhängende Familien- und Kinderfreundlichkeitsprüfung,
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• die Erstellung eines Familien-, Kinder- und Jugendberichts bzw. Sozialberichts,
• die Organisation einer Interessenvertretung von Kindern und Jugendlichen.
Betont wird vor allem die Notwendigkeit, dass am Anfang des Prozesses ein
schriftliches Leitbild zur familienfreundlichen Orientierung erstellt wird. Für die
erfolgreiche Umsetzung ist es dann entscheidend, das Vorhaben auf höchster
Verwaltungsebene - und mit Rückendeckung der Politik - nach vorne zu bringen. Günstig ist es, wenn ein Familienbeauftragter im Büro des Oberbürgermeisters angesiedelt ist. Nur so kann Familienfreundlichkeit sanktionsbewehrt und
als Querschnittsaufgabe ernst genommen werden.
Good Practices aus Nordrhein-Westfalen
Aus der Fülle der Ansätze in Nordrhein-Westfalen sollen die im Folgenden erläuterten Aktivitäten in den Städten Dortmund, Frechen, Essen, Köln und Münster
hervorgehoben werden, da sie als vorbildlich für eine familienfreundliche Politik
gelten.
Dortmund - Familienpolitische Leitlinie für die Stadt
Im September 2002 hat der Rat der Stadt Dortmund eine familienpolitische Leitlinie verabschiedet. Dieser Verabschiedung war ein fast zweijähriger Diskussionsprozess vorausgegangen, an dem Bürger sowie Vertreter aus Politik, Verbänden, Organisationen, Institutionen, Selbsthilfegruppen und Verwaltung
beteiligt waren. Anfang 2003 wurde in ähnlicher Zusammensetzung ein Familienpolitisches Netzwerk gegründet, das über Leitprojekte entscheiden und Fragen der praktischen Umsetzung erörtern soll.16
Die familienpolitische Leitlinie betont vor allem das Ziel einer Verbesserung der
Zukunftschancen für Kinder und Jugendliche und setzt folgende Schwerpunkte:
• Verbesserung der Zukunftschancen für Kinder und Jugendliche, durch Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern (Familienbildung),
• Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer und Frauen,
insbesondere durch eine familienfreundliche Unternehmenspolitik und durch
den weiteren Ausbau verlässlicher Betreuungsangebote für Kinder,
• Berücksichtigung von Familienfreundlichkeit in den Bereichen Planen und
Wohnen sowie bei der Förderung von Nachbarschaftsinitiativen.
16 Stadt Dortmund 2002a; auf den Internetseiten der Stadt Dortmund finden sich auch andere
Dokumente zum Politikfeld Kinder- und Familienfreundlichkeit der Stadt.
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Gesellschaftlicher Wandel
Außerdem wurden im Rahmen eines Workshops die Ergebnisse einer Elternbefragung zum Betreuungsbedarf für Kinder vorgestellt, die laut Aussage der Verwaltung in die aktuelle Kinder- und Jugendhilfeplanung einfließen sollen.17
Frechen - Modellprojekt zur Umsetzung der Rahmenkonzeption Familien- und
Kinderfreundlichkeit in der Kommune
An der modellhaften Erprobung des Rahmenkonzeptes Familien- und Kinderfreundlichkeit in der Kommune beteiligte sich auch die Stadt Frechen.
In diesem Erprobungsprozess wurden vier Projektmodule entwickelt, die nun
umgesetzt werden sollen.18
• Es wurde eine Kinder- und Familienfreundlichkeitsprüfung für die Planung
eines Neubaugebietes konzipiert, die an Hand eines konkreten Bebauungsplanes umgesetzt werden soll.
• Es wurde ein familien- und kinderfreundliches Belegungskonzept für
öffentlich geförderte Wohnungen in
einem „Stadtteil mit besonderem
Erneuerungsbedarf“ erarbeitet, das
unter Beteiligung der Mieterinnen
und Mieter eine Umgestaltung des
Wohnumfeldes vorsieht, wobei insbesondere Nachbarschaftshilfeund Selbsthilfestrukturen gefördert
werden sollen.
• Erprobt werden Beteiligungskonzepte für Kinder- und Jugendliche, z.B. die
Durchführung eines Kinder- und Jugendforums im Internet.
• Geplant war zudem eine Verwaltungsumfrage zu Beteiligungsprojekten
sowie zur Familien- und Kinderfreundlichkeit.19
Grundsätzlich entspricht es der Konzeption der Modellvorhaben, ein Bündel von
Maßnahmen vorzusehen, die ineinander greifen und die eine Orientierung des
gesamten Verwaltungshandelns sowie der Politik an Kinder- und Familienfreundlichkeit signalisieren.20 Die entscheidende Frage ist allerdings, ob der
Transfer in die Umsetzungsphase gelingt.
17 Koths 2002.
18 Stadt Frechen 2001.
19 Konnte wegen Personalmangels nicht umgesetzt werden. Vgl. Stadt Frechen 2001, S.4.
20 Stadt Frechen 2001.
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Essen - Großstadt für Kinder
Essen verfolgt seit etwa 15 Jahren das Projekt Großstadt für Kinder und kann
sich dabei auf eine Aktionsgemeinschaft stützen, die aus einem breit angelegten
Bündnis zur Förderung von Kinder- und Familienfreundlichkeit besteht.21 Daran
beteiligt sind unter anderem folgende lokale Akteure: der ADAC, der Verein Mehr
Platz für Kinder, die Programmkommission Essen - Großstadt für Kinder, der
Lions Club Ludgerus, die Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft, der Rat der
Stadt und die Stadtverwaltung. Das Spektrum der Initiativen, die von diesem
Aktionsbündnis ins Leben gerufen wurden, ist breit und vielfältig. Es umfasst
sicherlich viele Maßnahmen, die auch in anderen Kommunen realisiert wurden.
Um den Charakter der Maßnahmen zu umreißen sollen hier einige aufgeführt
werden: Initiativen für Tempo-30-Zonen, später Tempo-10-Straßen, Kinderwegesystem, kinderfreundliche Straßenraumplanung, Programm Kind im Straßenverkehr, freie Fahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln, Spielplatz-Initiativen und Kinderspielplatzpatenschaften, Kindermitwirkung bei der Spielflächengestaltung,
Schülerbefragungen zu Schul- und Freizeitwegen sowie kinderfreundliche
Gestaltung von Schulgebäuden und
Schulhöfen oder örtliche Karawane für
mehr Kinderfreundlichkeit.
Essen hat zudem einen Kinderbeauftragten und ein Kinderbüro und erstellt
in regelmäßigen Abständen einen Kinderbericht. Was die Stadt darüber hinaus auszeichnet ist ihre Mitgliedschaft
im internationalen Netzwerk der Cities
of tomorrow der Bertelsmann-Stiftung,
wo sie in der Arbeitsgruppe „Kinder
und Jugend“ mitwirkt. In diesem Zusammenhang wurde in Anlehnung an das
von der Bertelsmann-Stiftung geförderte Gesamtprogramm der Cities of tomorrow ein Strategieplan zur Förderung der Kinder- und Familienfreundlichkeit entwickelt. Kennzeichnend für dieses Konzept ist die Betonung der strategischen
Bedeutung von Kindern und Jugendlichen für eine zukunftsfähige Stadt und die
Einbindung des so entwickelten Leitbildes in ihr strategisches Management.
Köln - Befragung, Leitlinien und Handlungsfelder
Die Stadt Köln, die ebenfalls am Modellprojekt Kinder- und Familienfreundlichkeit in der Kommune beteiligt ist, hat ihre Leitlinien für eine nachhaltige Familienpolitik auf der Basis mehrerer Befragungen entwickelt:
21 Stadt Essen 1998.
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• einer verwaltungsinternen Befragung zur Familien- und Kinderfreundlichkeit,
• einer Elternbefragung in zwei Stadtbezirken im Jahr 2001,
• einer Umfrage „Leben in Köln“ im Rahmen des kommunalen Mikrozensus
2001,
• sowie zweier Familienforen mit Eltern schulpflichtiger Kinder.22
Ein Vergleich der verschiedenen Befragungen brachte hinsichtlich der Situations- und Bedarfsanalyse weitgehend übereinstimmende Resultate, die in die
Formulierung der Leitlinien der Stadt für familien- und kinderfreundliche Handlungsfelder eingeflossen sind. Diese sollen künftig im Sinne einer nachhaltigen
Familienpolitik durch ein dauerhaftes Monitoring beobachtet werden, das heißt
durch regelmäßig wiederkehrende Befragungen von Eltern sollen die Wirkungen
realisierter Maßnahmen überprüft und auf diese Weise auch hinsichtlich ihrer
Qualität evaluiert werden.
Münster - Netzwerk Familien stärken
Münster hat schon seit längerem ein Amt für Kinder, Jugendliche und Familien,
ein Kinderbüro und seit neuerem ist auch ein Familienbüro konzipiert.23 Aktuell
wurde des weiteren ein Konzept für ein Netzwerk Familien stärken von der Verwaltung vorgelegt, das eine breite Kooperation mit Netzwerk-Partnern vorsieht.
Die Zielsetzung ist dabei eine doppelte:
• Die Unterstützung der Eltern in ihrer alltäglichen Erziehungskompetenz sowie
• die Interessen von Eltern öffentlicher zu machen und zu vertreten.24
Mit der Initiative des Netzwerkes sollen Informationen zu kindlicher Entwicklung
Erziehung und Gesundheit auf der Basis eines niedrigschwelligen Konzepts an
Eltern, Großeltern, Tageseltern sowie Personen, die mit Kindern und Jugendlichen zusammen leben oder mit ihnen in ihrem Berufs- oder Privatleben in
engem Kontakt stehen, herangetragen werden. Ein kinder- und familienfreundliches Klima erfordert - so ein tragender Gedanke der Initiative - nicht nur eine
ausreichende Infrastruktur von Bildungs-, Beratungs- und Betreuungsangeboten, sondern auch insgesamt eine offenere Atmosphäre der Öffentlichkeit
gegenüber Eltern. In das Netzwerk sollen verwaltungsinterne Arbeitsgruppen25
22 Stadt Köln 2003.
23 Stadt Münster 2002a.
24 Stadt Münster 2002a.
25 Nach § 78 Kinder- und Jugendhilfegesetz.
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und das initiierende Amt sowie Beratungsstellen, Bildungswerke, Familienverbände, Frauenbüro und Frauenverbände, Jugendeinrichtungen und Jugendverbände, Kirchengemeinden, Wohlfahrtsverbände, Kindertagesstätten und Schulen, der Stadtelternrat und politische Gremien eingebunden werden.
5.6
Lebensqualität und soziale Stabilität in der modernen Stadtgesellschaft - Handlungsempfehlungen an die Landespolitik
Maxime der Politik der Landesregierung sollte es sein, die Städte in ihrem
Bemühen zu unterstützen, die Lebensqualität in den Städten, Toleranz zwischen
ihren Bürgern und sozialen Ausgleich zu sichern. Eine wichtige Rolle bei der
Sicherung dieser Lebensqualität spielen die Stadtteile. Generell sollte daher die
gesamte Stadtpolitik darauf ausgerichtet sein, die Trends sich verstärkender
Polarisierungen zu verhindern, abzumildern und zu kompensieren.
Die Entwicklungen der letzten Jahre beeinträchtigen den sozialen Zusammenhang der Stadtgesellschaft. Auch in Nordrhein-Westfalen zeigen sich bereits
überforderte Nachbarschaften in einigen Städten und Stadtteilen. Hier besteht
die Gefahr, dass die soziale Stabilität als Basis einer sozialen Balance von Stadtteilen und Wohngebieten verloren geht. Befürwortet wird eine Politik mit dem
Ziel, Lebensqualität und Entwicklungschancen für alle Bewohner zu sichern.
Folgende Handlungsempfehlungen zum Umgang mit sozioökonomischer Segregation lassen sich daraus ableiten:
Segregation sorgfältig beobachten
Zunächst scheint es angesichts der Tragweite der Segregation sinnvoll, diese
intensiv zu beobachten und die Datenbasis zu verbessern. Die relevanten Variablen für die ökonomische, ethnische und demografische Segregation wurden
im Vorfeld aufgeführt. Da sich die beschriebenen Segregationsprozesse gegenwärtig noch in ihren Anfängen befinden, später aber unumkehrbar sind, scheint
ihre sorgfältige Beobachtung etwa durch ein kleinräumiges Monitoring und
rechtzeitige Intervention notwendig.
Programm „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf - die Soziale Stadt“
fortsetzen und weiterentwickeln
Von den segregationsrelevanten Handlungsansätzen und Programmen des Landes Nordrhein-Westfalen steht insbesondere die Stadtentwicklungspolitik im
Fokus. Das Land hat im bundesdeutschen Vergleich schon früh begonnen, sich
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dem Problem einer zunehmenden sozialräumlichen Polarisierung und sozialen
Segregation in seinen Städten zu stellen. Durch zwei Kabinettbeschlüsse wurde
in den Jahren 1993 und 1994 erstmals in einem deutschen Flächenland ein integriertes und ressortübergreifendes Handlungskonzept gegen soziale Segregation im Rahmen der Stadterneuerungsförderung programmatisch angestoßen.
Unter dem Titel „Integriertes Handlungskonzept für Stadtteile mit besonderem
Erneuerungsbedarf“ wurde ein gemeinsames Vorgehen zwischen dem Land und
den betroffenen Kommunen vereinbart.
Das Programm startete mit zunächst neun Stadtteilen in acht Kommunen des
Landes, zwischenzeitlich sind 36 Stadtteile in 27 Kommunen in dem Programm
vertreten. Durch seinen innovativen Ansatz übernahm das nordrhein-westfälische Programm „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“ auch eine Vorbildfunktion bei der Ausgestaltung und Umsetzung des im Jahr 1999 initiierten
Bund-Länder-Programms „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die
Soziale Stadt“, in dem derzeit alle am Landesprogramm „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“ beteiligten sowie zehn weitere Gebiete aufgenommen sind. Ein Programmgrundsatz ist die ebenen- und fachübergreifende Vernetzung aller relevanten Akteure - sowohl vertikal zwischen den verschiedenen
Ebenen (Land, Regierungsbezirk, Kommune, Stadtteil) als auch horizontal innerhalb dieser Ebenen. Hinzu kommt, dass der Bewohnerbeteiligung ein hoher
Stellenwert beigemessen wird, da sie über die Aktivierung von Eigeninitiative
und die Einbindung in Entscheidungsprozesse langfristig zur Schaffung selbsttragender Strukturen in den Programmgebieten führen soll.26 Das Stadtteilmanagement stellt dabei das zentrale Instrument der Quartiersentwicklung dar. Es
ist - meist in Form eines Stadtteilbüros - mit der Organisation und Koordination
des gesamten Erneuerungsprozesses befasst und fungiert als Anlauf- und Kontaktstelle vor Ort.
Es zeigt sich deutlich, dass das Ineinandergreifen von steuernden Impulsen und
Anreizen „von oben“ und die gleichzeitige Erneuerung „von unten“ keinen
Gegensatz darstellen müssen, sondern eine nachhaltige Stabilisierung der
Quartiere erst ermöglichen. Die bisherigen Erfahrungen stimmen zuversichtlich,
dass auf lange Sicht zumindest eine Stabilisierung dieser Stadtteile möglich ist.
Instrumentell hat sich dabei bewährt, die Projekte durch eine Komplementärfinanzierung aus kommunalen und staatlichen Mitteln zu fördern, wobei Mittel
des Arbeitsamts oder freier Träger wichtige Beiträge leisten können, die auch
der politischen Verankerung dienen. Der Akzent auf der Kofinanzierung darf
andererseits auch nicht dazu führen, dass in Zeiten leerer Kassen ein allgemeines Abwarten um sich greift.
26 Austermann/Zimmer-Hegmann 2000, S. 32ff.
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Sozialraumorientierung im Rahmen von Stadtteilbüros
Stadtpolitik der Zukunft darf jedoch nicht auf die sozialen Brennpunkte fixiert
bleiben. Ein wichtiges Instrument sollte die Sozialraumorientierung sein, die sich
in Stadtteilbüros manifestiert. In jenen Stadtteilbüros wird das Leistungsangebot
freier Träger je nach Bedarf vor Ort koordiniert und dieser Bedarf unter Mitwirkung der Bürger definiert. Im Ergebnis sind nicht nur Einspareffekte durch entfallende Doppelerbringung von Leistungen zu erwarten, es kommt im Zuge einer
Konzentration auf Aufsicht und Controlling auch zu einer Stärkung der Fachämter sowie der freien Träger, die durch verlässliche Zuweisung Planungssicherheit
erhalten. Nicht zuletzt sind die Stadtteilbüros niedrigschwellige Anlaufstellen der
Bürger für Beschwerden, Anregungen und bürgerschaftliches Engagement.
Stadtteilbüros bieten alle Beratungs- und Hilfsangebote kommunaler und freigemeinnütziger Träger übersichtlich und bürgernah aus einer Hand an. Dort, wo
dieses Basisangebot wegen spezieller Probleme nicht ausreicht, ebnen sie etwa wie der Hausarzt zum Facharzt - verbindlich den Weg zu weiterführenden
Fachdiensten. Auf der Stadtteilebene werden Hilfen übersichtlicher, besser und
billiger. Versorgungslücken werden geschlossen und Stadtteile stabilisiert.
Stadtteilbüros koordinieren auch das bürgerschaftliche Engagement. Jenes
Engagement bedarf in der Regel einer fachlichen Begleitung und der Übergabe
beschränkter Budgetkompetenz, durch die es anerkannt, stabilisiert und nutzbar gemacht werden kann. Allein und aus sich heraus wird zukünftig bürgerschaftliches Engagement nicht mehr vereinsbezogen sondern verstärkt projektgebunden existieren. Eine städtische Begleitung kann hier stabilisierend wirken.
Sozialräumlich differenzierte Schulpolitik entwickeln
Die dargestellten Ursachen, Folgen und Ansätze zum Handlungsfeld der sozialökonomischen Segregation zeigen deutliche Verbindungslinien zur Schul- und
Bildungspolitik. Die räumliche Verteilung von Bildungsangeboten nach Quantität
und Qualität entscheidet letztlich über die Chancengerechtigkeit in einer Gesellschaft und die Möglichkeiten von Integration und Teilhabe. Die Auswirkungen
von Segregation treffen insbesondere die Kindergärten und Schulen in benachteiligten Stadtteilen. Viele der zu unterrichtenden Kinder haben einen Migrationshintergrund und/oder kommen aus benachteiligten (deutschen) Familien,
so dass sich aufgrund von Sprachdefiziten, Konzentrationsschwierigkeiten und
einer mangelnden Förderung durch die Eltern besondere Handlungserfordernisse ergeben.
Diese Analyse wird durch die Ergebnisse der PISA-Studien unterstützt, die
ebenfalls eine enge Wechselwirkung zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen belegen - auch und gerade im räumlichen Sinne. Der soziale und kul198
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turelle Hintergrund wie auch der sozioökonomische Status der Herkunftsfamilien werden dort als eminent wichtig für den schulischen Erfolg ausgewiesen.
Die soziale Herkunft wirkt an allen schulischen Übergangsschwellen und -barrieren selektierend. Dies betrifft die Zurückstellung vom Schulbesuch, die Überweisung in Sonderschulen, das Wiederholen von Jahrgangsklassen, den Wechsel zu niedrigeren Bildungsstufen, das Verfehlen des Hauptschulabschlusses
oder das Nichterreichen eines Berufsbildungsabschlusses. Letztlich schlägt
sich die ungleiche Bildungsbeteiligung in den analysierten Sozialraumstrukturen
nieder. Sie ist Ausdruck und Bestandteil gewachsener sozialer und sozialräumlicher Ungleichheit. „Bildungschancen verteilen sich systematisch entlang den
Barrieren sozialer und sozialräumlicher Ungleichheit und verstärken heute die
bestehende soziale und sozialräumliche Ungleichheit“.27
Im Rahmen der nordrhein-westfälischen Schul- und Bildungspolitik sollten die
betroffenen Schulen daher deutlicher als bislang gefördert werden. Durch eine
solche Form der bewussten Sonderbehandlung kann die Attraktivität der Schulen in benachteiligten Quartieren gesteigert werden, so dass auch die Kinder bildungsinteressierter Eltern gehalten werden. Beispielsweise können mit dem Ziel
der Klassenverkleinerung Schulen durch eine flexible und bedarfsorientierte
Lehrerzuweisung mehr Stellen zur Verfügung gestellt werden.
Allerdings hat die PISA-Studie auch ergeben, dass Klassengrößen allein kein
Qualitätskriterium sind. Unter den Ländern, die im internationalen Vergleich besser als Deutschland abgeschnitten haben, finden sich einige mit höheren Klassenstärken. Eine Ausweitung der Ganztagsangebote, ist ebenso erforderlich,
um sozial benachteiligten Kindern auch außerhalb ihres Elternhauses besondere Förderung zuteil werden zu lassen. Dabei bedarf es einer Öffnung der Schule und insbesondere einer stärkeren Kooperation mit der Jugendhilfe, um Erziehungsangebote besser zu verzahnen und zu bündeln. Hinsichtlich einer ausgewogenen Verteilung von Kindern mit Migrationshintergrund sollten die Schulen
innerhalb eines Schulbezirkes zur Kooperation bei der Schüleraufnahme verpflichtet werden, wobei dann auch Bekenntnisschulen in gleichem Maße einbezogen werden müssen. Die aktuellen Vereinbarungen mit den kirchlichen Trägern lassen eine solche Handhabung zurzeit jedoch nicht zu.
Zudem könnte das Land kommunale Konzepte für eine ausgewogene Verteilung
von Schülern mit Migrationshintergrund mit zusätzlichen Ressourcen belohnen.
Dabei kann es aber nicht das Ziel sein, Schüler zu diesem Zweck mit Bussen
zwischen den Schulbezirken hin und her zu fahren.
Die Fähigkeit, Sprache zu verstehen und sich ausdrücken zu können, stellt eine
wichtige Voraussetzung für das Lernen dar. Neben einer Ausweitung von
27 Strohmeier/Kersting 2002, S. 1.
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Sprachfördermaßnahmen - möglichst bereits im vorschulischen Bereich - ist
auch die Abstimmung zwischen dem Elementarbereich und den Sekundarstufen erforderlich, um größtmögliche Wirkungen erzielen zu können.
Schulen als Lehr- und Lernorte müssen ins Zentrum der Entwicklung multiethnischer Stadtteile gerückt werden, um die Etablierung einer Wissenskultur in
diesen Stadteilen zu befördern. Hierzu müssen sich Schulen nicht nur Eltern
unterschiedlicher Herkünfte, sondern auch Vereinen und Initiativen im Stadtteil
öffnen. Im multiethnischen Klassenverband und bereits in der Vorschule muss
stärker als bisher allen Kindern insbesondere die Schlüsselkompetenz der deutschen Sprache vermittelt werden. Für Schüler mit Migrationshintergrund sollte
die Förderung der Bilingualität sichergestellt werden, da nur solche Lernkonzepte der Lebenswirklichkeit der Kinder aus Migrantenfamilien gerecht werden.
Die Umsetzung derartiger Konzepte würde die Problematik des multiethnischen
Klassenverbandes deutlich reduzieren. Die Sprachförderung sollte ein Schlüsselthema des Modellprojekts Selbständige Schule in Nordrhein-Westfalen werden.
Zugangshindernisse der Migranten zum Wohnungsmarkt abbauen
Wohnungspolitik hat im Umgang mit Segregation einen zentralen Stellenwert.
Der Abbau von Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt und der Verzicht auf
Barrieren gegen freiwillige Ethnisierungsprozesse sind zwei Seiten einer Medaille. Zugleich kann eine aktivere Wohnungspolitik unfreiwilliger Segregation vorbeugen. Eine Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinie durch
ein Antidiskriminierungsgesetz des Bundes 2004 kann wegen der zu erwartenden Wirkung auf den Wohnungsmarkt auch die stadträumliche Integration
potenziell befördern, wobei die Praktikabilität dieser Strategie in Frage zu stellen ist. Aufgrund der besonderen Bedeutung der Wohnungspolitik werden die
hiermit zusammenhängenden Aspekte nicht als Aspekte der Segregation, sondern im Rahmen von wohnungspolitischen Fragen aufgegriffen (vgl. Kapitel B6).
Politische Partizipation von Migranten erleichtern
Politische Repräsentation der Minderheiten und Konsultationsmechanismen in
Stadtteilen und Quartieren bleiben ein Schlüssel zur effektiven Interessenvertretung der Zuwanderer und damit zur gleichberechtigten Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen in der Stadt.
Damit wird zugleich unterstrichen, wie außerordentlich nachteilig sich die fehlende politische Partizipationsmöglichkeit von Ausländern in der Kommune
auswirkt. Den fehlenden Möglichkeiten der Interessenwahrnehmung muss
durch intelligente Förderinstrumentarien begegnet werden, um die fehlenden
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Steuerungsmechanismen zumindest teilweise zu kompensieren. Mangelnde
Beteiligung an den Wahlen zu den kommunalen Ausländerbeiräten haben in den
letzten Jahren zu Bestrebungen einer Reform dieser Gremien geführt, ohne dass
das grundsätzliche Beteiligungsproblem damit hätte gelöst werden können.28
Interkulturelle Sensibilisierung und Qualifikation in den Verwaltungen erreichen
Für Kommunen wie für das Land ergibt sich darüber hinaus die Notwendigkeit
der weiteren interkulturellen Sensibilisierung und Qualifizierung nicht nur als
politische, sondern auch als organisatorische Zielvorgabe mit Blick auf die eigenen Verwaltungen.
Selbsthilfepotenziale von Migranten fördern und nutzen
Selbsthilfepotenziale in städtischen Quartieren entwickeln sich nicht in allen Fällen automatisch, sondern können auch durch Förderung initiiert werden. Letzteres gilt insbesondere für Quartiere, in denen viele Migranten mit kurzer Aufenthaltsdauer leben, wo Selbsthilfepotenziale indessen besonders nötig wären. Es
besteht kein Zusammenhang zwischen dem Grad der Selbstorganisationen auf
Stadtteilebene und der Dichte der zugewanderten Bevölkerung. Daraus ist zu
schlussfolgern, dass Migrantenselbstorganisationen oftmals über die Stadtteiloder auch Stadtgrenzen hinaus arbeiten und wirksam werden. Entsprechend
wären Förderinstrumente auf der regionalen Ebene zu verankern. Ähnliches gilt
für die wirtschaftliche Selbsthilfe durch Unternehmensgründungen von Zuwanderern.
Betreuungsangebote für Jugendliche ausbauen
In Quartieren mit junger Altersstruktur - dies sind nicht zwangsläufig alle Quartiere mit hohem Migrantenanteil - sind Entwicklungsaufgaben im Hinblick auf
Kinder und Jugendliche deutlich erkennbar. Für jeden Stadtteil ist dabei zu prüfen, inwieweit Strukturen schon bestehen und für welche anderen Angebote
Nachfrage gegeben ist (z.B. Elternvereine, Jugendinitiativen). Selbst bei knappen Mitteln sollte im Jugendbereich nicht gespart werden, denn in diesem Alter
entscheiden sich die Chancen auf In- oder Exklusion sowie die Orientierung zur
Mehrheitsgesellschaft. Insofern gestalten sich in dieser Gruppe heute die Chancen des Zusammenlebens von morgen. Überalterung ist indessen nicht nur ein
Problem der deutschen Bevölkerung - auf Stadteilebene zeigt sich vielmehr,
28 So in den Städten Solingen, Duisburg oder Bonn.
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dass es auch hohe Altersquotienten in Quartieren gibt, die durch nicht-deutsche
Nationalitäten geprägt sind. Hieraus ergeben sich Herausforderungen an die
lokalen Betreuungsangebote.
Kommunale Familienbeauftragte installieren
Kommunale Familienpolitik wird nur dann eine reale gestalterische Wirkungskraft entfalten, wenn die entsprechenden strukturellen Voraussetzungen in Verwaltung und Politik geschaffen werden. Es müssen entsprechende Zuständigkeiten geschaffen und Steuerungsmechanismen etabliert werden. Ideal ist die
Einsetzung eines Familienbeauftragten auf höchster Verwaltungsebene (Büro
des Oberbürgermeisters), bei dem die Aktivitäten koordiniert und gegebenenfalls Sanktionsbedarf festgestellt wird. Eine konsequente Umsetzung des Querschnittgedankens ist darüber hinaus nicht ohne eine breite Verankerung in der
Politik denkbar. Je deutlicher hier ein parteiübergreifender Konsens gefunden
wird, desto konsequenter wird die Umsetzung der Familienförderung in der
Kommune und desto nachhaltiger werden ihre Effekte sein.
Ämterübergreifende Koordination der Familienpolitik in Verwaltungen
verbessern
Als strukturelle Voraussetzungen sind neue Kooperationsformen in den Verwaltungen anzusehen, die sie zur ämterübergreifenden Kooperation und zur
Umsetzung von Querschnittsaufgaben befähigen. Gleichzeitig sind neue externe, netzwerkorientierte Kooperations- und Beteiligungsformen zu entwickeln.
Leitbild der familienfreundlichen Stadt entwickeln Familienberichterstattung einführen
Wie die bisherige Erfahrung zeigt, setzt die Etablierung und Umsetzung eines
strategischen Ziels - das heißt die Realisierung von Kinder- und Familienfreundlichkeit - eine konkrete Abfolge von Steuerungsmechanismen voraus:
• die Formulierung eines familien- und kinderfreundlichen Leitbildes,
• die Orientierung der kommunalen Planung und Umsetzung von Maßnahmen
an diesem strategischen Leitbild,
• eine entsprechende Sozial- bzw. Kinder- und Familienberichterstattung
(gegebenenfalls verknüpft mit einem Monitoring-System); dabei Beteiligung
eines breiten Akteurspektrums an der Gestaltung von Stadt als Lebenswelt
von Kindern und Familien (lokale Netzwerke).
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Familienförderung als Standortfaktor begreifen
Eine kinder- und familienfreundliche Politik führt zur Steigerung von Lebensqualität für Familien und wird deshalb zunehmend als weicher Standortfaktor
verstanden. Die Sicherung der Attraktivität des kommunalen Lebensstandorts
sollte als wirkungsvolle Form der Wirtschaftsförderung, Entwicklungsplanung
und nachhaltiger Strukturpolitik betrachtet werden.
5.7
Exkurs: Sozialraumstrukturen und Soziale Milieus
in Theorie und Praxis
Die Kenntnis über die Sozialstruktur der Bevölkerung ist als Grundlage politischer Entscheidungen auf allen Ebenen von zentraler Bedeutung. Insbesondere die Verantwortlichen in den Kommunen benötigen für die strategische und
planerische Ausrichtung ihrer Aufgaben möglichst kleinräumige Informationen
über die Bewohner in einem bestimmten Stadtteil im Hinblick auf ihre soziale
Struktur und die Wohnsituation. Ebenso interessant für kommunale Entscheidungen ist die Frage nach den sozialen Netzen in einem kleinräumigen Gemeinwesen. Um frühzeitig und vorbeugend Gegenstrategien entwickeln und Maßnahmen einleiten zu können, ist es darüber hinaus wichtig zu wissen, welche
Faktoren den Stadtteil stabilisieren oder destabilisieren.
5.7.1 Soziale Milieus von Sinus Sociovision
Fundierte Informationen über die Sozialstruktur der Bevölkerung sind von hoher
Relevanz, da sich angesichts anhaltender Engpässe in den kommunalen Haushalten die Frage der Zielgenauigkeit öffentlicher Aktivitäten ohnehin verstärkt
stellt. Notwendig sind deshalb Sozialstrukturanalysen oder Sozialberichterstattungssysteme, die entsprechende raumbezogene Daten und Informationen liefern.
Das Erkenntnisobjekt der Sozialstrukturanalyse ist zunächst die Erfassung der
gesellschaftlichen Strukturen in der Bevölkerung sowie die Analyse ihrer Wechselbeziehungen und Wirkungszusammenhänge. Zentrale Zuordnungsmerkmale
sind insbesondere die Einkommenssituation, die berufliche Stellung wie auch
die Ausbildungs- und schulische Qualifikation - so genannte objektive Soziallagen.
Der zunehmende gesellschaftliche Wohlstand hat zur Folge, dass auch bisher
benachteiligte Bevölkerungsgruppen vermehrt Zugang zu einer Lebenswelt
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haben, die traditionell eher mittleren und oberen Schichten vorbehalten war.
Dass der gesellschaftliche Wohlstand nicht gleichmäßig verteilt ist, ist jedoch
ebenso wenig zu bestreiten wie die Tatsache, dass es nach wie vor Bevölkerungsteile gibt, die vom Wohlstandszuwachs nicht oder nur partiell profitierten.
Auch der erste Armutsbericht der Bundesregierung verdeutlicht, dass sich die
Ungleichheit der Einkommen zwischen Geringverdienern (hierzu gehören auch
Bezieher niedriger Renten und Pensionen) und den gehobenen Einkommen
trotz eines allgemeinen Wohlstandszuwachses langfristig verstärkt hat. In diesem Zusammenhang ist auch auf die offensichtlich ungleiche Vermögensverteilung hinzuweisen: rund 42 Prozent des Privatvermögens waren im Jahr 1998 im
Besitz von einem Zehntel aller Haushalte.29 Die gesellschaftlichen Unterschiede
des Wohlstandsniveaus wie auch dessen Entwicklung sind ebenso in räumlicher
Hinsicht, insbesondere nach der regionalen und auch stadträumlichen Verteilung, nachzuvollziehen.
In dem Maße, wie Zugangshemmnisse durch den insgesamt gestiegenen
gesellschaftlichen Wohlstand an Bedeutung verlieren, gewinnt die Pluralisierung
und Individualisierung von Lebensstilen an Gewicht. Dabei steht die „Vielfalt der
Handlungsmöglichkeiten, Lebensformen, Lebensführung und Lebensstile“
zunehmend im Mittelpunkt.30 Lebensstile definieren sich weniger durch Merkmale des sozialen Status als durch individuelle Werthaltungen und Alltagseinstellungen: „Wenn sich typische Lagen und Einstellungen bündeln, ergibt sich
ein gruppenspezifischer Lebensstil und damit ein soziales Milieu.“31 Gerade im
Hinblick auf die Entwicklung von Wissensmilieus erscheint ein tieferes Verständnis dieser Entwicklung notwendig.
Vor diesem Hintergrund verstehen sich Ansätze wie das Milieu-Konzept des
Heidelberger Sinus-Instituts als neuer Beitrag in der Sozialstrukturforschung.32
Im Jahr 1979 hat Sinus erstmals eine anwendungsbezogene lebensweltliche
Beschreibung und Analyse der Bevölkerung Westdeutschlands in Form von
Milieus erstellt. 1990 wurde sie um ein zunächst eigenständiges Milieumodell für
die neuen Bundesländer ergänzt.
29 BMAS 2001, S. XVIII.
30 Geißler 1996, S. 77.
31 Vester/von Oertzen/Geiling und andere 2001, S. 144.
32 Der Begriff des Milieus geht ursprünglich auf den französischen Soziologen Émile Durkheim
(1858 bis 1917) zurück, der als Erfinder der Soziologie als eigenständige empirische Wissenschaft gilt. In den 1960er Jahren hat es eine Wiederbelebung des Milieu-Begriffs gegeben. Eine
einheitliche Definition gibt es jedoch nicht. Durkheim verstand Milieus als soziale Gruppen, als
Grundeinheiten der Gesellschaft mit einem gemeinsamen Korpus moralischer Regeln. vgl. Durkheim 1988, S. 56.
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Abb. 7: Die soziokulturellen Milieus des Sinus-Instituts
Quelle: Sinus-Sociovison 2004
In dem Modell werden auf der Grundlage von repräsentativen Erhebungen soziale Bevölkerungsgruppen mit vergleichbaren Grundeinstellungen und Lebenszielen zusammengefasst. Alltagseinstellungen zur Arbeit, zur Familie und Partnerschaft, zur Freizeit, zu Geld und Konsum werden bei der Analyse ebenso
berücksichtigt wie Werteinstellungen. Es handelt sich hierbei um eine Differenzierung nach „real existierende(n) Subkulturen“ mit gemeinsamen Sinn- und
Kommunikationszusammenhängen.33 Das Sinus-Institut führt hierzu aus, dass
bei der Differenzierung der Milieus die Unterschiede im Vergleich zu einer Einteilung der Bevölkerung in Klassen- oder Schichten deutlicher hervortreten. So
orientiert man sich nicht mehr an den objektiven Soziallagen, sondern an inhaltlichen bzw. qualitativen Merkmalen.34 Die Sinus-Milieus „rücken den Menschen
und das gesamte Bezugssystem seiner Lebenswelt ganzheitlich ins Blickfeld.“35
2001 wurden die beiden Milieumodelle für die Bundesrepublik zusammengeführt. Das aktuelle Sinus-Modell aus dem Jahre 2003 besteht aus insgesamt
zehn Milieus.
33 Perry 2003, S. 18.
34 Vgl. Sinus Sociovision 2002, S. 8.
35 Perry 2003, S. 18.
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Die Grenzen zwischen den einzelnen sozialen Milieus sind fließend (vgl. Abb. 7):
Je höher das soziale Milieu in der Grafik (vertikale Perspektive) positioniert ist,
desto gehobener sind Berufsgruppe, Bildung und Einkommen. Je weiter es sich
nach rechts (horizontale Perspektive) erstreckt, desto weniger traditionell ist die
Grundorientierung des jeweiligen Milieus.
Es bleibt offen, ob Milieumodelle geeignet sind, gesamtgesellschaftliche Entwicklungen und Ausdifferenzierungsprozesse in der Sozialstruktur umfassend
darzustellen.36 Vorsicht ist vor allem dann geboten, wenn kurzlebige Einstellungen und Verhaltensweisen bei der Definition von sozialen Milieus ausschlaggebend sind. Ebenso ist anzunehmen, dass die Entwicklung von Lebensstilen
erheblich feiner und auch schneller voranschreitet, als dass man es mit einem
statischen Modell realistisch nachvollziehen könnte.37 Auch vor diesem Hintergrund schreibt das Sinus-Institut sein Modell fort und passt es den gesellschaftlichen Entwicklungen an. Längerfristig können jedoch gewisse Beständigkeiten in der übergeordneten Gruppierung nachvollzogen werden.
Sinus-Milieus haben bisher überwiegend in der Markt-, Jugend- und Wahlforschung Anwendung gefunden und sich dort bewährt.38 Wenn auch die Erkenntnisse der Sinus-Analysen im Rahmen der Marktforschung einen räumlichen
Bezug, bis hin zum Straßenzug herstellen können, wurden daraus bislang noch
keine Konsequenzen für stadtpolitisches Handeln gezogen. Mit Blick auf planerische und gesellschaftspolitische Gestaltungsprozesse können soziale Milieus
ein interessanter Ansatz sein, über hergebrachte Klassen- bzw. Schichtkonstruktionen hinaus detaillierte Informationen über die Sozialstruktur und Kommunikationszusammenhänge in konkreten Raumbezügen - wie einen Stadtteil zu erhalten. Dabei können sie herkömmliche Sozialraumanalysen hinsichtlich
bestimmter Fragestellungen ergänzen.
So hat das (vhw) Deutsche Volksheimstättenwerk, Bundesverband für Wohneigentum, Wohnungsbau und Stadtentwicklung ein Projekt zur nachfrageorientierten Wohnungsbaupolitik initiiert, dessen noch ausstehende Erkenntnisse
sicherlich mit Interesse verfolgt werden müssen. Hier werden unter anderem am
Beispiel des Wohnungsmarktes der Stadt Essen die spezifischen Raumbezüge
von Sinus-Milieus untersucht.
Aus den Ergebnissen lassen sich differenzierte Anforderungen unterschiedlicher
Lebensstiltypen hinsichtlich der Präferenzen des Stadtquartiers ableiten. Am
Beispiel der Wohnumfeldgestaltung werden Chancen und Grenzen von milieu-
36 Vgl. Häußermann/Kapphan 2000, S. 155.
37 Vgl. Eichener/Schauerte/Klein 2002, S. 79.
38 Vgl. Geißler 1996, S. 82.
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spezifischen Betrachtungen und sich daraus ergebenden Handlungsempfehlungen herausgearbeitet.
Milieuorientierte Wohnumfeldgestaltung
Um die Attraktivität der Städte zu erhalten, müssen Verbesserungen der Wohnqualität und des Wohnumfelds in den städtischen Zentren erreicht werden. Auch
die Analysen der Suburbanisierung und sozialräumlichen Entwicklung zeigen,
dass Wohnumfeldqualitäten maßgeblichen Einfluss auf Verweilentscheidungen
von Haushalten im angestammten Quartier haben (vgl. Kapitel B4). Die Verbesserung von Wohnumfeldqualitäten ist damit ein geeigneter Ansatz, mit dem man
unter anderem den beiden Trends der Suburbanisierung und der Segregation
entgegenwirken kann.
Der Begriff des Wohnumfelds muss weit gefasst werden: Wohnumfeld reicht von
der städtebaulichen und architektonischen Gestaltung, über das Infrastrukturangebot (Spielplätze, Begegnungsstätten, Nahversorgung) bis hin zur der stadträumlichen Lage. Neben diesen eher harten Aspekten gewinnen so genannte
weiche Faktoren wie Nachbarschaften, Szene, soziales Umfeld erheblich an
Bedeutung. Mit der fortschreitenden Ausdifferenzierung der Gesellschaft werden sie zunehmend zu wichtigen Kriterien für die individuelle Standortentscheidung.
Im städtischen Umfeld lassen sich ideale Wohnverhältnisse für eine individualisierte (Single-) Gesellschaft mit sich ausdifferenzierenden Lebensstilen finden. So
kann sich Wohnen in räumlicher Nachbarschaft zu Sport- und Freizeitangeboten
für den einen als genauso attraktiv erweisen, wie die Nähe zum Büro, zum Einkaufsort oder auch zum Erholungsgebiet für andere. Die zunehmende Zahl von
Einpersonenhaushalten beiderlei Geschlechts erfordert hierbei geschlechtergerechte Angebote bei den Wohnumfeld- und Freizeitbedingungen.
Die sich in der pluralistischen Gesellschaft herausbildenden neuen Lebensformen und Zielgruppen fordern auch neue Formen des Wohnens. Zielgruppen
wären zum Beispiel Starterhaushalte, Singles und Senioren. Aber auch für die
Gruppe der Alleinerziehenden und der Scheidungsopfer ist aufgrund ihrer oftmals eingeschränkten finanziellen Spielräume ein akzeptables Angebot vorzuhalten, will man auch die oftmals mit geringer Arbeitsmobilität ausgestattete
Gruppe in der Stadt und damit vielfach in der Nähe des Arbeitsplatzes halten.
Innerstädtische und zentrale Wohnlagen ermöglichen die Stadt der kurzen
Wege. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung erweisen sich
diese Lagen vielfach als idealer Wohnstandort. Die Entwicklung neuer Wohnkonzepte, wie zum Beispiel betreutes Wohnen mit Full-Service eröffnet die Möglichkeit vielfältiger Synergien aus Dienstleistungen, Handel und Gastronomie.
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Milieus als Grundlage der Bedarfsermittlung
Die eindimensionale Bedarfsermittlung und Ausgestaltung anhand allgemeiner
Zielgruppen nach sozioökonomischen Kennzeichen (Kinder, Familien, Senioren)
stößt bei der Gestaltung und Anpassung des Wohnumfelds an Grenzen. Die
klassischen Paare: Kinder - Spielplätze, Jugendliche - Begegnungsstätte,
Senioren - Pflegeheime geben allenfalls Hinweise für quantitative Bedarfe. Für
qualitative Anforderungen bedarf es ergänzender Informationen. Darüber hinaus
ist in der Bedarfsermittlung stärker ein Milieuansatz zu berücksichtigen, wie er
von Bourdieu in die Diskussion eingebracht und seitdem wesentlich weiter entwickelt wurde.39 Jener Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass bei der Bedarfsermittlung nicht nur der sozioökonomische Status der Bewohner ermittelt wird,
sondern zusätzlich deren Lebensstil und gesellschaftliche Wertorientierungen.
Die Arbeiten von Sinus-Sociovision basieren auf diesem Modell. Es liegt auf der
Hand, dass dieser Ansatz ein weitaus differenzierteres Bild für die Bedarfsermittlung liefert.
Eine milieudifferenzierte - und damit an Lebensstilen ausgerichtete - Betrachtung kann helfen, räumliche Präferenzen bestimmter Lebensstile einzubeziehen.
Das allein reicht jedoch nicht aus, um den lokalen Anforderungen gerecht zu
werden. Vielmehr bedarf es jeweils einer Vielzahl kleiner, oftmals unspektakulärer, aber sehr genau auf den jeweiligen sozialräumlichen Kontext zugeschnittener Maßnahmen, die erst in der Addition und unter Mitwirkung der Begünstigten
gewünschte Effekte im städtischen Raum ergeben. Insofern gibt es keine Patentrezepte für die konkrete Gestalt einer milieuorientierten Stadtpolitik und
somit auch keine Wenn-Dann-Handlungsanleitungen. In aller Regel unrealistisch und wenig Erfolg versprechend
ist zudem die Vorstellung, Milieus an
einem bestimmten Ort gezielt ansiedeln zu können. Dies ist darauf zurükkzuführen, dass die Logiken, nach
denen sich Milieus bilden und von
denen sie zusammengehalten werden,
zu komplex, zu spezifisch und stets
selbst bestimmt sind. Um sie planen
und steuern zu können, sind offene und gleichzeitige Angebote auf verschiedenen Ebenen der städtischen Lebenswelt erforderlich, an denen Milieubildungen
ansetzen können. Zudem wird es unrealistisch sein, die Planung bzw. die
Gestaltung eines Quartiers auf einzelne Lebensstilgruppen auszurichten. Vielmehr zeigen unterschiedliche Milieus ähnliche oder sich ergänzende Präferen-
39 Bourdieu 1982.
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zen, die innerhalb eines Quartiers angeboten werden können. Darüber hinaus ist
im Sinne einer nachhaltigen Nutzung, eine hohe städtebauliche Flexibilität für
unterschiedliche - und auch sich wandelnde - Nutzungspräferenzen erforderlich, um eine langfristige Attraktivität zu gewährleisten.
Stadtpolitik besitzt auf ihren unterschiedlichen räumlichen Handlungsebenen
vielfältige Möglichkeiten, die Verortung und Weiterentwicklung von Milieus zu
beeinflussen. Sie kann - gerade im Bereich der Wohnumfeldgestaltung und der
wohnortnahen Freizeitangebote - Anreize und Gelegenheitsstrukturen schaffen,
die unterschiedliche Bewohner motivieren, einem Wohnort treu zu bleiben, sich
diesen verantwortungsvoll anzueignen und mit Gleichgesinnten zukunftsoffen
zu gestalten. Sie kann aber auch Angebote entwickeln, die gezielt den Beschäftigten in einem bestimmten Berufsfeld ein Forum des Austauschs bieten. Es ist
unstrittig, dass über Belegungspolitiken im sozialen Wohnungsbau Voraussetzungen für die Bildung von Milieus erleichtert oder erschwert werden. Bei diesen Maßnahmen handelt es sich um qualitative Einflussfaktoren, die vergleichbare Wirkungen erzeugen können, dies aber nicht zwangsläufig müssen.
Räumliche Präferenzen von Sinus-Milieus - der Versuch einer Zuordnung
Die vorgenannten Erkenntnisse verbieten eine überschaubare und damit als Leitfaden verwendbare Empfehlungsmatrix. Gleichwohl haben bereits 1999 Schneider und Spellerberg versucht, bevorzugte Standorte von Lebensstilgruppen
empirisch herauszuarbeiten und qualitativ zu beschreiben.40 Grundlage für die
Darstellung ist in diesem Fall jedoch nicht das Sinus-Milieumodell sondern eine
eigene Typologie auf der Basis des Wohlfahrtssurvey von 1993. Die Analysen der
bevölkerungsrepräsentativen Daten zeigen, dass sich anhand der Lebensstiltypologie sehr spezifische Wohnverhältnisse, Wohnbedürfnisse und auch Verhaltensmuster auf dem Wohnungsmarkt identifizieren lassen. Die Ergebnisse lassen
hoffen, dass die noch im Aufbau befindlichen Analysen des ebenfalls zu differenzierten Ergebnissen auf einer breiteren empirischen Basis kommen werden.
Auch wenn die von Schneider und Spellerberg vorgenommenen Typisierungen
und Präferenzen sehr klar herausgearbeitet sind, soll im Folgenden eine Zuordnung auf der Grundlage der Sinus Milieus dargestellt werden. Hier besteht der
Vorteil, dass sowohl die Modellbeschreibung durch Sinus als auch die Datenerhebung durch das vhw kontinuierlich aktualisiert werden können.
Die Akzeptanz der Vielfalt ist erforderlich, um die Aussagekraft dieser Darstellung zu bewerten. Auch hier ist es mit den oben genannten Einschränkungen
gelungen, mögliche räumliche Bezüge unterschiedlicher Milieus aufzuzeigen
40 Ausführlich in: Schneider/Spellerberg 1999.
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und denkbare Ansprüche an die Gestaltung von Wohnumfeld und Freizeitbedingungen zu benennen, die für diese Milieus von besonderer Bedeutung sind.
Konkrete Raumbezüge der Sinus-Milieus und damit auch Anforderungen einzelner Milieus an Wohnumfeld- und Freizeitqualitäten wurden von Sinus selbst bisher nicht untersucht. Die bereits oben erwähnte laufende Studie zu Möglichkeiten einer Nachfrageorientierten Wohnungspolitik im Auftrag des vhw versucht
diese Lücke zu schließen.41 Dabei wird deutlich, dass stadträumliche Verortungen von Milieus nur auf dem Weg sorgfältiger Analysen nachvollzogen werden
können. Welche Aussagekraft diese Ergebnisse für die Beurteilung von Wohnumfeld- und Freizeitanforderungen von Milieus haben werden, ist beim gegenwärtigen Stand dieser Arbeiten noch nicht abschätzbar.
Auf der Basis der auch im Vorhaben des vhw zugrundegelegten Sinus-Milieus
wird im Folgenden zunächst rein hypothetisch versucht, Präferenzen einzelner
Milieus für Wohnumfeld- und Freizeitbedingungen räumlich zu differenzieren.
Die Beschreibungen beruhen anders als die Arbeiten von Schneider und Spellerberg nicht auf empirischen Erhebungen, sondern folgen einem heuristischen
Ansatz. Sie basieren auf der Grundlage von Wissensbeständen aus der Stadtforschung und Stadtplanung.42
Die im Folgenden kurz erläuterten Milieus, zeichnen sich vielmehr durch eine
gewisse Immobilität und räumliche Konstanz aus. Diese vier Milieus stehen
daher weniger im Fokus politischer Handlungsoptionen, werden aber der Vollständigkeit halber hier skizziert:
• Das konservative Milieu (rund fünf Prozent der deutschen Bevölkerung) entspricht dem alten deutschen Bildungsbürgertum. Typisch sind humanistisch
geprägte Pflichtvorstellungen und gepflegte Umgangsformen.
• Die Traditionsverwurzelten (15 Prozent) sind die auf Sicherheit und Ordnung
bedachte Kriegsgeneration. Sie sind in der kleinbürgerlichen Welt wie in der
traditionellen Arbeiterkultur ansässig.
• Zu den DDR-Nostalgischen (sechs Prozent) gehören die resignierten Verlierer der Deutschen Einheit. Sie halten an preußischen Tugenden und gleichzeitig an den sozialistischen Prinzipien von Gerechtigkeit und Solidarität fest.
• Die deutlich materialistisch ausgerichtete Unterschicht - das sind rund elf
Prozent der Bevölkerung - bilden die Konsum-Materialisten. Sie versuchen
den Anschluss an die Konsum-Standards der breiten Mitte zu halten, um
damit soziale Benachteiligungen kompensieren zu können.
41 Schmals 2003.
42 Auch wenn die Lebensstiltypen von Schneider und Spellerberg nicht deckungsgleich mit den
Milieus von Sinus Sociovision sind, zeigen sich doch in der Darstellung sowohl der Gruppierungen als auch deren Präferenzen gewisse Übereinstimmungen, die die nachfolgenden Aussagen
wenn auch nicht belegen, so denn aber inhaltlich stützen.
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Es folgt eine eingehende Darstellung der Milieus, die sich entweder durch
besondere Ansprüche an Wohnumfeldqualitäten auszeichnen oder durch ein
besonderes hohes Maß an räumlicher Flexibilität oder der Neigung zu einem
regelmäßigen Ortswechsel.
Bürgerliche Mitte (16 Prozent der deutschen Bevölkerung)
Obwohl das Milieu der bürgerlichen Mitte eher noch den immobilen Milieus
zuzuordnen ist, verfügt es über nicht unerhebliche Suburbanisierungspotenziale. Dieses Milieu weist viele Haushalte auf, die als potenzielle, aber nicht als
zwingende Suburbanisierer zu bezeichnen sind. Grundsätzlich lässt sich dieses
Milieu gut und - wenn bestimmte zentrale Voraussetzungen erfüllt sind - auch
dauerhaft an ein städtisches Quartier binden, wenn ihm dort das geboten wird,
was es an Infrastruktur und Atmosphäre erwartet.
Zentral ist dabei ein angemessenes und qualitätvolles Angebot für Kinder. Insbesondere Grünflächen spielen dabei eine gewichtige Rolle. Als Ideal wird ein
eigener Garten angesehen, doch ist man unter Umständen bereit, auf ihn zu verzichten, wenn das öffentliche Grün in der Nähe der Wohnung akzeptabel ist.
Gerne sind die Haushalte dieses Milieus auch bereit, sich zu engagieren, doch
bedarf es dazu staatlicher Kooperation und einer spürbaren Würdigung ihres
Engagements.
Abwärtstendenzen in Quartieren können leicht Suburbanisierungsüberlegungen
auslösen, zumal die Grundeinstellung dieses Milieus das Wohnen zur Miete im
Prinzip irrational erscheinen lässt. Die Einbettungskräfte des Quartiers, das heißt
das Gefühl mit dem Quartier verbunden zu sein, sind letztlich entscheidend für
den Verbleib dieses Milieus im Quartier. Wichtig sind hierfür Orte der Kommunikation, vielfältige Infrastruktur und
kreative Aneignungsmöglichkeiten. Innerhalb eines gewissen Rahmens
schätzt dieses Milieu Kreativität, Flexibilität, clevere und konsensuale Nutzungslösungen.
Das Milieu wünscht sich eine engagierte, kreative und kooperative Stadtpolitik. Es ist in seiner Freizeit nicht auf
den Innen- oder den Außenbereich beschränkt - beides ist wichtig, wobei der
Außenraum des näheren Wohnumfeldes von zentraler Bedeutung ist. Die Bürgerliche Mitte bewegt sich aber auch regelmäßig über die Quartiersgrenzen hinweg zu gezielten Ausflügen oder Einkaufsaktivitäten. Heterogenität und Vielfalt
im Quartier werden begrüßt, doch müssen sie im Rahmen bleiben und dürfen
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nicht ein gewisses normatives Verhaltensraster sprengen. Aufgabe von Stadtpolitik wäre es, in Dialog zu treten, Engagement aufzugreifen sowie Möglichkeiten und Optionen zu eröffnen. Aufgrund des relativ hohen Bevölkerungsanteils
und der latent vorhandenen Suburbanisierungstendenzen scheint das Milieu
eine lohnende Zielgruppe zur Einflussnahme auf Segregations- und Suburbanisierungsprozesse zu sein.
Von diesen in der Grundtendenz eher beständigen Milieus unterscheiden sich
die nachfolgend dargestellten Milieus insbesondere durch ihre Bereitschaft zum
Ortswechsel. Veränderungen im Wohnumfeld lösen sehr viel schneller Wanderungsbewegungen aus. Bei Aktivitäten zur Attraktivierung von Quartieren sollte
ihnen daher besonderes Augenmerk zukommen. Die plakative Darstellung dient
der Veranschaulichung. Sie ist sicherlich nicht auf alle Mitglieder der jeweiligen
Milieus zu beziehen.
Etablierte (zehn Prozent)
Das Milieu des „selbstbewussten Establishment“ braucht die Großstadt als
Bühne der Repräsentation und als Aktionsraum mit anspruchsvollen Angeboten
von Kultur, Gastronomie, Geselligkeit etc. Gelebt wird in diesem Milieu in exquisiten, weitläufigen, meist zentral gelegenen, gemieteten oder gekauften Altbauwohnungen oder in extravaganten Neubauten in exponierten Lagen, jeweils mit
einem ansprechenden, statusadäquaten Wohnumfeld. Etablierte erschließen
sich zuweilen aber auch gut ausgestattete Randbereiche von Kernstädten. Etablierte sind hochgradig mobil im beruflichen Alltag und auch im privaten Leben.
Der Nahraum des Wohnorts wird daher selektiv wahrgenommen und nur dann
genutzt, wenn Angebote dem eigenen Status entsprechen und Repräsentationen der eigenen Besonderheit ermöglichen. Toleranz gegenüber sozialer
Mischung und Fremdheit ist in diesem Milieu so lange vorhanden, wie die Entfaltung des eigenen Lebensstils dadurch nicht eingeschränkt wird. Durch überdurchschnittliche Bildung und Einkommensverhältnisse können Mitglieder dieses Milieus räumliche und soziale Abgrenzungen zu fast jedem anderen Milieu
selbst bestimmen.
Die Kategorie des Quartiers ist für dieses Milieu nachrangig, da es sich an vielen verschiedenen attraktiven Orten der Welt in Zweitwohnungen, Urlaubsdomizilen oder in beruflichen Kontexten verortet. Wichtig ist stets die Anwesenheit
einer hinreichenden Anzahl von Mitgliedern dieses Milieus, um Austausch und
Geselligkeit zu ermöglichen. Mitglieder dieses Milieus sind kaum langfristig an
eine Wohnung oder ein Quartier zu binden. Sie entwickeln allenfalls anhaltende
Sympathien für eine Region, die ihr mobiles Standortverhalten aber kaum zu
stören vermögen. Durch Nutzung des Autos oder des Flugzeugs bleiben diese
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Menschen aber auch in ihren Freizeitaktivitäten tendenziell standortunabhängig.
Stadtpolitik sollte in der Perspektive dieses Milieus nicht in die freien Kräfte des
Marktes intervenieren sondern potenziellen Standorte mit Highlights für Kultur,
Konsum oder sportlichen Aktivitäten aufwerten. Für eigene Kinder wird ein
angemessenes Bildungsangebot vorausgesetzt.
Postmaterielle (zehn Prozent)
Bei diesem Milieu handelt es sich mehrheitlich um stadtorientierte Haushalte,
die sich mit unterschiedlichen urbanen Wohnlagen anfreunden können. Ausgewählte heterogene Quartiere werden bevorzugt, weil sie interessante Nischen
bieten. Hier etabliert dieses Milieu seine sozialen Netzwerke und Treffpunkte als
wichtige Faktoren der Freizeitgestaltung. Zivile Heterogenität wird viel eher
akzeptiert als Belästigungen durch Lärm, Licht oder Abgase. Das Quartier ist als
Alltagsort wichtig, befriedigt aber nicht alle Wünsche. Mobilität erfolgt gezielt an
interessante Orte. Bei Umzügen werden häufig Quartiere des vertrauten Typs
gesucht. Dieses Milieu interessiert sich weniger für materiellen Erfolg als für
gutes, nachhaltiges und vernünftiges Leben. Es benötigt vielfältige kulturelle
Angebote auf einem angemessenen intellektuellen Niveau und eine den geltenden Vernunft-Kriterien entsprechende Nahversorgung: Markt, Buchladen, Programm-Kino, Naturkostladen, gepflegter Weinhandel, Cafes, Kneipen und
Restaurants, pädagogisch angemessene Spielflächen für Kinder unterschiedlicher Altersgruppen, sportliche
Möglichkeiten zur Gesundheitspflege.
Das Automobil ist als Verkehrsmittel
nicht zwingend.
Wichtig sind eine hohe Qualität öffentlicher Räume, attraktive Fuß- und Radwege und lebendige Bürgersteige. Fertige Angebote sind diesem Milieu in der Regel zu langweilig. Gesucht werden
Freiräume, die individuell angeeignet werden können. Ein gepflegter Park mit
vielen abgetrennten Wiesen, der zu einem privaten Picknick einlädt, ist attraktiver als organisierte kommerzielle Volksfeste. Dieses Milieu kann durch verlässliche Befriedigung seiner zentralen Wünsche langfristig an die Stadt gebunden
werden. Stadtpolitik muss allerdings die differenzierten Erwartungen dieses
Milieus und seinen Hang zur Selbstbestimmung ernst nehmen, sei es auch nur
durch Offenlegung ihrer begrenzten Handlungsmöglichkeiten und durch Einbeziehung der reichhaltigen Ressourcen dieser Gruppe. Dieses Milieu verlangt
qualitative Stadtpolitik in seinem Sinne, bevor es bereit ist, seine vergleichsweise hohe Kaufkraft vor Ort zu verwirklichen.
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Moderne Performer (acht Prozent)
Dieses Milieu weist eine starke Orientierung auf den Außenraum auf. Hier wird
die Möglichkeit gesehen, sich zu präsentieren und unter Gleichgesinnte zu
begeben. Dieses Milieu siedelt sich gezielt in der Nähe der Szene an, bestimmte Stadtteile, oftmals auch nur Teilbereiche von Stadtteilen gelten als alternativlos. In aller Regel liegen diese Stadtteile in den Altbaubeständen der inneren
Stadt. Die Wohnräume werden individuell gestaltet und eingerichtet, dessen
ungeachtet besteht eine große Mobilitätsbereitschaft. Zieht die Szene weiter
oder erscheinen andere Orte mehr angesagt, kann es sehr schnell zu einem
Umzug kommen.
Zwar ist das unmittelbare Wohnumfeld als Szenerie wichtig, doch spielen die
nahräumlichen Freizeitangebote eine eher nachgeordnete Rolle, da dieses
Milieu mobil ist und gezielt die Orte aufsucht, die von Gleichgesinnten frequentiert werden und wo das von ihnen gesuchte Konsumangebot besteht. Wichtig
erscheint es allerdings, dass Bedarfe des täglichen Lebens schnell und möglichst rund um die Uhr organisiert werden können, da dieses Milieu oft lange und
zu unkonventionellen Zeiten arbeitet. Das Fremde ist diesem Milieu nicht unangenehm, im Gegenteil, es wird oftmals gezielt nachgefragt und dient als Inspirationsquelle. Partizipationsangebote wie Runde Tische zu Fragen der Quartiersentwicklung werden nicht wahrgenommen, da sie zu langatmig erscheinen.
Von der Stadtpolitik wird erwartet, dass sie individuelle Formen der Aneignung
von Nischen zulässt und nicht auf der Einhaltung festgeschriebener Standards
und Normen besteht.
Experimentalisten (sieben Prozent)
Von großer Bedeutung sind für dieses Milieu Räume zur individuellen Aneignung
und das Ausleben der weit reichenden sozialen Bedürfnisse. In der Regel finden
sich diese Möglichkeiten eher in der Stadt, speziell in vielfältigen und urbanen
Stadtteilen, doch sind bei diesem Milieu durchaus Wohnbiographien denkbar,
die auch einige Jahre auf dem Land mit anschließender Rückkehr in die Stadt
enthalten. Langfristige Bindungen an einen Wohnort sind nur schwer möglich,
dazu ist das Milieu zu sprunghaft in seinen Präferenzen. Bindungen bestehen
weniger an das Quartier als an die jeweils angesagte Szene, mit der im Zweifel
auch in einen anderen Stadtteil gewandert wird.
Die Wohnform kann unterschiedlichster Art sein (Alt- bzw. Neubau, Landhaus,
Fabriketage, alter Bauernhof etc.), wichtig ist nur, dass sie Platz lässt zur Auslebung der eigenen Interessen und Vorlieben. Diese können sich auf das Wohnen
beziehen, doch nicht zwingend; mitunter kann die Wohnung auch schlicht den
Rahmen für die gerade verfolgten Aktivitäten abgeben. Das Wohnumfeld sollte
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möglichst so strukturiert sein, dass es der Auslebung des eigenen Lebensstils
in den jeweils aktuellen Ausprägungen entgegenkommt. Grün- und Erholungsräume spielen dabei in der Regel eine geringere Rolle als Ausgehmöglichkeiten,
kleine Plattenläden, Antiquitäten-Läden und Kommunikationsorte jeder Art. In
der Freizeit werden generell sehr ausgefallene, dabei jedoch präzise ausgewählte Angebote nachgefragt, für die auch erhebliche Wegstrecken in Kauf
genommen werden. Heterogenität ist aus Sicht des Milieus ein absolutes Gütekriterium für ein Quartier und keinesfalls eine Belastung.
Durchaus besteht die Bereitschaft, sich in einem Quartier zu engagieren; allerdings nur, wenn auf Seiten der Stadtpolitik die Bereitschaft zu erkennen ist, auch
in unkonventionellen Bahnen zu denken und zu handeln. Hier liegt auch die zentrale Forderung an die Stadtpolitik seitens des Milieus: Selbstverwirklichung zu
ermöglichen, Aneignungsprozesse von Räumen zu fördern, Verschiedenartigkeit
nicht einzuebnen.
Hedonisten (elf Prozent)
Das Milieu ist deutlich stadtorientiert, lebt aber schwerpunktmäßig in den äußeren oder in benachteiligten inneren Bereichen der Kernstadt zur Miete, oft in
Neubaugebieten oder auch in Großwohnsiedlungen. Das Milieu weist nur eine
geringe Quartiersbindung und einen nur vorübergehenden Ortsbezug auf, da es
immer auf der Suche nach Neuem, nach Spaß und Unterhaltung ist. Generell ist
die Bedeutung der Wohnung und des
Wohnumfeldes vergleichsweise gering,
da eine hohe Mobilitätsbereitschaft
besteht. Für die Auswahl des Wohnstandortes übliche Kriterien wie Lärmbelastungen, Grünanlagen, ästhetische Gestalt werden nicht sonderlich
hoch gewichtet, relevant ist eher die
Lage der Wohnung im Stadtraum. Freizeitangebote des Wohnumfeldes werden nur dann angenommen, wenn sie
nicht durch das spezifische, stark spaßorientierte Anspruchsraster fallen. In der
Regel wird das die Ausnahme sein und die Freizeit eher an anderen Orten verbracht werden. Bei der Auswahl der besonders frequentierten Räume ist der
Außenraum entscheidend; er muss viele Konsum- und Ausgehangebote bieten.
Fremdes wird nicht gezielt aufgesucht oder als Bereicherung verstanden, doch
solange es nicht in Konkurrenz zu eigenen Aktivitäten und Interessen tritt, wird
es nicht weiter beachtet. Das Milieu der Hedonisten wird kaum für partizipative
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Maßnahmen der Quartiersentwicklung zu erwärmen sein und hat auch an die
Stadtpolitik eine eher indifferente Erwartungshaltung. Zwar soll ein breites Spektrum von Angeboten zur Unterhaltung dieses Milieus zur Verfügung stehen, wie
dieses zustande kommt und ob sich die Stadtpolitik daran beteiligt, interessiert
allerdings nicht weiter.
Soziale Milieus in Stadtpolitik und Wohnungsmarktbeobachtung
Die hypothesenartigen Ausführungen zu den Raumbezügen unterschiedlicher
Milieus sowie ihren Wohnumfeld- und Freizeitbedarfen verdeutlichen, wie vielschichtig und stark ausdifferenziert die Ansprüche der einzelnen Bevölkerungsgruppen und Milieus sind und wie unterschiedlich folglich auch die Erwartungen
an stadtpolitisches Handeln sind. Dies alles zeigt, dass es für die Stadtpolitik
keine Patentrezepte gibt, sondern dass eine milieudifferenzierte Betrachtungsweise dringend erforderlich ist.
Selbst die allgemein geschätzten städtebaulichen Leitbilder wie soziale Mischung, die Stadt der kurzen Wege oder scheinbar allgemein geteilte Ansätze
wie flexible Mehrfachnutzungen oder die städtebauliche Verdichtung werden
nur bei einzelnen Milieus auf Akzeptanz stoßen, während andere gleichgültig
oder sehr stark ablehnend reagieren werden. Es wird somit darauf ankommen,
die abstrakten Zielvorstellungen der Stadtpolitik den spezifischen lokalen Konstellationen sensibel anzupassen. Wichtig ist dies sowohl im Hinblick auf konkret umzusetzende städtebauliche Maßnahmen als auch hinsichtlich der gewählten Kommunikationsformen, um die angesprochenen Milieus tatsächlich zu
erreichen.
Speziell für die Wohnungswirtschaft und die Wohnungspolitik ist die qualitative
Wohnungsmarktbeobachtung ein viel versprechender Ansatz. Hierbei werden
mit Hilfe der Mikrogeografie - unter Beachtung datenschutzrechtlicher Vorgaben
- kleinräumige Segmentierungsmodelle entwickelt, die es erlauben, in kleinen
räumlichen Einheiten verlässliche Informationen über deren milieudifferenzierte
Zusammensetzung zu erhalten.43 Interessant wäre dabei, ob es gelingt, eine auf
verschiedene Quartierstypen differenzierte Darstellung der dort jeweils auftretenden Milieus zu erhalten.
Ziel sollte es sein, in einem insgesamt eher gesättigten Markt kleinräumig spezifische Bedarfe zu erkennen, um möglichst Fehlinvestitionen durch nicht
bedarfsgerechte Bau- oder Modernisierungsaktivitäten zu vermeiden. Ein
milieuorientiertes Vorgehen hilft dabei, neben rein quantitativen auch qualitative
Anforderungen zu befriedigen, bieten doch reine Bevölkerungsstrukturdaten
hier in aller Regel keine Anhaltspunkte.
43 Schmals/Wolff 2003.
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5.7.2 Milieuorientierte Stadtpolitik - Handlungsempfehlungen
Neben der Qualität und der Preisstruktur des vorhandenen Wohnungsangebotes gehören Wohnumfeld- und Freizeitqualitäten für private Haushalte zu den
bedeutsamsten Entscheidungsfaktoren bei der Wahl eines Wohnstandortes. Die
Wertigkeit einer Wohnung wird seit jeher vorrangig durch die räumliche Lage
bestimmt, da dieser Faktor kaum durch bauliche Maßnahmen zu beeinflussen
ist. In ihm bündeln sich Erreichbarkeiten von Einkaufsmöglichkeiten, Verkehrsmitteln, sozialen Netzwerken, gesundheitlichen und sozialen Dienstleistungseinrichtungen. Hinzu kommt die zunehmend wichtigere Qualität von Schulen,
Nachbarschaften, Spielmöglichkeiten, öffentlichen Räumen und Grünflächen.
Diese vielschichtigen Raumqualitäten werden aber nicht von
allen Haushalten in gleicher Weise beurteilt, weil sich auch
die Bevölkerung ständig und von Ort zu Ort in besonderer
Weise ausdifferenziert. Vor diesem Hintergrund erscheint es
unabdingbar, eine milieuorientierte Politik für Städte in Nordrhein-Westfalen auf allen Ebenen urbaner Lebenswelt zu verankern.
Eine milieudifferenzierte Stadtpolitik ist keineswegs ohne Voraussetzungen, sondern bedarf der Berücksichtigung einiger
zentraler strategischer Grundsätze, wenn sie dem mit ihr verbundenen Anspruch gerecht werden möchte. Hierzu zählt in
erster Linie, dass die Abgrenzung und Identifizierung einzelner Milieus sorgfältige Analysen erfordert. Diese müssen Aussagen über die spezifischen Ausprägungen und die Charakteristika der untersuchten Milieus enthalten. Nur auf der
Grundlage soliden Wissens über vorhandene Milieus ist
milieuorientiertes Handeln überhaupt denkbar. Zu berücksichtigen ist auch, dass Milieus kontinuierlichen Wandlungsprozessen unterliegen, auf die sich die Beobachtung und
Analyse einstellen muss. Milieus können sich überall dort bilden, wo Menschen
mit ähnlichen Interessen, Lebensstilen, Werteorientierungen und Normen in
Interaktion treten. Sie lagern sich folglich an den unterschiedlichsten Bereichen
des Alltags an. Hieraus folgt, dass sich weder eine Milieuanalyse noch eine
milieudifferenzierte Stadtpolitik ausschließlich auf einzelne dieser Bereiche
fokussieren, sondern für unterschiedliche Orte und Verläufe der Milieubildung
offen sein sollte.
Die oben beschriebenen milieuspezifischen Präferenzen können daher allenfalls
ein erster Ansatz für milieuorientierte Wohnumfeldgestaltung sein. Neben einer
Milieuanalyse ist eine Rückkopplung mit den Betroffenen vor Umsetzung der
sich anbietenden Maßnahmen erforderlich, um nicht auf Pauschalbetrachtun217
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gen basierende Fehlinvestitionen zu tätigen oder unerwünschte Wanderungsbewegungen zu provozieren.
Milieuorientierte Stadtpolitik empfiehlt sich damit insgesamt als ein interessanter Ansatz für zielgruppengenaue Konzepte. Aufgrund der zurzeit noch sehr aufwändigen qualitativen und quantitativen Untersuchungserfordernisse erscheint
ein flächendeckender Einsatz dieser Vorgehensweise jedoch noch nicht leistbar.
Es bleibt zu hoffen, dass mit dem vhw-Projekt „Nachfrageorientierte Wohnungspolitik“ der Einstieg gelingt.
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B6 Wohnungsmärkte
im Spannungsfeld regionaler
und gesellschaftlicher
Differenzierungen
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6.1
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Entwicklung der Wohnungsmärkte in Nordrhein-Westfalen
Die Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung mit Wohnraum ist in den letzten Jahrzehnten - nicht zuletzt durch den Einsatz der öffentlichen Wohnungsbauförderung - kontinuierlich verbessert worden. Das eigentliche Mengenziel
der Wohnungsbaupolitik ist somit weitgehend erreicht. Der Bundesgesetzgeber
hat deshalb im Jahr 2001 mit dem Wohnraumförderungsgesetz diejenigen Personen als Zielgruppen der Wohnraumförderung bestimmt, die sich auf dem
Wohnungsmarkt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können. In Nordrhein-Westfalen haben derzeit knapp 102.000 Haushalte Marktzugangsschwierigkeiten.1
Der Wohnungsmarkt in Nordrhein-Westfalen hat in den letzten zehn Jahren
mehrfach einen erheblichen Wandel erfahren. Gegen Ende der 1980er Jahre war
die Situation durch eine weitgehende Entspannung gekennzeichnet. Nach der
Wiedervereinigung führten die Zuzüge aus den neuen Bundesländern und die
Zuwanderung vor allem aus Osteuropa zu einer Verschärfung der Versorgungslage. 1992 erreichte das Wohnungsdefizit mit 450.000 Wohneinheiten einen
1
Vgl. Wfa NRW 2002a, S. 22.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Höhepunkt. Die rasch nachlassende Zuwanderung, eine relativ hohe Wohnungsbautätigkeit und eine Abnahme der Bevölkerungsdynamik vor allem in
den Großstädten haben erneut zu einer Entspannung geführt.2 Einen Bauboom
erlebten insbesondere der Niederrhein, das Münsterland sowie die Kreise Gütersloh, Paderborn und Soest. Im Ruhrgebiet und den Städten der Rheinschiene wurden im Vergleich weniger Wohnungen gebaut.3 Mit 178.000 fehlenden
Wohnungen im Jahr 2002 wurde seit 15 Jahren das geringste Wohnungsdefizit
erreicht.4
Die aktuelle Expertenbefragung der Wohnungsbauförderungsanstalt NordrheinWestfalen (WfA) zeigt in fast allen Regionen einen ausgewogenen, teilweise entspannten Wohnungsmarkt mit Ausnahme der Rheinschiene.
65 Prozent der Experten bewerten hier das untere, 50 Prozent das preisgebundene Segment und 29 Prozent den
Eigenheimsektor als angespannt bis sehr angespannt.5
Entwicklung der Bevölkerung und der Haushalte
Die wechselhafte Entwicklung des Wohnungsmarktes in
Nordrhein-Westfalen während der letzten 15 Jahre verdeutlicht seine Abhängigkeit von der Einwohnerzahl. Der bereits
seit Mitte der 1980er Jahre vor allem in den Großstädten
anhaltende negative Saldo bei der natürlichen Bevölkerungsentwicklung wurde bis Anfang der 1990er Jahre durch Zuwanderung kompensiert, gewinnt aber seit Mitte der 1990er
Jahre wieder an Bedeutung und wird sich in den kommenden
Jahren weiter fortsetzen. Durch die Stadtumlandwanderung
wird die Entwicklung in den Ballungskernen zusätzlich verstärkt, während die Umlandgemeinden vor allem im ländlichen Raum davon profitieren (siehe dazu auch die Analysen
zur demografischen Entwicklung und der Stadtumlandwanderung in den Kapiteln B2 und B4).
Die Entwicklung des Wohnungsbedarfs ist jedoch weniger von der Einwohnerzahl als von der Zahl der Haushalte und der Abgänge aus dem Wohnungsbe-
2
Wfa NRW 2002d, S. 12.
3
Wfa NRW 2002b, S. 5.
4
Wfa NRW 2002d, S. 34. Das Eduard Pestel Institut für Systemforschung, das eine Wohnungsmarktprognose im Auftrag der LBS Westdeutsche Landesbausparkasse durchgeführt hat,
kommt nach eigenen Berechnungen für 2001 hingegen zu einem Überhang von 85.000 Wohneinheiten (Möller/Günther 2003, S. 19f).
5
Wfa NRW 2003a, S. 16.
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Wohnungsmärkte
40,0
in Prozent
35,0
30,0
25,0
20,0
15,0
10,0
5,0
0,0
1987 1988
1989 1990
Einpersonenhaushalte
1991
1992
1993
Zweipersonenhaushalte
1994
1995
1996
1997
Dreipersonenhaushalte
1998
1999
2000
2001
2002
Vier-und Mehrpersonenhaushalte
Abb. 1: Entwicklung der Haushalte nach Größenstruktur 1988 bis 2002
Angaben: Anteil der Haushalte in Prozent (Mikrozensus)
Quelle: LDS NRW
stand abhängig. In den letzten Jahrzehnten konnte aufgrund der Veränderungen
in den Haushaltsstrukturen auch in Nordrhein-Westfalen ein stetiger Anstieg der
Haushaltszahlen festgestellt werden. Von 7,180 Millionen im Jahr 1987 stieg die
Zahl der Haushalte bis zum Jahr 2002 auf 8,447 Millionen.6 Der seit Jahrzehnten anhaltende Trend zu immer kleineren Haushalten setzt sich auch im bevölkerungsreichsten Bundesland weiter fort. Die Zahl der in einem Haushalt lebenden Personen sank von 2,5 im Jahr 1980 auf durchschnittlich 2,14 in 2002.7 Hinter dieser Entwicklung verbirgt sich die deutliche Zunahme der Ein- und Zweipersonenhaushalte (Abb. 1).
Trotz einer gewissen Bandbreite in den Annahmen der Bevölkerungsentwicklung, gehen die Wohnungsmarktprognosen insgesamt von einer Steigerung der
Haushaltszahlen für Nordrhein-Westfalen zwischen 2,5 und 4,7 Prozent bis zu
den Jahren 2014 bzw. 2015 aus.8 Abhängig vom persönlichen Lebensstil, von
der Familien- und der Altersstruktur zeigen sich bei einer regionalen Betrachtung ebenfalls merkliche Unterschiede (vgl. Abb. 2). Die kleinsten Haushalte finden sich in den Ballungsräumen an Rhein und Ruhr sowie in der Region Biele-
6
Wfa NRW 2003c, S. 6.
7
LDS NRW.
8
Vgl. Möller/Günther 2003; BBR 2001b; Veser/Jaedicke/Höß 2001.
223
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Abb. 2: Regionale Veränderungen der Haushaltsgrößen 1992 und 2001
Angaben: durchschnittliche Haushaltsgröße nach Anzahl der Personen
Quelle: Wfa NRW
224
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Wohnungsmärkte
feld. Es wird deutlich, dass sich im Zeitverlauf die Umlandräume den Haushaltsstrukturen der Kernzonen ebenfalls anpassen.
Die Entwicklung der Haushaltszahlen und -größen hat unmittelbaren Einfluss auf
die quantitative und qualitative Wohnraumnachfrage; dies gilt insbesondere für
Größe, Grundriss, Ausstattung und Lage der Wohnung. Dem instabilen, sich
kontinuierlich wandelnden und zudem auch noch dem jeweiligen Lebensstil
unterliegenden Nachfrageverhalten steht eine zwangsläufig nur mit Zeitverzögerung handelnde Angebotsseite gegenüber.
6.1.1 Entwicklung der Angebotsseite
Wohneigentum
Das Wohneigentum hat in der Bevölkerung einen hohen Stellenwert.9 In Umfragen wünschen sich regelmäßig 80 bis 90 Prozent der Befragten das Wohnen in
den eigenen vier Wänden.10 Allerdings gibt es einen deutlichen Unterschied
zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Nicht jeder ist in der Lage, Wohneigentum
zu bilden. Dies ist nicht nur auf die nach wie vor problematische Wirtschaftslage, sondern auch auf die damit verbundene Verunsicherung in der Zukunftsplanung großer Teile der Bevölkerung zurückzuführen.
Mit einer Eigentumsquote von 41 Prozent im Jahr 2001 verzeichnet die Bundesrepublik einen sehr niedrigen Wert in Europa. In Großbritannien, Belgien, Irland
und Spanien liegen die Quoten zwischen 69 und 82 Prozent. Selbst die Niederlande haben eine Selbstnutzerquote von 51 Prozent. Demgegenüber weisen die
Länder mit umfangreichen sozialen Sicherungssystemen eher niedrigere Eigentumsquoten auf, so liegt sie in der Schweiz beispielsweise bei 31 Prozent.11 In
Nordrhein-Westfalen ist die Wohneigentumsquote traditionell besonders niedrig.
Für 2002 weist das Land mit 39 Prozent von den westdeutschen Flächenländern
das niedrigste Niveau auf. Die Menschen leben in verdichteten städtischen
Räumen, vor allem der Ballungsraum Ruhrgebiet findet in Europa kaum vergleichbare Strukturen. Die Eigenheimquote ist daher eher mit denen der Stadtstaaten zu vergleichen: Bremen 35,1 und Hamburg 21,9 Prozent.12
9
Weder in der Bautätigkeits- noch der Wohnungsbestandsstatistik ist eine eindeutige Unterscheidung zwischen vermieteten und selbstgenutzten Wohnraum möglich. So werden Gebäude
mit ein oder zwei Wohnungen als Eigenheime definiert, unabhängig von der Tatsache, dass die
Zahl der vermieteten Objekte zunimmt. Ebenso wird selbstgenutztes Eigentum im Geschosswohnungsbau als Mietwohnungen gerechnet (Wfa NRW 2002c, S. 13).
10 Faller/Braun/Heyn/Pfeiffer 2001, S. 19.
11 BMF 2002, S. 53.
12 Angaben Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung vom 30. Juli 2003.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
In Folge der industriellen Vergangenheit und der anhaltenden Zuwanderung
bestand eine starke Nachfrage nach Wohnraum. Daher lag der Schwerpunkt
lange Zeit im Geschosswohnungsbau (hier weitgehend Mietwohnungsbau), vor
allem in den Großwohnsiedlungen der 1960er und 1970er Jahre. Der inzwischen
erhebliche Verstädterungsgrad, veraltete Wohnungsbestände, Defizite in der
Wohnumfeldqualität, eingeschränkte Baulandangebote und damit einhergehende hohe Baulandpreise begünstigen die Suburbanisierung. Vor diesem Hintergrund erklärte die nordrhein-westfälische Landesregierung im Landesplanungsbericht 2001 den Eigenheimbau in den Ballungsräumen an Rhein und Ruhr als
zentrales Instrument einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung.13
Entwicklung der Bautätigkeit
Die überwiegend entspannten Wohnungsmärkte und die verbreitete Unsicherheit innerhalb der Bevölkerung bleiben nicht ohne Auswirkungen auf den Wohnungsneubau und damit auf die Bauwirtschaft. Wurden im Jahr 1995 noch rund
94.500 Wohnungen gebaut, gingen die Fertigungszahlen bis 2002 auf fast die
Hälfte zurück (vgl. Abb. 3). Der Rückgang trifft sowohl den Bau von Ein- und
Zweifamilienhäusern als auch den Geschosswohnungsbau. Insbesondere beim
Geschosswohnungsbau setzte sich der Abwärtstrend der vergangenen Jahre
deutlich fort.
Die Entwicklung der Baugenehmigungen verläuft hierzu parallel. Seit 1995 verringerte sich ihre Zahl bis zum Jahr 2002 schrittweise auf etwa die Hälfte. Mit
Vorsicht sind die Zahlen für 2003 zu werten. Angesichts der Diskussionen über
den Wegfall der Eigenheimzulage, die schließlich in eine Kürzung der Eigenheimzulage mündeten, sind die Bauanträge und Genehmigungen im Eigenheimbereich sprunghaft angestiegen. Es ist anzunehmen, dass dieser Aufschwung nur von kurzer Dauer ist. Die Zahlen sind von deutlichen Vorzieh- bzw.
Mitnahmeeffekten geprägt.
Ein- und Zweifamilienhäuser
Nach Jahren des Eigenheimbooms schlägt sich der Einbruch bei der Bautätigkeit auch auf den Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern nieder. Nach einer
Stagnation des Anstiegs in den Jahren 1999 und 2000 wurden in den beiden
Folgejahren wieder deutlich weniger Häuser fertiggestellt (vgl. Abb. 4). Während
im Jahr 2001 vor allem der ländliche Raum einen hohen Einbruch verzeichnete,
hat sich hier 2002 die Abnahme deutlich abgeschwächt. In den Ballungskernen
13 Chef der Staatskanzlei 2001, S. 62.
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Wohnungsmärkte
120.000
100.000
80.000
60.000
40.000
20.000
0
1992 1993
1994 1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
Fertigstellungen
Genehmigungen
fertiggestellte
Geschosswohnungen
fertiggestellte Wohnungen in Ein- und
Zweifamilienhäuser
Abb. 3: Entwicklung der Bautätigkeit 1992 bis 2002
Quelle: Wfa NRW
16.000
14.000
12.000
10.000
8.000
6.000
4.000
2.000
0
1992 1993
1994 1995
Ballungskern
1996
1997
1998
Ballungsrand
1999
2000
2001
2002
Ländlicher Raum
Abb. 4: Baufertigstellungen Ein- und Zweifamilienhäuser nach Siedlungstypen 1992 bis 2002
Quelle: Wfa NRW
setzt sich der Rückgang weiterhin fort. Aufgrund der Diskussionen um die
Zukunft der Eigenheimzulage stieg die Zahl der Baugenehmigungen insgesamt
im Jahr 2002 hingegen wieder um 6,8 Prozent.14
14 Wfa NRW 2003c, S. 16; für das erste Halbjahr 2003 wird sogar eine Steigerung von 46,7 Prozent verzeichnet.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Die Wfa sieht in der aktuellen Entwicklung das vorläufige Ende des Eigenheimbooms der späten neunziger Jahre.15 Demgegenüber vertritt das Rheinisch
Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) die These, dass der Trend
zum Eigenheim sich fortsetzen wird.16 Tatsächlich ist eine Prognose schwierig.
Aufgrund des ausgeprägten Wunsches nach Eigentum geht auch das Pestel
Institut in seiner Prognose davon aus, dass der Neubaubedarf bis 2015 überwiegend im Bereich des Ein- und Zweifamilienhausbaus gedeckt wird.17 Als
weiterer wesentlicher Einflussfaktor verharren hingegen die Grundstückpreise
unverändert auf einem hohen Niveau. Ebenfalls könnte der entspannte Mietwohnungsmarkt den Druck zugunsten des Eigenheimbaus senken.
Die demografische Entwicklung in Nordrhein-Westfalen spricht eher für eine
vorsichtige Einschätzung bei der Nachfrage nach Ein- und Zweifamilienhäusern.
Zwar steigt die Zahl der Haushalte bis 2015 weiter an, aber vor allem bei Einund Zweipersonenhaushalten. Die auf den Wohnungsmärkten aktiven Haushalte jüngeren und mittleren Alters werden in der näheren Zukunft erheblich abnehmen.18 Die anhaltende Stadtumlandwanderung ist nicht generell ein Beleg für
eine wachsende Nachfrage nach Ein- und Zweifamilienhäusern. Nach den kommunalen Befragungen liegt der Anteil der Haushalte, die im Umland in Eigentum
ziehen je nach Kommune zwischen 24 und 46 Prozent; zwischen 34 und 61 Prozent ziehen dabei sogar in den Geschosswohnungsbau (Mietwohnungen und
Eigentumswohnungen).19
Geschosswohnungsbau
Im Jahr 2002 hat sich der Abwärtstrend der Fertigstellungen im Geschosswohnungsbau der letzten Jahre fortgesetzt (vgl. Abb. 5). Besonders spürbar war der
Rückgang in den Ballungskernen. Im ländlichen Raum schwächte sich die negative Entwicklung hingegen deutlich ab. Im Gegensatz zu den Ein- und Zweifamilienhäusern sank die Zahl der Baugenehmigungen für Geschosswohnungen
weiter. Diese Entwicklung schlägt sich vor allem in den Ballungskernen mit
einem Minus von 28,7 Prozent nieder, während in den Ballungsrändern und im
ländlichen Raum der Rückgang mit 1,6 bzw. 1,1 Prozent eher stagniert. Die
Genehmigungszahlen bis zum Juni 2003 zeigen jedoch erstmalig eine positive
Entwicklung mit einem Plus von 6,5 Prozent.20
15 Wfa NRW 2002c, S. 14.
16 Janßen-Timmen/von Loeffelholz/Moos 2001, S. 10.
17 Möller/Günther 2003, S. 83.
18 Bucher/Schlömer 2003, S. 13.
19 Siehe Übersicht in ILS NRW 2002a, S. 12.
20 Wfa NRW 2003c, S. 18f.
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Wohnungsmärkte
16.000
14.000
12.000
10.000
8.000
6.000
4.000
2.000
0
1992 1993
1994 1995
Ballungskern
1996
1997
1998
Ballungsrand
1999
2000
2001
2002
Ländlicher Raum
Abb. 5: Baufertigstellungen Geschosswohnungen nach Siedlungstypen 1992 bis 2002
Quelle: Wfa NRW
Die Entwicklung des Geschosswohnungsbaus hängt ganz wesentlich vom Investitionsklima und der Renditeerwartung ab. Nach der Befragung der Wfa im
Frühjahr 2002 erwarten 90 Prozent der Experten für die kommenden Jahre ein
schlechtes bis sehr schlechtes Investitionsklima.21 Angesichts der aktuellen
wirtschaftlichen Lage und den allgemeinen Entwicklungen beim preisgebundenen Wohnungsbau ist eine rasche Veränderung des Investitionsklimas nicht zu
erwarten.
Die Beurteilung der jeweiligen Wohnungsmarktsituation hängt nicht zuletzt von
der Entwicklung eventueller Leerstände ab. Die Leerstandsquote ist von 2,7
Prozent im Jahr 2001 auf 1,7 Prozent im Jahr 2002 gesunken.22 1996 lag die
Quote noch bei 0,2 Prozent.23 Ein Blick in die einzelnen Regionen zeigt, dass
es auch hier erhebliche Unterschiede gibt. Während die Leerstandsquoten im
Münsterland, im südwestlichen Rheinland, an der Rheinschiene und am Niederrhein unter einem Prozent liegen, fallen die Werte im Ruhrgebiet und in Südwestfalen mit 1,8 und 2,6 Prozent schon sichtbar höher aus.24 Seitens des Wohnungsbauministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen werden in vielen Ruhrgebietsmetropolen schon wesentlich höhere Leerstandsquoten - teilweise bis
21 Wfa NRW 2002d, S. 44.
22 Wfa NRW 2003c, S. 28.
23 Wfa NRW 2002d, S. 40.
24 Wfa NRW 2002c, S. 33.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
zu zehn Prozent - befürchtet.25 Ebenso teilt die Wfa mit, dass es immer weniger
Unternehmen gibt, die überhaupt nicht mit Leerständen konfrontiert sind.26
Angesichts der großen Altbestände im Geschosswohnungsbau in den Ballungsräumen und deren eingeschränkte Wohnqualität wird die Zukunft in einer
verstärkten Modernisierung bis hin zum Rückbau liegen, teilweise im Zusammenhang mit der Notwendigkeit des Stadtumbaus. Bei der hohen Verdichtung
und entsprechend hohen Baulandpreisen wird es in Nordrhein-Westfalen
zwangsläufig einen Bedarf an Wohnungen in Mehrfamilienhäusern geben. Auch
die zunehmende Zahl der Single- und Zweipersonenhaushalte spricht dafür. Es
gibt eine wachsende Gruppe von Personen, die die Vorteile des urbanen Lebens
schätzen. Gleichzeitig zeichnet sich ein neuer Trend zur Rückwanderung in die
Stadt im Alter ab.27 Allerdings stellen beide Gruppen erhebliche Anforderungen
an die Qualität der Wohnungen und des Wohnumfeldes. Insgesamt wird das
aktuelle Investitionsklima bei der Bestandsverbesserung von den Experten als
eher gut eingestuft.28
Preisgebundener Wohnungsbau
Ende 2002 umfasste der Bestand an Sozialwohnungen in Nordrhein-Westfalen
insgesamt 1,102 Millionen Wohneinheiten (alle Förderwege). Davon befindet
sich mit rund 453.700 Wohnungen der größte Anteil im Ruhrgebiet.29 Der preisgebundene Wohnungsbestand nimmt sowohl im Bereich des selbstgenutzten
Wohneigentums als auch bei den Mietwohnungen kontinuierlich ab (vgl. Abb. 6).
Noch Anfang der 1990er Jahre betrug der Anteil der Wohnungen mit Belegungsbindungen am gesamten Wohnungsbestand in Nordrhein-Westfalen rund
20 Prozent, bis zum Jahr 2002 ging der Anteil auf 14 Prozent zurück.30
Die Struktur des gesamten preisgebundenen Wohnungsbestandes wird von
Mietwohnungen dominiert, nur 14 Prozent entfallen auf den Eigentumsbereich.
Der bisherige Erste Förderweg stellte am Ende des Jahres 2002 mit 1,029 Millionen Wohnungen den Schwerpunkt der Förderung. Auf den Zweiten und Dritten Förderweg entfallen im Jahr 2002 jeweils rund 70.000 bzw. 2.500 Wohnungen.31
25 Krupinski 2002, S. 185.
26 Vgl. Wfa NRW 2003c, S. 28.
27 Möller/Günther 2003, S. 69.
28 Wfa NRW 2003a, S. 21.
29 Wfa NRW 2003b, S. 46.
30 Wfa NRW 2003b, S. 46.
31 Wfa NRW 2003b, S. 46f.
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Wohnungsmärkte
1.200.000
1.000.000
800.000
Prognose
600.000
400.000
200.000
0
1992
1993 1994
1995
1996
Selbst genutztes Wohneigentum
1997 1998
1999
2000
Mietwohnungen
2001
2002
2004
2008
2009
2019
Nordrhein-Westfalen gesamt
Abb. 6: Preisgebundener Wohnungsbestand in der Darlehensverwaltung
Angaben: Anzahl der Wohnungen am 31. Dezember des Jahres
Quelle: Wfa NRW
Im Zeitraum zwischen 1992 und 2001 ist der Mietwohnungsbestand im Ersten
Förderweg um 27 Prozent zurückgegangen. Vor allem in den Ballungskernen an
Rhein und Ruhr sind Rückgänge um 33 Prozent zu verzeichnen. Demgegenüber
hat die Zahl der Sozialwohnungen in den ländlichen Regionen um über zehn
Prozent zugenommen.32 In den nächsten Jahren wird sich der Bestand insgesamt weiter deutlich reduzieren. Bis zum Jahr 2009 wird nach Prognosen der
Wfa durch den Wegfall von Belegungsbindungen die Zahl von Mietwohnungen
im Ersten Förderweg um ca. 440.000 Wohnungen abnehmen. Im Jahr 2019
macht der Mietwohnungsbestand dann nur noch die Hälfte des heutigen
Bestandes aus. Dies hat zur Folge, dass die verbleibenden Bestände eine
bedeutendere Rolle für die Versorgung der Zielgruppen des sozialen Wohnungsbaus und für die jeweilige kommunale Wohnungspolitik einnehmen werden.33
Der abnehmende Sozialwohnungsbestand führt in Verbindung mit der wieder
leicht steigenden Zahl wohnungssuchender Haushalte dazu, dass es für
Berechtigte zunehmend schwieriger wird, eine preisgebundene Wohnung zu
finden. Die Zahl der suchenden Haushalte stagnierte 2002 mit 102.400 weiterhin auf einem hohem Niveau. Von den landesweit auf rund 3,4 Millionen im
Sinne des Wohnraumförderungsgesetzes hochgerechneten berechtigten Personen sind vor allem Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund, Dauerarbeitslose, kinderreiche Familien und Alleinerziehende betroffen, die nach wie vor
32 Wfa NRW 2002a, S. 20f.
33 Arbeitskreis „Wohnungswirtschaftliche und soziale Situation in hochverdichteten Sozialwohnungsbeständen in NRW“ 1999.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Zugangsprobleme zum Wohnungsmarkt haben.34 Nach der Expertenbefragung
der Wfa hält bereits ein Drittel der Befragten die Lage im preisgebundenen
Segment für angespannt.35
Baulandmärkte
Angebot und der Preis des Baulands sind wichtige Einflussfaktoren für die Bautätigkeit und in der Konsequenz auch für die Entwicklung der Wohnungsmärkte. Das Bauflächenangebot ist zunächst weitgehend von den Entscheidungen
der Kommunen abhängig. Darüber hinaus wird es durch die Vorgaben der Landesplanung, hier insbesondere durch die Gebietsentwicklungsplanung gesteuert.
Im Jahr 2002 wurden in Nordrhein-Westfalen mit 4.855 baureifen Grundstücken
erstmals wieder mehr Grundstücke gegenüber dem Vorjahr veräußert. Dennoch
liegt diese Zahl weit unter den Ergebnissen der 1990er Jahre, in denen im Mittel
11.000 Grundstücke verkauft wurden. Mit über 45 Prozent fanden die meisten
Gründstücksverkäufe in den Mittelstädten statt. In den Kleinstädten mit 10.000
bis 20.000 Einwohnern war 2002 ein Anstieg um 27,3 Prozent, in Gemeinden bis
10.000 Einwohnern sogar um 39,4 Prozent zu verzeichnen.36
Im Durchschnitt lag der Quadratmeterpreis für baureifes Land im Jahr 2002 bei
114 Euro. Damit stagniert das bis Ende der 1990er Jahre schrittweise angestiegene Baulandpreisniveau seit drei Jahren. Die Preise für Grundstücke im Einund Zweifamilienhausbau haben sich in fast allen Gemeinden des Landes
erhöht (vgl. Abb. 7). Zwischen den Ballungsräumen und dem ländlichen Raum
gibt es jedoch ein erhebliches Gefälle sowohl im Preisniveau als auch in der
Preisdynamik. Im ländlichen Raum steigen die Grundstückspreise überdurchschnittlich. Die höchsten Steigerungen weisen die Regionen um die solitären
Kerne Münster, Paderborn und Bielefeld auf. Ebenso verzeichnen die Suburbanisierungsbereiche um die Zentren Düsseldorf und Köln hohe Preiszuwächse.
Nach wie vor ist das regionale Niveau der Bodenpreise sehr unterschiedlich. In
den Kommunen unter 10.000 Einwohnern sind die Baulandpreise zwischen
1995 und 2002 um 49,6 Prozent auf 64 Euro gestiegen. Teilweise kann in den
ländlichen Regionen das Preisniveau sogar unter 30 Euro liegen. In Städten mit
mehr als 100.000 Einwohnern stieg der Kaufwert im Mittel lediglich um 14,4 Prozent auf 216 Euro. Im Ballungsraum an der Rheinschiene ist das Preisniveau
besonders hoch. Neben München gehört Düsseldorf mit 430 Euro pro Quadrat-
34 Wfa NRW 2003b, S. 18f.
35 Wfa NRW 2003a, S. 15.
36 Wfa NRW 2003c, S. 11.
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Wohnungsmärkte
Abb. 7: Bodenpreisentwicklung Grundstücke für Ein- und Zweifamilienhäuser 1998 bis 2002
Quelle: Oberer Gutachterausschuss, Wfa NRW
meter im bundesweiten Vergleich zu den teuersten Wohnstandorten und bildet
für mittlere Wohnlagen die Spitze, gefolgt von Köln mit 315 Euro pro Quadratmeter. Für die Zukunft geht die Wfa davon aus, dass die Preise im ländlichen
Raum weiter ansteigen werden, zumal das Ausgangsniveau dort deutlich niedriger ist als in den Ballungsräumen.37 Hier wird der im Zuge der Suburbanisierung
zu beobachtende „Reifeprozess“ des Stadtumlandes nachvollzogen (siehe dazu
die Ausführungen in Kapitel B4).
37 Wfa NRW 2002c.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Das deutlich höhere Preisniveau in den Ballungsräumen beruht zum einen auf
dem geringeren Baulandangebot, zum anderen aber auch auf den höheren
Infrastrukturkosten einer Großstadt. Viele Umlandgemeinden bieten zwar preiswerte Flächen, überlassen aber die Versorgung ihrer neuen Einwohner z.B.
durch Schulen und kulturelle Einrichtungen weiterhin der Kernstadt.
Der Mangel an preiswertem Bauland hat im Wesentlichen zwei Gründe. Erstens
wurde über Jahre eine zurückhaltende Baulandpolitik betrieben. Es mangelt
selbst heute nicht an Forderungen, das Baulandangebot noch weiter zu drosseln.38 Vor allem die Flächen für Eigenheime und hochwertigen Geschosswohnungsbau reichen nicht aus, die Nachfrage zu decken. Ein enger Bodenmarkt
wirkt im Rahmen der Suburbanisierung somit als Push-Faktor: Viele junge Familien und „Aufsteiger“ sind durch das Preisniveau überfordert und gehen den
Städten verloren. Nicht selten wurde auch der Versuch gemacht, durch eine entsprechende Preisgestaltung kommunale Haushaltspolitik zu betreiben. Das gilt
zum Teil bis heute z.B. in Regionen des Münsterlands.39
Gerade im Ruhrgebiet gibt es Städte wie z.B. Herne oder Essen, die kaum noch
über ungenutzte Flächen für den Wohnungsbau verfügen. Sind Freiflächen vorhanden, verbietet sich häufig deren bauliche Nutzung, da sonst die Wohnqualität des Umfeldes durch Nachverdichtung weiter sinkt. Dagegen prägen Industriebrachen, Konversionsflächen und nicht mehr nachgefragte Wohnsubstanz
mit erheblichen Leerständen das Bild.
Flächen sind zwar vorhanden, die enormen Kosten für Abriss, Altlastenbeseitigung
und Sanierung sind durch die Kommunen jedoch allein nicht tragbar. Für die Wohnungswirtschaft stehen diese Flächen aufgrund der hohen Aufbereitungskosten
außer Konkurrenz.40 Bei größeren Arealen sind Kommunen und kleine Wohnungsbauunternehmen mit der Gebietsentwicklung und dem Marketing überfordert.
Aufgrund der innerstädtischen Flächenpotenziale, sinkender Einwohnerzahlen,
der sich abzeichnenden Sättigung von Wohnungsteilmärkten und der inzwischen deutlichen Urbanisierung des Ballungsrandes plant die Landesregierung
bei der anstehenden Novelle der Landesplanung, den Freiflächenverbrauch im
Sinne einer nachhaltigen Raumordnung insgesamt deutlich zu begrenzen.41 Sie
begründet diesen Schritt mit dem nach wie vor zu hohen Freiflächenverbrauch
in Deutschland von täglich 117 Hektar.42 Die geplante Rückführung des Wachstums ist - trotz weitgehendem Konsens über eine Reduzierung des Freiflächen38 Aring 1999, S. 20.
39 Badde 2002, S. 59f.
40 Möller/Günther 2003, S. 98.
41 Chef der Staatskanzlei 2001.
42 Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung vom 30. Juli 2003.
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Wohnungsmärkte
verbrauchs - Gegenstand heftiger Diskussionen. Es wird befürchtet, dass eine
undifferenziertes Reglementierung den Entwicklungschancen des ländlichen
Raums entgegenstehen könnte. Darüber hinaus werden drastische Preissteigerungen und Bodenspekulationen befürchtet.43
Mieten und Nebenkosten
Die Wohnungsmiete ist neben der Bevölkerungsentwicklung, der Zahl der Haushalte und dem Baulandaufkommen ein weiterer wesentlicher Faktor für den
Wohnungsmarkt. Mieten sind der wichtigste Ausgabeposten der privaten Haushalte und beeinflussen somit den individuellen Lebensstandard erheblich.
Nach dem Mietenindex des LDS stiegen die Bestandsmieten im Zeitraum 1990
bis 2001 um 44 Prozent. Auf die Phase von 1990 bis 1995 mit verstärkter
Zuwanderung entfallen davon 28,4 Prozent. Im Zusammenhang mit der allgemeinen Entspannungstendenz sanken die Neuvertragsmieten ab dem Jahr 1995
hingegen auf breiter Front. Insbesondere in Südwestfalen, im Münsterland
sowie im nördlichen und östlichen Ruhrgebiet ist seit 1996 eine Stagnation oder
ein Rückgang der Mietkosten erkennbar.44 Für 2002 verzeichnete die Wfa nur
noch in Köln und in Bielefeld einen Anstieg. In Düsseldorf sanken die Mieten
erstmals auf das Niveau vom Herbst 2001. Bei sinkenden Haushaltseinkommen
erhöhte sich trotz stagnierender Mieten die Wohnkostenbelastung gegenüber
dem Vorjahr um einen halben Prozentpunkt auf 28,5 Prozent.45 Darüber hinaus
haben sich die Mietnebenkosten zu einer zweiten Miete entwickelt, die jährlich
ansteigt. Inzwischen liegt die Entwicklung der Nebenkosten mit 51,2 Prozent auf
Rang Eins der aktuellen Probleme auf dem Mietwohnungsmarkt in der jährlichen
Expertenbefragung der Wfa.46
6.1.2 Differenzierung der Wohnungsnachfrage
Entwicklung neuer Zielgruppen
Die Prognosen zur Bevölkerungs- und Haushaltsentwicklung zeigen, dass der
traditionelle Familienhaushalt - die typische Musterfamilie mit Vater, Mutter und
43 Schink 2002, S. 55.
44 Neuvertragsmieten nach Auswertung der Inserate in den örtlichen Tageszeitungen (Wfa NRW
2002e, S. 8ff.).
45 Wfa NRW 2003c, S. 31ff.
46 Wfa NRW 2003a, S. 17f.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
zwei Kindern - immer weniger gelebte Realität ist. Für die Wohnungsmärkte hat
dies erhebliche Auswirkungen. Die Wohnung, die weitgehend auf die Bedürfnisse einer Familie mit Kindern ausgerichtet ist, entspricht immer weniger der
Nachfrage. Durch den gesellschaftlichen Wertewandel, der von einer zunehmenden Individualisierung und gleichzeitigen Pluralisierung von Lebensstilen
geprägt ist, entstehen neue Haushaltsformen, die differenzierte Anforderungen
an die Wohnungswirtschaft stellen. Besonders deutlich ist der auch in Zukunft
weiter anhaltende Trend zu Single- und Zweipersonenhaushalten, der auf die
Veränderung der Altersstruktur und die Singularisierung zurückzuführen ist
(siehe dazu die Ausführungen in Kapitel B2). Welche Dynamik diese Entwicklung
in Zukunft annehmen kann, zeigt bereits heute der Blick auf den Wohnungsmarkt in Hamburg.47
Gerade ältere Menschen, die einzige Bevölkerungsgruppe, die relativ und absolut wächst, leben überwiegend in Ein- und Zweipersonenhaushalten.48 Mit
zunehmendem Alter steigt der Anteil der Einpersonenhaushalte und erreicht in
der Gruppe der über 70jährigen 44,4 Prozent (vgl. Abb. 8). Durch die Entspannung am Wohnungsmarkt wird es jungen Menschen in der Altersgruppe 20 bis
30 Jahre erleichtert, ihren eigenen Haushalt zu bilden. Junge berufstätige Frauen leben inzwischen vor einer Familiengründung in der Regel in einer eigenen
Wohnung.49 Senioren, Starterhaushalte, Singles, kinderlose Paare und Alleinerziehende mit ihren speziellen Bedürfnissen sind die neuen Zielgruppen der
Wohnungswirtschaft.
Wohnqualität und Wohnfläche
Die Situation der Wohnungsmärkte ist nicht nur von der Quantität, sondern
zunehmend von der Qualität des Wohnungsangebots und des jeweiligen Umfeldes abhängig. Neben dem Preis sind die Größe der Wohnung, das Alter, der
Standort, die bauliche Ausstattung und nicht zuletzt das Wohnumfeld entscheidend für die Nachfrage bzw. deren Marktfähigkeit: „Die Menschen wollen qualitativ hochwertige, ausreichend große, aber dennoch bezahlbare Wohnungen in
einem angenehmen physischen und sozialen Wohnumfeld“.50
Bei einem wachsenden Freizeitbudget und einer längeren Lebenserwartung
gewinnt die Wohnung und das Wohnumfeld an Bedeutung. Der Wunsch nach
mehr Freiraum und individueller Gestaltung des persönlichen Umfelds erklärt
auch den anhaltenden Trend zum Eigentum. Im deutlichen Gegensatz dazu ste-
47 Siehe dazu Häußermann 2002 und Statistisches Landesamt Hamburg 2003, S. 19f.
48 Eichener/Schauerte/Klein 2002, S. 19.
49 Häußermann 2002, S. 29.
50 Eichener/Schauerte/Klein 2002, S. 55.
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von 50.000 bis unter
200.000 Einwohner
108
108
unter 50.000 Einwohner
108
109
109
ab 200.000 Einwohner
110
109
112
110
Wohnungsmärkte
105
105
105
102
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102
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104
104
104
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105
105
106
106
99
100
100
100
100
98
98
96
94
92
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
Abb. 8: Entwicklung der Einpersonenhaushalte nach Gemeindegrößenklassen
Angaben: Anteil der Bevökerung in Einpersonenhaushalten (Index 1992 = 100)
Quelle: Veser/Jaedicke/Höß 2001, S. 31
hen die hergebrachten Standards des Geschosswohnungsbaus, vor allem bei
den preisgebundenen Wohnungen der 1960er und 1970er Jahre. Die wachsenden Leerstände zeigen, dass Großwohnsiedlungen in der Regel zu wenig Raum
für individuelle Wohnpräferenzen bieten und deshalb tendenziell mit einem
negativen Image befrachtet sind.
Die Wanderungsmotivuntersuchungen in Städten wie Dortmund oder als Vergleich Hamburg ergeben als einen der wichtigsten Gründe für die Abwanderung
den Wunsch nach mehr Grün und Freiraum. Besonders ausgeprägt ist dies in
der Altersgruppe der 30 bis 40jährigen, jener Phase, in der meist ein Haushalt
und eine Familie gegründet wird. Deshalb ist die Abwanderungstendenz in dieser Gruppe in beiden Städten besonders hoch. Anders sieht es bei den 15 bis
30jährigen aus. Der Wunsch nach Ausbildung, Berufskarriere und vielfältiges
Großstadtleben steht im Vordergrund, so dass in dieser Altersgruppe die
Zuwanderung überwiegt.51
Der Wunsch nach mehr Freiraum lässt sich unabhängig von der Eigentumsfrage an der Entwicklung der von den Haushalten bewohnten Fläche nachvollziehen. So verdoppelte sich seit 1972 der Anteil der Haushalte, die eine Wohnung
51 Sierau 2002, S. 17 und Statistisches Landesamt Hamburg 2003, S. 9.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
mit 100 Quadratmeter oder mehr
bewohnen auf 30 Prozent im Jahr
Seniorenhaushalte
1998.52 Auch die Wohnfläche pro
Einwohner hat in den letzten JahSingle-Haushalte
ren deutlich zugenommen. Die
alleinerziehende
individuelle FlächeninanspruchHaushalte
nahme wuchs von 1950 bis 1996
kinderreiche Haushalte
von 15 auf 37 Quadratmeter um
Haushalte
mehr als das Doppelte.53 Für
ohne Kinder
2002 liegt der Wert nach Angesamt
gaben der Wfa bei 38,4 Quadrat15 20 25 30 35 40 45 50 55 60
meter. Die Wohnungsgröße
2003
2001
1999
schwankt zwischen 74,3 Quadratmetern in den Großstädten
Abb. 9: Wohnflächenversorgung verschiedener Haushaltstypen
und 98,1 Quadratmetern auf dem
Angaben: Quadratmeter pro Person, Mieterbefragung
Land.54 Auf die EinpersonenWfa NRW
haushalte entfällt der höchste
Quelle: Wfa NRW
Flächenverbrauch (vgl. Abb. 9).
Unerwünschter Nebeneffekt dieser Entwicklung ist dabei die voranschreitende Zersiedelung, durch die noch
vorhandene Freiräume bebaut werden. Die Gesamtentwicklung der Bebauung
von Freiräumen hebt den vorübergehenden Nutzen des nahen Freiraums also
wieder auf. Siedlungen, die vor 30 Jahren am Stadtrand lagen, finden sich heute
mitten in der Stadt wieder.
ausländische Haushalte
Der Trend zu größeren Wohnungen wird bis 2014 noch weiter wachsen. Während kleine Wohnungen von bis zu 60 Quadratmeter landesweit um acht Prozent
weniger nachgefragt werden, steigt der Bedarf an großen Wohnungen über
100 Quadratmeter um 23 Prozent.55 Eine Ausnahme bilden Universitätsstädte,
in denen Studenten eher kleinere Wohnungen nachfragen. Trotz kleinerer Haushalte wächst also der Flächenbedarf. Ein großer Teil der älteren Menschen bleibt
auch nach dem Ableben des Partners in seinem bisherigen Umfeld wohnen.
Ähnliches gilt für Haushalte jungen und mittleren Alters im Fall von Trennung
oder dem Auszug der Kinder. Gleichzeitig nimmt der Anteil der jungen Bevölkerung bis 40 Jahre, die als Einsteiger eher zu kleineren Wohnungen tendieren, aus
demografischen Gründen beständig ab.
52 Veser/Jaedicke/Höß 2001, S. 39.
53 ILS NRW 2002a, S. 12.
54 Wfa NRW 2003c, S. 27.
55 Veser/Jaedicke/Höß 2001, S. 42ff.
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Wohnungsmärkte
6.1.3 Regional unterschiedliche Entwicklungen
der Wohnungsmärkte
Der Wohnungsmarkt ist in den letzten Jahren zunehmend komplexer geworden.
Durch die Entspannung auf den Wohnungsmärkten treten bisher verdeckte
regionale Unterschiede z.B. in der Bevölkerungsentwicklung, der Verteilung der
Haushaltstypen und im Verhältnis von Wohneigentum zum Geschosswohnungsbau deutlicher hervor. Die Zuwanderungen kompensieren nicht länger die
anhaltenden Geburtendefizite, vor allem in den Ballungsräumen. Die stark differierende wirtschaftliche Dynamik einzelner Regionen wird klarer erkennbar.56
Es treten aber nicht nur die Unterschiede deutlicher hervor, sondern es zeigen
sich auch die starken regionalen Verflechtungen zwischen den einzelnen Kommunen. Für die meisten Menschen sind administrative Grenzen im täglichen
Leben nahezu bedeutungslos geworden. Man wohnt in der einen Gemeinde,
arbeitet in einer anderen, kauft in der dritten ein und besucht am Abend in einer
weiteren das Theater. Diese regionale Verflechtung stellt neue Anforderungen an
Wohnungspolitik und -wirtschaft. Es gibt weder kommunal abgrenzbare Wohnungsmärkte noch landesweit einheitliche Wohnungsmärkte z.B. für den
Geschosswohnungsbau oder die Einfamilienhaussiedlung für die vierköpfige
Familie. Es gibt vielmehr zahlreiche regional differenzierte Teilmärkte, die einer
eigenen Perspektive und Entwicklungsstrategie bedürfen.
Regionale Wohnungsmarkttypen
Aufgrund dieser Entwicklung muss die Wohnungsbaupolitik stärker als bisher
den veränderten Anforderungen auf den Wohnungsmärkten Rechnung tragen.
Zur Vorbereitung von Entscheidungen sind regionale Wohnungsmarktprognosen erforderlich. Für das gesamte Land Nordrhein-Westfalen hat das Institut für
Stadtforschung und Strukturpolitik (IfS) im Auftrag des Wohnungsbauministeriums von Nordrhein-Westfalen eine Prognose für verschiedene Wohnungsmarktregionen erarbeitet.57 Auf Grundlage der regionalisierten Bevölkerungsprognose des LDS identifiziert das IfS sechs Wohnungsmarkttypen, die durch die Entwicklung und Struktur der Bevölkerung, die wirtschaftliche Situation und Einkommensentwicklung sowie durch den Wohnungsbestand und durch den Wohnungsbau unterschieden werden (vgl. Abb. 10).
Nach der Analyse des IfS wirkt sich die Bevölkerungsprognose des BBR aus
dem Jahr 2002 in Folge der erkennbaren Trends der Haushaltsverkleinerung und
56 Birg/Flöthmann 2003, S. 22.
57 Veser/Jaedicke/Höß 2001.
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Abb. 10: Sechs Wohnungsmarkttypen in Nordrhein-Westfalen
Quelle: Veser/Jaedicke/Höß 2001, S. 6
zum zunehmenden Wohnflächenkonsum unterschiedlich auf die einzelnen
Regionstypen aus (vgl. Abb. 11). Während die Ballungsraumstädte des Ruhrgebietes bis zum Jahr 2014 nicht nur Verluste bei der Bevölkerung, sondern auch
bei der Zahl der Haushalte verkraften müssen, können alle anderen Wohnungsmarkttypen mit mehr oder weniger deutlichen Zunahmen bei den Haushaltszahlen rechnen. Beim Wohnungsmarkttypus der Ruhrgebietsstädte ist der
Rückgang der Bevölkerung sogar so deutlich, dass auch die weitere Singularisierung nicht zu einer Zunahme von Haushalten führen wird.
Strukturelle Unterschiede der stadtregionalen Entwicklungen
Die Wfa geht bei ihren Analysen der regionalen Entwicklung von der bundesweiten Abgrenzung der Stadtregionen durch das BBR aus.58 Von den 62 Raum58 Hier aktuell Göddecke-Stellmann/Kuhlmann 2000.
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Wohnungsmärkte
ordnungsregionen entfallen sie- 15 in
Prozent
ben auf Nordrhein-Westfalen: 10
der Ballungsraum Rhein-Ruhr,
die Region Aachen und Düren, 5
die Stadtregionen Siegen, 0
Münster und Paderborn sowie
die polyzentrale Agglomera- -5
Bevölkerung
Haushalte
tion um Gütersloh, Bielefeld, -10
Wohnungsmarkttyp
Herford und Minden. Auf der
1
2
3
4
5
6
NRW
Grundlage ihrer eigenen Marktbeobachtung unterteilt die Wfa Abb. 11: Veränderung der Haushalte und der Bevölkeden Ballungsraum Rhein-Ruhr rung 1999 bis 2014 nach Wohnungsmarkttyp
in fünf weitere Teilräume: Ruhr- Angaben: Veränderung in Prozent
Quelle: Veser/Jaedicke/Höß 2001, S. 34
gebiet Ost, Ruhrgebiet West,
Düsseldorf/Niederrhein, das
Bergische Städtedreieck und Köln/Bonn.59 Um strukturell unterschiedliche Entwicklungen innerhalb der Regionen von Nordrhein-Westfalen zu identifizieren,
werden die elf Regionen mit Hilfe eines kompakten Indikatorensatzes aus der
landesweiten Wohnungsmarktbeobachtung untersucht.
Dabei werden drei Gruppen mit jeweils ähnlichen Strukturen und Entwicklungstendenzen identifiziert:
• Zum Stadtregionstyp 1 - hohes Wachstum in der gesamten Region - zählen
derzeit die boomenden Städte, die eine prosperierende Entwicklung in der
gesamten Region aufweisen und auch in naher Zukunft weitere Zuwächse in
Angebot und Nachfrage zu erwarten haben. Bis 2015 wird ein hoher Neubaubedarf vor allem bei Ein- und Zweifamilienhäusern erwartet. Dies betrifft
beispielsweise die Stadtregion Paderborn. Vergleichbar dürfte die Entwicklung in der Stadtregion Düren verlaufen. Das südliche Rheinland bildet einen
zweiten ländlich geprägten Wachstumspol.
• Im Stadtregionstyp 2 - Umland wächst, Kernstadt stagniert - ist eine abnehmende Entwicklungsdynamik, insbesondere im Bereich der Kernstadt und
des Kerngebiets zu erwarten, während sich die Pendlereinzugsbereiche
leicht positiv entwickeln werden. Dies betrifft die Region Düsseldorf/Niederrhein. Ähnliche Entwicklungen bestehen in den Wohnungsmarktregionen
Münster und Aachen; daneben auch in der Region Bielefeld/Gütersloh/Minden, wobei letztgenannte manche Aspekte (Bevölkerungsstruktur, Wohnungsbestand) eher mit dem altindustrialisierten Typ gemeinsam hat.
• Der Stadtregionstyp 3 - altindustrielle Kerne verlieren, Umland wächst moderat - weist ein deutliches Entwicklungsgefälle von außen nach innen auf: Die
59 Wfa NRW 2003c, S. 39.
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Pendlereinzugsbereiche gewinnen noch leicht, im Kerngebiet und in der
Kernstadt sind hingegen weitere Stagnation oder sogar Verluste zu erwarten.
Im Vergleich zu den anderen beiden Stadtregionstypen weisen die altindustriellen Regionen in Zukunft die schwächste Dynamik in ihrer Entwicklung
auf. Als Beispiel steht hier die Region Westliches Ruhrgebiet; ähnlich strukturiert ist der Wohnungsmarkt in den Bergischen Städten, im östlichen Ruhrgebiet und in der Region Siegen.
Insgesamt werden sich die Wohnungsmärkte unterschiedlich entwickeln und
immer stärker ausdifferenzieren. Untersuchungen innerhalb einzelner Regionen
wie Münster zeigen zudem, dass auch sie keine homogene Struktur haben, sondern in einzelne Teilmärkte zerfallen. Je komplexer der Markt, umso wichtiger
wird die Information als Ressource für investive und politische Entscheidungen
in der Kommune.60 1998 haben sich deshalb 16 Städte an einem Modellversuch
zur Kommunalen Wohnungsmarktbeobachtung Nordrhein-Westfalen (KomWoB)
beteiligt, um ein Netzwerk und Kooperationsbeziehungen zur Analyse und Vernetzung wohnungsmarktrelevanter Daten aufzubauen.61 Alle beteiligten Kommunen haben inzwischen Wohnungsmarktberichte veröffentlicht und setzen ihre
Arbeit in einem Initiativkreis fort.62 2002 wurde aufgrund des starken Interesses
eine weitere Arbeitsgruppe KomWoB II eingerichtet.
6.1.4 Wohnungsmarkt und Segregation
Die Regionalisierung der Wohnungsmärkte wird von deutlichen sozialen Entwicklungsdivergenzen in den Städten begleitet. Dabei prägt sich eine kleine
Gruppe wohlhabender, stark mittel- und oberschichtgeprägter Städte, eine
große Gruppe moderner Städte mit hohem Tertiärisierungsgrad und mit einer
starken sozialräumlichen Polarisierung sowie eine Gruppe armer, nur in geringem Maße segregierter Städte aus (siehe auch Kapitel B5).
Der Wohnungsmarkt hat einen bedeutenden Einfluss auf das Ausmaß sozialer
und ethnischer Segregation. Insbesondere in schrumpfenden Städten mit stark
entspannten Wohnungsmärkten wie Essen kann eine besondere Dynamik der
Segregation entstehen. Durch Überhänge in bestimmten Wohnungsmarktsegmenten wird der innerstädtische Wohnungswechsel für wirtschaftlich leistungsfähigere Haushalte erleichtert. Die einkommensschwachen Haushalte verbleiben im benachteiligten Quartier. Darüber hinaus ist in den letzten Jahren eine
60 Kreibich 2000.
61 Wfa NRW 2002c, S. 34f.
62 Beispiele: Stadt Dortmund 2002b, Stadt Münster 2002b.
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Wohnungsmärkte
Entmischung der Bevölkerung nach Altersgruppen bzw. Lebenszyklen zu beobachten. Die Kernstädte verlieren Haushalte mit Kindern, während Senioren hier
verbleiben. Durch die Stadtumlandwanderung wird die räumliche Segregation
verstärkt, da überwiegend einkommensstarke und jüngere Haushalte die Ballungsräume verlassen.
Anders sieht es in wachsenden Städten mit angespannten Wohnungsmärkten
aus. Sie erschweren die Fluktuation und führen zu Verdrängungen von benachteiligten Bevölkerungsgruppen aus bestimmten Quartieren. Trotzdem gilt auch
hier: Die drei städtischen Wohnungsmarktsegmente - freier Mietwohnungs-,
Eigentumsmarkt und preisgebundener Wohnungsbau - bedienen in Abhängigkeit vom Bedarf und dem ökonomischen Potenzial der Wohnungssuchenden
unterschiedliche Nachfragehaushalte. Sie kanalisieren dadurch in bestimmte
räumliche Lagen und wirken so selektiv auf die Wohnstandortverteilung (siehe auch die weiteren Ausführungen in Kapitel B5).
Eine besondere Rolle spielt dabei das preisgebundene Wohnungsangebot. Die häufig verdichtete und monotone Bauweise, oftmals in peripherer Lage und mit schlechter Infrastruktur, sowie eine einseitige kommunale Belegungspraxis
haben vor allem in den Großwohnsiedlungen der 1960er und
1970er Jahre zu einer hohen sozialen und ethnischen Segregation geführt. Die Situation wird sich in den kommenden
Jahren noch verstärken. Einer wieder wachsenden Nachfrage stehen aufgrund wegfallender Bindungen immer weniger
Sozialwohnungen gegenüber. Nordrhein-Westfalen stellt
zwar bundesweit immer noch über die Hälfte der preisgebundenen Wohnungen, trotzdem halbierte sich von 1980 bis
2002 der Bestand auf 1,1 Millionen Wohneinheiten und wird
weiter zurückgehen.
So konzentrieren sich die einkommensschwachen Haushalte
auf immer kleinere Bestände mit Preisbindung. Die Entmischung wird weiter beschleunigt und die Wohnungswirtschaft zeigt vielerorts
wenig Bereitschaft für die verbleibende Zielgruppe zu bauen. Ein großer Teil der
einkommensschwachen Bevölkerung lebt bisher in Wohnungen des unteren
Preissegmentes des freien Wohnungsmarktes. Es sind meist Wohnungen im Altbestand mit minderer Qualität. Ihre Zahl wird sich durch Abriss und Modernisierung in den kommenden Jahren erheblich reduzieren und die Situation für
benachteiligte Gruppen auf dem Wohnungsmarkt weiter verschlechtern. Laut
Wfa gibt es rund 102.000 wohnungssuchende Personen, die erhebliche
Zugangsschwierigkeiten im freien Marktsegment haben.63 Auch in der aktuellen
63 Wfa NRW 2003c, S. 22.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Expertenbefragung der Wfa beurteilen gut die Hälfte der Befragten in allen
Regionstypen das Segment des sozialen Wohnungsbaus als das am stärksten
angespannte.64
6.1.5 Wohnraumförderung in Nordrhein-Westfalen
Aufgrund der starken Nachfrage war die Wohnungsbauförderung in NordrheinWestfalen zur Deckung des Bedarfs über Jahrzehnte auf den Bau von Mietwohnungen ausgerichtet. Insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren sind
zahlreiche Großwohnsiedlungen entstanden, die eine Hypothek für die Zukunft bedeuten.65
Aufgrund der veränderten Nachfrageentwicklung wurden die
Wohnungsbauprogramme der letzten Jahre verstärkt auf die
Wohneigentumsförderung ausgerichtet. Sie hatten ein durchschnittliches Volumen von rund 800 Millionen Euro, mit dem
der Bau von 13.500 Wohneinheiten gefördert werden sollte.
Im Jahr 2004 stehen 810 Millionen Euro bereit, die um das
Volumen des bisherigen Modernisierungsprogramms (175
Millionen Euro) erweitert werden sollen. Mit neuen Förderschwerpunkten sollen die besonderen Belange der älteren
Generationen verstärkt berücksichtigt werden. Dazu zählt
auch die Modernisierung von Alten- bzw. Pflegeheimen im
Rahmen eines Modellversuchs.
Eine Besonderheit der Wohnungsbauförderung in NordrheinWestfalen stellt das Modellprojekt der regionalen Budgetierung in der Region Bonn/Rhein-Sieg-Kreis dar.66 Seit dem
Jahr 2001 wird den betroffenen Bewilligungsbehörden ein
Globalbudget zur Verfügung gestellt, das auch Mittel des
Modernisierungsprogramms und das anteilige Aufkommen aus der Ausgleichszahlung enthält. Im Jahr 2003 steht für die Region ein Globalbudget von 45 Millionen Euro bereit. Dem Modellprojekt liegt angesichts der zunehmenden Regionalisierung von Wohnungsmärkten die Absicht zugrunde, nicht Verwaltungsgrenzen, sondern Wohnungsmärkte zu fördern.
64 Wfa NRW 2003a, S. 17.
65 Siehe dazu Krupinski 2002, S. 7.
66 Tatsächlich zählt zur Wohnungsmarktregion Bonn/Rhein-Sieg-Kreis ebenfalls der Kreis Ahrweiler, der jedoch als Landkreis des Landes Rheinland-Pfalz nicht in die Förderregion eingebunden
wird.
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Wohnungsmärkte
Nordrhein-Westfalen hat sich schon früh dem Problem einer zunehmenden sozialräumlichen Polarisierung gestellt. Das erstmals in den Jahren 1993 und 1994
aufgelegte Programm „Integriertes Handlungskonzept für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“ übernahm eine Vorbildfunktion für das bundesweite
Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt“.
Das ressortübergreifende Handlungskonzept setzt vor allem in altindustriellen,
meist innenstadtnahen Quartieren der Gründerzeit und in Großsiedlungen der
1960er und 1970er Jahre an (mehr zum Programm vgl. Kapitel B5).
Ein wichtiges und innovatives Programm des Landes in der Verknüpfung von
Wohnungs- und Sozialpolitik ist das Modellprogramm „Wohnungslosigkeit vermeiden - dauerhaftes Wohnen sichern“. Das Sozialministerium unterstützt dabei
für einen befristeten Zeitraum wohnungs- und sozialpolitische Maßnahmen, die
die Wohnungsbauförderung ergänzen. Seit Initiierung des Programms ist die
Zahl der Wohnungslosen kontinuierlich gesunken. In der Folge konnten problematische Schlichtwohnsiedlungen und Notunterkünfte aufgelöst werden.67 Da
sowohl die preisgebundenen Wohnungen wie auch die Wohnungen des unteren
Preissegmentes abnehmen, bleibt abzuwarten, wie lange dieser positive Trend
Bestand hat.
6.2 Wohnungsbedarf bis 2015
Die Lage am Wohnungsmarkt in Nordrhein-Westfalen hat sich in weiten Teilen
des Landes deutlich entspannt. Aufgrund der unterschiedlichen Bevölkerungsentwicklung in den einzelnen Regionen, steigender Haushaltszahlen und einem
zunehmenden Flächenverbrauch steht die Wohnungspolitik nunmehr vor neuen
Herausforderungen.
Wichtigstes Ziel der künftigen Wohnungspolitik bleibt die Versorgung möglichst
breiter Schichten der Bevölkerung mit angemessenem und bezahlbarem Wohnraum. Was die Wohnungsbaupolitik zu leisten hat, bringt Aring auf den Punkt:
„Eine zentrale Herausforderung für die Wohnungsbaupolitik liegt in der Sicherung eines entspannten Marktes. Ein entspannter Markt schafft die Freiräume
für eine qualitative Verbesserung des Bestands und für ökologische und soziale Innovationen“.68 Diese Aufgabe ist nur zu verwirklichen, wenn man auf möglichst genaue Informationen über den eigentlichen Wohnungsbedarf zurückgreifen kann.
67 Berendt/Höbel 2003.
68 Aring 1999, S. 19f.
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Für das Land Nordrhein-Westfalen ermittelt das IfS in seiner regionalisierten
Wohnungsbedarfsprognose einen Neubaubedarf von insgesamt rund 964.000
Wohnungen bis zum Jahr 2014. Der Bedarf begründet sich insbesondere durch
die Zunahme der Haushalte und den Ersatz für Wohnungsabgänge durch
Abriss, Zusammenlegung bzw. Umwidmung von Wohnraum sowie durch die
Anpassung des Bestands an die künftigen Nachfragestrukturen und durch
Zweitwohnungen.69
Der Gesamtbedarf teilt sich auf in 562.000 Wohneinheiten im Bereich von Einund Zweifamilienhäusern, 242.000 Mietwohnungen sowie 161.000 Eigentumswohnungen.70 Das Wohneigentum stellt laut IfS den Großteil des Neubaubedarfs. Auch das Pestel Institut geht mit 370.000 Wohneinheiten von einem höheren Bedarf an Ein- und Zweifamilienhäusern gegenüber dem Geschosswohnungsbau aus und prognostiziert einen weiteren Zubaubedarf von insgesamt
rund 659.000 Wohnungen bis zum Jahr 2015.71 Dagegen berechnet das BBR
einen Gesamtbedarf von zusätzlich 879.500 Wohnungen, der sich in etwa auf
beide Hausformen gleich verteilt.72
Aufgrund der regional unterschiedlichen demografischen Entwicklung und
Bevölkerungsstrukturen erwartet das IfS beim Neubaubedarf bis 2014 erhebliche Unterschiede zwischen den Wohnungsmarktregionen (vgl. Abb. 12). Die
Spanne liegt zwischen 3,7 Prozent des derzeitigen Wohnungsbestands in den
Ruhrgebietsstädten, bis hin zu 22,6 Prozent in den ländlichen Regionen an den
Landesgrenzen. Dabei handelt es sich überwiegend um Ersatzbedarf, das heißt
um den Ausgleich von Abrissen und sonstigen Bestandsverlusten - in den Ruhrgebietsstädten sogar ausschließlich.
Der Bedarf an Ein- und Zweifamilienhäusern dominiert den Neubau von Wohnungen in allen Regionen, wenn auch mit unterschiedlicher Prägnanz. Der Anteil
von Mietwohnungen am Neubaubedarf unterliegt einer großen Bandbreite.
Während in den Ruhrgebietsstädten und den nördlichen Ballungsgebieten der
Anteil bei 27 Prozent liegt, wird für die Großstädte des südlichen Rheinlands
sowie Münster Bielefeld und Siegen ein Anteil von 36, für die Umlandkreise von
30 Prozent angenommen. In den strukturell ländlich geprägten Kreisen wird
69 Veser/Jaedicke/Höß 2001, S. 34f. Das IfS erwartet, dass die Zahl der Haushalte in NordrheinWestfalen um 4,7 Prozent steigt.
70 Veser/Jaedicke/Höß 2001, S. 59.
71 Allerdings wird eingeräumt, dass die Entwicklung stark von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen abhängig ist. Zumindest zurzeit sind die Annahmen einer realen Produktivitätssteigerung von 1,2 Prozent pro Jahr und eines Wachstums des Brutto- bzw. Nettoeinkommens von
drei bzw. knapp ein Prozent pro Jahr nicht wirtschaftliche Realität (Möller/Günther 2003, S. 84).
72 BBR 2001b, S. 25.
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Wohnungsmärkte
25
in
Prozent
20
15
10
5
0
1
Neubaubedarf
gesamt
2
3
Mietwohnungen
Wohnungsmarkttyp
4
5
Ein- und Zweifamilienhäuser
(selbstgenutzt)
NRW
6
Eigentumswohnungen
(selbstgenutzt)
Eigentum gesamt
Abb. 12: Neubaubedarf in den Wohnungsmarkttypen bis zum Jahr 2014
Angaben: Neubaubedarf bezogen auf den Wohnungsbestand von 1999 in Prozent
Quelle: Veser/Jaedicke/Höß 2001, S. 55ff.
lediglich ein Bedarf von 21 bzw. 18 Prozent erwartet. Hier hat das Ein- bzw.
Zweifamilienhaus mit 63 bzw. 69 Prozent einen deutlich höheren Stellenwert.
Der vom IfS prognostizierte Neubaubedarf von jährlich ca. 64.000 Wohnungen
wurde in den Jahren 2001 und 2002 mit rund 61.000 bzw. 50.000 Neubauten
bereits unterschritten.
6.3
Neue Rahmenbedingungen für die Wohnungsmärkte in
Nordrhein-Westfalen - Handlungsempfehlungen
Insgesamt hat sich der Wohnungsmarkt in Nordrhein-Westfalen nach der letzten
Zuwanderungswelle zu Beginn der 1990er Jahre weitgehend entspannt. Die allgemeine Lage täuscht allerdings darüber hinweg, dass in weiten Teilen des Landes trotz sinkender Einwohnerzahlen die Haushaltszahlen weiterhin wachsen
und in einigen Regionen die Situation nach wie vor angespannt ist. Sollten die
Baufertigungszahlen weiterhin unter dem Niveau der Bedarfsprognosen bleiben,
können erneut Engpässe auftreten, die sich in den Metropolen der Rheinschiene bereits jetzt abzeichnen. Die Bedarfprognosen verdeutlichen, dass der Neubaubedarf der kommenden Jahre insbesondere als Ersatz für Wohnungsabgänge zu sehen ist und eine Marktanpassung des Bestands dominieren wird.
Aufgrund der regional spezifischen Entwicklungen spalten sich die Wohnungsmärkte immer stärker in Teilmärkte auf, die in den nächsten Jahren einen sehr
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unterschiedlichen Neubau- und Modernisierungsbedarf aufweisen. Während
insgesamt im Vergleich zu dem Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern die
Bedeutung des Mietwohnungsbaus zurückgeht, wird es in diesem Marktsegment an den Entwicklungsstandorten der Rheinschiene dennoch weiterhin
einen erheblichen Neubau- und Modernisierungsbedarf geben. Die Ballungsräume im Ruhrgebiet müssen sich angesichts der rückläufigen Einwohnerzahlen
in weiten Teilen frühzeitig auf einen Schrumpfungsprozess einstellen. Dabei
steht neben dem Rückbau die Notwendigkeit einer umfassenden Modernisierung des Bestands im Vordergrund. Hingegen besteht in den Umlandkreisen der
Kernstädte und den Kreisen im ländlichen Raum vor allem bei Ein- und Zweifamilienhäusern ein weiterer Neubaubedarf.
Die künftige Wohnungsbaupolitik in Nordrhein-Westfalen muss insbesondere
den veränderten Wohnungsmärkten und den damit zusammenhängenden divergenten Entwicklungen auf den Teilmärkten Rechnung tragen.
Regionale und teilmarktbezogene Wohnungsmarktanalysen
wie auch Wohnungsmarktprognosen sind in Zukunft nicht nur
für die Wohnungsbaupolitik, sondern auch für die Wohnungswirtschaft von besonderer strategischer Bedeutung.73 Aufgrund der komplexen Entwicklungen auf den Wohnungsmärkten benötigen Politik und Wohnungswirtschaft Bedarfsprognosen als fundierte Entscheidungsgrundlagen.74
Die Trends zu individuelleren und vielfältigeren Lebensformen
sowie die alternde Gesellschaft stellen in Zukunft immer
komplexere Anforderungen an die Qualität des Wohnungsangebots. Angesichts der anhaltenden Abwanderung der
Bevölkerung aus den Verdichtungsräumen und sozialen Segregationstendenzen ist eine Stärkung der Lebens- und Wohnumfeldqualität in den Großstädten erforderlich, die sich
gleichzeitig auf eine differenzierte Nachfrage durch neue Zielgruppen einstellt. Für Haushalte, die aus sozialen oder ethnischen Gründen erhebliche Zugangsschwierigkeiten zum
freien Wohnungsmarkt haben, wird sich der Wohnungsmarkt
im unteren Preissegment in den kommenden Jahren deutlich verengen. Vor diesem Hintergrund sind Konzepte notwendig, die eine Wohnungsversorgung für
die Zielgruppen der sozialen Wohnraumförderung sicherstellen.
Insbesondere im Ruhrgebiet werden sich die Ballungsraumstädte mehrheitlich
auf ein weiteres Schrumpfen der Bevölkerung und zum großen Teil auch eine
73 Schneider 2002, S. 33.
74 Wermker/Heil 2003, S. 8.
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Wohnungsmärkte
Abnahme der Haushalte einrichten müssen. Hier sollte die Bautätigkeit für
zukunftsgerichtete Anpassungen und Impulse für die Stadtentwicklung genutzt
werden. Durch die geringere Einwohnerzahl besteht die Chance zu einem Stadtumbau im Sinne von „mehr Stadt für weniger Einwohner“.75
Angesichts der sich zunehmend differenzierenden Wohnungsmärkte sind die
bisherigen landesweiten, einheitlichen Regelungen der Wohnungsbauförderung
und der projektbezogenen Förderinstrumente nicht mehr ausreichend. Mit einer
Regionalisierung der Wohnungspolitik besteht eine Perspektive, eine den spezifischen Belangen und Anforderungen der regionalen Wohnungsmärkte angepassten Wohnraumförderung in kommunaler Verantwortung umzusetzen.
6.3.1 Regionalisierung der Wohnraumförderung
Aufgrund der sich regional immer stärker unterscheidenden Entwicklungen der
Wohnungsmärkte und der zunehmenden Ausdifferenzierung der Nachfrage ist
das System eines einheitlichen, projektbezogenen Landeswohnungsbauprogramms kritisch zu hinterfragen. Lösungen für die immer kleinteiligeren Probleme der Wohnungsmärkte sollten weitgehend kommunal gefunden und flexibel
auf die regionalen Anforderungen ausgerichtet werden. Die vier Handlungsebenen Kommune, Regierungsbezirk, Land und parallel dazu die Wohnungswirtschaft sind zu unbeweglich, um rasche und für die in den Regionen vielfältigen
Problemlagen bedarfsgerechte Entscheidungen zu treffen.
Die positiven Erfahrungen aus dem seit dem Jahr 2001 bestehenden Modellprojekt der regionalen Budgetierung der Wohnungsbauförderung in der Region
Bonn/Rhein-Sieg/Ahrweiler zeigen eine Perspektive auf, wie die Wohnungsbauförderung entsprechend der unterschiedlichen regionalen Belange und Anforderungen der Wohnungsmärkte in Zukunft durch eine Stärkung kommunaler
Verantwortung gestaltet werden kann. Über die Verwendung der Mittel entscheidet die Region selbst. Unter Einhaltung der Wohnraumförderungsbestimmungen und im Rahmen einer regionalen Verwaltungsvereinbarung können die
beteiligten Bewilligungsbehörden die Mittel eigenständig nach den örtlichen
Erfordernissen einsetzen. In dem Modellprojekt orientiert sich die Förderung
nicht an den Verwaltungsgrenzen sondern an den Wohnungsmärkten. Gleichzeitig können Projekte durch den direkten Kontakt mit der Wohnungswirtschaft
zielgenauer umgesetzt werden.
Die Budgetierung der Förderung stellt jedoch hohe Anforderungen an die
Region. Im ersten Schritt ist eine Marktbeobachtung und ein Informationsaus-
75 van Suntum 2002, S. 14.
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tausch erforderlich. Es gilt, Vertrauen aufzubauen und Konkurrenzen zu überwinden. Im zweiten Schritt gilt es, eine gemeinsame Vorstellung vom regionalen
Wohnungsmarkt bis hin zu einem Masterplan zu entwickeln. Auf seiner Grundlage müssen die Entscheidungen über Entwicklungsflächen, die Art der Bebauung und die Verteilung der Mittel im regionalen Konsens fallen. Die einvernehmliche Kooperation zwischen den Gebietskörperschaften und den beteiligten
Wohnungsunternehmen ist zwingende Voraussetzung für das Funktionieren des
Modells. Landesmittel werden nur zur Verfügung gestellt, wenn man sich auf
einen gemeinsamen Rahmenplan geeinigt hat.76 Ob ein solcher Konsens erzielbar und vor allem tragbar ist, muss die Zukunft zeigen. Das Modellprojekt ist
finanziell gut ausgestattet und die bisherigen Projekte liegen bisher überwiegend im Bereich des Ein- und Zweifamilienhausbaus.77
Die unterschiedlichen Vorraussetzungen der Regionen in Nordrhein-Westfalen
verdeutlichen, dass Problemlösungen durch die Wohnraumförderung alleine
nicht zu leisten sind. Die Qualität des Wohnungsangebotes steht im engen
Zusammenhang mit den städtebaulichen Vorraussetzungen, dem sozialen
Umfeld und der Infrastruktur, die in einem integrierten Ansatz auf die örtlichen
Erfordernisse abzustimmen sind. Darüber hinaus müssen auch angesichts der
nur noch geringen finanziellen Spielräume Schwerpunkte dort gesetzt werden,
wo die Defizite der Stadtentwicklung besonders greifbar sind.
Eine Bündelung von Fördermitteln - unabhängig von Ressortgrenzen - ist zwingend geboten und müsste die regionalen Wohnungsbaumittel ergänzen. Instrumente der Stadtentwicklung, des Wohnungsbaus und der Sozialpolitik müssen
aufeinander abgestimmt werden. Die guten Erfahrungen mit den Projekten
„Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“ und „Soziale Stadt“ sprechen
dafür, ihren integrierten Handlungsansatz auszuweiten. Es ist zu prüfen, wie bei
einer regionalen Budgetierung neben den Wohnungsbauförderungsmitteln auch
die Zuweisungen für Maßnahmen der Stadterneuerung eingebunden werden
können. Hier bietet sich die Durchführung eines entsprechenden Modellversuchs bzw. Pilotprojekts an.
Grundsätzlich sollte zumindest ein Teil der Mittel im Rahmen einer regionalen
Budgetierung zur Verfügung gestellt werden, um eine höhere Flexibilität und
Zielgenauigkeit der Maßnahmen durch eine stärkere regionale Entscheidungsfreiheit zu erreichen. Zwingende Vorraussetzung für eine regionale Budgetierung
muss jedoch die Entwicklung eines im regionalen Konsens abgestimmten Entwicklungskonzepts sein, das auf fundierten regionalen Wohnungsmarktanalysen
und einer klaren Abgrenzung einer Wohnungsmarktregion basiert. Darüber hin-
76 Kreibich 1999, S.138.
77 Siehe auch Koch/Wuschansky 2002.
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Wohnungsmärkte
aus sind Vereinbarungen von entsprechenden Qualitätszielen mit dem Land
erforderlich. Der erfolgreiche Einsatz der Globalmittel sollte kontinuierlich im
Rahmen eines Monitorings überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden (zu
weitergehenden Überlegungen siehe Kapitel B8 und C4).
6.3.2 Ansätze für einen differenzierten Wohnungsbau
Die Prognosen zeigen, dass die Zeiten des Wohnungsneubaus in der Masse
vorüber sind. Die Bedarfe der kommenden Jahre entstehen vor allem durch den
Ersatz von Abgängen, Anpassungsprozesse und den Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern. Eine Förderung des Neubaus sollte nur dort erfolgen, wo der
Markt Angebot und Nachfrage nicht selbst regelt. Im ländlichen Raum ist die
Lage im Allgemeinen entspannt. Zwar wächst der Bedarf durch die Stadtumlandwanderung, aber der Markt kann sich weitgehend der Nachfrage anpassen.
Anders ist die Situation in den Ballungskernen. Nach der aktuellen Expertenbefragung der Wfa sind die Märkte in der gesamten Rheinschiene und in den
Großstädten des Ruhrgebiets besonders schwierig, was einerseits auf das
knappe Marktangebot und andererseits auf die Qualitäten des Angebots
zurückzuführen ist. Es fehlt vor allem an der Bereitstellung von Baugebieten.
Wollen die Städte ihre Einwohner wieder verstärkt an sich binden, kann dies nur
durch ein qualitativ hochwertiges Angebot an Mietwohnungen und Ein- bzw.
Zweifamilienhäusern gelingen. Ebenso sind verdichtete Bauweisen im Geschoss denkbar, die Qualitäten des Einfamilienhauses aufweisen.
Notwendig ist hierzu die Verbesserung des Baulandangebotes. Dazu müssen
die Kommunen Bauland entwickeln und preiswert zur Verfügung stellen - z.B.
zum Selbstkostenpreis. Dies kann, ähnlich wie bei Gewerbegebieten, durch die
Entwicklung eigener Flächen gelingen
oder indem ein Teil der privat entwickelten Flächen als Äquivalent zur Abschöpfung des Planungsgewinns besonderen Zielgruppen wie z.B. jungen
Familien zur Verfügung gestellt wird
(siehe Beispiel der Stadt Bocholt).
Neue Baugebiete führen nicht zwangsläufig zu einem weiteren Flächenverbrauch. Ein großes Potenzial besteht
häufig in den Ballungsräumen durch
Gewerbebrachen, Konversionsflächen oder leerstehenden Wohnbestand, das
im Rahmen einer Flächenkreislaufwirtschaft für den Wohnungsbau und den
Ausbau von Frei- und Grünflächen zur Aufwertung des städtischen Wohnum251
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felds reaktiviert werden kann. Im Landeswohnungsbauprogramm 2002 wurde
erstmals eine zusätzliche Darlehensförderung für das Wohnen auf Brachen verankert. Dennoch bestehen für das Wohnen auf Brachen oftmals noch vielfältige
Vorbehalte. Am besten eignet sich der Umbau der zunehmend unattraktiveren
Bestände in den Großwohnsiedlungen, so sie in attraktiver Lage gute Voraussetzungen für einen zeitgemäßen Umbau bieten. Ihre Modernisierung und soziale Begleitung ist jedoch vielfach sehr aufwändig.
Die meist erheblichen Kosten für Abriss und Altlasten können durch Kommunen
und Wohnungswirtschaft nicht allein aufgebracht werden. Deshalb muss hier ein
Schwerpunkt der Landesförderung liegen. Dabei bedarf es der Hilfestellung und
Moderation durch das Land bei Verhandlungen mit den Alteigentümern. Der
Bahnflächenpool zwischen Land und Deutsche Bahn AG ist ein Schritt in die
richtige Richtung, betrifft aber überwiegend dezentral gelegene Flächen, deren
Attraktivität nicht immer ausreicht.
Eine aktive städtische Wohnungsmarktpolitik - gekoppelt mit einem Bodenmanagement - ist eine sinnvolle Strategie, städtisches Bauland zu mobilisieren.
Hinter der Abwanderung in die Umlandgemeinden steht vielfach der Wunsch
nach mehr Wohnqualität und Grün. Die Entscheidung für das Umland fällt
jedoch häufig aufgrund fehlender Grundstücke oder zu hoher Kosten für städtische Bauflächen.78 Oftmals ist das Umland nur die zweitbeste Lösung.
Aufgrund des Wunsches der Bevölkerung nach dem Wohnen in den eigenen vier
Wänden wird ein wesentlicher Teil des Wohnungsneubaus in Form von Ein- und
Zweifamilienhäusern erfolgen. Beim öffentlichen Wohnungsbau entfallen bereits
über die Hälfte der Förderungen in dieses Segment. Die Eigenheimzulage ist seit
1996 wesentliches Element der Förderung der Eigentumsbildung und hat die
Schwelle zur Eigenheimbildung verringert. Für eine umfassende Vereinfachung
und Reform des Steuersystems müssen jedoch alle Finanzhilfen und Steuervergünstigungen überprüft werden. Es stellt sich die Frage nach der Form zukünftiger staatlicher Eigentumsförderung überhaupt z.B. für die Altersvorsorge und
im Wohnungsbau im Besonderen.
Die innerstädtische Wohneigentumsbildung ist vor allem vor dem Hintergrund zu
betrachten, dem Abwandern von einkommensstabilen Familien in den suburbanen Raum entgegenzuwirken und die städtische Gesellschaft zu stabilisieren. In
Nordrhein-Westfalen gibt es dafür bereits zukunftsweisende Ansätze, wie etwa
der Landeswettbewerb „Wohneigentum in der Stadt“ oder die Erneuerungsstrategien für die großen Wohnbestände der 1950er Jahre.79
Gerade die Schwierigkeiten, Eigenheimsiedlungen in die soziale Infrastruktur
der Städte einzubinden, sprechen dafür, mehr über die Zukunft des Wohnens in
78 Dies zeigt beispielsweise die Untersuchung der Stadt Dortmund (Stadt Dortmund 2002b).
79 LB NRW 2001.
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Wohnungsmärkte
Städten nachzudenken. Die Etablierung neuer Lebensstile und Haushaltstypen
fordert ebenso neue Formen des Wohnens. Zielgruppen wären zum Beispiel
Starterhaushalte, Singles und Senioren.
Statistische Untersuchungen aus verschiedenen Bundesländern zeigen, dass
der Abwanderungstrend kein unumstößliches Naturgesetz darstellt, sondern
durchaus auch ein verstärktes Interesse an innerstädtischen Wohnstandorten
besteht.80 Insbesondere die ältere Generation mit erwachsenen Kindern zeigt
wieder ein Interesse am Stadtleben. Eine Strategie zur Stärkung des innerstädtischen Wohnens sollte auf diesem Trend aufbauen, sie darf jedoch nicht bei
einer Versorgung älterer Wohnungssuchender Halt machen. Es muss auch
gelingen, Familien mit Kindern an die Stadt zu binden, zumal die erforderliche
Infrastruktur in der Regel vorhanden ist. Was teilweise fehlt, sind hochwertige
Wohnquartiere mit familienfreundlichen Wohnungen und innerstädtische Freiräume mit kinder- und jugendgerechten Angeboten.
Innerstädtische und zentrale Wohnlagen ermöglichen die Stadt der kurzen
Wege. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung erweisen sich
diese Lagen daher als idealer Wohnstandort. Die Entwicklung neuer Wohnkonzepte, wie zum Beispiel betreutes Wohnen mit Full-Service eröffnet die Möglichkeit vielfältiger Synergien aus Dienstleistungen, Handel und Gastronomie.
Denkbar wären Wohnformen mit einer mittleren Dichte, sowohl als Mietwohnungen wie auch im Wohneigentum. Historische und aktuelle Beispiele zeigen, dass
bei einer mittleren Verdichtung durchaus gute Wohnqualitäten mit privatem
Freiraum realisierbar sind. Wohnen im
Geschoss könnte für einige Nachfragegruppen in Großstädten durchaus
interessant sein, wenn es zum Beispiel
als Loftwohnen mit offenen Grundrissen und Terrasse für hohe Wohnqualität und attraktive Atmosphäre steht.
Lofts sind in erster Linie in Altbauten
zu realisieren; es gibt jedoch auch
Wohnprojekte, die diese Form des Wohnens in den Neubau übertragen haben.
Auch die Stapelung von Maisonnette-Wohnungen, wie zum Beispiel im Freiburger Rieselfeld bietet sich als interessante Wohnform für die Eigentumsbildung
an.
Eine ganz entscheidende Weichenstellung könnte mit der Wiederbelebung des
Einfamilienhauses in mittlerer Dichte als Stadthaus oder Patiohaus möglich wer-
80 LBS 2000; LBS 2002.
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den. Hier kann der Wohnungs- und Städtebau auf eine lange Tradition zurückgreifen, die von der Fuggerei in Augsburg über das Bremer Haus bis zum verdichteten Flachbau der 1980er Jahre reicht. In den Niederlanden wurde gerade
diese Wohnform in den letzten Jahrzehnten mit großem Erfolg kultiviert.
Unabhängig davon, welche sozialen Gruppen bzw. Milieus die Zielgruppe sind,
ist bei der Gestaltung eines Quartiers eine hohe städtebauliche und architektonische Qualität erforderlich. Angesichts einer allgemeinen Entspannung der
Wohnungsmärkte wirkt die Nachfrage höchst selektiv auf weniger attraktive
Standorte. Durch Investoren- und städtebauliche Wettbewerbe können entsprechende Qualitäten und die Berücksichtigung neuer Zielgruppen im Rahmen von
Bau- und Modernisierungsvorhaben gewährleistet werden.
6.3.3 Öffentliche Wohnraumförderung
Bezahlbaren und attraktiven Wohnraum auch für die einkommensschwachen
Haushalte zu sichern, ist und bleibt Hauptaufgabe der sozialen Wohnraumförderung. In den nächsten Jahren wird die Zahl der Wohnungen mit Belegungsbindungen deutlich abnehmen. Gleichzeitig werden durch Modernisierung und
Rückbau viele Wohnungen im unteren Preissegment wegfallen, so dass Personengruppen vermehrt in die Bestände des preisgebundenen Wohnungsbaus
drängen und sich die sozialen Probleme erhöhen können. Angesichts dieser
Situation stellt sich die Frage, wie die Wohnraumversorgung der Bevölkerungsgruppen mit Schwierigkeiten im Zugang zum freien Wohnungsmarkt sichergestellt werden kann.
Das Land steht auch in den kommenden Jahren gemeinsam mit den Wohnungsunternehmen in der Verpflichtung, die Sozialwohnbestände zu erhalten,
zu modernisieren und soweit erforderlich zu ergänzen. Wohnungswirtschaft und
Kommunen müssen in Zukunft in Form eines aktiven Belegungsmanagements
verstärkt miteinander kooperieren.
In den letzten Jahren verlor der soziale Wohnungsbau für die Wohnungswirtschaft deutlich an Attraktivität. Die vorhandenen Modernisierungsmittel werden
unter anderem aufgrund der zurzeit günstigen Kreditkonditionen und der Belegungsbindungen kaum noch in Anspruch genommen. Zahlreiche Unternehmen
nutzen zudem das aktuell niedrige Zinsniveau, um die öffentlichen Mittel zurück
zu zahlen und gehen keine neuen Bindungen ein. Damit die Wohnungswirtschaft
wieder verstärkt in die Modernisierung einsteigt, muss die öffentliche Wohnraumförderung von einer Reihe von Maßnahmen begleitet werden.
Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen vor allem die großen baulichen und sozialen Defizite in den Beständen. Hier ist eine umfassende Modernisierung not254
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Wohnungsmärkte
wendig, um die Qualität des Wohnraums zu verbessern und um die Bestände
den aktuellen Erfordernissen des Wohnungsmarktes anzupassen.
Grundsätzlich gilt, Entwicklungen negativer Segregation zu verhindern oder
zumindest abzumildern. Der wachsenden sozialen Polarisierung in den Beständen des preisgebundenen Wohnungsbaus muss durch eine verstärkte Modernisierung und eine Stärkung der sozialen Stabilität in den Quartieren begegnet
werden. Haushalte mit höherem Einkommen verbessern die soziale Mischung
und müssen in den Quartieren gehalten werden.
Die Bestände sind auf die Bedarfe neuer Zielgruppen auszurichten. Das Wohnen
im Alter erfordert altengerechte Wohnungen, die nicht nur den Standards der
Barrierefreiheit entsprechen. Notwendig sind ebenso Angebote für Service-Wohnen, die den besonderen Bedürfnissen der älteren Generationen entsprechen.
Die Verknüpfung von baulichen und sozialen Maßnahmen wird in der Zukunft
noch wichtiger. Neben dem reinen Wohnungsbau sind in die Förderung Maßnahmen für die soziale Infrastruktur
und das Wohnumfeld mit einzubeziehen. An die Stelle der Förderung von
kleinteiligen isolierten Modernisierungsmaßnahmen sollte eine Förderung von abgestimmten Konzepten zur
Stabilisierung eines Wohnquartiers treten, die Rückbau, bauliche Aufwertung
und Modernisierung sowie nicht-investive Maßnahmen integrieren. Ebenso
sollten zielgruppenorientierte Wohnungsangebote in die Förderung einbezogen werden. Preisgebundener Mietwohnungsbau muss nicht zwangsläufig als Geschosswohnungsbau realisiert
werden, Reihenhaussiedlungen weisen in finanzieller Hinsicht durchaus ähnliche
Ergebnisse auf. Die Entscheidung über die Wahl der Instrumente sollte flexibel
und in Abstimmung mit der Wohnungswirtschaft innerhalb einer regionalen Budgetierung lokal erfolgen.
Zu den nicht-investiven Maßnahmen sind ebenso Sozialarbeit, ConciergeLösungen, Quartiersmanagement, Beratungsangebote sowie die Förderung von
sozialen und kulturellen Initiativen zu zählen. Hier steht in erster Linie die Wohnungswirtschaft in der Pflicht. Sie ist nicht nur Anbieter von Wohnungen, sondern muss sich auch als Dienstleister rund um das Wohnen verstehen. Wie etwa
das Beispiel Bonn-Dransdorf zeigt, amortisiert sich für die Unternehmen zumindest ein Teil der Investitionen durch bessere Vermietbarkeit der Bestände, geringere Bewohnerfluktuation und weniger Vandalismusschäden oder Mietrückstände.
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Angesichts der zum Teil hohen Leerstände und der Segregationstendenzen in
einzelnen Quartieren muss das bestehende Fehlbelegungsrecht grundsätzlich
überprüft werden. Die Landesregierung hält bisher aus Gründen der formalen
Subventionsgerechtigkeit weiterhin an einer landesweiten Erhebung der Ausgleichsabgabe fest. Nur im Ausnahmefall sind gebietsbezogene Befreiungen für
schwierige Quartiere möglich.
Die Möglichkeit zur Eigentumsbildung in reinen Sozialwohnungsquartieren muss
geprüft werden. Angesichts des derzeit niedrigen Zinsniveaus sollte bei einer
Veräußerung die Mieterprivatisierung bevorzugt gefördert werden. Dies erfordert
eine gründliche und neutrale Beratung sowie entsprechendes Startkapital. Eine
Alternative hierzu sind Wohnungsbaugenossenschaften, in denen Eigenanteile,
Arbeitsleistungen und ehrenamtliches Engagement durch die Mitglieder eingebracht werden. Dazu ist die Gründung von Genossenschaften öffentlich zu
unterstützen und die steuerliche Förderung von Genossenschaftsanteilen mit
der bestehenden Förderung selbstgenutzten Wohneigentums zu harmonisieren.
Ebenso ist die Kooperation von Genossenschaften zur Stärkung der Wirtschaftskraft zu erleichtern.
Die bisherige Objektförderung ist ein Produkt der Wohnungsnot in der Nachkriegszeit und hat einen maßgeblichen Anteil an der quantitativen Versorgung
der Bevölkerung mit Wohnraum. Unbestritten sind aber auch ihre Schwächen.
So hat die Zielgenauigkeit der Objektförderung ihre Grenzen, wie die Erhebung
der Ausgleichsabgabe zeigt. Sozialer Wohnungsbau ist nicht zwingend billiger
Wohnungsbau. Durch die Mietpreisfortschreibung liegen die Mieten oft oberhalb
der Vergleichsmieten des unteren und mittleren Preissegments. Mit der Konsequenz, dass die Wfa bereits seit Jahren auf eine Verzinsung ihrer Darlehen bzw.
auf eine Erhöhung der Verzinsung verzichtet. Eine einkommensabhängige,
monatliche Förderung - vergleichbar mit dem Wohngeld - weist demgegenüber
eine nicht zu bestreitende Zielgenauigkeit auf und würde eine Konzentration einkommensschwacher Personengruppen in bestimmten Quartieren verhindern.
Es ist daher zu prüfen, wie der Übergang von der Objektförderung zur Subjektförderung gestaltet und die Finanzierung der Subjektförderung - auch in Verbindung mit einer Reform des Wohngeldes - sichergestellt werden kann. Für die
wirklichen Problemgruppen, die reale Marktzugangsschwierigkeiten haben,
muss dennoch eine Sockelförderung in Form der Objektförderung erhalten bleiben.
Aufgrund der unterschiedlichen Problemlagen sollte die Entscheidung über den
Einsatz und das Verhältnis der beiden Förderinstrumente im Rahmen der Budgetierung der Fördermittel auf der kommunalen Ebene fallen. Eine Experimentierklausel im Bundeswohngeldgesetz würde die Möglichkeit eröffnen, die Mittel
zu kombinieren. Dabei ist zu prüfen, inwiefern alle Förderinstrumente der Wohnraumförderung im Rahmen der Budgetierung zusammengeführt werden kön256
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Wohnungsmärkte
nen, um eine örtlich zielgerichtetere Wohnungspolitik umzusetzen. Eine landespolitische Schwerpunktsetzung sollte sich dann nicht mehr an vereinheitlichten
Mietpreisstufen oder der Zugehörigkeit zu bestimmten Räumen orientieren, sondern sich anhand bestimmter Problemlagen ausrichten.
6.3.4 Stadtumbau - Stadtentwicklung im Zeichen
des demografischen Wandels
Mit der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts begann das rasante
Wachstum unserer Städte. Vor allem an Rhein und Ruhr wuchsen sie parallel zur
wirtschaftlichen Entwicklung bis in die 1970er Jahre. Das schnelle Wachstum
hatte seinen Preis. Die Stadtentwicklung konnte oft nicht nach heutigen Maßstäben gesteuert oder geordnet werden. So entstanden die hoch verdichteten
Ballungsräume des Ruhrgebietes und der Rheinschiene mit hoher Einwohnerzahl und massiver Bebauung. Freiräume, Individualität und Vielfalt der einzelnen
Städte gingen verloren und führten zu Defiziten in der urbanen Lebens- und
Wohnumfeldqualität.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts zeichnet sich das Ende dieser Entwicklung ab.
Durch den Rückgang der Geburtenrate, Veränderungen der wirtschaftlichen
Rahmendaten, anhaltende Suburbanisierung und abnehmende Zuwanderung
werden für die Städte, vor allem die
des Ruhrgebiets, bis zum Jahr 2015
Bevölkerungsrückgänge bis zu 12 Prozent prognostiziert.
Die demografische Entwicklung hat
unmittelbare Folgen für die betroffenen
Städte. Sie ist Chance und Herausforderung zu gleich. Sie erfordert einen
grundlegenden Paradigmenwechsel in
der Stadtplanung. Die Entwicklung
einer Stadt kann und braucht sich
nicht länger am Wachstum und an einer meist quantitativen Bedarfsdeckung
orientieren. Durch den wegfallenden Siedlungs- und Wachstumsdruck gibt es
erstmals seit Jahrzehnten die Chance über großflächige Stadtumbaukonzepte
nachzudenken.
Stadtumbau erfordert grundlegend andere Strategien und Konzepte als die traditionelle Stadtplanung. Dem Stadtumbau dienen alle Maßnahmen, die zur
Sicherung und Verbesserung der Lebens- und städtebaulichen Qualität beitragen. Das zentrale Ziel des Stadtumbaus ist somit die Qualitätsorientierung.
Unter diesen Rahmenbedingungen ist Schrumpfen nicht nur ein unvermeidlicher
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Anpassungsprozess sondern bietet auch die Chance zu einer neuen innerstädtischen Entwicklung. Schrumpfen und neue Perspektiven sind nicht länger ein
Gegensatz.
Die Umorientierung erscheint alternativlos. Die demografische Entwicklung bietet zwar auf der einen Seite die Chance für eine neue Qualität der Stadtplanung,
ist aber auch eine Herausforderung angesichts der unmittelbaren Folgen der
sinkenden Einwohnerzahlen in einzelnen Stadtteilen. Die Defizite in der Lebensund Wohnumfeldqualität, die Erosion sozialer Strukturen, Verwahrlosungserscheinungen im öffentlichen Raum, hohe Baulandpreise, monotone Architektur
und bauliche Mängel sind Ursachen der anhaltenden Suburbanisierung,
die die demografischen Probleme in den betroffenen Stadtteilen noch verschärft:
• Auf dem Wohnungsmarkt zeigen sich erhebliche Leerstände, vor allem in den
hoch verdichteten Wohnsiedlungen der 1960er und 1970er Jahren mit deutlichen Defiziten in der Ausstattung, in den baulichen Standards und im
Wohnumfeld.
• Durch den Wegzug einkommensstärkerer Personengruppen kommt es zu
einer beschleunigten sozialen Polarisierung und räumlichen Segregation.
• Bevölkerungsrückgang, hohe Arbeitslosigkeit und wachsende Abhängigkeit
von öffentlichen Transferleistungen bedeuten einen Rückgang der Nachfrage
im Konsumbereich. Die Folge sind ein Rückgang der Kaufkraft und das Sterben von Stadtteilzentren.
• Die sinkende Einwohnerzahl verstärkt die Probleme bei der Finanzierung der
öffentlichen Infrastruktur. Die Steuereinnahmen nehmen ab, während die
Infrastruktur durch geringe Auslastung und die Folgen der sozialen Segregation zusätzlich belastet wird.
• In den Kernstädten des Ruhrgebietes verläuft der Bevölkerungsrückgang
häufig parallel mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel. Der damit verbundene Abbau von Arbeitsplätzen im sekundären Sektor führt zu hohen
Arbeitslosenquoten und zahlreichen Gewerbe- und Industriebrachen.
Die Vielfalt der Probleme in den betroffenen Stadtquartieren kann durch Einzelmaßnahmen und kleinteilige Modernisierung nicht behoben werden. Die bisherigen Instrumente der Städtebau- und Wohnungsbauförderung in NordrheinWestfalen reichen nicht aus. Die betroffenen Kommunen und Wohnungsbaugesellschaften sind alleine überfordert. Dies ist auch Ausdruck der kommunalen
Finanzsituation. Weniger Einwohner bedeuten automatisch niedrigere Einnahmen für die städtischen Haushalte, so dass der Spielraum zur Finanzierung von
gegensteuernden Maßnahmen begrenzt wird. Insofern ist der Stadtumbau die
zentrale Herausforderung für die Stadtentwicklungs- und Wohnungsbaupolitik
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Wohnungsmärkte
in Nordrhein-Westfalen in den kommenden Jahren. Es geht um nicht weniger als
die Zukunft unserer Städte.
Die Entwicklung in vielen ostdeutschen Städten mit dramatischen Leerständen
zeigt, was ohne Gegenmaßnahmen in den kommenden Jahren eintreten könnte. Allerdings werden auch die Unterschiede zu Nordrhein-Westfalen deutlich:
Im Westen sind die Folgen des demografischen Wandels zunächst noch ein
punktuelles Problem, das vor allem in altindustriell geprägten Quartieren auftritt,
die im Strukturwandel weiter zurückfallen.81 Daneben gibt es häufig andere
Stadtteile, die weiter wachsen. Darüber hinaus ist die wirtschaftliche Situation
der Wohnungswirtschaft in den westdeutschen Bundesländern deutlich günstiger, da hier bereits erhebliche Rücklagen aufgebaut werden konnten.
Der Stadtumbau Ost hat zwangsläufig eine andere Schwerpunktsetzung als der
zu begleitende Stadtumbau in den alten Bundesländern. Versteht sich der
Stadtumbau Ost in erster Linie als Abrissförderprogramm, bei dem 350.000
dauerhaft leer stehende Wohnungen im Zeitraum 2002 bis 2009 vom Markt
genommen werden sollen, wird der Stadtumbau in den alten Bundesländern vor
allem durch den Umbau und die Aufwertung von städtischen Quartieren geprägt
sein. Neben den Stadtumbau Ost muss ein Programm Stadtumbau West mit
eigenen Zielsetzungen treten. In einer konzertierten Aktion von Bund, Land,
Kommunen und der Wohnungswirtschaft gilt es neue Formen und Konzepte zur
Aufwertung ganzer Wohnquartiere und Stadtteile zu entwickeln und in einem
Programm zu bündeln.
Weniger Siedlungs- und Wachstumsdruck ermöglicht es, die Stadtplanung und
Stadtentwicklung zu überdenken und neu zu justieren. Der Rückbau bzw. Abriss
von Wohnungsbeständen eröffnet die Perspektive, Defizite der urbanen Lebensqualität zu beseitigen.
Je nach örtlicher Situation gilt es, verschiedene Strategien sinnvoll zu kombinieren:
• Generelle Umorientierung vom Neubau zur Bestandspflege und -entwicklung
sowie städtebaulichen Aufwertung,
• Weiternutzung durch Bedarfsanpassung und Modernisierung,
• wo erforderlich punktueller Rückbau bis hin zum Abriss mit anschließendem
ergänzenden und marktgerechten Neubau,
• Umnutzung und Konversion vor allem von Gewerbe- und Industriebrachen
sowie aufgegebener militärischer Liegenschaften,
• Rückbau bzw. Anpassung der Infrastruktur sowie
81 Vgl. Schmidt-Eichstaedt 2003, S. 282.
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• Verbesserung des Wohnumfeldes, Schaffung neuer Freiräume bis zur Renaturierung.
Im Rahmen des seit 2002 bestehenden Bund-Länder-Programms Stadtumbau
West, werden mit einem Ansatz von 15 Millionen Euro nur wenige Modellprojekte in den alten Bundesländern gefördert. Erstes Projekt in Nordrhein-Westfalen ist das Wohnquartier Schillerpark in Oer-Erkenschwick. Trotz dieser zaghaften Anfänge gibt es in Nordrhein-Westfalen bereits zahlreiche Erfahrungen mit
dem Konzept eines geordneten Rückbaus. Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Emscher Park (IBA) wurden Methoden und Verfahren des Umbaus
an über hundert Projekten erprobt.
Hier hat sich gezeigt, dass Geld alleine für einen umfassenden Stadtumbau
nicht ausreicht. Es müssen bessere Rahmenbedingungen für die Förderung auf
den unterschiedlichen Handlungsebenen geschaffen werden:
• Es bedarf einer integrierten ressortübergreifenden Planung und Förderung in
den Bereichen Stadtentwicklung, Wohnungsbau, Verkehr, Wirtschaftsförderung und soziale Infrastruktur.
• Aufgrund der Größe der Probleme und zur Vermeidung interkommunaler
Konkurrenz muss eine regional abgestimmte Stadtumbaukonzeption obligatorisch sein. Um einen Ausgleich zwischen Gewinnen und Verlusten herbei
zu führen sind die Wohnungsunternehmen mit einzubinden.
• Die Kommunen müssen ein gesamtstädtisches Handlungs- und Entwicklungskonzept erarbeiten.
• Die Bewohner müssen, ähnlich wie bei den Stadtteilen mit besonderen
Erneuerungsbedarf, aktiv in den Umbauprozess eingebunden werden. Hierzu könnten Wettbewerbe wie z.B. der Bundeswettbewerb „Unsere Stadt
blüht auf“ beitragen.82
Vor allem diese Rahmenbedingungen und die kostenintensive Anpassung der
Infrastruktur, die notwendigerweise den abnehmenden Bevölkerungszahlen folgen muss, bedürfen der öffentlichen Förderung. Der Rückbau und insbesondere der Abriss von Immobilien bleibt dagegen in erster Linie Aufgabe der Wohnungswirtschaft. Sie trägt für die Defizite in vielen Quartieren die unmittelbare
Verantwortung und viele Altimmobilien bedürfen in den Bilanzen dringend einer
Wertberichtigung. Bei Verknappung und Modernisierung von Wohnungen profitieren die Unternehmen direkt durch die Wertsteigerung der verbleibenden
Immobilien. Beim Abriss öffentlich geförderter Wohnungsbestände ist das Problem der verbleibenden Restvaluta zu berücksichtigen. Aus der Fördervereinba-
82 www.entente-florale-deutschland.de.
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rung ergeben sich staatliche Ansprüche in Form von Preis- oder Belegungsbindungen, die mit dem Abriss des Bestandes nicht aufrechterhalten werden können. Es ist zu klären, ob die Fördervereinbarung auf andere Bestände übertragen werden kann, ob eine Tilgungsverlängerung, eine Zinsaussetzung oder
sogar ein Verzicht auf die eingesetzten Förderdarlehen möglich ist.
Öffentliches Handeln ist in erster Linie nur dort erforderlich, wo einzelne Problemobjekte weitere städtebauliche Probleme nach sich ziehen, z.B. der Leerstand einer nicht marktgängigen Immobilie die Entwicklung eines Stadtteils
gefährdet oder öffentliche Investitionen entwertet. Die Finanzierung eines
gesamtdeutschen Programms „Stadtumbau in Deutschland“ ist mit dem herkömmlichen Finanzrahmen der Wohnraumförderung und Stadterneuerung nicht
zu leisten.
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B7 Die moderne und
bürgerorientierte Kommunalverwaltung
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Die Kommune unterliegt als die untere Handlungsebene im föderalen System
Deutschlands einem beständigen Wandel und kontinuierlichen Anpassungsprozessen. Angesichts wachsender Aufgaben für die kommunale Ebene, abnehmender finanzieller Handlungsspielräume und neuer technologischer Möglichkeiten werden dabei Fragen des Aufgabenverständnisses von Kommunen
und des Welfare-Mix neu zu bestimmen sein.
Dies betrifft zum einen den Wandel im Selbstverständnis der Kommune als
Dienstleister und kooperativer Partner gegenüber dem Bürger und lokalen
Akteuren, zum anderen die Etablierung von modernen Organisationsstrukturen
durch den Einsatz neuer Technologien und die Orientierung an privatwirtschaftlichen Kriterien in der Verwaltung sowie die wachsende Bedeutung Privater bei
der Verantwortung öffentlicher Aufgaben. Im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen steht die Kommune vor dem Hintergrund dieser Veränderungsprozesse
und der daraus resultierenden Herausforderungen. Darüber hinaus ergeben sich
Anforderungen an die Landespolitik in Nordrhein-Westfalen, die Kommunen in
ihrer Handlungsfähigkeit zu stärken und sie im Modernisierungsprozess im
Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung zu unterstützen.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
7.1
Bürger und Verwaltung
Seit Jahren bestimmen Reformdiskussionen im öffentlichen Sektor das Bild in
den Parlamenten, in der Wissenschaft und in der Öffentlichkeit.1 Die Notwendigkeit von grundlegenden Veränderungen wird nicht mehr bestritten. Mittlerweile ist zudem ein breiter politischer Konsens darüber feststellbar, dass Verwaltungsmodernisierung als eine Daueraufgabe verstanden werden muss. Differenzen bestehen hingegen in der konkreten Ausgestaltung einer Verwaltungsmodernisierung und der Schwerpunktsetzung.
Ein Schwerpunkt der Reformüberlegungen besteht darin, die Selbstverantwortung der Bürger zu stärken.2 Die Kommunen sind ohne ein Mehr an Eigeninitiative ihrer Bürger nicht zukunftsfähig. Nirgendwo sonst ist die Notwendigkeit des
bürgerschaftlichen Engagements so unmittelbar spürbar wie auf der kommunalen Ebene. Freiwillige Feuerwehren, öffentliche Bibliotheken, Kultur- und Sportvereine sind ohne tatkräftige Mithilfe der Bürger nicht denkbar. Bürgerschaftliches Engagement kann dort helfen, wo öffentliche Aufgaben durch Private
ergänzt oder sogar vollständig übernommen werden können. Gerade in Zeiten
finanzieller Restriktionen der öffentlichen Kassen gewinnt die aktive Mithilfe der
Bürger eine neue Qualität. Es zeichnet sich zunehmend ab, dass das Gemeinwesen ohne die Hilfe des Einzelnen keine Zukunft mehr hat. Dies kann mit dem
Leitbild der Bürgerkommune beschrieben werden. Für die Kommunen gilt, das
freiwillige Engagement zu fördern, zu pflegen und zu honorieren.
Bürgerschaftliches Engagement ist jedoch mehr als ein Ersatz für ausgebliebene öffentliche Leistungen. Das Engagement stärkt die Identifikation des Einzelnen mit dem Gemeinwesen und der Kommune. Freiwilliges Engagement ist
jedoch kein Freibrief für die Kommunen, sich weiter aus der Finanzierung von
Aufgaben zurück zu ziehen. Das wäre das falsche Signal.
In diesem Zusammenhang gewinnt die Frage einer Neubestimmung öffentlicher
Aufgaben des Staates an Bedeutung. Konkret steht hierbei die Zukunft des
klassischen Wohlfahrtsstaates zur Diskussion. Entgegen immer wieder formulierter Pauschalvorstellungen gibt es keine universelle Aufgabentheorie des
Staates, sieht man von originären hoheitlichen Aufgaben wie Polizei, Justiz und
1
Budäus sieht in der seit rund zehn Jahren andauernden Reformdebatte zunächst nichts besonderes, Verwaltungsmodernisierung ist für ihn ein völlig normaler Vorgang. Verwaltungsreformen
habe es schon immer gegeben. Dennoch habe die derzeitige Reform eine andere Bedeutung.
Für ihn steht vor dem Hintergrund grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen das klassische Funktions- und Rollenverständnis von Staat und Verwaltung zur Diskussion. Vgl. Budäus
2002, S. 15.
2
Nach Bogumil können dem Bürger drei Rollen zugeschrieben werden. Er unterscheidet nach
dem Bürger als politischer Auftraggeber, als Kunde der Leistungserstellung und als Mitgestalter
des örtlichen Gemeinwesens. Vgl. Bogumil 2003, S. 111.
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Kommunalverwaltung
Finanzverwaltung ab. Forderungen, öffentliche Aufgaben auf so genannte Kernaufgaben zu beschränken, hat erst kürzlich die Bull-Kommission unter dem
Aspekt der Reform des öffentlichen Dienstes untersucht.3 Die dort getroffenen
Aussagen können Hinweise geben, welche gesellschaftlichen Aufgaben dem
Kernbereich staatlichen Handelns noch zuzuordnen sind.
Beeinflusst durch das international verbreitete Konzept des New Public
Management hat auch in Deutschland seit Ende der 1980er Jahre eine umfassende Diskussion über das Leistungs- und Aufgabenspektrum der öffentlichen
Verwaltung eingesetzt. Sowohl auf Ebene des Bundes, der Länder wie auch in
den Kommunen wird seitdem über Kostensenkungsprogramme, Privatisierung,
Verselbständigung von Verwaltungseinheiten, Wettbewerbsmaßnahmen und
Verlagerung öffentlicher Aufgaben auf Private diskutiert. Gerade die Kommunen
befinden sich hier in einer schwierigen Situation. So muss die Kommune beim
Abbau von öffentlichen Leistungen mit dem direkten Widerstand bzw. dem
Unverständnis der Bevölkerung rechnen. Dies zeigt sich besonders, wenn
Schwimmbäder oder kulturelle Einrichtungen aus Kostengründen geschlossen
oder im Angebot reduziert werden müssen.
In Zeiten einer engeren Finanzausstattung kommen die Kommunen nicht umhin,
Aufgabenschwerpunkte zu setzen, soweit sie nicht durch Bundes- und Landesgesetzgebung ohnehin zur Wahrnehmung pflichtiger Aufgaben angehalten
sind. Es gilt deshalb der Grundsatz,
gemeinsam mit den Bürgern Vereinbarungen zu erzielen, wie vor Ort freiwillige, jedoch für notwendig erachtete
Aufgaben bzw. Leistungen trotz defizitärer Haushaltslage finanziert und
umgesetzt werden können. Erforderlich ist, ein neues kommunales Aufgabenverständnis zu entwickeln, in dem
Kommune, Unternehmen und Bürger einen gewichtigen Platz haben. Nur das
Zusammenwirken der verschiedenen Akteure stellt sicher, dass die erforderlichen Leistungen dort erbracht werden, wo sie benötigt werden.
7.2
Die Rolle der kommunalen und regionalen Akteure
Die Beteiligung und Mitwirkung von Bürgern und Wirtschaft gewinnt vor dem
Hintergrund eines veränderten öffentlichen Aufgabenverständnisses eine grund3
Regierungskommission „Zukunft des öffentlichen Dienstes - öffentlicher Dienst der Zukunft 2003.
265
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
legend neue Bedeutung. Sie ist weder ausschließlich noch vorrangig unter dem
Aspekt der Haushaltskonsolidierung zu sehen. Vielmehr geht es darum, den
Bürgern nahe zu bringen, die Geschicke ihrer Kommune verstärkt in die eigene
Hand zu nehmen. Im Verständnis der westeuropäischen Tradition war der Bürger derjenige, der seine Lebensumstände verantwortlich organisierte und auf
dieser Basis das Gemeinwesen mitgestaltete. Das Engagement soll die Identifikation der Bürger mit der örtlichen Gemeinschaft fördern und die Erkenntnis verdeutlichen, dass das öffentliche Gemeinwesen nicht allein Aufgabe der öffentlichen Hand sein kann. Insbesondere die Krise der kommunalen Haushalte hat
seit Mitte der 1990er Jahre eine umfassende Diskussion über die verstärkte Einbeziehung der Bürger in kommunale Entscheidungs- und Handlungsprozesse
ausgelöst. Ansätze zur Aufstellung so genannter Bürgerhaushalte zielen in diese
Richtung. Insoweit kann bürgerschaftliche Teilhabe auch eine Maßnahme der
Haushaltskonsolidierung sein. Neben diesem - eher dem bürgerschaftlichen
Engagement zuzuordnenden - Bereich darf die Rolle der Investoren, der örtlichen Wirtschaft und des örtlichen Handels einerseits und die Rolle der Verwaltung andererseits bei der Gestaltung von Prozessen und Maßnahmen nicht vernachlässigt werden. Auch in diesen Bereichen werden, zum Teil durchaus aus
wirtschaftlichem oder administrativem Interesse, wichtige Grundlagen für Stadtentwicklung geschaffen und Stadträume gestaltet.
Bei der Einbeziehung der Bürger geht man von einem Governance-Begriff aus,
der sich im Gegensatz zum allein staatlich verstandenen Government-Begriff
dadurch unterscheidet, dass er Staat, Markt, soziale Netzwerke und Gemeinschaften in unterschiedlichen Kombinationen einbezieht. Zur Analyse der politischen Steuerungsmöglichkeiten werden die Beiträge von zivilgesellschaftlichen
und privatwirtschaftlichen Akteuren mit einbezogen.4
Bürgerschaftliches Engagement
Bürgerschaftliches Engagement findet überwiegend im kommunalen Raum statt
und eröffnet neue Möglichkeiten der Beteiligung. Dabei sind zunächst dauerhaft
angelegte Beteiligungsinstrumente wie Ausländer- und Seniorenbeiräte von
zeitlich befristeten und zudem dialogorientierte von nicht dialogorientierten
Ansätzen zu unterscheiden (vgl. Tab. 1).
Stark dialogorientierte Formen der Beteiligung wie etwa Stadtmarketing oder
lokale Agenda 21 entsprechen in der Regel eher den Bedürfnissen und Erfordernissen der Bürger und geben die Chance zu dauerhaftem Engagement.
4
266
Hinsichtlich der Ausgestaltung und der Förderungsmöglichkeiten des bürgerschaftlichen Engagements sollen im Weiteren nur Ausschnitte aufgegriffen werden. Hier muss insbesondere auf
die aktuellen und umfassenden Untersuchungen der Enquetekommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestags sowie deren Empfehlungen hingewiesen werden (vgl. Enquête-Kommission Zukunft des „Bürgerschaftlichen Engagements“ 2002).
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Kommunalverwaltung
Tab. 1: Beteiligungsinstrumente des Bürgerschaftlichen Engagements im Überblick
Quelle: Bogumil
Dialogorientiert
nicht
dialogorientiert
Punktuelle Beteiligung
Dauerhafte Beteiligung
Bürgerforen aller Art
(Mediationsverfahren)
Planungszelle
Zukunftskonferenz/- werkstatt
open space
Stadtteilkonferenz
Perspektivenwerkstatt
E-Democracy
Ausländerbeiräte
Seniorenbeiräte
Behindertenbeiräte
Kinder- und Jugendparlamente
Nachbarschaftsarbeit
Gemeinwesenarbeit
Quartiersmanagement
Bürgerversammlungen
Bürgerbefragungen
Einwohnerfragestunden
turnusmäßige Bürgerbefragungen
Gleichsam machen die veränderten Motive sich zu engagieren deutlich, dass ein
langfristiges Engagement nicht immer gewollt ist. Der persönliche Einsatz
erfolgt heute gewöhnlich spontan, zur konkreten Lebenssituation passend und
damit eben nicht zwangsläufig langfristig.
Hinzu kommt, dass die individualisierte Gesellschaft durch ein starkes Bedürfnis nach Eigenverantwortung und Selbstbestimmung geprägt ist, woraus neue
Herausforderungen an Mitbestimmungs-, Gestaltungs- und Teilhabemöglichkeiten resultieren. In der Praxis sind die Engagement- und Beteiligungsformen vielfältig und unterschiedlich erfolgreich. Das Engagement bei Bürgerforen ist
sowohl zeitlich befristet als auch themenorientiert.
Die herkömmliche, formale Bürgerbeteiligung im Rahmen der Bauleitplanung
wird nicht immer den neuen, dialogorientierten Verfahren der Bürgerbeteiligung
gerecht. Durch die zurückhaltende Anbindung an die kommunale Vertretung
durch Rat und Ausschüsse besteht häufig die Gefahr einer mangelnden Umsetzung der Beteiligungsergebnisse, zumal auch die finanziellen Handlungsspielräume der Kommunen immer enger werden. Setzt die Kommunalpolitik sich
zum Ziel, durch freiwillige und offene Beteiligungsprozesse Politikverdrossenheit
abzubauen, so wird dieses Ziel erheblich gefährdet, wenn die Ergebnisse des
Beteiligungsmanagements nicht ernst genommen und nicht aufgegriffen werden und deshalb auch keine Umsetzung erfahren.
Seit Mitte der 1990er haben sich in Deutschland neue Formen der Engagementförderung herausgebildet. Dennoch gibt es in nordrhein-westfälischen
Städten deutlich weniger Mitarbeiter, die für die Förderung von bürgerschaftlichem Engagement, Freiwilligenagenturen oder Bürgerstiftungen zuständig sind,
als beispielsweise in Baden-Württemberg. Die dortige Förderpraxis zeichnet
sich stärker durch Engagementkonzepte als durch landesgeförderte Einzelprojekte aus.
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Insbesondere in den Klein- und Mittelstädten besteht ein erhebliches Engagementpotenzial. Eine Befragung in den Städten Arnsberg und Schwäbisch
Gmünd zeigt, dass der Spaß an Engagement - wie z.B. im Sportverein - vorherrschende Motivation ist, während etwa die Übertragung der Pflege von
öffentlichen Grünflächen oder die Pflege öffentlicher Einrichtungen nur auf
wenig Interesse bei den Bürgern stößt.
Zahlreiche innovative Beteiligungsformen sind auch innerhalb der von den Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung 1992 initiierten Lokalen Agenda 21
vorgesehen. Gerade in Nordrhein-Westfalen ist durch eine intensive Landesförderung die Teilnahme der Kommunen am Agendaprozess mittlerweile der
Regelfall. Dennoch hat dieser Prozess zuweilen zu Frustration geführt, da er
„top-down“ organisiert wird und die initiierten Maßnahmen nicht in dem erhofften Maße umgesetzt werden. Erfolgreich sind in der Regel kleine, konkrete Projekte, deren Umsetzung entweder durch eigene Mittel, Sponsoren oder durch
Landesmittel garantiert werden kann. Diese Ansätze gilt es aufzugreifen, damit
bürgerschaftliches Engagement noch gezielter wirken kann.
Als weiteres Erfolgshindernis erweist sich innerhalb der Agendaarbeit die mangelnde Diskussionsbereitschaft und Entschlussfreudigkeit der beteiligten
Akteursgruppen bei wesentlichen Konfliktfragen. Ebenso problematisch sind
Konkurrenz- wie auch Kompetenzängste der kommunalpolitischen Entscheidungsträger und der Fachverwaltungen, die sich in ihren Einflussmöglichkeiten
beeinträchtigt sehen.
Privatwirtschaftliches Engagement
Das private Engagement auf kommunaler Ebene ist besonders stark in zwei
relativ neuen Politikbereichen ausgeprägt, dem Stadtmarketing (Problemlage
Einzelhandel in Innenstadtlagen - Konkurrenz durch „grüne Wiese“) und der Kriminalprävention. Durch die Anreizfinanzierung des Landes im Rahmen der
Stadtmarketingkonzepte können Vertreter des Einzelhandels und andere Akteure gewonnen werden. Auch das Folgeprogramm „Ab in die Mitte - City-Offensive Nordrhein-Westfalen“, finanziert aus dem Stadterneuerungsprogramm des
Landes, stößt auf positive Resonanz.
Die ebenfalls durch das Land initiierten Ordnungspartnerschaften auf kommunaler Ebene sind zu großen Teilen Kooperationen, die das Engagement zumeist
der Einzelhändler im Rahmen der Kriminalprävention fördern. Diese Konzepte
sind im Vergleich zu den Agendaprozessen erfolgreicher, da geringere Umsetzungsprobleme und übereinstimmende Interessenlagen bei den beteiligten Bürgergruppen bestehen.
Kommunale Engagementinfrastruktur
Ähnlich den privatwirtschaftlichen Aktivitäten hat sich die Akzeptanz für kriminalpräventive, bürgerschaftliche Ansätze entwickelt, da sich die Furcht vor Kri268
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Kommunalverwaltung
minalität unter anderem an äußeren Zeichen von Unordnung und Unsauberkeit
manifestiert. Hierbei ist nicht zu bestreiten, dass das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung lange Zeit nicht genügend berücksichtigt wurde.
Durch Runde Tische und eine Vernetzung der Kommune mit Polizei, Handel und
Bürgern innerhalb von Ordnungspartnerschaften konnte die Kriminalprävention
in lokale Politik mit starker privater
Beteiligung integriert werden.
Bei der Entwicklung einer kommunalen
Infrastruktur zur Engagementförderung, insbesondere in Form von Freiwilligenagenturen, Seniorenbüros und
Selbsthilfekontaktstellen erscheint ein
Blick auf die Aktivitäten in BadenWürttemberg sinnvoll. In der Literatur
wird darauf hingewiesen, dass gerade
in Klein- und Mittelstädten die Ansiedlung entsprechender Büros innerhalb der Kommunalverwaltung Vorteile und
einen höheren Bekanntheitsgrad gegenüber lediglich auf Initiative eines Wohlfahrtsverbandes eingerichteten Freiwilligenagenturen bietet. Das Nebeneinander von Selbsthilfekontaktstellen, Seniorenbüros und Freiwilligenagenturen sollte zugunsten einer Zusammenlegung aufgegeben werden.
Organisationen und Verbände
In einer langen Tradition steht die Beteiligung der gesellschaftlichen Akteure in
der Jugendhilfe. Dabei erfüllen die Wohlfahrtsverbände drei wichtige Funktionen
als Dienstleister, als Organisatoren ehrenamtlicher Helfer sowie als Interessensvertreter ihrer Klientel.
Die Nähe der Wohlfahrtsverbände zu den Jugendhilfeausschüssen der Kommunen wird von nicht wenigen Akteuren und Beobachtern als kritisch eingeschätzt.
Andere, private Akteure sehen sich dadurch bei der Politikformulierung und implementierung benachteiligt und ins Abseits gedrängt. Gleichwohl haben sich
die Wohlfahrtsverbände als verlässliche Partner bewährt und werden nicht zuletzt auch durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz sowie das Bundessozialhilfegesetz gefördert. Wettbewerb in der Vergabe findet in der Jugendhilfe heute de facto nicht statt. Elemente eines Wettbewerbs finden sich bis
heute lediglich im Bereich der Erziehungshilfe.
Durch eine stärkere Wettbewerbsorientierung im Jugendbereich könnte die Zahl
der Ehrenamtlichen immer stärker zurückgehen, da diese sich eben nicht für rein
privatrechtlich geführte Unternehmen engagieren würden.
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Vereine
Traditionell ist das Vereinswesen mit seinen vielfältigen Angeboten in NordrheinWestfalen stark ausgeprägt. Das große Engagement in Sportvereinen ist der
gesellschaftlich dominierte Teil innerhalb der Sportpolitik. Hier hat sich das
Engagement in den letzten 20 Jahren erheblich verstärkt. So hat sich in dieser
Zeit die Zahl der Vereine und Verbände verdoppelt. Die Sportvereine bieten
heute eine leistungsfähige ehrenamtliche Struktur, die auch Aufgabenübertragungen durch die Kommune erledigen und bewältigen kann. Beispiele hierfür
bieten Essen und Gelsenkirchen, die ihren Stadtsportbünden weitgehend die
Aufgaben und Kompetenzen der klassischen Sportverwaltungen übertragen
haben. In Essen haben der Sportbund und die Vereine beispielsweise zahlreiche
Sportstätten durch die Delegation der Schlüsselgewalt in ihre Trägerschaft
übernommen. Die Stadt reduziert somit ihre Ausgaben, wobei die Vereine aufgrund der faktischen Mehreinnahmen zudem ein besseres Angebot machen
können.
Mitwirkungsrechte in Kommune und Quartier
Ein Vergleich mit Konzepten und Erfahrungen in Großbritannien, Frankreich und
Schweden zeigt zunächst, dass der Bund und die Länder in der Erweiterung der
direkten politischen Mitwirkungsrechte der Bürger auf der kommunalen Ebene
am weitesten fortgeschritten sind, da seit den frühen 1990er Jahren die verbindlichen kommunalen Referenden eingeführt worden sind. In Schweden sind
die Erfahrungen mit den von oben angeordneten Nachbarschaftsräten auf der
Stadtteilebene der Kommunen eher negativ. Dem stehen die positiven Erfahrungen in Frankreich mit den seit den 1920er Jahren aus der Bürgerschaft entstandenen Quartiersräten (conseils de quartier) gegenüber, die den Betroffenen,
aber auch einzelnen Randgruppen zum Teil weitgehende Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte zukommen lassen.
Positive Erfahrungen gibt es sowohl in Schweden als auch in Frankreich mit der
Einrichtung von Nutzerräten als Ansatz einer so genannten kleinen Demokratie.
Diese geben den Nutzern bestimmter kommunaler Einrichtungen wie z.B. den
Eltern in den Schulen oder Jugendlichen in Jugendeinrichtungen die Möglichkeit zur Mitwirkung an sie unmittelbar betreffenden Entscheidungen. Dies
geschieht im Sinne einer Nutzerdemokratie und umfasst sogar kleine, selbständig verwaltete Budgets.
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Kommunalverwaltung
7.3
Neue Organisationsformen in der öffentlichen Verwaltung
Die öffentliche Verwaltung steht unter einem stetigen Modernisierungsdruck.
Angesichts der anhaltenden Krise der öffentlichen Finanzen hat das Modernisierungserfordernis jedoch eine neue Qualität erhalten.5
Den Bemühungen ist vielfach gemein, Modernisierungserfahrungen aus der Privatwirtschaft auf die öffentliche Verwaltung zu übertragen. Mittlerweile gibt es
einen „breiten Konsens darüber, dass auch die Verwaltungen effektiver und effizienter werden sollen und dass es durchaus sinnvoll sein kann, aus privatwirtschaftlichen Erfahrungen zu lernen. Die Ökonomisierung gesellschaftlicher
Strukturen macht auch vor dem öffentlichen Sektor nicht halt, die Marktwirtschaft endet nicht mehr länger vor den Rathaustoren“.6 Allerdings ist nicht alles,
was von privatwirtschaftlich geprägten Unternehmensberatern vorgeschlagen
wird, eins zu eins auf den öffentlichen Sektor übertragbar. Die Implementierung
derartiger Prozesse und Strategien in die öffentliche Verwaltung erfordert ein
hohes Maß an Sensibilität.
Gegen Anfang der 1990er Jahre hat die Diskussion über die Modernisierung des
Staates neuen Schwung bekommen. Dieser Modernisierungsdruck hat verschiedene Ursachen: Aus neuartigen Problemlagen (z.B. Haushaltskrisen, höheren Ansprüchen der Bevölkerung durch Wertewandel), einem veränderten internationalen Umfeld (Globalisierung, EU-Erweiterung etc.) sowie einem organisatorischen Paradigmenwechsel im privaten Sektor und schließlich aus den
Modernisierungsbemühungen in anderen Staaten resultierte die Notwendigkeit
einer schnellen Anpassung.7
Die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung hat vor allem auf der kommunalen Ebene stattgefunden. Dies ist nicht ungewöhnlich, da der Kontakt zwischen Verwaltung und Bürgern auf der kommunalen Ebene besonders intensiv
ist. So werden Fehlentwicklungen und Defizite weitaus früher wahrgenommen
als auf der Ebene der Länder und des Bundes.
Die Beurteilung der deutschen Kommunalverwaltung gab in den letzten Jahren
kein einheitliches Bild ab. In den 1970er und 1980er Jahren galt die deutsche
Kommunalverwaltung auch international als wertgeschätztes Markenprodukt.
Zu Beginn der 1990er Jahre hat sich diese Einschätzung grundlegend gewandelt. In internationalen Leistungsvergleichen wurde festgestellt, dass die deutsche Kommunalverwaltung teilweise erhebliche Leistungs- und Innovationsde-
5
Vgl. Bogumil/Kißler 1995, S. 7.
6
Kißler/Bogumil/Greifenstein/Wiechmann 1997, S. 22.
7
Vgl. Naschold/Bogumil 2000, S. 84ff.
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fizite aufweist - dies gilt besonders für den Wettbewerb im Zusammenhang mit
der Vergabe des Carl-Bertelsmann-Preises 1993.8
Seit dieser Bestandsaufnahme sind mittlerweile mehr als zehn Jahre vergangen.
Auch wenn die Entwicklung nicht im gesamten Land in allen Kommunen parallel verlaufen ist, ist seitdem auf kommunaler Ebene viel geschehen. Einige
Aspekte dieser Entwicklung sollen im Folgenden aufgegriffen werden.
7.3.1 Das Neue Steuerungsmodell
Inspiriert durch die internationalen Erfahrungen eines New Public Management
und durch das so genannte Tilburger Modell in den Niederlanden hat die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung im Jahr 1993 das
Neue Steuerungsmodell als Reformleitbild vorgelegt.9 Innerhalb weniger Jahre
hat sich das Modell zum bestimmenden Modernisierungs- bzw. Referenzkonzept für die kommunalen Verwaltungen entwickelt.10 Das anfangs mit großer
Euphorie aufgenommene Konzept wurde jedoch in den Städten und Gemeinden
des Landes im unterschiedlichen Maße umgesetzt.
Das Neue Steuerungsmodell stellt eine Abkehr von der klassisch bürokratischen
Steuerung der öffentlichen Verwaltung dar.11 Im Kern beschreibt es das Leitbild
des politisch gesteuerten Dienstleistungsunternehmens Kommunalverwaltung:
Es ist kunden- bzw. nachfrageorientiert statt inputorientiert und zudem deutlich
wettbewerbsorientiert.12 Ein weiteres entscheidendes Element als Zeichen einer
unternehmensähnlichen dezentralen Führungs- und Organisationsstruktur ist
die neue Verantwortungsabgrenzung zwischen Politik und Verwaltung. Demnach soll die Politik für das „Was“, die Verwaltung für das „Wie“ der kommunalen Leistungserstellung zuständig sein. Diese Konstruktion wird als Kontraktmanagement bezeichnet, das als Vereinbarung von Zielen zwischen Politik und Verwaltung unter Bereitstellung von entsprechenden Ressourcen zu verstehen
ist.13
Als das wirksamste Element hat sich die im Neuen Steuerungsmodell vorgesehene Budgetierung erwiesen. Bei konsequenter Umsetzung wurde hierdurch
8
Vgl. Naschold 1997, S. 89.
9
Bereits im Jahr 1991 hat die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung
einen Bericht vorgelegt, der die Grundgedanken für ein neues Leitbild der Kommunalverwaltung
formuliert. Vgl. Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung 1991.
10 Vgl. Banner 1997, S. 125.
11 Vgl. Naschold/Jann/Reichard 1999, S. 15f.
12 Vgl. Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung 1993, S. 13f.
13 Vgl. Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung 1993, S. 16f.
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Kommunalverwaltung
eine eindeutige fachbereichsbezogene Ressourcenzuständigkeit und in der
Folge eine haushalterische Begrenzung von Haushaltstiteln erreicht. Außerdem
wurde ein kurzfristig wirksames Konsolidierungsinstrument gefunden, indem
Ausgaben nicht aufgabenorientiert sondern budgetorientiert kalkuliert werden.
Insofern wird das Neue Steuerungsmodell in der Praxis weniger als Leitbild,
sondern eher als Rationalisierungsinstrument genutzt.14 Das Zusammenführen
der Fach- und Budgetverantwortung führt jedoch zu erheblich mehr Verantwortung auf Seiten der Verwaltung, die nicht mehr auf andere Budgets zurückgreifen kann. Gleiches gilt für Politik und Öffentlichkeit: Politische Prioritätensetzungen werden unmittelbar sichtbar und somit öffentlich diskutierbar.
Schwierigkeiten ergeben sich in vielen Kommunen bei der Ermittlung des vorhandenen Vermögens. Erst die Einbeziehung der Kosten für den Werterhalt, die
jeder Kaufmann in Form seiner Abschreibungen darlegt, macht die Doppelte
Buchführung zu einem wirksamen Instrument. Nur wer die Folgekosten von politischen Entscheidungen kennt und in seine politischen Beschlüsse einbezieht,
kann gesamtverantwortlich entscheiden.
Eine entsprechende Reform des Haushaltsrechts der Gemeinden steht unmittelbar vor der Umsetzung. Die althergebrachte Kameralistik hat ausgedient und
wird durch das Neue Kommunale Finanzmanagement - ein an die Erfordernisse
öffentlicher Haushalte angepasstes kaufmännisches Rechnungswesen - abgelöst. Damit hält die betriebswirtschaftliche Buchführung jetzt in ihren Grundzügen Einzug in die Haushalte der Kommunen. In Nordrhein-Westfalen haben in
drei Jahren sieben Modellkommunen Erfahrungen mit dem Neuen Kommunalen
Finanzmanagement gesammelt. Nach Auswertung dieser Erfahrungen wird nun
mit der flächendeckenden Umsetzung in die Praxis begonnen. Bei dem Modellprojekt ist herauszuheben, dass diese sieben Kommunen den Entwurf für das
Gesetz selbst entwickelt haben und somit ein praxisorientiertes Konzept entsteht.
Das Gesetz kann noch im Laufe des Jahres 2004 im Landtag beraten und verabschiedet werden. Ab 2005 kann dann in Nordrhein-Westfalen die Umsetzung
beginnen. Spätestens ab 2008 müssten dann alle nordrhein-westfälischen
Kommunen ausschließlich mit dem neuen System arbeiten.15
Das Hauptproblem des Neuen Steuerungsmodells ist und bleibt seine konsequente Umsetzung, die vielfach durch bestehende Normen wie Haushaltsrecht,
Besoldungs- und Tarifstrukturen oder Personalvertretungsrecht sowie durch die
Akteure selbst gehemmt wird.
Ein weiteres Problem stellt die oft infolge der Haushaltskrise erfolgte Ausgliederung ehemaliger Verwaltungsteile dar. Mittlerweile wird in vielen Städten mehr in
14 Vgl. Kißler 1998, S. 16.
15 Innenministerium NRW, Pressemitteilung vom 21. November 2003.
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diesen Gesellschaften investiert, als innerhalb der Kernverwaltung. Dem Rat als
gewähltem Organ muss eine funktionierende Beteiligungsverwaltung zur Seite
gestellt werden, damit er seine Funktion als Gesellschafter wahrnehmen kann.
Die Verwaltungsspitze muss auch hier eindeutig den Unternehmen sowohl in
fachlicher als auch in ressourcenspezifischer Sicht zugeordnet werden. Gleichzeitig muss der Rat gerade auch gegenüber den Gesellschaften den politischen
Willen aufbringen und durchsetzen, diese strategisch über klare Vereinbarungen
und verlässliche Budgetvorgaben zu steuern.
Nicht weniger problematisch ist die Einbindung der Politik. Vielfach wurden die
politischen Entscheidungsträger nicht ausreichend in die Planungen integriert,
was Unmut und Widerstand erzeugt. Dass die Idee einer Trennung von politischen Entscheidungen und dem operativen Geschäft nicht realistisch und sinnvoll ist, zeichnet sich zunehmend ab. Gleichermaßen müssen die Beschäftigten,
die eigentlich Betroffenen, in den Reformprozess mit eingebunden werden.
Es ist letztendlich anzunehmen, dass das Leitbild des Dienstleistungsunternehmens Kommunalverwaltung nur Erfolg haben kann, wenn die Entscheidungsträger aktiv in den Modernisierungsprozess eingebunden werden: „Politik steht
dabei nicht am Rande, sondern im Zentrum des Modernisierungsfeldes“.16 Sie
muss allerdings die Bereitschaft zeigen, auf einzelne Kompetenzbereiche zu
verzichten, die von der Fachverwaltung erledigt werden können. Gleichzeitig
muss die Politik den Willen haben, die wesentlichen strategischen Entscheidungen selbst zu treffen und sich dabei weder hinter Ressortfragen noch hinter der
Verwaltung zu verstecken.
Aus heutiger Perspektive stellt sich kein durchgängig positives Bild bei der
Beurteilung der kommunalen Verwaltungsmodernisierung in den letzten elf Jahren ein. Aus diesem Grund haben laut Banner viele Kommunen nur Teile des
Neuen Steuerungsmodells umgesetzt, was die Wirksamkeit des Modernisierungskonzepts erheblich beeinträchtigt.17 So überrascht es auch nicht, dass der
Modernisierungsprozess als zu langsam bewertet wird.18 Eine insgesamt positive Bilanz will selbst die kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung nicht ziehen. Sie bewertet die Verwaltungsreform nicht als durchgehende Erfolgsgeschichte, obwohl sichtbare Erfolge eingetreten sind.19
16 Bogumil/Kißler 1998, S. 19.
17 Vgl. Banner 2003, S. 17.
18 Vgl. Vogel 2003, S. 10. Nach Bogumil kann zwischen vier Reformphasen der kommunalen Verwaltungsmodernisierung unterschieden werden: 1. Grundlegende Kritik bis 1993; 2. Euphorische Aufbruchstimmung bis 1996; 3. Stagnation bzw. Ernüchterung bis 1998; 4. Konsolidierung
und Konzentration der Modernisierung auf das Machbare, Ermüden der Reformen oder Neuausrichtung unter dem Stichwort Bürgerkommune. Vgl. Bogumil 2002, S. 55.
19 Vgl. Hilbertz 2002, S. 2.
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7.3.2 E-Government
Seit Jahren bestimmen Forderungen nach einer größeren Dienstleistungs- und
Kundenorientierung sowie Flexibilität und Wirtschaftlichkeit die Diskussion über
die Zukunft der öffentlichen Verwaltung. Der Einsatz des Internets zur Verwaltungsprozesserleichterung und -flexibilisierung erscheint eine nahe liegende
Lösung. Die großen Erwartungen und Hoffnungen, die in die digitale Revolution
gesetzt wurden, sind allerdings inzwischen einer pragmatischen Annäherung
und Nutzung der neuen Medien gewichen.
Die Akzeptanz der einzelnen Anwendungsmöglichkeiten fällt sehr unterschiedlich aus. Während die Internetnutzung ebenso wie die Internetpräsenz von
Unternehmen mittlerweile Selbstverständlichkeiten darstellen, werden die
Potenziale, die aus dem Einsatz von Internetdiensten im Rahmen von Verwaltungsprozessen resultieren, auf Grund fehlender Rahmenbedingungen nach wie
vor nur unzureichend genutzt. Trotzdem sind viele Beispiele bekannt, wo nordrhein-westfälische Städte ihre Leistungsbereitschaft und ihre Leistungsfähigkeit
auf dem Gebiet des elektronischen Verwaltungshandelns unter Beweis stellen.
Die zahlreichen entwickelten elektronischen Portale der Verwaltungseinheiten
machen deutlich, dass auch die öffentliche Hand sich den aktuellen technischen
Herausforderungen stellt.
Einschränkend muss aber festgestellt werden, dass sich das Gros der kommunalen Internetauftritte auf eine nahezu ausschließliche Informationswiedergabe
beschränkt. Über die simplen Abruffunktionen hinausgehende, möglicherweise
sogar interaktive Angebote findet man dagegen nur selten. Das elektronische
Wunschkennzeichen etwa ist zwar ein durchaus sinnvolles und von der Bevölkerung auch angenommenes Angebot, aber erst der Anfang der Möglichkeiten.
Der Einsatz von E-Government wird häufig im Rahmen einer notwendigen Verwaltungsmodernisierung diskutiert.
Die Erwartungen an eine Steigerung der Kunden- und Dienstleistungsqualität
wie auch der Wirtschaftlichkeit der Verwaltungsarbeit zielen darauf, komplette
Geschäftsvorgänge zwischen Bürgern und Verwaltung über das Internet abzuwickeln. Die Bereitstellung von Formularen zum Download ist hier keine hinreichende Antwort auf die Anforderungen an das neue Medium. Zu kurz greifen
auch Ansätze, bestehende Verwaltungsabläufe einschließlich der bisherigen
Formulare zu kopieren und in das Internet einzustellen. Eine Verknüpfung digitaler und traditioneller Wege in der Weise, dass Formulare herunter geladen werden, dann aber von Hand ausgefüllt und zur Behörde getragen werden müssen,
um dort manuell bearbeitet zu werden, erfüllt die Erwartungen aller an das
Medium nicht. Mit der elektronischen Steuererklärung (ELSTER) weist die
Finanzverwaltung hier den Weg in die richtige Richtung.
Die Angebote müssen im Hinblick auf interaktive Prozesse und eine stärkere
elektronische Teilhabe der Bürger an Entscheidungen deutlich weiter entwickelt
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werden. Voraussetzung hierfür ist, dass bei Bedarf auch die Verwaltungsabläufe verändert werden und eine Aufgabenkritik erfolgt.
Die Akzeptanz des Internets bei den Bürgern und den Verwaltungsmitarbeitern
ist in den letzten Jahren sicher gestiegen. Das Medium hat sich mittlerweile zu
einer unentbehrlichen Kommunikations- und Arbeitshilfe entwickelt.
Die anfänglich geführten Diskussionen bei der Etablierung von E-Government
zu notwendigen technischen Infrastrukturen, Anwendungen, Standards etc.
sind zwischenzeitlich abgeschlossen. Die Diskussion fand zunächst nahezu
ausschließlich vor dem Hintergrund der technischen Machbarkeit und der damit
verbundenen Kosten statt.
Abgesehen von der technischen Nutzbarkeit ist bei der Umsetzung von EGovernment jedoch auch zu berücksichtigen, dass zurzeit nur etwa die Hälfte
aller Haushalte Zugang zum Internet haben (vgl. Kapitel B3). Neben Anforderungen an die Verfügbarkeit für unterschiedliche Nutzer ist zudem der Sicherheitsaspekt ein zentraler Gesichtspunkt. Hier spielt die Einführung der elektronischen Signatur eine besondere Rolle. Die Abwicklung von Verwaltungsvorgängen stellt hohe Anforderungen an die Datensicherheit. Besonders in Deutschland besteht hier sowohl auf Seiten der Bürger als auch auf Seiten der Verwaltung ein hohes Sicherheitsbedürfnis. Allerdings erscheint fraglich, ob tatsächlich
für alle angedachten Verwaltungsvorgänge die hohen Anforderungen einer
elektronischen Signatur erfüllt sein müssen.
Mit der kontinuierlich wachsenden Akzeptanz des Internets in allen Lebensbereichen werden auch die Anforderungen für elektronische Signaturen und andere Identifikationsmöglichkeiten zunehmen. Das praktische Beispiel des OnlineBankings zeigt, dass mit der Personal Identity Number (PIN) und Trans Action
Number (TAN) durchaus ein Sicherheitsstandard erreicht werden kann, der von
den beteiligten Personen akzeptiert wird. Der Nutzer will einen Vorteil für sich
verbuchen können, wenn er sich dem Medium nähert. Dieser Vorteil lässt sich
am leichtesten monetär darstellen. Auch wenn eine Übertragung eines so verstandenen Aufwand-Nutzen-Prinzips nicht für alle Verwaltungsvorgänge möglich ist, spricht doch Vieles dafür, dass auch bei der Gebührengestaltung der
öffentlichen Hand entsprechende Differenzierungen vorgenommen werden sollten. So könnten etwa unterschiedliche Bearbeitungsgebühren für die traditionelle Bearbeitung und die Internetnutzung erhoben werden.
Die Akzeptanz des Mediums wird im Interesse der Beteiligten zweifelsfrei
erhöht, wenn die neue Form der Abwicklung mit einem Mehrwert verbunden,
also z.B. schneller, gebühren- und kostengünstiger als die herkömmliche Art der
Abwicklung ist.
Voraussetzung für die Nutzung des Internets in Verwaltungsprozessen ist, dass
die Nutzung einfach und leicht zugänglich ist. Wer den Verwaltungsvorgang
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Kommunalverwaltung
leichter per Telefon erledigen kann, wird nicht die Hürden eines gemeindlichen
Internetzugangs auf sich nehmen. Bei diesem Vergleich wird jedoch auch die
Überlegenheit des Mediums Internet deutlich, wenn das Angebot entsprechend
qualitativ gestaltet wird: So ist die Online-Nutzung nicht an Öffnungszeiten
gebunden und nahezu überall verfügbar.
Für das E-Government sind insbesondere die so genannten Lebenslagen-Portale von großer Bedeutung.20 Der Nutzer muss nicht die Zuständigkeitsfragen
der Verwaltung klären, wenn er das Angebot nutzen will, sondern hat direkten
Zugriff auf die für ihn relevanten Informationen. Beim Aufruf der Lebenslage
„Umzug“ bietet ihm das gemeindliche Portal beispielsweise eine Zusammenstellung aller Vorgänge, die in der Regel bei einem Umzug anfallen und zu
beachten sind. Bisher beschränkt sich das Angebot auf den öffentlichen
Bereich, jedoch gibt es keinen Grund, auf der Internetseite neben der meldebehördlichen Ummeldung nicht auch die Adressänderung bei den Unternehmen
der Versorgungswirtschaft, der örtlichen Tageszeitung, den Anbietern von Telekommunikationseinrichtungen etc. optional anzubieten. Hier eröffnen sich vielfältige Möglichkeiten eines sinnvollen Public Private Partnership. Ein Link zu
beim Umzug hilfreichen Firmen wie Umzugsunternehmen, Handwerkern etc. ist
hier zudem möglich und sinnvoll. Alle diese Angebote müssen dabei naturgemäß im Rahmen der datenschutzrechtlichen Bestimmungen bleiben.
In den bisherigen Überlegungen ist die erforderliche Anpassung des Verwaltungsablaufs an das neue Medium unberücksichtigt geblieben. In diesem
Zusammenhang sind noch viele Fragen offen; insbesondere dann, wenn das
Internet konsequent als anwendungsbezogenes bzw. nutzerorientiertes System
eingesetzt werden soll. Der Nutzer unterscheidet nicht nach Zuständigkeiten,
sondern will seine Nachfrage umfassend befriedigen und erwartet entsprechend, dass das Medium Internet alle
Zuständigkeitsfragen für ihn löst. Dies
macht die Notwendigkeit einer stärkeren Koordination und Zusammenarbeit
zwischen Bund, Ländern und Kommunen deutlich.
Neben den technischen Fragen müssen in diesem Zusammenhang auch
die rechtlichen - in erster Linie datenschutzrechtlichen - Probleme geklärt
sein. Der volle Nutzen des Mediums
erschließt sich nur, wenn der Bürger nicht die unterschiedlichen Internetangebote in einem zeitaufwändigen Arbeitsprozess suchen und finden muss, son-
20 Vgl. Reinermann 2001, S. 8ff.
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dern wenn ihm diese gebündelt zur Verfügung gestellt werden, ohne dass er
identische Daten mehrfach eingeben und übermitteln muss.
Durch das Vorhandensein einer technischen Vernetzung bieten sich insbesondere auch für die Verwaltungen neue Möglichkeiten der Gestaltung und Optimierung von Arbeitsabläufen. Die Kooperation zwischen verschiedenen Verwaltungsträgern wird auf diese Weise erheblich vereinfacht. Aufgaben können
zusammengefasst werden, ohne dass dies vom Nutzer bemerkt werden muss
(Service aus einer Hand). Auf diese Weise können Personalressourcen gezielter
genutzt und kostengünstig eingesetzt werden. Solche Formen der verwaltungsinternen Kooperation stoßen zurzeit noch an rechtliche Grenzen. Hier ist der
Landesgesetzgeber gefordert, zumal auch die verfassungsrechtlich gesicherte
Stellung der Kommunen zu beachten ist.
Auch beim Verwaltungsablauf sind weitere Anpassungen erforderlich, insbesondere wenn das Medium lückenlos eingesetzt werden soll. Die Überprüfung der
gesetzlichen Vorgaben im Zusammenhang mit der gewünschten Entbürokratisierung sollten dabei die Erfordernisse von Schriftformen und Anlagen einer kritischen Überprüfung unterzogen werden. Diese Anforderungen sind mit der Nutzung elektronischer Verfahren nur schwer vereinbar und häufig nicht mehr zwingend erforderlich.
E-Government bezieht sich nicht ausschließlich auf das Verhältnis von Verwaltung und Bürger. Auch die Beziehungen zwischen Verwaltung und privater Wirtschaft enthalten auf beiden Seiten ein erhebliches Rationalisierungspotenzial. In
diesem Bereich wird die Zusammenarbeit nicht nur durch den wechselseitigen
wirtschaftlichen Nutzen erleichtert. Es fallen hier auch viel häufiger Verwaltungskontakte gleicher Art an, so dass sich die Anschaffung entsprechender
Zugangssoftware eher rentiert als dies im Verhältnis zum Bürger der Fall ist.
Auch die Antragstellung durch Architekturbüros, deren Berechtigung durch eine
entsprechende Kennung problemlos nachgewiesen werden kann, sollte weiterentwickelt werden.
Das neue Medium eignet sich auch zur Kommunikation zwischen Mitarbeitern
der verschiedenen Ebenen, da mit Hilfe des E-Governments sowohl eine
schnelle Informationsübermittlung als auch eine Verbesserung der Schulungsmöglichkeiten erreicht werden kann.
Eine weitere wesentliche Funktion des Mediums besteht darin, dass die Befähigung der Bürger zur Teilhabe am politischen Geschehen im Sinne der E-Democracy deutlich gesteigert werden kann. Voraussetzung für die Partizipation an
den politischen Abläufen ist dabei die Verfügbarkeit entsprechender Informationen, also die Schaffung von Transparenz. Hier können die bereits existierenden
Informationsangebote weiterhelfen, müssen allerdings hinsichtlich ihrer Transparenz noch weiter entwickelt werden. Die in diesem Zusammenhang bislang
mit dem Informationsfreiheitsgesetz gesammelten Erfahrungen sind gut. Aller278
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Kommunalverwaltung
dings könnten die rechtlichen Möglichkeiten des Gesetzes noch besser umgesetzt werden. Auch könnte der mittlerweile in vielen Kommunen mögliche Zugriff
der Bürger auf Verwaltungsvorlagen sowie Rats- und Ausschussprotokolle in
vielen Fällen noch verbessert werden.
Insgesamt sollte auch im Bereich der E-Democracy die Erwartungshaltung an
das Medium Internet nicht zu hoch sein. Der Bürger, der bisher den Informationsveranstaltungen zur Bauleitplanung fern geblieben ist, wird sich durch das
elektronische Angebot nicht automatisch zum aktiven und interessierten Bürger
entwickeln. Auch hier bietet das Medium nur das Handwerkszeug, das von den
Menschen genutzt werden muss. Die Verwaltung ist allerdings gefordert, den
Bürgern den Zugang so leicht wie möglich zu gestalten. Zugangsbarrieren darf
es nicht geben.
7.3.3 Public Private Partnership
Eine zunehmenden Ökonomisierung des öffentlichen Sektors äußert sich
sowohl durch indirekte wie auch durch faktische Wettbewerbe mittels Privatisierungen als auch in Public Private Partnership (PPP). Public Private Partnership stehen wegen ihres hohen Maßes an flexiblen Einsatzmöglichkeiten im
Fokus gleichermaßen von Wissenschaft wie von Praxis. So stellt auch der Vorstand des Städtetages Nordrhein-Westfalen hinsichtlich der Publik Private Partnership Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen in einem Beschluss „vor dem
Hintergrund des hohen Investitionsbedarfs einerseits, der finanziellen Situation
der Städte und der damit verbundenen Talfahrt der städtischen Investitionen
andererseits (...) fest:
1. Städtische Investitions- und Finanzierungsentscheidungen sind grundsätzlich Einzelfallentscheidungen. Die Nutzung privater Finanzierungs- und Betreibermodelle für die Erfüllung kommunaler Aufgaben ist abhängig von der
Wirtschaftlichkeit der Vorhaben im Vergleich zur Finanzierung mit Hilfe von
Kommunalkrediten.
2. Bestehende Restriktionen des Landesgesetzgebers gegenüber privaten Realisierungsformen kommunaler Investitionen sind aufzuheben und die Entscheidungsbefugnis für die Nutzung dieser Modelle ist ausschließlich in die
Verantwortung der Kommunen zu legen. Gleichzeitig sind die Förderrichtlinien für derartige Modellvorhaben zu öffnen (...)“.21
Auch wenn diese Forderungen grundsätzlich zu unterstützten sind, wird im Rahmen eines Abwägungsprozesses gründlich zu prüfen sein, ob insbesondere die
21 Städtetag NRW, Eildienst vom 15. Mai 2003.
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zweite Forderung vollständig umsetzbar ist. Es erscheint daher sinnvoll, ausgewählte Modellvorhaben durchzuführen, sie kritisch zu begleiten und auf der
Grundlage einer fachlichen Evaluation über die Gestaltung weiterer Konzepte
sowie über notwendige rechtliche Rahmenbedingungen zu entscheiden.
Die Definition von Public Private Partnership erfolgt nicht einheitlich. Es handelt
sich vielmehr um einen schillernden Begriff. Allgemein dürfte es zutreffend sein,
hierunter Kooperationen zwischen staatlichen bzw. kommunalen, privatgewerblichen und nicht-öffentlichen Akteuren zur Erstellung bestimmter Werke
oder Leistungen zu verstehen. Sie können durchaus unterschiedliche Formen
annehmen und sind dadurch charakterisiert, dass unterschiedliche Handlungslogiken zu einer gemeinsamen Zielperspektive vermittelt werden.22
Eine Übersicht über die verschiedenen Formen geben die Studie „Public Private Partnership“ der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2003 sowie die Ausarbeitung des Bundesverbandes deutscher Banken „Public Private Partnership Chancen für die Modernisierung von Infrastruktur und Verwaltung“ aus dem
Jahr 2004.23
Der öffentliche Einfluss des öffentlichen Bereichs bleibt größer als bei der reinen
Privatisierung. Die Stärken der Privatwirtschaft werden zur Erreichung des Zieles genutzt. Die Vorteile bei Projekten des Public Private Partnership mit Blick
auf eine effiziente öffentliche Aufgabenerfüllung ergeben sich insbesondere aus einer schnelleren Realisierung,
einer Ausweitung des Wettbewerbs,
einer sachgerechten Risikoverteilung
und privatwirtschaftlichem Managementwissen.24
Gerade im Bereich der Risikoverteilung
ist jedoch festzustellen, dass ein angemessener Risikotransfer hin zu den privaten Akteuren eines Partnership häufig nicht erfolgt. Stattdessen besteht die Gefahr, dass das finanzielle und rechtliche Risiko vielfach bei den Kommunen verbleibt. Dies kann nicht Sinn einer
gleichberechtigten Zusammenarbeit sein. Aufgrund mangelnder Projekterfahrung sind die kommunalen Akteure häufig überfordert; bei ihnen besteht Beratungsbedarf.
22 So z.B. Sack 2003, S. 5.
23 Hart/Welzel/Gerstelberger/Sack 2003; BdB 2004.
24 Dieckmann 2004, S. 23.
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Kommunalverwaltung
Eine erste Bewertung der Ergebnisse der Projektgruppe Public Private Partnership im nordrhein-westfälischen Finanzministerium nimmt Dieckmann vor.
Danach ergeben sich anhand der ersten Ausschreibungsergebnisse Einsparungen von zehn bis 15 Prozent über eine Laufzeit von 25 Jahren. Dieckmann weist
hierbei allerdings auch darauf hin, dass diese Einspareffekte nicht zwingend
haushaltsrelevant werden, sondern sich auch in einer höheren Qualität ausdrücken können.25
Standardmäßig wird betont, dass die Zuwendung zu öffentlich-privaten Modellen nicht die alleinige Folge der finanziellen Situation der öffentlichen Haushalte
ist. Trotzdem nähert man sich dem Thema aber über eine Beschreibung der
finanziellen Situation. So heißt es beispielsweise bei Dieckmann nach einer Charakterisierung der schwierigen Finanzlage: „Staat und Kommunen müssen
(. . .) bei den notwendigen Investitionsmaßnahmen und der Auflösung des vorhandenen Sanierungsstaus in der öffentlichen Infrastruktur neue Wege gehen“.26 Bei Public Private Partnership handelt es sich nicht ausschließlich um
eine allternative Finanzierungsform. Mit Hilfe dieser Modelle werden die unterschiedlichen Stärken der Partner kombiniert und damit das Ergebnis optimiert.
Derartige privat-öffentliche Modelle sind aber nicht per definitionem die überlegenen Organisationsformen. Ob im Einzellfall eine Zusammenarbeit in Form
eines Public Private Partnership der richtige Weg ist oder ob sich die ausschließlich öffentliche Realisierung - auch kreditfinanziert - oder die reine Privatisierung als vorteilhafter herausstellen, hängt von vielen Faktoren ab. Im Ergebnis können nur individuelle Projektlösungen unter Berücksichtigung der jeweiligen Gesamtsituation in Betracht kommen.
7.4
Handlungsempfehlungen
In der aktuellen Diskussion ist einvernehmlich festzustellen, dass die kommunalen Handlungsspielräume wieder gestärkt werden müssen, damit die Kommunen überhaupt ihre Handlungsfähigkeit zurückgewinnen können. Ebenso
erfordert das Bestreben, Entscheidungskompetenzen zu dezentralisieren und
die Kommunen in ihrer Verantwortung sowie in ihrer Handlungsautonomie zu
stärken, eine Ausweitung der kommunalen Handlungs- und auch Finanzspielräume.
Kommunale Haushaltspolitik und Gemeindefinanzreform
Die Reformdebatte um die kommunale Finanzausstattung wird oftmals auf die
Gewerbesteuerdiskussion oder auf Vorschläge zur Verankerung des verfas25 Dieckmann 2004, S. 22ff.
26 Dieckmann 2004, S. 22.
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sungsrechtlichen Konnexitätsprinzips verengt. Angesichts der vielfältigen Herausforderungen, die sich unter anderem durch die demografische Entwicklung,
den zu bewältigenden Strukturwandel oder auch gesellschaftliche Veränderungen ergeben, können die Kommunen ihre Zukunft jedoch nur dann erfolgreich
meistern, wenn sie künftig wieder handlungsfähig werden. In einer zunehmenden Zahl von Kommunen stellt sich die gegenwärtige Situation aufgrund der
engen Verknüpfung zwischen Einwohnerzahl und kommunaler Finanzausstattung
als eine sich verstärkende Abwärtsspirale der Schrumpfung dar (vgl. Kapitel B2).
Konkrete Anforderungen an die unabdingbare Reform des Gemeindefinanzsystems werden an dieser Stelle bewusst ausgeklammert. Es ist offenkundig,
dass die künftige Stadtpolitik des Landes nicht losgelöst von der Finanzentwicklung und -ausstattung der Kommunen gesehen werden kann. Nur eine
umfassende Gemeindefinanzreform kann die Finanzen der Kommunen nachhaltig sanieren und sichern. Dazu gehören die Ausgestaltung der Gemeindefinanzierung und der Förderpolitik, die direkten kommunalen Einnahmen (Hebesatzrecht, kommunale Steuern etc.) sowie Instrumente und die Genehmigungspolitik im Rahmen der kommunalen Haushaltswirtschaft (Kommunalaufsicht, Haushaltssicherungskonzepte). Es erscheint jedoch notwendig, zunächst strukturelle Erfordernisse der Definition künftiger kommunaler Aufgabenbereiche und
Handlungsschwerpunkte sowie der strategischen Steuerung der Städtepolitik in
Nordrhein-Westfalen politisch zu klären, um darauf aufbauend das Finanzsystem systematisch und zielgerichtet zu modernisieren.27
Abbau und Flexibilisierung kommunaler Standards
Eine Detailsteuerung durch die Vielzahl bestehender Standards steht im Widerspruch zu einer anzustrebenden Stärkung der kommunalen Handlungsautonomie. Die Bemühungen um „Entbürokratisierung“ in den letzten Jahrzehnten
haben bereits deutliche Erfolge aufzuweisen. Dennoch muss festgestellt werden, dass die Zahl der Standards wieder deutlich ansteigt. Durch die Reduzierung kommunaler Standards können die Handlungsspielräume der Kommunen
erweitert und die Belastungen für den Haushalt gemildert werden.
Neben dem konventionellen Abbau von Standards erscheint es angebracht,
auch andere Modelle zum flexibleren Umgang mit Standards einzubeziehen. Die
in Schweden gesammelten positiven Erfahrungen mit dem experimentellen Programm der so genannten Freien Kommune (free commune experiments), bei
27 Dessen ungeachtet sollten die Empfehlungen der Enquetekommission „Kommunen“, die Mitte
2002 vom Landtag Rheinland-Pfalz eingerichtet wurde, auch in der nordrhein-westfälischen
Debatte um die Gemeindefinanzreform aufgegriffen werden. Darüber hinaus werden die grundlegenden aktuellen und künftigen Reformbestrebungen zur Steuer- und Finanzpolitik auf der
Bundesebene erhebliche Auswirkungen auf die Finanzausstattung der Kommunen und des Landes haben. Zurzeit sind noch keine eindeutigen Konsequenzen für landespolitische Umgestaltungen absehbar.
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Kommunalverwaltung
dem die Kommune von bestimmten gesetzlichen Bindungen durch Befreiung
von Standards und Einführung von Experimentierklauseln freigestellt wird, kann
durchaus eine Alternative darstellen. Die Gemeindeordnung von NordrheinWestfalen weist bereits eine Experimentierklausel auf.28 Sofern und soweit konkrete Projekte auch im Rahmen dieser Klausel nicht realisierbar sind, gilt es gemeinsam mit den Aufsichtsbehörden - kreative Lösungen zu entwickeln.
Förderung von Gesamtkonzepten
Ehrenamtliches Engagement braucht - heute mehr denn je - eine breite Basis,
wenn es nicht in punktuelles Einzelengagement einiger weniger zerfallen soll.
Eine solche Basis lässt sich nur im Rahmen integrierter Gesamtkonzepte
sichern und entwickeln. Auch die Landesförderung muss diese Trends berücksichtigen. Ansätze hierzu gibt es im Rahmen des Programms Stadtteile mit
besonderem Erneuerungsbedarf. Es bedarf aber auch darüber hinaus einer
Optimierung der Landesprogramme durch die ressortübergreifende Förderung
von Gesamtkonzepten der Kommunen statt einzelner Maßnahmen. So wird beispielsweise im Rahmen der Engagementförderpolitik in Baden-Württemberg mit
Gesamtkonzepten als Grundlage eines Kontraktes zwischen Kommune und
Ministerium über vier Jahre gearbeitet.
Ziel ist in diesem Zusammenhang die
Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für eine strategische Leistungstiefenpolitik, die deutliche Vorteile gegenüber Detaileingriffen bietet.
Stärkung von Nutzerdemokratien
Der vielfach beschriebene Trend zu
punktuellem Engagement bietet Raum
für eine neue Form des Bürgerengagements, der so genannten Nutzerdemokratie. So werden beispielsweise in
schwedischen Schulen, in Kindertagesstätten oder Seniorenheimen Nutzerräte
eingerichtet, die bei bestimmten Entscheidungen beteiligt werden. In NordrheinWestfalen wäre es beispielsweise denkbar, die Rolle von Elternpflegschaften in
Schulen aufzuwerten und dabei die oftmals parallel bestehenden Fördervereine
einzubeziehen.
Durch Leistungsvergleiche lernen
Eine strategisch ausgerichtete Leistungstiefenpolitik kann auch durch die Einbeziehung der Bürger und Nutzer kommunaler Einrichtungen gestärkt werden,
28 § 126 Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen.
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ebenso durch den Einsatz von Wettbewerbselementen. Die Förderung ehrenamtlichen Engagements und die Vernetzung mit kommunalen und regionalen
Entscheidungsträgern ist nicht in allen Kommunen des Landes gleich weit fortgeschritten. Internationale Erfahrungen zeigen, dass Leistungsvergleiche oder
auch Leistungswettbewerbe durchaus ein funktionierendes Instrument sein
können, um eine Verbesserung kommunaler Aufgabenwahrnehmung anzustoßen. Interkommunale Leistungsvergleiche und Leistungswettbewerbe können
aufgrund des Lernens durch Erfahrungsaustausch ein Einstieg in eine sich
selbst verstärkende Entwicklung sein und zudem die damit verbundenen Chancen transparenter machen.
Kundenorientierung in der Kommunalverwaltung
Das im Neuen Steuerungsmodell enthaltene Ziel einer konsequenten Kundenorientierung im Sinne einer bürgerfreundlichen Verwaltung ist davon unabhängig
weiterzuentwickeln.29 Bereits in den 1980er Jahren wurden in größeren Städten
so genannte Bürgerämter eingerichtet, die den Bürgern den Zugang zum Rathaus über das One-Stop-Prinzip erleichtern und die übliche Ämterrallye ersparen sollen. Das Konzept eines Bürgerbüros in Unna wurde bereits Ende der
1970er Jahre erarbeitet. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, dass nicht der
Bürger zum Amt, sondern das Amt zum Bürger kommen soll. Sämtliche Kontakte mit der Verwaltung sollen so gestaltet werden, dass die Bürger ohne
Umwege zu den richtigen Stellen geleitet werden. So besteht auch in der Stadt
Essen die Dienstanweisung, dass Telefonkunden nach spätestens einer Vermittlung den richtigen Ansprechpartner gefunden haben sollen. Eine allumfassende
Kundenorientierung der Kommunalverwaltung wird hiermit jedoch nach wie vor
nicht erreicht. Es fehlt an einer hinreichenden Konkretisierung der Kundenorientierung in der öffentlichen Verwaltung.30
Dezentralisierung der Fach- und Ressourcenverantwortung
Das Neue Steuerungsmodell wurde insbesondere von den Kommunen in Nordrhein-Westfalen aufgegriffen. Viele Städte kommen dadurch zu innovativen
Ansätzen wie Output- statt Inputorientierung, Kontraktmanagement oder zur
Zusammenlegung von Aufgaben- und Finanzverantwortung in Form einer
dezentralen Fach- und Ressourcenverantwortung. Trotz allem sind die Zielsetzungen, Genaueres über Ergebnisse und Wirkungen im kommunalen Geschehen zu erfahren, bisher nur in geringem Umfang erreicht. Die bevorstehende
29 Das Ziel der Kundenorientierung ist umstritten. Der Bürger kann nicht immer Kunde sein. So wird
sich ein Falschparker sicherlich nicht als Kunde verstehen, wenn er ein „Knöllchen“ empfangen
hat. Es stellt sich daher die Frage, ob Kundenorientierung überhaupt als Ziel der Verwaltungsmodernisierung herhalten kann.
30 Bogumil/Kißler 1995, S. 8.
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Kommunalverwaltung
Reform des kommunalen Haushaltsrechts, verbunden mit der Abschaffung der
Kameralistik und gleichzeitiger Einführung der doppelten Buchführung, soll in
diesem Zusammenhang einen Fortschritt bringen.
Erweiterung des E-Government-Angebots
Eine verstärkte Dienstleistungsmentalität der Verwaltungen zeigt sich auch in
einem alternativen, auf dem Internet basierenden Angebot kommunaler Prozesse und Dienste. Als positiver und durchaus gewollter Nebeneffekt tritt zugleich
eine Erleichterung und Flexibilisierung der Verwaltungsprozesse ein. Dazu
gehört auch, dass Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden müssen, dass
die Vorgänge gänzlich und damit gegebenenfalls auch interaktiv über das Internet abgewickelt werden können und sie für den Bürger einen echten Fortschritt
zum herkömmlichen und meist zeitaufwändigen Behördengang darstellen.
Eine wesentliche Voraussetzung für eine noch breitere Akzeptanz in Bevölkerung und Verwaltung ist allerdings die Gewährleistung eines Höchstmaßes an
(Daten-) Sicherheit für alle sensiblen Prozessabläufe. Mit einer breit angelegten
Aufklärung durch die Verwaltung können bei vielen Bürgern bereits im Vorfeld
meist unbegründete Ressentiments abgebaut werden.
Um die Anreize für den Bürger zu erhöhen, kann über Konzepte nachgedacht
werden, die - für die Kommune Arbeitsaufwand einsparende - Internetnutzung
durch reduzierte Gebührensätze zu honorieren. Ein umfassendes Angebot in
den Lebenslagenportalen trägt zudem dazu bei, dass ein Mehrwert für den Bürger deutlich wird. Gerade Zuständigkeitsprobleme können mit entsprechenden
Links im Internet eindeutig für den Nutzer geklärt werden. Im Sinne eines „Service aus einer Hand“ wird nicht nur auf eine andere kommunale Dienststelle verwiesen sondern auch an die zuständige Stelle auf Länder- oder Bundesebene.
Eine Vernetzung unsensibler Daten zwischen den einzelnen Hierarchieebenen
bietet großes Potenzial für eine Optimierung der Verwaltungsabläufe sowie für
ein noch stärker auf die Bedürfnisse der Bürger abgestimmtes Angebot. Unabdingbar sind hier allerdings - ebenso wie für alle Bestrebungen einer verstärkten
Teilhabe der Bürger am politischen Leben - Transparenz und Information.
Beratungsangebote für Public Private Partnership-Projekte schaffen
Für eine stärkere Förderung von Public Private Partnership sind potenziellen
Partnern - öffentliche Hand wie private Unternehmen - Unterstützungs- und
Beratungsleistungen anzubieten. Da das Land Nordrhein-Westfalen auf vielfältige Erfahrungen und Projekte zurückgreifen kann, bietet es sich an, einen überregionalen Beratungsservice in Trägerschaft des Landes oder der Kommunen
anzubieten.
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B8 Die Stadt in der Region
- Chancen regionaler Kooperation
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Region und Regionalisierung
Es gibt keine allgemeingültige Definition von Region. Regionsbegriffe werden
typischerweise nach Anwendungsgebiet und Interesse gebildet.1 Grundsätzlich
geschieht das anhand von drei Kriterien:
Physische (geografische) Regionsbegriffe arbeiten mit morphologischen Merkmalen (z.B. der Niederrhein). Häufig werden derartige Regionsbildungen mit
weiteren Merkmalen angereichert: Der kulturelle Regionsbegriff fasst Räume
mit gemeinsamer Geschichte, Sprache, Lebensweise etc. und verbindet
sie meist mit physisch-räumlichen Merkmalen (Kulturräume). In der Praxis dominieren aber vielfältige Varianten von funktionalen Regionsbegriffen. Ökonomisch
basierte beschreiben etwa regionale Arbeitsmärkte, Verflechtungen zwischen
Unternehmen, die z.B. über Ströme von Arbeitskräften, Waren und Dienstleistungen abgebildet werden. Eine andere Funktionalität liegt Ordnungsräumen zugrunde, die z.B. aus Verdichtungsräumen und ihren Randgebieten gebildet werden können. Zu den funktionalen Regionsbildungen gehören auch die
Wirkungsräume staatlicher Behörden und kommunaler Kooperationen.
1
Vgl. auch Rommelspacher 2003.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Im Folgenden wird ein pragmatischer Begriff verwendet, der Regionen als
Räume mit intensiven funktionalen Zusammenhängen begreift. Ihre Kohärenz
fußt in aller Regel auch auf historischen und kulturellen Gemeinsamkeiten.
Seit den 1990er Jahren gibt es Diskussionen um einen Sachverhalt, der abstrakt
„Regionalisierung“ genannt werden kann. Dies sind Debatten und Prozesse, die
um die Frage kreisen, wie die zwischen der staatlichen und der kommunalen
Ebene liegenden Phänomene sinnvollerweise organisiert werden sollten. Dies ist
kein deutsches Phänomen. Im Gegenteil: In ganz Westeuropa - und darüber hinaus - finden vergleichbare Debatten und Prozesse statt. Dabei ist der Grad der
Regionalisierung in anderen Ländern deutlich weiter fortgeschritten.2
Auch in Deutschland wird die Debatte breit geführt. Sowohl in der wissenschaftlichen Diskussion als auch im politischen Alltag der Kommunen und Länder ist der boomartige Aufschwung regional basierter Handlungskonzepte zu
beobachten.3 Angesichts ihrer Breite und einer Fülle in den letzten eineinhalb
Jahrzehnten entstandener regionaler Kooperationen kann durchaus von einem
starken Bedeutungsgewinn der regionalen Perspektive, der damit verbundenen
Handlungsebene und damit insgesamt von einem Regionalisierungsschub
gesprochen werden.
Der Blick auf die Diskussion sowohl bei Praktikern als auch in den Wissenschaften zeigt, dass die Notwendigkeit der Intensivierung regionaler Kooperationen inzwischen breit akzeptiert wird. In der Debatte wird eine Fülle von Ursachen für diese Entwicklung genannt. Die meisten wissenschaftlichen Diskurse
verweisen auf drei Ursachenbündel:
• Die Belebung oder Neuschaffung des Regionalen kann als eine Reaktion auf
die Rationalisierungstendenzen moderner Gesellschaften interpretiert werden. Die Modernisierungen der letzten 40 Jahre wirkten homogenisierend
und universalisierend. Sie ließen regionale Eigenarten verblassen. Dagegen
setzt die Betonung lebensweltlicher Erfahrungen mit gemeinsamen Raumbezügen auf kollektive Identitäten und Orientierungsmuster. Die Renaissance von regionaler Identität wäre damit ein Produkt ihres Gegenteils, der Bildung nationaler und transnationaler Räume. So gesehen sind Globalisierung
und Regionalismus zwei Seiten einer Medaille, weil globale Entdifferenzierung den Wunsch nach regionaler Besonderheit erzeugt. Dies erklärt auch,
warum regionale Strategien aus politischer Sicht interessant sein können:
Das Bewusstsein für die Notwendigkeit kollektiven Handelns ist in Regionen
oft eher mobilisierbar, als auf Länder- oder Bundesebene. Gleichzeitig ist kollektives Handeln im regionalen Rahmen auch noch eher koordinierbar.
2
Bullmann/Heinze 1997; Heinz 2000.
3
Vgl. auch Lindner 1994; Fürst 1997; ARL 1998; ARL 1999.
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Regionale Kooperation
• Die regionale Handlungsebene erfährt aber auch einen funktionalen Bedeutungsgewinn: Hoch differenzierte moderne Gesellschaften stehen vor der
Notwendigkeit eines permanenten ökonomischen und ökologischen Strukturwandels. Diesen können sie nicht mehr wie bisher durch zentrale Interventionen bewältigen, und auch die lokale Ebene ist meist überfordert. Da
bietet sich Region als Zwischenebene z.B. für Städte an, die im Verbund
nicht nur Alltagsprobleme besser bearbeiten können, sondern nur so die
nötige Stärke für den internationalen Wettbewerb aufbringen. Daneben steigt
die Bedeutung der regionalen Ebene aber auch zur Integration von UrsacheWirkungs-Zusammenhängen innerhalb von Verantwortungsräumen. Soziale,
ökologische und ökonomische Probleme treten häufig nicht in den Verursacherkommunen auf (vgl. auch Kapitel B3 und B4).
• Einen Bedeutungsgewinn gibt es schließlich auch in der Ökonomie. Dabei
wächst die Einbindung der Unternehmen in immer umfangreichere Verbünde
auf dem Weltmarkt. Gleichzeitig ist aber zu beobachten, wie Unternehmen
regionale Vernetzungen und Cluster suchen, um ihre Waren oder Dienstleistungen flexibel, kundengerecht und billig produzieren zu können. Dezentrale Strategien sollen auch regionale Markt- und Kostenvorteile ausschöpfen
(vgl. auch Kapitel B3). Unzweifelhaft spielen auch die kommunikativen Strukturen und Akteursnetzwerke, das heißt die historisch gewachsenen regionalen Kulturen von Kommunikation, Konflikt und Kooperation, bei der Erklärung
des wirtschaftlichen Erfolgs von Regionen eine Rolle.
Neben diesen Ursachen, die auf strukturelle Veränderungen in Gesellschaft,
Ökonomie und Staat verweisen, veranlassen eine Reihe hoch pragmatischer
Gründe viele Praktiker in den Kommunen, sich aktiv am Diskurs um kommunale Kooperationen zu beteiligen:
• Die Krise der kommunalen Finanzen erzwingt eine Reduktion öffentlicher Leisstungen. Dabei eröffnen Kooperationen mit Nachbarn die Möglichkeit des
abgestimmten Rückbaus und die Chance, durch gemeinsame Leistungserbringung Kosten zu senken.
• Trotz insgesamt nur minimaler Entwicklungsmöglichkeiten ist der Wettbewerb unter den Kommunen in den letzten Jahren erheblich gewachsen.
Besonders in Ballungsräumen kann er ruinöse Ausmaße erreichen. Offenkundig nachteilige Entwicklungen sind bei der Entwicklung des Flächenverbrauchs, der Zulassung nicht integrierter Komplexe des großflächigen Einzelhandels aber auch bei der Ausweisung von Gewerbeflächen erkennbar.
Vor diesem Hintergrund wird die Notwendigkeit betont, eine von den Kommunen getragene regionale Entwicklung voranzutreiben.
• Auch Veränderungen in der Siedlungsstruktur erhöhen die Bereitschaft zur
Kooperation. Hier hat die fortgeschrittene Suburbanisierung zu einem neuen
Verhältnis von Stadt und Umland geführt. In dem Maße, in dem die vorstädtischen Räume nun auch Arbeitsplätze anziehen, wächst der Druck auf die
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Kernstädte. Sie verlieren an Gewicht, erfüllen aber weiter Zentralfunktionen.
Ein abgeschwächtes Stadt-Land-Gefälle bleibt erhalten, gleichzeitig wachsen in den Ballungsräumen und ihren Rändern die Spezialisierung sowie die
Funktions- und Arbeitsteilung. Dies erfordert intensivere Absprachen.
• Im Zuge dieser siedlungsstrukturellen Entwicklungen wächst besonders in
Ballungsräumen die Diskrepanz zwischen kleinteiligen politisch-administrativen Strukturen und den großräumiger werdenden Aufgaben- und Problemstellungen.
Insgesamt können damit drei Tendenzen festgehalten werden:
• In den letzten Jahrzehnten hat ein Typus von Aufgaben und Problemen an
Gewicht gewonnen, für deren Bearbeitung auch große Kommunen zu klein
sind, während sie für den Staat zu klein und zu feinteilig sind.
• Der traditionelle Wettbewerb unter den Kommunen wird durch einen teilweise international verlaufenden Wettbewerb der Regionen überlagert. Vermutlich werden Räume, denen es gelingt den Regionalisierungsprozess optimal zu gestalten, hier einen deutlichen Vorteil haben.
• In Rede steht ein sehr breites Feld von Aufgaben. Es reicht von der Flächenund Standortplanung, die Entwicklung, Planung und Trägerschaft für überlokale Infrastrukturen bis hin zur Wirtschaftsförderung und zum Regionalmarketing.
Der Bedeutungszuwachs der Region ist aber in mehrfacher Hinsicht zu relativieren. Zunächst ist festzuhalten, dass er in Abhängigkeit von den jeweiligen
Gestaltungszusammenhängen zu sehen ist. Er ist keinesfalls als Stärkung in
dem Sinne zu verstehen, dass nunmehr möglichst viele Fragestellungen und
Lösungen nur noch auf der regionalen Ebene zu behandeln sind.
Zwei weitere Aspekte sind unbedingt festzuhalten: Moderne Gesellschaften
sind sozial geschichtet und funktional differenziert. Sie formieren sich nach
Lebenslagen, sozialer Ungleichheit, Funktionssystemen etc. Deswegen darf die
Bedeutung der Segmentierung nach Regionen für die gesellschaftlichen Strukturen nicht überschätzt werden. Regional gegliedert waren allenfalls einfache
Agrargesellschaften. Darüber hinaus unterstreichen Ipsen und Kühn zu Recht
die Ambivalenz des Begriffs Region, der mit völlig gegensätzlichen politischen
Zielvorstellungen verbunden werden kann.4 So ist der Bezug auf sie in unterschiedlichsten Zusammenhängen ein brauchbarer Code, der die gesellschaftliche Komplexität sozial integriert.5
4
Ipsen/Kühn 1994, S. 21.
5
Das erklärt, warum es rechten wie auch linken Regionalismus gibt. Vgl. etwa die Lega Nord in
Italien und die Bewegungen im Baskenland oder in Katalanien.
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Regionale Kooperation
8.2
Formen der Kooperation
Die Notwendigkeit einer stärkeren Regionalisierung wird kaum noch bestritten.
Kontroversen können sich aber an der Frage entfalten, in welcher Form dieser
Entwicklung Rechnung zu tragen ist. Die Praxis zeigt hier sehr vielfältige Varianten.6 Diese reichen von losen Kooperationen über unterschiedliche Konstellationen von Städtenetzwerken bis hin zu Formen stärker institutionalisierter
Kooperation. Dabei ist zu vermuten, dass die Unterschiede nicht nur funktionale, in der zu bewältigenden Aufgabe liegende Gründe haben. Da Kommunen
verfassungsrechtlich den Ländern zugeordnet sind, dürfte das Ausmaß an Freiheitsgraden, über das sie bei Kooperationen verfügen, auch von den Interessen
der jeweils betroffenen Länder beeinflusst worden sein.
Unterscheidet man die verschiedenen Formen der regionalen Kooperation nach
dem Grad der Institutionalisierung, dem Umfang der wahrgenommenen Aufgaben sowie der Rechtsform, so lässt sich folgende einfache Typologie erstellen:
• Nicht-öffentlich-rechtlich verfasste Kooperationen; sie reichen von informellen Netzwerken und Foren bis zu privatrechtlich organisierten Formen der
Zusammenarbeit wie etwa einer GmbH oder einem eingetragenen Verein.
• Auf Einzelaufgaben beschränkte, öffentlich-rechtlich verfasste Kooperationen; typisches Beispiel dafür ist der Zweckverband.
• Gelegentlich findet sich in Ballungsräumen auch der Typ des multisektoralen,
unterschiedliche Aufgaben kombinierenden Zweckverbands.
• Nur selten - jedenfalls in Deutschland - findet sich die eigenständige Gebietskörperschaft als sehr weitgehende Kooperationsform.
Auch die organisatorische Ebene lässt vielfältige Lösungen zu. Wo etwa die
räumlichen Funktionsverflechtungen im Wesentlichen den Kreisgrenzen entsprechen, wird man zweckmäßigerweise an den schon bestehenden Verwaltungseinheiten ansetzen. Wo dies nicht der Fall ist, bieten sich andere Kooperationsstrukturen an, wie sie etwa mit dem Regionalverband Ruhr geschaffen
wurden.
Folgende Beispiele für denkbare Organisationsformen regionaler Kooperation
werden in der Fachdiskussion immer wieder hervorgehoben:7
• Der Verband Region Stuttgart wurde 1994 als Rechtsnachfolger des Regionalverbandes Stuttgart gegründet. Er umfasst den Stadtkreis Stuttgart und
6
Vgl. etwa ARL 1999.
7
Vgl. Kreibich/plan-lokal 2000, S. 47f; Kiepe 1996, S. 307ff; ARL 1998.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
die umliegenden Gemeinden. Die Aufgaben des seit 1996 über die Direktwahl seiner Regionalversammlung stark legitimierten Verbandes liegen vor
allem in den Bereichen Regionalplanung, Regionalverkehr, Wirtschaftsförderung und Abfallentsorgung.
• Der Stadtverband Saarbrücken wurde 1974 aus der ehemals kreisfreien
Stadt Saarbrücken und dem Landkreis Saarbrücken gebildet; er ist ein Planungsverband, dessen Kompetenzen in etwa denen eines Kreises entsprechen.
• Die Region Hannover ist ein 1992 gegründeter Kommunalverband zwischen
der Stadt Hannover und dem Umlandkreis, der im Jahre 2002 durch Landesgesetz zu einer Region Hannover weiterentwickelt wurde. Seine Kompetenzen umfassen vor allem die Regionalplanung und den Regionalverkehr.
• Der Umlandverband Frankfurt ist ein 1975 gesetzlich gebildeter und 2001
weitgehend reformierter Mehrzweckverband zwischen den kreisfreien Städten Frankfurt und Offenbach sowie 41 kreisangehörigen Gemeinden und drei
Landkreisen mit überörtlicher Planungskompetenz.
Auch für weniger stark institutionalisierte, eher pragmatische und auf freiwilliger
Basis zustande gekommene Kooperationsformen zwischen Kommunen gibt es
eine Vielzahl von Beispielen.8 So ist es schon in den 1960er und 1970er Jahren
in den Großräumen Frankfurt, Hannover, Hamburg und München zu Kooperationen im sozialen Wohnungsbau dergestalt gekommen, dass die jeweiligen
Kernstädte Sozialmieter in ihren Umlandgemeinden untergebracht und dafür entsprechende Kompensationsbzw. Förderleistungen erbracht haben.
In jüngerer Zeit ist es auch zwischen
kleineren Kommunen vermehrt zu
Kooperationen gekommen. So haben
die niedersächsischen Gemeinden
Rendsburg und Osterrönfeld 1999 Verträge abgeschlossen, die Wohn- und Gewerbeflächen in Osterrönfeld zur Bedarfsdeckung in Rendsburg vorsehen. Rendsburg erhält im Gegenzug einen Teil
der daraus resultierenden Gewerbe- und Einkommensteuerzahlungen.9 In Nordrhein-Westfalen besteht ebenfalls eine gewachsene Tradition interkommunaler
Gewerbegebiete. Dabei erschließen Gemeinden gemeinsam Flächen und regeln
in Verträgen die Verteilung von Kosten und Nutzen.
8
Vgl. dazu ausführlich Rottmann 2004, S. 180ff.
9
Vgl. Kreibich/plan-lokal 2000, S. 49, sowie ausführlicher Rottmann 2004, S. 186ff.
292
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Regionale Kooperation
In Nordrhein-Westfalen gibt es zudem bemerkenswerte Beispiele für weit darüber hinaus gehende Formen regionaler Kooperationen:
Regionalverband Ruhr (RVR) und Regionaler Flächennutzungsplan
Mit dem im Januar 2004 vom Landtag Nordrhein-Westfalen beschlossenen
Gesetz zur Reform der Landesplanung und des Kommunalverband Ruhrgebiet
(KVR) wurde einer über zehn Jahre andauernden Debatte um das Ruhrgebiet
Rechnung getragen. Schon zu Beginn der 1990er Jahre waren Forderungen
nach einer stärkeren regionalen Verfasstheit des Ruhrgebiets aufgekommen.
Dafür gab es im Wesentlichen zwei Gründe. Zum einen spaltete der wirtschaftliche Strukturwandel die stark polyzentrische Region mit ihren 15 Kreisen und
Kreisfreien Städten in einen prosperierenden Süden einerseits und einen von
wachsenden sozialen und ökonomischen Problemen gezeichneten Norden
andererseits. Zum anderen hemmte die Zugehörigkeit des Ruhrgebiets zu drei
Regierungsbezirken und zwei Landschaftsverbänden die Kooperation und
wurde den tatsächlichen Verflechtungen innerhalb dieses großen Ballungsraums
auch nicht gerecht.
Die Reform des Landesplanungsrechts ermöglicht nun einen regionalen Flächennutzungsplan: Drei Nachbarstädte stellen ihn gemeinsam auf und ersetzen
so den Gebietsentwicklungsplan. Mittelfristig ist damit die Ablösung der staatlichen Regionalplanung vorgezeichnet. Um die weit reichenden Konsequenzen
zu beobachten und dem hohen Handlungsbedarf aufgrund der planerischen
Dreiteilung Rechnung zu tragen, bleibt der regionale Flächennutzugsplan fünf
Jahre lang auf das Gebiet des neuen Regionalverbands Ruhr beschränkt. Letzterer stellt Masterpläne auf, die den Rahmen für die kommunalen Planungen
bestimmen.
Daneben hat der neue Verband Pflichtaufgaben auf dem Gebiet der regional
bedeutsamen Projekte, der regionalen Wirtschaftsförderung und Standortentwicklung, des Marketing und der Tourismusförderung. Zusammen mit dem
Recht, sich weitere freiwillige Aufgaben zu geben, entsteht so eine neue regionale Verfasstheit für das Ruhrgebiet. Ihre Bewertung und Einordnung in die großen Regionalisierungen, die in den letzten zwanzig Jahren entstanden sind
(Umlandverband Frankfurt, Verband Region Stuttgart, Region Hannover) steht
noch aus.
Regionale Wohnraumbudgetierung Region Bonn/Rhein-Sieg/Ahrweiler
Die Region Bonn/Rhein-Sieg/Ahrweiler ist eine nach dem Hauptstadtbeschluss
1991 entstandene freiwillige Arbeitsgemeinschaft von 18 Städten und Gemeinden, die inzwischen Modellregion für ein Budgetierungskonzept der wohnungs293
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politischen Förderung des Landes Nordrhein-Westfalen geworden ist. Die wohnungspolitischen Mittel werden seitdem nicht mehr den einzelnen Kommunen,
sondern der Region als Gesamtbudget mit weitgehender Selbstbestimmung der
Verwendung in gegenseitiger Absprache zugewiesen (siehe Näheres dazu in
Kapitel B6).10
Entsorgungskooperation EKOCity
Eine Anzahl von Städten im Ruhrgebiet bildet seit dem Jahr 2003 die Entsorgungskooperation EKOCity. Beteiligt sind der Kreis Recklinghausen, der Ennepe-Ruhr-Kreis, die Städte Bochum, Herne, Wuppertal, Remscheid und der
Kommunalverband Ruhrgebiet. EKOCity soll Entsorgungssicherheit für Abfälle
aus Haushalten und Gewerbe sowie die Auslastung der Entsorgungsanlagen
und den Erhalt des politischen Einflusses sichern.
Hintergrund ist, dass viele Müllverbrennungsanlagen nur teilweise ausgelastet
sind. EKOCity soll hier einen sinnvollen Anlagenmix, die Auslastung der Anlagen
der beteiligten Gebietskörperschaften und langfristig verträgliche Gebühren realisieren. Dabei erweist sich ein Zweckverband, kombiniert mit einer GmbH und
Pachtverträgen für die vorhandenen Anlagen, als sinnvollstes Modell. Alle Beteiligten behalten ihren politischen Einfluss auf die Abfallwirtschaft und die kommunalen Unternehmen bleiben im Wettbewerb. EKOCity gewährleistet eine
öffentlich verantwortete, demokratisch kontrollierte Verantwortung der Müllentsorgung.
Außer diesen stärker institutionalisierten Formen der Zusammenarbeit gibt es in
Nordrhein-Westfalen auch eine große Zahl und Vielfalt von informellen Kooperationsformen wie die interkommunale Zusammenarbeit von Planungsdezernenten, die Erarbeitung regionaler Einzelhandelskonzepte oder gemeinsamen
Standortmarketings.
Die im Folgenden skizzierten drei Beispiele dieser freiwilligen interkommunalen
Zusammenarbeit stehen für zahlreiche weitere Projekte und Initiativen, die auch
anderswo im Land erfolgreich etabliert wurden.
Regionales Einzelhandelskonzept östliches Ruhrgebiet
In der so genannten Interkommunalen Zusammenarbeit der Planungsdezernenten (IKZ-Runde) werden Fragen der räumlichen Planung und Entwicklung im
Grundsatz und projektbezogen erörtert. Dies betrifft Fragen der regionalen Wirt-
10 Vgl. zu einer ausführlichen Darstellung und Würdigung Rottmann 2004, S. 189ff.
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Regionale Kooperation
schaftsflächenentwicklung,
Aspekte der regionalen ÖPNVKonzeption und der Aufbau
einer regionalen Wohnungsmarktbeobachtung. Die Abstimmungen fördern die administrative Vorbereitung von
Beschlüssen der Kommunalparlamente und bewähren sich
auch bei der ebenenübergreifenden Abstimmung mit Einrichtungen der Landesregierung.
Aus der IKZ-Runde kam der
Anstoß zur Entwicklung eines
regionalen Einzelhandelskonzepts (vgl. Abb. 1). Hier ist es
gelungen, zwischen 21 Gebietskörperschaften, davon Abb. 1: Regionales Einzelhandelskonzept östliches Ruhrgebiet
zwei Kreise (Unna und Enne- Quelle: Stadt Dortmund
pe-Ruhr-Kreis), Vereinbarungen für die Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben zu treffen. Sie ersetzen zwar
nicht das formale Verfahren zur Raumverträglichkeitsprüfung durch die Bezirksregierung, führen aber gleichwohl eine wesentliche Vorabstimmung herbei. Zentral ist das Prinzip der freiwilligen Selbstverpflichtung zur Information über
Ansiedlungsvorhaben und zur Abstimmung kommunaler Auflagen, etwa für Flächengröße und Sortimentszusammensetzung. Das Konzept wurde 2001 auf der
Grundlage kommunaler Beschlüsse verabschiedet. Es hat sich im Wesentlichen
bewährt und ist Vorbild für andere Regionen innerhalb Nordrhein-Westfalens
und darüber hinaus geworden.
Initiative Fluss Stadt Land
Die Initiative „Fluss Stadt Land“ umfasst eine Region von Dorsten im Westen
und Hamm im Osten sowie Haltern im Norden und Dortmund im Süden (vgl.
Abb. 2). Ausgelöst durch eine Bewerbung zur Regionale des Landes arbeiten
hier rund 20 Gebietskörperschaften mit Unternehmen, Verbänden und bürgerschaftlichen Initiativen sowie Einzelpersonen zusammen. Das Vorziehen des
„Flusses“ steht für die Betonung des Wassers; es verbindet die Region über ihre
Flüsse und das dichteste Kanalsystem Europas. Neben dem Ziel, die Städte
wieder zum Wasser hin zu orientieren, steht die Freizeitentwicklung am und auf
dem Kanalsystem sowie das Natur- und Landschaftserlebnis im Fokus der
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Abb. 2: Regionale Initiative Fluss Stadt Land
Quelle: Geschäftsstelle Fluss Stadt Land
Bemühungen. In der Auftaktpräsentation 2003 ist es gelungen, in über 200 Veranstaltungen mehr als 600.000 Menschen mit der Projektidee anzusprechen.
Über eine Zwischenpräsentation im Jahr 2006 wird für das gleiche Jahr eine
Landeswasserschau angestrebt. Das regionale Engagement wird vom Land
durch finanzielle und operative Unterstützung begleitet.
8.3
Informelle oder institutionalisierte Kooperation?
In der Frage der Ausgestaltung regionaler Kooperationen gibt es zwei Extrempositionen:
• Die eine Denkrichtung hält nur freiwillige und im Wesentlichen informelle Formen der Kooperation für akzeptabel. Zur Begründung wird auf die kommunale Autonomie, auf die größere Problemnähe dezentraler Instanzen und auf
den heilsamen Einigungszwang verwiesen, der durch eine win-win-Situation
für alle Beteiligten entstehe. Stärker institutionalisierten oder gar von der
Landespolitik verfügten Formen der Zusammenarbeit wird auch mit Hinweis
auf interkommunale Verteilungskonflikte, abnehmende Bürgernähe und die
Gefahr der Überbürokratisierung widersprochen.
• Die andere Denkrichtung hält letztlich eine Institutionalisierung für unverzichtbar, wenn nötig auch gegen den Willen einiger der Beteiligten. Als
wesentliche Argumente für diese Position wird auf deren größere demokrati296
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Regionale Kooperation
sche Legitimation, auf die bessere Durchsetzung von übergeordneten Landesinteressen sowie auf die ansonsten bestehende Gefahr des Trittbrettfahrens verwiesen.11 Letzteres ist ein Konflikt, der auftritt, wenn ein Beteiligter
Leistungen erbringen muss, von denen viele profitieren, ohne dass er sie zu
Beiträgen zwingen kann. Derartige Situationen werden vor allem zwischen
Umlandgemeinden und deren Ballungskernen mit ihren zentralörtlichen Leistungen und Funktionen gesehen.
Eine Zuspitzung der Entscheidung über die richtige Kooperationsform auf diese
beiden Extrempositionen wird der Vielschichtigkeit der hier angesprochenen
Probleme nicht gerecht. Sie spiegelt auch nicht die Vielfältigkeit der Lösungsansätze, die in Nordrhein-Westfalen bereits Praxis sind. Eine allgemeingültige
Antwort zu den Vor- und Nachteilen freiwilliger oder institutioneller regionaler
Kooperation kann es vor dem Hintergrund dieser Vielzahl von Kooperationszusammenhängen und -formen nicht geben. Es ist vielmehr im Einzelfall zu entscheiden welcher Weg zu gehen ist, wobei im Zweifel der Freiwilligkeit Vorrang
vor der Zwangskooperation zu geben ist.
Tatsächlich erlebten in den letzten Jahrzehnten insbesondere die informellen,
auf spezielle Aufgaben hin konzipierten Formen der Kooperation einen Boom.12
Viele Praxisberichte betonen, dass sie schnell einzurichten, flexibel zu handhaben und mit geringem Aufwand zu betreiben sind. Da sie quasi präventiv tätig
sind, können sie das Aufkommen von Konflikten oft bereits im Keim ersticken.
Viele Ansätze regionaler Kooperation setzen auf die Integration des bürgerschaftlichen Engagements und sind in ihrer Zielrichtung darauf ausgerichtet, die
Beteiligung der Bürgerschaft in der Region an der Ausgestaltung der regionalen
Prozesse sicherzustellen. Dies gilt beispielsweise für die landesseitig initiierten
Regionalen (z.B. EUROGA 2002, Rechts und Links der Ems) oder die im gleichen Zusammenhang entstandenen regionalen Initiativen Ruhrtal oder Fluss
Stadt Land. Die bürgerschaftliche Mitwirkung trägt zur Herausbildung regionaler Identität bei und ist letztlich die Grundlage für die erfolgreiche Realisierung
vieler Projekte.
Alle genannten Formen freiwilliger innerregionaler Kooperation sind gestützt auf
kommunale Ratsbeschlüsse und Beschlüsse der Regionalräte in den jeweiligen
Regionen. Insoweit ist die freiwillige Kooperation durchaus parlamentarisch legitimiert. Man kann sogar sagen, dass gerade die regionale Kooperation eine
besondere gesellschaftliche und demokratische Legitimation erfahren hat, da
sie in der Regel zunächst einmal auf Erklärungsbedarf sowohl in der Öffentlichkeit als auch in den Parlamenten gestoßen ist. Die Chancen und Möglichkeiten
freiwilliger regionaler Kooperation werden gerade dann besonders intensiv erör11 Levèvre 1998, Sharpe 1994, Fürst 1990.
12 Vgl. auch Rottmann 2004, S. 198ff.
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tert, wenn überkommene Handlungsmuster beim Blick über den kommunalen
Tellerrand verlassen werden.
Allerdings ist die Reichweite der Sachverhalte, die in Formen gänzlich unverfasster Kooperationen bearbeitet werden können, begrenzt. Vorbehalte hinsichtlich
der Leistungsfähigkeit informeller Kooperationsformen sind besonders für das
große Feld der Regelung potenziell konfliktträchtiger Sachverhalte anzumelden.
Zwar kann man in solchen Fällen mit Kompensationsleistungen für die Verlierer
arbeiten, um sowohl Trittbrettfahrern als auch reine Zwangslösungen zu vermeiden. In der Praxis stößt ein solcher Ansatz aber ohne geeigneten institutionellen
Rahmen schnell an seine Grenzen. Wenn etwa begrenzte Ressourcen und
Wachstumschancen verteilt oder ein regionaler Interessenausgleich gefunden
und durchgesetzt werden muss, Planungsrecht geschaffen werden soll oder
Fördermittel zu verteilen sind, können stärker institutionalisierte Formen der
Kooperation erforderlich sein. Insbesondere in Agglomerationen ist ab einem
bestimmten Ausmaß von wechselseitiger Verflechtung und Abhängigkeit dauerhaftes regionales Handeln nur in stärker verfassten Formen organisierbar.
Stärkere Verfasstheit ist allerdings nicht automatisch mit Preisgabe der Freiwilligkeit gleichzusetzen. Zwar muss der institutionelle Rahmen selbst bindende
Absprachen und Abstimmungsregeln enthalten, um eine effiziente Arbeit zu
gewährleisten. Die Entscheidung jedoch, dem Regelwerk als Ganzem zuzustimmen, kann durchaus mit Vetorechten ausgestattet werden. Auch im staatlichen
Bereich ist ja der Beitritt zu supranationalen Organisationen wie der EU oder der
World Trade Organisation jedem Land freigestellt; nach erfolgtem Beitritt ist aber
das entsprechende Regelwerk verbindlich.
Wo regionale Kompensationsleistungen an die Verlierer der Kooperation nicht
möglich oder unangemessen erscheinen, kann man mit landespolitischen Anreizen arbeiten. So könnte das Land im Rahmen eines Budgetierungskonzeptes
Prämien für einvernehmlich verabschiedete regionale Handlungskonzepte vorsehen. Denkbar ist auch, die Auszahlung von Landesmitteln - etwa für Infrastruktur oder Wohnungspolitik - ganz oder teilweise vom Zustandekommen
regional abgestimmter Handlungskonzepte abhängig zu machen. Ein auf diese
Weise erzeugter Einigungsdruck würde auch die Trittbrettfahrer unter Zugzwang
setzen, ohne jedoch gleichzeitig das Grundprinzip der freiwilligen Kooperation
preiszugeben.
Ein starker Anreiz zur Kooperation kann durch das Land auch dadurch gesetzt
werden, dass es im Gegenzug den eigenen Lenkungs- und Kontrollanspruch
gegenüber den teilnehmenden Kommunen reduziert.13 Nur wo all dies nicht
13 In diese Richtung wirkt die Reform der Landesplanung: Kommunen, die sich zur Erstellung eines regionalen Flächennutzungsplans mit Nachbarn zusammenschließen, ersparen sich
die Aufsicht durch den Regierungspräsidenten.
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Regionale Kooperation
funktioniert und wo gleichzeitig vitale Landesinteressen wie etwa der Natur- und
Landschaftsschutz berührt sind, sollte das Prinzip der Freiwilligkeit zur Disposition gestellt werden.
8.4
Rahmenbedingungen der Umsetzung
Die Praxis der Regionalisierung zeigt, dass die Umsetzung konkreter Kooperationsnotwendigkeiten stark von den Ausgangsbedingungen abhängig ist.14 So
scheinen Zentralstaaten wie Frankreich oder Großbritannien eher geneigt zu
sein, Regionalisierungen politisch zuzulassen. In föderalen Strukturen wie etwa
in Deutschland neigen die hier zuständigen Länder dagegen oft dazu, Regionalisierungen als Einschränkung ihrer eigenen politischen Spielräume zu deuten.
Das lässt sie eher zurückhaltend bis ablehnend reagieren. Wichtig sind die
jeweils konkreten lokalen politisch-administrativen Strukturen. So ist ein monozentrischer Ballungsraum wie etwa der Raum Hannover besser organisierbar als
ausgeprägt polyzentrische Ballungsräume wie Rhein-Main oder das Ruhrgebiet.
Von Bedeutung ist aber vor allem auch die jeweils vorliegende Akteurskonstellation:15
• Initiatoren und Befürworter der Regionalisierung sind nahe liegender Weise
diejenigen Akteure, die sich davon Vorteile erwarten. Dazu gehören vor allem
die Kernstädte, die einerseits meist Bevölkerung an das Umland verlieren,
andererseits aber weiterhin zentralörtliche Funktionen wahrnehmen müssen.
Regionalisierungen in Ballungsräumen werden oft auch von der Wirtschaft
befürwortet, die unter fragmentierten Entscheidungsstrukturen leidet.16 In
einigen Ländern hat sich auch die staatliche Ebene intensiv in die Entwicklung von Regionalisierungen eingeschaltet. So versuchte etwa in den Niederlanden das zuständige Ministerium als maßgeblicher Akteur, die StadtUmland-Beziehungen zu entwickeln. Ähnlich verlief die Entwicklung in
Frankreich.
• Zu den Gegnern und Kritikern insbesondere stark verfasster Regionalisierung gehören meist staatliche Mittelinstanzen und bestehende Gemeinde-
14 Heinz 2000.
15 Heinz 2000.
16 So haben sich etwa bei den Diskussionen um die Verfasstheit des Ruhrgebiets viele Unternehmen für eine Regionalisierung ausgesprochen, während einzelne Kammern sich dagegen positionierten.
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verbände, die einschneidende Kompetenz- und Machtverluste erwarten.17
Auch prosperierende Vorstädte und Umlandgemeinden befürchten Machtverluste und finanzielle Einbußen, die bei einer Beteiligung an den Zentralitätskosten der Kernstädte entstehen. Schließlich kann auch die Bevölkerung
kritisch reagieren, wenn ihre Zugehörigkeitsgefühl zur Region schwach ist.
Dabei denkt die jüngere Generation oft weniger ortsbezogen und steht
Regionalisierungsbestrebungen daher tendenziell aufgeschlossen gegenüber.
Nicht weniger vielschichtig als diese politische Gemengelage sind die Sachargumente, die in der Diskussion insbesondere der Stadt-Umland-Problematik
vorgetragen werden. So verweisen die von Abwanderungen betroffenen Kernstädte auf drohende Unterauslastungen ihrer Infrastruktur, während diese in den
Zuzugsgemeinden des Umlands gleichzeitig zu hohen Kosten neu erstellt werden muss. Zudem erfolgt aus ihrer Perspektive der Bevölkerungsverlust asymmetrisch zu Lasten der sozial schwächeren Schichten, die überwiegend in den
Städten bleiben, was dort zu hohen Kosten und sozial unausgewogenen Quartieren führt (vgl. dazu auch Kapitel B4).
Die Umlandgemeinden halten dem ihrerseits entgegen, dass sie preiswerteren
Boden und geringere Ballungsprobleme und somit echte volkswirtschaftliche
Kostenersparnisse zu bieten haben. Zudem gilt die Degression der Infrastrukturkosten bei höheren Bevölkerungszahlen nicht nur in den Ballungszentren,
sondern langfristig gerade auch in der Fläche. Dem Hinweis auf die zentralörtlichen Funktionen der Kernstädte begegnen sie mit dem Hinweis auf die Erholungs- und zunehmend auch Wirtschaftsfunktionen, welche wiederum das
Umland leistet.
Das Konzept der Regionalisierung kann hier aber helfen, zu einer sinnvollen
Funktionsteilung und zu einem gerechten Vor- und Nachteilsausgleich zwischen
Stadt und Umland zu kommen. Wird über entsprechende Anreize ein genügend
hoher Einigungsdruck erzeugt, so sollten die bereffenden Kommunen in der
Lage sein, weitgehend einvernehmlich zu einer für alle vorteilhaften Lösung zu
kommen. Manche Diskussionen über die Vor- und Nachteile des Lebens in der
Stadt dürften sich in der praktischen Gestaltung von Kooperationen weitgehend
erledigen. Das wäre auch für die Bevölkerung und Wirtschaft der bei weitem
beste Weg. Die privaten Akteure begreifen ihren Lebensraum oft ganz selbstverständlich als die Region und bringen wenig Verständnis für Friktionen auf, die
ihre Ursache allein in kommunaler Uneinigkeit haben.
17 Vgl. etwa die Rolle der Bezirksregierungen und Landkreise bei der administrativen Entwicklung
der Region Rhein-Main (Scheller 1998). Eine ähnliche Blockadeposition vertraten die französischen Departements.
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8.5
Landespolitische Voraussetzungen für regionale Kooperation
Dem Land obliegt es, dafür die entsprechenden Voraussetzungen und gegebenenfalls auch Anreize zu schaffen.
Im Einzelnen stellen sich dabei vor allem drei Aufgaben:
• Zum einen muss das Land die kommunalen Handlungsspielräume entsprechend erweitern und gleichzeitig Anreize zur Kooperation für die betreffenden Kommunen setzen. Insbesondere sollten für interkommunale Kompensationsabkommen und Ausgleichszahlungen, sofern erforderlich, die gesetzlichen und verwaltungstechnischen Voraussetzungen geschaffen werden.
• Zum zweiten sollte das Land die Analyse von regionalen Verflechtungsräumen in Auftrag geben, um eine Grundlage für die Bildung geeigneter Kooperationsgemeinschaften zu schaffen. Es empfiehlt sich, die konkrete Bildung
von Kooperationen an diesem Grundraster zu orientieren, jedoch im Einzelfall flexibel und in enger Abstimmung mit den betreffenden Kommunen zu
handhaben.
• Zum dritten ist ein Indikatorensystem zu erarbeiten, das als Grundlage für die
Bereitstellung budgetierter Regionsmittel sowie auch zur Erfolgskontrolle
ihrer Verwendung dienen kann (siehe dazu die näheren Vorschläge eines
Monitorings in Kapitel C4). Es sind zudem geeignete Instrumente zu schaffen, um mit Hilfe eines solchen Monitoringsystems die Verteilung der knappen Finanzmittel sachgerecht zu steuern und dabei Erfolge zu honorieren
und Fehlleistungen zu sanktionieren.
Bei alledem gilt es immer auch, wichtigen Landeszielen wie etwa dem Naturschutz und der Bewältigung der überörtlichen Verkehrsströme in den regionalen
Kooperationsabkommen ausreichende Berücksichtigung zu sichern. Das Land
muss vor allem dort moderierend, falls erforderlich auch regelnd eingreifen, wo
eine Kooperation notwendig erscheint und nicht zustande kommt oder die Art
der Zusammenarbeit der zu lösenden Aufgabe nicht gerecht wird. Dabei sind
regionale Unterschiede und Besonderheiten zu berücksichtigen - was in hoch
verdichteten Ballungsräumen sinnvoll sein kann, lässt sich nicht ohne weiteres
auf die Verhältnisse in ländlichen Gebieten übertragen und umgekehrt. Daher
sollten nicht schematische und kleinräumige Vorschriften im Vordergrund stehen, sondern in erster Linie solche Belange, deren Relevanz über die Grenzen
der betreffenden Regionen hinausgeht.
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C Strategien und Orientierungen
für die künftige
Städtepolitik in Nordrhein-Westfalen
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C1 Lebendige Städte
in starken Regionen Ein Leitbild
für Nordrhein-Westfalen
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Wer die Zukunft der Städte verantwortlich gestalten will, muss nicht nur ihre
Chancen und Risiken erkennen. Es bedarf auch eines Leitbilds für das politische
Wollen und Handeln. Damit ist jedoch nicht an eine Blaupause für die Stadt der
Zukunft gedacht, wie sie beispielsweise als Leitbild der Europäischen Stadt
oder in der Charta von Athen entwickelt wurde. Für ein allgemeingültiges Leitbild in diesem Sinne ist die Differenzierung der Städte und ihrer spezifischen
Problemlagen viel zu groß (vgl. Kapitel B1). Das gilt ganz besonders für Nordrhein-Westfalen mit seinen überaus vielfältigen Siedlungsstrukturen. Es ist kaum
ein Städteleitbild vorstellbar, das von der dünn besiedelten Eifel über das Münsterland bis hin zu den höchstverdichteten Agglomerationen an Rhein und Ruhr
Gültigkeit beanspruchen könnte. Schon innerhalb dieser Regionen sind die Problemlagen und Zukunftschancen oft sehr unterschiedlich, wie es auch die wirtschaftliche Analyse in Kapitel B3 zeigt.
Es geht deshalb in erster Linie darum, ein Leitbild für die künftige Städtepolitik
in Nordrhein-Westfalen zu entwickeln. Dies betrifft zum einen die Politik des
Landes gegenüber seinen Städten und Gemeinden, zum anderen auch deren
politisches Handeln selbst, sowohl untereinander als auch innerhalb der eigenen Grenzen. Im Vordergrund der folgenden Überlegungen stehen deshalb
weniger Ergebnisziele, etwa im Sinne städtebaulicher Visionen, als vielmehr die
urbanen Prozesse selbst und die landespolitischen Rahmenbedingungen, unter
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denen sie sich abspielen. Hier sind zukunftsfähige Lösungen zu suchen, die im
Normalfall sowohl effiziente als auch sozialverträgliche Ergebnisse erwarten lassen. Direkte Landesinterventionen können dann auf solche Ausnahmefälle beschränkt bleiben, in denen aufgrund ungünstiger Sondereinflüsse trotz allem
nicht hinnehmbare Fehlentwicklungen auftreten.
Mit ins Bild zu nehmen ist, dass wesentliche Einflüsse und Restriktionen hinsichtlich der städtischen Entwicklung von der Bundespolitik sowie zunehmend
auch von der Europäischen Union ausgehen. Das gilt nicht zuletzt auch für die
finanziellen Rahmenbedingungen, unter denen die Städte und Gemeinden zu
agieren haben. Dies wird im Folgenden nicht näher thematisiert, wenngleich
sich einige der hier angestellten Überlegungen im Grundsatz auch auf diese
Problematik anwenden lassen.
1.1
Urbane Vielfalt, Entscheidungen vor Ort
Die Stadt der Zukunft muss sich in einer wirtschaftlich und kulturell immer stärker integrierten Welt behaupten. Als Unternehmensstandort, aber auch als
Wohnort und Lebensmittelpunkt der Menschen stehen die Städte NordrheinWestfalens in starker Konkurrenz, sowohl untereinander als auch gegenüber
ihrem Umland. Mit zunehmender Mobilität der Menschen und des Kapitals
gewinnt auch der Wettbewerb mit anderen Agglomerationsräumen an Bedeutung, nicht zuletzt auch mit solchen im benachbarten Ausland. Gleichzeitig werden die sozialen Probleme insbesondere in den größeren Städten an Schärfe
gewinnen: Rückläufige Bevölkerungszahlen bei gleichzeitig dramatisch veränderter Altersstruktur verlangen nicht nur entsprechende Anpassungen der Infrastruktur, sondern bedeuten auch neue Herausforderungen für das soziale und
kulturelle Zusammenleben. Hinzu kommen Integrationsanforderungen, die sich
aus wachsenden Bevölkerungsanteilen mit Migrationshintergrund ergeben. All
dies gilt es zu bewältigen bei eher enger werdenden Finanzierungsspielräumen
und oft schon zu hohen Schuldenlasten der Vergangenheit.
In Nordrhein-Westfalen stehen vor allem die Städte des Ruhrgebiets und des
bergischen Städtedreiecks vor großen Herausforderungen. Sie leiden zumeist
schon seit Jahren unter rückläufigen Einwohnerzahlen, Überalterung ihrer
Bevölkerung, überkommenen Wirtschaftsstrukturen sowie hohen Anteilen von
sozial schwachen oder nicht integrierten Bevölkerungsschichten. Aber auch für
die zurzeit noch prosperierenden Städte und Gemeinden zeichnen sich teilweise
große Zukunftssorgen ab. Den demografischen Problemen werden auch sie sich
nicht entziehen können, und ihre wirtschaftliche Zukunft ist keineswegs unabhängig davon, wie es bei ihren Nachbarn weitergeht. Im Gegenteil: Weit mehr
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Leitbild für Nordrhein-Westfalen
als früher gilt es für die Städte der Zukunft, in Regionen statt nur in den eigenen
Grenzen zu denken. Dazu zwingt nicht nur der Bevölkerungsrückgang, sondern
auch die Wahrnehmungs- und Durchsetzungsfähigkeit in einem harten - auch
internationalen - Standortwettbewerb.
Dazu steht nicht im Widerspruch, dass sich die kleinräumigen Probleme heute
und in Zukunft weit differenzierter darstellen, als es früher der Fall gewesen ist.
So wird es neben Regionen mit Wohnungsleerständen nach wie vor auch solche mit angespannten Wohnungsmärkten geben, namentlich was die Versorgung von so genannten Problemgruppen betrifft. Ferner werden Städte mit niedrigen Migrantenanteilen neben solchen mit hohem Zuzug aus dem Ausland
stehen. Dabei ist die Problemlage auch unter letzteren oft ganz verschieden, je
nach den Herkunftsregionen der Zugezogenen, der wirtschaftlichen Lage in der
betreffenden Region und nicht zuletzt wiederum nach der Lage auf dem Wohnungsmarkt. Und manche ökologischen Probleme wie etwa die Flächeninanspruchnahme stellen sich in hochverdichteten oder stark zersiedelten Gebieten
ganz anders dar als in den ländlichen Regionen.
Hier kann deshalb nur die Vielfalt selbst das Leitbild sein. Vielfalt der Lösungsansätze bedeutet allerdings nicht Beliebigkeit. Worauf es ankommt ist vielmehr,
dass jeweils die beste Lösung möglichst auch zum Zuge kommt. Die Landespolitik sollte darauf angelegt sein, hierfür durch entsprechende Rahmenbedingungen Gewähr zu bieten.
1.2
Städtisches Leben in lebendigen Städten
Die Städte Nordrhein-Westfalens waren einstmals nicht nur Motoren ökonomischer Modernisierungsprozesse, sie mussten auch immer schon das
Zusammenleben von Bürgern ganz unterschiedlicher sozialer Schichten und
Herkunft bewältigen. Für die Integration derjenigen, die als Migranten und Gastarbeiter in die Städte strömten, war es hilfreich, dass sie dort in Zeiten der Vollbeschäftigung leicht Arbeit fanden, wenn auch überwiegend in gering qualifizierten Beschäftigungen. Inzwischen sind viele dieser Arbeitsplätze weggefallen
und mit ihnen die wohl wichtigste Voraussetzung für die wirtschaftliche und
soziale Integration der betreffenden Bevölkerungsschichten. Gleichzeitig ist
aber der Anteil derer, die dauerhaft im Land bleiben wollen und hier mit ihren
Familien eine neue Heimat gefunden haben, angestiegen. Damit ist die Integration von Menschen mit ganz unterschiedlichen Religionen, Sprachen und kulturellen Hintergründen eine der zentralen Herausforderungen für die Städte in
Nordrhein-Westfalen geworden.
Einen Königsweg für diese Aufgabe gibt es nach aller Erfahrung nicht - Vieles
muss zusammenkommen, und nicht überall bieten sich die gleichen Lösungs307
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
wege an. In vielen Fällen könnte eine regionale Kooperation helfen, die räumliche Konzentration der Probleme zu entschärfen. Zu solcher Zusammenarbeit
Anreize und Hilfen zu geben, wird deswegen eine wichtige Aufgabe der künftigen Landespolitik sein. Dessen ungeachtet ist aber eine kritische Überprüfung
überkommener Leitbilder der Integration angezeigt. So ist es keineswegs ausgemacht, dass eine möglichst breite Bevölkerungsmischung in den Stadtteilen
den größten Erfolg verspricht. Soziale Mischung ist auch nicht unbedingt Voraussetzung für soziale Stabilität. Stadtteile mit Zusammenballungen bestimmter
ethnischer und sozialer Zugehörigkeit sind nicht per se problematisch oder desintegriert. Den zweifellos vorhandenen Gefahren der Isolierung, der Stigmatisierung und der sozialen Destabilisierung entsprechender Quartiere stehen nämlich
auf der anderen Seite auch Chancen gegenüber. Dazu gehören konfliktarme
Nachbarschaften, die Möglichkeit zur Bildung gruppenspezifischer Netzwerke
der Selbsthilfe und nicht zuletzt ein Gefühl der Geborgenheit
in einer oft als kalt, wenn nicht gar feindlich empfundenen
Umgebung.
Darüber, ob letztlich die negativen oder die positiven Aspekte überwiegen, kann keine allgemeingültige Aussage getroffen werden. Es ist vorwiegend die Aufgabe der Städte selbst,
dies im Einzelfall herauszufinden. Sie müssen nach Wegen
suchen, die Vorteile der Konzentration zu nutzen und zugleich
die negativen Folgen der Segregation möglichst gering zu
halten. Von besonderer Bedeutung ist hier neben der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der kommunale Wohnungsmarkt.
Hier gilt es, gemeinsam mit der Wohnungswirtschaft
Zugangsschranken abzubauen und bedarfsgerechten Wohnraum für Gruppen mit Zugangsschwierigkeiten auch in nicht
segregierten Quartieren zu schaffen. Ziel muss sowohl die
Verhinderung unfreiwilliger Segregation als auch die Ermöglichung freiwilligen Rückzugs in das eigene Milieu sein.
Dazu gehört auch die Bekämpfung von Diskriminierungen,
sowohl auf dem Arbeits- als auch auf dem Wohnungsmarkt.
Hier sind entsprechende Vorurteile abzubauen und notfalls auch mit öffentlicher
Hilfe entsprechende Zugangschancen zu schaffen. Hilfreich können in diesem
Zusammenhang öffentliche Bürgschaften und der Erwerb von Belegungsrechten auf dem Wohnungsmarkt sein.
Die kommunale Wohnungspolitik spielt auch eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der demografischen Herausforderungen. Die Alterung der Gesellschaft
setzt aufgrund des Zusammenwirkens von natürlicher Bevölkerungsentwicklung und Wanderungen in den Städten früher ein als im Land insgesamt. Sie hat
auf lokaler Ebene auch dramatischere Auswirkungen als im Landesdurchschnitt,
weil sich die Extreme hier nicht ausgleichen. Sollen die Städte der Zukunft nicht
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Leitbild für Nordrhein-Westfalen
zu Altersheimen werden, ist es deshalb höchste Zeit für kleinräumige Bevölkerungsprojektionen und die Erstellung strategischer Optionen. Zukunftsträchtig
erscheinen vor allem Bestandsinvestitionen in die urbane Qualität des Wohnumfeldes, in Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen sowie in die Stabilisierung der wirtschaftlichen Basis einer Stadt. Dabei kann man sich zunutze
machen, dass Familien und alte Menschen teilweise ähnliche Anforderungen an
eine bürgergerechte Stadt haben, beispielsweise hinsichtlich der Barrierefreiheit
und der Sicherheit im Straßenverkehr.
Die Bereitstellung familiengerechten Wohnraums in den Städten kann gleichzeitig zur sozialen Stabilisierung von Quartieren beitragen, insbesondere wenn sie
mit sozialverträglicher Eigentumsbildung verbunden ist. Wo Leerstände den
Rückbau von Wohnraum erforderlich machen, können die entstehenden Freiflächen für ein besseres Wohnumfeld und für die Schaffung hochwertigerer Bausubstanzen genutzt werden. Dabei ist angesichts leerer öffentlicher Kassen eine
finanzielle Beteiligung derjenigen Eigentümer anzustreben, die von der Aufwertung der betreffenden Quartiere besonders profitieren. Auch in anderer Hinsicht
können rückläufige Bevölkerungszahlen durchaus als Chance begriffen werden.
Sie bergen unbeschadet der damit verbundenen, vor allem im Übergang auftretenden Probleme auch ein großes Potenzial zur Verbesserung der Lebensqualität in den Städten. Mehr Frei- und Grünflächen, abnehmende Verkehrs- und
Lärmbelastung und weniger Engpässe in Infrastruktur und Verwaltung machen
das urbane Leben entspannter und damit auf längere Sicht auch für solche
Bevölkerungsschichten wieder attraktiv, die auf der Suche nach mehr Ruhe und
Umweltqualität der Stadt den Rücken gekehrt haben.
1.3
Die verantwortliche Stadt
Es wäre falsch, den Herausforderungen der Zukunft mit rein defensiven Strategien begegnen zu wollen. Dadurch lassen sich weder der unvermeidliche Bevölkerungsrückgang in Nordrhein-Westfalen noch die wachsende Standortkonkurrenz anderer Länder und Regionen aus der Welt schaffen. Auch Kirchturmpolitik auf Kosten anderer hilft dem Land und seinen Städten nicht weiter. Es gilt
vielmehr zu erkennen, dass in den sich abzeichnenden Veränderungen auch
Chancen liegen. So können rückläufige Einwohnerzahlen auch für die Schaffung
von mehr Grünflächen in den Städten und für eine höhere Wohnqualität genutzt
werden. Der notwendige Umbau der Infrastruktur kann Anlass für eine stärkere
Zusammenarbeit mit benachbarten Städten und Gemeinden sein, um Doppelinvestitionen zu vermeiden und sinnvolle Arbeitsteilungen zu erzielen. Der Zuzug
von Menschen aus anderen Ländern schafft unter Umständen Probleme, trägt
aber auch zur Verjüngung der Bevölkerung und zur kulturellen Vielfalt bei. Oft
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
sind es gerade diese Neubürger, die als Selbständige neue Existenzen gründen
und der örtlichen Wirtschaft damit Impulse geben.
Um solche Chancen nutzen zu können gilt es freilich, auf die örtlich unterschiedlichen Problemlagen entsprechend differenziert und flexibel zu reagieren.
Das kann letztlich nur in dezentraler Verantwortung vor Ort gelingen. Die Stadt
der Zukunft muss deshalb mehr Entscheidungsfreiheit in eigener Sache haben,
aber auch stärkere Verantwortung für das Gelingen tragen. Dadurch werden
ganz neue Kräfte freigesetzt, und zwar in zweifacher Hinsicht: Zum einen werden Menschen zum aktiven Mitmachen gebracht, die dafür aufgrund zu enger
Handlungsspielräume kaum Motivation und Möglichkeiten hatten. Das gilt nicht
nur für die kommunalen Entscheidungsträger selbst, sondern auch für ihre Bürger und für die Vertreter der örtlichen Unternehmen und Verbände. Zum anderen ermöglicht es die dezentrale Suche nach der besten Lösung, von anderen
zu lernen und dabei auch Fehler zu erkennen, bevor sie landesweites Gesetz
geworden sind.
Eine verantwortliche Stadt in diesem Sinne verwaltet nicht ihre Bürger, sondern
gestaltet ihre Zukunft zusammen mit den in ihr lebenden Menschen und Unternehmen. Sie entscheidet weitgehend selbst, wofür sie ihre knappen Mittel einsetzt, was entsprechende Spielräume vor allem an frei verfügbaren, nicht
zweckgebundenen Finanzmitteln voraussetzt. Wo ihr bundes- oder landespolitische Gesetze vorgegeben sind, hat
sie zumindest Ermessensspielräume in
der Umsetzung. Wo sie selbst entscheidet, trägt sie auch die finanzielle
und rechtliche Verantwortung. Rechtliche Handlungsautonomie ist deshalb
von der Verfügbarkeit entsprechend
freier Finanzmittel nicht zu trennen.
Eine bessere Finanzausstattung der
Städte und Gemeinden, vor allem mit
frei einsetzbaren, nicht zweckgebundenen Mitteln, ist deshalb in höchstem Maße wünschenswert. Es sollte in diesem Sinne vorurteilslos geprüft werden, ob den Kommunen nicht auch Hebesatzrechte auf andere als die Realsteuern gegeben werden können.
Das Leitbild der verantwortlichen Stadt meint jedoch mehr als Selbstbestimmung. Es schließt auch die Verantwortung für nachhaltige soziale, ökologische
und bildungspolitische Ziele mit ein. Dazu gehören tragfähige Konzepte zur
sozialen und kulturellen Integration benachteiligter Bevölkerungsschichten
ebenso wie das Bewusstsein für einen sparsamen Umgang mit den natürlichen
Ressourcen. An der Erreichung solcher Ziele besteht auch ein über die einzelne
Kommune hinausgehendes Interesse, weswegen hier die kommunale Autono310
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mie an ihre Grenzen stößt. Die örtlichen Ermessensspielräume sind dabei umso
enger zu ziehen, je stärker das allgemeinpolitische Interesse an den betreffenden Maßnahmen und Regelungen ist. Das dürfte zum Beispiel auf die Gewährleistung bestimmter Bildungsstandards oder auf energiepolitische Ziele zutreffen, die zu Recht landes- oder sogar bundesrechtlich geregelt sind. Auch die
kommunale Flächenpolitik muss sich in die großen Linien der landesweiten
Raumplanung einfügen und darf beispielsweise nicht zu unerwünschten Zerschneidungseffekten oder zur Zerstörung zusammenhängender Schutzgebiete
führen.
Soweit entsprechende Entscheidungen indessen überwiegend nur örtliche Auswirkungen haben, sollten sie stärker als bisher auch auf lokaler Ebene geregelt
werden. Landesweit gültige Vorgaben könnten sich, wo sie unverzichtbar
erscheinen, auf Mindeststandards beschränken, um flexible Lösungen vor Ort
zu ermöglichen. Das schließt landespolitische Initiativen, etwa im Bildungssektor oder in der Wohnungspolitik, keineswegs aus. Für die konkrete Umsetzung
landespolitischer Ziele gibt es aber meist mehrere Optionen. So kann das Ziel
einer besseren Wohnungsversorgung einkommensschwacher Haushalte auf
ganz verschiedenen Wegen erreicht werden: vom sozialen Wohnungsbau über
die vermehrte Ausweisung von Bauland bis hin zum Erwerb von Belegungsrechten oder zur Zahlung eines kommunalen Wohngeldes. Welcher dieser Wege
der jeweils sinnvollste ist, dürfte je nach örtlicher Problemlage ganz unterschiedlich sein und kann darum in aller Regel am besten vor Ort entschieden
werden. Entsprechende Landesprogramme zur Unterstützung der Kommunen
sollten daher weniger die Instrumente als vielmehr vorwiegend die zu erreichenden Ziele festlegen, idealerweise im Wege von Zielvereinbarungen mit den
betreffenden Städten und Gemeinden.
1.4
Mehr Verantwortung auch für die Bürger
Die Bereitschaft der Bürger, sich vor Ort für die Belange ihrer Stadt zu engagieren, ist noch nicht überall so hoch, wie man es sich wünschen würde. Mancherorts ist sie in den letzten Jahren sogar eher zurückgegangen. Das gilt auch
für die Unternehmen. Dazu mag auch die wachsende Sorge um den eigenen
Arbeitsplatz und die schwache Ertragsentwicklung vieler Unternehmen beigetragen haben. Die lebendige Stadt der Zukunft wird sich aber auch durch mehr
bürgerschaftliches Engagement und durch die aktive Mitwirkung nicht-staatlicher Akteure an der Stadtentwicklung auszeichnen müssen. Dies erzwingt
schon alleine der Rückzug des Staates aus Teilen der Daseinsvorsorge, aber es
ist auch ein Wert an sich. Die Motivation sich zu engagieren, wird gerade in einer
individualisierten Gesellschaft in starkem Maße auch von dem Bedürfnis nach
Eigenverantwortung und Selbstbestimmung geprägt.
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Die Nutzung dieser Potenziale stellt allerdings neue Anforderungen an den
Staat, auch entsprechende Mitbestimmungs-, Mitgestaltungs- und Teilhabemöglichkeiten zu schaffen. Dabei geht es weniger um finanzielle Vergütungen als
vielmehr um gesellschaftliche Anerkennung, echte Kooperation zwischen engagierten Bürgern und Verwaltung und nicht zuletzt auch um die Umsetzung von
Beteiligungsergebnissen. Die Förderung privaten Engagements muss in diesem
Sinne eine Querschnittsaufgabe für alle Bereiche des urbanen Lebens werden.
Klare Kompetenzzuweisungen und eigenständige Arbeitsfelder erleichtern eine
entsprechende Zusammenarbeit und beugen Missverständnissen und Frustrationen vor. Dabei sind natürlich die Grenzen bürgerschaftlicher Gestaltungsfreiheit zu beachten. Von essenzieller Bedeutung ist auch die Entbürokratisierung,
ohne die das bürgerschaftliche Engagement schnell im Wust von Vorschriften zu
ersticken droht. Das gilt für das Schul-, Gesundheits- und Betreuungswesen
ebenso wie für das Arbeitsleben, die Sozialpolitik und den Kulturbereich. Es
geht dabei aber nicht nur um das klassische Ehrenamt; eine vitale Stadt wird
künftig auch nicht mehr ohne neue Formen der Kooperation zwischen Staat und
privater Wirtschaft auskommen. Hier sind vielfältige Formen von Public Private
Partnership bis hin zu Bürgerstiftungen als Alternative zu kommunalen Gewährsträgern vorstellbar. Auch die private Wirtschaft sollte aktiv in die Mitarbeit
einbezogen werden, sei es bei der Flächennutzungsplanung oder bei der Finanzierung und Organisation von Aufgaben in der Kinderbetreuung, die mit städtischen Mitteln allein nicht mehr bewältigt werden können. Grundlegende Voraussetzung dafür ist aber auch hier eine weitgehende Entbürokratisierung der
entsprechenden Bereiche und die Schaffung von echten Entscheidungsspielräumen auf der kommunalen Ebene, die dann im Konsens der Beteiligten je
nach den örtlichen Gegebenheiten genutzt werden können.
1.5
Starke Regionen durch kommunale Kooperation
Die Lebensräume der Menschen, aber auch die Verflechtungen der Wirtschaft
gehen über die Grenzen selbst großer Städte weit hinaus. Dementsprechend
bedürfen Infrastrukturplanung, Verkehrswege, Wohnungsversorgung und Maßnahmen der ökologischen Nachhaltigkeit einer entsprechenden Abstimmung.
Auch der Standortwettbewerb spielt sich zunehmend weniger zwischen einzelnen Städten als vielmehr zwischen Regionen ab. Das Leitbild der verantwortlichen Stadt umfasst deswegen auch die Kooperation mit den benachbarten
Städten und Gemeinden. Nur so kann eine sinnvolle Arbeitsteilung insbesondere zwischen Stadt und Umland erreicht werden, bei der nicht der eine auf
Kosten des anderen Vorteile zieht, sondern ein Interessenausgleich zum beiderseitigen Nutzen - und damit auch zum Wohle der Bürger - erreicht wird. Bei der
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Abgrenzung sinnvoller Kooperationsräume, die die beteiligten Partner in eigener
Entscheidung definieren müssen, wird man sich zweckmäßigerweise neben den
Verflechtungsintensitäten auch an bereits bestehenden Verwaltungseinheiten
orientieren, schon um die Zusammenarbeit politisch handhabbar zu machen.
Die bestehenden Landkreise dürften dafür allerdings im Regelfall zu eng, die
Regierungsbezirke wiederum zu weit abgegrenzt sein. Wichtig ist die Überschaubarkeit und das Zugehörigkeitsgefühl der Bürger zu der jeweiligen Region.
Wie diese im Einzelfall abzugrenzen ist, sollte deshalb im kommunalen Konsens
entschieden werden, wobei je nach Art und Intensität der Kooperation auch
regional ganz unterschiedliche Lösungen denkbar sind.
Nach aller Erfahrung bedarf das Zustandekommen von freiwilligen Kooperationen entsprechender Anreize, damit insbesondere diejenigen mitmachen, die
auch so ganz gut zurechtzukommen glauben. Schon allein die demografische
Herausforderung mit ihren künftigen Anforderungen an eine Anpassung der
Infrastruktur sollte eigentlich Anlass genug sein, sich untereinander entsprechend abzustimmen. Wo dies nicht ausreicht, sollte die Landespolitik zusätzliche Anreize setzen. Beispielsweise könnte die Zuteilung von Finanzmitteln für
die Infrastruktur und für die soziale Wohnungspolitik daran geknüpft werden,
dass ein regional abgestimmtes Gesamtkonzept von den betreffenden Städten
und Gemeinden vorgelegt wird. Auf diese Weise kann ein Einigungsdruck in
Richtung freiwilliger Kooperation erzeugt werden, ohne dass die Landespolitik
für die eine oder für die andere Seite Partei ergreifen oder gar zu Zwangsmaßnahmen greifen müsste.
Schon heute bestehen vielfältige Kooperationsansätze zwischen einzelnen
Städten und Gemeinden. Sie beschränken sich aber meist auf Einzelprobleme
wie etwa den Nahverkehr oder die Abfallentsorgung. Das Ziel sollte sein, darüber hinaus zu wesentlich umfassenderer Zusammenarbeit zu kommen, welche
die gesamte Infrastrukturpolitik umfasst. Bereits bestehende Kooperationsansätze können dafür ein sinnvoller Ausgangspunkt sein, zumal hier bereits Erfahrungs- und Vertrauenskapital geschaffen wurde. Die Erfahrung lehrt, dass regionale Kooperation am besten auf freiwilliger Basis funktioniert, und dafür ist
gegenseitiges Vertrauen eine unabdingbare Voraussetzung. Ursprünglich unverbindliche Gesprächskreise können sich so schrittweise zu immer umfassenderen und verbindlicheren Formen der Zusammenarbeit weiterentwickeln. So werden aus bescheidenen Anfängen schließlich starke Regionen im doppelten
Sinne: stark im Hinblick auf ihre Kompetenzen gegenüber Land und Einzelkommunen, stark aber auch im Wettbewerb der Standorte.
Die Landespolitik sollte solche Kooperationen anregen und fördern, durchaus
auch mit finanziellen Anreizen. Sie sollte ihren eigenen Lenkungsanspruch in
dem Maße zurücknehmen, wie entsprechende regionale Vereinbarungen
zustande kommen. Budgetierungskonzepte und Artikelgesetze könnten so
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schrittweise an die Stelle von Zweckzuweisungen und landesweiten Einzelregelungen treten. Das Land kann darüber hinaus als Moderator und Impulsgeber
agieren, sollte sich aber mit inhaltlicher Einflussnahme auf die regionalen Entwicklungskonzepte zurückhalten. Zu starke inhaltliche Vorgaben würden dem
Sinn der Regionalisierung widersprechen und die Akteure entmutigen, nach
neuen und unkonventionellen Konzepten zu suchen.
1.6
Die Tüchtigen fördern
Städte sind wesentliche ökonomische, kulturelle und soziale Kristallisationspunkte der gesellschaftlichen Entwicklung. Von der Zugkraft prosperierender
Stadtregionen profitiert letztlich das ganze Land. Es besteht deshalb ein Interesse der Landespolitik, die Rolle der Städte als Innovationszentren und Motoren der wirtschaftlichen Entwicklung zu stärken.
Diese Rolle wird jedoch nicht von allen Städten gleichermaßen eingenommen es gibt Gewinner und Verlierer, Städte mit guten und solche mit eher problematischen Zukunftsperspektiven. Die Unterschiede im Entwicklungsstand wie auch
die regionalen Differenzierungsprozesse haben in Nordrhein-Westfalen im Zeitverlauf sogar zugenommen (vgl. Kapitel B1 und B4). Damit scheint sich für die
künftige Landespolitik der alte Konflikt zwischen wachstums- und ausgleichsorientierter Regionalpolitik zu stellen: Soll man mit den begrenzt zur Verfügung
stehenden Mitteln eher die Starken fördern oder vielmehr den Schwachen zum
Aufholen verhelfen?
Die Förderung des Wachstums in prosperierenden Regionen und die Stärkung
ökonomisch schwächerer Regionen muss jedoch kein unüberbrückbarer
Gegensatz sein. In gewisser Weise bedingt das eine sogar das andere, denn
ohne das Vorhandensein von Wachstumspolen gibt es auch keine Verteilungsmasse, um den schwächeren Regionen zu helfen. Es kommt hinzu, dass prosperierende Zentren die benachbarten Regionen oft wirtschaftlich mitziehen, so
dass der Konflikt zumindest kleinräumig gar nicht oder nur abgeschwächt
besteht. Umgekehrt profitiert das Land auch davon, wenn bislang benachteiligte Regionen aufholen und möglicherweise in Zukunft sogar selbst eine Führungsrolle übernehmen können. In diesem Sinne sollten im Grundsatz vor allem
diejenigen Regionen unterstützt werden, die Zukunftspotenziale haben und
diese auch nutzen. Das können im Prinzip sowohl arme als auch bereits hoch
entwickelte Regionen sein.
Deshalb kann eine sinnvolle Ausgleichspolitik kaum darin bestehen, alle gleich
zu behandeln. Sie sollte vielmehr jedem das Seine ermöglichen. Dementsprechend muss es das Bestreben der Landespolitik in Nordrhein-Westfalen sein,
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die Teilräume des Landes in ihrer Eigenart zu stärken und ihnen dabei zu helfen,
ihre jeweiligen Vorteile voll zur Geltung zu bringen. Weder eine Breitenförderung
noch die einseitige Bevorzugung ausgewählter Wachstumszentren würde einem
solchen Anliegen gerecht werden. Vielmehr sollten diejenigen Städte und Regionen besonders unterstützt werden, die nachweisliche Erfolge aufzuweisen
haben, sei es beim Ausbau einer bereits bestehenden Führungsposition oder im
Aufholprozess gegenüber anderen. Dafür belastbare Kriterien zu entwickeln, ist
eine der großen Herausforderungen für eine zukunftsweisende Regionalpolitik.
Ein landesweites Monitoring-System (vgl. Kapitel C4) könnte die Basis für ein
entsprechendes System von Indikatoren bilden, wobei auch hier Zielvereinbarungen mit den betreffenden Regionen eindeutig der Vorzug gegenüber starren
Zielvorgaben von oben zu geben ist.
Grundidee eines solchen Systems ist es, weder die Starken noch die Schwachen, sondern die Tüchtigen zu fördern. So können die Schwachen aufholen,
ohne dass die Starken gebremst werden. Es liegt dann an den Städten und
Regionen, ihre Chancen realistisch zu
erkennen, zielstrebig und gemeinsam
vorzugehen und letztlich auch die Verantwortung für das Gelingen oder Misslingen zu übernehmen. Für den Bürger
hat das den Charme, dass er die Verantwortlichkeiten für das Gedeihen seiner Heimatregion weit besser als im
bestehenden Mischsystem zuordnen
und entsprechend reagieren kann. Dies wiederum erhöht den Druck auf Politik
und Verwaltung, mit den regionalen Ressourcen sorgfältig umzugehen, unnötigen politischen Streit untereinander zu vermeiden und auf diese Weise bestmögliche Erfolge zu erzielen.
Selbstverständlich kann das Land nicht tatenlos zusehen, wenn einzelne Städte oder Regionen im Standortwettbewerb so weit zurückfallen, dass daraus
nicht mehr hinnehmbare soziale Konsequenzen resultieren. Daraus begründete
Sonderhilfen oder direkte Interventionen sollten aber die Ausnahme sein und
stets als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden und ausgestaltet werden. Auch in dieser Hinsicht dürfte sich ein regionales Monitoring-System als hilfreiches Instrument erweisen.
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C2 Handlungsschwerpunkte
für die Städte der Zukunft
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Die Städte und Regionen des Landes Nordrhein-Westfalen stehen zu Beginn
des 21. Jahrhunderts vor zahlreichen Herausforderungen und Entwicklungsoptionen. In Abschnitt B wurde deutlich, dass sich insbesondere die Entwicklung
von Stadtqualitäten, Ökonomie und Wissenskultur wie auch die Schaffung von
sozialer Stabilität in den Städten als wesentliche Handlungsschwerpunkte für
die Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen darstellen. Diese Kernpunkte
städtischer Entwicklung sollen im Folgenden zusammenfassend erläutert werden. Auf die besonderen Erfordernisse, die sich aus der zu optimierenden regionalen Kooperation ableiten, wird im Abschnitt C3 (Steuerungsprinzipien) näher
eingegangen.
2.1
Entwicklung von Stadtqualitäten
Die Städte in Nordrhein-Westfalen sind durch ihre große Vielfalt gekennzeichnet.
Dies gilt sowohl bei der Betrachtung der Städte im Lande in der Gesamtheit der so genannten Stadtlandschaft - als auch bei der Betrachtung der einzelnen
Städte selbst. Die Qualitäten einer Stadt werden hierbei durch zahlreiche Merkmale und deren Wechselwirkungen bestimmt und von den Bürgern unterschiedlich wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, dass es
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nicht darum gehen kann, die eine - quasi normierte - sondern viele Stadtqualitäten zu entwickeln.
Zukunftsfähige Städte zeichnen sich in erster Linie durch ihre (verstärkte) Orientierung an qualitativen Entwicklungen aus. Im Kern geht es hierbei um den
Erhalt, die Schaffung und die Ausgestaltung von einem möglichst hohen Maß an
Lebensqualität. Die Lebensqualität wird als das gelungene Zusammenspiel
unterschiedlichster Merkmale interpretiert. So zählen die individuelle Wohnsituation, das unmittelbare Wohnumfeld sowie intakte Umweltbedingungen zu den
wichtigsten Faktoren von Lebensqualität. Ferner sind die vorhandenen Angebote (bzw. deren Qualität) in den Bereichen Kultur, Freizeit, Sport und Bildung von
großer Bedeutung. Darüber hinaus tragen alle Möglichkeiten der nahräumigen
Versorgung in den Bereichen Einzelhandel, Dienstleistungen, Erholung etc. zu
einem hohen Maß an Lebensqualität bei. All diese Aspekte von Lebensqualität
gilt es für die Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen zu sichern und bei
Bedarf auszubauen.
Neben diesen Merkmalen von Lebensqualität sind aber auch alle Aspekte des
sozialen Miteinanders der Menschen von entscheidender Bedeutung. Es bedarf
Möglichkeiten zur Begegnung und Kommunikation sowie zum bürgerschaftlichen Engagement, um dies zur Entfaltung zu bringen. Nur wenn es gelingt, die
soziale Stabilität in unseren Städten zu gewährleisten und die soziale Integration
verschiedener Bevölkerungsgruppen zu realisieren, können sich Stadtqualitäten
aufbauen. Seit jeher wird die städtische Gesellschaft zudem mit Freizügigkeit,
Weltoffenheit und Toleranz in Verbindung gebracht. Keine andere Siedlungsund damit verbunden auch Gesellschaftsform hat jene Integrationskraft entfalten können, wie sie der Stadt zu Eigen ist. Mehr noch: gesellschaftlicher Wandel geht in der Regel aus der städtischen Gesellschaft hervor. Städte bzw.
bestimmte Stadtteile sind Orte von
Innovation und Experiment, sie bilden
ein eigenes Flair und eine besondere
Qualität aus, die bestimmte Milieus suchen oder auch anziehen. All diese
Qualitäten gilt es für die Zukunft der
Städte zu erhalten.
Es geht zukünftig aber auch verstärkt
darum, mehr Qualität in die Prozesse der Beteiligung der Bürger zu tragen, eine
neue Planungskultur in und für die Städte in Nordrhein-Westfalen zu etablieren.
Hierzu sind innovative und bedarfsgerechte Methoden und Verfahren der Bürgerbeteiligung erforderlich, die den Bürgern eine echte Chance auf Engagement
für ihre Stadt eröffnen. Die stadtgesellschaftliche Interaktion der Zukunft zeichnet sich aber auch durch die konsequente Einbeziehung von Unternehmen, Ver318
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Handlungsschwerpunkte
einen, Initiativen sowie allen weiteren Formen bürgerschaftlichen Engagements
aus, die es aktiv in den Prozess der Stadtentwicklung einzubinden gilt. Dazu
sind Möglichkeiten der Teilhabe und Mitwirkung aufzuzeigen.
Jede Stadt hat ihr eigenes Gesicht, ihren eigenen Charakter, der sich unter
anderem an Merkmalen aus Städtebau und Architektur festmachen lässt. Diese
Eigenheiten gilt es zu pflegen und bei Bedarf weiter zu entwickeln. Hierbei
kommt unter anderem dem öffentlichen Raum eine entscheidende Bedeutung
zu, da er maßgeblich über die Attraktivität und Identifikationskraft einer Stadt
entscheidet. Der öffentliche Raum findet zudem vielfach als Synonym für den
Zustand einer Stadt bzw. eines Gemeinwesens Betrachtung. Daher wird es in
Zukunft verstärkt darauf ankommen, (wieder) mehr Aufmerksamkeit und Engagement für den gebauten städtischen Raum zu entwickeln, das heißt vorhandene Qualitäten zu erhalten bzw. zu stärken und neue zu gewinnen. Alle Maßnahmen im öffentlichen Raum müssen daher einem hohen Anspruch an städtebaulicher und architektonischer Qualität genügen. Vor diesem Hintergrund sind
geeignete Instrumente zu entwickeln, die diese Qualitäten gewährleisten. Dazu
zählen beispielsweise städtebauliche Wettbewerbe, Gutachterverfahren oder
Workshops. Der gebaute physische Raum allein aber führt noch nicht zu urbaner Qualität. Erst durch die Aneignung durch die Stadtgesellschaft entstehen
lebendige öffentliche Räume. Neben architektonischer Qualität bedarf es daher
Initiativen zur Belebung öffentlicher Räume in partizipativ angelegten Projekten.
Städte, egal ob groß oder klein, sind ausgewiesen komplexe Gebilde. Auf dem
Weg zur Entwicklung von mehr Stadtqualitäten sind naturgemäß verschiedene
Zugänge denkbar, die in erster Linie von den jeweiligen Gegebenheiten vor Ort
abhängig sind. Die Bestimmung der Ziele und der Wege zu mehr Stadtqualitäten kann nur vor Ort erfolgen, das heißt es bedarf zwingend der kleinräumigen
Betrachtung und der darauf aufbauenden integrierten Stadtentwicklung.
2.2
Ökonomie und Wissenskultur
Eine große Zahl von Städten in Nordrhein-Westfalen, insbesondere die Städte
im Ruhrgebiet und im Bergischen Städtedreieck befinden sich gegenwärtig und
auch in näherer Zukunft inmitten des Strukturwandels. Nachdem mit dem Verlust der traditionellen Arbeitsbereiche in vielen Städten die ökonomische Grundlage entzogen wurde, sind vielfältige Prozesse zur Entwicklung zukunftsweisender ökonomischer Strukturen in Nordrhein-Westfalen auf den Weg gebracht
worden. Hierbei sind bereits beachtliche Erfolge zu verzeichnen, die sich beispielsweise in der Ausbildung neuer (regionaler) Kompetenzfelder und in der
Etablierung moderner Arbeitsplätze zeigen. Diesen Prozess von Seiten des Lan319
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des weiterhin zu begleiten und die Städte und die Regionen in ihren vielfältigen
Anstrengungen zu unterstützen, ist eine wichtige Aufgabe für die Zukunft. Dabei
gilt es zu berücksichtigen, dass es neben den qualitativen Verbesserungen z.B.
im Bereich der baulichen und planerischen Aufgabenstellungen in einem vom
Strukturwandel geprägten und zugleich rohstoffarmen Land primär die Notwendigkeit gibt, „in die Köpfe“ zu investieren, das Bildungsniveau und die beruflichen Qualifikationen der Menschen weiterhin zu verbessern, Wissenskulturen
zu fördern und dabei die Innovationsfähigkeit zu sichern und auszubauen. Eine
Zukunftsstrategie, die diese Elemente berücksichtigt, trägt auch zur internationalen Konkurrenzfähigkeit des Standortes Nordrhein-Westfalen und seiner
Regionen und Städte bei.
Vor diesem Hintergrund stellen die Hochschulen, Fachhochschulen und die vielfältigen anderen Forschungseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen eine wichtige
Ressource für die künftige Entwicklung des Landes und seiner zahlreichen
Städte dar. Sie können einen wichtigen Nukleus bei der Ausbildung von Wissenskulturen bilden und zum Ausgangspunkt und Motor einer insgesamt positiven Entwicklung werden. Die Stadtentwicklung kann hierbei befördernde Rahmenbedingungen schaffen, die zur Profilbildung im Bereich der Wissenskulturen
beitragen. Der Ansatz zur Herausbildung von regionalen Kompetenzen im
Bereich der Ökonomie und der Wissenskulturen ist daher im Grundsatz weiter
zu verfolgen. In diesem Zusammenhang ist auch die Entwicklungslinie zu
betrachten, die ein Ausbreiten der Fachhochschulen in Nordrhein-Westfalen als
Ankerpunkte zur Ausbildung von Wissenskulturen in der Fläche vorsieht.
2.3
Qualitative Bestandsentwicklung
Die Städte in Nordrhein-Westfalen sind - mit Blick auf die Wohnbebauung - im
Grundsatz fertig gebaut. Die Qualität der Wohnungsbestände entscheidet maßgeblich über die Attraktivität einer Stadt als Wohnstandort und damit auch über
deren gesamte Entwicklungsperspektiven. Angesichts zum Teil rückläufiger Bevölkerungszahlen in den Städten Nordrhein-Westfalens kommt der weiteren
Entwicklung des Wohnungsbestandes in Form einer qualitätsorientierten Bestandsverbesserung eine erhebliche Bedeutung zu.
Die Wohnraumbestände in Nordrhein-Westfalen sind nach den klassischen Kriterien überwiegend modernisiert. Weiterer Modernisierungsbedarf besteht mancherorts allerdings bei der energetischen Nachrüstung, der Anpassungsfähigkeit der Grundrisse an sich verändernde Wohnansprüche und Haushaltsstrukturen sowie bei der Berücksichtigung neuer technischer Entwicklungen im Bereich
der Tele- und Medienkommunikation. Ferner ist eine Verbesserung des unmittelbaren Wohnumfeldes vielfach geboten. Werden die heutigen Anforderungen an
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Handlungsschwerpunkte
eine Wohnung im Bestand bzw. an das Wohnumfeld nicht erfüllt, kann dies zur
Folge haben, dass sich die Mieter auf den zurzeit überwiegend ausgeglichenen
Wohnungsmärkten eine neue Wohnung suchen. Hohe Fluktuationsraten und
Leerstände tragen im Ergebnis dazu bei, dass ein Stadt- bzw. Ortsteil (weiter) an
Attraktivität verliert. Unter bestimmten Umständen kann dies auch eine sich
selbst verstärkende Dynamik erzeugen, die in Verbindung mit gegebenenfalls
rückläufigen Bevölkerungszahlen nur schwer aufzuhalten ist. Am Ende einer solchen Entwicklung zeigen sich vielfach die unerwünschten Folgen von Segregationsprozessen.
Bei der aktuellen (Fach-) Diskussion um rückläufige Bevölkerungszahlen in den
Städten von Nordrhein-Westfalen (vgl. Kapitel B2), die unter dem Titel
„Schrumpfende Stadt“ oder auch „Stadtumbau-West“ geführt wird, gilt es zu
berücksichtigen, dass diese Entwicklung keineswegs für alle Städte Gültigkeit
hat. Neben den Städten, deren Bevölkerungszahl rückläufig ist, gibt es Städte,
die hinsichtlich ihrer Einwohner weiterhin wachsen, so dass eine differenzierte
Betrachtung angebracht ist. Auch innerhalb einer insgesamt schrumpfenden
Stadt gibt es wachsende Stadt- bzw. Ortsteile.
Wohnungsleerstände und eine mangelnde Nachfrage sind in der Regel ein Indiz
für die geringe Attraktivität bzw. Qualität der Bestände. Eine rückläufige Bevölkerungszahl muss aber keinesfalls als das Ende aller Entwicklungsoptionen
interpretiert werden. Vielmehr kann hierin auch eine Chance zur Nutzung neuer
Entwicklungsmöglichkeiten in Richtung eines qualitativen Fortschritts gesehen
werden.
Für die Zukunft der Städte ist es entscheidend, die sich hier ergebenden Möglichkeiten kreativ auszugestalten, auch wenn nicht immer eine ausreichende
finanzielle Mittelausstattung vorhanden ist. Unter dem Motto „weniger ist mehr“
könnte ein gezielter Rückbau stattfinden, der im Ergebnis beispielsweise eine
geringere städtebauliche Dichte, eine weniger überlastete Infrastruktur und eine
insgesamt gestiegene Lebensqualität zur Folge hätte.
Die fachlichen Anforderungen an den Rückbau sind als komplex einzustufen
und bedürfen der strategischen Entwicklung im Kontext einer integrierten Stadtentwicklung. Eine vorbereitende und verbindliche Bauleitplanung muss auch in
der Lage sein, Schrumpfungsprozesse zu gestalten.
Unabhängig davon, ob die Bevölkerungszahlen nun wachsen oder zurück
gehen, liegt in der qualitativen Bestandsentwicklung eine herausragende Aufgabe für die künftige Stadtentwicklung. Die Städte müssen ihre Wohnraumbestände und Quartiere qualitativ weiter entwickeln, um die Zufriedenheit der
Bewohner mit der Wohnsituation zu verbessern. Hierbei sind moderne Qualitätsstandards mit zukunftsweisenden Ausstattungsmerkmalen zugrunde zu
legen. In der praktischen Umsetzung sollte gezielt die Kooperation mit den Wohnungsanbietern und den Mietern gesucht werden, ohne die die erforderlichen
Veränderungsrozesse nicht auf den Weg zu bringen sind.
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2.4
Soziale Stabilität
Angesichts fortschreitender Diversifizierung der städtischen Bevölkerung nach
ethnischer Zugehörigkeit und sozialen Milieus und bei gleichzeitiger Überforderung der bisherigen Systeme der sozialen Sicherung, kann die Herstellung der
Gleichheit der Lebensverhältnisse weder ein sinnvolles noch ein erreichbares
Ziel von Stadtpolitik sein. Gleichwohl gilt es, gesellschaftlichen Erosionsprozessen entgegenzuwirken, Lebensqualität und Entwicklungschancen für alle
Bewohner der Stadt zu sichern. Eine Stadt, die diesen Anforderungen gerecht
wird, kann als sozial stabil bezeichnet werden - wozu dynamische Prozesse,
auch Konflikte und die Bildung von Nischen für einzelne Bevölkerungsgruppen
nicht im Widerspruch stehen.
Nicht nur für die Zukunftschancen einzelner Bevölkerungsgruppen, sondern
auch für die der Gesamtstadt ist der Grad der sozialen Stabilität eine bedeutende Einflussgröße. Bedroht wird die soziale Stabilität in einigen Städten Nordrhein-Westfalens durch sozial, ethnisch und altersdemografisch selektive
Schrumpfungsprozesse, die mittelund langfristig auch auf suburbane
Gebiete übergreifen können. Soziale
und ethnische Segregation überlagern
sich währenddessen zunehmend.
Neue räumliche Sortierungen in Folge
des wirtschaftlichen Strukturwandels
betreffen zudem nicht nur die teilhabeschwachen Bevölkerungsgruppen.
Flankiert werden diese Entwicklungen durch Desintegrationsprozesse in der
Gesamtgesellschaft, wie die Individualisierung der Lebensformen, zunehmende
Notwendigkeit zur Mobilität, die Auflösung familiärer Strukturen, und der Wandel in Motiven für gesellschaftliches Engagement.
Gerade Migranten und Senioren in den betroffenen Stadtteilen können dem mit
dem sozialen Wandel einhergehenden Wegbrechen sozialer Kontrolle und bürgerschaftlichen Engagements, das sich in Verwahrlosung, subjektiver und
objektiver Unsicherheit und dem Rückzug wirtschaftlicher Aktivität äußert, nicht
ohne weiteres etwas entgegensetzen. Es gilt, diese Akteure in die Lage zu versetzen, die Zukunft ihres Stadtteils trotz ungünstiger Ausgangsbedingungen
gemeinsam zu gestalten. Dabei ist es wichtig, sowohl Selbsthilfepotenziale zu
aktivieren als auch die ureigenen Vorstellungen der Bevölkerung gerade in sozial, ethnisch und altersdemografisch segregierten Quartieren als Modernisierungsbeitrag zu nutzen.
Die bedrohte integrative Leistungsfähigkeit der Stadt hat bereits in den 1990er
Jahren zu neuen Ansätzen der Stadtpolitik geführt, wie sie zuerst im Rahmen
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Handlungsschwerpunkte
des Programms Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf seit 1994 in
Nordrhein-Westfalen entwickelt wurden. Bewohnerbeteiligung und Quartiersmanagement sind seitdem Schlüsselbegriffe im Zusammenhang mit der sozialen Stabilisierung dieser Stadtteile. Besondere Bedeutung kommt der Koordinierung bürgerschaftlichen Engagements durch Stadteilbüros zu. Das Quartiersmanagement in den Städten in Nordrhein-Westfalen ist fortzuführen und bei
Bedarf zu intensivieren. Gerade in Stadtteilen mit hohen Ausländeranteilen bieten Beteiligungsprozesse im Rahmen von Quartiersmanagement neben den
Ausländerbeiratswahlen die einzige Möglichkeit der politischen Partizipation der
nicht-deutschen Bevölkerung.
Eine Reihe weiterer Maßnahmen kann stabilisierend auf Stadtteile und Quartiere wirken. Dazu zählt in erster Linie die Verhinderung unfreiwilliger Segregation
durch den Abbau von Zugangsschranken auf dem Wohnungsmarkt. Hierbei
sind insbesondere Anstrengungen beim preisgebundenen Wohnungsbau, der
sich an den Bedarfen der unterschiedlichen ethnisch-kulturellen und Altersgruppen orientieren muss, ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung des Wohnungsmarktzugangs. Zusätzlich könnte eine selektive, innerstädtische Wohneigentumsförderung der Abwanderung einkommensstarker Familien aus den
Kernstädten entgegenwirken.
Die sozial stabile Stadt produziert sowohl objektive als auch subjektive Sicherheit für ihre Bewohner. Die tatsächliche Bedrohungslage und das Sicherheitsempfinden der Bürger sind aber oft nicht deckungsgleich. Dessen ungeachtet
müssen sich Repressions- und Überwachungsmaßnahmen an der objektiven
Gefährdungslage und nicht an subjektiven Befindlichkeiten orientieren. Eine Verbesserung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung ist am effektivsten durch die
Stärkung des sozialen Zusammenhalts und die Aktivierung der Solidarität unterschiedlicher Bewohnergruppen zu erzielen.
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C3 Steuerungsprinzipien
einer zukunftsorientierten Städtepolitik
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Die zunehmenden sozialen und ökonomischen Herausforderungen in unseren
Städten erfordern neue Ansätze einer vorausschauenden und präventiven
Stadtentwicklungspolitik. Die vorangegangenen raumbezogenen Analysen
beschreiben für unterschiedliche Politikfelder regional voneinander stark abweichende Problemkonstellationen und vielschichtige Entwicklungsperspektiven.
Die differenzierten Problemlagen benötigen einen spezifischeren Mitteleinsatz
und damit eine veränderte Zuwendungs- und Förderpolitik. Entscheidungen
über Einzelmaßnahmen müssen stärker als bisher an die regionale oder lokale
Ebene delegiert werden. Vor Ort kann vielfach am besten problemadäquat entschieden werden. Dies kann nur mit einer weitreichenden Dezentralisierung von
Entscheidungen gerade auch bei der konkreten Verwendung von Fördermitteln
geschehen. Im Verhältnis von Land und Kommunen bedeutet das die Verlagerung von Steuerungskompetenzen auf die regionale und kommunale Ebene.
Selbstverständlich muss das Land bei der Ausgestaltung seiner Förderpolitiken
seinen grundsätzlichen Steuerungsanspruch weiterhin aufrecht erhalten.
Das Steuern über Ziele im Rahmen von Zielvereinbarungen scheint hier ein
geeigneter Weg zu sein. Ein solches modernes Politikverständnis ist auch Ausdruck einer planungs- und steuerungstheoretischen Diskussion der letzten
Jahre über eine neue Aufteilung staatlicher bzw. kommunaler Aufgaben hin zu
einer Dezentralisierung, bei der zentrale Regelungen zugunsten von dezentralen
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bzw. kommunalen Lösungen abgebaut werden. Für die übergeordneten Ebenen
ist es dabei umso wichtiger, aktuelle und kontinuierliche Informationen über Entwicklungen und Prozesse zur Stadt-, Regional- und Landesentwicklung zu erhalten, um rahmensetzend steuern zu können. Monitoring- und Controllingsysteme
erfüllen in diesem Zusammenhang die Funktionen der Diagnose von Handlungsbedarf (einschließlich einer Frühwarnfunktion) und der Evaluation politischen Handelns. Einem Städte- und Regionalmonitoring, für das im nachfolgenden Kapitel ein konzeptioneller Vorschlag entwickelt wird, kommt somit eine
strategische Funktion zu. Wesentliche Steuerungsprinzipien, die für eine
zukunftsorientierte Neuorientierung relevant sind, werden in den folgenden
Abschnitten aufgegriffen (siehe auch Abb. 1).
3.1
Dezentralisierung und Differenzierung der Städtepolitik
Auf der Landesebene ist sehr wohl bekannt, dass im Rahmen sich regional differenzierender Entwicklungen landesweit einheitlich angewandte Politiken und
Programme zunehmend an Effektivität und Effizienz verlieren. Beispielsweise
trägt die öffentliche Wohnraumförderung in der Rheinschiene maßgeblich zur
Milderung der Wohnungsnot bei. Im Speckgürtel des Ruhrgebiets kann sie
dagegen die weitere Abwanderung aus den Kerngebieten forcieren und damit
etwa zum Anwachsen von Wohnungsleerständen in bestimmten Quartieren und
Wohnungsmarktsegmenten beitragen. In der Konsequenz können positive Intentionen der Landespolitik teilweise durch andere Förderpolitiken konterkariert
werden, so dass Zielkonflikte entstehen und die Politik insgesamt an Effektivität verliert. Das Land steht somit vor
der Herausforderung, die Förderpolitik
den regional und zum Teil auch lokal
divergierenden Entwicklungen anzupassen. Fest steht, dass dieses Ziel
nur mit einer weitreichenden Dezentralisierung und stärkeren Differenzierung
der Förderstrategien zu erreichen ist,
da vor Ort sachgerechter und adäquater über einen effektiven Einsatz von Fördermitteln entschieden werden kann.
Um die kommunal besten Strategien gewährleisten zu können, brauchen die
Städte und Regionen mehr Handlungsfreiraum und Eigenverantwortung.
Durch ein Weniger an konkreten Vorgaben, Zweckbindungen und sektoralen
Förderzuweisungen können die Kommunen in ihrer Entscheidungs- und Handlungsautonomie gestärkt werden. Eine Dezentralisierung der Steuerung bietet
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den Städten und Regionen in Nordrhein-Westfalen die Chance, eigenverantwortlich und problemnah handeln zu können. Nicht nur Wachstumsregionen,
sondern auch Regionen mit Entwicklungsproblemen können von einem Mehr an
Handlungsautonomie, Flexibilität und Selbstbestimmung profitieren. Dabei sollte sich das Land auf seine Funktion als Moderator besinnen, der die Kommunen
darin unterstützt, ihre eigenen und für ihre Situation bestmöglichen Ziele und
Lösungen zu finden. Gegebenenfalls kann diese Moderatorenrolle auch helfen
Entwicklungsdefizite im Land aufzuspüren, um frühzeitig gegensteuern zu können. Eine Verpflichtung konkrete Vorgaben zu setzen hat das Land demgegenüber nach wie vor dann, wenn landesweite Richtlinien und Standards erforderlich sind oder übergeordnete Ziele des Landes, Bundes oder der europäischen
Ebene betroffen sind, wie es beispielsweise in der Bildungs-, Energie- und überregionalen Verkehrspolitik der Fall sein kann. Ebenso sollte das Land weiterhin
in der Verantwortung stehen, landespolitische Impulse zu setzten wie auch Risiken abzuwenden. Dies schränkt die regionalen Ermessensspielräume zwar
partiell ein, muss aber im Allgemeininteresse im Sinne der landesweiten Entwicklung gewährleistet sein.
Entsprechend sind von Seiten des Landes verbindliche Rahmensetzungen
erforderlich, innerhalb derer die Kommunen und die Regionen eigenverantwortlich agieren können. Die konkrete Umsetzung, die Wahl der Maßnahmen und
möglichst auch die Wahl der Instrumente sollte vor Ort erfolgen. Das Land kann
dafür in den verschiedenen Politikbereichen einen „Instrumentenkasten“ zur
Verfügung stellen, aus dem im Rahmen einer budgetierten Förderung vor Ort
gewählt wird. In seiner Moderatorenfunktion könnte das Land positive Entwicklungen und Lösungen im Sinne von Good Practices herausstellen.
3.2
Regionale Konzepte und Entscheidungsverfahren
Angesichts der zunehmenden Komplexität der kommunalen Aufgaben und der
wachsenden räumlichen Verflechtungen gewinnt für eine Vielzahl kommunaler
Aufgaben die regionale Handlungsebene an Bedeutung. Gerade Großstadtregionen und deren Leistungsfähigkeit kommt im verschärften Standortwettbewerb eine wachsende Bedeutung als Netz- und Knotenpunkte zu. Die auf den
ersten Blick widersprüchlichen Entwicklungstrends Globalisierung und Regionalisierung verlaufen parallel und sich gegenseitig verstärkend. Die Globalisierung führt zu einer immer stärkeren Verflechtung von Problemen und zu wachsender internationaler Konkurrenz der Standorte. Um im Wettbewerb bestehen
zu können ist die einzelne Kommune mit dieser Situation und den ihr erwachsenden Herausforderungen häufig überfordert.
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Hieraus resultiert die Forderung nach regionaler Kooperation, mit deren Hilfe
nicht nur ein Interessenausgleich zwischen den Beteiligten herbeigeführt, sondern auch die regionale Handlungsfähigkeit durch neue kooperative Konzepte
und Entscheidungsstrukturen verbessert werden soll. Dies umfasst die Qualifizierung regionaler Planungsprozesse und das Bekenntnis zu einer kooperativen,
regional abgestimmten differenzierten Standortentwicklung, die es im Rahmen
der Förderpolitik auch von Landesseite zu unterstützen gilt. Die regionale Einigung sowie regional abgestimmte Entwicklungskonzepte müssen Voraussetzung für eine Förderung durch das Land sein. Das Land selbst muss seine originäre Zuständigkeit, die Planungshoheit und die Selbständigkeit der Kommunen im Blick haben.
Sowohl freiwillige Kooperationsformen als auch regional verfasste Zusammenschlüsse können zur regionalen Entwicklung ergebnisorientiert beitragen. Unabhängig davon muss das Zusammenspiel zwischen regionaler Ebene und Landesebene festgelegt werden. Zielvereinbarungen mit freier Wahl der regionalen
Handlungsoptionen sollten Vorrang haben, um die regionalen Eigenheiten zu
berücksichtigen.
Thematische Grenzen der Beeinflussung sind ohnehin durch die Planungshoheit
der Kommunen vorgegeben. Angesichts zunehmender regionaler Ungleichgewichte und unterschiedlicher Interessenlagen wird das Land nicht umhin kommen, moderierend einzugreifen, Fördermittel schwerpunktmäßig einzusetzen
und kooperative Handlungswege konkret zu belohnen. Es sollte dabei dafür
Sorge tragen, dass innerhalb der Regionen ein gerechter Vorteils- und Lastenausgleich sichergestellt wird. Dafür müssen entsprechende rechtliche Instrumente entwickelt und gegebenenfalls gemeinsam mit dem Bund der erforderliche Rechtsrahmen geschaffen werden.
3.3
Budgetierung und Bündelung von Fördermitteln
Die Stärkung der kommunalen bzw. regionalen Eigenverantwortung muss Hand
in Hand mit einer Flexibilisierung der finanziellen Handlungsautonomie gehen.
Lösungen vor Ort können nur dann zielgerichtet und bedarfsgerecht eingesetzt
werden, wenn die Mittel weniger an bestimmte Zweckzuweisungen gebunden
sind und auch wirksamer miteinander abgestimmt werden können. Die Komplexität und Heterogenität der Probleme erfordern überdies eine ressortübergreifende Bündelung von Finanzmitteln und eine stärkere Verknüpfung der verschiedenen Politikbereiche sowie die Entwicklung eines mit der örtlichen Situation abgestimmten Gesamtkonzeptes. Dies ist insbesondere bei den Handlungsfeldern Städtebau- und Wohnraumförderung der Fall. Die Stärkung pro328
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Steuerungsprinzipien
Land
Bereitstellung
von
Instrumenten
übergeordnete
Ziele
Moderation/Beratung
Erfolgskontrolle
Monitoring
Kommunales/
Regionales Budget
Politische Schwerpunkte
Ziele
Vereinbarung
Kommunale/Regionale
Entwicklungskonzepte
Regionale
Kooperation
Kommunen
Abb. 1: Prinzip der strategischen Steuerung
Quelle: eigene Darstellung
blembehafteter Quartiere kann nicht allein mit Mitteln der Wohnraumpolitik oder
allein mit sozialpolitischen Instrumenten gelöst werden. Die bisherige sektorale
Förderpolitik erscheint für solche integrierten Ansätze, wie sie etwa im Programm Soziale Stadt bereits realisiert werden, zu wenig flexibel.
Die Bündelung von öffentlichen und privaten Ressourcen durch integrierte
Handlungskonzepte scheint ein geeigneter Weg zu sein. Eine stärkere Budgetierung und Verknüpfung der Fördermittel vor Ort könnte die lokalen Entscheidungen deutlich flexibilisieren und Möglichkeiten eröffnen, Schwerpunkte dort
zu setzen, wo die Kommunen es als notwendig erachten. Zudem wird es die
Kommunen dazu motivieren, ihre Stadt- bzw. Regionalentwicklung ganzheitlich
anzugehen und Einzelmaßnahmen in Gesamtentwicklungsstrategien stärker
einzubinden, was allerdings in Zukunft auch einer stärkeren Verankerung von
entsprechendem Querschnittsdenken bei den Akteuren bedarf. Das Land sollte
dabei weniger konkrete Aufgabenfelder oder Projekte definieren, sondern vielmehr klare Rahmenbedingungen in Form von übergeordneten Zielen und inhaltlichen Schwerpunktsetzungen, etwa der Stärkung regionaler Kooperation, setzen. Hier ist anzustreben, dass die Budgets problemorientiert und nicht nach
Ressorts gebildet und vergeben werden. Nur so kann gewährleistet werden,
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dass die Kommunen und Regionen kleinräumigen Problemlagen in Zukunft
effektiv und effizient begegnen können.
Innerhalb der Förderpolitik der einzelnen Fachressorts des Landes gibt es
durchaus schon Beispiele und Modelle für eine Flexibilisierung von Förderrichtlinien und -programmen. Zu erwähnen ist hier beispielhaft die Pauschalierung
der Landeszuweisungen an die Kommunen für deren Aufwendungen im Schulbereich, die seit 2002 flexibel für Bau, Erwerb, Miete, Leasing, Modernisierung,
Sanierung sowie zur Einrichtung und Ausstattung von Schulgebäuden verwendet werden können (Schulpauschale). Ein weiteres Beispiel ist die regionale
Budgetierung der Wohnungsbauförderung, mit der seit 2001 in der Region
Bonn/Rhein-Sieg-Kreis Wohnungsbauförderungsmittel im Rahmen eines Globalbudgets zur eigenen Verteilung im regionalen Konsens durch das Land
bereitgestellt werden. Offenbar funktionieren diese fachspezifischen Budgetierungen bisher recht erfolgreich, wenngleich im Falle der Regionalisierung der
Wohnungsbauförderung bislang ein systematisches Instrument zur Erfolgsmessung fehlt.
Die Budgetierung von Fördermitteln bedeutet daher zunächst nichts grundlegend Neues in der Fördersystematik des Landes; sie sollte nun deutlich ausgebaut werden. Eine gänzlich neue Qualität erhält der Gedanke einer Pauschalierung und Budgetierung von Fördermitteln allerdings durch die Möglichkeiten
einer förderprogramm- oder sogar ressortübergreifenden Verwendung.
Das Land sollte gemeinsam mit den Städten bzw. den Regionen Aufgaben in
Form eines kommunalen oder regionalen Entwicklungskonzeptes definieren und
im nächsten Schritt den Finanzrahmen zur Erreichung vereinbarter Ziele für den
jeweiligen Förderempfänger bestimmen. Dies schließt nicht aus, dass das Land
je nach Bedarfslage eigene landesbezogene Schwerpunkte z.B. für den Wohnungsneubau oder die Bestandssanierung festlegen kann.
Die so erreichte Integration und Abstimmung der Förderpolitiken trägt einer
Rückbesinnung auf das Subsidiaritätsprinzip Rechnung. Dies bedeutet zwar
keinen eindimensionalen Machtverlust der Landesebene, wohl aber eine neue
und eigenverantwortliche Form der Aufgabenwahrnehmung durch die jeweils
Betroffenen und eine stärkere Moderatorenfunktion des Landes.
3.4
Steuerungskontrolle und Monitoring
Eine Dezentralisierung und Stärkung der kommunalen Handlungsautonomie, die
Budgetierung von Fördermitteln und die Stärkung der kommunalen Handlungsfähigkeit in der Region bedarf auch zukunftsweisender, innovativer Ansätze in
der Steuerung zwischen übergeordneter Landespolitik und der kommunalen
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Umsetzung. Es wird ein flexibles Steuerungsinstrumentarium benötigt, das eine
neue strategische Ausrichtung der Fördersystematik und der landespolitischen
Rahmensetzungen in der Städtepolitik ermöglicht. Dabei kommen Informationsund Monitoringsystemen wichtige strategische Funktionen als Frühwarn-,
Begleit- und Steuerungsinstrumente zu.
Zentrales Ziel einer grundlegenden Veränderung der Förderpolitik des Landes
sollte die stärkere Dezentralisierung von konkreten Förderentscheidungen auf
die kommunale bzw. auf die regionale
Ebene sein. Vor Ort kann sachgerechter und adäquater entschieden werden, wo und wie Fördermittel bedarfsgerecht eingesetzt werden. Die zentrale Steuerungsfunktion des Landes
bei der Vergabe von Fördermitteln
würde dabei nicht aufgegeben, sondern in Zukunft über grundlegende
Zielvereinbarungen mit den jeweiligen
Förderempfängern, also in der Regel
den Kommunen ausgeübt. Die Kommunen hätten im Rahmen dieser Zielvereinbarungen eine größere Autonomie bei der konkreten Verwendung und Ausgestaltung der Fördermittel, die beispielsweise über die Bildung von Budgets flexibler einzusetzen sind.
Dem Monitoring käme bei einer solchermaßen veränderten Förderpolitik eine
zentrale strategische Funktion zur Steuerung solcher Zielvereinbarungsprozesse zu. Es würde zu einer Weiterentwicklung im Sinne eines Controllings kommen. Dabei ist diese Form des Controllings weniger als Kontrolle der Förderempfänger sondern primär als zentrales Steuerungsinstrument zu verstehen.
Dessen Funktion könnte sowohl sein
• anhand von bestimmten Indikatoren Kriterien für die Vergabe von Fördermitteln zu erhalten bzw. zu entwickeln (z.B. für inhaltliche und räumliche Förderschwerpunkte), wie auch
• Instrument bei der Evaluation, das heißt der prozesssteuernden Zielüberprüfung der eingesetzten Fördermittel zu sein.
Um dabei dennoch steuernd einwirken zu können, sind Informationen einerseits
zu laufenden Prozessen und Entwicklungen und andererseits zur Effektivität von
gewählten Politiken, Strategien und Maßnahmen notwendig. Die Implementation einer neuen Steuerungsphilosophie hin zu einer stärkeren Dezentralisierung
ist demnach ohne detailliertere Informationen aus der Sicht des Landes nicht
möglich.
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Aufgrund der unterschiedlichen Interessen von Land und Kommunen ist der
Aufbau eines landesweiten Städte- und Regionalmonitorings nur als Kooperationsprojekt zwischen Land und Kommunen denk- und vor allem umsetzbar.
Eine partnerschaftliche Zusammenarbeit wird im Rahmen einer Weiterentwicklung und Umsetzung hin zu einem Controllinginstrument noch bedeutender und
muss zudem mit der Entwicklung einer neuen Förderpolitik einhergehen. Um die
mögliche Skepsis der Kommunen im Hinblick auf ein solches „Kontrollinstrument“ zu zerstreuen, sind einerseits vertrauensbildende Maßnahmen und andererseits auch Zugeständnisse an die Kommunen in Form einer stärkeren Dezentralisierung von Kompetenzen notwendig. Durch Letzteres kann einer zu engen
Zweckbindung von Fördermitteln entgegengewirkt werden und die gewährten
Landesmittel können flexibler von den Kommunen eingesetzt werden. Dies
kommt einer Stärkung der kommunalen Autonomie gleich und räumt den Kommunen mehr Raum für eigene Entscheidungen ein. Im Gegenzug honorieren
dies die Städte gegenüber dem Land wiederum durch einen Verwendungsnachweis in Form von Informationen.
Nur wenn tatsächlich gemeinsame Interessen am Aufbau eines solchen Instrumentes bestehen, werden insbesondere die Kommunen bereit sein, an einem
Monitoring- und Controllingsystem mitzuarbeiten und die dafür erforderlichen
Daten zu liefern.
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C4 Städte- und Regionalmonitoring:
Strategisches Steuerungsinstrument
einer flexiblen Förderpolitik
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Die anzustrebende Dezentralisierung von Entscheidungen und eine Integration
der Förderprogramme schließt zwangsläufig veränderte Steuerungsformen in
Richtung einer neuen Aufgabenteilung zwischen Land und Kommunen bei der
Umsetzung von konkreten Förderprogrammen ein. In diesem Rahmen kommt
einem Städte- und Regionalmonitoring eine entscheidende strategische Informations- und Steuerungsfunktion zu. Im Folgenden werden grundsätzliche
Überlegungen zur Konzeption eines solchen Monitoringsystems für NordrheinWestfalen vorgestellt.
4.1
Zielsetzung eines Städte- und
Regionalmonitoringsystems
Funktion und Bedeutung von Monitoring- und
Indikatorensystemen
Analytisch wie auch im operativen Sinne wirken Monitoringsysteme im Hinblick
auf Leitbilder und strategische Handlungskonzepte, indem Entwicklungen mit
Hilfe von Indikatoren kontinuierlich beobachtet und analysiert werden. Dabei
können sowohl Handlungsbedarfe ermittelt als auch Erfolge bzw. Entwicklungs335
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fortschritte und Misserfolge gemessen werden. Darüber hinaus können solche
Systeme auch eine Frühwarnfunktion wahrnehmen, indem sie nicht erwünschte
Entwicklungen oder Schwachpunkte aufzeigen. Gleichzeitig können sowohl
fachlich Beteiligte als auch die Öffentlichkeit informiert werden, was wiederum
die Basis für Kommunikationsprozesse darstellt. Im Unterschied zu den stark
staatsfixierten und planungseuphorischen Debatten um Indikatorensysteme in
den 1970er Jahren geht es heute insbesondere darum, durch systematische
Informationen Transparenz für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Staat, Kommunen, privat-wirtschaftlichen Akteuren und Bürgern zu
schaffen.
Die Steuerung politischer, gesellschaftlicher und städtischer Entwicklungen
durch indikatorenbasiertes Monitoring setzt stets voraus, dass zwischen den
beteiligten Akteuren, den wissenschaftlichen Beobachtern, den politischen Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit Einigung über die Bedeutung von Indikatoren einschließlich des Ausmaßes und der Art ihrer räumlichen und zeitlichen
Veränderung erzielt worden ist. „Ohne weitere Interpretation und vor allem ohne
Bewertung bedeuten (...) Indikatoren wenig. Weder erlauben sie ohne weiteres,
planerische Konsequenzen zu ziehen, noch begründen sie überhaupt Handlungsbedarf“.1 An die Auswahl geeigneter Indikatoren ist eine Reihe formaler
Anforderungen zu stellen. Bezogen auf die Sozialpolitik haben Atkinson und
andere jüngst im Rahmen der für die EU durchgeführten Studie „Social Indicators. The EU and Social Inclusion“ Kriterien formuliert, die allgemeine Geltung
beanspruchen können.2 Sie sind ein gutes Beispiel für die vielen Präzisierungsversuche, die insbesondere im Zuge der Debatte um die Operationalisierung
des Nachhaltigkeitsleitbilds für die unterschiedlichen Handlungsbereiche und
Planungsebenen weit vorangetrieben wurde.3
1
Kersting/Strohmeier/Neubauer/Oliva-Hausmann/Schultz 2003.
2
Atkinson/Cantillon/Marlier/Nolan 2002.
3
Auf internationaler Ebene haben vor allem das von der OECD entwickelte Pressure-StateResponse-Modell sowie das von der UN-Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD) erstellte Driving Force-State-Response-Modell einen hohen Stellenwert (Wolter 2001, vgl. auch Birkmann/Koitka/Kreibich/Lienenkamp 1999 oder Szerenyi 1999). Beispiele für eine nachhaltige
Raumentwicklung finden sich in Sternberg/Ewringmann und andere 2000 und 2001,
Renn/León/Clar 2000 oder Brückner/Birkmann/Finke 2001. Für die kommunale Ebene sind
inzwischen unzählige Konzepte entwickelt worden. Als Essenz der kommunalen Praxiserfahrungen kann das von zwölf verschiedenen Expertengruppen der Indikatorenforschung
zusammengestellte Modell der gemeinsam empfohlenen Indikatoren zur kommunalen Nachhaltigkeit gelten (Agenda-Transfer Agentur für Nachhaltigkeit 2003). Als Ansatz einer rechtlichen
Verknüpfung von Nachhaltigkeitsindikatoren mit der Bauleitplanung siehe Werheit 2002.
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Städte- und Regionalmonitoring
Städte- und Regionalmonitoring als strategisches Informationsund Steuerungsinstrument
Im Hinblick auf ein zu entwickelndes Monitoring, das als zukunftweisendes,
strategisches Steuerungsinstrument der Städte- und Regionalpolitik sowie einer
Evaluierung der Förderpolitik in Nordrhein-Westfalen eingesetzt werden kann,
erscheint ein Verfahren sinnvoll, das aus zwei Grundelementen zusammen
gesetzt ist: Ein landesweites Monitoringsystem soll im Wesentlichen fundierte
Grundlageninformationen für die Landespolitik liefern. Ein zweites Element soll
hingegen ergänzend die strategische Steuerung der Städte- und Regionalpolitik
sowie deren Erfolgsevaluierung zur Aufgabe haben.
Vor diesem Hintergrund sind bei der Entwicklung eines landesweiten Monitoringsystems in Nordrhein-Westfalen insbesondere folgende Kriterien zu berücksichtigen:
• Es gilt ein Informationssystem zu entwickeln, das auf vereinheitlichten sowie
vergleichbaren Daten und Indikatoren beruht und damit eine objektive Entscheidungsgrundlage für Land und Kommunen bildet.
• Es gilt, im landesweiten Vergleich sowohl Defizite und Problemlagen herauszufinden, die zu mildern oder abzubauen sind, aber auch Potenziale zu erkennen, die zu stärken sind. Insofern dienen die gewonnenen Informationen
auch dazu, vor dem Hintergrund zunehmend knapper Finanzressourcen
inhaltliche wie räumliche Schwerpunkte der Landespolitik zu definieren.
• Die momentan erkennbaren und aller Voraussicht nach zunehmenden regional differenzierten Entwicklungen in Nordrhein-Westfalen müssen detailliert
abgebildet werden können, um die Grundlage für eine zielgenaue, effiziente
und gerechte Förderpolitik für die Städte und Regionen zu bilden.
Um die Aufgabe eines Monitoringsystems als strategisches Informations- und
Steuerungsinstrument zu erfüllen, bestehen an die Konzipierung des zweiten
Grundelements, des Förderprogrammcontrollings, essenzielle Anforderungen;
sie muss angesichts unterschiedlicher Interessenlagen von Land und Kommunen einen gemeinsamen Nutzen einbringen und die Voraussetzung für ein solches System als Kooperationsprojekt bilden.
Diese Anforderungen sind insbesondere:
• Transparenz herstellen: Zusammen mit dem landesweiten Monitoring liefert
ein Controllingsystem detaillierte Informationen zu stadt- und regionalpolitischen Entwicklungen. Diese Informationen können als Basis für politische
Entscheidungen und Entscheidungsprozesse, also als Grundlage für die
politische Legitimierung von Politikansätzen dienen.
• Effektivität messen: Die Effektivität der von den Kommunen ergriffenen Strategien und Maßnahmen ist objektiv zu messen. Das heißt, dass die Verände337
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rungen aufgezeigt und analysiert werden müssen, die durch die Handlungsweisen der Kommunen bzw. im Rahmen der eingesetzten Fördermittel induziert wurden. Dabei geht es aber nicht allein um die Wirkungen von Politiken
und Programmen, sondern auch um Prozessqualitäten. Dabei wird hinterfragt, ob administrative Rahmenbedingungen die Umsetzung von Zielen der
Kommunen oder des Landes unterstützen oder behindern.
• Landespolitik evaluieren: Es gilt, die Landespolitik insgesamt und einzelne
landespolitische Strategien, Zielsetzungen und Programme im Hinblick auf
positive und negative Wirkungen zu evaluieren. Damit kann hinterfragt werden, ob die getroffenen Entscheidungen einen „richtigen“ und damit auch
effektiven Weg gehen.
Nicht zuletzt muss ein solches System in seiner Funktionsweise auch praktikabel und vor allem finanziell beherrschbar sein. Das System sollte mit wenig Aufwand umzusetzen sein. Neue Datenfriedhöfe sind zu vermeiden und man sollte
sich auf das Machbare und Wesentliche konzentrieren. Dazu gehört auch, dass
schon bestehende Raumbeobachtungs- und Informationssysteme sinnvoll
genutzt bzw. integriert werden.
4.2
Erfahrungen mit Monitoring- und Controllingsystemen
in der Praxis
Beispiele bestehender Monitoring- und Controllingsysteme aus NordrheinWestfalen, dem übrigen Bundesgebiet und dem europäischen Ausland liefern
eine Reihe von Anknüpfungspunkten für die Diskussion in Nordrhein-Westfalen.
In organisatorischer Hinsicht zeigen die Praxisbeispiele aus dem europäischen
Ausland, dass partnerschaftlich entwickelte Modelle erfolgversprechende Wege
aufzeigen.
Das Monitoring der Regionalentwicklungsplanung in Großbritannien ist vor
allem in organisatorischer Hinsicht ein interessantes Beispiel aus der Praxis.
Kernelemente der so genannten Planning Policy Guidance sind normative Aussagen zu einer gewünschten regionalen Entwicklung (Objectives) und textliche
qualitative Ziele (Policies), sowie Targets, also quantifizierbaren Zielgrößen, die
den Veränderungsgrad in bestimmten Zeitspannen ausdrücken. Aufgrund der
stark zentralistisch ausgerichteten Planung sind die Ziele - allerdings unter breiter Einbeziehung der beteiligten Akteure - staatliche Vorgaben. Grundlage für
die Messung der Umsetzungserfolge bildet ein landesweites Kernindikatorenset, das einen interregionalen Vergleich ermöglicht. Für wichtige Handlungsfelder werden ergänzend regional spezifische Ziele definiert.4
4
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Preuss 2003; Cullingworth/Nadin 2002; ODPM 2002.
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Städte- und Regionalmonitoring
Um eine wirksamere Umsetzung von Zielen der Richtplanung zu erreichen,
wurde Mitte der 1990er Jahre in der Schweiz ein indikatorengestütztes Controlling innerhalb der kantonalen Verwaltung eingeführt.5 Durch ein prozessuales
Verfahren sollen Planungsziele dynamischer angepasst werden können. Im
zweijährigen Rhythmus werden mittels Indikatoren die im Kantonalplan definierten Maßnahmen durch ein operatives Controlling überprüft. Alle vier Jahre wird
ein strategisches Controlling durchgeführt, das die Wirkung der Ziele quantitativ mittels Indikatoren und anhand von qualitativen Experteneinschätzungen
analysiert. Dabei wird ebenfalls die Zweckmäßigkeit der Planfestlegungen ausgewertet; im Bedarfsfall wird die Richtplanung angepasst.6
Als Reaktion auf die akuten sozialen Problemlagen in den Städten wurde in den
Niederlanden im Rahmen der Große-Städte-Politik (Grote Steden Beleid) der
Verwaltungsapparat einer starken Deregulierung und Dezentralisierung hin zu
einem integrativeren Handeln unterzogen. Mit der Zusammenführung von Fördermitteln und der Einführung von raumbezogenen Budgets wird die Trennung
zwischen den einzelnen Ministerien und sektoralen Politikansätzen aufgehoben.
In diesem Beispiel ist vor allem die budgetierte Fördermittelzuweisung an die
Städte und Gemeinden auf der Grundlage von Zielvereinbarungen hervorzuheben. Federführend wird das Programm vom niederländischen Innenministerium
koordiniert, für die einzelnen Handlungsfelder sind die jeweils unterschiedlichen
Ministerien verantwortlich.
Die budgetierte Fördermittelzuweisung räumt den Kommunen weitgehende Entscheidungsfreiheit bezogen auf einen zielgenauen und effektiven Einsatz von
Fördermitteln ein. Den in die Politik integrierten Monitoringsystemen kommt für
die Steuerung eine strategische Rolle zu: Sie liefern die erforderlichen Steuerungsinformationen sowohl für Zielsetzung und Ausgestaltung der Landspolitik
als auch für die kommunale Umsetzung der Großen-Städte-Politik, die ihr Handeln jeweils überprüfen und bei Bedarf umsteuern können. Die Implementation
des Informationssystems basiert auf kooperativen Verfahren mit allen beteiligten
Akteuren. Für die Beantragung der im Wesentlichen nicht zweckgebunden Förderbudgets müssen die Kommunen integrierte Handlungskonzepte für einen
Zeitrahmen von fünf Jahren aufstellen. Insgesamt hat die Einführung des neuen
Politikansatzes eine Auflösung der sektoralen Strukturen nicht nur auf der Landesebene, sondern auch in den Kommunen ausgelöst.7
5
Die kantonale Richtplanung entspricht in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung und ihrer Stellung als
überörtliches Planwerk etwa dem deutschen Regionalplan.
6
Schultz 2002; ORL 2001; ARE 2001.
7
Verweij/Goezinne 1997; RIGO 2001; RIGO 2003.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
4.3
Konzeption eines modularen Monitoringsystems
Auch in Nordrhein-Westfalen besteht eine vielseitige, inhaltlich und methodisch
weit entwickelte Berichtslandschaft. Es zeigt sich, dass die Kernindikatoren der
Systeme in den jeweiligen Handlungsfeldern häufig ähnlich sind und auf die gleichen Datenquellen zurückgreifen. Dabei scheint eine Verknüpfung von harten,
quantitativen Indikatoren und weichen, qualitativen Indikatoren sinnvoll zu sein.
Qualitative Informationen, die z.B. durch Bewohner- oder Expertenbefragungen
erhoben werden, können in Bereichen, in denen keine aussagekräftigen quantitativen Daten bestehen bzw. die durch komplexe Wirkungszusammenhänge
geprägt sind, wertvolle planungsrelevante Informationen liefern.
Als in Nordrhein-Westfalen relevante Informations- und Monitoringsysteme sind
hier insbesondere zu nennen:
Allgemeine und umfassende Systeme
• Laufende Raumbeobachtung des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR),8
• Innerstädtische Raumbeobachtung - vergleichende Stadtbeobachtung (IRB)
des BBR.9
Systeme in den Bereichen Ökologie, Flächen, Wohnen
• Portal Nachhaltigkeitsindikatoren - Nordrhein-Westfalen,10
• Landesweite und kommunale Wohnungsmarktbeobachtung NordrheinWestfalen (KomWoB),11
• Siedlungsflächenmonitoring der Bezirksregierung Detmold und Düsseldorf,12
• Erfolgskontrolle der Förderung gewerblicher Bauflächen in Nordrhein-Westfalen,
• Modellprojekt Gewerbeflächenmonitoring der Region Aachen,13
8
Blach/Jonetzko 1999.
9
Böltken 2001.
10 Energieagentur NRW 2003.
11 Heusener/Lüschow 1999, Heitkamp 1999. Darüber hinaus wurde 2003 die Regionale Wohnungsmarktbeobachtung als weiteres Modellvorhaben in der Wohnungsmarktregion östliches
Ruhrgebiet gestartet (Wfa 2003c).
12 Bezirksregierung Düsseldorf 2003, Bezirksregierung Düsseldorf 2001.
13 AGIT 2003.
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Städte- und Regionalmonitoring
• Flächennutzungskartierung und Informationssysteme des Kommunalverbands Ruhrgebiet,14
• Raumbeobachtung der Bezirksregierungen.
Systeme im Bereich Soziales
• Sozioökonomisches Informationssystem (SIS) des Sozialministeriums von
Nordrhein-Westfalen,15
• Landes-Sozialberichterstattung Nordrhein-Westfalen,16
• Informationssystem Sozialhilfedaten Nordrhein-Westfalen,17
• Kommunale Familienberichterstattung: familienpolitische Informationssysteme für Kreise und kreisfreie Städte,18
• Kontextindikatoren Soziale Stadt Nordrhein-Westfalen.19
Die Übersicht macht deutlich, dass in Nordrhein-Westfalen eine weit entwickelte Berichtslandschaft besteht. Von den im Land bereits existierenden Informationssystemen kann jedoch kein System vollständig den Bedarf für ein Städteund Regionalmonitoring in Nordrhein-Westfalen abdecken. Sie sind auf die oft
sehr spezifischen Interessen der jeweiligen Adressaten ausgerichtet. Ferner sind
die bestehenden Monitoringsysteme zum Teil nicht flächendeckend implementiert - teilweise werden die Daten nur von wenigen Gemeinden erhoben.
Schließlich fehlen meist Auswertungen, die die unübersichtliche Menge von
Daten auf das Wesentliche konzentrieren, bewerten und die Handlungsrelevanz
der Informationen für eine Städte- und Regionalpolitik herstellen.
Ein modulares System dürfte den Anforderungen an ein Städte- und Regionalmonitoring besser entsprechen als ein umfassendes, zentrales Gesamtsystem.
Ein dezentrales System, das sich aus mehreren lose gekoppelten Teilsystemen
zusammensetzt und in einem Internetportal zusammengeführt wird, könnte mit
begrenzten Mitteln sukzessive aufgebaut werden. Es würde dabei weniger Vorbehalte hervorrufen als ein Konzept für ein umfassendes System und könnte an
sich ändernde Anforderungen flexibel angepasst werden.
14 website des KVR.
15 Ruhr-Universität Bochum, Presseinfo 81 vom 16. März 2004.
16 MASSKS NRW 1999; Kersting/Strohmeier/Neubauer/Oliva-Hausmann/Schultz 2003.
17 website des MGSFF NRW.
18 MGSFF NRW 2003.
19 Zimmer-Hegmann 2003; Strohmeier/Köhler/Himmelmann und andere 2003.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Das im Folgenden vorgeschlagene modulare System für ein Städte- und Regionalmonitoring setzt sich aus einem landesweiten Grundmodul sowie weiteren
thematischen Modulen und Sonderauswertungen zusammen. Diese Module
können unter anderem für die Weiterentwicklung zu einem Förderprogrammcontrolling eingesetzt werden.
4.3.1 Landeweites Monitoring als Grundmodul
Grundlageninformationen über die Entwicklung der Landesteile gewinnen an
Bedeutung, weil die Entwicklungsverläufe in den Regionen immer heterogener
ausfallen. Das zunehmende Interesse von Politik und Verwaltungen an quantitativen Informationen verdeutlicht, dass es hier einen erheblichen Informationsbedarf gibt. Das Grundmodul soll der Landespolitik einen Überblick über wichtige
Entwicklungen in den Landesteilen liefern. Es kann auch zur Früherkennung von
Problemlagen und dem Aufspüren von positiven Entwicklungen beitragen, um
darauf aufbauend Politikschwerpunkte zu definieren. Für differenzierte Aussagen sind allerdings in der Regel feinkörnigere Untersuchungen in Form von
thematischen Modulen und/oder problembezogenen Auswertungen erforderlich
(Abb. 1).
Gleichzeitig ermöglicht das Grundmodul den Gemeinden, ihre Entwicklung an
vergleichbaren Gemeinden im interkommunalen Vergleich zu messen, sich im
Rahmen der landesweiten Entwicklung einzuordnen und von den Erfolgen anderer zu lernen. Diese Benchmarkingfunktion ist vor allem ein Angebot für die
mittelgroßen und kleineren Gemeinden und die Kreise des Landes. Während die
großen Städte mit eigenen Statistikabteilungen über die notwendigen Informationen verfügen, fehlt es in den mittleren und kleineren Kommunen an Kapazitäten für eine Ermittlung von Vergleichsinformationen.
Grundmodul - Diskussionsvorschlag für ein Kernindikatorenset
Im Rahmen des Grundmoduls soll im Wesentlichen auf vorhandene Datenbestände (vor allem des LDS) zurückgegriffen werden. Als räumliche Bezugsbasis
sollte soweit möglich die Gemeindeebene Verwendung finden. Sie ermöglicht
differenzierte Informationen auch über die Entwicklung großer kreisangehöriger
Gemeinden, die sonst im Kreisdurchschnitt untergehen würden, achtet aber die
Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden. Für regionale Auswertungen oder
Vergleiche können diese Daten ohne weiteres aggregiert werden. Eine weitere
Differenzierung, zumindest bis auf Stadtteilebene wird im Rahmen des Grundmoduls nicht zu erreichen sein. Derartige Verfeinerungen müssen in der Regel
den thematischen Modulen vorbehalten bleiben.
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Städte- und Regionalmonitoring
Abb 1: Aufbau eines modularen Monitoringsystems
Quelle: Zimmer-Hegmann/Strohmeier und andere
Die konkrete Auswahl des landesweiten Monitorings muss im Rahmen eines
umfassenden fachlichen und politischen Abstimmungsprozesses zwischen
Land und Kommunen erfolgen. Für einen ersten Vorschlag soll an dieser Stelle
auf Indikatoren bereits existierender Monitoringsysteme zurückgegriffen werden, die grundsätzlich auch als Teilbausteine eines übergreifenden Städte- und
Regionalmonitorings integriert werden können. Die hier berücksichtigten Indikatoren sind Ergebnis einer breiten Fachdiskussion. Somit wird gewährleistet,
dass aussagefähige Indikatoren zur Diskussion gestellt werden und bereits ein
Abstimmungsprozess zwischen unterschiedlichen Akteuren stattgefunden hat.
Die Indikatoren sollen die wesentlichen Teile der Landesentwicklung abdecken.
Aus diesem Grund wird zusätzlich das Regionalmonitoring Niedersachsen als
Quelle berücksichtigt, weil hier ökonomische Indikatoren verwendet werden, die
in den nordrhein-westfälischen Systemen fehlen.20 Sie zeigen jedoch, dass eine
entsprechende Erhebung grundsätzlich realisierbar ist.
Das landesweite Monitoring soll zunächst die Aufgabe einer Übersichtsfunktion
erfüllen. Gleichzeitig muss die politische und gesellschaftliche Kommunizierbarkeit des Systems gesichert sein und die Anzahl der Indikatoren überschaubar
bleiben. Dennoch sollten die vielfältigen Aspekte der Landes- und Stadtentwicklung vollständig abgebildet werden können.
Eine Auswahl aus den folgenden sieben Monitoring- bzw. Informationssystemen
erscheint zunächst als Diskussionsgrundlage für Kernindikatoren eines Grundmoduls des Städte- und Regionalmonitorings für Nordrhein-Westfalen geeignet
(vgl. Tab. 1):
20 NIW 2003.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
• die Indikatoren aus der Agenda 21 Nordrhein-Westfalen,
• die gemeinsam empfohlenen Indikatoren zur kommunalen Nachhaltigkeit,
• das Portal Indikatoren Nordrhein-Westfalen,
• das Monitoring Soziale Stadt Nordrhein-Westfalen,
• das Regionalmonitoring Niedersachsen,
• das Sozioökonomische Informationssystem (SIS) und
• die Wohnungsmarktbeobachtung der Wfa.
Indikatoren zu mehreren wichtigen Sachverhalten können wegen fehlender
Daten im Rahmen dieses Grundmoduls nicht berücksichtigt werden. So fehlen
beispielsweise kleinräumige Daten zur Zahl der Haushalte, die für eine Vielzahl
von Fragestellungen insbesondere im Wohnungsbereich wichtig wären: Für die
Haushalte liegen derzeit nur Daten aus dem Mikrozensus vor, dessen kleinste
räumliche Einheit durch Zusammenfassungen mehrerer Kreise gebildet wird aussagefähige Wohnungsmarktanalysen sind somit nur sehr eingeschränkt
möglich. Ähnlich sieht es bei der Frage nach der räumlichen Verteilung von Existenzgründern oder bei der Verkehrsmittelwahl aus. Zu beachten ist ferner, dass
viele Grunddaten wie die Bevölkerungszahl seit der letzten Volkszählung lediglich fortgeschrieben werden können und ihre Qualität mit zunehmendem
Abstand von der Volkszählung immer geringer wird.
Ein Teil der Indikatoren kann gegenwärtig nur auf Kreisebene erhoben werden,
etwa bei Daten aus dem ökonomischen und sozialen Bereich. Teilweise könnten
in diesen Fällen Schätzwerte für die Gemeindeebene berechnet werden, etwa
bei den Erwerbstätigen; in anderen Fällen muss die Kreisebene als kleinste
räumliche Ebene zunächst hingenommen werden. Das Grundmodul soll Land
und Kommunen mit der Zusammenstellung wichtiger Daten Grundlageninformationen zur Verfügung stellen. Dabei besteht eine wichtige Funktion des Monitoringsystems bereits darin, aussagefähige Indikatoren auszuwählen und für
entsprechende Daten die Zugangsmöglichkeit zu verbessern. Die angesprochenen Lücken sowie Informationsdefizite, die auf aktuell nicht erfasste Daten
zurückzuführen sind, sollten sukzessive ergänzt werden.
Nachfolgend sind die vorgeschlagenen Indikatoren im Einzelnen dargestellt.
Grundlage für eine Gliederung der Indikatoren bilden die drei Dimensionen der
nachhaltigen Entwicklung, die auch im Raumordnungsgesetz verwendet werden, zusätzlich um die Dimension der Demografie ergänzt.
Die Erklärungen zu Abkürzungen folgender Tabelle 1 befinden sich auf S. 348.
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Städte- und Regionalmonitoring
Tab. 1: Vorschlag für ein landesweites Monitoringsystem (Kernindikatoren des Grundmoduls)
Sektor/ Indikator
Indikatorensystem (1)
DatenErläuterung
quelle (2)
Demografie
1
Bevölkerungsentwicklung
M, N ,S
LDS
Saldo der Geborenen und Gestorbenen sowie der Zu- und
Fortzüge innerhalb eines Kalenderjahres in Prozent der
Bevölkerungszahl des Vorjahres
2
Bevölkerungsdichte
M, S
LDS
Einwohnerzahl je Hektar
3
Fluktuation/Fortzüge
A, G, I, M, S, W
LDS
Zu- und Fortzüge bzw. Fortzüge innerhalb eines Kalenderjahres in Prozent der Bevölkerungszahl des Vorjahres
4
Jugendquotient
A, I, S
LDS
Verhältnis der Zahl der unter
20jährigen zu der der 20 bis
64jährigen
5
Anteil Nichtdeutscher
M, S
LDS
Anteil Nichtdeutscher an der
Bevölkerung insgesamt
Ökonomie
6
Veränderung des
Bruttoinlandprodukts
(BIP)
N, S
LDS
Veränderung des Wertes für
wirtschaftliche Leistung aus der
Produktionstätigkeit im Inland
innerhalb eines Kalenderjahres
in Prozent des Ausgangswertes
7
Verfügbares Einkommen
je Einwohner
S
LDS
Summe des verfügbaren Einkommens je Einwohner in Euro
8
Beschäftigtenentwicklung
N, S
BA, LDS
Zu- oder Abnahme der Anzahl
der Erwerbstätigen innerhalb
eines Kalenderjahres in Prozent
des Ausgangswertes
9
Erwerbstätigenquote
M, S
LDS
Anteil der Erwerbstätigen an
der Bevölkerung
10 Arbeitslosenquote
A, G, M, N, S, W
BA
Anteil der beim Arbeitsamt registrierten Arbeitslosen an den
abhängigen zivilen Erwerbspersonen (sozialversicherungspflichtige Beschäftigte, Beamte, Arbeitslose)
11 Anteil Langzeitarbeitslose
A, N, M, S
BA
Anteil der Personen, die länger
als ein Jahr als Arbeitslose registriert sind, an den Arbeitslosen insgesamt
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Sektor/ Indikator
Indikatorensystem (1)
DatenErläuterung
quelle (2)
12 Beteiligung an weiterführender A, N, M, S
Schulbildung
LDS
Anteil der Schüler, die nach
der Grundschule wechseln auf
Hauptschulen, Realschulen,
Gymnasien, Gesamtschulen,
Sonderschulen, differenziert
nach deutscher und nicht-deutscher Staatsangehörigkeit
13 Anteil Schulabgänger
ohne Hauptschulabschluss
LDS
Anteil der Schulabgänger ohne
(mindestens) Hauptschulabschluss an der Summe der
gesamten Schulabgänger
14 Anteil der 15 bis 25jährigen
Nichtdeutschen
ohne Schulabschluss
A, G, S
LDS
Anteil der Ausländer ohne
Schulabschluss an der Summe
der gesamten Schulabgänger
15 Ausbildungsquote
G, N
BA
Anzahl der Ausbildungsverhältnisse je tausend sozialversicherungspflichtige Beschäftigte
16 Anteil hoch qualifizierter BeN
schäftigter/ F&E-Beschäftigter
BA
Anteil Beschäftigter mit Fachhochschul- oder Hochschulabschluss an den Gesamtbeschäftigten
17 Baufertigstellungen
je Einwohner
K, LDS
Anzahl der Baufertigstellungen
bezogen auf die Bevölkerungszahl
LDS
Gesamtbetrag der kommunalen
Steuereinnahmen in Euro bezogen auf die Bevölkerungszahl
W
18 Kommunale Steuereinnahme- N
kraft je Einwohner
Ökologie
19 Anteil Siedlungs- und
Verkehrsfläche
A, G, I, M, N
LDS
Anteil der Siedlungs- und Verkehrsflächen an der Gesamtfläche des Gebietes
20 Anteil geschützter Flächen
A, G, I, M
LDS
Anteil der geschützten Flächen
an der Gesamtfläche
21 Wiedernutzung von Flächen/
Flächen-Recyclingrate
A
K
Anteil der wiedergenutzten Flächen an den in einem Jahr für
Siedlungszwecke in Anspruch
genommenen Flächen
22 Anteil der Schaffung von
Wohnraum im Bestand
A, I
LDS
Anteil der Fertigstellungen von
Wohnungen in bestehenden
Gebäuden an allen fertig
gestellten Wohnungen
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Städte- und Regionalmonitoring
Sektor/ Indikator
Indikatorensystem (1)
DatenErläuterung
quelle (2)
A, G, I
K
Gesamtstromverbrauch der privaten Haushalte in kWh je Einwohner
24 Stromerzeugung aus erneuer- A, G I
baren Quellen je Einwohner
K
Gesamtstromerzeugung aus
erneuerbaren Quellen in kWh je
Einwohner
25 Siedlungsabfälle je Einwohner G, I
LDS
Gesamtaufkommen der Siedlungsabfälle in Kilogramm je
Einwohner
26 Trinkwasserverbrauch der pri- G, I
vaten Haushalte je Einwohner
K
Gesamttrinkwasserverbrauch
privater Haushalte in Litern je
Einwohner
27 Ein- und Auspendleranteil
A
LDS
Anteil der Ein- und Auspendler
an der Gesamtzahl der
Erwerbstätigen
28 Anteil Sozialhilfeempfänger
A, G, M, S, W
LDS
Anteil der Sozialhilfeempfänger
je Einwohner
29 Straftaten je Einwohner
G
LKA
Bekannt gewordene Straftaten
je Einwohner
30 Durchschnittliche
Lebenserwartung
A, S
LDS
Durchschnittliche Anzahl von
Jahren, die eine Personengruppe (Männer/Frauen) voraussichtlich leben wird
31 Anteil Kinder mit allergischen A
oder Atemwegserkrankungen
LDS
Anteil der erkrankten Kinder an
der Gesamtanzahl der Kinder
32 Anteil Sozialwohnungen
M, W
K, Wfa
Anteil der Sozialwohnungen am
Gesamtwohnungsbestand
33 Wohnfläche je Einwohner
I, M, W
LDS
Wohnfläche je Einwohner
34 Anteil Wohnungslose
A, S, W
LDS
Wohnungslose je Einwohner
35 Frauenanteil im Kommunalparlament
A, G
K
Anteil der Frauen an der
Gesamtzahl der Parlamentarier
in der Kommune
36 Wahlbeteiligung an den
Kommunalwahlen
M, S
LDS
Anteil der abgegebenen Stimmen bei den Kommunalwahlen
an der Gesamtzahl der Wahlberechtigten der Kommune
23 Stromverbrauch der privaten
Haushalte je Einwohner
Soziales
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(1)
In welchem Indikatorensystem berücksichtigt
(2)
Datenquellen:
A
Agenda 21 Nordrhein-Westfalen
LDS
Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik
G
Gemeinsam empfohlene Indikatoren zur
kommunalen Nachhaltigkeit
BA
Bundesagentur für Arbeit
I
Indikatoren Nordrhein-Westfalen
K
Kommunen
M
Monitoring Soziale Stadt Nordrhein-Westfalen
LKA
Landeskriminalamt
N
Regionalmonitoring Niedersachsen
Wfa
Wohnungsbauförderungsanstalt Nordrhein-Westfalen
S
Sozio-ökonomisches Informationssystem
W
Wohnungsmarktbeobachtung Wfa NRW
4.3.2 Modulerweiterungen
Das Grundmodul sollte mit mehreren Modulerweiterungen ergänzt werden. Dabei kann zwischen zwei Arten von Ergänzungen unterschieden werden (Abb. 2):
• Als thematische Module können differenziertere Indikatorensysteme Informationen für wichtige Bereiche der Landespolitik liefern.
• Darüber hinaus sollten bei Bedarf problembezogene Sonderauswertungen
erfolgen.
Thematische Module
Das Grundmodul vermittelt zwar wesentliche
Informationen zur Landesentwicklung, ist
jedoch für fachbezogene Auswertungen in
der Regel zu wenig differenziert. Daher sollten thematische Module das Grundmodul
entsprechend ergänzen und Detailinformationen zur Entwicklung in wichtigen Politikbereichen liefern. Derartige Informationen
können eher die Aufgabe eines Frühwarnsystems übernehmen als das Grundmodul.
Abb. 2: Modulerweiterungen
Quelle: Zimmer-Hegmann/Strohmeier
und andere
348
Darüber hinaus können sie Grundlage für
eine zielgenaue Förderpolitik, für Vereinbarungen über Ziele und budgetierte Mittelzuweisungen sowie für ein Controlling bzw.
eine Evaluierung sein.
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Städte- und Regionalmonitoring
Da im Rahmen der thematischen Module konkrete fachliche Fragestellungen im
Vordergrund stehen, kann das Monitoring diesen und den Erwartungen der
Adressaten spezifisch angepasst werden.
So sind beispielsweise als Ergänzung zum Grundmodul folgende Elemente
möglich, die im Weiteren erläutert werden:
• unterschiedliche Arten von Indikatoren, etwa Kontextindikatoren, Inputindikatoren, Outputindikatoren, Outcomeindikatoren, qualitative Indikatoren etc.,
• unterschiedliche Akteure und Datenquellen: Neben dem LDS können die
Daten von anderen Landeseinrichtungen, Kommunen oder privaten Akteuren
stammen und sich aus statistischen Daten, Sondererhebungen und Befragungsergebnissen zusammensetzen,
• unterschiedliche Raumbezüge: soziale Brennpunkte lassen sich beispielsweise nur kleinräumig analysieren und definieren.
In einer Ausbaustufe des Systems sollten weiterhin auch flexible, nichtadministrative Raumbezüge möglich sein, die einerseits eine größere räumliche Tiefe
ermöglichen, um etwa innerstädtische sozialräumliche Polarisierungen identifizieren zu können. Andererseits sollte im Rahmen einer Stärkung der Kommunen
im regionalen Zusammenhang auch wichtige räumliche funktionale oder kulturelle Verflechtungen abgebildet werden, die als Orientierung für eine regionale
Zusammenarbeit dienen können.
Problembezogene Auswertungen
Neben differenzierten thematischen Modulen wird vielfach Bedarf für themenübergreifende Auswertungen bestehen. So müssen als Basis für integrierte
Handlungskonzepte Indikatoren unterschiedlicher thematischer Module herangezogen und gemeinsam ausgewertet werden.
4.3.3 Förderprogrammcontrolling
Zentraler Hintergrund für die Entwicklung eines gemeinsamen Monitoringsystems mit Controllingfunktion ist eine Bündelung von Fördermitteln zu größeren
Budgets sowie eine gleichzeitige Dezentralisierung von Entscheidungen über
den Einsatz von Fördermitteln und Instrumenten auf die kommunale Ebene. Die
Steuerungsfunktion des Landes bei der Vergabe von Fördermitteln wird dabei
nicht aufgegeben, sondern wird in Zukunft über grundlegende Zielvereinbarungen mit den jeweiligen Förderempfängern ausgeübt.
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Inhaltliche Basis einer veränderten Förderpolitik des Landes wäre es, anhand
der Informationen aus dem Monitoringsystem Schwerpunkte für die Förderpolitik zu setzen und klare Ziele zu definieren. Kommunen oder Regionen müssten
danach zunächst anhand quantiativer Indikatoren förderwürdig sein. Mit anderen Worten ist es zentrale Aufgabe des landesweiten Monitorings, anhand von
Indikatoren eindeutige Kriterien für die Verteilung der budgetierten Fördermittel
zur Verfügung zu stellen. Welche das im Einzelnen sind, ist politisch zu diskutieren und zu entscheiden, hängt aber auch von der Art der Fördermittel ab. Kriterien der Bedürftigkeit könnten z.B. die wirtschaftliche Lage, die Belastung
durch Arbeitslosigkeit, die Lage auf dem Wohnungsmarkt, die Integration von
Migranten oder der Grad der sozialen Segregation (Armutskonzentration) in
einer Stadt sein. Ebenso sind in diesem Zusammenhang Kriterien zu definieren,
nach denen besondere städtische oder regionale Entwicklungspotenziale zu
unterstützen sind, etwa Wachstumspole oder Innovationspotenziale.
Eine wesentliche Rolle für die Fördervoraussetzung sollten zudem qualitative
Kriterien spielen. Die Vorlage eines integrierten Handlungskonzeptes, das unterschiedliche fachliche Handlungsfelder zusammenführt, sowie regional abgestimmte Konzepte und eine Kooperation mit Wirtschaft, Verbänden und Bürgern
stellen entsprechend ausgerichtete Ansätze dar. Anknüpfungspunkte bilden
Erfahrungen mit integrierten Konzepten im Programm Soziale Stadt, Regionale
Einzelhandelskonzepte oder die Regionalisierung der Wohnungsbauförderung.
Aber auch kommunale Wohnraumversorgungskonzepte, Kooperationsverträge
im Rahmen der öffentlichen Wohnraumförderung oder integrierte Stadtentwicklungskonzepte sind als beispielgebende Ansätze zu nennen.
Anwendungsbeispiel: Integrierte Stadtentwicklung
Für einen Einstieg in die im Vorfeld beschriebene Änderung der Förderpolitik
und -systematik empfiehlt sich ein prozess- und modellhaftes Vorgehen. An
ausgewählten Handlungs- und Förderbereichen sollte ein solches Vorgehen
zunächst erprobt werden, bevor es auf weitere oder alle Förderbereiche ausgedehnt wird. Ein gutes Beispiel wäre die Weiterentwicklung des integrierten
Handlungsprogramms Soziale Stadt zu einem gesamtstädtischen Handlungsansatz, bei dem die verschiedenen Fördermittel zu einem Globalbudget
zusammengeführt werden.
Landespoltische Leitziele eines solchen neuen bzw. erweiterten Fördergegenstandes könnten unter anderem sein:
• für eine ausgleichende sozialräumliche städtische Entwicklung zu sorgen,
die die räumliche Konzentration von Armut und Benachteiligung abbaut,
• unfreiwillige Segregation zu vermeiden und
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Städte- und Regionalmonitoring
• die Integration und gleichberechtigte Teilhabe von Menschen im städtischen
Zusammenleben zu fördern.
Zu diesem Zweck müssten Fördermittel unterschiedlicher Fachressorts gebündelt und zu einem Globalbudget zusammengeführt werden. Zunächst unabhängig von den rechtlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten würden Mittel aus
den Bereichen Städtebauförderung, Wohnraumförderung, Soziales, Jugendhilfe, Schule, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik etc. in ein solches Globalbudget
haushaltstechnisch zugewiesen und z.B. einem Ressort zur Verwaltung überlassen. Die konkrete Verwendung der Mittel könnte gemeinschaftlich durch die
Ressorts etwa mit Hilfe einer interministeriellen Arbeitsgruppe festgelegt werden. Alternativ könnte diese Aufgabe einer zentral für die Vergabe von Fördermitteln zuständigen Stelle übertragen werden.
Wenn diese unabdingbare Voraussetzung geschaffen ist, wären folgende Verfahrensschritte zur Vergabe und Steuerung der Fördermittel vorstellbar (Abb. 3):
Förderwürdigkeit nachweisen
Die Förderempfänger (in der Regel die Kommunen) müssen zunächst anhand
objektiv-quantitativer Indikatoren ihre Förderwürdigkeit nachweisen. Das könnte ein im Landesvergleich überdurchschnittlicher Anteil an Arbeitslosen- und
Sozialhilfeempfängern sein, ein überdurchschnittlicher Anteil an Migranten, auffällige räumliche Konzentrationen von Benachteiligungen oder Probleme bei der
Wohnungsversorgung. Ob solche Merkmale sich durch bestehende Indikatoren
Abb. 3: Abfolge bei der Zuweisung von Fördermitteln durch Zielvereinbarung
Quelle: Zimmer-Hegmann/Strohmeier und andere
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eines schon funktionierenden Monitoringsystems erfassen lassen oder aber von
den Kommunen beispielsweise im Rahmen von eigenen Sozialraumanalysen
deutlich gemacht werden, ist zunächst unerheblich. Entscheidend ist, dass der
Fördergeber vorab in Bezug auf das landesweite Monitoring eindeutige Kriterien
zur Vergabe formuliert und transparent macht.
Vorlage eines Entwicklungskonzepts
Neben dem Nachweis der objektiven Förderwürdigkeit sind die Kommunen aufgefordert, ein überzeugendes Konzept zur Bearbeitung des Fördergegenstandes vorzulegen, das die unterschiedlichen Handlungsfelder integriert und
bestimmte Prozessqualitäten erfüllt (Integration, Kooperation, Beteiligung etc.).
Auf Grundlage dieser Konzepte entscheidet der Fördergeber dann grundsätzlich, ob die Kommune in der Förderung berücksichtigt wird.
Zielvereinbarung
Diese Konzepte bilden auch die Basis für die gemeinsam zu formulierenden
Zielvereinbarungen. In der Zielvereinbarung verpflichten sich die Kommunen in
einem bestimmten Zeitraum bestimmte Ziele zu erreichen. Die zu vereinbarenden Ziele würden sich sowohl auf die Verbesserung der objektiven Indikatoren
beziehen wie auch auf die Umsetzung der Verfahrens- und Kooperationsqualitäten (z.B. regionale Zusammenarbeit). Diese Ziele sollten spezifisch auf den
jeweiligen Fall zugeschnitten sein und möglichst sowohl anhand von quantitativen Indikatoren als auch durch qualitative Kriterien überprüft werden können. Es
sollte zumindest zwischen Globalzielen bzw. strategischen Zielen und operativen Zielen unterschieden werden.
Global- bzw. strategische Ziele stellen etwa die schon genannte Verringerung
der räumlichen Konzentration von Armut und Benachteiligung, die Vermeidung
unfreiwilliger Segregation und die Verbesserung der Integration von Migranten
dar. Um die weitere Entwicklungsrichtung nachvollziehen zu können, sollten im
Rahmen der Zielvereinbarungen die Ausgangswerte der verabredeten Indikatoren möglichst quantitativ erfasst werden (z.B. Anteil der Haushalte unterhalb
eines Einkommensniveaus von x Prozent pro Person vom Durchschnittseinkommen in Nordrhein-Westfalen in Stadtteil Y).
Operative Ziele sollten für konkrete Handlungsbereiche definiert werden, die
mittels Outputindikatoren quantifiziert werden können: Outputindikatoren bilden
die unmittelbaren Produkte von Maßnahmen und Programmen ab, z.B. die
Anzahl der geschaffenen Wohnungen zur Wohnungsversorgung von Familien
mit mehr als drei Kindern oder die Anzahl der geschaffenen Ausbildungsplätze.
Anhand solcher Outputindikatoren lassen sich dann auch Ziele im Rahmen von
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Städte- und Regionalmonitoring
Zielvereinbarungen quantifizieren (z.B. Ziel ist es x Wohnungen, Ausbildungsplätze etc. für die Zielgruppe Y zu schaffen).
Zuteilung eines Globalbudgets
Der Fördergeber stellt sodann den Kommunen zur Umsetzung der Zielvereinbarung ein Globalbudget zur eigenen Bewirtschaftung zur Verfügung. Die Förderempfänger entscheiden selbst, welche Maßnahmen damit umgesetzt werden,
wie viel Geld in konkrete Projekte fließen soll und welche Instrumente im Rahmen der rechtlichen Rahmenbedingungen dafür eingesetzt werden.
Controlling der Zielvereinbarungen
Eine Zielüberprüfung erfolgt unter anderem anhand der Kernindikatoren, die zur
Auswahl der Fördergebiete herangezogen worden sind, im Wesentlichen jedoch
mittels Indikatoren, auf die sich der Fördergeber und die Förderempfänger im
Rahmen der Zielvereinbarungen verständigt haben (Abb. 4): Mögliche Veränderungen von zentralen Kontextindikatoren (z.B. Arbeitslosigkeit) können nicht
alleine auf die zu evaluierenden Maßnahmestrategien, sondern auch auf externe Faktoren (z.B. die konjunkturelle Entwicklung) zurückgeführt werden. Daher
sollten zusätzlich spezifische Outputindikatoren gemeinsam festgelegt und spezifisch erhoben und dokumentiert werden.
Für eine Evaluierung könnte man sich folgendes Vorgehen vorstellen:
• Zu vereinbarten Zeitpunkten überprüfen
Fördergeber und-empfänger in regelmäßigen
Abständen (z.B. jährlich) gemeinsam die
Umsetzung der Zielvereinbarung anhand
der oben genannten
Informationen, um diese Steuerungsmöglichkeiten optimal auszuschöpfen.
• Anhand von Kern- oder
Kontextindikatoren und
spezifischen
Pro-
Abb. 4: Elemente eines Förderprogrammcontrollings
Quelle: Zimmer-Hegmann/Strohmeier und andere
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gramm- bzw. Outputindikatoren lässt sich die Umsetzung der Zielvereinbarung überprüfen. Dabei lassen sich „Erfolge“ anhand der vereinbarten quantitativen Indikatoren messen.
• Insbesondere die qualitativen Ziele bedürfen einer weitergehenden Evaluation durch qualitative Indikatoren. Sie ergänzen die quantitativen Informationen und erlauben Hinweise auf Programmwirkungen. Durch qualitative
Methoden wie z.B. Experteninterviews und Betroffenenbefragungen kann
nach der erfolgreichen Umsetzung der spezifischen Prozessziele (z.B.
Kooperationsintensität) und über den Erfolg und die Wirkungen von Maßnahmen erfasst werden. Das können beispielsweise Fragen zur spezifischen
Prozessqualität der Programmumsetzung sein (z.B. Wie funktioniert die
Zusammenarbeit zwischen Kommune und Wohnungsunternehmen?) oder
den qualitativen Wirkungen von Maßnahmen (z.B. die Qualität von Sprachfördermaßnahmen oder berufsqualifizierenden Maßnahmen aus Sicht von
Experten und/oder Betroffenen).
Dabei sind diese Erhebungsmethoden bewusst als prozesssteuernde Instrumente zu verstehen, die kontinuierliche Informationen für den Fördergeber und
den Förderempfänger liefern. Nur so ist es möglich, Zielvereinbarungen entsprechend der Anforderungen flexibel umzusetzen. Dadurch kann die Zielrichtung von Einzelmaßnahmen oder die Gewichtung zwischen den Maßnahmeschwerpunkten verändert werden. Die kontinuierliche Selbstkontrolle ermöglicht
es dabei den Kommunen, bereits frühzeitig Strategien gegebenenfalls zu korrigieren.
Abb. 5: Datenquellen eines Controllingsystems
Quelle: Zimmer-Hegmann/Strohmeier und andere
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Städte- und Regionalmonitoring
4.4
Anforderungen an politische und administrative
Rahmenbedingungen
Die vorangegangenen Ausführungen diese Kapitels zeigen, wie die Struktur
eines Städte- und Regionalmonitoring für Nordrhein-Westfalen als strategisches
Steuerungsinstrument in Zukunft aussehen kann und welche Verfahrensschritte
damit verknüpft sind. Bei der Konzipierung eines landesweiten Städte- und
Regionalmonitoringsystems müssen sowohl die jeweiligen Interessen als auch
vorhandene Restriktionen auf Seiten des Landes wie auch auf Seiten der Kommunen von Anfang an in die Überlegungen miteinbezogen werden. Darüber hinaus sind im Zuge einer Implementation auch Veränderungen der politischen und
administrativen Rahmenbedingungen erforderlich. Wesentliche Aspekte, die
sich in erster Linie an die Adresse des Landes richten, sollen im Folgenden formuliert werden.
Landesweites Monitoring in Kooperation von Land und Kommunen entwickeln
Die Umsetzung des landesweiten Monitoring ist weitgehend mittels vorhandener amtlicher und allgemein zugänglicher Daten, im Wesentlichen durch die
Informationsgrundlagen des LDS möglich. Da dieses Grundmodul die Basis für
ein Steuerungs- und Controllinginstrument bildet, muss die Erstellung des Monitoringsystems als gemeinsame Aufgabe von Land und Kommunen verstanden
werden. Die für die Kooperation bei weiteren Modulen notwendige Vertrauensbasis kann dabei geschaffen werden. Das Land sollte daher auf Grundlage der
inhaltlich-konzeptionellen Vorschläge zunächst mit den Kommunen das substanzielle Interesse an einem gemeinsamen Aufbau eines Monitoringsystems
sondieren und sie von Beginn an in die Diskussion und den Abstimmungsprozess einbeziehen. Dabei sollte das Land von vornherein deutlich machen, dass
die Absicht besteht, bei einer Veränderung der Förderpolitik das Grundmodul zu
einem Begleitsystem der Landesförderung weiter zu entwickeln. Durch eine
Beteiligung der Kommunen kann am besten deutlich gemacht werden, dass mit
dem Informationssystem auch eine Dienstleistung für die Kommunen erbracht
werden soll.
Es ist davon auszugehen, dass ein Städte- und Regionalmonitoring schrittweise
umgesetzt werden muss. Im Rahmen der Umsetzung sind Experimente zuzulassen, sogar ausdrücklich gewollt. Beim Betreten von Neuland ist es lohnend,
mit der Durchführung von Modellvorhaben die verfahrensmäßigen und technischen Abläufe zu erproben und die Vorteile des Monitoring konkret zu verdeutlichen. Ein modulares, fehlerfreundliches Systems kann sukzessive und im
kooperativen Prozess zwischen Land und Kommunen implementiert und dabei
optimiert werden.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Soweit die Beteiligung der Kommunen freiwillig ist, werden die verschiedenen
Themenbereiche und Räume unterschiedlich gut abgedeckt sein. Da die Mitarbeit im Rahmen eines Monitoringsystems Geld bzw. Personalkapazitäten
kostet, wird es zunächst Themenbereiche und Gemeinden geben, für die keine
Daten vorliegen. Ferner muss mit Vorbehalten auf Seiten der Kommunen insbesondere hinsichtlich der Übermittlung von kleinteiligen Daten an das Land
gerechnet werden. Seitens der Städte wird befürchtet, dass die Offenlegung von
kommunalen Daten zu einer stärkeren Kontrolle des Landes führen könnte und
so die Handlungsfreiheit und Eigenständigkeit der Kommunen eingeschränkt
wird.
Die bisherigen Erfahrungen mit Monitoringsystemen zeigen jedoch, dass derartige Vorbehalte im Laufe der Zeit abgebaut werden können, so dass zu erwarten ist, dass die „weißen Flecken“ auf der nordrhein-westfälischen Landkarte
schrittweise kleiner werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn den Kommunen
verdeutlicht werden kann, dass das Monitoring für sie mit Vorteilen verbunden
ist. Es erscheint daher sinnvoll, dass das Land schon zu einem frühen Zeitpunkt
in Vorleistung tritt und den Kommunen bei einer neuen Ausgestaltung der Förderpolitik eine größere Entscheidungsautonomie einräumt. Dadurch würde die
Bereitschaft, im Sinne einer Berichtspflicht eigene Daten als Verwendungsnachweis im Rahmen eines Förderprogrammcontrollings zur Verfügung zu stellen,
honoriert.
Strategische Informationsgewinnung für Kommunen
Idealtypischerweise sollten die Kommunen ein Interesse an vergleichbaren und
in den Kontext der Landesentwicklung eingeordneten Informationen haben, um
Defizite und Potenziale im Vergleich zu Kommunen gleichen Typs oder benachbarten Städten zu erkennen. Mit solchen Informationen können Kommunen
zukunftweisende und effektive strategische Entscheidungen treffen. So können
die Kommunen von erfolgreichen Strategien und Maßnahmen bei gleichartigen
Problemlagen anderer lernen. Vor allem im Hinblick auf eine regionale Profilierung und internationale Positionierung können strategische Partnerschaften mit
Kommunen ähnlichen Typs eingegangen werden. Ferner können besondere
Stärken und Potenziale identifiziert und im interkommunalen Wettbewerb ausgebaut werden. Bei einer objektiven Feststellung von vergleichbaren Problemlagen würde zudem die Position der Kommunen insgesamt gegenüber dem Land
gestärkt, da einfacher und transparenter landespolitische Hilfestellungen erwirkt
werden können. Daher sind beim Aufbau des Monitoringsystems derartige Vergleichsmöglichkeiten, gegebenenfalls unter Berücksichtigung vergleichbarer
Entwicklungstypen, zu ermöglichen.
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Städte- und Regionalmonitoring
Innerhalb der Kommunen kann das Interesse an einer strategischen Informationsgewinnung durch ein ausgeprägtes „Kirchturmdenken“ oder durch kleinteilige und stark divergierende Interessen der Akteure behindert werden.21 Dennoch zeichnet sich hier ein Bewusstseinswandel ab. Angesichts der Krise
öffentlicher Haushalte kann es auch im Interesse der kommunalen Akteure liegen, die Effizienz und Erfolge der lokalen Stadtentwicklungspolitik im Rahmen
politischen und administrativen Handelns zu evaluieren. Die erfolgreichen
Modellprojekte kommunaler und regionaler Indikatorensysteme zeigen, dass
hier infolge der positiven Erwartungen an ein Monitoring die Hemmnisse überwunden werden können.22 Durch eine entsprechende Verknüpfung mit der Landesförderung können besondere Anreize geschaffen werden, etablierte Verhaltensmuster der lokalen Akteure aufzubrechen.
Informationsbasis auf kommunaler Ebene sichern
Vielfach werden im Verwaltungsvollzug produzierte Daten oder anonymisierte
Personendatensätze zu einer zielgenauen Indikatorenbildung verwendet,
wodurch oft auch ein zusätzlicher Erhebungsaufwand der Kommunen vermieden werden kann. Besonders bei der Erhebung von solchen Daten, die nicht
verpflichtend von der amtlichen Statistik erhoben werden müssen, werden gute
Erfahrungen mit freiwilligen Entwicklungspartnerschaften gemacht, in die Kommunen ihre Interessen einbringen und von deren Ergebnissen sie profitieren
können.
Im Zuge der Verwaltungsreform und kommunalen Finanzkrise werden allerdings
in den Städten Personalressourcen zunehmend eingespart, so dass momentan
ein Rückzug auf die kommunalen Kernaufgaben stattfindet. Auch der Bereich
der Statistik bleibt davon nicht verschont. Das geht so weit, dass in einigen
Städten, wie z.B. in Herne statistische Ämter aufgelöst werden. In der Folge wird
die kommunale Statistik nicht mehr zentral, sondern in den einzelnen Dezernaten, Ämtern und Abteilungen betrieben. Dieses geht zu Lasten von Qualität und
Quantität der Datenaufbereitung und -analyse insgesamt sowie der übergeordneten Informationsgewinnung für die strategische Planung im Besonderen. In
Zeiten knapper Kassen muss in besonderem Maße darauf geachtet werden,
dass Monitoringsysteme kein Selbstzweck sind, sondern den Beteiligten bei der
Erledigung ihrer Aufgaben helfen müssen. Vor diesem Hintergrund müssen Land
und Kommunen dafür Sorge tragen, dass auch dauerhaft die Informationsbasis
gesichert werden kann.
21 Kuhlmann 2003.
22 Siehe dazu unter anderem die Modellvorhaben des experimentellen Städte- und Wohnungsbaus
der Städte bzw. Regionen der Zukunft (Difu 2003; IÖR 2002). Ebenso das Kompass-Projekt der
Bertelsmann-Stiftung (www.kompass-modellkommunen.de).
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Regionale Kooperationen in Monitoring einbinden
Aus Sicht des Landes ist es wünschenswert, dass sich Kommunen und
Gemeinden in regionalen Kooperationen zusammenschließen. Ziel der Landespolitik ist es demnach auch, Anreize zur interkommunalen Kooperation zu
geben. Ein Informationssystem, das regionale Zusammenhänge und damit den
Nutzwert von Kooperationen aufzeigt, kann dazu einen wesentlichen Beitrag
leisten.
Kern des gewählten Beispiels ist die ressortübergreifende Zusammenfügung
von unterschiedlichen Förderzugängen im Rahmen eines von den Kommunen
formulierten und verantworteten integrierten Handlungsansatzes. Förderempfänger sind in der Regel die Kommunen. Eine regionale Abstimmung bei der Umsetzung der Programmschwerpunkte könnte etwa durch einen Bonus in der
Förderung honoriert werden. Ein anderer Förderansatz könnte die regionale
Kooperation noch stärker in den Vordergrund stellen. Ähnlich wie bei dem
Modellvorhaben zur Bildung von regionalen Budgets bei der öffentlichen Wohnraumförderung könnten Fördermittel auch einzelnen Regionen zur Bewirtschaftung und zur Verteilung überlassen werden.
Eine ressortübergreifende Zusammenführung von unterschiedlichen Förderprogrammen im Rahmen von integrierten Konzepten würde durch die unterschiedlichen und auch unklaren regionalen Abgrenzungen eher behindert. Lösen könnte man dieses Problem durch eine landesweit einheitliche Abgrenzung von Förderregionen.23 Dies erscheint jedoch weder sachgerecht noch realistisch. Da
davon auszugehen ist, dass sich Kommunen nur freiwillig und jeweils nach spezifisch-fachlicher Interessenlage zu Förderregionen zusammenfinden, macht
eine solche Förderstrategie nur im Rahmen der Beibehaltung einer fachspezifischen Förderschiene Sinn, die dann nachdrücklich die regionale Abstimmung
und Zusammenarbeit zur Fördervoraussetzung erklärt.
Daher ist eher dafür zu plädieren, dass grundsätzlich die Kommunen Förderempfänger sein sollen. Eine Stärkung der regionalen Abstimmung und
Zusammenarbeit sollte zusätzlich über den schon erwähnten Förderbonus bei
Vorlage eines regional abgestimmten Konzeptes stimuliert werden. Denkbar ist,
dass sich verschiedene Kommunen zusammenfinden und als gemeinsamer Förderempfänger auftreten, um Fördermittel flexibler innerhalb der Region einsetzen zu können. Unabdingbare Voraussetzung muss dann aber neben einem
regional abgestimmten Entwicklungskonzept der Nachweis von verbindlichen
Regelungen zum Interessen- und Lastenausgleich sein. Diese könnten etwa in
Form eines regionalen Kontraktes erfolgen.
23 Ansatzpunkt dazu könnten die Arbeits- und Ausbildungspendlerströme sowie die wirtschaftlichen Austauschbeziehungen innerhalb des Landes sein (vgl. Mainz/van Suntum 2003, S. 4ff.).
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Städte- und Regionalmonitoring
Überprüfbarkeit von Zielvereinbarungen
Nach der förderrechtlichen Schaffung von Budgets sollten durch grundlegende
Zielvereinbarungen zwischen Land und Kommunen konkrete Ziele verabredet
werden. Der Konkretisierungsgrad solcher Ziele hängt dabei im Wesentlichen
von der Intensität des Steuerungsanspruchs durch das Land ab. Je höher der
Steuerungsanspruch ist, desto konkreter müssen die Ziele formuliert sein. Ob es
dabei auch sinnvoll ist, zu einer konkreten Quantifizierung von Zielwerten zu
kommen, soll an dieser Stelle zunächst offen bleiben. Die Förderung sollte aber
in jedem Fall an objektive Indikatoren, die quantitativ messbar sind, und an verfahrensbezogene, qualitativ überprüfbare Kriterien geknüpft werden.
Förderrichtlinien und Fördersystematik überprüfen
Die dargestellte Zusammenführung von Fördermitteln in ein Globalbudget
bedeutet in jedem Fall das Ändern oder Außerkraftsetzung von bestehenden
Förderrichtlinien und gegebenenfalls auch rechtlichen Bindungen. Dies ist beispielsweise im Bereich des zweckgebundenen Landeswohnungsbauvermögens
oder bei der Kombination mit Fördermitteln des Bundes etwa im Rahmen der
Städtebau- wie auch der Wohnraumförderung der Fall. Hier bedarf es einer
systematischen rechtlichen Überprüfung der betroffenen Förderprogramme und
bestehenden Richtlinien sowie gegebenenfalls einer miteinander abgestimmten
Neukonzipierung der Fördersystematik.
Darüber hinaus müsste geklärt werden, ob und wie im Hinblick auf eine Budgetierung ressortbezogene Fördermittel gegebenenfalls in Zukunft organisiert werden können. Denkbar ist die Zusammenführung und Verwaltung der entsprechenden Haushaltsmittel in eine ressortübergreifende Förderstelle. Es ist jedoch
auch möglich, je nach Förderungsschwerpunkt die Verwaltung der Globalbudgets in die Verantwortung eines jeweils zu benennenden Ressorts zu
geben.
In diesem Zusammenhang besteht ebenfalls Klärungsbedarf über eine mögliche
Kontingentierung der zur Verfügung gestellten Globalbudgets. Grundsätzlich
reicht die Steuerung über Ziele aus, die dann allerdings präzise formuliert sein
müssen. Es ist auch vorstellbar, dass bestimmte prozentuale Anteile für die einzelnen Maßnahmenbereiche kontingentiert werden (z.B. 30 Prozent der Mittel
für Wohnraumförderung, 20 Prozent für Sprachförderung etc.). Ebenso wäre
eine kontingentierte Zuteilung von Mitteln möglich, die jedoch im Rahmen der
Zielvereinbarungen seitens der Kommunen umgewidmet werden können. Welchen Modellen einer ressortübergreifenden Mittelverwaltung und damit verbundenen Flexibilität der Mittelverwendung der Vorzug gegeben werden soll, muss
ebenfalls in enger Abstimmung mit den zu beteiligenden Ressorts geklärt werden.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Eindeutige und transparente Fördervoraussetzungen schaffen
Die Stärkung der Handlungsautonomie von Städten und Regionen bedarf seitens des Landes verbindlicher Rahmenbedingungen, insbesondere in Form von
klaren Fördervoraussetzungen und transparenten Förderkriterien. Eine wesentliche Aufgabe des landesweiten Monitorings ist, anhand von Indikatoren eindeutige Kriterien für die Bereitstellung der Förderbudgets zu setzen. Das Monitoring bietet dafür die Grundlageninformationen, Schwerpunkte innerhalb der
Förderpolitik zu formulieren und klare Ziele zu definieren. Welche Förderkriterien
im Einzelnen zu benennen sind, ob die Schwerpunkte eher auf Problemgebiete
oder auf die Stärkung von Potenzialen zu setzen sind, ist vor allem politisch zu
klären.
Um bestimmte verfahrensmäßige Qualitätsanforderungen zu honorieren, wäre
eine Art Bonussystem denkbar, bei dem die Höhe der Fördermittel abhängig
vom Grad der Integration, Kooperation und regionalen Abstimmung der Konzepte und Vorgehensweisen festgesetzt werden sollte. Je überzeugender die
vorgelegten Konzepte in dieser Hinsicht sind, desto höher sollte die Zuweisung
der Fördermittel sein. Auch hierfür müssen die Kriterien transparent und nachvollziehbar gestaltet werden.
Einsetzen eines Nutzergremiums
Da Indikatorsysteme auf den konkreten Bedarf der Adressaten abgestimmt werden müssen, empfiehlt es sich, für die Ausgestaltung des Systems ein Nutzergremium zu schaffen, welches den weiteren Aufbauprozess und den Betrieb
eines Städte- und Regionalmonitoringsystems kontinuierlich inhaltlich begleitet.
Um Legitimation und Akzeptanz bei den unterschiedlichen Nutzern zu gewährleisten, muss das Nutzergremium sowohl mit kommunalen Vertretern, gegebenenfalls vertreten durch die kommunalen Spitzenverbände, mit den zu beteiligenden Landesressorts als auch mit fachwissenschaftlichem Sachverstand
besetzt sein. Nach der Einrichtung des Nutzergremiums kann der vorgeschlagene Katalog von Kernindikatoren im Hinblick auf die spezifischen Nutzerinteressen überprüft und weiter entwickelt werden. Am Ende des Diskussionsprozesses sollten sich Land und Kommunen auf einen gemeinsamen Katalog von
Kernindikatoren einigen, der die Grundlage für den Aufbau des Grundmoduls
bildet. Darüber hinaus sollte das permanent einzurichtende Gremium über Ausbau-, Änderungsbedarfe und neue Schwerpunkte entscheiden.
Insbesondere im Rahmen der Diskussion um Sozial- und Nachhaltigkeitsindikatoren haben sich wesentliche Erkenntnisse herauskristallisiert, die bei der Konkretisierung des Städte- und Regionalmonitoringsystems durch das Nutzergremium von Bedeutung sind. Dabei sind unterschiedliche Zielvorstellungen und
somit uneinheitliche Prioritäten bei der Auswahl und Bewertung von Indikatoren
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Städte- und Regionalmonitoring
in Einklang zu bringen. Daher ist eine explizite Zieldiskussion, ein Diskurs über
die Indikatorenauswahl und das Verhältnis von Indikatoren zu Zielen unverzichtbar.
Sinnvoll wäre die Erarbeitung eines Leitfadens mit fachlichen Vorschlägen für
Qualitätsstandards zur Bewertung von vor allem quantitativen Indikatoren, um
Kommunen und Fördergebern einen Orientierungsrahmen zu geben. In diesem
Zusammenhang sind plakative Darstellungen wertvolle Methoden, um die Kommunikation über Zielfindungsprozesse und über Ergebnisse zu erleichtern. Um
der Unübersichtlichkeit durch eine detaillierte Darstellung der Einzelindikatoren
zu begegnen, sind bei verschiedenen Indikatorenansätzen anschauliche Darstellungsformen für die Messergebnisse entwickelt worden. Hier finden sich
bereits Beispiele von einfachen Indikatorenprofilen bis hin zur Nachhaltigkeitsampel oder einer so genannten Nachhaltigkeitsspinne, die eine Zielerreichung
durch einfache Illustrierung darstellen können.24
Darüber hinaus sind Auswertungen ein wesentlicher Teil des Monitorings. Diese
haben insbesondere zum Ziel, die zentralen Ergebnisse in knapper Form darzustellen und sachgerecht zu interpretieren. Die Aufgabe einer fachkundigen Ausund Bewertung sollte einer von Land und Kommunen gleichermaßen anerkannten Institution übertragen werden. In enger Kooperation mit dem Nutzergremium
könnte diese ebenfalls fachlich zu begründende Empfehlungen über die Ausgestaltung von Zielvereinbarungen entwickeln.
Moderationsaufgabe und Beratung des Landes
Der Rückzug aus der Detail- und Maßnahmensteuerung bedeutet auch für die
Fördergeber bzw. die Fachressorts eine neue Qualität ihres Aufgabenspektrums. Gegenüber der traditionellen Genehmigungspraxis tritt die Unterstützung
der Kommunen und Regionen durch Moderationsangebote, die partnerschaftliche Beratung bei der Erstellung von integrierten Entwicklungskonzepten sowie
die fachliche Begleitung der Förderempfänger im Rahmen der Zielerreichungsgespräche in den Vordergrund. Eine Bündelung der Förderprogramme würde
zudem eine enge Abstimmung und Kooperation zwischen den Ressorts erfordern. Dass solche partizipativen und kooperativen Prozesse zukunftsweisend
und erfolgreich sind, zeigt unter anderem das Modell des Programms Stadttei-
24 Das Ampelmodell der ehemaligen Akademie für Technologiefolgeabschätzung berücksichtigt
dabei auch, dass sich für einzelne Indikatoren lediglich Trendmessungen herstellen lassen, und
verteilt entsprechend der im Beobachtungszeitraum vollzogenen Entwicklung nach einem speziellen Bewertungsmuster rotes, gelbes oder grünes Licht für einen Indikator (vgl. Renn/León/
Clar 2000). Zur regionalen Nachhaltigkeitsspinne vgl. Irmen/Milbert 2002.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
le mit besonderem Erneuerungsbedarf, das nicht nur für ein entsprechendes
Bundesprogramm sondern auch für die EU-Förderung Pate stand.
Einsetzen einer koordinierenden Stelle
In und für Nordrhein-Westfalen existieren schon viele, meist sehr fachspezifische Informations- und Monitoringsysteme, die die Funktion eines thematischen Moduls erfüllen können.25 Hier ist im Einzelfall zu prüfen, in welcher Art
diese schon bestehenden Ansätze sukzessive mit dem Grundmodul verknüpft
und sofern nötig, ausgebaut werden können. Die Zusammenarbeit auf freiwilliger Basis setzt voraus, dass sich diese für alle Akteure lohnt (win-win-Situation).
Durch die Möglichkeiten der Kostenteilung, eines Zugriffs auf Daten anderer
Datensysteme oder der Einbeziehung externen Sachverstands profitieren auch
andere Akteure. Letztlich muss es im Sinne einer effizienten Verwendung von
Ressourcen darum gehen, Doppelarbeiten zu vermeiden und Synergien zu
erzeugen. Die Koordinierung der Interessen vor dem Hintergrund begrenzter
Kapazitäten ist oft schwierig, aber, wie das Beispiel des Modellprojekts Gewerbeflächenmonitoring in der Region Aachen nach aktuellen Informationen zeigt,
möglich.
Um zu einer Koordinierung der verschiedenen Module zu kommen, müsste eine
gleichermaßen von Land und Kommunen akzeptierte Koordinationsstelle eingerichtet werden, die den weiteren Implementationsprozess des Städte- und
Regionalmonitoringsystems federführend koordiniert. Diese sollte zunächst
einen Informationsaustausch zwischen den vorhandenen Systemen organisieren. Anschließend kann sukzessive versucht werden, Definitionen und Datenformate abzugleichen und gemeinsame Standards zu entwickeln, die eine Auswertung auf Landesebene ermöglichen.
Technische Voraussetzungen der Datenverwaltung und -nutzung
Grundsätzlich wäre für den operativen Einsatz des Monitorings ein Intranet-Portal sinnvoll, über das alle Nutzer im Rahmen gestufter Zugangsmöglichkeiten
Zugang zu den für sie interessanten und freigegebenen Daten und Auswertungen erhalten.
Im Hinblick auf die Abgabe und Verwendung eigener Daten besteht sowohl seitens der Kommunen als auch aus Sicht anderer Fachinstitutionen und Ressorts
eine besondere Sensibilität. Allerdings müsste die koordinierende Stelle nicht
25 Ferner ist damit zu rechnen, dass in einer Reihe von Politikbereichen eine rechtliche Verpflichtung zum Monitoring eingeführt wird, beispielsweise die Überwachung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme durch Monitoring nach SUP-Richtlinie.
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Städte- und Regionalmonitoring
zwangsläufig auch die datenverwaltende Stelle sein. Hierfür gäbe es sowohl
technisch die Möglichkeit einer dezentralen Verwaltung der Daten, so dass
diese beim Datenerzeuger verbleiben, als auch andere organisatorische
Lösungsmöglichkeiten. Auf Grundlage einer solchen adäquaten Vernetzung vorhandener Daten und nutzerfreundlicher Technologien könnte das Grundmodul
schon in relativ kurzer Zeit in Betrieb genommen werden.
Eine wichtige Voraussetzung für den baldigen Einstieg in ein landesweites Informationssystem ist die Bereitstellung einer leistungsfähigen Berichtssoftware für
die gemeinsame Nutzung im Intra- und gegebenenfalls auch Internet. Für einen
möglichst kurzfristigen und praktischen Einstieg in ein Monitoring bietet sich die
Nutzung bereits bestehender und in der Landesverwaltung eingeführter Systeme an.26 Als kostenfreies und attraktives Angebot, ohne damit verbundene Kontrollabsichten an die Kommunen, wäre ein frühzeitiger Einstieg in ein landesweites Berichtssystem auf der Basis bereits vorhandener und leicht verfügbarer
Daten ein sinnvoller Beitrag zur Entwicklung einer Berichtskultur, auf die später
aufgebaut werden kann.
Verhältnismäßigkeit wahren
Die in Vereinbarungen formulierten Ziele müssen realistisch sein und durch die
Höhe der Fördermittel auch tatsächlich erreichbar sein. Ist die Höhe von Fördermitteln so gering, dass alleine quantitativ die Ziele nicht erreicht werden können, machen derartige Zielvereinbarungen keinen Sinn.
Der Aufwand für die Zielüberprüfung, das heißt Controlling und Evaluation,
muss in einem angemessenen Verhältnis zum Fördermittelaufwand stehen. Insgesamt sollte der Aufwand für Zielformulierung und -überprüfung nicht mehr als
zehn Prozent der eingesetzten Gesamtfördermittel betragen. Mit weniger als
fünf Prozent auszukommen wäre für die politische und öffentliche Akzeptanz
eines solchen Vorgehens optimal.
Insgesamt betrachtet muss eine Zielvereinbarung auch so flexibel sein, dass
grundlegende Veränderungen von gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden können, die eine Erreichung der Ziele
behindern oder nicht möglich machen.
26 Folgende Systeme bieten auf ähnlicher technischer Grundlage unterschiedliche Funktionalität.
Sie können ohne größeren Aufwand und relativ kurzfristig den Erfordernissen eines Monitorings
in Nordrhein-Westfalen angepasst werden. Kontextindikatoren Soziale Stadt NRW, SIS - Sozioökonomisches Informationssystem des MGSFF, Kommunale Familienberichterstattung, LandesSozialberichterstattung NRW (hier Datenpool) und Informationssystem Sozialhilfedaten.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Sanktionsmöglichkeiten im Rahmen der landespolitischen Steuerung
Schließlich braucht es Sanktionsmöglichkeiten, um bei Nichteinhalten bzw. erreichen der Zielvereinbarungen von Landesseite reagieren zu können. Eine spätere Rückzahlung von Fördermitteln scheint hier eher unrealistisch. Man könnte
ähnlich wie bei der EU-Förderung (z.B. URBAN) an die Bildung einer Reserve
denken, die bei erfolgreichem Verlauf der Maßnahmen freigegeben würde.
Im Hinblick auf den Leitgedanken, insbesondere tüchtige Kommunen zu fördern, könnte auch eine positive Sanktionierung in Erwägung gezogen werden,
nach der besonders erfolgreich umgesetzte Konzepte in bestimmten Förderschwerpunkten prämiert werden. Auch die Schlechterstellung bei künftigen Förderungen ist bei gravierendem Nichteinhalten der Zielvereinbarung eine mögliche Sanktion. Ebenso wie es erforderlich ist, klare Fördervoraussetzungen zu
definieren, sind natürlich auch sanktionierende Konsequenzen offen und nachvollziehbar auf Grundlage der Zielvereinbarungen zu begründen.
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D Szenario:
Die Zukunft der Städte
in Nordrhein-Westfalen
- Ein Blick zurück
aus dem Jahre 2030
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Prolog
Die Arbeit von Enquetekommissionen ist gekennzeichnet durch das Ziel aus der Vergangenheit zu lernen und für die Zukunft Manches „besser zu machen“. Diese Grundhaltung
kann auch der Enquetekommission zur Zukunft der Städte Nordrhein-Westfalens testiert
werden. Wie sich diese Zukunft aber dann tatsächlich darstellt, bleibt selbstverständlich
abzuwarten. Um die Ergebnisse der Enquetekommission greifbarer und nachvollziehbarer zu machen, sind sie in Form einer Zeitreise - zumindest auszugsweise - niedergeschrieben, die sich des Rückblicks aus dem Jahres 2030 als Instrument bedient.
Diese Technik hat auch in anderen Gestaltungszusammenhängen gute Dienste geleistet
und nimmt nicht für sich in Anspruch, mit wissenschaftlicher Akkuratesse die Zukunft zu
prognostizieren. An die Stelle von pseudorealistischer Scheingenauigkeit tritt eine von
mehreren denkbaren Zukünften ohne Anspruch auf Realisierungsgarantie. Ebenso können nicht alle im Bericht aufgegriffenen Themen in der Vollständigkeit nicht alle berükksichtigt werden.
Unsere Zeitreise umfasst insgesamt knapp 27 Jahre. Sie beginnt im Jahr 2004 und endet
im Jahr 2030, das heißt eigentlich lassen wir sie im Jahre 2030 beginnen und wagen dann
einen Rückblick auf die Jahre 2004 und folgende. Mit zunehmender zeitlicher Entfernung zum Ergebnis der Enquetekommission gibt es natürlich auch eine zunehmende Tendenz zum Augenzwinkern. Die Zeitreise in die Zukunft soll die Fantasie beflügeln und
Motivation schaffen, an der dargestellten - oder vielleicht auch einer anderen persönlich
als sinnvoller empfundenen - Realität zu arbeiten.
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Die Stationen der Zeitreise:
1.
Mittwoch, 20. März 2030 - in Essen:
Eröffnung der Weltausstellung EXPO auf dem Gelände der Zeche Zollverein
2.
Freitag, 9. Juni 2006 - in Düsseldorf:
Verabschiedung des Gesetzes zur kommunalen und regionalen Entwicklung in
Nordrhein-Westfalen durch den nordrhein-westfälischen Landtag
3.
Samstag, 20. September 2009 - in Dortmund:
Abschlussveranstaltung zur Landeswasserschau Nordrhein-Westfalen
4.
Samstag, 20. Oktober 2012 - in Bergisch-Gladbach:
Kongress „Zwischenstadt oder Wachstumspol?“
5.
Christi-Himmelfahrt, 14. Mai 2015 - in Aachen:
Karlspreisverleihung an die Idee des Kommunalen in Europa, verkörpert durch
die Bürgermeister aus allen europäischen Ländern
6.
Donnerstag, 6. April 2018 (Nachosterwoche) - in Nordkirchen:
Eröffnung des Wissenschaftskongresses „Vitale Stadt der Vielfalt“
7.
(Ascher-) Mittwoch, 17. Februar 2021 - in Bonn:
Verleihung des Wachstumsawards an die Bundesstadt Bonn und das ist kein Karnevalsscherz
8.
Freitag, 28. Juni 2024 - in Gütersloh:
Präsentation der durch einen Medienkonzern unterstützten Studie des Zukunftsrates Nordrhein-Westfalen zum Thema „Starke Regionen im Prozess“
9.
Donnerstag, 9. September 2027 - in Siegen:
Beginn des europäischen Kongresses zur Diskussion städtischer Zukünfte in der
Siegerlandhalle
Mittwoch, 20. März 2030 - in Essen:
Eröffnung der Weltausstellung EXPO auf dem Gelände
der Zeche Zollverein
In Nordrhein-Westfalen wird nichts mehr dem Zufall überlassen und so ist natürlich auch
das Datum mit Bedacht gewählt: Frühlingsanfang. Die Ministerpräsidentin - es handelt
sich bei ihr um eine attraktive 46jährige Mutter dreier Kinder, die bereits eine Karriere
als Vorstandschefin einer Dortmunder Hightech-Schmiede hinter sich hat - begrüßt die
30.000 Gäste aus Nah und Fern in fließendem Englisch. Hierbei verkneift sie sich aber,
das vermeintliche Bonmot „Glückauf“ mit „Luck-up“ (Deutsch: Lack-ab) zu übersetzen.
Sie ist die Urenkelin eines Bottroper Bergarbeiters und ihr Respekt vor der Vergangenheit der Region verbietet eine sprachliche Verballhornung des alten Bergarbeitergrußes.
Die Ministerpräsidentin ist stolz, ein Land präsentieren zu können, welches zu alter wirtschaftlicher Stärke und Blüte zurückgefunden hat. Zwar gehören Kohle, Stahl und Bier
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Blick zurück aus dem Jahre 2030
als wirtschaftliche Zugpferde schon lange der Vergangenheit an, aber neue Führungsindustrien, Informationstechnologie, Mikrosystemtechnik, Medizintechnik und regenerative Energieträger haben aus Nordrhein-Westfalen ein Musterbeispiel für den Strukturwandel werden lassen, auf den selbst die angereisten Ministerpräsidentinnen aus Bayern
und Baden-Württemberg mit einem gewissen Neid - aber auch mit Respekt - blicken.
Natürlich freut sich die Ministerpräsidentin, dass ihr Bundesland als Gastgeberin mehrere Millionen Menschen für eine gewisse Zeit begrüßen und beherbergen wird.
Auf dieses Ereignis ist seit Jahren hin gearbeitet worden. Nach der Fußballweltmeisterschaft im Jahre 2006 und den Olympischen Spielen im Jahr 2020 ist die EXPO 2030 das
dritte internationale Großereignis, welches dem Land Nordrhein-Westfalen und seinen
Kommunen weltweite Aufmerksamkeit und Anerkennung sichert. Das Bewerbungsverfahren um die EXPO ist spannend verlaufen. Bewerben durften sich nur Länder bzw.
Regionen und Standorte, die über eine ausreichende wirtschaftliche Prosperität verfügen
und darüber hinaus in exemplarischer Weise ihr Verständnis von Fortschritt, Zukunftsgestaltung und Nachhaltigkeit der Welt präsentieren können.
Nordrhein-Westfalen hat den Strukturwandel nicht nur erfolgreich
bewältigt, sondern es hat völlig neue und maßstabsetzende Interaktionsmuster und inhaltliche Zielsetzungen entwickelt, die weltweit
durchaus als vorbildlich angesehen werden können. Hierbei spielt
insbesondere die Stärkung der kommunalen und regionalen Entscheidungsebene eine zentrale Rolle. Im Ergebnis ist die Arbeitslosigkeit gesunken, die Bevölkerungszahl hingegen kontinuierlich
angestiegen, völlig gegen den noch im Jahre 2004 prognostizierten
Trend. Dies ist auf Zuwanderung von außen, aber auch auf eine Steigerung der Geburten zurückzuführen. Die neuen Führungsindustrien haben sich als wahre Jobmaschinen erwiesen und die Flexibilisierung der Arbeitszeiten und Arbeitsverhältnisse hat ein Übriges getan, so dass die Arbeitslosigkeit - ohne statistische Tricks - auf
grandiose drei Prozent real gesenkt werden konnte. Entsprechend ist
die soziale Situation im Land entspannt.
Im Hinblick auf die ökologische Entwicklung sind weitere Erfolge
erzielt worden. Das Münsterland ist von einer weiteren Zersiedlung
genauso geschützt worden wie das Rheinland vor den Folgen des
Kohlebergbaus. In der Region Ruhr ist mit dem Emscherlandschaftspark ein neuer international Beachtung findender Landschaftszusammenhang aus zweiter Hand entstanden, der die ökologische Wertigkeit der Region
deutlich erhöht hat. Das Sauerland sowie das Bergische Land haben sich als bundesweite Erholungsregionen etabliert, in denen insbesondere die ökologische Dimension für den
Zulauf von Touristen gesorgt hat.
Die Ministerpräsidentin berichtet nicht ohne Stolz von diesem Prozess und rät dem
Bundeskanzler, das nordrhein-westfälische Erfolgsmodell aus Konsens und Kooperation
auch auf die gesamte Bundesrepublik zu übertragen. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die Ermunterung sowohl durch die Frau Bundespräsidentin als auch durch die
Europäische Kommission, die auf einer viel beachteten Konferenz in Siegen im Jahre
2027 das nordrhein-westfälische Modell zum europäischen Best Practice ernannt hatte.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Vor allem aber wendet sich die Ministerpräsidentin an die Unternehmerschaft aus Europa und der Welt, die auch am heutigen Tage vielfältig vertreten ist. An der Spitze Lord
William Gates (früher wurde er nur Bill genannt); er ist nach der Zeremonie des Ritterschlags durch König William von England unmittelbar nach Essen gereist, um neue
Anlagesphären für sein IT-Imperium zu finden. Er greift dabei die alte Idee auf, seine
Europazentrale in der Ruhrregion zu etablieren, weil hier die Rahmenbedingungen noch
günstiger sind als in Süddeutschland. So hatte Dortmund beispielsweise weiterhin die
höchste Zahl von Ausbildungsplätzen im IT-Bereich an Hochschulen und sonstigen Bildungseinrichtungen. Aber auch die asiatische Geschäftswelt war vielfältig vertreten, die
ehemaligen Tigerstaaten hatten sich zu den globalen Lokomotiven der Weltwirtschaft
gemausert. Die diesen Prozess tragenden Unternehmen sind deshalb bestrebt, andere
Spitzenstandorte der globalen Wirtschaft für ihre Firmenstrategien zu erschließen.
Die Ministerpräsidentin hebt in ihrer Begrüßungsansprache besonders hervor, dass dieser offensichtlich weltweit anerkannte Weg Nordrhein-Westfalens eine Anstrengung von
Vielen war. Nicht nur Politik und Verwaltung, sondern auch Unternehmer, Bürgerschaft,
Verbände, Bürgerinitiativen und Einzelpersonen haben ihre Partikularinteressen zurückgestellt und in vielfältiger Weise neue strategische Allianzen gebildet, um einzelne
Projekte voranzubringen. Sie spricht in diesem Zusammenhang insbesondere das neue
kommunale und regionale Selbstbewusstsein an, mit dem die Probleme und die Zukunftsperspektiven angegangen werden.
Zum Abschluss ihrer Ansprache lädt die Ministerpräsidentin die Gäste ein, an den über
3.000 Veranstaltungen im gesamten Land teilzunehmen und sich von der wirtschaftlichen
und kulturellen Angebotsvielfalt des Landes zu überzeugen. Die Abschlussveranstaltung
wird im September 2030 mit einem großen Boots- und Schiffskorso auf den verschiedenen nordrhein-westfälischen Wasserstraßen erfolgen. Die Sternfahrten auf Rhein, Ruhr,
Emscher, Lippe, Ems und dem Kanalsystem werden im Duisburger Hafen enden. Zum
Schluss ihrer Ausführungen verweist die Ministerpräsidentin auf die kleinen DVD-Platinen, die an den Ausgängen erhältlich sind. Auf ihnen ist die Erfolgsgeschichte der nordrhein-westfälischen Kommunen und Regionen in Form einer Zeitreise dargestellt. Diese
schildert exemplarisch einige Stationen auf dem langen Weg zum Erfolg.
Begeisterter Applaus beendet die Rede und die Besucher streben zu den Klängen des
Essener Bandonionorchesters den verschiedenen Festzelten entgegen, in denen die lukullischen Spezialitäten der verschiedenen Regionen angeboten werden. Während sich die
Festgäste an den Köstlichkeiten erfreuen, wollen wir einmal nachlesen, was auf der
DVD-Platine zusammengestellt worden ist:
9. Juni 2006 - in Düsseldorf:
Auf der Tagesordnung des nordrhein-westfälischen Landtags
steht die 3. Lesung des „Gesetzes zur Förderung der Städte
und Regionen in Nordrhein-Westfalen“.
Dieses Gesetz war das Signal zu einem neuen Miteinander zwischen Landespolitik und
Kommunen sowie Regionen im Land. Der Landtag von Nordrhein-Westfalen hatte im
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Blick zurück aus dem Jahre 2030
Jahr 2004 den seinerzeitigen Bericht der Enquetekommission zur Zukunft der Städte in
Nordrhein-Westfalen zunächst als zu ambitioniert empfunden und deshalb mit einer
gewissen Skepsis entgegengenommen. Es wurde bemängelt, dass dem Land (Regierung
und Parlament) zuwenig direkte Steuerungs- und Einflussinstrumente durch die Kommission zugeordnet worden waren.
Gleichwohl - der partei- und ebenenübergreifende Konsens darüber, dass Land und Kommunen nur in einer arbeitsteiligen Kooperation die Voraussetzungen für wirtschaftlichen
Erfolg sowie sozialen und ökologischen Fortschritt schaffen könnten, setzte sich letztlich
bei den entscheidenden Akteuren in Land und Kommunen durch. Die kommunalen Spitzenverbände machten sich die Ergebnisse der Enquetekommission ebenso zu eigen wie
Vertreter von Bürgerinitiativen und der Wirtschaft. Gewerkschaften und Industrie- und
Handelskammern forderten die Einrichtungen von neuen Task-Forces, um für verschiedene Themenfelder Masterpläne für das ganze Land zu entwickeln. Hierbei sollten
„echte“ Experten aus Unternehmen, Kommunen, Landesverwaltung und Wissenschaft
sowie bürgerschaftlichem Engagement (Initiativen) mitwirken. Dies sollte sicherstellen,
dass sachbezogene Handlungsempfehlungen und Vorschläge auf den Tisch der politischen Beschlussfassung kamen und keine letztlich ineffektiven Formelkompromisse auf
Grundlage des kleinsten politischen Nenners. Integration von Expertenwissen und Versachlichung der Auseinandersetzung jenseits der Absicherung von Partikularinteressen
waren die Hauptbotschaften dieses neuen Politikmodells.
Inhaltliches Kernstück der Reform waren dann auch neun kommunalbezogene Task-Forces, die sich auf folgende Themen beziehen: Urbane Stadt, neue ökonomische Cluster,
Mobilität, Wohnen, Soziale Stadt, neue ökologische und öffentliche Räume, Regionale
Kooperation, Datenmonitoring, Infrastrukturrevision. Darüber hinaus wurden per
Gesetz 15 regionale Foren eingerichtet, die
zunächst einmal einen informellen
Regionstypus zum Gegenstand hatten. Je
nach Bewährung dieser Regionseinteilung,
die erst nach Abschluss einer Untersuchung zu den nordrhein-westfälischen Verflechtungsräumen bzw. Verflechtungsregionen endgültig definiert werden sollte,
stand eine abschließende Entscheidung an.
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang
war die Tatsache, dass man die Region Ruhr nicht als eine einheitliche Region zuschnitt,
sondern der zunehmend auch politisch anerkannten Binnendifferenzierung in ein rheinisches und ein westfälisches Teilstück Rechnung trug.
Die operative Steuerung dieses Prozesses wurde der Staatskanzlei angetragen, da man
hierdurch die Bedeutung der Aufgabe unterstreichen wollte. Es wurde fraktions- und parteiübergreifend vereinbart, dass dem Landtag jährlich zu berichten sei. Zusätzlich wurde
die Einrichtung eines neuen Landtagsausschusses unter Einbeziehung von externen
Experten befürwortet, um den zugegebenermaßen komplexen Prozess zu begleiten. Die
Hauptfunktion dieses Ausschusses sollte aus Sicht des Parlamentes darin liegen, die Landesverwaltung beim Abbau überholter Interventions- und Interaktionsmuster und bei der
Entwicklung innovativer Instrumente zu beraten und zu unterstützen.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Der nunmehr regierungsseitig vorgelegte Entwurf für das „Gesetz zur Förderung der
Städte und Regionen in Nordrhein-Westfalen“ orientierte sich in seinen Grundzügen an
diesen neuen Vorstellungen der Landespolitik und der sonstigen beteiligten Akteure. So
verpflichtete sich das Land in diesem Gesetz ausdrücklich zur Unterstützung regionaler
und kommunaler Initiativen durch die Einrichtung eines neuen Fonds jenseits der
üblichen Fördersystematik, aus dem besonders innovative Ansätze gefördert werden sollen. Die Entscheidung lag bei dem neu gebildeten Ausschuss. Das Vergabeprinzip sollte
dem Grundsatz „Stärken stärken“ bzw. „Tüchtige stärken“ folgen. Hierdurch sollten Spitzenleistungen der regionalen Entwicklung sichergestellt werden. Außerdem wurde in das
Gemeindefördergesetz ab dem Jahr 2007 ein dezentraler Raumfonds eingefügt, welcher
in einer Mischung aus Zweck- und Schlüsselzuweisung den Kommunen und Regionen
erlauben sollte, eigenständig Landesmittel im Rahmen vereinbarter Ziele einzusetzen.
Schnelligkeit, Flexibilität, Transparenz: Das waren die zentralen Elemente des neuen
Gesetzes, um aus einem eher schwerfälligen Interventionstanker alter Bauart eine Flotte
von wendigen Flaggschiffen zu den jeweiligen Themen zu entwickeln. Neue Förder- und
Interaktionsmechanismen sollten in so genannten Eins-zu-Eins-Modellen erprobt werden, um sie dann später auf das gesamte Land zu übertragen. Diese Experimentierklausel war auf besonderen Wunsch der Wirtschaft in das Gesetz aufgenommen worden.
Für Landesbeamte wurde in dem Gesetz eine neue Regelung eingeführt, dass diese im
Wege eines Praktikums jeweils mindestens ein halbes Jahr Berufserfahrung auf der kommunalen Ebene und in einem Privatunternehmen vorweisen müssen, um in eine B-Besoldungsgruppe aufzurücken. Zudem wurde durch eine Öffnungsklausel im Landesrecht
auch Vertretern aus Unternehmen und der kommunalen Ebene eine halbjährige Hospitationsoption eingeräumt. Diese Teilrotation wurde allgemein als sinnvoll erachtet, um der
Tendenz zur Abkapslung und den Rückzug in Nischen zu begegnen. Durch die Einblicke
in die jeweiligen Strukturen und Interaktionsmuster sowie durch die neuen persönlichen
Kontakte sollte eine bessere Voraussetzung für die Kooperation von Entscheidungsträgern unterschiedlicher Bereiche geschaffen werden.
Die Kernpunkte des Reformwerkes wurden mit dem Gesetz auf den Weg gebracht und es
trat am 1. Juli 2006 in Kraft.
20. September 2009 - Dortmunder Hafen:
Abschluss der Landeswasserschau Nordrhein-Westfalen
900 Schiffe können einen Höllenlärm veranstalten. Das stellte das ohrenbetäubende Konzert von Sirenen, Schiffsglocken und Signalhörnern eindrucksvoll unter Beweis, als sie
den Startschuss für die Abschlussveranstaltung der ersten Landeswasserschau lautstark
einläuteten. Über 900, fast tausend Schiffe an einem Tag - das hatte der größte europäische Kanalhafen trotz seiner 110jährigen Geschichte noch nicht erlebt. Der Hafendirektor dachte über einen Eintrag ins Guinessbuch der Rekorde nach. Gefeiert wurde der vorläufige Abschluss einer freiwilligen regionalen Initiative auf der Basis kommunaler
Selbstverwaltungshoheit. 17 Städte und zwei Kreise hatten sich vor über zehn Jahren in
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einer bis dahin beispiellosen Weise zusammengefunden, um ihrer Region von Dorsten bis
Hamm und Haltern bis Dortmund ein neues Profil als Venedig Westfalens zu geben.
Auf diesen Tag hatten hunderte wenn nicht tausende Menschen in der Region über Jahre
hingearbeitet. Übergreifendes und zentrales Element der Konzeption von „Fluss Stadt
Land“ war und ist das Wasser. Schließlich verfügt die Region über das dichteste Wasserstraßennetz in Europa. Zusammen mit der Emscher und der Lippe bilden die Wasserstraßen das Rückgrat der Region. Kanäle und Flüsse sind nicht nur Spiegelbilder der industriellen Vergangenheit, sondern sie wurden auch zu Kristallisationspunkten für die
Zukunftsgestaltung. Die Kraft des Wassers, die besonderen Qualitäten und Entwicklungspotenziale der Flüsse und Kanäle und ihre Ränder als urbane Lebensräume sollten ins
Bewusstsein der Region gerückt werden. Ziel dieser Initiative war es, unter dem Motto
„Wasser verbindet“, diese Qualitäten zu nutzen, um neue Aufenthalts- und Stadtqualitäten in der Region zu entwickeln. Gerade vor dem Hintergrund rückläufiger Bevölkerungszahlen im Ruhrgebiet galt es zudem, neue und attraktive Wohnmöglichkeiten in der
Region zu schaffen. Doch auch der Gewerbe- und Dienstleistungssektor wurde angesprochen. Auf nicht mehr genutzten Industriestandorten sollten am Wasser ebenso attraktive wie innovative Unternehmen angesiedelt und Arbeitsplätze geschaffen werden. Die
damalige Vision: Wohnen und Arbeiten am Wasser mit Freizeit- und Wassersportangeboten sowie weiteren touristischen Angeboten in attraktiver Weise verbinden.
In der Auftaktpräsentation im Jahre 2003 wurden drei Themen in den Vordergrund
gestellt: „Stadt ans Wasser“, „Freizeit am und auf dem Kanal“ sowie „Natur und Landschaft erleben“. Damals konnten schon eine Reihe von ambitionierten Projekten vorgestellt werden, wie etwa die Wasserstädte auf früheren Zechenstandorten wie Haus Aden
in Bergkamen und Emscher-Lippe in Datteln oder auch das Neue Stadtquartier Graf
Bismarck in Gelsenkirchen. Auch ehemalige Kanalhäfen wie der Preußenhafen in Lünen
oder der Stadthafen Recklinghausen und der Stadthafen Dortmund wurden als Beispiele
für eine Entwicklung in der Region präsentiert, die sich auf Dienstleistungen, Freizeitund Kulturwirtschaft sowie Urbanität im Zusammenhang mit Wasser ausrichtete. Im
Zusammenhang mit dem Thema „Freizeit am und auf dem Kanal“ wurden vorhandene
Ansätze einer freizeitorientierten und kulturtouristischen Erschließung der Kanäle aufgegriffen und konzeptionell auf die Erfordernisse der Region abgestimmt. Sowohl das
Konzept zum Ausbau des Sportboottourismus in der Region als auch die Schaffung von
Kanalstrandbädern und der Ausbau des Charterboottourismus dienten einer Popularisierung der Freizeitgestaltung im Kanalzusammenhang. Unter dem Motto „Natur und Landschaft erleben“ wurden schon im Nachgang zur Internationen Bauausstellung Emscherpark die besonderen Natur- und Landschaftspotenziale herausgearbeitet. Unterschiedliche Strukturen wie Industriebrachen und bäuerliche Kulturlandschaften, bewaldete Halden, Moore und Auen vereinen sich in der Region zu einem vielfältigen Landschaftsbild,
welches zu erhalten und weiterzuentwickeln war. Insgesamt waren schon in der Auftaktpräsentation im Rahmen von über 200 Veranstaltungen rund 600.000 Menschen
zusammengekommen und ließen sich von den Ideen für die Zukunft ihrer Region begeistern.
Aufbauend auf diesem beachtlichen Anfangserfolg machte sich eine Vielzahl von Akteuren ans Werk: Wassersportvereine, Hochschulen, private Investoren, Wasser- und Schiff373
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fahrtsverwaltung, Kulturschaffende, Freizeitaktivisten, Politiker, Verbandsvertreter - sie
alle arbeiteten vor Ort an Projekten weiter, setzten erste Spatenstiche, feierten gemeinsam und genossen z.B. den Sonnenuntergang am Halterner See ebenso wie am Schiffshebewerk Henrichenburg, stornierten ihren Floridaurlaub und machten stattdessen lieber
eine Paddeltour auf der Lippe.
Auf dem Weg zur Zwischenpräsentation im Jahr 2006 waren viele Projekte in die Verwirklichung gegangen. Der Lippe-See in Hamm genauso wie der Phoenix-See in Dortmund-Hörde. Haldenstandorte waren weiterentwickelt worden zu echten Höhepunkten
der Region, die von Wassersporttouristen als willkommene Abwechslung ihrer Wasserstraßentrips gesehen wurden. Gipfelglück auf der Halde mit garantierter Fernsicht auf die
Region Nummer Eins in Europa in Kombination mit Industriekultur und Bergarbeiterromantik entpuppte sich bei vielen Reiseveranstaltern als heimlicher Renner. So wurde der
Tourismus in der Region zu einer ungeahnten Arbeitsplatzmaschine. Schon bei der
Zwischenpräsentation im Jahre 2006 zeigte sich, dass ein völlig neues, sehr pragmatisches Akteursnetzwerk ohne großen finanziellen Einsatz Vieles ausgelöst hatte. Die private Investitionsbereitschaft war durch die Neuprofilierung der Region deutlich beflügelt
worden. Ehemals unattraktive Kanalrandzonen waren neu belebt, im Zusammenhang mit
der Emscherrenaturierung waren viele neue ökologie- und freizeitbezogene Potenziale
entdeckt und entwickelt worden.
In der ersten Landeswasserschau in Nordrhein-Westfalen sollte nun Bilanz gezogen werden. Schon heute war klar, dass diese Landeswasserschau Tradition werden würde. Sie
sorgte dafür, dass das Thema Wasser auch bei der 2030 stattfindenden Weltausstellung
ein zentrales Präsentationselement geworden ist. Mit der Präsentation im Jahr 2009 wurden nicht nur die zwischenzeitlich fertiggestellten neuen Wasserflächen Lippe- und
Phoenix-See bewundert und genutzt, auch die renaturierten Abschnitte im Oberlauf der
Emscher vornehmlich auf Dortmunder Stadtgebiet wurden von neugierigen Besuchern
der emscherabwärtigen Region geradezu
gestürmt. Sie konnten hier erleben, was in
ihren Städten auf dem Weg nach Dinslaken
noch entstehen sollte - und sie waren
begeistert. In Gelsenkirchen-Bismarck
waren die ersten Wohnungsneubauten fertig gestellt, in Castrop-Rauxel konnte das
erste große Kanalstrandbad von tausenden
Besuchern „angebadet“ werden.
Der „Tag des deutschen Rudersports“, der
regelmäßig im Mai stattfindet und mit dem
deutschlandweit offiziell die Rudersaison
eröffnet wurde, fand genauso wie das nationale Wanderrudertreffen in der Region statt.
Beide Veranstaltungen zogen Ruderer aus ganz Deutschland an. Es war insbesondere
dem Vorsitzenden des RC Germania Dortmund zu verdanken, dass er sich beim Deutschen Ruderverband für die Durchführung dieser beiden Veranstaltungen in der Region
eingesetzt hatte. Er hatte die 75-Jahrfeier seines Vereins im Jahr 2004 für erste Kontaktaufnahmen genutzt und war nach anfänglicher Überraschung auf hohe Zustimmung bei
den Verbandsfunktionären gestoßen. Rudern in dieser Form und in solch einer ehemals
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industriell geprägten Umgebung war eine absolute Innovation und wurde daher als mögliche motivierende Attraktion dieser traditionsreichen Veranstaltung angesehen. Die
Begeisterung war so groß, dass sogar in England angefragt wurde, ob das traditionelle
Ruderrennen zwischen den Universitätsachtern von Oxford und Cambridge nicht ausnahmsweise einmal in Deutschland stattfinden würde. Auch hier wurde überraschend
zugestimmt, da die Engländer einmal auf dem Kontinent ausprobieren wollten, ob man
nicht auch durch solch einen Traditionsbruch das Zusammenwachsen Europas fördern
könnte.
Bis zum 20. September 2009, dem Abschluss der Landeswasserschau, waren über drei
Millionen Menschen zu den Veranstaltungen geströmt und hatten eine auch von den
Medien getragene Begeisterung ausgelöst, die nur noch von dem regionalen Aufruhr
übertroffen wurde, als zum gleichen Zeitpunkt Schalke 04 endlich Deutscher Meister
wurde und Borussia Dortmund 09 pünktlich zum 100jährigen Vereinsjubiläum die
Champions League gewonnen hatte. Insofern hatte sich das Jahr 2009 als durchaus starkes Jahr für die Region gezeigt. Die nationale Medienberichterstattung nahm dieses
durchaus, wenn auch etwas widerstrebend, zur Kenntnis. Die vermeintlichen Schmuddelkinder aus der Ruhrregion hatten sich offensichtlich auf den Weg gemacht, im Vertrauen auf eigene Stärke und unter Einsatz aller Kräfte, die Zukunft zu gewinnen. Das
war weder in den Redaktionen in München noch in denen in Hamburg für möglich gehalten worden. Es gab dort erste Versetzungsanträge zu den neu eingerichteten Regionalredaktionen in Recklinghausen und Dortmund. Insbesondere die Jüngeren wollten einen
derart spannenden Prozess live vor Ort miterleben und davon berichten.
Samstag 20. Oktober 2012 in Bergisch Gladbach:
Eröffnung des Kongresses: „Bergisch Gladbach Zwischenstadt oder Wachstumspol?“
Der kürzlich neugewählte Bürgermeister von Bergisch-Gladbach freute sich. Trotz des in
unmittelbarer Nachbarschaft stattfindenden Zweitliga-Top-Spiels zwischen dem 1. FC
Köln und Bayer Leverkusen waren 600 Gäste seiner Einladung gefolgt, um über das
Thema „Bergisch-Gladbach Zwischenstadt oder Wachstumspol?“ zu debattieren. Er hatte
sich mit diesem Thema in unterschiedlicher Weise intensivst beschäftigt und wesentlich
dazu beigetragen, dass man den neuen räumlichen Entwicklungsmustern auf kommunaler Seite auch durch neue Raummodelle begegnet.
Der Begriff der Zwischenstadt war von Prof. Dr. Thomas Sieverts durch eine vielbeachtete Fachpublikation Ende der 1990er Jahre in die Diskussion eingebracht worden. Schon
die Interpretation seiner damaligen Ausführungen führte zu einem regen Disput in der
Fachwelt. Diskutiert wurde insbesondere, ob Sieverts sich im Wesentlichen als Apologet
und Vertreter der Zwischenstadt positioniert habe, oder ob er eher als ein Kritiker der
vielfältigen Dezentralisierungstendenzen aufgetreten sei, die letztlich den neuen Raumtypus der Zwischenstadt hervorgebracht hatten. Verfechter des zentral-örtlichen Gliederungssystems standen den Befürwortern der „Abstimmung mit den Füßen“ unversöhnlich gegenüber. Während auf der einen Seite die Entstehung der Zwischenstadt als
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„Dolchstoß für die Kernstädte“ empfunden wurde, begrüßten andere Diskutanten die
Hinwendung zur anthropologisch vertretbaren Dichte, für die sowohl Desmond Morris in
seinem vielbeachteten Werk „Der Menschenzoo“ als auch Prof. Hanns Adrian in seiner
Zeit als Frankfurter und Hannoveraner Planungsdezernent plädiert hatten. Die Diskussion kreiste aber nicht nur um Dichtewerte, sondern auch um Fragen des Finanzausgleichs, der Infrastrukturrevision, der sozialen Segregation, der regionalen Mobilitätsentwicklung und der Freirauminanspruchnahme.
Zu Beginn des neuen Jahrhunderts hatte die landesseitig zu verantwortende Gebietsentwicklungsplanung ihren Steuerungsanspruch insbesondere im Rheinland weitestgehend
aufgegebenen. Dies wurde seinerzeit mit der nach wie vor starken Stellung des dominierenden Oberzentrums Köln begründet. Insofern wurden Stützungsmaßnahmen für die
größte Stadt des Landes als entbehrlich erachtet und es wurde im Ballungsrand bei der
Bereitstellung von Wohnbauland und Gewerbeflächen eher dem Drängen der lokalen
Politik und der Wirtschaftsverbände nachgegeben. Hiermit wollte man insbesondere auch
die Stärkung des Rheinlands als Gesamtregion weiter voranbringen.
Eine Stadt wie Bergisch Gladbach profitierte von diesem Standpunkt außerordentlich.
Ihr war es gelungen, nicht nur als eine der reichsten Städte gemessen an dem Einkommen pro Einwohnerzahl in die bundesweite Statistik auf Platz zwei hinter München einzugehen, sondern sie konnte auch ganz gegen den Trend durch Zuwanderung einkommensstarker Bevölkerungsgruppen und durch die erfolgreiche Ansiedlung von zukunftsorientierten Unternehmen bis zum Jahre 2010 einen ganz erheblichen Zugewinn an
Bevölkerung und Arbeitsplätzen verzeichnen. Mit anderen Worten: Bergisch-Gladbach
war ein absolutes Erfolgsmodell für die kommunale Entwicklung.
Kein Wunder also, dass die Bergisch-Gladbacher Kommunalpolitik und auch die Verwaltungsspitze ihre Version von Zwischenstadt als Zukunftsmodell und als Hoffnungsträger auch für andere Kommunen ansahen. In der Bevölkerung gab es zwar einzelne
skeptische Tendenzen, aber abgesehen von zwei sehr hartnäckigen Bürgerinitiativen, die
sich gegen die Bebauung eines für die Naherholung wichtigen Feuchtbiotops zur Wehr
gesetzt hatten, war die generelle Entwicklung auf eine positive Bewertung durch die
Bevölkerung gestoßen.
Die Erfolgsgeschichte seiner Stadt trug der neue Bürgermeister nicht ohne Stolz im
Grand-Hotel Schloss Bensberg den aufmerksamen Zuhörern vor. Er gab allerdings zu
bedenken, dass die eigene Erfolgsgeschichte nicht ohne weiteres auf andere Städte zu
übertragen sei und eröffnete damit auch die Debatte.
Noch bevor der zwischenzeitlich emeritierte Prof. Sieverts jedoch das Wort zu seinem
Festvortrag erheben konnte, meldete sich die örtlichen Vorsitzende von Bündnis 90/Die
Grünen zu Wort. Sie protestierte lautstark dagegen, dass bei der Darstellung des Bergisch-Gladbacher Erfolgsmodells die negativen Begleiterscheinungen völlig verschwiegen würden. So habe der Freiflächenanteil in der knapp über 80 Quadratkilometer großen Stadt in den letzten zehn Jahren deutliche Einbußen erlebt. Sie äußerte Kritik
darüber, dass der Straßenneubau ganz erhebliche kommunale Finanzanstrengungen nach
sich gezogen habe, so dass der städtische Haushalt heute in einem eher desolaten Zustand
sei. Auch wurde von ihr bemängelt, dass die ehemals hervorragende Infrastrukturaus376
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stattung mit dem rasanten Bevölkerungsanstieg nicht habe Schritt halten können. Die
erforderlichen Anpassungsprozesse seien nicht in der notwendigen Form vorgenommen
worden. Vereinzelter Beifall aus dem Auditorium unterstützte diesen Zwischenruf.
Wesentlich mehr Beifall erhielt Sabine Christiansen als Moderatorin für ihren Vorschlag,
zunächst Herrn Prof. Sieverts das Wort zu geben, damit dieser in einer Reflektion seine
seinerzeitigen Thesen einer aktuellen Bewertung unterziehen könne, um dann auf dieser
Grundlage mit Praktikern aus den anderen Städten zu diskutieren. Sie begrüßte in diesem
Zusammenhang auch den gerade eingetroffenen Minister für Landesplanung, Stadtentwicklung und Verkehr, der es sich nicht nehmen lassen wollte, bei dieser bedeutsamen
Konferenz zuzuhören und mitzudiskutieren. Es handelte sich bei ihm um einen alten
Bekannten des Bürgermeisters, da sie zusammen in der angesprochenen Enquetekommission gearbeitet hatten.
Sieverts - sichtlich gealtert, aber immer noch mit viel Esprit ausgestattet - bedankte sich
zunächst herzlich für die Einladung, aber auch für die Beiträge der Zwischenruferin. Er
sei noch immer sehr an einem lebhaften und auch durchaus kontroversen Disput über die
Frage der Zwischenstadt interessiert. Dies belege eindrucksvoll, dass die von ihm auf den
Weg gebrachte Diskussion um die Zwischenstadt nach wie vor aktuell sei. Bevor er sich
zu den qualitativen Bewertungen äußern wolle, würde er zunächst einmal einige Daten,
die er frisch aus dem Monitoringsystem des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik gezogen habe, auflegen. Hierin würde deutlich, dass die vom LDS schon im Jahre
2004 prognostizierte Entwicklung im
Grundsatz anhalte: dass nämlich die Kreise
im Einzug der Ballungsräume als Gewinner der regionalen Bevölkerungsentwikklung anzusehen seien. So hätten beispielsweise die Kreise Siegburg und Unna die
höchsten Zuwächse verzeichnet durch
Zuzug aus den Ballungskernen. Mit Ausnahme von Bonn, Dortmund, Bottrop, Mülheim sowie Mönchengladbach und mit
Abstrichen Münster seien alle größeren
Städte nach wie vor von einem ganz erheblichen Bevölkerungsverlust geprägt. Zwar sei es für die Stadt Hagen nicht so schlimm
gekommen, wie seinerzeit prognostiziert, und auch Gelsenkirchen und Wuppertal hätten
sich besser geschlagen, aber ihnen allen sei ein Bevölkerungsrückgang von rund acht
Prozent gemein und auch die anderen Städte des Ballungskernes oder auch solitäre Verdichtungen hätten ganz erhebliche Einbußen letztlich zu verzeichnen gehabt.
Prof. Sieverts nimmt das zum Anlass, sowohl Politik als auch Verwaltung und Wirtschaft
in den Großstädten nachdrücklich aufzufordern, die nach wie vor offensichtlich existierende Versorgungs- ja sogar Bettlermentalität im Hinblick auf öffentliche Fördermittel
abzulegen. Im Jahr 2012 müsse es angesichts der angespannten öffentlichen Haushaltslage und der nicht mehr verlängerten Strukturfondsmittel der Europäischen Kommission
nun auch dem Letzten klar geworden sein, dass das Blicken auf öffentliche Mittel in den
Ballungskernen im Prinzip nur den Blick auf die eigentlich notwendigen Handlungsstrategien verstelle. Zur Überraschung der Zuhörer plädierte Prof. Sieverts für einen ganz
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erheblichen Bürokratieabbau - diese Äußerung brachte ihm lautstarke Buh-Rufe einiger
Planungsamtsleiter und von Vertretern der Umweltverbände ein - und für die Dezentralisierung von Entscheidungsprozessen. Die durch das nordrhein-westfälische Gesetz zur
Förderung der Kommunen und Regionen im Jahr 2006 auf den Weg gebrachten Reformen und Innovationen seien nur halbherzig ausgestaltet und genutzt worden. Er kritisierte insbesondere, dass sich die Landesadministration bisher nicht in geeigneter Weise als
Kooperationspartner der kommunalen und regionalen Ebene profiliert habe. Das wolle er
insbesondere dem gerade eingetroffenen Minister für seinen Verantwortungsbereich ins
Stammbuch schreiben. Der Minister nickte heftig.
Sabine Christiansen dankte für diesen Vortrag und leitete über zur Nachfolgerin von
Ernst Löchelt, dem legendären Bottroper Oberbürgermeister, der unter anderem in der
Abwehr der Kunststadt „Glabotki“ im Rahmen der kommunalen Neugliederung Mitte
der 1970er Jahre seine ersten kommunalpolitischen Sporen verdient hatte.
Seine Nachfolgerin war zwischenzeitlich nach ihrer Wahl 2004 aus seinem Schatten
getreten und hatte insbesondere vor dem Hintergrund der bei ihr angesiedelten Freizeitindustrie erhebliche Fortschritte in der wirtschaftlichen und haushaltsmäßigen Konsolidierung verzeichnen können. Gleichwohl trat sie auf dem Kongress als Skeptikerin des
Zwischenstadtmodells auf. Zwar sei es unbestritten, dass gerade Bottrop von der Zuwanderung aus dem mittleren Ruhrgebiet erheblich profitiert habe. Doch sei dies zu Lasten
der Freiraumqualitäten gegangen, die Bottrop immer als Stadt im Grünen hätten erscheinen lassen. Insbesondere in den nördlichen Stadtteilen Grafenberg und Kirchhellen seien
für die Naherholung und für den Natur- bzw. Landschaftsschutz notwendige und sinnvolle Freiflächen verlorengegangen. Dies hätte wiederum eine Abwanderung aus diesen
Bereichen der Stadt weiter nach Norden ins Münsterland nach sich gezogen. Es sei deutlich erkennbar, dass eine übertriebene Siedlungsflächenentwicklung auch negative
Nebenwirkungen mit sich bringe. Froh sei sie, dass es neben dem Kinder- und Freizeitparadies Schloss Beck mittlerweile in einem weiteren Anlauf gelungen sei, einen Nachfolger für die Anlage Movie World der Warner Brothers zu gewinnen. Allerdings sei hier
auch deutlich geworden, dass es offensichtlich auf Landesebene einer stärkeren Steuerung von Freizeit- und Entertainmentangeboten bedarf. So habe sich negativ bemerkbar
gemacht, dass sowohl im mittleren als auch im östlichen und westlichen Ruhrgebiet
unterschiedlichste neue Freizeitangebote geschaffen worden sind, um die Kernstädte zu
sanieren. Hierbei sei aber völlig übersehen worden, dass schon vorher im Ballungsrand
eine entsprechende Angebotssituation geschaffen worden sei. Insofern müsse sie hier
deutlich darauf hinweisen, dass diese Einrichtungen doch durch entsprechende landespolitische Initiativen vor unbotmäßiger Konkurrenz aus den Kerngebieten und aus den
Kernstädten geschützt werden müssten.
Der Kongress ging bis in den Abend und wurde dann durch den Bürgermeister mit dem
Appell abgeschlossen, die Diskussion aufrecht zu erhalten. Er forderte seine Bottroper
Amtskollegin auf, den nächsten Kongress doch auf dem Freizeitpark in Bottrop-Kirchhellen durchzuführen. Diese sagte einen Folgekongress im Jahre 2013 zu, um die Fragen
noch einmal intensiver und aus einem anderen Blickwinkel zu beleuchten. Prof. Sieverts
bat um eine Einladung.
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Christi-Himmelfahrt 14. Mai 2015 - Krönungssaal zu Aachen:
Karlspreisverleihung an die Idee des Kommunalen in Europa,
verkörpert durch die Bürgermeister aus allen europäischen
Ländern
Der ehemalige Präsident des Europäischen Parlamentes, der Ire Pat Cox, freute sich.
Endlich konnte er einmal wieder in Aachen sein. Seit der Verleihung des Karlspreises an
ihn am 20. Mai 2004 im Krönungssaal des Aachener Rathauses war er nicht mehr in die
alte Kaiserstadt gekommen. Nun war er also endlich wieder in Aachen, weil der internationale Karlspreis in diesem Jahr wiederum nach Europa ging. In diesem Jahr sollte im
Unterschied zu 2004, als das Europäische Parlament geehrt wurde, die kommunale
Ebene als wesentlicher Motor des europäischen Einigungsprozesses geehrt werden. Die
Tradition der europäischen Kooperation auf kommunaler Ebene geht bis zur Hanse
zurück. Sie erfuhr trotz der vielfältigen kriegerischen Auseinandersetzungen gerade in
Mitteleuropa immer wieder eine Renaissance. Auch der Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) stellte in der Vergangenheit ein willkommenes Forum für den
innereuropäischen Dialog dar. Doch erst mit der im Jahr 2004 vollzogenen EU-Erweiterung war die Grundlage gelegt, zwischen ost- und westeuropäischen Kommunen die
Zusammenarbeit zu verbessern.
Die Liste der Themen, die sowohl die Europäische Union, als auch die Kommunen
beschäftigen, ist lang und vielfältig: Öffentlicher Personennahverkehr, Abfallentsorgung,
Umweltschutzvorgaben, Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, Kulturprogramm
etc. Die Rechtssetzungstätigkeit durch das Europäische Parlament ist für die Kommunen
und die Menschen von großer Bedeutung, weil sie die Art und Weise, wie die kommunalen Dienstleistungen zu erbringen sind, erheblich verändern können. Nachdem das
Europäische Parlament in der Vergangenheit in einer Reihe wichtiger Initiativen den
Interessenlagen der Kommunen entgegengekommen war, hatten die Kommunen ihrerseits begonnen, die sie interessierenden Fragestellungen durch Netzwerke, wie Eurocities
und Städtepartnernetzwerke, zu behandeln. Vor diesem Hintergrund entschied sich das
Karlspreisdirektorium für die Verleihung an die kommunalen Praktiker aus allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Hiermit soll insbesondere gewürdigt werden, dass
die Kommunen mit den Möglichkeiten, die ihnen der Verfassungsvertrag in Sachen
kommunaler Selbstverwaltung und Stärkung des Subsidiaritätsprinzips einräumt, auch
wirklich konstruktiv und intensiv ausgeformt haben. Wenn das Karlspreisdirektorium in
der Vergangenheit in erster Linie Einzelpersonen oder Gesamteuropäische Institutionen
geehrt hatte, sollte diesmal ein Gruppen-Ansatz herausgestellt werden.
In der Laudatio durch den ehemaligen Karlspreis-Preisträger Bill Clinton wurde denn
auch deutlich, dass offensichtlich die allgemein geltende Verwaltungsfreiheit zu sehr
unterschiedlichen kommunalen Organisationsformen und Problemlösungsstrategien
geführt hat. Gerade auf der kommunalen Ebene gibt es Spielräume, die interessante innovative Ansätze für die kommunale Daseinsvorsorge erlauben. Es war dann auch Bill Clinton vorbehalten, seine Bewunderung für die kommunale Gestaltungsvielfalt zu bezeugen.
Unter Zuhilfenahme einer bei der Europäischen Kommission geführten Best-PracticeDatenbank zeichnete Clinton ein lebendiges Bild kommunaler Gestaltungsmöglichkeiten.
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Zu Beginn seiner Ausführungen erklärte er lächelnd, er werde der gegenwärtigen amerikanischen Präsidentin - seiner Frau Hillary - die im Zusammenhang mit dieser Preisverleihung gewonnenen Erkenntnisse ans Herz legen, damit vielleicht auch in den Vereinigten Staaten an der einen oder anderen Stelle die kommunale Selbstverwaltungshoheit so
gestärkt werde, dass sich die Lebensbedingungen der Menschen in den Städten nicht nur
aufgrund von nationalen oder bundesstaatlichen Initiativen verbessern, sondern auch aufgrund ganz konkreter kommunaler Initiativen. Sehr zum Gefallen von Pat Cox kam Clinton zunächst auf das irische Beispiel zu sprechen.
Er selber sei bekanntlich irischer Herkunft und daher auch prädestiniert, hier mit seinen
Ausführungen zu beginnen. So betonte er, dass die irische Erfolgsgeschichte am Rande
Europas im Wesentlichen auf eine geglückte Kombination europäischer und nationalstaatlicher Rahmensetzung mit lokalen Impulsen zurückzuführen sei. Er beschrieb am
Beispiel Dublins, wie hier entlang des Flusses Liffey eine Wiederbelebung ehemals
gewerblich und kleinindustriell genutzter Flächen durch kulturelle Angebote und darauf
aufbauende Folgenutzungen gelungen sei. Als Europäische Kulturhauptstadt in der ersten
Hälfte der 1990er Jahre habe Dublin wesentliche Weichenstellungen vorgenommen und
insofern auch ein gelungenes Beispiel aus öffentlicher und privater Kooperation zum
Wohle des Ganzen geliefert. Clinton hob in diesem Zusammenhang auch hervor, dass die
irischen Erfahrungen sehr eindrucksvoll belegten, dass man bei einer Vorwärtsstrategie
neben den wirtschaftlichen auch die sozialen und ökologischen Gesichtspunkte berükksichtigen müsse. So habe ihm die ehemalige irische Präsidentin Mary Robinson sehr
deutlich gemacht, dass es immer um integrierte Strategien gehen müsse, die die Menschen an der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung beteilige.
Clinton fuhr in seinem Vortrag fort, dass man im Hinblick auf die Entfaltung wirtschaftlicher Dynamik auch von den südeuropäischen Ländern lernen könne. So habe das Beispiel der iberischen Halbinsel belegt, dass
es im Nachgang zu Diktaturen eine Generation benötige, bis die gesellschaftlichen
Kräfte in der Lage seien, einen wirtschaftlichen Fortschritt in den verschiedenen
Ebenen so erfolgreich zu gestalten, dass
letztlich der gesamte Lebenszusammenhang hiervon profitiert. Nachdem Clinton
das Beispiel Spaniens gestreift hatte, vertiefte er die entsprechenden portugiesischen Erfahrungen. Er bezog sich in diesem Zusammenhang auf die Folgewirkungen der EXPO Weltausstellung von 1998. Es sei gelungen, eine Stadt im Hinblick auf
ihre infrastrukturelle Ausrichtung so zu optimieren, dass sie einen langfristigen wirtschaftlichen Aufschwung genommen habe. Es sei in erster Linie das Engagement der
Kommunalverwaltungen gewesen - in der Regel personifiziert durch den jeweiligen
Oberbürgermeister - welches deutlich zum sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt beigetragen habe. So seien heute neben dem Tourismus und dem Dienstleistungsbereich
gerade in der Region Lissabon die industriellen Entwicklungs- und Produktionszusammenhänge besonders wettbewerbsfähig.
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Clinton verwies auf erfolgreiche private Investitionen im Nachgang zur EXPO, wie beispielsweise das Einkaufszentrum Vasco da Gama. Er hob aber gleichzeitig hervor, dass
auch die Anstrengungen im Umweltschutz dazu beigetragen hätten, dass die zwischenzeitlich eingetretene Situation in keiner Weise mehr zu einer Beanstandung Anlass gäbe.
Die europäischen Randstaaten seien ohnehin diejenigen, die in den letzten Jahren die
dynamischste Entwicklung durchgemacht hätten, das träfe insbesondere auf die osteuropäischen Staaten zu. An erster Stelle nennt Clinton hier die baltischen „Tigerstaaten“
Litauen, Lettland und Estland, wo er die stärksten wirtschaftlichen Impulse, aber auch die
stärksten Modernisierungsprozesse wahrgenommen habe. Festgemacht am Beispiel Tallin illustrierte Clinton, dass es hier zum einen gelungen sei, die historische Altstadt zu
revitalisieren und im Prinzip der Bevölkerung zurückzugeben. Gleichzeitig sei aber auch
eine Integration unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen in Tallin durch entsprechende
Integrationsprogramme und vor dem Hintergrund der erfreulichen ökonomischen Entwicklung herbeigeführt worden. So sei insbesondere der Neubau der ehemals für russische Zuwanderer erstellten Trabantensiedlung Lasnamäe ein hervorragendes Beispiel für
die Möglichkeiten durch integrierte städtebauliche Maßnahmen auch zu einer sozialen
und kulturellen Integration unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen und zu einem friedlichen Neben- bzw. konstruktiven Miteinander der verschiedenen Bevölkerungsgruppen
zu kommen. Diese Maßnahme sei übrigens mit europäischen Fördermitteln aus dem Ziel
III Programm unterstützt worden! Hiervon könnten insbesondere die zentral-europäischen Staaten noch Einiges lernen.
Zum Ende seiner Ausführungen bat Clinton gemeinsam mit dem Aachener Stadtoberhaupt die 25 Vertreter von europäischen Kommunen zur Ehrung auf die Bühne. Nach diesem Festakt wurden die Gäste zu der sich anschließenden Feier in das Haus für Musik
eingeladen. Dieses im Jahre 2007 eingeweihte Konzerthaus war das erste in Deutschland
ausschließlich aus Stiftungsgeldern errichtete Gebäude seiner Art, das heute zudem
durch eine private Stiftung betrieben wird. Hier fanden die Festgäste den geeigneten
Rahmen, die unterschiedlichen kommunalen Erfahrungen aus den verschiedenen europäischen Blickwinkeln auszutauschen. In der Bewertung bestand Einigkeit: Ein Europa
ohne starke Kommunen schwächt sich selbst. Insofern müssen die Anstrengungen im
Sinne der kommunalen Selbstverwaltungshoheit und der erforderlichen Ressourcenausstattung der kommunalen Ebene auf allen Entscheidungsebenen aufrechterhalten werden.
Donnerstag, 6. April 2018 (Nachosterwoche) - in Nordkirchen:
Eröffnung des Wissenschaftskongresses „Vitale Stadt der Vielfalt“
Es hatte als Geistesblitz angefangen: Der Gedanke, einen großen Wissenschaftskongress
in Nordkirchen im Herzen des Münsterlandes durchzuführen, um das Thema „Vitale
Stadt der Vielfalt“ von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Natürlich konnte solch eine
Idee nur ein Nordkirchener haben: Als mittlerweile emeritierter Professor hatte er einfach
Freunde und Bekannte von früher eingeladen, um mit ihnen über den Stand der Dinge
und die Lage der Nation in urbaner Hinsicht zu reflektieren. Es waren alle gekommen:
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sowohl die alten Mitstreiter aus dem Wissenschaftsbetrieb, Vertreter der Politik als auch
des Unternehmerlagers. Selbst Prof. Dr. Karl Ganser, ehemaliger Direktor der IBA
Emscherpark, war aus dem Bayerischen angereist.
Insbesondere die ökonomische Seite war es gewesen, die dem Professor in seiner aktiven
Lehr- und Forschungszeit besonders interessiert hatte. Und es war sehr viel in Bewegung
geraten. Die großen wirtschaftlichen Produktionszusammenhänge hatten sich weitgehend aufgelöst. Weite Teile des Münsterlandes waren durch das Fegefeuer der Strukturkrise gegangen. In noch viel größerem Maße hatte sich aber die ehemals montan geprägte Wirtschaft des Ballungsraumes Rhein-Ruhr einem fundamentalen Paradigmenwechsel
unterziehen müssen. Diese Prozesse hatten zu einem gemeinsamen Ergebnis geführt: Die
wirtschaftliche Binnendifferenzierung hatte sich regional weitervermittelt und im Ergebnis zu einer ökonomischen Vielfalt in nie da gewesener Weise geführt. Monostrukturen,
wie etwa die seinerzeitige Textilindustrie im Münsterland, die Montanindustrie in der
Region Ruhr oder auch die Möbelindustrie in Ostwestfalen-Lippe gehörten weitgehend
der Vergangenheit an.
Die wirtschaftliche Entwicklung hatte zu einem wesentlichen Ausbau des Dienstleistungssektors, aber auch zu neuen technologischen Entwicklungen und zu neuen Führungsbranchen an den alten wirtschaftlich starken Standorten geführt. Diese Leistung
war nur zu erklären durch eine Neuorientierung der Unternehmen und auch die Innovationskraft der Unternehmensführungen bzw. einer heranwachsenden neuen Generation
von jungen Unternehmern. Die neue Beweglichkeit im Hinblick auf Firmengründungen
und auf unternehmerische Risikobereitschaft war in dieser Form völlig unerwartet aufgetreten. Noch zu Beginn des Jahrhunderts waren wirtschaftliche Strukturen sehr stark
geprägt von Sicherheitsdenken, begrenzter unternehmerischer Risikobereitschaft und
von einer starken Zurückhaltung des Finanzsektors, die erforderlichen Geldmittel für die
notwendigen Investitionen bereitzustellen. Hier hatte insbesondere das Programm Basel
II manch wirtschaftliche Aktivität behindert.
Es war der Druck des Weltmarktes, der sich auch in dem so genannten Off-Shoring in den
Kommunen und Regionen des Landes Nordrhein-Westfalen bemerkbar gemacht hatte
und im Ergebnis zu einer ganz erheblichen Innovationskraft geführt hatte. Der fortschreitende Abbau von niedrig qualifizierten Tätigkeiten und Arbeitsplätzen hatte letztlich die Herausforderung formuliert, neue Produkte auf dem europäischen und auf dem
globalen Markt zu platzieren und auf diesem Weg Wertschöpfungsketten für die nordrhein-westfälische Wirtschaft herzustellen. Hierbei waren insbesondere die Hochschulstandorte, aber auch die betrieblichen Ausbildungskapazitäten in ihrer pragmatischen
Ausrichtung hilfreich gewesen. Jedenfalls war es gelungen, in einer Reihe von Feldern
wieder Geltung zu erlangen. Im Bereich der Mikrosystemtechnik sowie bei der Biomedizin und Gesundheitswirtschaft, im Feld der Energietechnik als auch bei Design und
Informations- sowie Kommunikationstechnologie waren völlig neue Märkte erschlossen
worden. Gemeinsam mit Partnern auch im außereuropäischen Ausland war es gelungen,
in Nordrhein-Westfalen vielfältige neue Produkte zu entwickeln und von hier an den
Weltmarkt zu bringen. Dieses war ein bisher nie erreichter Akt des Strukturwandels in
allen Teilen des Landes. Insbesondere die Ruhrregion hatte in diesem Zusammenhang
ihren Weg in die Zukunft zu definieren.
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Mit diesem Prozess der neuen wirtschaftlichen Vielfalt war auch die Entwicklung der
Städte in unterschiedliche Richtungen verlaufen. Es war den Städten gemeinsam, dass sie
über eine neue Vitalität und urbane Qualität verfügten, die selbst Optimisten in ihren
kühnsten Träumen kaum zu erwarten gewagt hatten. War noch zu Beginn des neuen Jahrhunderts von Langeweile und Uniformität der Stadtzentren die Rede, so hatten sich diese
durch vielfältige, veränderte Rahmenbedingungen zu Quellen neuen Lebenssinnes
gewandelt. So hatte etwa die Freigabe der Ladenöffnungszeiten, aber auch die allgemeine Rückbesinnung auf Urbanität als wesentlicher Bestandteil persönlicher Lebensqualität, neue Formen des Zusammenlebens in den Städten hervorgerufen. Hiervon waren
sowohl Klein- und Mittelstädte in den ballungsfernen Bereichen erfasst worden als auch
die Kernstädte und die solitären Großstädte im eher ländlich geprägten Umfeld.
Die fortschreitende Ausdifferenzierung von Lebensstilen und die Partikularisierung von
Lebenszusammenhängen hatte im Übrigen dazu beigetragen, dass sich die Städte zunehmend als Bühne für unterschiedliche
gesellschaftliche Prozesse und Selbstdarstellungszusammenhänge genutzt sahen.
Auch die Zuwanderung vergangener Jahrzehnte hatte einen wesentlichen Beitrag zur
Veränderung von Lebenszusammenhängen
in den Städten mit sich gebracht. Ähnlich
der im Zusammenhang mit der Industrialisierung Nordrhein-Westfalens erfolgten
Zuwanderungen aus Osteuropa war es im
Zusammenhang mit der Zuwanderung aus
den Mittelmeer-Staaten in der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Ansätzen für eine Parallelgesellschaft gekommen, die sich
in den verschiedenen Stadtvierteln der existierenden Städte als neue Lebensgemeinschaften entwickelten. Nach der vorübergehenden Desintegration hatten sich im Laufe
der Zeit - das war eine Generationenfrage - dann aber auch zunehmend Integrationsprozesse bahngebrochen. Diese hatten zu einer wesentlich bunteren und vielfältigeren Stadtgesellschaft geführt. Diese Entwicklung war nicht beschränkt auf Großstädte, sondern
stellte sich in ähnlicher Weise auch bei Klein- und Mittelstädten dar.
(Ascher-) Mittwoch, 17. Februar 2021 - in Bonn:
Verleihung des Wachstumsawards an die Bundesstadt Bonn und das ist kein Karnevalsscherz
Feiern und Jubeln in der Bundesstadt Bonn. Nicht nur wegen des gerade zu Ende gehenden Karnevals, sondern auch wegen der erstmaligen Verleihung des so genannten Wachstumsawards an die Bundesstadt Bonn. Das hatte 1993 niemand erwartet. Depression ging
um in der Stadt. Der Beschluss des Bundestages zur Verlagerung des Regierungssitzes
von Bonn nach Berlin hatte tiefe Bestürzung hervorgerufen. Eine Stadtgesellschaft sah
sich am Abgrund, ausgewachsene Ministerialräte fürchteten die Verelendung und sahen
sich bereits mit Sammelbüchsen vor dem Beethovenhaus in der Fußgängerzone, um zum
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Lebensunterhalt zusätzlich beizutragen. Doch die massive Bundeshilfe und die günstigen
Standortbedingungen haben aus Bonn innerhalb von einer Generation eine blühende,
lebendige und von vielen beneidete Bundesstadt am Rhein werden lassen. Sie beherbergt
heute nicht nur viele moderne Unternehmen, sondern sie ist gleichzeitig auch Sitz vieler
internationaler Organisationen. Der Abzug der letzten Ministerialbürokratie wurde als
Abschluss eines für die Stadt außerordentlich wertvollen Paradigmenwechsels gefeiert:
weg von bürokratischen Strukturen, hin zu modernen technologisch orientierten Unternehmen mit entsprechenden Arbeitsplatzangeboten für hochqualifizierte Arbeitskräfte.
Während Bonn in den rund 50 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg im Wesentlichen als
Regierungssitz der jungen und neuen Bundesrepublik Deutschland wahrgenommen worden war, hatte die Stadt mittlerweile ein völlig gewandeltes Image. Sowohl die Lage am
Rhein, als auch das Angebot attraktiver und gut bezahlter Arbeitsplätze hatte aus Bonn
eine eigenständige und selbstbewusste Kommune gemacht. Sie hatte sich - zusammen
mit ihrem regionalen Umland - aus dem Windschatten und der Symbiose mit dem großen Nachbarn Köln erfolgreich herausgekämpft.
Selbstverständlich - und darauf machte der Laudator zu Beginn der Preisverleihung, der
Präsident des Bundesmigrationsinstitutes (mit Sitz in Bonn) besonders aufmerksam ergab sich diese Spitzenposition vor dem Hintergrund der Kompensation für den Verlust
des Regierungssitzes. Gleichwohl plädierte er dafür, von Bonn zu lernen und insbesondere die Mechanismen für den erfolgreichen Aufstieg genau zu studieren, um hieraus
Lehren für Entwicklungsprozesse andernorts zu ziehen. Wichtig sei gewesen, dass die
Bonner nach der anfänglichen Bestürzung und Depression nicht in Untätigkeit verfallen
seien, sondern vielmehr neben Forderungen an die Ebenen des Bundes Kontakte zur
Wirtschaft und zu internationalen Organisationen hergestellt hätten. Natürlich könne das
Modell Bonn nicht eins zu eins auf andere Kommunen übertragen werden, da es hierzu
spezifische Sondereinflüsse gegeben habe. Gleichwohl sei die Strukturkrise in Bonn
auch vergleichbar mit Strukturkrisen andernorts, auch wenn dort andere Branchen als ein
Regierungsapparat betroffen seien. Wichtig sei es, die Stärken eines Standortes bei der
Weiterentwicklung herauszuarbeiten und hierbei insbesondere auf die Potenziale und
Optionen eines Standortes zu setzen. Dies sei in Bonn unzweifelhaft das internationale
Renommee, die internationale Bekanntheit als Regierungssitz, die günstige Lage am
Rhein sowie die Einbettung in ein vielfältiges Umfeld mit dem Oberzentrum Köln im
Norden und der lieblichen Landschaft des Rheintals zum Süden und Südosten hin gewesen. Darüber hinaus verfügte Bonn über hervorragende universitäre Einrichtungen mit
internationaler Ausstrahlungskraft, die zusätzliche Attraktivität für die Zuwanderung,
insbesondere von jungen Leuten, ausgeübt haben.
Für andere Kommunen könne daraus nur die Lehre gezogen werden, die eigenen Stärken
zu definieren, sich diesen bewusst zu werden und sie dann auch offensiv in die Konkurrenz mit anderen Standorten um die vorhandenen Wachstumspotenziale einzubringen.
Wie so etwas gehen könne, zeige sich durchaus erfreulich an den Zweit- und Drittplazierten, dem Kreis Paderborn und der Stadt Mülheim an der Ruhr.
Der zweitplazierte Kreis Paderborn hatte schon immer eine Sonderrolle als Wachstumspol in Nordrhein-Westfalen eingenommen. Hierzu hatte zweifellos die günstige verkehrliche Erschließung und Anbindung, aber auch die Ausstattung mit sozialer und kulturel384
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ler Infrastruktur sowie Bildungsinfrastruktur beigetragen. Darüber hinaus war mit Heinz
Nixdorf seinerzeit ein echter Motor der wirtschaftlichen Entwicklung im Bereich der
Informationstechnologie im Kreisgebiet bzw. in der Stadt Paderborn aktiv gewesen. Hieraus hatten sich vielfältige Impulse auch nach der Übernahme durch den Weltkonzern Siemens ergeben. Vor allem aber war es die günstige Bevölkerungsstruktur mit einem hohen
Überhang an jungen Menschen, die sicherstellte, dass das Paderborner Land weiterhin
wachsen konnte. Es war insofern im Wesentlichen die demografische Situation, die das
Bevölkerungswachstum begründete.
Darüber hinaus war die Region aber auch attraktiv für eine begrenzte Zuwanderung. Beides wurde durch entsprechende kommunale aber auch regionale Maßnahmen weiter entwickelt: Es gab beispielsweise in einer Reihe von Kommunen die Möglichkeit des günstigen Baulanderwerbs für junge Familien. Auch die Ausstattung mit familienfreundlicher sozialer Infrastruktur war im Kreis Paderborn von besonderer Bedeutung. Die
zuständige Landrätin betonte dann auch bei der Preisverleihung, dass es ihr ein ganz persönliches Anliegen sei, in ihrem Kreis ein ausgesprochen familienfreundliches Klima zu
schaffen. Hierbei sei zum einen die religiöse Prägung in ihrem Kreis hilfreich. Zugleich
hätte sich das Paderborner Land als beliebte Zuzugsregion für die jüngsten Spätaussiedler aus Osteuropa etabliert. Hierzu hätten insbesondere Kontakte des Bistums beigetragen.
Die Landrätin hob besonders hervor, dass es sogar gelungen sei, durch eine Steigerung
der Geburtenrate einen zusätzlichen Bevölkerungszuwachs zu erzielen, der über eine
Prognose von 2004 noch deutlich hinaus gegangen sei. Insofern sei man heute mit etwa
330.000 Einwohnern größer als die erstplazierte Bundesstadt Bonn. Was in Bonn durch
Zuwanderung erreicht worden sei, sei im Kreis Paderborn im Wesentlichen vor dem
Hintergrund der demografischen Entwicklung, aber auch der besonderen familienpolitischen Anstrengungen zu sehen. Es sei vor
allem auch gelungen, Frauen die Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben durch
entsprechende Angebote seitens der öffentlichen Einrichtungen und seitens der privaten Wirtschaft zu ermöglichen. So wären
Kindertagesstätten nach schwedischem
Vorbild in den meisten Kommunen und
Unternehmen Selbstverständlichkeiten.
Der Versorgungsgrad mit entsprechenden
Angeboten läge bei 120 Prozent. Dies habe
in einigen Diskussionen auch die Frage
aufgeworfen, ob sich der Kreis Paderborn nunmehr als DDR-Nachfolgeorganisation sehe
und hier real sozialistische Zielwerte anstrebe. Sie könne aber mit solch einer Polemik
überhaupt nichts anfangen, schließlich sprächen die familien- und bevölkerungspolitischen Erfolge für sich.
Weniger euphorisch, aber gleichwohl zufrieden, präsentiert die Oberbürgermeisterin aus
Mülheim an der Ruhr ihre relative Erfolgsgeschichte: Obwohl beim Wachstumsaward als
dritter Preisträger auf dem Treppchen, konnte Mülheim an der Ruhr nicht mit einem
absoluten Bevölkerungszuwachs in den letzten Jahren aufwarten. Dies war insbesondere
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auf eine ganz erhebliche Überalterung der Bevölkerung zurückzuführen, die dazu führte,
das gerade Mülheim an der Ruhr einen erheblichen Sterbeüberhang von etwa zwölf Prozent in den letzten Jahren zu verzeichnen hatte. Obwohl die Kommune eine der reicheren insbesondere der Ruhrregion ist, konnte sie mit ihren Anstrengungen keine Trendwende in dieser Frage herbeiführen. Nach wie vor hatten auch viele jüngere Menschen
ihrer ehemaligen Heimatstadt den Rücken gekehrt. Hierfür waren insbesondere Mängel
in der Ausbildungsinfrastruktur verantwortlich. Gerade junge Mülheimer hatte es nach
Essen und Dortmund oder auch ins Rheinland gezogen, um dort zukunftsträchtige Studien- und Ausbildungsplätze zu ergattern. Insofern machte sich die Entscheidung gegen
einen Hochschulstandort in Mülheim jetzt, Jahrzehnte später, negativ bemerkbar.
Andererseits war Mülheim ein zunehmend in der Region akzeptierter und wahrgenommener Wohnstandort. Schon vor 15 Jahren war es in enger Kooperation mit den Nachbarkommunen Oberhausen und Essen gelungen, einen nicht unerheblichen Teil der
Abwanderung aus diesen beiden Kommunen in Mülheim anzusiedeln bzw. mit einer vorausschauenden Wohnbauflächenpolitik für Mülheim zu gewinnen. Insofern war Mülheim
nunmehr eine der kreisfreien Städte, die mit einem hohen Wanderungsgewinn den exorbitanten Sterbeüberhang zumindest teilweise ausgleichen konnte. Und genau dieser Mut
bei der kommunalen Politikgestaltung sollte durch den diesjährigen Wachstumsaward
belohnt werden. Zwar hatte es in der Jury auch Überlegungen gegeben, den Award nach
Bottrop oder Dortmund zu geben, wo ebenfalls durch eine entsprechende Flächenpolitik,
gepaart mit einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik ganz gegen den Trend erhebliche
Zuwanderungsraten erzielt werden konnten. Doch beide Städte waren bereits bei anderen
Preisverleihungen und Gelegenheiten ausgezeichnet worden, so dass man mit Mülheim
an der Ruhr auch einmal eine neue Stadt mit ihrer Strategie präsentieren wollte.
Die Oberbürgermeisterin ließ dann auch keinen Zweifel daran, dass Mülheim an der
Ruhr weiterhin ein Standort sei, mit dem in der Region und darüber hinaus zu rechnen
sei. So verwies sie darauf, dass durch das vor geraumer Zeit begonnene Projekt „Ruhrbania“ nunmehr völlig neue Qualitäten entlang der Ruhr entstanden seien. Mülheim an
der Ruhr gehöre heute nicht nur zu den attraktivsten Wohnstandorten der Region, sondern habe auch im Büroflächenangebot am Fluss in der Zwischenzeit auf die Konkurrenten in der Region, namentlich Essen und Duisburg, Boden gutgemacht. Sie plädierte
vor diesem Hintergrund dafür, die Visionen bei der Stadtentwicklung nicht zu kurz kommen zu lassen. Auch das Projekt „Ruhrbania“ sei zunächst in Mülheim belächelt und
allenfalls als sympathisches Wortspiel eingeordnet worden. Erst als die Gebrüder
Albrecht in ihrem Bekanntenkreis davon berichtet hätten, dass die Firma Aldi, aber auch
die Firma Tengelmann, großen Wert darauf legen würden, dass ihr Firmensitz Mülheim
an der Ruhr durch diese städtischerseits angedachten Maßnahmen ein neues Profil erhalten sollte, fanden sich relativ schnell private Investoren, die zur Mitarbeit an diesem Projekt bereit waren. Dieses wäre allerdings nie zustande gekommen, wenn nicht eine ambitionierte städtebauliche Konzeption entwickelt worden wäre.
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Freitag, 28. Juni 2024 - in Gütersloh:
Präsentation der durch einen Medienkonzern unterstützten Studie
des Zukunftsrates Nordrhein-Westfalen zum Thema
„Starke Regionen im Prozess“
Gütersloh - von vielen als Provinz belächelt, aber Sitz eines Weltkonzerns. Dieser hatte
eine Studie des Zukunftsrates Nordrhein-Westfalen finanziell unterstützt. Daher wurde
die von allen mit Spannung erwartete Präsentation auch im Westfälischen durchgeführt.
Der Zukunftsrat Nordrhein-Westfalen hatte sich in der Vergangenheit schon mehrfach um
Zukunftsfragen gekümmert. So hatte etwa der seinerzeitige Ministerpräsident Clement
Ende 2001 eine Gruppe von Bürgern aus allen Lebensbereichen aufgefordert, Zukunft zu
denken. Seinerzeit war auch schon einmal über die Stärkung des Regionalen bzw. eine
Stärkung der regionalen Kooperation nachgedacht worden.
Die regionale Komponente, die Region als Allheilmittel der Problemlösung, ja als „Zauberwort“ zur Zukunftsbewältigung, hatte schon immer eine große Rolle in den Debatten
und Überlegungen gespielt. Regionale Kooperation war gerade in Nordrhein-Westfalen
nichts Neues. So hatten beispielsweise der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk oder
auch der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr sowie die Emschergenossenschaft und der Lippeverband deutlich gemacht, dass aus guten Gründen regionale Kooperation sinnvoll und
effizient gestaltet werden kann.
Im Hinblick auf die administrativen Abgrenzungen war immer wieder der Regionszuschnitt in Nordrhein-Westfalen diskutiert worden. Hierbei konnte man sich aber nicht auf
eine regionale Zuordnung verständigen. Daran hatte auch das Gesetz zur Stärkung der
Kommunen und Regionen in Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2006 nichts geändert.
Vielmehr hatten sich geradezu anarchisch immer wieder neue regionale Kooperationsformen unterschiedlichster Akteure entwickelt. Dies wurde vorübergehend auf die griffige Formel „Region ist ein Prozess“ gebracht.
Mittlerweile aber hatten sich so unüberschaubare regionale Kooperationsmuster entwickelt,
dass sich der Ruf nach einer einheitlichen regionalen Aufteilung Nordrhein-Westfalens
verstärkt hatte. Vor allem sollte auch durch eine Neugliederung der Bezirksgrenzen und
durch eine Abschaffung der Landschaftsverbände und sonstiger regional tätiger Einrichtungen der Weg freigemacht werden für eine zukunftsfähige regionale Neugliederung des
Landes, einhergehend mit entsprechenden Verwaltungszuordnungen durch das Land und
die Kommunen.
Also viel Zündstoff. Es war deshalb auch nicht überraschend, dass neben einem großen
Aufgebot an Wissenschaftlern viele Praktiker in Zusammenarbeit mit Unternehmen, Verbänden und den Vertretern der Zivilgesellschaft an der Erarbeitung der Studie beteiligt
waren. Dies war der ausdrückliche Wunsch der Auftraggeber gewesen. Zumindest hatte
sich bei allen Beteiligten die Überzeugung durchgesetzt, dass man nur gemeinsam und in
Kooperation diese drängende Zukunftsfrage der Regionalen Kooperation würde bewältigen können.
Frei nach der Erkenntnis, dass gutes Beispiel Rede spare, hatten die Mitglieder des
Zukunftsrates 20 Beispiele einer gelungenen regionalen Entwicklung aus dem In- und
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Ausland zusammengestellt. Mit der Auswahl dieser Beispiele sollte insbesondere belegt
werden, dass regionale Kooperation dann besonders effektiv ist, wenn es sich bei ihr um
eine strategische Allianz auf Zeit mit bestimmten Zielen und einem begrenzt zugeordneten „Instrumentenkasten“ handelt, auf den sich die relevanten Akteure zu Beginn des
Prozesses im Grundsatz verständigt haben. Im Hinblick auf die Frage, wie Interessenkonflikte auch im Rahmen der regionalen Kooperation ausgeglichen bzw. begrenzt und
behoben werden können, wurden ebenfalls Beispiele vorgestellt, die sich im Wesentlichen auf bewährte Klärungsmuster stützen. Insofern machte der Zukunftsrat auch deutlich, dass man bei der Entwicklung regionaler Kooperationsmodelle nicht auch juristische oder finanzielle Regelungsmechanismen völlig neu entwickeln muss, sondern auf
bewährte rechtsstaatliche Prinzipien zurückgreifen kann. Auf jeden Fall sollte diese nicht
in den Vordergrund der Betrachtung gestellt werden, wenn es darum geht, Probleme im
regionalen Zusammenhang anzugehen. Die Diskussion dazu versperrt den Weg hin zur
Lösung dieser Probleme.
Aus Nordrhein-Westfalen waren gleich drei regionale Projekte in die Best-Practice-Liste
gelangt: Region Ruhr 2030, Fluss Stadt Land und die Regionale Initiative Rheines Vergnügen, ein Kooperationsprojekt von Bonn bis Wesel. Diese Auswahl überraschte schon
ein wenig. Sie belegt allerdings, dass sich Projekte, die zunächst aus einem informellen
Zusammenhang gestartet waren, in der Zwischenzeit institutionell etabliert hatten und zu
echten regionalen Größen herangewachsen sind. Dies war sowohl bei Fluss Stadt Land
der Fall, als auch bei der Region Ruhr 2030, die aus dem Zusammenschluss von acht
Kerngebietsstädten der Ruhrregion entstanden war. Alle drei Projekte waren zunächst als
Spielwiesen für die politisch-administrativen Eliten der Region kritisch beäugt worden.
Es hatte sich aber relativ schnell herausgestellt, dass sie durchaus in Kooperation mit
anderen regionalen Akteuren für die Entwicklung ihrer Region wesentliche Impulse
setzen konnten. Die wurden dann auch von
der Bevölkerung mitgetragen und verstärkt. Insofern wurden sie als Beispiele für
Initiativen aus der Mitte der Region ohne
Steuerung oder Gängelung von oben
gepriesen.
Der Zukunftsrat präsentierte drei weitere
Beispiele aus der Bundesrepublik, nämlich
den Zweckverband Region Stuttgart (ZRS),
das Städtenetz Kultur bestehend aus Weimar, Leipzig und Dresden, sowie die Region Großraum Hannover, die in Kürze ergänzt
werden sollte um die Region Wolfsburg-Braunschweig. Allen drei Beispielen war
gemeinsam, dass sie über Jahre konsequent und erfolgreich an der wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Region gearbeitet haben.
Das Kulturdreieck Weimar, Leipzig, Dresden hatte insbesondere in kulturwirtschaftlicher
Hinsicht Hervorragendes geleistet. Dieser Raum gehörte mittlerweile neben der Ruhrregion zu den kulturell herausragenden Räumen in Europa, weil hier ein geradezu unglaubliches Angebot kultureller Darbietungen über das ganze Jahr erlebt werden kann. Dies
hatte zu einer ganz erheblichen Förderung des Fremdenverkehrs, aber auch zur Ansied388
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lung von kulturwirtschaftlich orientierten Arbeitsplätzen beigetragen. Hierbei haben sich
Weimar als Stadt der Dichter und Denker, Dresden mit der Semperoper und Leipzig mit
dem Gewandhausorchester als Kristallisationspunkte für das Aufblühen einer europäischen Kulturlandschaft der besonderen Art herausgestellt.
Auch der Zweckverband Region Stuttgart hatte gezeigt, das wirtschaftlich bedingte Krisen zu meistern sind, wenn alle relevanten Akteure einer Region aktiv zusammenarbeiten. Auslöser für die Bildung des Zweckverbands als Weiterentwicklung früherer regionaler Strukturen war die Krise des Daimler-Chrysler-Konzerns vor zehn Jahren. Damals
war es aufgrund von Fehlentscheidungen des Managements zu einer in der Region nie für
möglich gehaltenen Strukturkrise gekommen. Die Absatzzahlen gingen in den Keller.
Die damit einhergehenden Konsequenzen - Arbeitsplatzabbau, Bevölkerungsverlust,
Rückgang kommunaler Steuereinnahmen - gingen selbst an Nachbarkommunen wie Sindelfingen nicht spurlos vorbei. Es war diese Strukturkrise, die im Schwäbischen auch zu
einem politischen Umbruch führte und der langjährigen Oppositionsführerin den Wechsel ins Amt der Regierungschefin erlaubte. Ihre Amtsvorgängerin riet ihr, von Seiten der
Landesregierung die Initiative für eine bessere regionale Kooperation zu ergreifen. Die
neue Ministerpräsidentin nahm den Rat dankend an und setzte sich sofort mit den Oberbürgermeistern sowie den Vorstandsetagen der zehn größten Unternehmen in der Region
an einen Tisch, um Krisenmanagement zu betreiben. Im Ergebnis wurde der Zweckverband Region Stuttgart mit den Kernkompetenzen Ausbildungsförderung, Innovationsförderung und Regionalmarketing auf den Weg gebracht.
In der Best-Practice-Liste des Zukunftsrates waren darüber hinaus 14 ausländische Beispiele aufgeführt und dokumentiert: Städtekooperation Kopenhagen - Malmö, Randstad
in Holland, die Region Valencia, die Region Cilento in Süditalien und die Region Balaton, um nur einige Beispiele zu nennen. Allen gemeinsam war die Strategie, regionale
Stärken zu erkennen und diese für die Stärkung der regionalen Kraft zu nutzen. Dabei
war es sowohl um Fragen der kulturellen Entwicklung, der Integration von unterschiedlichen Volksgruppen, der Förderung des Tourismus, der Beseitigung von ökologischen
Schäden, der Förderung innovativer Wirtschaftsunternehmen oder auch die Einbeziehung
älterer Menschen in den gesamtgesellschaftlichen Lebenszusammenhang gegangen.
Die Vorsitzende des Zukunftsrates betonte bei der Vorstellung der Studie unter anderem,
dass es jetzt darum gehen müsse, die zusammengestellten Erkenntnisse möglichst schnell
in praktisches Handeln für die Regionen in Nordrhein-Westfalen zu nutzen. Sie setze
hierbei aber auf die gerade bekanntgegebene EXPO-Bewerbung für das Jahr 2030. Die
Bewerbung um die Weltausstellung könne nur dann erfolgreich sein, wenn alle Akteure
sich schnell verständigen und nach dem Grundsatz handeln: Reden ist Silber, Handeln ist
Gold.
Donnerstag, 9. September 2027 - in Siegen:
Beginn des europäischen Kongresses zur Diskussion städtischer
Zukünfte in der Siegerlandhalle
Siegen: Eine Stadt mit diesem Namen muss sich keine Sorgen machen: Sie wird immer
wieder gerne besucht. Hier kann man sich einstimmen auf Wahlkämpfe, hier kann man
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Preisverleihungen vornehmen oder über Stärken und Zukunftsstrategien wunderbar
reden. Der Name dieser Stadt ist für alle, die hierher kommen, immer wieder Programm.
Siegen selbst hat davon durchaus profitiert und auch den Strukturwandel über Erwarten
gut bewältigt. Es sah insbesondere nach den Einbrüchen in der Metallindustrie nicht so
rosig aus, aber gerade der hohe Anteil von qualifizierten Facharbeitsarbeitskräften hat
dazu beigetragen, dass sich relativ schnell neue Unternehmen am Standort angesiedelt
haben, so dass man im Prinzip auch mit der osteuropäischen Konkurrenz gut mithalten
konnte. Insofern war der Ort für eine europäische Konferenz über urbane Zukünfte gut
gewählt.
Der westfälische Regierungspräsident, seine Freunde sprachen seit seiner Berufung vor
fünf Jahren nur noch vom „Kaiserreich“ Westfalen, ließ es sich deshalb natürlich nicht
nehmen, die Gäste herzlich im Namen der Landesregierung zu begrüßen. Er machte
allerdings deutlich, dass seine Amtszeit bald zu Ende gehe, da die Regierungsbezirke
abgeschafft worden seien und nunmehr durch neue kommunal verfasste Strukturen
ersetzt würden. Er selbst begrüße diesen Vorgang außerordentlich. Schließlich käme er ja
auch aus der kommunalen Familie und habe immer für eine kommunal verfasste Regionalentwicklung geworben.
Heute sei nun die Gelegenheit, die nordrhein-westfälischen Erfahrungen beim Anpacken
von Problemen zu präsentieren. Er sei sehr stolz, dass viele der auf dieser Konferenz präsentierten Best-Practice-Beispiele aus Westfalen kämen, aber auch aus den beiden anderen Landesteilen Region Ruhr und Rheinland. Ganz besonders begrüße er aber die zahlreich angereisten Vertreter bürgerschaftlichen Engagements. Dies mache deutlich, dass
im Unterschied zu früheren Konferenzen, bei denen überwiegend Wissenschaftler sowie
Vertreter öffentlicher Verwaltungen angereist seien, nunmehr Europa tatsächlich bei den
Menschen angekommen sei. Es sei offensichtlich gelungen, dass die Zivilgesellschaft
und das bürgerschaftliche Engagement in weiten Feldern das seinerzeit administrativ
bürokratisch öffentlich-rechtlich aufgestellte Handeln von Politik und Verwaltung substituiert haben. Aus früheren Alltagsexperten seien heute sehr qualifizierte Mitstreiter bei
der Organisation von Stadt- und Regionalgesellschaften geworden. Was zunächst erst in
kleinen Gemeinden begonnen habe, sei heute auch in Groß- und Mittelstädten gang und
gäbe: die Bürger würden wesentliche Elemente der kommunalen Daseinsvorsorge selbst
organisieren und dadurch einen ganz erheblichen Beitrag zum Abbau von öffentlicher
Verwaltung leisten.
Der Regierungspräsident hebt in seiner Begrüßungsansprache auf die Bewerbung des
Landes Nordrhein-Westfalens um die EXPO Weltausstellung im Jahr 2030 ab. Das ganze
Land fiebere der Entscheidung entgegen. So etwas habe er noch nicht erlebt. Er hoffe
sehr, dass Nordrhein-Westfalen sich gegen die Konkurrenz aus Singapur, Sao Paulo,
Kapstadt und den europäischen Mitbewerber Barcelona durchsetzen könne. Die Inhalte
der nordrhein-westfälischen Bewerbung sollten auf dieser europäischen Konferenz noch
einmal präsentiert werden, da sie den Weg des Landes in die europäische Zukunft sehr
gut beschreiben.
Er erwähnt in diesem Zusammenhang insbesondere die völlig neuen Kooperationsformen zwischen den beteiligten Akteuren. Die alten Interaktionsmuster seien durch pragmatische, ideologiefreie und erfolgsorientierte Vorgehensweisen abgelöst worden. In sei390
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ner Heimatstadt Arnsberg - demnächst Sitz des Verbandsparlamentes Westfalen - hätte
beispielsweise eine völlig neue Kultur des Kümmerns dazu beigetragen, dass es zu einer
sehr nachhaltigen Stadt- und Raumpolitik gekommen sei, an der alle relevanten Akteure
teilnehmen. Man sei heute in Arnsberg stolz auf einen effizienten städtischen Nahverkehr, eine vorbildliche Umweltmanagementplanung und eine an Energieeffizienz und
Qualität ausgerichtete Baupolitik. Das seien Themen, die ja schon durch die Kommission
der Europäischen Gemeinschaften in der Mitteilung „Entwicklung einer thematischen
Strategie für städtische Umwelt“ (KOM (2004) 60 endg.; Ratsdokument 6462/04) im
Jahre 2004 benannt wurden.
Der Regierungspräsident dankte für die Aufmerksamkeit und bat unter dem Applaus der
Zuhörer Krista Pikkat, die aus Estland stammende Kommissarin für europäische Nachhaltigkeitspolitik, ans Mikrofon. Die Kommissarin - lange Jahre kulturpolitische Sprecherin bei der UNESCO und danach als Ministerin in ihrem auf Modernität und technische Effizienz getrimmten Heimatland - begrüßte das Auditorium in perfektem Deutsch
und übermittelte die Grüße der gesamten Kommission, insbesondere des Kommissionsvorsitzenden Koch, der hier an der Grenze zu Hessen sicherlich kein Unbekannter sei.
Sie komme gerade aus Toronto zurück, wo sie an den Beratungen für die Vergabe der
Weltausstellung 2030 teilgenommen habe. Auch wenn das Ergebnis zeitgleich gerade in
Toronto der Weltöffentlichkeit präsentiert würde, wolle sie natürlich die frohe Botschaft
gerne auch hier in Siegen verkünden: Nordrhein-Westfalen war erfolgreich und erhält
den Zuschlag für die Ausrichtung der EXPO 2030! Im Saal brach grenzenloser Jubel aus,
der Regierungspräsident war ganz aus dem Häuschen, wie es ihm sonst nur von den Siegen Borussia Dortmunds gegen Bayern
München vertraut war. Die Medienvertreter
schickten sofort Urgent-Meldungen heraus
und telefonierten mit ihren Zentralredaktionen.
Erst nach 20 Minuten konnte die Kommissarin ihre Rede fortsetzen. Sie berichtete
aus den Beratungen der Globaljury, die
letztlich die Entscheidung zur EXPO zu
treffen hatte. Gerade ihr als europäischer
Nachhaltigkeitskommissarin sei es eine
große Genugtuung, dass eine europäische
Region bei der Bewerbung erfolgreich war. Dies sei offensichtlich darauf zurückzuführen gewesen, dass gerade in Nordrhein-Westfalen die auch aus europäischer Perspektive
richtigen Schritte in der Städtepolitik und in der Regionalentwicklung gemacht worden
seien. Wie schon ihr Vorredner am Beispiel Arnsberg verdeutlicht habe, sei in NordrheinWestfalen eine nachhaltige Städtepolitik auf den Weg gebracht worden. Dies habe offensichtlich auch mit den Bemühungen des Landes, speziell des nordrhein-westfälischen
Landtages, zu tun.
Offensichtlich hat es Nordrhein-Westfalen geschafft, im Rahmen einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Raumpolitik sowohl in Kommunen als auch in Regionen die mobilitätsbedingten Immissionen im Verkehrsbereich deutlich zu reduzieren, den städtischen
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Nahverkehr auf umweltfreundliche Verkehrsträger auszurichten und durch die Verknüpfung verschiedener Verkehrsträger eine hohe Mobilitätseffizienz zu erzielen. Durch die
Förderung kommunaler und regionaler Umweltmanagementsysteme sei es gelungen, die
Energieeffizienz an Gebäuden zu steigern, den Energieverbrauch insgesamt zu senken,
die Abfallwirtschaft ökologisch effizient zu organisieren und darüber hinaus die Nutzung
fossiler Brennstoffe für Heizzwecke durch eine Umstellung auf Fernwärme nahezu zu
halbieren. Insbesondere bei der Stadtgestaltung sei es gelungen, kompakte Städte mit
einer vielfältigen Raumstruktur und einem attraktiven Gebäudebestand zu schaffen.
Viele nordrhein-westfälische Städte würden sich dem Charakter nach heute als Gartenstädte präsentieren und dabei sowohl den Freizeitansprüchen der Bewohner, als auch den
stadtökologischen Erfordernissen, wie Biotopvernetzung und Freiraumschutz genügen.
Insbesondere sei es aber auch gelungen, durch die Ausformung eines regionalen Architekturverständnisses eine qualitativ hochwertige Neubautätigkeit und Bestandsmodernisierung zu initiieren und so den Strukturwandel von der grauen Maus hin zu einem auch
für Kalatrawa und Ingenhoven interessanten Stadtorganismus zu organisieren.
Das Bauen auf der so genannten Grünen Wiese sei insbesondere in der Metropolregion
Ruhr völlig zum Erliegen gekommen. Stattdessen würde Landschaft zurückgewonnen
und für die qualitative Aufwertung der Wohn- und Wirtschaftstandorte erhebliche
Anstrengungen unternommen. Offensichtlich sei es allen Akteuren gelungen, ihre Aktivitäten horizontal zu vernetzen und zu integrieren und darüber hinaus aber auch eine ebenenübergreifende vertikale Kooperation zugunsten der kommunalen und regionalen Entwicklung herzustellen.
Dies sei in dieser Form in Europa nach ihrer Kenntnis einmalig. Der nun auch international anerkannte Prozess sei zwar von den politisch technokratischen Eliten in Politik
und Verwaltung angestoßen worden, aber dann von anderen Akteuren beherzt mitgestaltet worden. Man könne heute feststellen, dass keine Kluft mehr bestehe zwischen Politik
und Verwaltung auf der einen Seite und Bevölkerung, Wirtschaft, Verbänden und Bürgerinitiativen auf der anderen Seite. Es sei offensichtlich gelungen, eine nordrhein-westfälische Version der Zivilgesellschaft zu entwickeln, die auf sich entwickelnde Probleme
sehr schnell eine adäquate Antwort fände. Dieses Modell der Problembewältigung und
Zukunftsgestaltung wäre auch bei der Analyse mittels Nachhaltigkeitsindikatoren als eindeutiger Sieger bei der EXPO-Bewerbung hervorgegangen. Insofern freue sie sich, dass
in Nordrhein-Westfalen offensichtlich das gelungen sei, was schon früher eingefordert
worden war: von anderen Kommunen und anderen Ländern Erfahrungen zu übernehmen
und auf den eigenen Gestaltungszusammenhang zu übertragen bzw. für den eigenen
Gestaltungszusammenhang nutzbar zu machen.
Wenn dies heute nun hier in Siegen durch die verschiedenen Akteure präsentiert würde,
so könne dies sicherlich wiederum ein wichtiger Impuls für die europäische Nachhaltigkeitspolitik sein. Sie wolle deshalb die Veranstaltung unter das Motto „Von Siegen lernen!“ stellen.
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E Empfehlungen
an die Landespolitik
- Ein Überblick
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Das Kapitel Handlungsempfehlungen enthält einen zusammengefassten Überblick der Empfehlungen aus den Kapiteln B1 bis
C4. Sie sind thematisch neu gegliedert und auf die wesentlichen
Aussagen gekürzt. Da die Empfehlungen des Berichts damit
zwangsläufig aus dem ursprünglichen Kontext herausgenommen werden müssen und die jeweiligen Intentionen und Begründungszusammenhänge an dieser Stelle nicht ausgeführt
werden, sind die nachfolgenden Ausführungen als grobe Übersicht der Ergebnisse der Enquetekommission zu verstehen.
Die im Folgenden zusammengestellten Handlungsempfehlungen sind in dieser verkürzten Form und ohne den Kontext nicht
zitierfähig. Es ist zu empfehlen, jeweils auf die in den einzelnen
Kapiteln ausführlicher erläuterten Darstellungen zurückzugreifen.
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
B3
B4
B5
C3
Standorte der Städte und Regionen profilieren
In der künftigen Standortpolitik der Städte und Regionen wird es
darauf ankommen, ihre spezifischen Begabungen und komparativen Vorteile herauszubilden und sich dementsprechend im
Wettbewerb der Standorte zu positionieren. Wirtschaftsförderung ist vorrangig zwar eine kommunale Aufgabe, das Land
kann und sollte dennoch die Stadtregionen bei der regionalen
Positionierung unterstützen. Landespolitik sollte einen übergeordneten Blick ermöglichen, Chancen und Potenziale erkennen
und den wirtschaftlichen Strukturwandel begleiten.
Für Kommunen, Regionen und Landespolitik sind dabei die folgenden Ansätze wesentlich:
C4
• Die Städte müssen durch lokale Stärken- und Schwächenanalysen Ansatzpunkte für mögliche Entwicklungsperspektiven, Handlungsschwerpunkte und gegebenenfalls Alleinstellungsmerkmale finden, um ihre komparativen Vorteile entwickeln und ausbauen zu können.
• Zur aktiven Unterstützung können seitens des Landes in
Abstimmung mit den Städten und Regionen Kompetenzfelder definiert, Kooperationen angeregt und der Wettbewerb
konstruktiv begleitet werden.
• Die Entwicklung von Kompetenzclustern muss bei den vorhandenen Wirtschaftsstrukturen und den bereits profilierten
Stärken ansetzen. Dabei ist die Ausprägung von Monostrukturen zu verhindern.
• Eine Standortprofilierung wird in der Regel regionale Kooperationen erfordern, die auf die Stärken von Stadtumlandregionen oder von funktional verflochtenen Regionen aufbaut.
Diese sind im Rahmen einer strategischen Förderpolitik des
Landes zu unterstützen.
• Insbesondere dort, wo regionale Kooperationen sinnvoll und
notwendig erscheinen, liegt es an der Landespolitik, die
dafür erforderlichen verwaltungstechnischen Voraussetzungen zu schaffen, Abstimmungsprozesse zwischen den Kommunen anzuregen und sie moderierend zu unterstützen.
• Um insbesondere kleinere und mittlere Städte in der Profilierung ihrer Standortpolitik beratend zu unterstützen, sollte
das Land Erfahrungen aus den Städten auswerten und diese
für verschiedene Stadttypen aufbereiten.
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Empfehlungen an die Landespolitik
Kommunale Wirtschaftsförderung muss im Zuge der Entwicklung hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft ganzheitlich ausgerichtet und gezielt mit der Stadtentwicklung verknüpft werden. Dabei stellen insbesondere die Förderung von technologischen Innovationspotenzialen und Wissenskulturen im Sinne
einer integrierten Medien-, Kommunikations- und Stadtentwicklungspolitik wesentliche Profilierungspotenziale für eine zukunftsorientierte Entwicklungsstrategie dar. Vor diesem Hintergrund
sind attraktive Wohn- und Stadtqualitäten insbesondere für
innovative Branchen von Bedeutung.
Mit einer wissens- und technologieorientierten Profilbildung der
Städte und Regionen sind im Wesentlichen verbunden:
• Hochwertige Dienstleistungen (Unternehmensberatungen,
Medienwirtschaft, Finanzdienstleistungen etc.), intraregionale Netzwerke und räumliche Nähe müssen bei der Entwicklung weicher Standortfaktoren berücksichtigt werden.
• Zur Förderung und (räumlichen) Bindung insbesondere
von Wissensmilieus ist die Verknüpfung von attraktiven kulturellen und gastronomischen Angeboten mit neuen
Beschäftigungsmöglichkeiten in innovativen Industriezweigen, Medien, Kommunikation und Hochschulen im Rahmen
der Stadtentwicklung zentrale Voraussetzung.
• Das Land sollte ein Konzept für eine integrierte Medien-,
Kommunikations- und Stadtentwicklungspolitik entwerfen.
Denkbar ist ein Städtewettbewerb zum Thema technologieorientierte Stadtentwicklungskonzepte und die Einrichtung
einer internet-gestützten Datenbank von Good Practices von
erfolgreichen Beispielen im Informations- und Kommunikationssektor.
B4
B5
B6
Durch integrierte Konzepte Lebens- und Stadtqualitäten
entwickeln
Angesichts anhaltender Abwanderungen aus den Verdichtungsräumen und zunehmender sozialer Segregationstendenzen ist
eine deutliche Stärkung der Lebensqualitäten in den Städten
erforderlich, die sich zudem auf eine steigende differenzierte
Nachfrage einstellt. Die unterschiedlichen demografischen Entwicklungen in den Regionen erfordern die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher stadtpolitischer Entwicklungsstrategien. Dort, wo
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der Markt nicht selbst eine Sockelversorgung für die Zielgruppen der sozialen Wohnraumförderung sicher stellt, muss eine
öffentliche Förderung erfolgen.
Vor diesem Hintergrund sollten Ansätze der Stadtentwicklung,
des Wohnungsbaus und der Sozialpolitik durch die Förderung
integrierter Ansätze aufeinander abgestimmt und die Steuerungskompetenz stärker auf die lokale Ebene übertragen werden:
• Zur Mobilisierung städtischen Baulands ist eine städtische
Wohnungsmarktpolitik, gekoppelt mit einem aktiven Bodenmanagement erforderlich. Insbesondere ist ein preiswertes
innerstädtisches Baulandangebot zu gewährleisten.
• Je nach Situation der Teilmärkte sind dabei unterschiedliche
Schwerpunktsetzungen beim Angebot von Ein- und Zweifamilienhäusern oder Geschosswohnungen erforderlich. Die
Förderung insbesondere von innerstädtischem Wohneigentum ist zu forcieren, um einkommensstabile Bevölkerungsgruppen in den Städten zu halten und die städtische Gesellschaft zu stabilisieren.
• Als nennenswerter Beitrag zur Innenentwicklung sind die
Entwicklungspotenziale reaktivierter Brach- und Konversionsflächen für bauliche Nutzungen und ebenso zur Aufwertung des Wohnumfelds durch Freiflächen zu nutzen. Die
Kommunen sollten dabei für zusätzliche Aufwendungen von
Seiten des Landes unterstützt werden. Grundsätzlich sollte
die vorhandene Bausubstanz auch für neue, unkonventionelle Wohn- und Arbeitsformen erschlossen werden.
• Die Bevölkerungsstagnation oder -abnahme muss für eine
umfassende Anpassung der Wohnungsbestände an die
aktuellen Erfordernisse des Marktes und neuer Haushaltstypen genutzt werden. Bei Neubau-, aber auch bei Bestandsquartieren sollten hohe städtebauliche und architektonische
Qualitäten umgesetzt werden, um attraktive Angebote für
unterschiedliche Nachfragegruppen zu gewährleisten. Diese
sind beispielsweise durch städtebauliche Wettbewerbe zu
realisieren.
• Sowohl im Bestand als auch in Neubauquartieren sollte verstärkt den Erfordernissen neuer Lebensstile und Haushaltstypen im Rahmen von milieuorientierten Entwicklungsstrategien Rechnung getragen werden. Im Hinblick auf die Alte398
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Empfehlungen an die Landespolitik
rung der Bevölkerung sind dabei unter anderem auch die
unterschiedlichen Bedarfe für altengerechte Wohnungsangebote zu berücksichtigen.
• Sowohl in Grund-, als auch in Ortsteil- und Stadtteilzentren
sollte eine wohnortnahe Versorgung gesichert werden.
Gegebenenfalls sind hier seitens der Kommunen und des
Landes neue, unkonventionelle Konzepte zu entwickeln.
• Hinsichtlich der Sicherheitsanforderungen im öffentlichen
Raum müssen die Schnittmengen und Wechselwirkungen
zwischen Polizei, Ordnungsamt und Sozialarbeit besser als
bisher genutzt werden.
• Die Entwicklung öffentlicher Räume sollte die Aktivität und
das Leben im Straßen- und Stadtraum aufwerten. Bei der
Gestaltung sind vor Ort relevante Akteure und Bewohner
aktiv einzubinden. Eine Weiterentwicklung bereits bestehender Initiativen und eine Strategieplanung des Landes könnte
die Aktivitäten für die Wiedergewinnung des öffentlichen
Raums unterstützen.
B2
B6
Demografische Entwicklung als Chance für den
Stadtumbau nutzen
In der Stadtentwicklung und Stadtplanung ist ein grundlegender
Paradigmenwechsel erforderlich, der angesichts der demografischen Prozesse vorrangig die Verbesserung der Lebensqualität
in der Stadt zum Ziel hat. Hiermit ist eine Umorientierung vom
Neubau zur Bestandsentwicklung und städtebaulichen Aufwertung verbunden. Schrumpfung ist als Chance für neue und
weniger verdichtete innerstädtische Nutzungen von Wohnen
und Arbeiten sowie für die Schaffung von Freiraumqualitäten zu
betrachten. Der Stadtumbau bedarf einer integrierten ressortübergreifenden Planung und Förderung durch den Bund und
das Land.
Im Falle einer unvermeidbaren und deutlichen Bevölkerungsabnahme ist seitens der betroffenen Kommunen im Rahmen des
Stadtumbaus eine Anpassung an Schrumpfungsprozesse aktiv
zu gestalten:
• Rückbau- und Modernisierungsmaßnahmen sind in gesamtstädtische Handlungsstrategien in Form von integrierten und
auch regional abgestimmten Entwicklungskonzepten einzu399
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
binden. Dabei sind sowohl die Bewohner als auch die ansässige Wohnungswirtschaft aktiv in den Umbauprozess einzubeziehen.
• Je nach örtlicher Situation gilt es, Strategien des Rückbaus,
der Modernisierung und Bestandsentwicklung, der Aufwertung von Wohnungsbeständen und des Wohnumfelds sinnvoll zu kombinieren.
• Rückbau und punktueller Abriss sind legitime Reaktionen auf
den Schrumpfungsprozess. Im Anschluss sind neben Aufwertungen des Wohnumfelds marktgerechte Neubauformen
für eine Nachfrageanpassung zu empfehlen.
• Der Rückbau und gegebenenfalls Abriss von Immobilien liegt
in erster Linie in der Verantwortung der Wohnungswirtschaft.
Damit ist eine erhebliche Aufwertung der verbleibenden
Wohnungsbestände verbunden, so dass es einer grundsätzlichen öffentlichen Förderung nicht bedarf. Lediglich bei einzelnen spezifischen Problemimmobilien, die eine städtebauliche Aufwertung oder öffentliche Investitionen massiv behindern, ist eine Förderung gerechtfertigt.
• Beim Abriss öffentlich geförderter Wohnungsbestände sind
Möglichkeiten der Übertragung von Restbuchwerten auf
andere Bestände, Tilgungsverlängerung, Zinsaussetzung
oder auch Verzicht auf die Rückzahlung von Förderdarlehen
zu prüfen. Zudem bedarf es einer Wertberichtigung der
Bilanzen von Altimmobilien.
• Öffentliche Förderung sollte vornehmlich bei den notwendigen Rahmenbedingungen für einen Stadtumbau ansetzen.
Neben einer Unterstützung der Kommunen für die Erarbeitung von gesamtstädtischen Entwicklungskonzepten ist vor
allem eine öffentliche Förderung für den Rückbau sowie die
Anpassung der Infrastruktur, die die Städte nicht alleine
bewältigen können, erforderlich.
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Empfehlungen an die Landespolitik
B5
B6
B7
C4
Gesellschaftliche Integration und Partizipation
forcieren
Insbesondere in den Ballungszentren ist der durch die Suburbanisierung und den Bevölkerungsrückgang zunehmenden Gefahr
einer Polarisierung der Stadtgesellschaft aktiv entgegenzuwirken. Die gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft durch
den Zugang zu Arbeit, Bildung, gesellschaftlicher Partizipation
und Wohnen etc. ist grundsätzlich für alle Bevölkerungsgruppen
zu sichern. Angesichts der Tatsache, dass die Integration
zunehmend schwieriger wird und Segregationsprozessen nur
schwer entgegengewirkt werden kann, sie häufig sogar unumkehrbar sind, haben für die Kommunen vorsorgende Strategien
und integrierte Handlungsansätze zur Stabilisierung der Quartiere besondere Bedeutung.
Bei der Erarbeitung derartiger Strategien sollten folgende
Aspekte einen Rahmen bilden:
• Zur Prävention weiterer sozialräumlicher, ethnischer oder
demografischen Segregationsprozesse ist eine sorgfältige
Beobachtung der strukturellen Veränderungen in den Quartieren erforderlich. Durch kleinräumige Sozialraumanalysen
können frühzeitig Erfordernisse für Interventionen erkannt
und umgesetzt werden.
• Stadteilpolitik sollte sich stärker an den spezifischen Milieustrukturen in den Quartieren unter Beteiligung der entsprechenden Bevölkerungsgruppen orientieren.
• Das Bund-/Länderprogramm Soziale Stadt ist fortzusetzen
und weiterzuentwickeln. Dabei sind insbesondere die ebenen- und ressortübergreifenden Ansätze von Bedeutung.
• In Stadtteilbüros sollten im Sinne einer Sozialraumorientierung alle Beratungs- und Hilfsangebote kommunaler und
freigemeinnütziger Träger gebündelt und bürgernah aus
einer Hand angeboten werden. Dabei sollten Stadtteilbüros
ebenfalls als so genannte niedrigschwellige Anlaufstellen der
Bürger für Beschwerden, Anregungen und vor allem des
bürgerschaftlichen Engagements genutzt werden.
• In sozial benachteiligten Quartieren sollten seitens der Kommunal- und Landespolitik Schulen, Kinderbetreuungs- und
sonstigen Bildungseinrichtungen gezielt gefördert werden.
Insbesondere Ganztagsangebote und die Sprachförderung
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in multiethnischen Klassenverbänden sind zentrale Ansätze,
vor allem benachteiligten Kindern frühzeitig die gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Auf diese Weise sind ebenfalls
Quartiere, in denen ein „Kippen“ der Sozialstrukturen droht,
dauerhaft zu stabilisieren und einkommensstabile Bevölkerungsgruppen zu halten.
• Möglichkeiten der Interessenwahrnehmung sowie der politischen und stadtgesellschaftlichen Partizipation von Ausländern sind auf der Grundlage von bereits vorhandenen
Selbsthilfepotenzialen von Migranten in den Kommunen
aktiv zu unterstützen.
Eine dauerhafte Stabilisierung eines Wohnquartiers bedarf einer
engen Verknüpfung von Maßnahmen der Infrastruktur und des
Wohnumfelds mit der Wohnraumförderung und Modernisierung.
Das Land sollte auf der Grundlage von abgestimmten Entwickklungskonzepten und Zielvereinbarungen investive und nichtinvestive Handlungsansätze für zielgruppenorientierte Wohnungsangebote integriert fördern. Aufgrund der unterschiedlichen Problemlagen sollte über den Einsatz und das Verhältnis
der Instrumente im Rahmen einer budgetierten Förderung flexibel in lokaler Verantwortung entschieden werden.
Die bisherigen Förderinstrumente sind dabei fortzuentwickeln:
• Die Einbindung der Zuweisungen für Maßnahmen der Stadterneuerung in die regionale Budgetierung der Wohnraumfördermittel ist zu prüfen.
• Subjekt- und Objektförderung sind in die regionale Budgetierung einzubinden. Um die Wahl der Instrumente auf kommunaler Ebene zu ermöglichen, ist eine Experimentierklausel
im Bundeswohngeldgesetz erforderlich.
• Die Ausgestaltung des Übergangs von Objektförderung zu
Subjektförderung muss geprüft werden. Dabei ist die Finanzierung der Subjektförderung in Verbindung mit einer Reform
des Wohngeldes sicherzustellen.
• Um eine Wohnungsversorgung für die Zielgruppen der sozialen Wohnraumförderung sicherstellen, ist eine Sockelförderung in Form der Objektförderung für wirkliche Problemgruppen mit realen Marktzugangsschwierigkeiten zu erhalten.
• Das bestehende Fehlbelegungsrecht muss grundsätzlich
überprüft werden.
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Empfehlungen an die Landespolitik
• Bei Veräußerung von preisgebundenen Wohnungen ist die
Mieterprivatisierung und die Förderung von Genossenschaften zu bevorzugen.
• In den Kommunen ist eine verstärkte Kooperation von Wohnungswirtschaft und Kommunen in Form eines aktiven Belegungsmanagements erforderlich.
Eigeninitiative von Bürgern und lokalen Akteuren als Partner der
Kommunen sind aktiv zu fördern. Bürgerschaftliches Engagement kann dort helfen, wo öffentliche Aufgaben durch Private
ergänzt oder sogar vollständig übernommen werden können.
Als wichtiges Element, die Identifikation mit dem Gemeinwesen
und der Kommune zu stärken, sind derartige Initiativen zu fördern und zu unterstützen:
• Dem punktuellen Engagement von Bürgern sollte durch die
Übertragung von Verantwortung mehr Aktionsraum gegeben
werden, der sich zugleich zu Elementen einer Nutzerdemokratie im kommunalen Raum entwickeln kann.
• Eine landes- und kommunalpolitische Förderung von integrierten Engagementkonzepten, die durch eine ressortübergreifende Optimierung der Landesprogramme ergänzt wird,
ist anstelle einzelner Maßnahmen notwendig.
Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern bedürfen als Pfeiler
einer zukunftsorientierten Städtepolitik der besonderen Aufmerksamkeit.
Zur Förderung von Kindern und Jugendlichen bzw. Familien
sind folgende Schwerpunkte zu setzen:
• Durch Familien-, Kinder- und Jugendberichte bzw. Sozialberichte ist die Situation der Familien in den Städten detailliert
aufzuarbeiten und zu kommunizieren.
• Familienbeauftragte in den kommunalen Verwaltungen sollten als Interessenvertretungen für Kinder und Jugendliche
fungieren. Insgesamt ist die ämter- und ebenenübergreifende Koordination der Familienpolitik zu verbessern.
• Die Etablierung einer sozialverträglichen, kinder- bzw. familienfreundlichen Planung in Städten ist anzustreben ebenso
wie die Implementierung der damit zusammenhängenden
Familien- und Kinderfreundlichkeitsprüfung. Betreuungsangebote für Jugendliche sind deutlich auszubauen.
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• Zur Familienförderung ist in den Städten die Entwicklung
eines kommunalen Leitbildes zur Zukunft der Stadtgesellschaft zu empfehlen.
B8
C3
C4
Interkommunale Zusammenarbeit und regionale
Kooperation stärken
In einer Vielzahl von Handlungsfeldern liegt die Zukunft der
Städte in der Kooperation mit den benachbarten Städten und
Gemeinden. So kann eine sinnvolle Arbeitsteilung insbesondere
zwischen Stadt und Umland erreicht werden, bei der nicht der
eine auf Kosten des anderen Vorteile zieht, sondern ein Interessenausgleich zum Nutzen aller beteiligten Städte und ihrer Bürger erreicht wird. Sowohl freiwillige interkommunale Zusammenarbeit als auch regionale Zusammenschlüsse können zu
einer Stärkung der Handlungsfähigkeit in der Region beitragen.
Um Kooperationen verstärkt zu fördern sind seitens der Landespolitik die notwendigen fördertechnischen und rechtlichen
Voraussetzungen zu schaffen, kommunale Handlungsspielräume zu erweitern sowie Abstimmungsprozesse zwischen Kommunen anzuregen und zu moderieren.
Dazu zählen insbesondere:
• Regionalen Kooperationsansätzen sind durch monetäre Anreize im Rahmen der Förderpolitik und/oder durch regionale
Budgetierung besonders zu honorieren.
• Soweit erforderlich sind gesetzliche und verwaltungstechnische Voraussetzungen für interkommunale Kompensationsabkommen und Ausgleichszahlungen zu schaffen.
• Regionale Verflechtungsräume sind durch das Land als
Orientierungsrahmen geeigneter Kooperationsgemeinschaften zu analysieren. Die Bildung von Kooperationen sollte
jedoch im Einzelfall flexibel und in enger Abstimmung mit
den Kommunen erfolgen.
• Gemeinsame Interessen- und Problemlagen z.B. im Wohnungsbau, bei Gewerbeflächen, in der Verkehrsplanung oder
der Kulturinfrastruktur sind als Chance für interkommunale
Zusammenarbeit zu betrachten.
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Empfehlungen an die Landespolitik
• Das Land muss dort moderierend und falls erforderlich auch
regelnd eingreifen, wo eine notwendige Kooperation nicht
zustande kommt oder die Art der Zusammenarbeit der zu
lösenden Aufgabe nicht gerecht wird.
B3
B4
Landes- und Regionalplanung fortentwickeln
Die Landesplanung muss den veränderten Realitäten durch
anhaltende Suburbanisierung und den damit verbundenen tendenziellen Gewichtsverlagerungen im Verhältnis von Zentren,
Mittelstädten und Umlandgemeinden Rechnung tragen. Das
Konzept der Zentralen Orte ist im Sinne der Nachhaltigkeit
weiterzuentwickeln. Dabei gilt es, deutlicher nach den unterschiedlichen Entwicklungsperspektiven sowohl in den Ballungszentren und Mittelzentren als auch in den Umlandräumen zu differenzieren. Die sich etablierenden Räume der Zwischenstadt
und ihr netzförmiges Verflechtungsraster sind als eigenständige
Siedlungskategorie zu akzeptieren sowie regionalplanerisch und
städtebaulich gezielt weiterzuentwickeln.
Im Zuge einer landesplanerischen Neubewertung der bestehenden Zentrensystematik und Weiterentwicklung des Systems der
Zentralen Orte ist vor allem zu berücksichtigen:
• Bestehende Netzstrukturen sind systematisch aufzuspüren,
um Erkenntnisse über ihre Bedeutung und Wirkungsmechanismen zu erhalten und ihre Auswirkungen abzuschätzen.
• Es sollte eine planerische Bewertung von Netzknoten erfolgen: positiv zu bewertende Netzknoten sind durch sinnvolle
Funktionsergänzungen zu bestätigen und weiterzuentwickeln,
unerwünschte Entwicklungen zu begrenzen.
• Die spezifische Nutzungsmischung von Netzknoten ist durch
Unterteilung in ein primäres und ein sekundäres Zentrennetz
in der Regionalplanung zu berücksichtigen. Dabei sind Netzknoten im Sinne der klassischen Zentralität herkömmlicher
Zentren und der Einzelfallzentralität möglich.
• Ein Überdenken der Zentrendarstellung in den aktuellen Landes- und Regionalplänen ist erforderlich. Regionale Aufgabenstrukturen sind zu erkennen und das Konzept der Metropolregionen neu einzubinden. Dabei können Kooperationen
von Städten und Regionen als Gegengewicht zu den Metropolen wirken.
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• Es ist zu klären, welche landes- und regionalplanerischen
Instrumente in Zukunft weiterhin notwendig sind, um Fehlentwicklungen zu verhindern oder positive Entwicklungen zu
fördern. Dabei ist eine deutliche planerische Zurückhaltung
erforderlich und eine Überreglementierung zu vermeiden.
Kooperative Instrumente und Verfahren sind anstelle restriktiver Ansätze verstärkt anzuwenden.
• Zur Internalisierung der Kosten durch Umweltbelastungen
und Suburbanisierungsprozesse ist ein neues Instrumentarium zu entwickeln, das die Verursacher stärker in die Pflicht
nimmt. Wo dies nicht über Marktinstrumente möglich ist,
muss die Politik entscheiden.
• Vor dem Hintergrund des weitgehend erreichten Raumordnungsziels gleichwertiger Lebensbedingungen bedarf es
einer frühzeitigen Neudefinition der gleichwertigen Lebensbedingungen im Sinne einer ausgleichenden Strukturpolitik.
Dabei ist den unterschiedlichen kommunalen und regionalen
Entwicklungsperspektiven von Schrumpfung, Stagnation
und Wachstum Rechnung zu tragen.
B7
Modernisierung einer bürgernahen Verwaltung
Zukunftsfähige Kommunen brauchen moderne Strukturen und
Instrumente, vor allem in Zeiten defizitärer kommunaler Haushalte. Durch die Gestaltung rechtlicher Rahmenbedingungen
und Beratung kann das Land die Kommunen unterstützen. Die
Ausgestaltung und Umsetzung liegt jedoch in kommunaler Verantwortung. Verwaltungsmodernisierung ist und bleibt dabei
eine Daueraufgabe von Land und Kommunen.
Bei ihrer Bewältigung sollten die nachfolgend dargestellten
Anregungen Berücksichtigung finden:
• In den Kommunen ist die Dezentralisierung von Kompetenzen bei gleichzeitiger Zusammenlegung der Fach- und Ressourcenverantwortung fortzuführen. Dabei ist eine klare Aufgabenteilung zwischen Politik und Verwaltung im Rahmen
eines Kontraktmanagements erforderlich.
• Die im Neuen Steuerungsmodell enthaltenen Ziele einer konsequenten Kundenorientierung im Sinne einer bürgerfreundlichen Verwaltung und eines politisch gesteuerten Dienstleistungsunternehmens der outputorientierten Kommunalver-
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Empfehlungen an die Landespolitik
waltung sind weiterzuentwickeln. Dabei sind Bürgerbüros als
zentrale Servicestelle nur ein Einstieg.
• Mit einer breit angelegten Aufklärung durch die Verwaltung
können bestehende, meist unbegründete Ressentiments
gegenüber neuen Verwaltungsstrukturen abgebaut werden.
• Interkulturelle Sensibilisierung und Qualifikation ist in den
Verwaltungen zu verbessern, um insbesondere bei Menschen mit Migrationshintergrund Zugangsbarrieren abzubauen.
• Der Einsatz von E-Government ist eine Chance gleichsam für
Bürger und Verwaltung Kommunikation direkter und effizienter zu betreiben.
• Um Einspareffekte bei der Verwaltung durch die Möglichkeiten des E-Government zu forcieren und Anreize für
den Bürger zu erhöhen, sollte seitens der Kommune die
Internetnutzung durch reduzierte Gebührensätze honoriert
werden.
• Die Kommunen sollten von bestimmten gesetzlichen Bindungen durch Befreiung von Standards und Einführung von
Experimentierklauseln freigestellt werden. Die Gemeindeordnung von Nordrhein-Westfalen weist bereits eine Experimentierklausel auf. Sofern und soweit konkrete Projekte im Rahmen dieser Klausel nicht realisierbar sein sollten, gilt es,
gemeinsam mit den Aufsichtsbehörden kreative Lösungen
zu entwickeln.
• Durch interkommunale Leistungsvergleiche und Leistungswettbewerbe sind der Erfahrungsaustausch und die Verbesserung kommunaler Aufgabenwahrnehmung zu fördern.
• Eine strategisch ausgerichtete Leistungstiefenpolitik sollte
durch die Einbeziehung der Bürger, Nutzer kommunaler Einrichtungen und Unternehmen sowie den Einsatz von Wettbewerbselementen gestärkt werden.
• Zur Förderung von Public Private Partnership sind dem
öffentlichen Sektor und privaten Unternehmen Unterstützungs- und Beratungsleistungen z.B. in Form einer überregionalen Servicestelle anzubieten.
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B5
Informationsbasis für eine strategische Städtepolitik
verbessern
B6
Die Komplexität der Herausforderungen, die Dezentralisierung
von Entscheidungen und eine strategische Ausrichtung der
Städtepolitik erfordern eine breite und abgestimmte Informationsgrundlage.
C3
Dabei werden in Zukunft sowohl die Betrachtung neuer regionaler Zusammenhänge als auch kleinräumiger Entwicklungen
von Bedeutung sein:
C4
• Regionale und teilmarktbezogene Wohnungsmarktanalysen
und Wohnungsmarktprognosen sind als Basis einer bedarfsund nachfrageorientierten Wohnraumpolitik in den Städten
und Regionen unverzichtbar.
• Die Datenbasis zur Segregationsentwicklung in den Städten
Nordrhein-Westfalens soll verbessert werden (kleinräumiges
Monitoring).
• Für die Etablierung eines Städte- und Regionalmonitorings
ist die Informationsbasis insbesondere auf der kommunalen
Ebene zu sichern. Dabei sollte die Bereitstellung von Daten
grundsätzlich freiwillig erfolgen und mit einem Förderprogrammcontrolling verknüpft werden.
Förderpolitik strategisch ausrichten
C3
C4
B6
Im Rahmen der Förderpolitik ist eine Dezentralisierung und eine
damit verbundene Stärkung der kommunalen und regionalen
Handlungsautonomie anzustreben. Es bedarf einer Optimierung
der Landesprogramme durch eine ressortübergreifende Förderung von integrierten Gesamtkonzepten der Kommunen bzw.
der Regionen. Zukunftsweisende, innovative Ansätze bei der
Steuerung zwischen übergeordneter Landespolitik und der
kommunalen Umsetzung sind notwendig. Hier kommt einem
Städte- und Regionalmonitoring eine entscheidende strategische Informations- und Steuerungsfunktion zu.
Für eine Neuausrichtung der Förderpolitik sind seitens des Landes im Überblick insbesondere folgende Schritte erforderlich:
• Fördermittel sind zusammenzuführen und ressortübergreifend zu bündeln.
• Eine integrierte Förderung ist durch kommunale bzw. regionale Budgets umzusetzen.
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Empfehlungen an die Landespolitik
• Eine sachgerechte Mittelzuweisung und -verwendung ist
überein landesweites Monitoring- und Controllingsystem sicherzustellen.
• Es ist ein Städte- und Regionalmonitoring in enger Kooperation mit den Kommunen zu erarbeiten und zu implementieren und dabei zu einem Förderprogrammcontrolling weiterzuentwickeln.
• Ein Indikatorensystem und die Vereinbarung von Qualitätszielen auf der Basis integrierter Entwicklungskonzepte zwischen Land und Kommunen sollte die Grundlage für die
Bereitstellung budgetierter Mittel und die Erfolgskontrolle
ihrer Verwendung bilden.
• Die Förderpraxis ist im Hinblick auf die budgetierte Mittelzuweisung und die dezentrale Entscheidung bei der Wahl von
Instrumenten zu überprüfen.
• Auf den unterschiedlichen Handlungsebenen sind bessere
Förderrahmenbedingungen durch integrierte ressortübergreifende Planung und Förderung in den Bereichen Stadtentwicklung, Wohnungsbau, Verkehr, Wirtschaftsförderung
und soziale Infrastruktur zu schaffen.
• Vom Land gesetzte Rahmenbedingungen und landespolitische Schwerpunktsetzungen in der Förderpolitik sollten im
Prinzip für alle Städte gelten und an bestimmten Problemlagen orientiert sein. Eine landespolitische Schwerpunktsetzung sollte auf eindeutigen Kriterien des Monitoringsystems
basieren.
Die Neuausrichtung der Förderpolitik sollte schrittweise umgesetzt werden. Dabei sollten bestehende integrierte Handlungsansätze wie Soziale Stadt oder die regionale Budgetierung der
Wohnraumförderung ausgeweitet werden. Als Modellprojekt
einer ressortübergreifenden Integration der Förderpolitik könnte
der im Land schon modellhaft vorhandene Ansatz einer regionalen Wohnraumbudgetierung dienen. Voraussetzung für die
Budgetierung der Wohnraumfördermittel sind ein im regionalen
Konsens abgestimmtes Entwicklungskonzept auf Basis von
regionalen Wohnungsmarktanalysen und klar abgegrenzte Wohnungsmarktregionen. Die Überprüfung der eingesetzten Mittel
sollte durch Qualitätsziele erfolgen, die im Rahmen eines Förderprogrammcontrollings zu vereinbaren sind.
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II Forschungsaufträge, Expertengespräche und Exkursionen der
Enquetekommission
1. Forschungsaufträge
Zur Gewinnung und Vertiefung weiterer Erkenntnisse hat die Kommission für
den Schlussbericht folgende Forschungsaufträge und Stellungnahmen eingeholt.
Sonderauswertung „Stadtentwicklung und Migration“
Zentrum für Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen (ZfT)
Prof. Dr. Faruk Sen, Dr. Dirk Halm
Gutachten „Städtetypen in Nordrhein-Westfalen“,
Deutsches Institut für Urbanistik (Difu), Berlin
Prof. Dr. Dietrich Henckel, Klaus Mittag, Antje Seidel-Schulze
in Kooperation mit
Prof. Dr. Bernd Kolleck, Berlin
Gutachten „Sozialraumanalyse - Soziale, ethnische und demografische
Segregation in den nordrhein-westfälischen Städten“
Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen des Landes NRW (ILS NRW), Dortmund, Ralf Zimmer-Hegmann, Christian Meyer, Katja
Stößer, Evelyn Sucato
in Zusammenarbeit mit dem
Zentrum für interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung (ZEFIR) an der Ruhr-Universität Bochum
Prof. Dr. Klaus Peter Strohmeier, Ingo Heidbrink, Volker Kersting
und
Prof. Dr. Hartmut Häußermann
Institut für Sozialwissenschaften, Stadt- und Regionalsoziologie an der Humboldt-Universität Berlin
Expertise „Aktivierung von Brachflächen als Nutzungspotenzial für eine
aktive Bauland- und Freiflächenpolitik“
Arbeitsgemeinschaft Institut für Bodenmanagement (IBoMa), Dortmund und
Institut für alter-native Kommunalplanung (AKOPLAN), Dortmund
Gaby Boele-Keimer, Dr. Egbert Dransfeld, Ulrich Häpke, Anna Musinszki
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Gutachten „Strukturwandel - Städtische Entwicklungschancen und -risiken im wirtschaftlichen Strukturwandel“
Institut Arbeit und Technik (IAT), Gelsenkirchen
Stefan Gärtner, Dagmar Grote Westrick, Ernst Helmstädter, PD Dr. Dieter
Rehfeld
Gutachten „Ausmaß und Folgen der Suburbanisierung/Stadt-UmlandWanderung in Nordrhein-Westfalen“
Empirica Qualitative Marktforschung, Stadt- und Strukturforschung, Bonn
Dr. Jürgen Aring
Bericht „Entwicklung der Wohnungsmärkte in den Städten NordrheinWestfalen“
Wohnungsbauförderungsanstalt (Wfa NRW), Düsseldorf
Karl Hofmann, Ulrich Kraus, Rebekka Späth, Michael Wucherpfennig
Ressortbericht „Zukunft der Stadt - Thesen zur Rolle der Wohnungspolitik“
Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen (MSWKS), Düsseldorf
Dr. Hans-Dieter Krupinski
Literaturanalyse „Public Private Partnership“
Dr. Alexander Wegener, Berlin
Studie „Bedeutungswandel der Innenstädte und Nebenzentren in den
Städten von Nordrhein-Westfalen“
Städtebau-Institut, Universität Stuttgart
Prof. Dr. Franz Pesch, Dr.-Ing. Martin Schenk, Tilman Sperle
Studie „Informations- und Kommunikationstechnologien in der Stadtentwicklung“
Deutsches Institut für Urbanistik (Difu), Berlin
Holger Floeting, Antje Seidel-Schulze
in Zusammenarbeit mit
City & Bits GmbH, Berlin
Jens Mofina
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Studie „Künftige Anforderungen an Wohnumfeld- und Freizeitqualitäten
in den Städten von Nordrhein-Westfalen“
Hamburger Büro für Stadtforschung GbR
Prof. Dr. Ingrid Breckner, Marcus Menzl
in Kooperation mit
Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS), Erkner
Prof. Dr. Ulf Matthiesen, Bastian Lange
und
Büro für sozialwissenschaftliche Projekte, Aachen
Dr. Katrin Hater, Lotte Jennes-Rosenthal, Saskia Siefert
Studie „Öffentlicher Sektor und private Akteure in der Stadt der Zukunft“
PD Dr. Jörg Bogumil, Dr. Lars Holtkamp, Prof. em. Dr. Hellmut Wollmann
Expertise „Wissenskultur und Stadt“
Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS), Erkner
Kerstin Büttner, Dr. Heidi Fichter, Corinna Hölzl, Petra Jähnke, Prof. Dr. Ulf
Matthiesen
Gutachten „Kommunale Familienpolitik“
Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Münster
Prof. Dr. Margherita Zander, Dr. Berthold Dietz
Literaturanalyse „E-Government in Kommunen“
Institut für Informationsmanagement, Bremen
Prof. Dr. Herbert Kubicek, Dr. Martin Wind, Claas Hanken, Isabella Schicktanz
Gutachten „Städte und Regionalmonitoring“
Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen des
Landes Nordrhein-Westfalen (ILS NRW), Dortmund
Ralf Zimmer-Hegmann, Dr. Bernd Mielke, Christian Meyer, Markus
Walczak
in Kooperation mit
Zentrum für interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung (ZEFIR) an der Ruhr-Universität Bochum,
Prof. Dr. Klaus Peter Strohmeier, Volker Kersting, Tobias Terpoorten
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2. Anhörungen
Teilnehmer der Anhörung am 26. Juni 2001
Prof. Dr. Hans Heinrich Blotevogel, Universität Duisburg-Essen
Matthias Fischer, Michael Gaedtke, Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand,
Energie und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
Dr. Herbert Kemming, Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und
Bauwesen des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS), Dortmund
Dr. Wilfried Kruse, Sozialforschungsstelle Dortmund (sfs)
Monika Kuban, Städtetag Nordrhein-Westfalen, Köln
Rolf-Detlev Plückhahn, Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen
Prof. Dr. Axel Priebs, Geographisches Institut der Universität Kiel
PD Dr. Dieter Rehfeld, Institut Arbeit und Technik (IAT), Gelsenkirchen
Dr. Wolfgang Roters, Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des
Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
Dr. Hans-Ulrich Schwarzmann, Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen
Dr. Wilgard Schuchardt-Müller, Ministerium für Arbeit und Soziales, Qualifikation
und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
Klaus Spiekermann, Büro für Stadt- und Regionalforschung, Dortmund
Teilnehmer der Anhörung am 3. Juli 2001
Prof. Dr. Wolfram Elsner, Institut für Institutionelle und Sozialökonomie an der Universität Bremen (schriftliches Statement)
Dr. Albrecht Göschel, Deutsches Institut für Urbanistik (Difu), Berlin
Andreas Goldberg, Zentrum für Türkeistudien (ZfT) an der Universität DuisburgEssen
Prof. Dr. Hartmut Häußermann, Humboldt-Universität zu Berlin
Prof. Dr. Ilse Helbrecht, Geographisches Institut der Technischen Universität München
Prof. Dr. Klaus R. Kunzmann, Institut für Raum- und Umweltplanung der Universität
Dortmund (IRPUD)
Dr. Marga Pröhl, Bertelsmann-Stiftung Gütersloh
Prof. Dr. Ulrich van Suntum, Frank Beermann, Institut für Siedlungs- und Wohnungswesen an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
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Teilnehmer der Anhörung am 11. September 2001
Dr. Ortrud Kötz, Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik des Landes
Nordrhein-Westfalen (LDS), Düsseldorf
Prof. Dr. Wendelin Strubelt, Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR),
Bonn
3. Expertengespräche
Teilnehmer des Expertengesprächs zum Thema „Regionale Kooperationen“ am 27. März 2003
Eckhard Bergmann, Bundesamt für Bauwesen- und Raumordnung (BBR), Bonn
Prof. Dr. Rainer Danielzyk, Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung
und Bauwesen des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS), Dortmund
Jürgen Evert, Beigeordneter der Stadt Lünen
Alfons Faust, Verbandsdirektor a.D., ehemals Planungsverband Ballungsraum
Frankfurt/Rhein-Main
Siegfried Frohner, Verbandsdirektor a.D., ehemals Kommunalverband Großraum
Hannover
Dr. Werner Heinz, Deutsches Institut für Urbanistik (DifU), Köln
Prof. Dr. Martin Junkernheinrich, Fachbereich Volkswirtschaftslehre, Kommunalwirtschaft und Kommunalfinanzen, Universität Trier (schriftliches Statement)
Prof. Dr. Manfred Miosga, Fakultät für Architektur, Lehrstuhl für Raumentwikklung an der Technischen Universität München
Michael von der Mühlen, Stadtdirektor der Stadt Gelsenkirchen
Georg Scholze, Kreisdirektor des Kreises Recklinghausen
Teilnehmer des Expertengesprächs zum Thema „Regionalisierung der
Wohnungspolitik“ am 26. Juni 2003
Gesine Kort-Weiher, Städtetag Nordrhein-Westfalen
Hans Peter Neuhaus, Amt für Wohnungswesen der Stadt Dortmund
Roswitha Sinz, Verband der Wohnungswirtschaft Rheinland Westfalen (VdW)
Jürgen Veser, Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik
Klaus Wermker, Stadtplanungsbüro der Stadt Essen
Dr. Peter Wild, LMR a.D., ehemals Finanzministerium Nordrhein-Westfalen
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Teilnehmer des Expertengesprächs zum Thema „Öffentlicher Raum“ am
13. Oktober 2003
Udo Behrendes, Polizeipräsidium Köln
Prof. Dr. Jens Dangschat, Institut für Stadt- und Regionalforschung der Technische Universität Wien
Prof. Dr. Wolfgang Hecker, Fachhochschule Wiesbaden, Abteilung Frankfurt/Main
Jochen Kuhn, Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung a.D.
Dr. Sebastian Müller, Fakultät Raumplanung an der Universität Dortmund
Prof. Dr. Walter Siebel, Institut für Soziologie, Carl von Ossietzky Universität
Oldenburg
Prof. Kunibert Wachten, Institut für Architektur, Städtebau und Landesplanung an der Rheinisch-Westfälisch-Technische Hochschule Aachen
4. Exkursionen und Informationsreisen
Die Kommission hat im Zuge ihrer Arbeit folgende Städte im Rahmen von
Informationsreisen und Exkursionen besucht und die nachfolgend aufgeführten Projekte besichtigt:
Stadt Arnsberg
Am Rande einer Klausurtagung der Kommission in Arnsberg stellte der Bürgermeister Hans-Josef Vogel der Kommission den Masterplan Arnsberg vor.
Stadt Bocholt
Die im Rahmen einer Exkursion besuchte Stadt Bocholt wurde den Kommissionsmitgliedern durch Bürgermeister Klaus Ehling vorgestellt. Stadtbaurat
Ulrich Paßlick informierte die Mitglieder über den Masterplan Innenstadterneuerung und das in der Stadt Bocholt entwickelte Pilotprojekt eines sozial
gerechten Bodenenmanagements mit einem revolvierenden Bodenfond.
Stadt Bonn
Bei einem Besuch der Stadt Bonn wurde die Kommission durch den Leiter
des Stadtplanungsamtes, Fritz Rehsöft, über das Pilotprojekt der interkommunalen Budgetierung für den Wohnungsbau in der Region Bonn/Rhein-Sieg
und Ahrweiler informiert. Dabei waren insbesondere die grundsätzlichen
Erfahrungen aus der bundeslandüberschreitenden regionalen Kooperation
Bonn/Rhein-Sieg/Ahrweiler von Interesse.
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Stadt Dortmund
Die historische Entwicklung, insbesondere die Auswirkungen des wirtschaftlichen Strukturwandels der im Rahmen einer Exkursion besuchten Stadt Dortmund wurde den Kommissionsmitgliedern durch Oberbürgermeister Dr. Gerhard Langemeier erläutert. Bei einer Informationsfahrt durch die Stadt wurde die
Kommission über das E-Logistic-Konzept, den e-port und über das Projekt
Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf informiert. Weitere Informationsstationen waren die Nordstadt mit der Vorstellung der Ergebnisse des EU-Programms Urban II sowie das dortmund-project und die Projekte Kulturwirtschaft
als Stadtentwicklungsmotor und e-commerce als Standortfaktor. Auf dem
Gelände der Stadtkrone-Ost konnte die Kommission das Electronic-CommerceCenter und das IT-Center Dortmund GmbH besichtigen.
Am Rande der ersten Klausurtagung der Kommission in Dortmund gab der
Geschäftsführer der Stadtwerke Dortmund, Harald Heinze, einen Überblick über
die Geschäftsaktivitäten der Versorgungsbetriebe.
Stadt Essen
Während eines Klausurtagsaufenthalts in Essen konnte die Kommission das
Weltkulturerbe Zeche Zollverein besichtigen und an einer historischen Straßenbahnfahrt teilnehmen. Der Geschäftsführer der städtischen Wohnungsbaugesellschaft, Dr. Dietrich Goldmann, informierte die Kommission in einer anschließenden Sitzung über die Aktivitäten der Essener Allbau AG.
Stadt Köln
Im Rahmen einer Exkursion informierte sich die Kommission über die Pilotprojekte Job-Center-Köln und die Sozialberichtersattung und -planung in der Stadt
Köln. Im Anschluss besichtigte sie das Konversionsprojekt Ossendorfpark, den
Hagen-Campus mit dem Rechtsrheinischen Technologie- und Gründerzentrum
Köln (RTZ). Weitere Informationsstationen waren der Technikhof Kalk und das
Medien-Cluster in Köln-Mühlheim.
Stadt Oberhausen
Oberbürgermeister Burkhard Drescher informierte die Kommission über die
historische Entwicklung der Stadt Oberhausen und über den gelungen ökonomischen Strukturwandel in der Ruhrgebietsstadt. Über die erfolgreichen Oberhausener Pilotprojekte Einkaufszentrum CentrO und O.vision konnte sich die
Kommission vor Ort informieren.
Stadt Werdohl
Über die planungsrechtlich und -technisch interessante Situation des Gebietskörperschaften überschreitenden märkischen Gewerbeparks Rosmart wurde
die Kommission in Werdohl durch Bürgermeister Manfred Wolf informiert. Im
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Rahmen der Exkursion konnte die Kommission ebenfalls den neu entwickelten
Gewerbepark Eveking besichtigen.
5. Vorträge in Kommissionssitzungen
9. April 2002 Dr. Klaus Leferinghausen, Ministerium für Arbeit, Soziales, Qualifikation und Technologie, Vorstellung des Tätigkeitsbereichs des Landesbeauftragten für Migration und Integration
3. Dezember 2002 Prof. Dr. Volker Eichener, Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung an der Ruhr-Universität
Bochum (InWIS) "Zukunft des Wohnens", Studie des VdW Rheinland-Westfalen
14. Oktober 2003 Bernd Hallenberg, vhw - Bundesverband für Wohneigentum
und Stadtentwicklung e.V., Präsentation vhw-Projekt "Nachfrageorientierte
Wohnungspolitik"
6. Teilnehmer an Expertengesprächen und Expertenfragungen im
Rahmen von Forschungsaufträgen
Bei den gutachterlichen Erarbeitungen für die Enquetekommission ist zudem
das Wissen und die Erfahrungen einer Vielzahl von Experten im Rahmen von
Experteninterviews, Workhops oder Befragungen etc. in die Arbeit eingeflossen.
Beiträge hierzu haben geleistet:
Erdogan Akpolat (Mitglied des Ausländerbeirates, Stadt Monheim), Eckhard
Arens (CDU-Fraktion, sachkundiges Mitglied des Ausschusses Soziales und
Gesundheit, Stadt Wuppertal), Dr. Jürgen Aring (empirica, Bonn), Herbert Asselborn (Amt für Stadtentwicklung und Statistik, Stadt Köln), Friedhelm Balke
(Bezirksvorsteher für den Stadtbezirk Katernberg, Stadt Essen), Muhamat Balaban (Vorsitzender des Ausländerbeirates, Stadt Essen), Prof. Dr. Franz-Joseph
Bade (Fakultät Raumplanung, Universität Dortmund), Wolf Beyer (Landesumweltamt Brandenburg, Potsdam), Dr. Ing. Jörn Birkmann (Universität Dortmund,
Fakultät Raumplanung), Paul Blanke-Bartz (E-city Dortmund), Gerald Blome
(Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen, Bielefeld), Dr. Horst Bölting (Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes NordrheinWestfalen), Dr. Ferdinand Böltken (BBR, Bonn), Dr. Hermann Bömer (IRPUD,
Universität Dortmund), Hermann Breuer (Amt für Stadtentwicklung und Statistik,
Stadt Köln), Wilhelm Bremer (Bezirksvorsteher Gelsenkirchen-Mitte), Klaus Burmeister (Z-punkt GmbH, Essen), Prof. Dr. Bernhard Butzin (Fakultät Geowissenschaften, Universität Bochum), Johann Dieckmann (Beigeordneter für Bau- und
Kultur, Stadt Hagen), Michael Fensterer (Bezirksregierung Köln), Prof. Dr. Godehard Franzen (SPD-Fraktion, Vorsitzender des Umwelt- und Stadtentwicklungsausschusses, Stadt Bielefeld), Karin Freese (Netzwerk für Bürgerbeteiligung und
Partizipation, KEBE, Bielefeld), Dr. Claudia Fründ (Verwaltung, Stadt Herten),
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Angelika Gerlach (Schulamtsdirektorin Schulaufsichtsbezirk II, Schulamt Wuppertal), Walter Göschel (Leiter Stadtentwicklungsplanung, Stadt Bochum),
Annegret Grewe (Ausländerbeauftragte der Stadt Bielefeld), Waltraud Groß
(stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende und Sprecherin im Ausschuss für
Stadtentwicklung und Umwelt, Stadt Gelsenkirchen), Marion Großschopf (AGIT
- Aachener Gesellschaft für Innovation und Technologietransfer Aachen), Berthold Haermeyer (Stadt Dortmund, Fachbereich Statistik und Wahlen, Stadt
Dortmund), Dr. Robert Hassink (Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn), Rainer
Haufler (Bezirksjugendpfleger in Jugendamt Köln - Nord), Ulrike Heuer (Schulleiterin in Köln-Ehrenfeld), Gerhard Heinzel (Schulrat für den Kreis Mettmann),
Petra Heinemann (Amt für Kinderinteressen, Stadt Köln), Jochen Hemsing
(Amtsleiter im Amt für Wohnungswesen, Stadt Köln), Wally Hengsberger (Vorsitzende der SPD-Ratsfraktion, Stadt Monheim), Ralf Herbrüggen (Vorstand für
Soziales und Gesundheit, Stadt Gelsenkirchen), Dr. Marc Höhmann (Amt für
Stadtentwicklung und Statistik, Stadt Köln), Gudrun Hock (Dezernentin Soziales
und Jugend der Stadt Essen), Karl Hofmann (Wfa NRW), Markus Horstmann
(Stadtverwaltung Gelsenkirchen), Arif Izgi (Vorsitzender des Ausländerbeirats,
Stadt Wuppertal), Dr. Norbert Jesse (Mitarbeiter der QuinScape GmbH, Dortmund), Rolf Junker (Junker und Kruse, Dortmund), Prof. Dr. Martin Junkernheinrich (Universität Trier), Joachim Jürgens (Pro Herten), Dr. Rainer Kahnert
(Büro für Gewerbeplanung und Stadtentwicklung, Dortmund), Ralf Kampmann
(Beigeordneter, Stadt Unna), Dr. Wolfgang Knapp (ILS NRW, Dortmund), Olaf
Katenkamp (sfs-Dortmund), Hans-Joachim Keil (Bezirksregierung Detmold),
Andreas Kemper (Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Dezernat für Soziales, Stadt
Bielefeld), Siegfried Kienitz (Bezirksvorsteher des Stadtbezirks Brackwede,
Stadt Bielefeld), Prof. Dr. Heiderose Kilper (IES, Hannover), Toni-Werner Klauke
(Bezirksregierung Arnsberg), Beate Kleibrink (Geschäftsstelle der Kinderfreunde
Herten), Johannes Klemm (Leiter des Bezirksamtes Köln-Ehrenfeld), Rainer
Knecht (Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Ressort Stadtentwicklung und Stadtplanung, Stadt Wuppertal), Dr. Frank Knospe (Stadt Essen, Amt für Geoinformation, Vermessung und Kataster, Stadt Essen), Prof. Dr. Klaus Kost (PCG Projekt GmbH und Ruhr-Universität Bochum), Prof. Hans-Jürgen Kottmann
(Geschäftsführer ITC Dortmund), Marlene Krause (Schulrätin für den Bereich
Gelsenkirchen-Süd), Dr. Stefan Kühn (Dezernent für Jugend, Soziales und Integration, Stadt Wuppertal), Prof. Dr. Klaus Kunzmann (Fakultät Raumplanung,
Universität Dortmund), Dr. Utz-Ingo Küpper (Geschäftsführer Wirtschaftsförderung, Dortmund), Dirk Langer (IAT, Gelsenkirchen), Sabine Lange (KVR, Essen),
Pascal Ledune (Pressesprecher Dortmund-project), Klaus Lemancyk (Schulrat
beim Schulamt Essen), Hans Heinrich Lierenfeld (Bezirksvorsteher des Stadtbezirks Chorweiler, Köln), Volker Lindner (Stadtbaurat, Stadt Herten), Hermann
Marx (CDU-Fraktion, Ausschuss für Stadtentwicklung und Stadtplanung, Stadt
Essen), Reinhold Meier (Bezirksregierung Arnsberg), Ute Melang (Kinderbüro
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Essen), Dr. Bernd Mielke (ILS NRW, Dortmund), Dirk Miklikowski (Geschäftsführer der GGW, Gelsenkirchener Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft mbH),
Werner Mlodzianowski (Technologie-Transfer Zentrum Bremerhaven), Wilfried
Moll GWG (Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft mbH Wuppertal), Barbara
Moritz (stellvertretende Vorsitzende des Stadtentwicklungsausschusses, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Stadt Köln), Gregor Moss (Dezernent für Planen und Bauen, Stadt Bielefeld), Dr. Ulrich Müller (Vorsitzender der
CDU-Ratsfraktion, Mitglied im Ausschuss für Bildung, Kultur und Sport, Stadt
Monheim), Norbert Müller (Geschäftsführer der Bielefelder Gemeinnützigen
Wohnungsgesellschaft mbH), Uwe Münch (Bezirksregierung Düsseldorf), Elke
Munich (Leiterin des Fachbereichs Schule und Jugend, Stadt Herten), Prof. Dr.
Hartmut Neuendorff (Universität Dortmund), Volker Nordalm (Generalbevollmächtigter der viterra Wohnen AG, Essen), Sinan Orhan (Vorsitzender des Ausländerbeirates der Stadt Gelsenkirchen), Dr. Marcus Ottersbach (Forschungsgruppe Multikulturelle Stadt, Köln), Werner Palm (Bezirksregierung Arnsberg),
Alexander Pauly (Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung an der Universität
Bielefeld, ZWW), Dr. Dieter Pauly (LDS NRW), Ton van der Pennen (Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Social and Cultural Planning Office of the Netherlands), Tana Petzinger (Institut für Raumplanung, Universität Dortmund), Sabine
Pommerin (Bereichsleiterin Jugendförderung, Stadt Herten), Stefan Preuss
(Department of Planning, Oxford Brookes University, United Kingdom), Dr. Günter Pruin (stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender der Stadt Gelsenkirchen),
Sebastian Rabe (ILS NRW, Dortmund), Bernhard Rechmann (Kultur Ruhr, Gelsenkirchen), Klaus Reese (SPD-Fraktion, Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses der Stadt Wuppertal), Peter Reise (SPD-Fraktion, stellvertretender
SPD-Fraktionsvorsitzender und Mitglied im Sozialausschuss der Stadt Essen,
verstorben 11. Januar 2004), Henriette Reker (Stadträtin, Vorstand für Soziales
und Gesundheit, Stadt Gelsenkirchen), Dr. Jochen Richter (Vorsitzender VDSt,
Stadt Oberhausen), Viola Richter-Jürgens (Projektkoordinatorin RegioNet-OWL,
Außenstelle Bielefeld), Dr. Ernst-Hasso Ritter (ehem. Präsident ARL), Harald
Rohmann (Ratsmitglied UWG und ehemaliger Betriebsrat der Zeche Schlägel &
Eisen, Herten), Dr. Stefan Röllinghoff (Fach- und Medienreferent in der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung Dortmund), Stefan Rommelfanger
(Abteilungsleiter des Referats Stadtplanung für den Bereich Gelsenkirchen-Mitte
und Gelsenkirchen-Süd), Günter Rose (Mitarbeiter der Viterra AG, Recklinghausen), Erwin Rothgang (Stadt Wuppertal), Klaus-M. Schlaeger (Bezirksregierung
Düsseldorf), Almut Schmersahl (Leiterin Stadtplanungsamt, Stadt Lemgo),
Dorothee Schneider (Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der SPD-Fraktion,
Stadtplanerin, Köln), Friedhelm Schneiders (Bezirksregierung Düsseldorf), Friedhelm Schneiders (Bezirksregierung Düsseldorf), Horst Schönweitz (Büro Pesch
& Partner, Herdecke), Dr. Richard Schroeder (Leiter des Wessels Hof, ehemals
Leiter von ProKids, Herten), Babara Schultz (Institut für Raum- und Land424
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schaftsentwicklung, ETH Hönggerberg, Schweiz), Dr. Wilm Schulte (Einzelhandelsverband Westfalen Mitte), Erika Schulze (Forschungsgruppe Multikulturelle
Stadt, Köln), Manfred Schwirske (Pro Herten), Dr. Hans-Ulrich Schwarzmann
(Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf), Wolfgang Seiler
(Stadtplanungsamt, Stadt Herten), Prof. Dr. Klaus Selle (Fakultät Stadtbereichsplanung, RWTH Aachen), Hans-Jürgen Serwe (Kreis Mettmann), Prof. Dr. Walter
Siebel (Fakultät Human- und Gesellschaftswissenschaften, Universität Oldenburg), Ernst-Otto Sommerer (Stadt Dortmund, Fachbereich Statistik und Wahlen, Stadt Dortmund), Gerd Spiecker (Beigeordneter, Stadt Monheim), Ard
Sprinkhuizen (Senior medewerker Cluster Sociaal Beleid, beim NIZW, Nederlands Instituut voor Zorg en Wilzijn), Prof. Dr. Rolf Sternberg (Fakultät Wirtschafts- und Sozialgeographie, Universität Köln), Lars Tata (Universität Dortmund), Carsten Tum (KVR, Essen), Arjen Verweij (Ministerie van Volkshuisvesting, Ruimtelijke Ordening en Milieubeheer, Niederlande), Hans Jürgen Vitenius
(Bezirksvorsteher des Stadtbezirks Wuppertal-Elberfeld), Andreas Vondran (Leiter des LEG-Mieterzentrums, Berliner Viertel, Monheim), Thomas Waters
(Bereich Stadtplanung und Wirtschaftsförderung, Stadt Monheim), Hans Wielpütz (Schulrat in Köln), Klaus Wermker (Abteilungsleiter des Büros für Stadtentwicklung der Stadt Essen), Günter Wevering (Amt für Stadtentwicklung und Statistik, Stadt Köln), Brunhilde Wiedemann (CDU-Fraktion, Mitglied im Sozial- und
Gesundheitsausschuss, Stadt Bielefeld), Karin Wiesemann (Lehrerin in der Heinrich Böll Gesamtschule in Köln), Josef Wirges (Bezirksvorsteher Köln-Ehrenfeld),
Michael Wolf (Bezirksregierung Münster), Dr. Erol Yildiz (Forschungsgruppe Multikulturelle Stadt, Köln), Dr. Klaus Zehner (Fakultät Geographie, Universität Köln),
Dr. Daniel Zerweck (Amt für Stadtentwicklung, Stadt Leverkusen), Gerd Zimmermann (Schulrat, Schulamt Stadt Bielefeld), Michael Zimmermann (Fraktionsgeschäftsführer der SPD, stadtentwicklungspolitischer Sprecher, Stadt Köln),
Prof. em. Peter Zlonicky (Büro für Stadtplanung und Stadtforschung München),
Martin zur Nedden (Stadtbaurat, Stadt Bochum), Ernst zur Nieden (Journalist
und Mitglied der Bürgerstiftung Herten)
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III Bildnachweis
S. 5: Landtagspräsident Ulrich
Schmidt; Bild: Landtag NRW
S. 6: Kommissionsvorsitzender
Hans-Peter Milles, Bild: Landtag
NRW
S. 15: Klausurtagung der Kommission in Arnsberg; Bild: Alexander Dahmen
S. 20: Die Kommission stellt sich
vor; Bild: Landtag NRW
S. 29: Zwei Seiten von Dortmund;
Bilder: Stefan Thabe
S. 43: Senioren auf der Rheinufer
promenade in Düsseldorf; Bild:
Alexander Dahmen
S. 49: Alterspyramide NRW 20022020-2040; Quelle: LDS NRW
S. 57: Outdoor-Chillen und Senioren im Eiscafe; Bild: Florian Dohmen
S. 58: Brunnen in Duisburg; Bild:
Stadt Duisburg
S. 63: Jugendstiltür auf Zeche
Zollern – Dortmund; Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW
S. 66: Medienhafen Düsseldorf;
Bild: Alexander Dahmen
S. 80: Duisburg – Altindustrie bei
Nacht; Bild: Landespresse- und
Informationsamt NRW
S. 85: Moderne Solararchitektur;
Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW
S. 86: Solarmobil mit Tankstelle;
Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW
S. 87: Virtuelle Realität, Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW
S. 89: Call Center; Bild: Landes-
presse- und Informationsamt NRW
S. 99: Multizentrale Pendlerverflechtungen im Ruhrgebiet; Bild:
Spiekermann + Wegener
S. 104: Schloss Moyland; Bild:
Stiftung Museum Schloss Moyland, Fotograf Maurice Dorren
S. 127: Technologiepark BergischGladbach; Bild: Stadt Bergisch
Gladbach
S. 133: Neue Mitte Oberhausen –
CentrO; Bild: Landespresse- und
Informationsamt NRW
S. 137: Die Altstadt in Düsseldorf;
Bild: Stadt Düsseldorf
S. 138: Freizeitpark Bottrop-Kirchhellen; Bild: Landespresse- und
Informationsamt NRW
S. 147: Brache in Dortmund; Bild:
Stefan Thabe
S. 151: Straßencafe in Düsseldorf;
Bild: Stadt Düsseldorf
S. 157: Verschiedene Ethnien in
Duisburg; Bild: Florian Dohmen
S. 180: CentrO Oberhausen; Bild:
Landespresse- und Informationsamt NRW
S. 182: Open Air Konzert; Bild:
Landespresse- und Informationsamt NRW
S. 188: Nixdorf-Museum – Neue
Medien; Bild: Landespresse- und
Informationsamt NRW
S. 193: Attraktionen für die
Jugend; Bild: Landespresse- und
Informationsamt NRW
S. 194: Aktive Kinder; Bild: Familienministerium NRW
S. 208: Straßenkneipe in Düssel427
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dorf; Bild: Alexander Dahmen
S. 211: Haus mit Garten in der
Suburbia; Bild: Alexander Dahmen
S. 213: Umbaumodell AugustMacke Haus – Bonn; Bild: Stadt
Bonn
S. 215: Fitnesscenter; Bild: Fitnesscompany Düsseldorf
S. 217: „Legal-Illegal“ Köln-Bayenthal; Bild: Martina Werheit
S. 221: Öffentlich geförderter Wohnungsbau in Meckenheim, Bild:
Alexander Dahmen
S. 222: Bönen Beethovenstraße;
Bild: MSWKS NRW
S. 243: Portobello Haus in Düsseldorf, „Segregation von oben“; Bild:
Alexander Dahmen
S. 244: Großwohnsiedlung in Düsseldorf-Garath; Bild: Susanne Dippel
S. 248: Verdichteter Wohnraum;
Bild: MSWKS NRW
S. 251: Kostengünstiger moderner
Wohnungsbau; Bild: WüstenrotStiftung
S. 253: Moderne Reihenhauszeile;
Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW
S. 255: Öffentlich geförderter Stadtumbau in Bonn-Dransdorf; Bild:
Alexander Dahmen
S. 257: Rückbau von Großwohnsiedlungen in Leinefelde (Thüringen);
Bild: Martina Werheit
S. 263: Bürgerbüro in Bergisch-Gladbach; Bild: Stadt Bergisch-Gladbach
S. 265: Übung der Freiwilligen Feuerwehr; Bild: Landespresse- und
Informationsamt NRW
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S. 269: Kommunale Akteure im Ortstermin; Bild: Martina Werheit
S. 277: Heimarbeitsplatz; Bild: Landespresse- und Informationsamt
NRW
S. 280: PPP-Projekt Philharmonie
Essen in der Bauphase; Bild: Philharmonie Essen GmbH
S. 283: Die Kommission in einer Sitzung; Bild: Landtag NRW
S. 287: Masterplan Ruhr - eine Exkursion; Bild: Stefan Thabe
S. 292: Verleihung Robert JungkPreis; Bild: Städtenetzwerk NRW
S. 305: Aufgang zum Stadttor Düsseldorf; Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW
S. 308: Migranten als Zielgruppe für
Immobilienverkäufe; Bild: Dirk Halm
S. 310: Integriertes Handlungskonzept Bonn-Dransdorf; Bild: Alexander Dahmen
S. 315: Gründer- und Technologiezentrum in Rheinbach; Bild: Alexander Dahmen
S. 317: Symbiose von Alt und Neu in
Köln; Bild: Martina Werheit
S. 318: Stadtqualitäten; Bild: MSWKS
NRW
S. 322: Soziale Stabilität Dortmund
Schleifenstraße; Bild: MSWKS
NRW
S. 325: Blick vom Rheinturm auf den
Landtag; Bild: Alexander Dahmen
S. 326: Budgetierte Wohnungsbauförderung in Bonn-Rhein-Sieg-Ahrweiler; Bild: Karl-Peter Brendel
S. 331: Sozioökonomische Informationssysteme; Bild: Zentrum für
interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung (ZEFIR)
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S. 335: Nachhaltigkeitsspinne; Bild:
Bundesamt für Bauwesen und
Raumordnung
S. 367: Bahnhof CentrO Oberhausen;
Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW
S. 369: Zeche Zollverein Schacht XII;
Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW
S. 371: Landtag NRW Luftbild Plenarsaal; Bild: Alexander Dahmen
S. 374: Hafenfest in Dortmund; Bild:
Stefan Thabe
S. 377: Luftbildaufnahme vom
Schloss Bensberg; Bild: Stadt Bergisch-Gladbach
S. 380: Aachener Dom; Bild: Stadt
Aachen
S. 383: Schloss Nordkirchen; Bild:
Finanzministerium NRW
S. 385: Firmengebäude T-Mobile in
Bonn; Bild: Presseamt der Bundesstadt Bonn, Fotograf Michael
Sondermann
S. 388: Bertelsmann-Stiftung; Bild:
Bertelsmann-Stiftung
S. 391: Siegerlandhalle; Bild: Siegerlandhallen GmbH
S. 395: Landtag NRW – Plenarsaal;
Bild: Landtag NRW
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IV Stichwortverzeichnis
Akteure 6, 18f, 24, 32f, 37, 65, 73ff,
94, 102, 179, 184, 186f, 189,
192ff, 197, 265, 268f, 273, 280,
291, 299f, 311, 314, 322, 338,
349, 357, 362, 372, 387ff, 401
Altersstruktur 17, 45f, 48, 51, 57ff,
70,155, 160, 164, 201, 223, 236,
306, 308
Ausländer; siehe Migranten
Ballungsraum 17, 30, 71f, 125, 225,
232, 241, 299
Bauland 122, 234, 251, 252, 311
Bautätigkeit 128, 226, 227, 232, 249
Beschäftigtenentwicklung 17, 71,
115,123, 124, 311, 345
Bestandsentwicklung 15, 18, 152,
230, 243f, 248, 252, 254f, 258f,
260, 271, 274, 280, 320, 321, 330,
401, 402, 404, 408
Bevölkerungsentwicklung 31, 33, 34,
35, 40, 43, 44, 46ff, 50, 51, 57,
59f, 64, 69, 72, 77, 95, 107, 109,
115, 116, 138, 160, 222, 223, 235,
239, 245, 247f, 308, 345, 377
Bildung 15, 18, 32, 34, 51, 57, 67, 68,
69, 81, 101, 104, 130, 151, 153,
158, 178, 186, 196, 198ff, 200,
206, 209, 212, 217, 270, 283, 288,
301, 308f, 318, 322, 331, 351,
358f, 364, 389, 403, 406
Bodenmanagement 148, 252, 400
Brachflächen 58, 59, 132, 145, 146,
147, 146ff, 149, 234, 251, 259, 400
Budgetierte Förderung 244, 249, 250,
255, 256, 272, 328, 329, 330, 359,
404, 406, 411
Bürgerbeteiligung 156, 198, 208, 212,
256, 264f, 267, 270, 284, 309,
318, 297, 311, 319
Bürgerorientierung 275, 284, 408
Bürgerschaftliches Engagement 197f,
264, 266, 267f, 297, 311, 405
Controlling 198, 330, 351ff, 339, 348,
353, 363f.
Cluster; siehe Kompetenzfelder
Dekonzentration 25, 69, 95, 101, 103,
115, 123ff, 139, 284, 325f, 330ff,
335, 339, 349, 378, 408, 410
Dezentralisierung, der Verantwortung/Steuerung 19, 281, 282, 310,
326, 327, 328, 330, 360, 410
Dienstleistungsgesellschaft; siehe
Tertiärisierung
E-Government 84, 275, 276, 277,
278,285, 409
Einzelhandel; siehe Handel
Entwicklungsperspektiven 5, 6, 16,
27, 35f, 39f, 55, 75, 90, 94, 114,
127, 135, 136, 145, 148, 314, 320,
325, 370, 398, 407, 408
Experimentierklausel 256, 283, 372,
404, 409
Familienpolitik; siehe auch Kinderund Jugendliche 190ff, 202, 404
Fehlbelegungsrecht 256, 404
Flächennutzungsplan, regionaler 291,
293
Förderung, integrierte/ressortübergreifende 17, 29, 51, 100f, 137,
144, 147f, 201, 249f, 256, 298,
325ff, 349ff, 358ff, 363, 378, 381,
404, 410
Freizeit- und Kulturangebot 17, 32,
70,86, 103ff, 122, 130, 133, 136ff,
140, 143, 146, 155, 176ff, 187,
205, 207ff, 213ff, 236, 253, 255,
264, 287, 295ff, 312ff, 318, 376,
378, 373ff, 378ff, 389, 406
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
Gemeindeordnung 283, 409
Gewerbesuburbanisierung 17, 69, 95,
101, 103ff, 115, 123ff, 139, 284,
325ff, 376
Großstädte 30, 34, 36ff, 77, 83, 103ff,
111, 113, 115, 135, 156, 222, 238,
246, 248, 251, 378
Handel 15, 59, 63, 72, 78, 83ff, 115ff,
124, 136ff, 140, 144f, 181, 207,
213, 268, 289, 294ff, 318, 350
Haushaltsstruktur 223, 225, 320
Haushaltsstypen; siehe Lebensstile
und Zielgruppen
Hochschulen 31, 35, 66ff, 77, 82,
104, 156, 158, 176, 186, 188, 264,
320, 370f, 399
Indikatorensystem 34f, 40, 51, 125,
141, 145, 159, 160, 162, 195f,
202, 241, 251, 301, 315, 331,
330ff, 335ff, 340ff, 348ff, 357, 392,
410f.
Infrastruktur, technische 65, 72, 87
Infrastruktur, soziale 18, 71, 156, 189,
198, 211, 252, 255f, 260, 266ff,
283, 297, 311, 318, 322, 371, 381,
390, 403, 405, 411
Innenstadt 34, 37, 69, 76, 80, 82f,
92ff,99, 102, 106, 108, 127, 135ff,
139ff, 180f, 188, 194, 232, 268,
376, 383, 401
Integration, soziale/ethnische 15,
158, 307, 318
Integrierte, gesamtstädtische Konzepte/Ansätze 58, 97, 197, 250, 260,
283, 289, 313f, 328f, 339, 349ff,
358, 361, 378, 399ff, 410f.
Internet; siehe Informations- und
Kommunikationstechnologien
Interessenausgleich 292, 298, 301,
312, 328, 384, 406
Informations- und Kommunikations
432
technologien 18, 63, 73, 91ff, 275ff,
285, 341, 363, 369, 385, 409
Kernstadt 30, 103, 105, 127, 132,
134, 139, 215, 234, 241
Kinder- und Jugendliche 18, 44ff, 54,
58ff, 86, 96, 114, 122, 132, 157,
160, 185, 190ff, 202, 243, 253,
309, 347, 352, 368, 375, 403, 405
Klein- und Mittelstädte 18, 30, 38, 74,
83, 128, 232, 234, 268, 272f,
292ff, 306, 309ff, 339, 341, 356,
358, 379, 383, 390, 406
Kommunale Finanzen 6, 33, 258,
273, 281ff.
Kommunale Kooperation; siehe
Regionale Kooperation
Kommunalverwaltung 18, 184, 262f,
265ff, 271ff, 284ff, 330, 357, 381,
408
Kompetenzfelder 31f, 34, 51ff, 65, 68,
72ff, 74f, 80, 86, 89f, 107, 289,
306, 319, 398
Kooperation; siehe auch Regionale
Kooperation und Public Private
Partnership 68ff, 83, 85ff, 90, 140,
143, 195, 199, 202, 211, 242, 250,
256, 268, 278, 280, 286ff, 291ff,
296ff, 301ff, 312ff, 328, 337, 350,
355, 360ff.
Koordination (durch das Land) 197,
202, 277, 362f, 405
Kultur; siehe Freizeit und Kulturangebot
Landes- und Regionalplanung 98ff,
135, 139ff, 226, 232ff, 292f, 407
Ländlicher Raum 30, 38, 50, 54, 77ff,
94, 101ff, 120, 143, 160, 226ff,
251, 301
Lebensstile; siehe auch Milieus 16f,
132ff, 152ff, 180, 187, 203ff, 236,
253
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Lebensqualität; siehe StadtqualitätLeistungsvergleiche 271, 283f, 409,
342
Metropolregion 17, 53, 101f, 139ff.
Migranten 17, 44, 130, 138, 154,
175ff, 198ff, 231, 306ff, 350ff, 403,
409
Milieus; siehe auch Lebensstile 67ff,
84ff, 95, 156f, 186ff, 399ff.
Mischung, soziale; siehe auch Integration und Soziale Stabilität 157,
177ff, 188, 212, 216, 243, 255,
308
Mischung, funktionale 95, 137, 141,
188, 407
Mittelstädte; siehe Klein- und Mittelstädte
Modellprojekte 60, 144, 148, 193f,
200, 244f, 249f, 260, 273, 357,
362, 411
Moderation (durch das Land) 90, 252,
301, 314, 327ff, 361, 398, 406f.
Monitoring 148, 195ff, 236, 301, 315,
326ff, 334ff, 410f.
Nachhaltigkeit 16, 66, 133ff, 194f,
209, 226, 234, 310ff, 336, 340,
360f, 407
Netzstadt 17, 41, 92, 99ff, 139ff, 327,
407
Objektförderung 256, 404
Öffentlicher Raum 18, 60, 155, 179ff,
211, 213, 217, 258, 268, 319, 401
Partizipation; siehe auch Bürgerbetei
ligung 200, 214f, 278, 319, 323,
361, 403f.
Pendler 77, 107, 117ff, 241f, 347, 358
Preisgebundener Wohnungsbau;
siehe auch Wohnraumförderung
35, 154, 209, 222, 229ff, 254f,
292, 311, 323, 330, 400, 405
Problemgruppen 18, 157f, 164, 177,
180, 185, 198f, 203f, 221, 232,
242f, 248, 256, 307, 310, 323,
404, 409
Public Private Partnership 145ff,
277ff,
312, 409
Quartiere 85, 95, 154, 158f, 176ff,
188, 197f, 242f, 254f, 270, 308f,
322f, 403f
Quartiersmanagement 322f.
Raumordnung; siehe Landes- und
Regionalplanung
Regionale Kooperation 18f, 73ff, 83,
86, 90, 92, 127, 140, 143, 201,
244ff, 250, 286ff, 304ff, 308, 312ff,
325ff, 337ff, 352, 358ff, 398f,
404ff.
Regionaler Wohnungsmarkt; siehe
Wohnungsmarkt, regional
Regionalplanung; siehe Landes- und
Regionalplanung
Schrumpfende Stadt 16f, 40, 44, 55ff,
89, 108, 115, 135, 143f, 160, 178,
242, 248, 258, 321f, 401f.
Segregation 17, 56, 96, 135, 153ff,
176ff, 196ff, 207, 212, 242ff, 255ff,
308, 321ff, 350ff, 399, 403, 410
Senioren 70, 86, 207f, 236ff, 253,
266, 269, 283, 322
Sicherheit 155, 182ff, 210, 269, 276,
285, 294, 309, 323, 401
Sozialarbeit 185, 255, 401
Soziale Stabilität 17, 164, 196, 255,
308, 317f, 322
Soziale Stadt 75, 128, 196f, 245, 250,
329, 341ff, 350, 403, 411
Sozialraumanalyse 156, 164ff, 176,
198f, 203ff, 352, 403
Städtebau 17f, 32, 69, 96ff, 119,
132ff,144ff, 207ff, 216, 250, 254,
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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen
257ff, 305, 319ff, 328, 351, 359,
400f, 407
Städte-/Siedlungstypen 29ff, 50ff,
75ff, 85ff, 105ff, 239ff, 247, 356,
398
Stadtqualität; siehe auch Bestandsentwicklung 17, 32, 69, 72, 88,
196ff, 259, 309, 317ff, 320f, 322f,
399f, 401f.
Stadtteilbüro 197f, 284, 403, 409
Stadtteile; siehe Quartiere
Stadtentwicklung 5, 6, 24f, 29ff, 91,
95ff, 132, 145, 151f, 186ff, 196,
249f, 257ff, 266, 311, 319ff, 325,
343, 350, 357, 399ff.
Stadterneuerung 97, 144ff, 197, 250,
261, 268, 404
Stadtgesellschaft 156, 189f, 196,
319, 403ff.
Stadtplanung 210, 257ff, 401
Stadtumbau 230, 249, 257ff, 321,
401f.
Stadt-Umland-Beziehung 31, 119,
128, 135, 289, 300, 398, 406
Stadtumland 17, 50, 69ff, 77f, 83f,
85f, 87, 89, 90f, 103ff, 109ff, 115ff,
119ff, 124ff, 154, 178, 222ff, 228,
233, 241ff, 248, 251f, 292, 297ff,
306, 312, 384, 398, 407
Standards 75, 145, 149, 152, 237,
255, 258, 276, 282f, 311, 321,
327, 361, 409
Standortpolitik 16f, 32, 35f, 63ff, 75,
77, 82ff, 93ff, 102, 123ff, 140ff,
186f, 203, 207, 212, 248, 290,
293f, 306f, 312ff, 315, 320, 327,
398f.
Steuerung, landespolitische 100, 135,
139, 282, 324f, 326ff, 330f, 334ff,
400, 410
Strukturpolitik 17, 51, 65ff, 82f, 90,
434
143, 203, 260, 290ff, 398f, 408,
411
Strukturwandel 17, 55, 58, 66, 68ff,
75, 81, 83, 87, 90f, 104, 124, 152f,
155, 258f, 282, 289, 293, 319f,
322, 398
Subjektförderung 244, 256, 404
Suburbanisierung 17, 31, 37f, 57, 64,
69, 72, 77f, 83, 95, 100ff, 105ff,
128ff, 142f, 148, 154, 207, 211f,
222, 226, 228, 232ff, 243, 251f,
257f, 289, 322, 403, 407f.
Technologiezentren; siehe auch Wirtschaftsförderung 66f, 72f, 149, 344
Telearbeit 94, 95
Tertiärisierung 30, 63, 68, 89, 123,
181, 242, 399
Typisierung 30ff, 58, 75f, 90, 105f,
113, 115, 209
Umlandgemeinden; siehe Stadtumland
Verwaltungsreform 264ff, 274, 357
Wanderung, Bevölkerungs- 15, 17,
31,44, 45, 50, 56, 57, 59, 60, 77,
84, 104, 105, 108f, 121f, 128,
131f, 134, 142, 154, 156, 159,
212, 218, 221f, 226f, 235f, 243,
247f, 251f, 257, 300, 308, 323,
326, 369, 399
Wettbewerb, Städte- 16, 31, 68, 72,
75, 83f, 87, 90f, 102, 125, 265,
269, 272, 279f, 284, 289f, 294,
306f, 312f, 327, 356, 398f, 409
Wettbewerbe, städtebauliche 97, 254,
260, 319, 400, 409
Wirtschaftsstruktur 32, 34, 74, 76, 80,
86f, 89, 94, 306, 398
Wirtschaftsförderung 17, 72, 82f, 90,
203, 260, 290, 292f, 298, 399, 411
Wissenskultur 34, 36f, 39, 63, 68f,
186f, 200, 317, 319f, 399
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Wohneigentum 122, 191, 206, 225,
230, 239, 244, 246, 252f, 256,
323, 400
Wohngeld 256, 311, 404
Wohnqualität; siehe auch Stadtqualität 109, 207, 230, 234, 236, 252f,
309
Wohnraumförderung 101, 221, 231,
244f, 248f, 254f, 261, 326, 328,
350f, 358f, 400, 404, 411
Wohnumfeld 18, 59, 67, 82, 122f,
187,193, 206f, 226, 230, 236, 248,
255, 257f, 309, 318, 320f, 400,
402, 404
Wohnungsbau 35, 51, 121, 128, 142,
151, 154, 206, 209, 221f, 225f,
228f, 234, 237, 239, 243f, 246,
248f, 254f, 258, 260, 292, 311,
323, 330, 348, 350, 359, 400, 406,
411
Wohnungsbauförderung; siehe Wohnraumförderung
Wohnungsmarkt 41, 56, 123, 128,
200, 209, 221f, 232, 235f, 252,
254f, 258, 307f, 323, 340, 344,
348, 350, 400
Wohnungsmarkt, regionaler 177, 206,
208, 229, 239f, 250, 258, 295,
326, 340, 410f.
Wohnungswirtschaft 18, 216, 231,
243, 236, 243, 248f, 252, 254f,
259f, 308, 402, 405
Zentrale Orte 41, 99, 101, 124, 139,
143, 407
Zentren 15, 17, 34, 36f, 69, 76f, 81,
83f, 93, 95, 99f, 104f, 116f, 129,
136f, 145f, 155, 179f, 207, 232,
258
Zielgruppen; siehe auch Milieus 207f,
221, 231, 235f, 248, 251, 253f,
400, 405
Zwischenstadt 17, 30, 102f, 107f,
105f, 109ff, 115ff, 128f, 132, 140,
142, 222, 228, 233, 243, 251, 398,
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Ende des Jahres 2000 wurde die Enquetekommission zur Zukunft der Städte in NRW
vom Landtag Nordrhein-Westfalen beauftragt, Empfehlungen zur Zukunftssicherung der
nordrhein-westfälischen Städte zu erarbeiten. Sie soll aufzeigen, durch welche landespolitischen Rahmenbedingungen die urbanen Qualitäten der Städte erhalten und weiter entwickelt werden können.
Mit diesem Bericht legt die Enquetekommission nun eine umfassende Bestandsaufnahme zur gegenwärtigen Situation und der künftigen Entwicklung der Städte in NordrheinWestfalen vor. Die Analysen verdeutlichen unter anderem, dass aufgrund der höchst
unterschiedlichen städtischen Problemkonstellationen und regionalen Entwicklungsperspektiven in Zukunft differenziertere Strategien in der Städtepolitik erforderlich sind.
Künftige Aufgabenfelder sieht die Enquetekommission in der Profilierung von regionalen
Kompetenzfeldern und Wissensstandorten, einer Neuorientierung der Stadtentwicklung
und Landesplanung sowie einer regionalen Ausrichtung der Wohnungspolitik, die ebenso
dem zu erwartenden Bevölkerungsrückgang Rechnung trägt. Die Städte sind zunehmend
Kristallisationspunkt der sozialen und ethnischen Integration. Neben einer Stärkung von
Familien- und Bildungspolitik sieht die Kommission die qualitative Aufwertung und zielgruppenorientierte Erneuerung der Wohnungsbestände als besondere Herausforderung,
um die Städte zu attraktiven Wohn- und Arbeitsorten für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zu entwickeln. Ebenfalls verändert sich das Selbstverständnis der Kommune hin
zu einem kooperativen Umgang mit Bürgern und kommunalen Akteuren.
Zentrale Ansätze im Rahmen der Landespolitik sieht die Enquetekommission in der Stärkung von Region und Kooperation, um den Wettbewerb um Bevölkerung und Arbeitsplätze zu bewältigen und regionale Interessen ausgleichen zu können. Die Städte und
Gemeinden müssen aus Sicht der Kommission mehr Autonomie erhalten und in ihrer Verantwortung gestärkt werden. Dies führt zu einer Neuorientierung der Städtepolitik auf allen verantwortlichen Handlungsebenen – bei den Kommunen, den Regionen und beim
Land. Als strategisches Instrument einer flexibleren politischen Steuerung schlägt die
Kommission das Konzept eines Städte- und Regionalmonitorings vor, das auf der Basis
von gemeinsamen Zielvereinbarungen zwischen Kommunen und Land neue Qualitäten in
der Förder- und Investitionspolitik der stadtpolitisch relevanten Handlungsbereiche ermöglicht und somit in Zukunft die vielfältigen Entwicklungsoptionen in der Städtelandschaft von Nordrhein-Westfalen berücksichtigt.
ISBN 3-8176-1130-7

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